Titel: Between the Sheets – Eine
Liebesgeschichte
Autor: Lady Charena (Mai 2012 bis November 2013)
Fandom: Torchwood
Episode: alle (unspezifisch)
Wörter: 66.000
Charaktere: Jack Harkness, Ianto Jones, Lisa Hallett, weitere
Charaktere aus Torchwood (Tosh, Owen, Gwen, Rhiannon, etc.) möglicherweise der
eine oder andere Originalcharakter in Hintergrund
Pairing: Jack/Ianto,
Lisa & Ianto-Freundschaft, Lisa/OMC,
canon-Pairings
Rating: AU, slash, ab16
Summe: Ianto Jones ist jung - ohne Wurzeln, ohne Beruf, ohne
Erwartungen. Er driftet haltlos durch den Alltag, hangelt sich von Job zu Job
und von Beziehung zu Beziehung. Bis ein verboten attraktiver Mann mit
unmöglichen Manieren und der scheinbaren Unfähigkeit, das Wort „Nein“ zu
verstehen, in sein Leben tritt.
Captain Jack Harkness, Leiter der Torchwood-Niederlassung in
Cardiff, ist auf der Suche. Er weiß nicht ganz genau, nach was er sucht - doch
der junge Mann, der sich nicht kaufen lassen will, ist wie ein erfrischender
Luftzug an einem langen, heißen Sommertag.
Ianto wird Jacks Vertrauter, sein „sicherer Hafen“, ein Geheimnis,
das er zunächst vor seinen Kollegen hütet. Und Ianto hat an Jacks Seite seit
langer Zeit wieder einen Ort gefunden, an den er gehören will.
Anmerkung 1: Alternatives Universum, in dem Ianto nicht für
Torchwood arbeitet und die Riftaktivität besser
vorhersagbar ist, weil sie durch den Riftmonitor
kontrolliert in festen Zyklen auftritt. Daher arbeiten Jack und das Team in
Schichten.
Anmerkung 2: Dies ist ein schreibtechnisches Experiment, denn es
werden zwei Storystränge – einer gegenwärtig, einer vergangen – gleichzeitig
erzählt.
Kursiv
markierte Absätze erzählen Jacks und Iantos Kennenlernen und die Entwicklung
ihrer Beziehung in der Vergangenheit.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten
geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine
Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder
diese Inhaberrechte zu verletzen.
Kapitel 1: Mad About The
Boy
„Endlich!“ Lisa schnappte sich gierig einen der beiden Kaffeebecher von Iantos Tablett, und nötigte ihn damit fast alles fallen zu
lassen.
„Whoa“, machte der junge Mann überrascht
und wich geschickt einem in seinen Weg stehenden Stuhl aus. „Ist hier in den
letzten fünf Minuten der Notstand ausgebrochen? Haben sie in den Nachrichten
gesagt, dass das Trinken von Kaffee ab heute Nachmittag verboten wird?“
„Du warst eine Ewigkeit weg“, beschwerte sich Lisa, mit ihrer
Beute bereits wieder an ihrem Schreibtisch, wo sie durch Handwedeln versuchte,
den heißen Kaffee zum schnelleren Abkühlen zu zwingen. Mit der anderen Hand
kramte sie ohne hinzusehen in einer Schreibtischschublade.
„Es waren nur fünfzehn Minuten“, korrigierte Ianto sie trocken und
nahm an seinem eigenen Schreibtisch Platz, den Kaffeebecher ordentlich auf
einen Untersetzer stellend. „Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass ich erst
einen enormen Berg an Bechern, Tassen und Tellern beseitigen musste, jemand hat das heute Morgen nämlich versäumt.“
„Schuldig“, murmelte Lisa über den Rand ihres Bechers hinweg – es
war ihre Woche, sich um das verhasste Spülen zu kümmern (wobei das zum größten
Teil aus dem Ein- und Ausräumen der Spülmaschine bestand) und natürlich vor
allem dafür zu sorgen, dass immer genug saubere Kaffeebecher für sie beide da
waren. (Tassen waren gut genug für die Anwälte und die Klienten – sie selbst
bevorzugten die Becher, die die doppelte Menge fassten.)
Wenn Ianto an der Reihe war, bestand er darauf von Hand zu spülen
- er vertrat beharrlich die Meinung, dass die Reinigungstabs und das nach Plastikzitronen
riechende Spülmaschinendeo einen unangenehmen Nachgeschmack hinterließen, der
das Kaffeearoma verfälschte. Um ehrlich zu sein, konnte Lisa zwar keinen
Unterschied feststellen, doch das überließ sie dem Spezialisten – so lange er
nur immer genug davon mit ihr teilte.
„Ich war heute Morgen ein bisschen spät dran.“ Sie gab die Suche
nach der Keksschachtel einen Moment auf und sah zu ihm hoch, ein nicht sehr ladylikes – dafür umso aussagekräftigeres – Grinsen auf dem
Gesicht. „Mark muss erst mittags ins Krankenhaus und wir hatten noch einiges
nachzuholen – zuerst in der Dusche…“
Ianto schnitt eine übertrieben entsetzte Miene, presste sich die
Handflächen auf die Ohren und summte laut vor sich hin.
„…dann in der Küche, als ich versuchte, Frühstück zu machen und
schließlich musste ich natürlich noch einmal duschen“, sagte sie, die Stimme
erhoben.
Ianto nahm die Händen von den Ohren. „Bist du fertig mit der
Schilderung deiner morgendlichen perversen Ausschweifungen?“, fragte er, seine
Stimme die perfekte Imitation einer entrüsteten, alten Jungfer.
Lisa lachte. „Warum noch einmal hatten wir eigentlich noch nie
perverse, morgendliche Ausschweifungen?“, entgegnete sie. „Oh, natürlich. Ich
hatte es fast vergessen. Du bist ein unverbesserlicher Morgenmuffel. Bevor du
nicht mindestens einen halben Liter Kaffee intus hast, bist du zu nichts zu
gebrauchen. Ich kenne niemand, der so viel davon trinkt wie du.“
In der Tasche seines Jacketts verborgen tickte die antike,
silberne, ein wenig schäbig und verbeult aussehende
Taschenuhr die Stunden bis zu ihrem nächsten Treffen herunter. Sie mit den
Fingerspitzen wie einen Talisman reibend, griff Ianto mit der anderen Hand nach
seinem Kaffee und nahm den ersten Schluck. Er lächelte versonnen. Oh, er kannte jemand, der noch mehr Kaffee
trank.
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Um
genau zu sein, sie hatten sich auf diese Weise kennen gelernt. In einem Coffee-Shop,
in dem Ianto sich gerade seine tägliche Dosis gönnte. Er hatte zu dieser Zeit
mal wieder keinen Job und daher kaum Geld und das bedeutete, er trank billigen (stets
ein wenig verbrannt schmeckenden) Kaffee aus dem Supermarkt, den er in einer
uralten Cafetiere auf einer Herdplatte braute, während er von einer dieser
chromglänzenden Kaffeemaschinen mit allen möglichen Schikanen träumte. Wenn es
ganz besonders schlimm kam, mussten auch schon mal Teebeutel herhalten. Wenn
sie gut genug für Prinz Charles waren… Aber einmal am Tag erlaubte er sich einen
großen Becher schwarzen Kaffees aus einem der zahllosen Coffeeshops,
und wenn das Geld reichte, einen Donut oder Muffin, oder was immer gerade günstig
angeboten wurde, dazu. Heute war es aber nur ein Becher Kaffee und Ianto
hoffte, dass er mit genug Zucker darin das Magenknurren für eine Weile
besänftigen konnte. Bis zum Abendessen – was immer das auch sein mochte - dauerte
es noch lange. Und in dem altersschwachen Kühlschrank in seinem kleinen Zimmer
gab es nicht mehr zu finden als ein paar Scheiben altbackenen Toasts, einen
halben Karton Milch (die bereits auszuflocken begann) und ein fast leeres Glas Marmite.
In
diese wenig erfreulichen Gedanken versunken, bezahlte Ianto mit seinem letzten
Kleingeld und wandte sich von der Theke ab, den deckellosen Kaffeebecher wegen
der Hitze nur am oberen Rand nehmend – und wurde angerempelt. Heißer Kaffee
ergoss sich über ihn und sein letztes sauberes Hemd.
Hierzu
musste man erklären, dass Ianto gerade von einem Vorstellungsgespräch kam, welches
vermutlich so ergebnislos wie alle anderen zuvor bleiben würde…
„Siebenundzwanzig
Anstellungen im letzten Jahr? Und bereits zwölf in diesem?“, hatte die
Personalchefin ungläubig gefragt und ihn über den Rand seines Lebenslaufs
hinweg skeptisch gemustert. Sie musste nicht extra hinzusetzen, was sie davon
hielt, dass er keine Ausbildung oder gar einen Universitätsabschluss hatte, den
man offenbar heutzutage für alles brauchte.
Aber
auch der dunkelhaarige Mann, der ihn angerempelt hatte, blieb nicht völlig verschont.
Wo jedoch Iantos Hemd und T-Shirt darunter sofort durchtränkt wurden und der heiße
Kaffee auf seiner Haut brannte, schützte eine affektierte Safariweste den
Brustkorb des anderen Mannes weitestgehend vor Verbrühungen.
Als der
nunmehr beinahe halb leere Becher vor seinen abgetragenen Sneakers aufschlug,
sprang Ianto fluchend zurück und stolperte fast über einen – glücklicherweise
gerade unbenutzten – Kinderwagen. Kräftige Finger schlossen sich um sein
Handgelenk und bewahrten ihn gerade noch eben so vor einem Sturz.
Ianto
sah auf und direkt in ein Paar der blauesten Augen, denen er jemals begegnet
war. Es war der Mann, der ihn angerempelt hatte – und er schien nicht im
Geringsten betrübt darüber, dass er Ianto seine tägliche Koffeindosis gekostet
hatte. Ganz zu schweigen von dem Zustand, in dem sich seine Klamotten jetzt
befanden. Über die Welle der Wut, die in ihm aufbrandete, spürte er kaum noch das
Brennen des Kaffees auf der Haut.
Es
würde ihm nichts anderes übrig bleiben als seine Wäsche zu packen und den Bus (zum
Glück hatte er noch seine Monatskarte) nach Newport zu nehmen, um seine
Schwester darum zu bitten, dass er bei ihr seine Sachen waschen durfte. Sie
würde ihn füttern und vielleicht sogar ein paar Scheine von ihrem Haushaltsgeld
abzwacken, um sie ihm in den Rucksack zu stecken, wenn sie dachte, er würde es
nicht bemerken. Manchmal benahm sie sich wirklich, als wäre sie seine Mutter.
Vielleicht ließ er sich deshalb so selten dort blicken.
Der
Besitzer der blauen Augen lächelte, als er ihn zurück in die Aufrechte zog –
und dann näher zu sich. „Kommst du öfters hierher?“, sagte er und ließ unnatürlich
weiße Zähne blitzen.
Ianto
registrierte nebenbei das sein Akzent nicht britisch klang… na wunderbar, auch
noch ein Tourist, dachte er säuerlich. Vermutlich Amerikaner. „Was?“, fragte er
ärgerlich – nun, er hatte nicht gerade eine überschwängliche Entschuldigung
erwartet, aber der andere tat so, als wäre überhaupt nichts passiert.
„Wie
ist der Kaffee so? Ich bin nämlich auf der Suche nach einer neuen Quelle und mir
gefällt wirklich, was ich hier sehe.“ Er zwinkerte Ianto zu und musterte ihn
dann eingehend von Kopf bis Fuß.
Flirtete
der etwa mit ihm? Ianto spürte eine wütende Hitze, die nichts mehr mit dem
heißen Kaffee zu tun hatte, mit dem sich inzwischen auch der obere Teil seiner
Jeans voll sog. Bevor er Worte für diese Unverschämtheit fand, klingelte das
Handy des anderen Mannes.
Das
Lächeln verschwand von seinem Gesicht, als er das Mobiltelefon aus einer der
zahlreichen Taschen seiner Weste zog und einen Blick aufs Display warf. Alles Spielerische,
alles Flirtende verschwand und seine Augenbrauen zogen sich kurz grimmig zusammen.
„Das hat Spaß gemacht“, sagte er, als hätten sie sich ausgezeichnet unterhalten
und steckte das Handy zurück. „Aber ich muss leider schon wieder weg.“
Ianto
wurde endlich bewusst, dass sie mitten im Coffee-Shop standen, der andere Mann
noch immer seinen Arm festhielt und er abkühlenden Kaffee auf den Boden
tropfte. Eine ganze Reihe von anderen Gästen vertrieb sich die Wartezeit auf
ihre Bestellung damit, sie zu beobachten und miteinander zu tuscheln. Er riss
seine Hand weg und ärgerte sich, dass er wie ein Idiot dastand und glotzte, nur
weil ihn dieser… dieser… Angeber überrascht hatte.
Der
Amerikaner lächelte schwach. Er griff mit zwei Fingern in die rechte Brusttasche
der Weste und zog einen Geldschein und eine Visitenkarte hervor. „Für die
Reinigung des Hemdes“, meinte er. „Und einen neuen Kaffee.“ Als Ianto keine
Anstalten machte, danach zu greifen, legte er beides auf das kleine, runde
Tischchen, neben dem Ianto nach wie vor wie ein begossener Pudel stand. „Vielen
Dank für das Gespräch, Mister…?“ Er streckte ihm die Hand entgegen.
