Auftritt: Kathy Swanson
Ianto rückte seine Krawatte zurecht, als über ihm das
Schnurren und Quietschen des Mechanismus erklang, der die Luke am „unsichtbaren
Lift“ schloss. Musst auch mal wieder geölt werden. Er machte sich eine mentale
Notiz. Der Hub brauchte eine Generalüberholung – sollten sie irgendwann einmal
die Zeit dazu finden.
Natürlich hatte Jack sie bei ihren vorherigen Besuchen über den mehr
spektakulären Eingang am Fuß des Wasserturms in den Hub gebracht, statt über
den eher praktischen durch das Büro der Touristeninformation.
Aber das war genau aus diesem Grund Teil seiner Aufgaben. Jack übernahm den
Unterhaltungs- und Showteil (wobei ihn Kathys sachliche Reaktion auf Janet doch
etwas enttäuschte), Ianto das Praktische. Er würde
ihr die Türcodes für das Tourismusbüro und die Garage
geben und ihre DNA ins System scannen.
Er legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben, als die Liftplattform in
Sicht kam.
Falls Kathy Swanson aufgeregt war, ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie
stand mit einer Gelassenheit da als mache sie täglich die – zugegeben etwas
ruckelnde – Fahrt aus luftiger Höhe. Natürlich war das heute auch nicht ihr
erster Besuch im Hub, wenn auch der erste nicht als rein geduldeter Besucher.
„Mister Jones!“, rief sie zu ihm hinab, als sie ihn erblickte.
„Willkommen bei Torchwood Drei, Detective
Swanson“, begrüßte Ianto sie förmlich und hielt ihr
lächelnd die Hand hin, um ihr galant den letzten Schritt vom Lift auf den Boden
zu helfen.
„Was? Ich brauche keine Tagesparole?“, meinte Kathy lachend. „Welche Art von
Supergeheimer Organisation ist das?“
„So förmlich geht es hier nicht zu.“ Er sah, dass sie seinem Wunsch entsprach
und keine Waffe trug. Sie war ein „Licenced Officer“,
hatte also die Erlaubnis und Ausbildung zum Tragen und Benutzen einer
Schusswaffe, aber Torchwood hatte seine eigenen
Vorschriften und dazu gehörte, dass niemand außer einem Torchwood-Agenten
im Hub bewaffnet war. Ianto hatte ihr eine
ausführliche eMail geschickt, um sie auf das
Probetraining vorzubereiten.
„Hallo, Kathy“, begrüßte er sie warm. Über die Koordination des Trainings von
Streifenbeamten und ihrer engeren Zusammenarbeit mit der Polizei mit Kathy, die
als Liaison zwischen Torchwood und der Heddlu De Cymru, der South Wales
Police, diente, hatten sie sich angefreundet. Swanson hatte sich dafür extra in
das Distrikthauptquartier, die Cardiff Bay Police Station versetzen lassen, um
den Liaisonposten zu übernehmen. Natürlich hatte es
auch nicht gerade von Anwärtern gewimmelt…
Jack wurde von einem Anruf daran gehindert, sie selbst zu empfangen und eilte
jetzt aus dem Büro. Er stoppte praktisch mitten im Schritt, als Swanson Ianto umarmte und ihn auf die Wange küsste. Hallo! Hatte er
da etwas verpasst? "Ka... Detective Swanson“,
verbesserte er sich, als ihn ein kühler Blick traf.
„Das hier gibt dem Ausdruck "Man Cave" übrigens eine ganz neue
Bedeutung“, meinte Kathy trocken, als sie Jacks Hand schüttelte.
„Willkommen zur Testwoche.“ Jack drehte den Charme ein wenig hoch und zog ihre
Hand zu einem Handkuss an die Lippen. Wäre doch gelacht, wenn er nicht…
Kathy zog ihre Hand weg, und verpasste ihm einen kalten Blick, aber keine
Umarmung oder gar einen Begrüßungskuss wie für Ianto.
„Gehen wir an die Arbeit“, sagte sie trocken. „Wenn ich schon sonntags arbeite,
dann bitte ohne überflüssiges Geschwätz.“
Ianto versteckte sein Lachen hinter einem Räuspern
als Jack ihn irritiert ansah. „Ich denke, ich übernehme das dann ab hier, Sir?“
Er ließ es wie eine Frage klingen.
„Ja, sicher.“ Jack verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe ohnehin noch
etwas Wichtiges zu tun. Es wartet Arbeit auf meinem Schreibtisch.“ Er nickte
den beiden zu und ging auf sein Büro zu.
Leider verdarb ihm Rhearns Auftauchen an der Tür – in
ihrem Entchen-Schlafanzug und mit ihrem Lieblings-Kuscheltier unter dem Arm,
verschlafen nach ihrem desertierten Daddy suchend – den dramatischen Abgang ein
wenig.
Kathy lachte leise, als Jack einen kleinen Spurt einlegte, um seine Tochter auf
den Arm zu nehmen, bevor sie auf Erkundungstour gehen konnte. „Sie hat ihn fest
um den kleinen Finger gewickelt, oder?“
„Sie hat uns alle um den Finger gewickelt“, bestätigte Ianto
lächelnd und winkte, als Rhearn schläfrig über Jacks
Schulter in ihre Richtung spähte. „Sie sollte eigentlich noch schlafen, aber
sie ist kaum zu halten, wenn ihre Neugier durchbricht. Glücklicherweise ist sie
noch nicht so groß, dass sie alle Türklinken erreicht.“ Er wandte sich Kathy
zu. „Wie wäre es mit einer Tasse Kaffee, bevor wir dich ins System scannen?
Dann kannst du auch den normalen Eingang oben über das Büro der
Touristeninformation benutzen.“ Er wies in Richtung Kaffeeküche
„Oh, großartig!“ Kathy folgte ihm. „Benutzt ihr dieses Ding eigentlich um Leute
abzuschrecken?“
„Es hätte schlimmer sein können. Wir haben mal nachts eine Wiederholung der
alten Batman-Serie gesehen und Jack überlegte, ob wir nicht auch solche
Rutschstangen einbauen sollten.“ Ianto sah sie über
die Schulter an und zwinkerte.
„Du nimmst mich auf den Arm“, erwiderte Kathy.
„Das würde ich mir niemals mit einem Mitglied der Ordnungsmacht erlauben.“ Ianto holte eine Tasse aus dem Schrank über dem Spülbecken.
„Ich weiß das Torchwood… nennen wir es
unkonventionell… ist. Auch abgesehen von Captain Harkness‘ Führungsstil.“ Kathy
musterte die chromglänzende Kaffeemaschine, in der sich ihr Gesicht spiegelte.
„Aber ehrlich, wie funktioniert das mit einem Kleinkind?“
„Ehrlich?“ Ianto füllte Wasser in der Maschine nach.
„Mit einer Menge Kompromisse. Einer davon ist, dass ich die meiste Zeit hier im
Hub verbringe – Touristeninfo, Organisation, Archiv und das Füttern der
Raubtiere schaffe ich auch mit einem Auge auf Rhearn.“
Er lächelte. „Auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, ich muss sie dazu
anbinden, seit sie laufen kann.“
„Hat seine Hoheit das so bestimmt?“ Kathy deutete mit dem Kopf in Richtung
Büro. „Das klingt nämlich nicht so richtig nach einem Kompromiss, eher danach
dass du die komplette Arbeit mit ihr hast.“
Ianto stoppte einen Moment mit der Kaffeezubereitung
und sah sie an. „Torchwood hat… Torchwood
Drei, um genau zu sein… hatte in der Vergangenheit ein hohe Sterblichkeitsrate.
Und ich habe festgestellt, dass es mir wichtiger ist, meine Tochter aufwachsen
zu sehen, als im Feld zu arbeiten.“ Er stellte die Tasse in die Maschine. „Es
ist nicht so, dass ich nur mit Babysitten beschäftigt bin, es gibt hier im Hub
wirklich mehr als genug zu tun. Aber wir teilen uns die Arbeit mit ihr, so gut
es geht. Wir versuchen jede freie Minute gemeinsam mit Rhearn
zu verbringen. Und wir haben versucht, alle Vorkehrungen zu treffen. In Jacks
Büro und oben in der Touristeninfo darf sie sich frei bewegen, dort hat sie
ihre Spielecken und einen Schlafplatz. Wenn wir wirklich beide benötigt werden,
dann springt jemand aus dem Team ein und passt auf sie auf – im Extremfall auch
Rhys, Gwens Mann. Er sieht es als Übung an, für ihr eigenes Kind.“
„Ich bin noch nicht ganz sicher, wie ich es einen ganzen Tag in dieser Höhle
aushalten soll“, murrte Kathy. „Aber ich nehme an, man gewöhnt sich daran.“ Sie
nahm die Tasse, die Ianto ihr reichte. „Das bringt
mich zu einer Frage, auf die mir bisher noch niemand so recht eine eindeutige
Antwort gegeben hat. Ist die Kleine nun deine Tochter oder Jacks?“
„Sie ist unsere Tochter.“ Ianto holte Jacks
blaugestreifte Tasse (beziehungsweise ihre xte
Reinkarnation) aus dem Schrank und stellte sie in die Maschine.