„Jones“,
entgegnete Ianto automatisch. Immerhin blamierte er sich nicht noch mehr, indem
er ihm tatsächlich die Hand schüttelte. „Ianto Jones.“
„Jones,
Ianto Jones“, wiederholte der Amerikaner, als wolle er sich seinen Namen genau
einprägen. „Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“ Er drehte sich um und
verschwand mit seiner albernen Safariweste – hielt er sich etwa für einen Großwildjäger,
oder so was? – in Richtung Ausgang.
Ianto
starrte ihm noch immer fassungslos nach und sah, wie draußen vor dem Gebäude
einer dieser riesigen, schwarzen Range Rover – aufgemotzt wie ein amerikanischer
(hah, er hatte es doch gewusst) SUV – hielt und der
Amerikaner die Tür öffnete. Bevor er einstieg, konnte Ianto für einen Moment
eine Frau mit langen, dunklen Haaren am Steuer sehen. Der Wagen fuhr mit
quietschenden Reifen los und war gleich darauf verschwunden wie ein Trugbild an
einem glühendheißen Tag in der Wüste.
Ianto
zupfte mit spitzen Fingern an seinem abkühlenden Hemd, das unangenehm an der
Haut klebte. Ein Angestellter des Shops eilte mit säuerlicher Miene („Wieder so
ein dämlicher Kunde, der ihnen zusätzliche Arbeit aufhalste, weil er zu blöd
war, seinen Becher richtig fest zu halten.“) und einem Wischmopp auf ihn zu, um
die Kaffeepfütze zu seinen Füßen aufzuwischen.
Es war
höchste Zeit, von dort zu verschwinden. Ianto nahm das Geld und - ohne über den
Grund dafür nachzudenken - die Visitenkarte, um beides in die hintere, noch trockene
Hosentasche seiner Jeans zu stopfen. Mit einer gemurmelten Entschuldigung in
Richtung des wütend moppenden Angestellten machte er sich auf den Weg nach
Hause.
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„Apropos perverse Ausschweifungen.“ Lisa beugte sich vor und schob
ihm ein Friedensangebot in Form einer Packung mit Schokoladenkeksen zu, die sie
endlich aus der Schublade gefischt hatte. „Was ist mit Jack? Ist er nicht
wieder einmal an der Reihe, frei zu haben? Hat er dich wenigstens zwischendurch
mal zum Essen ausgeführt?“ Ihr Mund formte ein perfektes ‚O‘ als ihr ein neuer
Gedanke kam. „Oder hat ihr etwa gestritten? Hast du deshalb so schlechte Laune?
Ihr habt euch doch nicht etwa getrennt, oder? Das ist eine furchtbare
Vorstellung, obwohl es die Chancen für den Rest von uns beträchtlich erhöht,
sich ihn zu schnappen.“
Ianto ließ die Taschenuhr los. „Ich bin niemals schlecht gelaunt“,
entgegnete er indigniert. „Ich bin professionell während der Arbeitszeit.“ Er
wischte sich die Hände mit einem Papiertuch ab - davon hatte er immer einen
Stapel griffbereit in der Schublade - und griff über den Tisch, um sich einen
der Kekse zu nehmen. Nach dem er ihn kritisch gemustert hatte, biss er ein
Stück davon ab. „Wir haben nicht gestritten. Tut mir leid, dich und den Rest
der Welt enttäuschen zu müssen. Jack hat nur gerade viel zu tun. Er hat… also das
Team, mit dem er arbeitet... soll offenbar ein neues Mitgliede bekommen. Und
Jack ist der Boss, er muss sie ausbilden und ihr alles zeigen und feststellen,
ob sie für den Job überhaupt taugt – das kann er aber nur tun, wenn nichts
anderes anliegt. Da bleibt ihm nicht so viel Freizeit übrig.“
„Du weißt, dass das nicht richtig ist, dass ihm seine Arbeit
wichtiger ist, als Zeit mit dir zu verbringen?“ Lisa drehte einen Keks zwischen
langen, modisch silbern lackierten Fingernägeln als wäre er ein Schmuckstück,
dass sie vielleicht zu kaufen beabsichtigte. „Wirklich, Ianto, du hast etwas
besseres als einen Polizisten verdient.“
„Jack ist kein Polizist, er…“
„…er arbeitet für eine strenggeheime Regierungs-Sondereinheit und
beschützt uns vor illegalen Einwanderern und Drogenschmugglern und
möglicherweise sogar vor Terroristen“, beendete Lisa den Satz. „Weißt du, dass
das nach einer amerikanischen Fernsehserie klingt? Hier in Wales kann doch
nicht so viel in der Hinsicht los sein.“ Sie lachte. „Aber Jack sich ja auch
aus, als stamme er direkt aus einer amerikanischen Serie. Ich würde ihn auch
nicht von der Bettkante schubsen.“
Ianto rollte mit den Augen und wischte ein paar Krümel von seiner
Weste. „Ich frage mich, was Mark dazu
sagen würde, wenn er das eben gehört hätte. Du weißt schon, der Mann mit dem du
zufällig gerade zusammenlebst.“
Sie winkte ab. „Mark weiß, wie ich das meine.“ Lisa sah ihn an.
„Und Jack hat ohnehin nur Augen für dich. Er hat zwar neulich mit mir und Mark und mit dem Kellner geflirtet, aber ich glaube, das ist einfach
sein Ding. Und wow, wie er dir nachgesehen hat, als du auf die Toilette bist.
Als hätte er Sorge, du würdest nicht zurückkommen. Dachte er, du hast vor, dich
aus dem Klofenster abzuseilen?“
Um eine Antwort verlegen, griff Ianto nach einem weiteren Keks. Jack
hatte sicherlich… so seine ungewöhnlichen Methoden… sein Interesse zu zeigen.
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„Kein
Anruf, nicht einmal eine Textnachricht, um einfach nur Hallo zu sagen. Ich muss
zugeben, ich bin schwer von dir enttäuscht. Du hast doch nicht etwa meine Karte
verloren?“
Was zum
Teufel? Ianto sah auf, als plötzlich eine vage bekannte Stimme in sein
Bewusstsein drang. Wer…?
Der Amerikaner
aus dem Coffee-Shop stand vor ihm, die Hände in den Hosentaschen und einen… war
das etwa ein Militärmantel aus dem letzten Jahrtausend um seine Schultern? Befand
sich der Typ vielleicht auf dem Weg zu einem Kostümball oder zu einem Treffen
der Militär-Enthusiasten?
Unaufgefordert
setzte sich der Mann neben ihn auf die Bank. Es war nicht besonders viel Platz und
ihre Schultern streiften aneinander, als der Amerikaner sich vorbeugte, um
einen Blick auf die Zeitung zu werfen, die aufgeschlagen in Iantos Schoß lag.
„Auf
der Suche nach einem Job?“
„Verfolgen
Sie mich etwa?“, fragte Ianto.
Der
Amerikaner grinste. „Hey, er kann also doch sprechen. Ich habe mir schon Sorgen
gemacht, dass dich meine Anwesenheit sprachlos werden lassen hat. Mmmh, und dieser sexy walisische Akzent. Die reinste Musik
in meinen Ohren…“
In
seinen Augen funkelte es schelmisch und Ianto fand, dass er ihm nicht so böse
sein konnte, wie er es vermutlich sein sollte. Er spürte, wie sein Herz
schneller zu schlagen begann. Es war schon wieder eine ganze Weile her, dass
ihm ein Mann so nahe gekommen war. Zumal ein Mann, der auch noch derart
attraktiv war. Ianto lehnte sich ein wenig zurück und holte unauffällig tief
Luft. Gott, was für ein Aftershave benutzte der Typ? Er hatte noch nie etwas so
Gutes gerochen. Ein warmer, exotischer Geruch, der ein Kribbeln in seiner
Magengegend auslöste, als wäre er ein hormongeplagter Teenager.
„Ja,
ich kann sprechen“, entgegnete er trocken, seine Reaktion überspielend. „Ich
bin nur wählerisch darin, mit wem mein großes Geheimnis teile. Also, pssscht, nicht weitersagen.“
Der
Amerikaner streckte die langen Beine vor sich aus und verschränkte locker die
Arme über der Brust. „So... Gibt es hier in der Nähe auch einen guten Coffee-Shop?“,
fragte er, auf den Becher deutend, der neben Ianto stand.
„Wieso?“,
erwiderte Ianto, vorgebend in die Stellenanzeigen vertieft zu sein. „Haben Sie
heute noch niemand mit Kaffee überschüttet?“
„Wenn
ich so gefragt werde… Ich war immer schon ein großer Fan von Déjà Vus.“ Jack beugte sich
blitzschnell vor und griff um Ianto herum, um sich den Becher zu schnappen. Er
nahm einen Schluck. „Nicht schlecht“, meinte er. „Aber leider schon ganz kalt.“
„Ja?“,
murmelte Ianto, mit einem Kugelschreiber eine Notiz an den Zeitungsrand
kritzelnd. „Zu schade. Sicher finden Sie irgendwo anders etwas das mehr nach
Ihrem Geschmack ist.“
„Oh,
das habe ich schon gefunden.“
Ein
leises Klacken, mit dem sich der Deckel – man macht das Scheunentor immer zu,
wenn das Pferd erst mal weg ist – vom Becher löste, war die einzige Warnung,
die Ianto erhielt. Dann kippte der Amerikaner ihm den Rest des kalten Kaffees
über den Kopf.
Der
junge Waliser schnappte überrascht nach Luft. „Das… das… Was?“, stotterte er
und hob ungläubig eine Hand um seine tropfenden Haare zu berühren. „Was zum
Teufel soll das denn?“
„Ups. Wie konnte mir das jetzt nur passieren?“ Das Gesicht
des Amerikaners zeigte einen übertriebenen Ausdruck von Bestürzung. „Es tut mir
ja soooo leid.“ Seine Stimme troff vor falscher Betroffenheit.
Im
Gegensatz dazu sah Ianto aus, als erinnere er sich gerade an die alte Regel
dass man Geisteskranke nicht reizen sollte. „Da ist Kaffee“, sagte er so
langsam als habe er es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. „In meinen
Haaren.“
Der Amerikaner
musterte ihn – und beugte sich dann vor, um ein paar Kaffeetropfen von seiner
Wange zu lecken. Ianto fuhr zurück als hätte ihn ein Blitz gestreift, doch der
andere Mann lehnte sich mit zufriedener Miene gegen die Bank und schnalzte mit
den Lippen wie ein Fisch auf dem Trockenen. „Sehr gut.“ Er drehte den leeren Becher
in den Händen und warf ihn dann in den nächsten Mülleimer, der ein Stück
entfernt an einem Laternenpfahl befestigt war.
Ianto
sah ihn an und schüttelte Kaffee aus den Haaren. Unangenehm kalt lief ihm etwas
davon in den Nacken. „Sind Sie möglicherweise verrückt?“, fragte er bemüht ruhig
und griff in seine Jeanstasche, um eine zerknüllte Papierserviette hervor zu
ziehen und sich damit das Gesicht notdürftig abzutrocknen. Geisteskranke sollte
man nicht unnötig reizen, wiederholte er wie ein Mantra in seinen Gedanken.
Der
Amerikaner zuckte mit den Schultern. „Manche sagen das.“ Er wandte sich Ianto
zu und lächelte, zeigte wieder diese strahlend weißen Zähne. „Ich persönlich bevorzuge
die Begriffe kreativ und unwiderstehlich, um mich zu beschreiben. Mein Name ist
übrigens Jack. Captain Jack Harkness. Nur für den Fall, dass du meine
Visitenkarte vielleicht doch verloren hast.“
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Lisas Telefon klingelte und sie stellte hastig ihren Kaffeebecher
ab, um nach dem Hörer zu greifen. Ianto beobachtete, wie sie mit einem Ohrring
zu spielen begann, so wie sie es immer tat, wenn sie telefonierte. Er spähte
unter den Tisch und lächelte, als er sah, dass ihr Fuß in dem dunkelblauen,
spitz zulaufenden Pump auf und ab wippte. Sie konnte einfach nicht lange
stillsitzen. Diese rastlose Energie war eine Eigenschaft, die sie mit Jack
teilte.
Ianto wischte ein paar Krümel vom Schreibtisch und ging kurz mit
einem feuchten Tuch über die Tischoberfläche, bevor er seine Finger reinigte.
Er hatte mehr als einmal gehört, dass er es mit seinem Reinlichkeitsfimmel
übertreiben würde, aber Ianto hatte es
nun einmal gerne ordentlich und sauber. Und vor allem, wie würde das aussehen,
wenn er nach einer Frühstückspause fettige Fingerabdrücke oder gar
Schokoladenflecken auf irgendwelchen Unterlagen hinterließ? Das verstand er
unter Professionalität.
Er trank den Rest seines Kaffees aus und stellte den Becher zurück
aufs Tablett, dann wandte er sich seinem PC zu und rief den Büro-Kalender auf.