„Ja, natürlich. Aber in biologischer Hinsicht.“ Sie lachte. „Ich weiß, es gibt
seit Jahren dieses Gerücht, dass einer der forensischen Techniker Harkness an
einem Tatort hat sagen hören, dass er schon mal schwanger gewesen wäre, aber
das war ja wohl ein Scherz.“
„Kathy – mein Kaffee ist im Allgemeinen zu gut, um mit Retcon
versetzt zu werden, also würde ich diese Unterhaltung gerne auf einen späteren
Zeitpunkt verschieben.“ Ianto füllte eine Kindertasse
mit Milch und stellte sie in die Mikrowelle.
„Das verstehe ich nicht. Ist es ein Geheimnis?“, fragte Kathy. „Oh, hatte ihre
Mutter auch mit Torchwood zu tun? Oder ist sie aus
dem Rift gefallen, wie die Weevil?“
Ianto holte die warme Milch aus der Mikrowelle und
rührte Kakaopulver hinein. „Nein, Rhearn ist nicht
aus dem Rift gefallen.“ Er stellte beide Tassen auf ein Tablett und holte eine
mit Blumen bedruckte Plastikdose aus dem Kühlschrank. „Es ist eine längere
Geschichte wie Jack und ich zu einer Tochter gekommen sind.“ Er nahm das
Tablett hoch. „Ich bringe ihr das rasch, sie ist immer hungrig wenn sie nach
ihrem Mittagsschlaf aufwacht.“
Kathy sah ihm nach. Okay, das war eine ausweichende Antwort gewesen, wenn sie
je eine gehört hatte. Vielleicht hatte sie mehr Glück bei einem der anderen
Teammitglieder. Sie sah sich unbehaglich um. Wo war der Rest des Teams? Cooper
befand sich vermutlich in einer Art Mutterschutz – angesichts der Tatsache,
dass er selbst ein Kind hatte, musste Harkness Regelungen dafür haben – aber
sie konnte sonst niemand sehen. Die Arbeitsstationen unterhalb der Kaffeenische
waren unbesetzt.
Sie wandte sich um und zuckte zusammen, als sie sich unvermittelt Ianto gegenüber fand. „Ianto! Ich
habe dich nicht zurückkommen hören.“
„Entschuldigung. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Ianto
hielt das leere Tablett hoch. „Jack redet auch immer davon, mir eine Glocke
umzuhängen, aber ich denke es ist eher die Idee mir ein Halsband anzulegen, die
ihm gefällt.“
Ein wenig verlegen nippte Kathy an ihrem Kaffee. „Wow. Das ist wirklich,
wirklich guter Kaffee. Wenn du den im Hauptquartier anbieten würdest, könntest
du dich vor Heiratsanträgen nicht retten.“
„Danke.“ Ianto schnitt eine Grimasse und trocknete
sich die Hände ab. „Davon habe ich bereits alle, die ich brauche.“ Er hängte
das Handtuch an seinen Haken. „Gehen wir an meinem Schreibtisch und erledigen
die Formalitäten?“
Kathy folgte ihm. „Tut mir leid, aber Harkness ist der letzte, bei dem ich mir
vorstellen kann, dass er einen Heiratsantrag macht. So wie er mit allem
flirtet, das atmet.“
„Aber genau das ist der Punkt: er flirtet nur.“ Ianto
zog die Tastatur zu sich herüber. „Okay, du wirst sehen, in Sachen Papierkram
unterscheiden wir uns nicht so sehr. Fangen wir mit deinem vollen Namen an…“
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Der Papierkram war erledigt und Ianto gab Kathy einen
Überblick über die im Hub verwendeten Systeme – die genaue Einweisung würde sie
von Tosh erhalten, schließlich kannte sie niemand
besser als die Computerexpertin.
Im Anschluss zeigte er ihr die Archive und beendete dann ihren Rundgang in der
Waffenkammer.
Kathy musterte gerade neugierig ein Schwert, das aussah als gehöre es in ein
Museum, eine Mittelalter-Ausstellung oder aber in eine Folge von „Merlin“, als
Jack im Türrahmen auftauchte.
Offenbar war Rhearns Mittagsschlaf vorbei, denn statt
des Schlafanzuges trug sie jetzt Minijeans, ein warmes rotes Sweatshirt gegen
die Kühle im Hub und ihre pinkfarbenen Turnschuhe mit den blinkenden Absätzen.
„Nun?“, fragte er. „Haben Sie schon etwas gefunden, dass Ihnen zusagt, Detective Swanson? Wenn nicht, zeige ich Ihnen gerne ein
paar Stücke näher und wir...“
Ianto rollte mit den Augen und trat zu Jack, um Rhearn entgegen zu nehmen, die sich zufrieden an ihn kuschelte
und neugierig Kathy musterte. „Ignorieren wir einfach das Gegockel
deines Vaters, cariad“, flüsterte er ihr auf
walisisch zu. Umso besser, dass sie ihn nicht verstand. „Wir haben uns gerade
über die Verwendung von Hartgummi-Geschosse unterhalten, Jack.“
„Wozu? Weevils stoppen wir damit nicht.“ Jack
befingerte eine der Laserwaffen, die martialisch aussahen, aber nur harmlose
Lichtblitze abfeuerten. Der Sauerstoff in ihrer Atmosphäre machte sie praktisch
nutzlos.
Sie hatten sie verwendet um Laser Tag zu spielen und dafür ein paar von
Owens medizinischen Sensoren mit Hilfe von Jacks Wriststrap
umprogrammiert, damit sie die Treffer registrierten. Der Arzt war überzeugt
gewesen, seine Erfahrung mit Computerspielen garantiere ihm den Sieg und hatte
mit Jack darauf gewettet. Gwen hatte sich ihnen angeschlossen und –
Überraschung! – darauf gewettet, dass Jack gewann. Andy, damals noch ganz neu
im Team, schloss sich unter Owens Schmähreden Gwens Meinung an. Ianto ließ sich trotz der Frotzeleien
der anderen nicht zum Wetten überreden und niemand fragte Tosh,
weil alle annahmen, sie würde wieder nur den Schiedsrichter spielen. Das tat
sie aber nicht. Sie mischte mit und gewann haushoch. Es war ein ziemlicher
Schock für alle außer Ianto, der sich mit ihr
regelmäßig auf dem Schießstand maß und wusste, wie präzise sie selbst im
Dunkeln schoss. (Und dass sie zu den Menschen mit ausgeprägter Nachtsichtigkeit
gehörte.) Owen musste eine bittere Niederlage einstecken und feststellen, dass
es nicht ausreichte, mit dem Joystick der Spielkonsole herum zu ballern. Gwen
war schockiert, dass sie schlechter als Andy abschnitt, der als
Streifenpolizist ebenfalls keine Waffenausbildung hatte und erst bei Torchwood unter Iantos Aufsicht
(Jack machte ihn nervös) sein Waffentraining absolvierte. Ianto
war mit seinem dritten Rang zufrieden – hinter Jack, der nur deshalb auf dem
zweiten Rang landete weil er sich so leicht ablenken ließ. Ianto
hatte tatsächlich in der dunklen Lagerhalle, in der sie spielten, mehr damit zu
tun, Jacks Händen als seinem Lasertag zu entkommen.
(Und musste zum Trost versprechen, dass sie das ganze nackt und in kleinerem
Rahmen wiederholten – immer nur nackt Verstecken-Spielen wurde schließlich auch
irgendwann langweilig…)
„Die Polizei testet sie gerade“, warf Ianto erklärend
ein, der sich denken konnte, woher der abwesende Ausdruck in Jacks Augen kam.
Er lächelte unverbindlich, als Jack zuerst auf die Laserwaffe, dann auf sich
und auf ihn zeigte und ein Fragezeichen in die Luft malte.
Jack legte sie zurück an ihren Platz, als Rhearn
ungeduldig wurde und auch nach dem hübsch glitzernden Ding greifen wollte, dass
ihr Daddy in den Händen hielt. Er trat zu Ianto und
tippte mit der Fingerkuppe Rhearn auf die
Nasenspitze. „Du, mein Schatz, bist definitiv noch zu klein für so was.“
„Das will ich hoffen“, erwiderte Kathy trocken. Sie folgte den beiden nach
draußen und sah zu, wie Jack die Waffenkammer abschloss. Dann räusperte sie
sich. „Ist diese Abneigung gegen die Polizei eigentlich eine Torchwood-Tradition, oder eine persönliche Sache?“
Jack wandte sich ihr zu und Ianto machte
unwillkürlich einen Schritt vorwärts, als er sah, dass Jacks Augen den leeren
Ausdruck angenommen hatten, der das Aufflackern böser Erinnerungen ankündete. „Torchwood und die Polizei haben eine lange, gemeinsame
Tradition“, sagte er, seine Stimme sehr leise, fast untypisch emotionslos. „Es
werden also gerade Hartgummi-Geschosse getestet, ja?