Es waren nur zwei Termine vermerkt, aber mehrere Alarme markierten die
Abgabedaten verschiedener Unterlagen. Um die durfte sich Lisa kümmern, eine
kleine „Belohnung“ für ihr zu-spät-kommen heute Morgen. Für sich selbst hatte
er den Nachmittag für die Erledigung der Ablage eingetragen.
Tick-tack,
zählte die Stoppuhr seines Großvaters in seiner Tasche die Minuten.
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Sein aktueller
Job bestand darin – für vier Pfund die Stunde – Werbeflyer hinter
Autoscheibenwischer zu klemmen (Beschimpfungen und blöde Sprüche der Besitzer
besagter Wagen kostenlos inklusive) und er hatte an der Bushaltestelle Halt
gemacht, um für eine Weile dem Regen zu entkommen und in Ruhe seinen Kaffee zu
trinken. Er fischte eine Morgenzeitung hinter der Sitzbank hervor, die ein
anderer Fahrgast liegen gelassen hatte und blätterte zur Seite mit den
Stellenangeboten.
Dann
tauchte der Amerikaner auf und kippte ihm Kaffee über den Kopf.
„Und
wozu bitte war das das gut? Jetzt muss ich nach Hause und mich waschen, anstatt
Geld zu verdienen.“ Er deutete auf den alten Rucksack zu seinen Füßen, in dem
noch gut dreihundert Flyer darauf warteten, hinter Scheibenwischer geklemmt und
in Briefkästen gestopft zu werden.
Harkness
zuckte mit den Schultern. „Du hast so ernst und traurig ausgesehen. Neulich im
Coffee-Shop warst du wenigstens wütend. Und manchmal ist es besser, wütend zu
sein als traurig.“
Ianto
sah weg. „Ich bin nicht traurig...“, entgegnete er mürrisch. Weitere Tropfen
liefen kitzelnd in den Kragen seiner Jacke. „Ich bin nur beschäftigt.“ Er
wusste, er sollte aufstehen und gehen. Weit weg von diesem Verrückten. Trotzdem
blieb er sitzen, wo er war. Ein Wiedersehen mit dem Amerikaner war das Interessanteste
das ihm heute… oder seit einer geraumen Weile, um ehrlich zu sein… passiert
war.
„Ja, du
bist ein wirklich glücklicher-glücklicher Junge, Jones, Ianto.“ Der Amerikaner
zog ein zerknittertes Blatt Papier aus einer Innentasche seines nicht
zugeknöpften Mantels (Trug er darunter wirklich Hosenträger? Wie alt war er –
Neunzig?) und faltete es auf.
„Ianto
Jones“, las er vor. „Geboren 19. August 1983, beide Eltern verstorben, eine
verheiratete Schwester in Newport – mit zwei Kindern – und eine Verurteilung zu
zehn gemeinnützigen Arbeitsstunden wegen eines Ladendiebstahls; eine
Verurteilung zu einer Woche Jugendknast wegen Trunkenheit in der
Öffentlichkeit. Oh, und hier haben wir einen Monat Jugendarrest wegen Besetzung
eines Hauses und Vandalismus...“
Ianto
spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich. „Woher wissen Sie das?“, unterbrach
er ihn, seine Stimme heiser mit unterdrücktem Zorn.
„Ich
habe meine Quellen“, erwiderte Harkness kryptisch.
„Ich
war minderjährig, diese Akten sollten versiegelt sein.“ Ianto spürte einen
Schauer über seinen Rücken laufen, der nichts mit kaltem Kaffee zu tun hatte.
„Wer sind Sie?“
„Ich
bin Jack.“
„Und
ist mich zu verfolgen ein neues Hobby für Sie, Jack?“ Er sprach seinen Namen
aus als hinterließe das Wort einen üblen Geschmack in seinem Mund. „Oder
verbringen Sie den ganzen Tag damit, jungen Männern nachzulaufen?“
Der
Amerikaner hob abwehrend beide Hände, die Handflächen in seine Richtung gewandt.
„Ich wollte mich nur ein bisschen unterhalten.“
„Über
meine Jugendstrafakte?“ Der Waliser stand auf und wischte Kaffee von den
Schultern seiner Jeansjacke. „Über was unterhalten wir uns als nächstes? Das
Wetter? Die Erderwärmung? Englands Wirtschaftspolitik seit Thatcher?“
„Wir
können uns weiter über Ianto Jones unterhalten.“
Ianto
schüttelte den Kopf. „Wieso? Ich bin niemand. Nur ein normaler Typ.“
„Das
ist nicht, was ich vor mir sehe.“ Jack musterte ihn von Kopf bis Fuß.
„Sie
sind kein Polizist“, fuhr Ianto fort und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wirklich?“,
entgegnete der ältere Mann amüsiert. „Wieso bist du dir so sicher?“
„Sie
sind zu auffallend. Polizisten sehen nur im Fernsehen so gut aus und kleiden
sich so exzentrisch.“
„Ich
könnte undercover arbeiten.“
Ianto
zog die Augenbrauen ungläubig hoch. „Undercover als was?“ Er wartete keine
Antwort ab. „Und wieso sollten Sie gerade mich auswählen? Ich habe mir seit
Jahren nichts mehr zuschulden kommen lassen. Das ist vorbei, seit ich aus
London weg gegangen bin. Wozu würde ich mir sonst die Mühe machen, bei diesem
Wetter für vier Pfund die Stunde diese dämlichen Flyer zu verteilen.“
„Gut,
sagen wir ich bin kein Polizist.“
„Und
auch keiner dieser Sozialarbeiter-Typen“, fuhr Ianto fort. „Abgesehen davon bin
ich zu alt, als dass sich einer von denen noch um mich kümmern würde.“
„Sehe
ich dafür auch zu gut aus?“ Jack grinste.
Der
Waliser ignorierte die Frage. „Sozialarbeiter tragen keine Waffe am Gürtel oder
ein Bluetooth-Headset zum Telefonieren bei sich.“
„Scharfe
Augen.“ Jack schien fast stolz auf seine Antwort zu sein, so als hätte Ianto eben
ohne es zu wissen einen Test bestanden. „Die Organisation für die ich arbeite,
sucht immer scharfsinnige Mitarbeiter.“
„Um was
zu tun?“, fragte Ianto ungläubig.
„Schon
mal etwas von Torchwood gehört?“ Jack musterte ihn, doch der junge Waliser
schüttelte den Kopf.
„Was ist
das? Eine Zweigstelle der Umweltbehörde? Kümmern Sie sich um Bäume und
Feuerholz?“, kam die sarkastische Antwort.
Jack
lachte. „Das ist gut, das muss ich mir merken. Nein, keine Bäume. Aber in
gewisser Weise kümmern wir uns um Touristen. Unter anderem.“
###
Als wären seine Gedanken ein Signal gewesen (Wie würde es Jack wohl
gefallen, sein eigenes Batsignal zu haben?), begann
sein Handy zu vibrieren. Er warf einen Blick auf das Display und sah, dass er
eine neue Textnachricht erhalten hatte.
Lisa beendete ihr Gespräch und legte den Hörer auf. „Willst du sie
nicht lesen?“, fragte sie neugierig.
„Was ist das mit Weib...“ Er korrigierte sich. „...ich meine, mit Frauen
und ihrer Neugier? Man könnte denken du bist selbst auf Jack scharf.“
„Oh, das bin ich. Lass dich nicht von meiner femininen Zurückhaltung
täuschen. Aber ich verzichte großmütig, ihr beide seid nämlich ein zu
niedliches Paar.“ Lisa raffte ein paar Unterlagen zusammen. „Lies. Die. SMS.
Oder ich mache es.“
Mit einem resignierten Seufzen griff Ianto nach dem Handy und öffnete
die Nachricht.
„Du hast ein Date“, rief Lisa, die Aufregung in ihrer Stimme eindeutig
die eines Teenagers. „Ianto hat ein Date!“
Ianto rollte mit den Augen. „Ja, ich habe ein Date. Liest du jetzt
schon meine Gedanken?“
„Nein.“ Sie lachte und stand auf. „Aber du solltest dich mal
sehen, wenn du eine Nachricht von ihm bekommst oder er dich anruft. Du fängst
irgendwie an zu glühen wie ein verliebtes Schulmädchen. Von innen heraus. Und
ich dachte, so etwas ist die Erfindung von Kitschromanen.“
„Tue ich nicht.“ Ianto knüllte ein Blatt Papier zusammen und warf
es nach ihr, doch Lisa ging neben einem Aktenschrank in Deckung. „Das tue ich
nicht!“ Er sah sich nach weiterem Wurfmaterial um, doch ihre Bemühungen das
Büro so weit wie möglich papierfrei zu halten, rächten sich jetzt. „Lisa, ich
warne dich!“
„Tust du doch.“ Sie sah über die Schulter und streckte ihm die
Zunge raus. Dann verließ sie hastig den Raum.
Glühen? Er! Phsaw!
###
„Ich
bin sicher, das war ein unvergessliches Erlebnis für uns beide, aber ich
fürchte ich muss jeder wieder an meine Arbeit zurück. Es hat aufgehört zu
regnen.“
„Wie
viel verdienst du damit an einem Tag?“ Harkness kramte in einer Manteltasche,
dann in einer anderen. „Zwanzig Pfund?“ Schließlich zog er ein paar Scheine
hervor und hielt sie - ohne nach zu sehen, um wie viel es sich dabei
tatsächlich handelte - in Iantos Richtung. „Hier. Nimm das. Dann können wir uns
weiter unterhalten.“
Er
konnte zwischen den anderen Scheinen einen Fünfziger sehen. Er bezahlte vierzig
Pfund die Woche für das Loch in dem er hauste. Es war billiger in Cardiff zu
wohnen, als früher in London, aber niemand verschenkte etwas. Er könnte die
Miete bezahlen und trotzdem noch den Kühlschrank auffüllen. „Ich bin kein Stricher.
Man kann mich... und meine Zeit… nicht kaufen.“
Harkness
sah ihn einen Moment verblüfft an, dann grinste er. „Eigentlich dachte ich
daran, dir die ganzen Flyer abzukaufen und dich dann zum Essen einzuladen. Aber
ich nehme auch jedes andere Angebot an.“
Ianto
spürte Hitze in den Wangen. Wunderbar. Jetzt dachte der Amerikaner vermutlich
auch noch, er wolle sich ihm an den Hals werfen. Immerhin hatte er damit angefangen,
von Sex zu sprechen.
Dann
dachte Ianto: Wieso sollte er das Geld nicht annehmen? Er rechnete kurz nach,
nahm die Scheine, die ihm Harkness immer noch hinhielt, zählte zwanzig Pfund ab
und gab ihm den Rest zurück. „Ich nehme das als Entschädigung für den Kaffee,
den Sie mir schon wieder über den Kopf gekippt haben und für die Flyer, die ich
nicht verteilen konnte, während wir hier sitzen. Keine Geschenke.“
Jack
lachte. „Bedeutet das, ich muss den Lunch nicht extra bezahlen?“ Es blitzte in
seinen Augen auf. „Wenn ich deine Zeit nicht kaufen kann, lässt du mich dann
ein paar Stunden davon mieten? Nur für ein Mittagessen?“ Er legte bittend die
Hände zusammen. „Ich verspreche, ich benehme mich.“
Allein
der Gedanke an Essen ließ seinen Magen knurren. Und er konnte nicht länger
leugnen, dass er diese Unterhaltung genoss, so bizarr sie auch war. Stalker hin
oder her, etwas zog ihn zu dem aufdringlichen, lauten Amerikaner hin. Und er
war nicht wirklich einem Flirt abgeneigt. Ianto wusste, dass das Leben zu kurz
war, um etwas auszulassen – selbst wenn es zu fantastisch schien, um wahr zu
sein.
„Ich
denke, ich kann damit leben meine Zeit zu vermieten.“ Ianto stopfte die übriggebliebenen
Flyer in den Mülleimer neben der Bushaltestelle. „Zumindest dieses eine Mal.“
„Fantastisch.“
Harkness sprang auf und zeigte mehr Zähne als eigentlich menschenmöglich sein
sollte. „Kann man hier irgendwo essen?“
Ianto
überlegte kurz, dann nickte er die Straße entlang und schlang sich seinen nun
sehr leichten Rucksack über die Schulter. „Da vorne.“
Sie
fanden eine Straße weiter eine Bude, die Fish ’n’
Chips und ein paar Beilagen verkaufte. Jack warf einen kurzen Blick auf die
Tafel, die in verschmierten Kreidebuchstaben das Tagesangebot (vermutlich auch das
einzige Angebot) beschrieb und bestellte zwei Portionen frisch aus der Friteuse
und nahm dazu zwei der bereits abgepackten Plastikdosen mit Krautsalat, eine
Flasche Wasser und eine Flasche Cola.
Während
sie warteten, rieb sich der Waliser mit ein paar Servietten die Haare trocken
so gut es ging.
Kaum fünf
Minuten später lagen die fettglänzenden Pakete vor ihnen auf dem Tresen. Jack
bezahlte und schob Ianto die Cola und eines der Zeitungspapierpäckchen zu. „Ich
dachte eigentlich eher an einen Pub oder an ein Café“, bemerkte Jack, während
sie ihr Essen zu einem der wackligen Stehtische neben der Straße balancierten,
ohne sich die Finger zu sehr daran zu verbrennen. „Irgendwo, wo man sich zum
Essen auch hinsetzen kann.“
„Viel
zu teuer. Die sind hauptsächlich für Touristen. Sollten Sie das nicht eigentlich
wissen, wenn Sie in der Touristenbranche arbeiten? Außerdem ist es hier besser.“
Ianto riss gierig das Zeitungspapier auf und begann sich in Backteig gehüllte
Fischstücke in den Mund zu stopfen, ohne darauf zu achten, wie heiß alles noch war.