Neunzehnhundertzweiundfünfzig hat die Polizei in London einen neuen
Munitionstyp getestet, es wurde geplant, bewaffnete Polizeistreifen
einzuführen, weil Überfälle überhandnahmen, bei denen die Verbrecher meist mit
alten Waffen aus Kriegszeiten ausgestattet waren. Torchwood
schickte einen Agenten zu den Tests. Nicht als Berater oder Beobachter. Als
Versuchsperson.“
„Jack“, warf Ianto leise ein. Rhearn
begann unruhig zu werden und zerrte an seinem Jackett. „Willst du das wirklich
hier und jetzt besprechen?“ Kathy Swanson wusste nichts von Jacks… Fähigkeit…
und eigentlich hatten sie es ihr langsam beibringen wollen, für den Fall dass
ihre Zusammenarbeit auch über diese Probezeit hinaus stattfinden würde.
Natürlich gab es gewisse höhere Organe der Polizei, die über Torchwood Bescheid wussten und sicherlich gab es auch die
eine oder andere streng vertrauliche Akte, die sich mit Captain Jack Harkness
beschäftigte, aber als Detective würde sie keinen
Zugriff darauf haben.
„Was heißt, als Versuchsperson?“, fragte Kathy scharf. „Und 1952? Was hat das
heute noch mit…“
„Sie haben mich geschickt. Mich“, unterbrach Jack sie wütend. „Und sie haben
ihre Munition an mir getestet, weil sie ein „menschenähnliches Ziel“ haben
wollten. Ich habe noch mehr als genug Beispiele für die wundervolle
Zusammenarbeit von Torchwood mit der Polizei, aber
wenn ich die alle aufzähle, dann müssen Ianto und ich
unseren Urlaub um eine Woche verschieben.“
„Jack!“ Iantos Ton war scharf genug, dass ihn alle
drei überrascht ansahen. Er drückte eine zappelnde Rhearn
in die Arme ihres Vaters. „Ich glaube das ist genug“, setzte er ruhig hinzu.
„Du machst Rhearn noch Angst.“
Jack blinzelte einmal, dann küsste er seine Tochter auf die Stirn, Ianto dabei ansehend. „Entschuldige, baban.“
„Wieso geht ihr beide nicht und schnappt ein wenig frische Luft; ich bin sicher,
Rhearn hat schon lange nicht mehr die Möwen
gefüttert.“ Ianto deutete in Richtung Rolltor. „Kathy
und ich setzen unseren kleinen Rundgang fort, bis Tosh
und Owen kommen.“
„Okay.“ Jack zupfte Rhearns Sweatshirt zurecht. „Möchtest du Möwen füttern gehen, mein Schatz?“
Die Möwen von Mermaid Quay konnten zwar den Enten im
Park nicht den Rang ablaufen, aber Rhearn nickte
trotzdem, verunsichert von ihrem Daddy zu Tad sehend
und dann zurück zu Dada. Er war immer noch laut. Innen drin.
Als Jack mit ihr wegging, wandte sich Kathy an Ianto.
„Ich verstehe nicht“, sagte sie mit spröder Stimme. „Will er mir weismachen,
dass er schon 1952 für Torchwood gearbeitet hat? Wie
alt ist er? Vierzig?“
„Er versucht nicht älter als fünfunddreißig zu sein.“ Ianto
deutete auf seinen Schreibtisch. „Vielleicht setzen wir uns erst einmal und
dann versuche ich das zu erklären?“ Er führte sie an seine Arbeitsstation und
wartete, bis Kathy saß. Dann holte er tief Luft. „Jack arbeitet seit über
einhundert Jahren für Torchwood.“ Er hob die Hand,
als Kathy ihn unterbrechen wollte. „Bitte. Lass mich das zuerst erzählen, und
dann versuche ich deine Fragen zu beantworten. So gut ich es kann. Jack wurde
nicht auf der Erde geboren. Er kommt aus dem 51sten Jahrhundert und ist ein
Zeitreisender, der 1869 hier gestrandet ist…“
###
Ianto blinzelte ein paar Mal bis sich seine Augen an
das helle Sonnenlicht draußen gewöhnt hatten, als er eine gute Stunde später
aus dem Schatten des Tourismusbüros trat. Es war Sonntag und das Pier voll mit
Leuten, die das gute Wetter genossen.
Er hatte Kathy mit mehr Koffein und dem inzwischen eingetroffenen Andy zur
Gesellschaft zurückgelassen. Im Moment schien sie nicht sicher zu sein, was – oder ob überhaupt irgendetwas – sie von dem
glaubte, was er ihr erzählt hatte. Und dabei hatte er Jacks „Unsterblichkeit“
noch ausgeklammert. Nun, so oder so war sie gezwungen alles was sie heute
erfahren hatte, für sich zu behalten.
Obwohl er sich in etwa vorstellen konnte, wohin Jack und Rhearn
gegangen waren, brauchte er fast zehn Minuten, bis er sie fand. Wie es aussah
hatten die Möwen einen guten Tag erwischt. Neben Rhearn
warfen noch drei andere Kinder Brotstückchen in die Luft – einige der
Imbissbuden verkauften sie inzwischen extra an Touristen. Jack unterhielt sich
mit zwei Frauen, entspannt gegen die Brüstung lehnend.
Rhearn sah ihn als Erste, sie ließ die Tüte mit dem
Brot fallen und lief zu ihm hin, um seine Beine zu umarmen. Ianto
ging vor ihr in die Hocke und zog ein Taschentuch aus seinem Jackett, um angetrocknete
Eiscreme von ihrer Wange zu wischen. „Hey, habt ihr Spaß?“, fragte er lächelnd.
„Sind die Möwen sehr hungrig?“
Sie nickte strahlend und zog ungeduldig an seinem Ärmel. Also stand er auf,
nahm ihre kleine, klebrige Hand in seine und ließ sich von ihr zu Jack ziehen,
der gerade seine Worte mit weitausschweifenden Gesten untermalte. Offenbar war
er bei einer Pointe angelangt, sein Publikum lachte. Dann sah er auf und sein
Lächeln wurde wärmer, intimer. „Hey. Darf ich vorstellen, das ist meine bessere
Hälfte, Rhearns Vater.“
Ianto nickte grüßend und stellte sich neben Jack, der
locker einen Arm um seine Taille legte. „Hallo. Tut mir leid zu stören, aber er
wird wieder bei der Arbeit gebraucht. Wir warten auf dich.“
„Ihr müsst beide an einem Sonntag arbeiten?“, fragte die eine der Frauen, sie
trug eine auffallende, rote Sonnenbrille und hatte glatte, kurze schwarze
Haare. Sie zeigte in einem Spaghettitop und Short
sehr viel braune Haut, die genau wie ihr Akzent verriet, dass sie vermutlich
nur zu Besuch in Cardiff war. Oder gerade aus dem Urlaub kam. „Wie schade.“
Die andere Frau trug einen weiten geblümten Rock und ein T-Shirt. Ihre Haut war
so blass wie Iantos, und sie hatte lange, rötliche
Haare, die in einem dicken Zopf auf ihren Rücken fielen. „Vor allem für die
Kleine.“ Sie lachte. „Ich habe noch nie ein Kind gesehen, dass so wild darauf
ist, Möwen zu füttern. Sie ist sogar los und hat aufgelesen, was den anderen
runtergefallen ist.“
„Normalerweise sind es die Enten im Park.“ Ianto hob Rhearn hoch, die an seinem Ärmel zupfte, um seine
Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ja, leider müssen wir gelegentlich auch am Sonntag
arbeiten. Und wir sollten jetzt wirklich zurück.“
Nach ein paar Abschiedsworten riefen die beiden Frauen ihre jeweiligen Kinder
zu sich und gingen weiter.
„Du hättest mich anrufen können, dann wäre ich zurückgekommen“, meinte Jack,
als sie langsam zurück zum Hub schlenderten, mit halbem Ohr auf Rhearns Geplapper über Möwen und Eiscreme lauschend.
„Vielleicht wollte ich auch ein wenig frische Luft schnappen?“ Ianto rieb über die Wange seiner Tochter. „Wir hätten dich
besser eincremen müssen, cariad“, murmelte er.
„Nicht, dass du noch einen Sonnenbrand bekommst.“
„Alles okay mit Detective Swanson?“, fragte Jack, als
sie die silberne Skulptur erreichten.