Den halben Tag lang hatte er verdrängt, wie hungrig er war. Sein Frühstück
hatte nämlich nur aus milchigem Tee mit den letzten Klumpen feucht gewordenen
Zuckers und zwei Scheiben ungetoasteten Toasts mit einem Rest Gelee bestanden. Mit
dem Geruch des frischen Essens in der Nase konnte er sich kaum mehr
zurückhalten.
Er wischte
die fettigen Finger an seiner Jeans ab – schmutzig wie sie war, machte es eh
keinen Unterschied mehr – und griff nach einer bereits mit Krümeln und schmierigen
Fingerabdrücken verschmierten Malzessigflasche, um seine Pommes damit zu
ertränken. Dann kippte er noch mehr Salz darüber. Nach der Cola greifend, schob
er mit dem Arm das Schälchen mit Krautsalat unauffällig von sich weg, an den
Rand des kleinen, runden Tischchens.
Jack
beobachtete ihn amüsiert. „Gemüse ist nicht so ganz dein Ding, oder?“, fragte
er.
„Kartoffeln
sind Gemüse.“ Ianto leckte genüsslich Salz und Essig von den Fingern ohne zu
bemerken, dass er von dem anderen Mann mit einer Art von Hunger beobachtet
wurde, der nichts mit ihrem Mittagessen zu tun hatte. Er spülte alles mit großen
Schlucken Cola hinunter.
„Wo
immer du auch herkommst, sie füttern dich da wohl nicht.“
Ianto
stoppte, schluckte einen Mundvoll Pommes hinunter. „Wo immer ich auch
herkomme?“, fragte er. „Sie haben vorher aus meiner Akte zitiert. Dann wissen
Sie sicher auch, dass ich keine zwanzig Meilen von hier geboren und
aufgewachsen bin.“
„Ich
versuche nur Small Talk zu machen, Ianto. Und ich dachte mit dem Wetter
anzufangen wäre zu abgedroschen.“ Jack griff über den Tisch und stahl eine von
Iantos Fritten. Er schnitt eine Grimasse wegen des starken Salz- und Essiggeschmacks
und trank einen Schluck Wasser. Damit konnte man ja Rost von Metall ätzen. Jack
pickte ein Stück abgefallener Panade auf. „Außerdem habe ich die letzten vier
Tage nachts gearbeitete und tagsüber Papierkram erledigt. Ich habe keine
Ahnung, wie das Wetter draußen war. Hat es geregnet?“
„Wann
regnet es schon nicht? Das ist Wales.“ Ianto revanchierte sich damit, dass er ein
paar Pommes von Jacks noch unberührter Portion nahm.
„Da wir
uns gerade so gut verstehen, warum nennst du mich nicht endlich Jack und duzt
mich?“
„Nope. Ich bin okay mit dem, wie es ist.“ Ianto betrachtete
traurig die beiden letzten Pommes, neben ein paar Krümeln das einzige, was von
seiner Portion noch übrig war.
Jack
schob ihm sein kaum angerührtes Essen zu. „Hier, nimm das auch noch. Ich denke
mein Appetit geht heute in eine andere Richtung.“
Ianto
faltete das Papier wieder um die Fish ‘n‘ Chips und
stopfte das Päckchen in seinen jetzt leeren Rucksack. „Mein Abendessen“,
erklärte er, als Jack ihn fragend ansah. „Man kann alles in einer Mikrowelle
aufwärmen.“
„Wenn
du Geld für Essen brauchst, kann ich...“, begann Jack, aber Ianto hob die Hand.
„Ich
nehme keine Almosen. Und auch kein Geld für Sex. Nur damit das absolut klar
ist.“ Der junge Waliser senkte einen Moment den Blick auf seine abgewetzten
Schuhe und biss sich auf die Unterlippe, als halte er etwas anderes zurück, das
er fast gesagt hätte. „Danke für das Mittagessen, aber ich muss jetzt wirklich
weiter. Mir einen neuen Job suchen gehen.“
„Aber
wenn du meinetwegen die Flyer weggeworfen hast, lass mich dich dafür
entschädigen, dass du auch meinetwegen deinen Job verloren hast.“ Harkness trat
ihm in den Weg, als Ianto sich den Rucksack wieder auf den Rücken schwang und
griff nach dem Riemen, als wolle er ihm die Tasche wieder abnehmen.
Ianto
hatte gar nicht erst vor, zurück zu gehen und zu versuchen, für das Austragen
der Flyer bezahlt zu werden. Möglicherweise beschäftigten sie jemand, der
kontrollierte, ob er sie auch wirklich verteilt hatte und dann bekam er nur
Schwierigkeiten, sollte er da auftauchen und Bezahlung verlangen. „Es war
ohnehin nur ein Job für heute. Und ich habe ihn bloß bekommen, weil einem ihrer
regulären Austräger das Wetter zu schlecht war oder er war krank oder so
etwas.“ Ianto strich sich das Haar aus der Stirn zurück und zog die Kapuze
seines Sweatshirts über den Kopf. „Hwyl fawr, Jack Harkness.“
Bevor
Jack einen weiteren Versuch unternahm, ihn aufzuhalten, schlängelte sich der
junge Waliser zwischen zwei vorbeifahrenden Autos hindurch und war einen Moment
später auf der anderen Straßenseite, wo er bald zwischen Einkäufern und anderen
Passanten, Müttern mit Kinderwägen und Senioren mit Einkaufstaschen
verschwunden war.
„Bis
bald, Ianto Jones.“ Jack zog das Handy aus einer Tasche und wählte eine Nummer.
„Hey, Tosh“, meinte er, als am anderen Ende geantwortet wurde. „Könntest du mir
einen Gefallen tun? Okay, sag Owen ich kann ihn auch ohne Handy bis hierher
schreien hören. So lange er so schreit, ist er noch nicht verhungert. Ja, ich
bringe Pizza für alle mit.“ Sein Blick fiel auf den Tisch. „Und ich hoffe, du
magst Krautsalat. Aber das ist nicht, warum ich anrufe. Ich benötige ein klein wenig
von deiner Computermagie. Wenn ich dir ein GPS-Signal schicke, kannst es mir so
einrichten, dass ich nur auf einen Button auf dem Desktop klicken muss, um zu
sehen, wo sich der Sender gerade befindet?“ Er lauschte einen Moment und
spielte mit seiner Wasserflasche. „Ja, genau so. Ich wusste, dass das kein Problem
für dich ist. Nein. Keine Schwierigkeiten. Nur jemand, den ich im Auge behalten
will. Du bist mein Liebling, das weißt du, oder? Verrate es Owen nicht, er
fühlt sich immer gleich benachteiligt. Ja, in einer halben Stunde bin ich
wieder da.“
Er schob
das Handy zurück in die Tasche und presste ein paar Befehle in seinen
Wriststrap. Einen Moment später hatte er das GPS-Signal an Tosh im Hub
weitergeleitet. Jack glättete den Ärmel wieder über den Vortexmanipulator und schraubte
den Verschluss auf Iantos leere Cola-Flasche, die er mitnahm als er ging. Owen
fand bestimmt die Zeit für einen kleinen DNA-Test mit dem Speichel an der
Flasche...
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„Was ist los? Hat er abgesagt?“
Ianto sah auf. Er hatte nicht bemerkt, dass Lisa schon von ihrem
Ausflug zur Post zurück gekommen war. „Wieso?“
„Du machst wieder mal dieses Ding mit deiner Stirn? Mit den
Falten.“ Sie ließ den Stapel an Aktenmappen, den sie bei sich trug, auf den
Schreibtisch fallen. „Nicht sehr attraktiv.“
„Will ich wissen, wieso du weißt, dass Jack mir noch eine SMS
geschickt hat? Obwohl du nicht da warst? Versteckst du hier irgendwo eine
Kamera?“
Lisa lachte. „Sieh mich nicht so an. Das war nicht schwer zu
raten. Du hast das Handy angestarrt, als hätte es dich – oder deinen Kaffee –
beleidigt. Also, hat er abgesagt? Soll ich ihn anrufen und ihn für dich zur
Schnecke machen?“
„Jack hat unser Date nicht abgesagt, nur um ein paar Stunden verschoben.
Er kann erst später von der Arbeit weg, irgendetwas ist ihn dazwischen
gekommen.“
„Was habe ich gesagt.“ Lisa strich sich das kurzgeschnittene Haar
zurück. „Er nimmt seine Arbeit wichtiger als dich.“
„Mark macht 36-Stunden-Schichten im Krankenhaus, nennst du das
nicht seine Arbeit ernst nehmen? Und ich bin überzeugt, es geschieht nicht mit
böser Absicht.“ Ianto stand auf und strich sein Jackett glatt. „Und es hat
etwas Gutes: Ich kann heute länger arbeiten, die komplette Ablage erledigen und
muss mich erst nächsten Monat wieder darum kümmern.“
„Das klingt gut – bis du auf den Kalender siehst und dir auffällt,
dass dieser Monat nur noch zwei Tage dauert.“ Der Drucker begann surrend Unterlagen
auszuspucken.
„Ich nehme meine Illusionen, wie sie kommen.“ Ianto zog einen
metallenen Aktenwagen hinter einem Schrank voll mit schweren Bänden an Nachschlagewerken
hervor. „Wenn du mich wirklich liebst, dann siehst du ab und zu nach mir und
versicherst dich, dass mich noch kein Ordner erschlagen hat“, sagte er, als er
das Gefährt voll mit Aktenmappen und Ordnern durch die Tür schob. „Oder mich
die Staubmäuse meucheln.“
„Oh, nur für den Fall, dass dir etwas passiert… Du hast doch
hoffentlich irgendwo deine Kaffeerezepte und eine Anleitung dafür aufgeschrieben,
oder? Und mach dir ja keine Sorgen um Jack, ich verspreche, dass ich mich sehr
gut um ihn kümmern werde“, rief sie ihm hinterher.
„Ich denke langsam, ich wende dir in Zukunft besser nicht mehr den
Rücken zu, du männerstehlende Hyäne!“ Die zufallende Tür schnitt Lisas Lachen
ab.
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Er zog
die Kopfhörer seines mp3-Players aus den Ohren - es war kein iPod oder etwas in
der Art, nur ein billiges asiatisches Imitat, das ihm Rhi zum Geburtstag
geschenkt hatte und auf das er in der Bibliothek der Uni (sie boten einmal die
Woche kostenlose Internetnutzung auch für Nicht-Studenten an) illegale Musik
lud - und wandte sich irritiert um. Das penetrante Hupen verstummte endlich.
Harkness
lehnte an einem alten – alt wie in Oldtimer - dunkelsilbergrauen Sportwagen und
drückte auf die Hupe. Er trug eine Sonnenbrille – Wirklich? In Cardiff? - und
wirkte noch mehr als sonst wie gerade aus einem amerikanischen Film
entsprungen.
"Lassen
Sie mich raten", meinte Ianto trocken. "Ein weiterer Zufall?"
Der
Amerikaner grinste und nahm die Sonnenbrille ab. "Glaubst du mir, wenn ich
sage, dass ich in der Gegend war und Hunger bekam?" Er beugte sich erneut in
den Wagen und fischte eine Papiertüte vom Beifahrersitz. „Ich dachte, nachdem
wir uns das letzte Mal beim Lunch so gut verstanden hatten, könnten wir das
wiederholen.“
Ianto
warf einen Blick in Richtung Tankstelle, wo sein Boss hinter der Kasse saß und
ihn vermutlich über einen der Monitore der Überwachungskameras im Auge behielt.
„Ich kann frühestens in einer Stunde Mittagspause machen", meinte er, als
er sich wieder Jack zuwandte. Er steckte die Ohrhörer zurück in die Ohren und
holte einen Schwamm aus dem Eimer.
Hinter
Harkness' Sportwagen fuhr ein zweites Auto heran, das aus der Waschanlage kam.
Dessen Fahrer hupte ungeduldig, als er unerwartet den Weg versperrt fand. Der
Amerikaner ignorierte ihn. "Ist das ein Ja?", rief er.
"Ja."
Ianto winkte ihm, weiter zu fahren und rollte mit den Augen, als sich Jack in
den Wagen schwang, ohne die Tür zu benutzen und endlich weg fuhr. Als er die
Scheinwerfer des nachfolgenden Autos reinigte, konnte er sehen, dass Harkness
auf der gegenüber liegenden Straßenseite geparkt hatte. Nun, das beantwortete
eine seiner Fragen. Er plante wirklich, hier zu bleiben. Und es handelte sich
garantiert um keinen Zufall, dass der Amerikaner hier aufgetaucht war, vor
allem nicht, da Ianto den Job unter einem anderen Namen angetreten hatte.
Jack
hatte den Sitz zurückgeklappt und es sich sichtlich bequem gemacht. Die Arme im
Nacken verschränkt sah er so aus, als würde er Sonnenbaden - hätte die Sonne
geschienen, natürlich.