„Ich denke sie wird es überstehen“, meinte Ianto
trocken. „Obwohl ich denke, dass du ihr immer noch nicht sehr viel
sympathischer bist.“ Er lächelte, als er sich Jack zuwandte. „Irgendwie
funktioniert das mit deinem Charme nicht bei ihr.“
Jack ging jedoch nicht darauf ein. Er nahm seine Sonnenbrille ab und verstaute
sie in der Brusttasche seines Hemdes. Seine Finger spielten mit den Locken in Rhearns Nacken. „Was… genau… hast du ihr erzählt?“
„Das du älter bist als du aussiehst. Dass du nicht hier geboren bist und aus
der Zukunft stammst – und das Torchwood dich in der
Vergangenheit sehr schlecht behandelt hat. Und das du
dir mehr Mühe geben wirst, sie nicht mit allen Polizisten über einen Kamm zu
scheren.“
„Nichts über meine…“ Jack machte eine vage Handgeste.
„Ich dachte das wäre für einen Tag genug.“ Ianto sah
ihn an. Er streckte die Hand aus und zeichnete eine Linie an Jacks Knopfleiste
entlang. „Ich weiß, dass du sie im Grunde magst, sonst hättest du nie
zugelassen, dass sie unsere Liaison mit der Polizei wird. Und deine schlechten
Erfahrungen haben dich nicht davon abgehalten, Gwen oder Andy einzustellen.“
„Dada?“, fragte Rhearn und griff nach Jacks
Hosenträger, also gab Ianto sie zu ihm zurück. Rhearn schlang beide Arme um Jacks Nacken und presste ihr
Gesicht gegen seinen Hals.
„Sssch. Alles okay, Baban.“
Jack küsste sie auf die Schläfe. „Ich werde mich bei ihr entschuldigen.
Später.“ Sie gingen auf das Büro zu. „Du hast recht.
Es ist nicht die Polizei oder Detective Swanson“, meinte
er, als Ianto den Zugangscode eingab und automatisch
das schief hängende „Geschlossen“-Schild gerade rückte.
„Es ist seine Schuld“, entgegnete Ianto spröde und
wischte ein paar Staubflocken von der Schreibtischfläche, nachdem er die Tür
hinter ihnen geschlossen hatte. Gwen hatte Zeitschriften und die leere
Verpackung eines Schokoriegels liegen lassen. „Die Schuld deines Doctors. Er taucht einfach auf, knallt uns die Neuigkeit
vor den Latz dass die Erde knapp an einer kaum vorstellbaren Katastrophe vorbei
geschrammt ist und weckt alle diese schlimmen Erinnerungen bei dir, nur um dann
wieder zu verschwinden. Er war noch nicht wieder hier, oder?“
„Vielleicht ist ihm etwas dazwischen gekommen“, meinte Jack und setzte Rhearn in ihrer Spielecke ab. Sie öffnete den Deckel der
Spielzeugkiste und begann darin nach etwas zu suchen. „Das passiert oft. Es
gibt so viele, die seine Hilfe brauchen.“
Ianto zog einen Staubwedel aus der untersten
Schublade und machte erst einmal den Staubflocken auf der Schreibfläche den
Garaus. Das Saubermachen verfehlte seine übliche beruhigende Wirkung.
„Hey.“ Jack trat zu ihm und legte die Arme von hinten um ihn, zog Ianto an sich zurück. „Er ist nur der Bote. Der Doctor ist hier nicht der Feind.“ Er küsste die Seite von Iantos Hals und stützte das Kinn auf seine Schulter.
Ianto ließ den Staubwedel fallen, drehte sich um und
legte eine Hand an die Seite von Jacks Gesicht, seine Stirn gegen die des
älteren Mannes pressend. „Ich hasse das. Ich sehe, dass du immer wieder daran
denkst – und du leidest darunter und ich kann nichts dagegen tun.“
„Du musst nichts tun.“ Jack küsste ihn. „Du musst einfach nur weiter bei mir
bleiben. Du und Rhearn. Solange ich euch beide bei
mir habe, kann ich alles ertragen, okay?“ Er wartete, bis Ianto
nickte, nahm die Hand des Jüngeren in seine, spielte mit seinen Fingern. „Und
es sind nur Erinnerungen. Sie können mir nicht wirklich schaden.“ Er küsste Iantos Handfläche, lächelte. „Aber ich habe auch nichts
dagegen, wenn du mir hilfst, neue und bessere Erinnerungen zu machen.“ Dieses
Mal küsste er Ianto auf den Mund – doch der Kuss
wurde abrupt unterbrochen, als Rhearn versuchte, sich
zwischen sie zu drängeln.