Es war
genau eine Stunde und drei Minuten später, als Mr. Barimi
den Kassenschlüssel an Ray, seinen Neffen, übergab und nach Hause zum
Mittagessen ging. Der Betrieb an der Tankstelle stoppte zwar deshalb nicht,
aber die Waschanlage wurde für eine Stunde geschlossen. Ianto hängte die
Absperrkette vor die Einfahrt, befestigte das „Geschlossen von 13.oo bis 14.oo
Uhr“-Schild daran, nickte Ray (eigentlich hieß er Rahim) zu und überquerte die
Straße.
„Hi.
Noch einmal“, sagte Jack und winkte. „Nimm Platz.“ Er nahm die Sonnenbrille ab,
und deutete auf eine Papiertüte, die zwischen ihnen stand. „Ich dachte, wir
versuchen es diese Mal mit Sitzen und einem Picknick.“
Ianto
öffnete die Wagentür und stieg ein. Der Ledersitz war warm und weich an seinem
Rücken und er atmete unwillkürlich auf. Er hatte seit sieben Uhr Scheinwerfer
und Scheibenwischer gereinigt, Felgen geschrubbt, Dreck unter Stoßstangen
herausgespült, Seitenspiegel und Windschutzscheiben poliert – all die Dinge,
die nicht von der veralteten Anlage erledigt werden konnten und noch immer per
Hand geschehen mussten. Mr. Barimi bezahlte weniger
als den Mindeststundenlohn, aber dafür schwarz und bar auf die Kralle, er fragte
auch nicht nach Referenzen oder einem Lebenslauf. Schwamm und Putzlappen zu
schwingen klang vielleicht nicht sonderlich anstrengend, aber das war es. Er
arbeitete erst seit drei Tagen hier und schon schmerzten seine Knie und seine
Schultern wie bei einem alten Mann, wenn er abends nach Hause ging – und das
Putzwasser hatte seine Hände aufquellen und rissig werden lassen. Die Erfindung
von Schutzhandschuhen hatte sich noch nicht ganz bis hierher herumgesprochen
(außer er war bereit, einen Teil seines sauer verdienten Lohns auszugeben und sie
selbst zu kaufen) aber Ianto plante ohnehin nicht, eine Karriere als lebenslanger
Autowäscher zu starten.
„Ja,
natürlich. Wie konnte ich das auch vergessen“, entgegnete der junge Waliser
trocken. „Mr. Barimis Super-Spar Waschanlage gilt ja
auch in ganz Cardiff als DER romantischste Ort für ein Picknick überhaupt. Ein
echter Geheimtipp.“
„Ich
wusste nicht, dass du auf Romantik bestehst“, grinste Jack.
„Ich
wusste nicht, dass ich extra erwähnen muss, wenn ich sarkastisch werde.“ Ianto
zog die Augenbrauen hoch. „Jetzt, das war übrigens auch sarkastisch gemeint.“
Jack
öffnete die Papiertüte – und holte einen Apfel raus, den er Ianto hinhielt.
„Ich dachte ein paar Vitamine könnten dir gelegentlich nicht schaden.“
Ianto
rümpfte die Nase wie ein kleiner Junge, dem gerade gesagt wurde, dass er keinen
Nachtisch bekam, wenn er sein Gemüse nicht vorher auf aß.
„Oh,
habe ich nicht das Richtige mitgebracht?“, neckte ihn Jack. Er legte den Apfel
aufs Armaturenbrett und holte stattdessen ein in weißes Pergamentpapier
eingeschlagenes Dreieck heraus. „Wie ist es damit?“
Der
junge Waliser wickelte das Sandwich aus und roch misstrauisch dran, dann hellte
sich seine Miene auf und er biss hungrig ein großes Stück ab. „Das ist gut.“
Nun ja, es war eher: „Da’sch gu.“
Jack
nahm sich selbst ein Sandwich und holte mit der anderen Hand einen der Thermo-Becher
heraus, mit denen man Kaffee oder Tee unterwegs warm hielt. Er reichte ihn
zusammen mit ein paar Papierservietten an Ianto weiter. „Hier. Ich habe es
umfüllen lassen, damit es kalt bleibt. Es ist aber kein Kaffee“, setzte er
hinzu. „Ich wollte die Versuchungen minimieren.“
„Sehr
verbunden“, entgegnete Ianto trocken, als er den Becher nahm. Er klickte mit
dem Daumen den Verschluss auf und trank einen Schluck. Überraschung zeigte sich
auf seinen Zügen. „So etwas habe ich zum letzten Mal als Kind getrunken.“
Zufrieden
mit der Reaktion des jungen Mannes packte Jack sein eigenes Sandwich aus.
Sie
aßen ein paar Minuten lang schweigend.
„Ein
Picknick mit Tunfischsandwiches und Erdbeermilchshakes in einem Cabrio – ich
fühle mich als wäre ich in einem Hollywood-Streifen aus den Fünfzigern
gelandet“, bemerkte Ianto nachdem sein erster Hunger gestillt war. Er nahm ein
zweites Sandwich, als Jack die Tüte auffordernd in seine Richtung schob.
„Hmmh.“ Jack kniff die Augen zusammen und sah ihn an.
„Was?“,
fragte Ianto und sah an sich hinab.
„Ich
stelle mir dich gerade in einem Petticoat und mit einer Schleife im Haar vor.“
Ianto
verschluckte sich an ein paar Krümeln und hustete. Er sah Jack ungläubig an.
„Petticoat?“, wiederholte er. „Aber das ist doch ein Rock!“
„Ich
wette du hast die Beine dafür. Ist das im Übrigen ein Ja zur Schleife?“, neckte
ihn Jack und klopfte ihm auf den Rücken. „Keine Sorge, ich bestehe nicht
darauf. Dein neuer Job erinnert mich übrigens auch an einen Film. Eine Frau
wäscht ein Auto.“
„In
einer Waschanlage?“, fragte Ianto trocken, sein drittes Sandwich aus der
Verpackung wickelnd. Jacks Fantasien hatten offenbar seinen Appetit nicht
beeinträchtigt. „Prickelnd.“
„Nein. In
einer Auffahrt. Sie hat das Auto mit einem Schwamm und einem Schlauch per Hand gewaschen.
Und sie wusste wirklich, wie man mit einem Schlauch umging... Dabei trug sie aber
nur ein T-Shirt und darunter einen Bikini“, fuhr Jack grinsend fort. „Zumindest
am Anfang. Dann wurde das T-Shirt nass. Später war sie dann so voll mit Schaum,
dass sie den Bikini auch noch ausgezogen hat.“
„War
das zufällig ein Film aus der Erwachsenen-Abteilung der Videothek? Der mit den
drei großen X über der Tür?“ Ianto stopfte die benutzte Serviette und das
Papier, in das das letzte Sandwich eingewickelt gewesen war zurück in die Tüte.
Er lehnte sich zurück in den bequemen Sitz, atmete die alles andere als
unangenehme Mischung aus warmen Leder und Jacks fantastischem Aftershave ein
und schloss die Augen. So ließ sich das Leben aushalten. Sein Magen war voll,
er saß wie auf Wolken und spürte Jacks Blick eine Berührung auf sich. Er fragte
sich, wie es wäre, von ihm tatsächlich berührt zu werden.
Gott,
es war zu lange her, er brauchte wirklich ein Date. Einfach nur guten Sex ohne
den ganzen emotionalen Wirrwarr drum herum. Er fragte sich ob es das war, was
der Amerikaner von ihm wollte. Aber wozu dann das Essen? Und das Interesse an
seiner Vergangenheit? Außerdem hatte er nicht vergessen, dass Harkness von
einer Organisation gesprochen hatte, für die er arbeitete – Torchwood. Um was
auch immer es sich dabei handeln mochte; er glaubte nicht, dass es eine
Unterabteilung der Tourismusbehörde war. Und auch nicht, dass es – trotz des
Namens – etwas mit Bäumen zu tun hatte. Harkness’ seltsamer Mantel war nicht
das einzige an ihm, das Militär suggerierte. Und unter diesen altmodischen
Klamotten steckte ein Körper, der nicht zu jemand gehörte, der die meiste Zeit
hinter einem Schreibtisch verbrachte. Entweder Militär oder doch Polizei oder
vielleicht irgendeine Spezialeinheit der Regierung? Jack hatte sich immerhin als
Captain Harkness vorgestellt.
Eine
warme Hand landete auf seinem Oberschenkel und Ianto unterdrückte ein Schaudern
– und ein peinliches Aufstöhnen.
Oh
Gott, er brauchte wirklich so dringend Sex.
Vor
einem halben Jahr hatte er das letzte Mal mit jemandem geschlafen.
Davor hatte
es Carys gegeben, mit der er sich zweimal verabredet hatte - wenn man Kebab aus
der Bude an der Ecke und Bier in ihrer Küche, bevor sie im Bett landeten, eine
Verabredung nennen mochte. Sie war eine passionierte Tänzerin, als Kind im
Ballett und nun besuchte sie Tanzkurse mit unterschiedlichen Themen. Ihr
Schlafzimmer zierten Poster von Tanzveranstaltungen aus aller Welt, die sie
irgendwann einmal selbst besuchen wollte.
Ihr
Lächeln, die Art wie sie ihr Haar mit einer eleganten Bewegung in den Nacken
zurückwarf, zogen ihn an wie Licht eine Motte. Er hätte ihr stundenlang dabei
zuhören können, wie sie voller Leidenschaft übers Tanzen sprach. Oh, und sie
war auch genau so biegsam, wie man sich eine Ballerina gemeinhin vorstellte.
Nach
dem zweiten Treffen fand er allerdings durch einen Zufall heraus dass sie
verlobt war und ihr Zukünftiger sich während einer einmonatigen Schulung in
London aufhielt. Er hatte sie danach nicht wiedergesehen. Das war nicht seine
Art, sich in eine bestehende Beziehung zu drängen, selbst wenn Carys kein
Problem damit zu haben schien.
Und es
hatte Kevin gegeben, den er bei einem seiner Aushilfsjobs getroffen hatte. Jung
– noch ein wenig jünger als er - etwas scheu und mit großen, ungewöhnlich
meergrünen Augen, die immer ein wenig verträumt aussahen. Außer sie zogen ihn
mit Blicken aus. Er hatte sich ein kleines bisschen in diese Augen verliebt.
Kevin
setzte sich in der Pause neben ihn und sie unterhielten sich über Rugby und
Filme, während sie in der Kantine fettige Pommes und angebrannte Würstchen oder
Kartoffelbrei und angekohlte Fischstäbchen aßen. Sie luden den ganzen Tag Kisten
und Kartons in LKWs und hatten sich nach Feierabend gegenseitig in einer
dunklen Ecke des Umkleideraumes mit den Händen befriedigt. Kevin küsste ihn mit
der Verzweiflung eines Verhungernden und murmelte einen fremden Namen in Iantos
Haut wenn er kam. Er hätte ihn gerne wiedergesehen, aber der Aushilfsjob endete
nach zwei Wochen und er driftete weiter.
Nun,
regelmäßiger Sex wurde ja angeblich überbewertet.
Er öffnete
die Lider und fand Jacks Augen auf sich – forschend, als lese er seine Gedanken
oder versuche es zumindest. Er spürte wieder die Hitze in seinen Wangen, als
Harkness ihn anstarrte und ärgerte sich darüber, rot zu werden. Er war kein
naiver Schuljunge mehr.
„So
ungerne ich das auch sage“, meinte Jack, sich zu ihm hinüber beugend. „Aber den
ungehaltenen Blicken nach, die uns der ältere, indische Gentleman auf der
anderen Straßenseite zu wirft, ist deine Mittagspause vorbei.“
„Verdammt,
das ist Mr. Barimi. Er muss heute früher
zurückgekommen sein.“ Ianto stellte den Becher weg und warf einen Blick auf die
billige Plastikuhr an seinem Handgelenk. „Es ist zehn vor zwei, ich muss die
Waschanlage gleich wieder öffnen.“ Er setzte sich auf. „Oh, bevor ich es
vergesse.“ Er kramte in seiner Hosentasche und zog etwas hervor, was auf den
ersten Blick wie ein abgerissener, schwarzer Druckknopf aus Plastik aussah. „Das
haben Sie in meinem Rucksack vergessen. So viel zu unserem zufälligen Treffen.
Ist das ein GPS-Sender? Wie man sie in Handys und Diebstahlsicherungen von
Autos einbaut?“ Er ließ den Gegenstand in Jacks Handfläche fallen.
„So
etwas in der Art. Woher wusstest du was das ist?“ Jack musterte ihn neugierig.
„Ich wusste
es nicht bevor Sie es mir gesagt haben. Aber ich habe so etwas schon mal in
einem Film gesehen.“ Ianto öffnete die Wagentür und stieg aus. Er umrundete den
Sportwagen und zögerte einen Moment neben der Fahrertür. „Ich bin nicht so
dumm.“
„Ich
habe nur dem Zufall etwas nachgeholfen, wirklich. Ich… wollte dich einfach
wiedersehen.“ Harkness schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Ich…“ Das
Summen seines Handys unterbrach ihn, bevor es dazu kam. Er warf Ianto einen
entschuldigenden Blick zu, bedeutete ihm zu warten und zog das Telefon aus der
Tasche. Nachdem er auf das Display gesehen hatte, drückte er eine Taste. „Suzie…
ich bin gerade wirklich beschäftigt.“ Jack wandte sich halb ab, starrte auf
etwas jenseits der Windschutzscheibe.
Mit wem
telefonierte er? Einer Ehefrau, Freundin, Geliebten, Arbeitskollegin, seiner
Schwester? Einer beliebigen Kombination davon? Er trug keinen Ehering und hatte
auch keine verräterische blasse Stelle am Ringfinger, doch das musste schließlich
rein gar nichts bedeuten.
Mit
einigen kurzen, unverbindlichen Worten beendete der Captain das Gespräch. Er
seufzte. „Sieht so aus als müsste ich auch zurück an die Arbeit.“ Er sah Ianto
an. „Nachdem wir mit dem Lunch so gut zurecht gekommen
sind, wie wäre es beim nächsten Mal mit einem Abendessen?“
„Einem
Date?“, fragte Ianto zögernd – bereit es als Scherz abzutun, wenn er die Worte
des anderen Mannes falsch gedeutet hatte.
„Ja, ja
– ein Date klingt gut. Wann? Heute Abend?“, entgegnete Jack sofort.
„Samstag
passt mir besser“, erwiderte Ianto.
„Das
dauert mir zu lange.“ Jack grinste. „Donnerstag?“
„Okay.
Donnerstag“, gab der jüngere Mann nach.
„Ich
schicke dir eine SMS mit dem Ort und der Uhrzeit, okay? Soll ich dich von
deiner Wohnung abholen, das ist kein Problem, ich…“
„Nein“,
unterbrach ihn Ianto hastig. „Wir treffen uns dann dort.“ Er wandte sich zum
Gehen. Ein Teil von ihm akzeptierte bereits, dass diese SMS nie kommen würde.
Nicht, nachdem er den GPS Sender entdeckt und welche Pläne auch immer der
Amerikaner hatte, damit durchkreuzte. Und außerdem hatte Harkness ihn bisher
nicht nach seiner Telefonnummer gefragt.
„Hey“,
rief ihm Jack nach. „Bekomme ich keinen Abschiedskuss?“
Ianto
rollte mit den Augen – und bemerkte, wie ihn Mr. Barimi
missbilligend anstarrte, er hatte wohl die letzten Worte mitgehört. Er winkte
Jack halbherzig zu. Mr. Barimis Blick glitt zwischen
ihnen hin und her, er sagte in Hindi etwas sehr unfreundlich Klingendes und
spuckte vor ihm auf den Boden. Sah so aus als brauche er sich nicht mehr sehr
viel länger um den Zustand seiner Hände Sorgen machen…
###
Die Ablage war erledigt und Ianto hatte noch genug Zeit, in seine
Wohnung zu gehen, zu duschen und sich umzuziehen, bevor er sich mit Jack traf.
Während er vor dem Kleiderschrank stand und überlegte, was aus
seiner nicht so umfangreichen Garderobe er heute Abend tragen sollte, kam eine
weitere SMS. Er seufzte, als er sie las. Jack änderte den Plan schon wieder. Anstatt
sich mit ihm im Restaurant zu treffen, sollte Ianto nun direkt ins Hotel
kommen. Also mal wieder Zimmerservice – je nach Jacks Laune auf der Couch oder
womöglich auch gleich im Bett.
Ianto entschied sich für Jeans, Turnschuhe, das dunkelrote Hemd,
das Jack ihm geschenkt hatte und eine warme Jacke für darüber. Wenn sie den
Abend in der Suite verbrachten – wonach alles klang - reichte das völlig aus.
Anzüge und Krawatten waren für die Arbeit und für besondere Anlässe, egal wie
sexy er laut Jack darin aussah.
Im Hotel angekommen fuhr er gleich mit dem Lift nach oben bis ins
Penthouse. Jack war noch nicht da, aber das war an sich auch nichts
Ungewöhnliches. Der junge Waliser zog seine Jacke aus, kickte die Schuhe von
den Füßen, holte sich etwas zu trinken, machte es sich in einem Sessel bequem
und schaltete den Fernseher ein.
Einige Zeit später hörte er das Klicken des Türmechanismus und
stand auf, um Jack zu begrüßen. Ein Blick auf das Gesicht des Captains und
Ianto fragte angespannt: „Was ist passiert? Jack?“
„Suzie... Sie hat den Verstand verloren. Sie hat drei Menschen
getötet, um ein Artefakt an ihnen auszuprobieren. Und dann... als wir endlich dahinter
gekommen sind was sie tut... dann hat sie sich erschossen. Vor meinen Augen.“
Jack klang, als könne er selbst nicht glauben, was er da erzählte. „Sie ist
tot. Suzie ist tot.“
Ianto strich ihm übers Gesicht, kämmte ihm durch die Haare und sog
scharf die Luft ein, als sich getrocknetes Blut an seinen Fingern zeigte.
„Jack! Bist du verletzt?“ Er drehte den älteren Mann herum und sah das Blut auf
der Rückseite seines Mantels. Doch obwohl Jacks Haare am Hinterkopf deutlich
sichtbar verklebt waren, konnte Ianto keine Verletzung entdecken.
„Es ist okay.“ Jack drehte sich zurück. „Ich bin nicht verletzt. Das
ist nichts. Und ich habe bereits Ersatz für Suzie angeheuert.“
Einen Moment seine Sorge um den anderen Mann vergessend, sah ihn
Ianto verblüfft an. „Du hast WAS?“
Jack lächelte müde. „Da war eine Polizistin, sie hat uns
beobachtet. Und später ist sie uns ins Krankenhaus gefolgt, wo ein Weevil
auftauchte. Sie hat ihn gesehen. Das hat sie aber nur noch neugieriger gemacht
und sie hat weiter hinter Torchwood und mir her geschnüffelt. Stell dir vor,
sie hat versucht sich einzuschmuggeln, indem sie vorgab, der Pizzabote zu sein.
Ich habe sie zu einem Drink eingeladen und ihr etwas gegeben, dass sie das
ganze vergessen lassen sollte, ein Medikament namens Retcon.
Aber irgendwie ist es ihr gelungen, sich trotzdem an alles zu erinnern. Und sie
hat auf eigene Faust weiter ermittelt. Sie kam Suzie auf die Spur – und Suzie
drohte, sie ebenfalls umzubringen. Aber dann...“ Seine Augen verdunkelten sich.
„Gwen – die Polizistin – sie hat es erstaunlich gut weggesteckt. Also habe ich
ihr Suzies Job angeboten. Vielleicht ist sie, was Torchwood fehlt. Etwas mehr
Menschlichkeit.“ Seine letzten Worte klangen als wären sie eher für ihn selbst
als für Iantos Ohren bestimmt.
„Tu mir einen Gefallen“, sagte Jack, sich wieder dem jungen
Waliser zuwendend. „Ruf an der Rezeption an, dass mein Mantel wieder einmal
schnell gereinigt werden muss, sie sind das gewöhnt. Und ich dusche in der
Zwischenzeit. Du kannst schon mal etwas für uns zu Essen bestellen.“ Er legte
die Hand an die Seite von Iantos Gesicht, rieb mit der Fläche des Daumens zärtlich
über sein Kinn, seine Unterlippe. „Es ist doch okay, wenn wir hier essen? Ich
bin ziemlich müde und irgendwie werde ich meine Kopfschmerzen einfach nicht
los.“
„Okay“, echote Ianto unsicher. Er hatte das Gefühl, dass sehr viel
mehr passiert war, als Jack ihm erzählte. Andererseits sollte er langsam daran
gewöhnt sein, dass die Geschichten des älteren Mannes immer Lücken enthielten.
Es gab so vieles an seiner Arbeit über das Jack nicht sprechen durfte.
Zumindest hatte er es Ianto gegenüber bisher so dargestellt.
Jack nahm den Mantel ab und faltete ihn so, dass das Blut damit
innen und nicht sofort ersichtlich war, dann legte er ihn über Iantos Arm.
„Guter Junge“, sagte er leise und küsste ihn auf die Schläfe. Er verschwand ins
Bad ohne die halb erwartete Aufforderung, dass sich Ianto nach Beendigung
seiner Telefonate zu ihm gesellte. Ianto zog die Liste mit den Menüs aus einer
Schublade und griff zum schnurlosen Telefon der Suite.
Der Zimmerservice versprach in einer halben Stunde das Essen zu
bringen, und die Rezeption hatte sofort jemand vorbei geschickt, der Jacks
Mantel in einer großen Plastiktüte verstaute und seinerseits versprach, ihn mit
dem Frühstück gereinigt zurück zu schicken. Überrascht klang der Rezeptionist über diesen Auftrag tatsächlich nicht.
###
Iantos
Schritte wurden langsamer, als er sich dem Restaurant näherte. Das konnte doch nicht
die richtige Adresse sein? Er zog sein Handy aus der Tasche und warf einen
Blick auf das verkratzte Display, verglich die Adresse in der SMS mit dem Straßennamen.
Nein, das waren die Straße und die Hausnummer, die Jack ihm geschickt hatte.
Wieso
war er überhaupt überrascht? Die großen Scheine mit denen der Amerikaner um
sich warf, der edle Wagen, natürlich musste es auch ein teures Restaurant sein.
Es war
ein Fehler gewesen, sich auf dieses Date einzulassen.
Er
stand vor einem Gebäude das die Replik einer italienischen Villa sein musste
und holte tief Luft.
Mini-Zypressen
in schweren Terrakottatöpfen – ein Wunder, dass sie in diesem Klima überhaupt wuchsen
- säumten den Gehweg links und rechts und führten unter einer rot-weiß gestreiften Markise ins Restaurant wie eine Allee aus
Zwergbäumen. Neben der Tür stand ein kleiner kitschiger Springbrunnen, mit zwei
fetten, pausbäckigen Engeln verziert, die sich gegenseitig neckisch mit Pfeilen
beschossen. Sicherlich ein Imitat, aber er plätscherte munter vor sich hin.
Ianto fand, er hatte noch nie so etwas Hässliches gesehen. Ein Fresko bedeckte
die Außenwand, zeigte in verwaschenen Farben einen Weinberg und eine
halbverfallene Kapelle. Durch die offene Tür konnte er weiße Säulen und das
Profil einer Statue – ein Knabe mit einem Korb voll Weintrauben, den er auf dem
Kopf balancierte wie eine afrikanische Wasserträgerin – sehen. Und einen Mann in
einem Anzug der wohl mehr gekostet haben musste, als Ianto in seinem gesamten
bisherigen Leben als Erwachsener verdient hatte. Der Mâitre
d’ wachte über ein geschnitztes Stehpult, auf dem ein altmodisches,
ledergebundenes Reservierungsbuch lag und ein sehr modernes, kabelloses Telefon
neben einem Arrangement künstlicher Weinreben stand.
Ianto
musste an ihm vorbei, um ins Restaurant zu kommen, denn er empfing offensichtlich
die Gäste und dirigierte sie an ihre Tische. Er sah an sich herunter – auf die
staubbedeckten Sneakers, auf die eingerissene Jeans, darüber eine
ausgeblichene, olivfarbene Kapuzenjacke. Was hatte er sich dabei gedacht, in
diesem Aufzug hier herzukommen? Nichts. Er hatte an Jack Harkness gedacht, an
seine intensivblauen Augen, seinen lächelnden, sexy Mund und an die warme Hand
auf seinem Oberschenkel. Er hatte zwei Nächte lang daran gedacht und sich
vorgestellt, dass die Finger, über die er kam, dem anderen Mann gehörten.
Am
besten verschwand er gleich wieder und schickte später dem Amerikaner eine Entschuldigungs-SMS.
Vielleicht konnten sie das an einem anderen Abend wiederholen… Vorausgesetzt
Jack war dann noch interessiert.
„Hey!“
Eine unfreundliche Stimme holte ihn aus seinen Gedanken. „Du! Häng hier nicht
rum und blockier den Eingang für die richtigen Gäste.“ Und das von einem Typen,
der eine Schürze trug. Ein Kellner trat auf ihm zu, ein Tablett unter den Arm
geklemmt – mit der anderen Hand machte er eine wegscheuchende Geste, als wäre
Ianto ein bettelnder Hund auf dem Gehweg.
„Ich
bin ein richtiger Gast“, erwiderte Ianto und versuchte um ihn herum zu gehen.
„Hier
geblieben, Freundchen.“ Der Kellner packte ihn am Arm. „Das ist ein Restaurant
für zahlende Gäste. Mit Niveau und... sauberer Kleidung.“
„Nicht
anfassen!“, zischte Ianto und befreite sich mit einem Ruck.