Lachend nahm Jack sie auf den Arm, so dass sie zwischen ihnen war und Rhearn hielt ihm so schwungvoll ein Kuscheltier hin, dass
es ihm praktisch ins Auge schlug. Er nahm es und betrachtete den Pinguin. „Für
mich?“, fragte er und Rhearn nickte eifrig. „Danke, Baban.“
„Ich denke sie will dich trösten“, meinte Ianto
erstaunt.
Jack küsste sie auf die Stirn und sah seinen Partner an. „Manchmal ist sie mir
fast unheimlich. Sie ist sicher erst zwei Jahre alt?“
„Frühreif. Warum bin ich nicht überrascht“, murmelte Ianto
und drückte auf den Knopf, der die Verkleidung zum Lift zurückgleiten ließ.
Kathy kam auf sie zu, als sie kurz darauf aus dem Lift stiegen. Sie räusperte
sich und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Das wird ja auch langsam
Zeit, Harkness“, sagte sie trocken. „Ich hatte eben einen Anruf von einem
Kollegen, die Spielzeit ist vorbei. Offenbar sind Meldungen über die Sichtung
eines…“ Sie holte tief Luft. „…eines Dinosauriers… eingegangen.“
„Sagten sie, ob es sich um einen kleinen oder großen Dinosaurier handelt?“,
fragte Ianto sachlich, bereits halb auf dem Weg zu
Jacks Büro. „Im SUV sind nur die mittleren und kleinen Dinosauriernetze.“
„Bitte?“ Kathy sah ihm fassungslos nach.
Ianto war keine Minute später mit Jacks Mantel, der Webley und zwei Bluethooth-Ohrhörern
zurück. Er tauschte Rhearn gegen den Mantel und die Webley ein.
„Hey, vielleicht ist es ein Freund für Myfanwy“,
meinte Jack, während er das Holster umschnallte, bereits zurück in der Rolle
des Captains.
„Ein Dinosaurier“, wiederholte Kathy. „Das ist doch wohl ein Scherz.“
„Oh nein! Nein, Jack. Auf keinen Fall, wir behalten ihn nicht!“ Ianto nahm sein Earpiece aus der
Tasche und befestigte es in seinem Ohr. „Egal wie niedlich er aussieht, wir
haben keinen Platz, verstanden?“
„Spielverderber“, erwiderte Jack grinsend, und küsste Rhearn
auf die Wange.
„Hast du nicht was vergessen?“, kam es trocken von Ianto.
Kathy schüttelte den Kopf, nahm jedoch den zweiten Ohrhörer, den Ianto ihr reichte. „Ein Dinosaurier, wirklich. Ist euch
nichts eingefallen, das noch lächerlicher ist, um die Neue zu veralbern?“
Jack kam zurück und küsste Ianto – der mit
unschuldiger Miene den Pinguin in Jacks Manteltasche schob.
„Ianto, ruf Owen und Tosh
an, ob sie schon unterwegs sind. Und sag ihnen dass sie nicht erst hierher
kommen sollen, sondern mich gleich dort treffen. Die Koordinaten…“
„Schicke ich dir aufs SatNav“, beendete der Waliser
ruhig den Satz.
Kathy schien es aufgegeben zu haben, weiter zu protestieren. Sie folgte Jack
einfach.
Der Captain stoppte vor dem Durchgang zur Garage. „Und Ianto
- wenn wir zurück sind, zeig ihr unbedingt das Torchwood-Handbuch.“
Er wandte sich um. „Nach Ihnen, Detective Swanson.“
Jack deutete eine Verbeugung an.
Ianto sah Rhearn an, als
die beiden im angrenzenden Korridor verschwanden. „Es war zu viel gewesen zu
erwarten, dass wir einen ruhigen Nachmittag verbringen, nicht wahr?“ Er nahm
sie mit an seine Arbeitsstation und setzte sie auf einen Stuhl. „Tad muss einen Moment arbeiten, mein Schatz“, sagte er zu
ihr, während er die Polizeimeldungen aufrief und die Koordinaten an den Wagen
schickte, damit Jack wusste, wo er hin musste. Dann zog er sein Handy aus der
Tasche, um Tosh und Owen die frohe Kunde mitzuteilen.
Was gab es schon besseres, als an einem sonnigen Sonntagnachmittag Dinosaurier
in Cardiff zu jagen…
Ende