„Er
gehört zu mir“, erklang Jacks Stimme hinter ihnen, und sowohl Ianto als auch
der Kellner, der ihm den Weg versperrte, drehten sich überrascht um. „Gibt es
ein Problem, Tonio?“ Er wandte sich dem jungen Waliser zu. „Hallo, Ianto. Ich
habe schon befürchtet du hast es dir anders überlegt und mich doch noch versetzt.“
„Ich
musste länger arbeiten und habe den ersten Bus verpasst. Ich bin direkt von der
Arbeit her gekommen, weil meine Wohnung zu weit weg ist. Mein Handy ist tot, ich
meine, die Karte ist leer, es funktioniert schon noch, aber deshalb konnte ich
nicht anrufen und Bescheid sagen.“ Er holte tief Luft. „Ich bin das letzte
Stück gerannt.“
Der
Blick des Kellners glitt verständnislos zwischen Jack und Ianto hin und her,
als könne er die beiden Bilder nicht in Übereinstimmung bringen. „Captain
Harkness“, setzte er an... und verstummte dann, da ihm offensichtlich nichts
einfiel – und er konnte wohl kaum einen Gast fragen, ob er ernst meinte, mit
diesem abgerissenen, ungehobelten Bengel verabredet zu sein. „Da gibt es
offenbar ein Missverständnis?“
Jack
lächelte, doch er sah Ianto dabei an. „Schon gut. Ich denke, meine Pläne haben
sich gerade geändert. Wieso essen wir nicht woanders?“ Ihm entging nicht die
Erleichterung in den Augen des jungen Walisers. „Bitte holen Sie mir meinen
Mantel.“
„Sir,
wie gesagt, es war ein Missverständnis. Natürlich kann der… junge Gentleman… wenn
er als Ihr Gast hier ist...“, kam es stockend von Tonio.
„Nein,
wir gehen. Es gibt sicher jemand, eine freigewordene Reservierung zu schätzen
weiß.“ Ein kühler Blick traf den verlegen drein sehenden Kellner.
„Wie
Sie wünschen, Captain.“ Mit einer kleinen Verbeugung verschwand Tonio nach
drinnen.
Ianto
stopfte die Hände in die Taschen seiner Kapuzenjacke und zog die Schultern
hoch. „Es tut mir leid, wenn ich Schwierigkeiten mache“, sagte er und sah dem
Kellner nach, der davon eilte. „Das ist sicher ein… nettes Restaurant.“
„Nett,
ja“, entgegnete Jack leichthin. „Es ist natürlich schwer, eine Reservierung zu
bekommen, wenn man kein Stammgast ist oder entsprechende Kontakte hat. Es ist
sehr angesagt. Teuer. Macht immer einen guten Eindruck, ein erstes Date hierher
zu bringen“, setzte er mit einem Zwinkern hinzu.
„Ja?“
Der Junge klang verunsichert.
Jack konnte
förmlich sehen, wie er sich selbst als einer von vielen vorstellte, die neben
Captain Harkness in das schicke Restaurant marschierten.
Vorbei
an Tonio, dem schnippischen Kellner und dem Mâitre d’
mit dem kostspieligen Anzug und dem verächtlichen Blick.
Wieso
hatte er das gesagt? „Aber um ehrlich zu sein, das Essen ist nicht so toll“,
fuhr Jack fort. „Und der ganze Kitsch... Als ich finde, es wird absolut
überbewertet.“
Ein
zögerliches Lächeln zeigte sich auf Iantos Gesicht, als der Kellner eifrig mit
Jacks Mantel zurückkam. Der Captain drückte ihm einen Schein in die Hand und
griff dann nach Iantos Arm, um ihn vom Restaurant weg in Richtung Parkplatz zu
führen.
„Und
sie bieten nicht einmal Park-Service an“, setzte er in einem übertriebenen
Flüsterton hinzu. „Also, wohin gehen wir? Ich habe wirklich Hunger. Irgendwelche
Empfehlungen?“
Ianto
ließ sich in den weichen Ledersitz des Sportwagens sinken. „Ich denke, ich
kenne genau den richtigen Ort. Wie gerne mögen Sie richtiges, italienisches
Essen?“, fragte er mit einem Lächeln.
---
Der
schwarz-weiße Linoleumfußboden war von vielen Schuhen abgelaufen und die
billigen Blumen auf den Tischen aus Plastik. Die Tischdecken hatten immerhin
Bügelfalten - und zeigten schattengleiche Spuren früherer Mahlzeiten wie eine
bebilderte Menükarte. Doch das schien niemand zu stören. Es waren nur ein paar wenige
Tische leer, überall lachten Leute, aßen und unterhielten sich lebhaft. Trotz
der späten Stunde spielten ein paar Kinder zwischen den Stühlen Verstecken oder
vielleicht auch Fangen. Und offenbar benötigte man hier auch keine Reservierung
oder musste darauf warten, einen Platz zugewiesen zu bekommen. Ianto steuerte
einfach einen freien Zweiertisch im hinteren Teil des Raumes an, weit genug weg
von einem langen, vollbesetzten Tisch, an dem offenbar eine ausgelassene und unüberhörbar
lautstarke Familienfeier abgehalten wurde.
Sie
hatten kaum auf den nicht zusammenpassenden Stühlen Platz genommen, als eine
junge Frau, eher noch ein Mädchen (Sie sah aus, als sollte sie um diese Zeit im
Bett sein, damit sie am nächsten Tag in der Schule nicht einschlief.) laminierte
Menükarten vor sie legte und unaufgefordert zwei Wassergläser aus einem Krug mit
Eiswasser füllte, bevor sie weiter eilte.
„Du
warst schon einmal hier, nehme ich an?“, fragte Jack amüsiert und sah zu, wie
am Tisch schräg gegenüber ein etwa siebenjähriger Junge
hingebungsvoll seiner kleinen Schwester Tomatensoße ins Haar schmierte.
„Ein-
oder zweimal“, meinte Ianto. Er macht sich nicht die Mühe ins Menü zu sehen. „Es
ist nicht teuer, das Essen ist gut und sie geizen nicht bei den Portionen. Ich
habe mal hier gejobbt - nicht im Restaurant, sondern bei der Firma, die das
Nebenhaus gestrichen hat. Und Mrs. Bertoni - ihr gehört das Lokal - hat allen
Handwerkern Rabatt gegeben. Daher kenne ich es.“
Jack
sah ihn an. „So... heißt das, du kannst gut mit einem Pinsel umgehen?“, feixte
er.
Ianto
rollte mit den Augen und nippte an seinem Wasserglas. „Ja, ich kann mit einem
Pinsel umgehen“, entgegnete er trocken. „Genau wie mit einem Farbroller.“
„Uh,
das klingt interessant. Ich komme bestimmt darauf zurück.“
„Davon
bin ich überzeugt.“
Das
Mädchen - Jack entdeckte ein Namensschild an ihrer Bluse auf dem "Klara"
stand und Tomatensoßenspritzer an ihrer Schürze - kam um ihre Bestellung
aufzunehmen. Ianto bestellte Lasagne und eine Cola, als er ihr das Menü zurück reichte
und Jack schloss sich ihm an, blieb jedoch bei Wasser.
Jack
hatte kaum Gelegenheit, Ianto nach seinem neuen Job - das Ausräumen eines alten
Lagerhauses, was sein schmuddeliges Aussehen erklärte - genauer zu befragen,
als Klara auch schon mit ihrem Essen ankam. Ianto hatte nicht übertrieben.
Große Teller dampfender Lasagne wurden vor sie gestellt und wenn sie nur halb
so gut schmeckte wie roch, war es absolut kein Verlust, das andere Restaurant
verlassen zu haben.
---
Nach
dem Essen fuhr Jack ihn nach Hause – und begleitete ihn trotz seines Protests
die paar Schritte bis zum Eingang.
„Nicht
schlecht für ein erstes Date, oder?“, fragte Jack.
„Du
hast mir keinen Kaffee über den Kopf geschüttet - ich konnte ihn tatsächlich trinken.“ Über die
unaufgefordert und glühend heiß servierten Espressi hatte Ianto es endlich
aufgegeben, den älteren Mann zu siezen.
„Ja...
vermutlich nicht meine beste Idee, deine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Ich musste
improvisieren.“ Jack zuckte mit den Schultern.
„Dann
hoffe ich wirklich, du hattest nur einen schlechten Tag - ansonsten fürchte
ich, Improvisation gehört nicht zu deinen Talenten.“
Jack
beugte sich vor, bis seine Lippen die von Ianto fast streiften. „Warum gehen
wir nicht rein und du findest selbst heraus, wo meine wahren Talente liegen.“
Bedauern
zeigte sich in Iantos Gesicht, dann schüttelte er den Kopf, wich ein wenig
zurück. „Nein.“
„Ich
dachte, wir verstehen uns gerade so gut.“ Jack ließ seine Finger an Iantos Arm
entlang wandern, vom Handgelenk zur Ellenbeuge und zurück.
„Nein
wie in: Nicht hier. Nicht jetzt. Es geht nicht bei mir. Nicht heute.“
„Oh… okay.“
Jack warf einen Blick auf das Gebäude. „Du hast nie erwähnt, dass du mit jemand
zusammenlebst.“ Nun, es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn jemand wie Ianto
keinen Freund oder keine Freundin hätte. Schade. So verführerisch der junge
Waliser auch war, Jack vermied es seit langem, in bestehende Beziehungen zu
geraten. Solange alle Parteien informiert und einverstanden waren, kein
Problem. Anderenfalls gab es genug Singles in Cardiff, um sein Vergnügen
anderweitig zu finden.
Ianto
sah weg. „Ich denke unter dem Fußboden lebt eine Rattengroßfamilie und hinter
der Wandverkleidung tummelt sich vermutlich mehr Ungeziefer als London
Einwohner hat. Aber ich bin der einzige menschliche Bewohner meines Zimmers.“
„Worin
liegt dann das Problem? Ich habe keine Angst vor Ratten.“ Jacks Finger machten
sich wieder selbstständig, strichen über Iantos Schulter zum Ausschnitt seines
T-Shirts, das aus der offenen Jacke hervor sah. Er konnte das stark
hervortretende Schlüsselbein des Jungen durch den dünnen Stoff fühlen.
Vielleicht hätte er ihm eine zweite Portion Dessert füttern sollen. Kein
Wunder, dass er ständig hungrig war, da waren keine Reserven, von denen er
zehren konnte.
„Es ist
ein dunkles Loch mit einer Matratze auf dem Boden, der Toilette auf dem Gang
und einem Waschbecken, das auch als Dusche dient - ich bezweifle, dass es dir
dort gefällt“, sagte Ianto fast ärgerlich.
„Warum
nimmst du mich nicht mit und wir sehen, ob es mir vielleicht doch gefällt? Hey,
du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich habe schon an Orten
übernachtete, an denen Ratten und Ungeziefer als die Luxusvariante angesehen
worden wären. Und überhaupt... was interessiert mich, wie der Raum aussieht,
wenn ich dich zum Ansehen habe?“
Blaugraue
Augen musterten ihn ernst unter der Kapuze, erstaunlich abgeklärt für jemand
der noch so jung war. Jack streckte die Hand aus, rieb mit dem Daumen einen
Schmutzfleck von der Wange des Jungen.
Ianto
lächelte - und packte Jack am Nacken, um ihn nach vorne zu ziehen und ohne
Zögern zu küssen.
Da war
keine Schüchternheit, keine Zurückhaltung in seiner Berührung. Ianto Jones
wusste offenbar was er wollte und scheute sich nicht, es sich zu nehmen. Der
junge Waliser übernahm die Kontrolle über den Kuss, dominierte ihn und Jack fand,
dass er absolut kein Problem damit hatte. Doch bevor die Dinge weiter gedeihen
konnten, nahm Ianto den Kopf zurück. „Es bleibt trotzdem bei Nein.“
„Warum
gehen wir dann nicht zu mir?“, schlug Jack vor, er legte beide Hände auf Iantos
Schultern, spürte Muskeln, aber auch zu vielen Knochen. Er konnte deutlich
unter seinen Fingern die Schulterblätter ausmachen, selbst durch mehrere Lagen
Stoff. „Hey, es wird dir gefallen. Ich wohne in einem Hotel.“
„In einem
Hotel?“, wiederholte der Jüngere skeptisch. „Warum nicht in einer Wohnung oder
einem Haus?“
Jack
beantwortete gerne ein paar Fragen, wenn er im Gegenzug so noch ein wenig Zeit
mit dem jungen Waliser verbringen konnte. „Es ist praktisch. Ich muss nicht
sauber machen, nicht einkaufen, es gibt 24 Stunden lang Zimmerservice falls ich
Hunger habe und Kabelfernsehen, eine Reinigung...“
Und es
ist vor allem nicht permanent, dachte Ianto. Luxuriöser als seine eigene
Wohnsituation, aber im Prinzip nicht so verschieden. Abgesehen natürlich von
dem eklatanten Mangel an Zimmerservice, Kabelfernsehen und Reinigungsservice in
seiner Unterkunft… Man wohnte nur für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten
Ort, bevor man zum nächsten weiterzog. Ohne Bindungen. Ohne Wurzeln. „Aber ist
das nicht sehr teuer?“
„Oh,
nicht wenn man die Räume kauft“, entgegnete der Amerikaner schulterzuckend.
„Räume...“,
wiederholte Ianto langsam. „…wie in mehr als - ein - Zimmer?“
„Yep. Mir gehört eine Suite. Die Penthouse-Suite, die ist
eigentlich wie eine gewöhnliche Wohnung. Abgesehen davon natürlich, dass sie
auf dem Dach eines Hotels sitzt.“ Er sagte das, als wäre es nichts
Ungewöhnliches.
Ianto
musterte ihn von der Seite, wie um sicher zu sein, dass Jack nicht scherzte. „Penthouse-Suite?
Von welcher Art Hotel reden wir?“
„Kennst
du das St. Davids? Ziemlich großer Kasten, in der Bucht, direkt am Wasser.“
„Ja-ah“,
entgegnete Ianto gedehnt und gab sich große Mühe, nicht zu beeindruckt zu
klingen. „So kann man ein Fünf-Sterne-Luxushotel auch nennen: Ziemlich großer
Kasten.“
Jack
zuckte mit den Schultern. „Ich habe es von da nicht weit zur Arbeit“, meinte er
nur und hielt einladend die Wagentür auf.
„Ich
muss morgen wirklich sehr früh aufstehen, Jack.“ Ianto lehnte sich gegen das
rostige Treppengeländer und seufzte. „Ich habe den ganzen Tag Kisten durch
versiffte Lagerhallen geschleppt, ich rieche als wäre etwas unter meine Jacke
gekrochen und dort gestorben und ich trage vermutlich mein halbes Körpergewicht
in Staub mit mir herum. Es hat einen Grund, warum sie mich nicht in das schicke
Restaurant gelassen haben.“ Er seufzte. „Und um ehrlich zu sein, ich kann mir
beim besten Willen nicht vorstellen, warum du mich überhaupt dorthin eingeladen
hast. Es ist nicht notwendig mich zu beeindrucken. Es ist dir wohl kaum
entgangen, dass ich mit dir schlafen will, egal ob wir bei Bertoni's oder an
einer Imbissbude essen. Nicht, weil du Geld hast. Sondern weil ich noch nie
einen so attraktiven Mann getroffen habe, der sich für mich interessierte. Ich
bin nicht blind und schon gar nicht aus Stein.“
„So war
das nicht gemeint.“ Jack schloss die Tür wieder. „Okay, vielleicht wollte ich
dich mit dem Restaurant beeindrucken. Aber Ianto, weißt du was - du hast mich
beeindruckt, gerade weil es für dich keine Rolle spielt.“ Er trat zu dem jungen
Mann, stemmte die Hände links und rechts von ihm auf das Geländer. „Und ich
hoffe, es bedeutet, dass es nicht unser letztes Date war.“
„Nun…“
Ianto streckte die Hand aus, legte sie flach auf Jacks Brust. „Ich habe nichts
gegen ein zweites Date. Und ein drittes. Obwohl ich nie ein Anhänger der
drei-Dates-vor-dem-Sex-Regel war.“
Jack
lachte. „Wieso schließen wir nicht einen Kompromiss? Wir machen für morgen
Mittag ein Lunch-Date und ein Abendessen-Film-sehen-wir-was-weiter-passiert-Date
für morgen Abend aus. Damit ist der Tradition Genüge getan.“
Der
Waliser schüttelte den Kopf. „Ich kann morgen nicht. Meine Mittagspause ist zu
kurz und abends bin ich schon verabredet.“
„Und
ich muss das ganze Wochenende arbeiten, da kann ich nicht“, erwiderte Jack
enttäuscht.
„Ich
rufe dich an.“ Ianto packte Jacks Kopf mit beiden Händen, küsste ihn noch
einmal hungrig. Dann schlüpfte er an ihm vorbei und verschwand ins Haus. „Nos
da, Jack Harkness.“
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Die Dusche rauschte immer noch, also plünderte Ianto die obligatorische
Minibar (in einem Schränkchen im Wohnzimmer versteckt), holte sich einen
Schokoriegel, eine Tüte Nüsse und noch einen Softdrink, um es sich damit auf
dem Bett bequem zu machen und seinen ersten Hunger zu stillen. Er hatte seine anfängliche
Scheu, die kostspieligen Kleinigkeiten zu essen, überwunden. Vermutlich bekam
Jack Rabatt. Und noch musste er sich keine Sorgen um sein Gewicht machen.
Er fand die Fernbedienung in einer Schublade und schaltete den
Fernseher ein. Als er in den Schokoriegel biss, begannen gerade die lokalen Spät-Nachrichten.
Die erste Meldung betraf die erfolgreiche Aufklärung von drei Morden. Sie
schalteten um zu einer Pressekonferenz, bei der eine Polizistin – auf der
Titelleiste darunter stand ihr Name und Rang: Detective
Kathy Swanson - Fragen beantwortete. Ianto fragte sich, ob Jack sie kannte...
er war sich bereits ziemlich sicher, dass dies die Morde waren, über die Jack
gesprochen hatte. Die, die seine Kollegin begangen hatte. Suzie Costello, die er ein paar Mal von Weitem gesehen hatte, als sie Jack abholte. Doch es fiel
kein Wort über Torchwood. Die Polizei sprach von einem anonymen Tipp, der zur
Aufklärung geführt hatte, gab aber zu diesem Zeitpunkt noch keine weiteren
Details preis.
Er zappte weiter, als er hörte, wie die Dusche abgestellt wurde
und fand eine Dokumentation über einen Nationalpark in Afrika. Elefanten zogen
vor einem orangefarbenen Sonnenuntergang über die Steppe. Es war zuckersüß und kitschig
genug, dass ihm der Appetit auf die Schokolade verging, aber immer noch besser
als über die Morde – oder darüber, was Jack ihm wohl alles nicht erzählt hatte
- nachzudenken.
Ein paar Minuten später kam Jack zurück ins Zimmer, nackt bis auf
das Handtuch, mit dem er seine Haare trocken rubbelte.
Ianto konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als Jack das Handtuch
einfach in Richtung eines Stuhles warf und versuchte, seine zerzausten Haare
ohne die üblichen hilfreichen Mengen an Gel zu einer Frisur zu zwingen.
„Was?“, fragte er, die Augen zu Schlitzen verengt, als er Iantos
Amüsement bemerkte.
„Nichts. Ich dachte nur eben, dass du mehr Wirbel um deine Haare
machst als jede Frau, die ich je kennengelernt habe.“ Ianto schaltete den
Fernseher ab, leerte seine Getränkedose, stellte sie auf den Boden neben die
halbleere Tüte mit den Nüssen und rollte sich auf den Bauch, die Ellbogen aufgestützt,
so dass er das Kinn in die Handflächen legen konnte.
„Ich will nur gut aussehen.“ Jack musterte seine Reflektion im
Flachbildschirm.
„Du siehst immer gut aus“, beschied Ianto ruhig, mit den Beinen baumelnd.
„Und du musst dich dazu bestimmt nicht anstrengen.“
„Mister Jones, war das etwa ein Kompliment?“ Jack glitt neben ihn
aufs Bett, rollte zu ihm und drehte seinen Kopf herum, damit er ihn küssen
konnte. „Schokolade, mm-hm. Hast du ohne mich mit dem Dessert angefangen?“ Er hob
die Hand und wuschelte durch Iantos Haare. „So. Jetzt sehen wir beide aus, als
hätten wir gerade heißen Sex hinter uns.“
Ianto versuchte seine Haare wieder zu plätten. „Ich bin noch
angezogen.“
„Das ist kein Hinderungsgrund, glaub mir.“ Jack drehte sich auf
den Rücken, um zu ihm hoch zu blicken. Mit den Fingerspitzen zog er eine Linie
entlang der Seite von Iantos Gesicht, von der Schläfe bis zum Kinn, bevor er
den Arm um seinen Nacken schlang und ihn zu sich her zog, um ihn zu küssen.
Ruhig, ohne Eile, ohne Dringlichkeit.
Erst das Klopfen des Zimmerservice mit ihrem Abendessen unterbrach
sie. Ianto griff nach der Tagesdecke und warf sie über Jack, während er ging
und die Tür öffnete.
Amüsiert grinsend beobachtete Jack vom Bett aus durch die offene
Tür, wie Ianto den Zimmerkellner kurz abfertigte und den Wagen selbst ins
Schlafzimmer rollte. „Könnte es sein, dass du heute ein bisschen
besitzergreifend bist?“, fragte er, als der junge Waliser unter die
Warmhalteglocken spähte. „Die Zimmerkellner hier haben mich schon mehr als einmal
nackt gesehen.“
„Das mag sein. Aber sie bekommen dich nicht nackt zu sehen, wenn ich auch hier bin“, beschied Ianto und begann Essen
auf einen Teller zu häufen. „Ich teile dich schon mit deiner Arbeit und deinem
Team, beim Hotelpersonal hört der Spaß einfach auf.“
Jack war sich sicher, dass er wie ein Idiot grinste und zog die
Decke über den Kopf. Er liebte es, wenn der junge Waliser sich dominant gab. Er
schloss die Augen.
Wenn er es nicht besser wüsste, dann müsste er denken, dass er auf
dem besten Weg war, sich in Ianto Jones zu verlieben...
Und das war eine schlechte Idee. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht so
lange er keine Antworten hatte. Nicht, wenn jeden Tag der Doctor auftauchen
konnte und ihn von hier weg holte, zurück in seine eigene Zeit, wohin er
gehörte, weg von diesem primitiven Jahrtausend mit seinen altmodischen
Vorstellungen und Vorschriften. Es wäre nicht fair Ianto gegenüber, dem jungem
Waliser Hoffnungen darauf zu machen, dass ihre Beziehung irgendwohin führte,
eine Zukunft hatte.
Ianto hatte jetzt einen Job, eine Wohnung, war nicht mehr der
halbverhungerte Herumtreiber ohne jegliche Bindung. Er würde bestimmt blendend
ohne ihn zurechtkommen, wenn Jack ging. Sie waren sich von Anfang an einig
gewesen, dass keiner von ihnen bereit war, eine tiefe emotionale Beziehung
einzugehen. Irgendwann musste er mit Ianto sprechen, ihn darauf vorbereiten,
dass er eines Tages in ein leeres Penthouse kommen könnte. Ob es dem jungen
Waliser gefallen würde, hier zu wohnen? Strenggenommen fiel die Suite vermutlich
mit all seinen anderen Besitztümern – abgesehen der Funds für Alice und Steven
- an Torchwood, wenn er den Planet verließ…
Wohin sollte er gehen, wenn er die Erde hinter sich lassen konnte?
Wieder als Companion des Doctors mit dem Time Lord reisen? Es fiel ihm schwer,
sich das vorzustellen. Was würde er tun? Nach über einhundert Jahren in
Torchwoods Brot und Gnaden, war er endlich auf dem Weg, das was von Torchwood
übriggeblieben war, unter seiner Leitung zu etwas zu machen, auf das der Doctor
stolz sein konnte. Torchwoods Hauptziel war nicht mehr länger, den Doctor und
die Tardis zu vernichten, sondern die Erde zu schützen. Aber war das wirklich
alles, was er jetzt war? Er hatte sich an diesen Planeten gewöhnt, doch…
„Willst du nicht zum Essen aufstehen?“, kam Iantos Stimme leicht
gedämpft, gefiltert durch die Decke. Sie wurde von seinem Gesicht gehoben und
er blinzelte zu dem jungen Waliser hoch. Jack rollte sich auf den Bauch zurück
und schob diese Gedanken weit weg. Noch war er hier. „Nope“,
sagte er. „Wir können doch auch im Bett essen.“ Er klopfte auf die freie
Matratze neben ihm.
Ianto blieb wo er war, als könne er sich nicht zwischen zwei
Versuchungen entscheiden. „Ich habe Pasta als Vorspeise geordert“, sagte er,
Skepsis deutlich in seiner Stimme erkennbar. „Und hinterher Steaks. Das lässt
sich alles nicht so gut im Bett essen.“
„Was ist mit dem Nachtisch?“ Jack stützte sich auf die Ellbogen
auf. Er hatte nicht geglaubt, dass er nach den Ereignissen des Abends auf
irgendetwas Appetit haben würde – auf die Bestellung beim Zimmerservice hatte
er mehr Iantos wegen gedrängt – aber nun regte sich doch sein Hunger.
Ianto hob eine weitere der silbernen Hauben hoch. „Brownies. Um diese Uhrzeit ist die Auswahl nicht mehr so
groß.“
„Wie wäre es mit einem Kompromiss?“ Jack verließ das Bett. „Du
wirst den Rest deiner Klamotten los und wir setzen uns zum Essen an den Tisch.
Den Nachtisch gibt’s aber im Bett.“ Er grinste. „Ich lasse dich auch später
über die Krümel auf den Laken nörgeln – vorausgesetzt, du hast noch genug
Energie dazu.“
„Ich nörgle nicht“, entgegnete Ianto indigniert. „Ich habe nur
darauf hingewiesen, dass mich etwas piekte.“
„Weißt du, du hattest weniger gegen Krümel als wir uns kennen
gelernt haben.“ Jack fischte eine Nudel von dem Teller, den Ianto bereits
gefüllt hatte und wollte sie sich in den Mund werfen. Aber er stoppte auf
halben Weg und bot sie stattdessen dem jungen Waliser an.
Ianto schnitt eine Grimasse, öffnete jedoch dann brav den Mund.
„Als wir uns kennen lernten, wohnte ich in einer Bruchbude und trug Kleidung,
die diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdient. Ich war immer hungrig – da
gab es überhaupt keine Krümel, die mich hätten stören können.“
„Und jetzt?“ Jacks Augen verengten sich, als Ianto Sauce von seinen
Fingerspitzen leckte.
„Jetzt bin ich immer noch ständig hungrig – aber nicht mehr auf
Essen.“ Ianto zog sich das Hemd über den Kopf und dirigierte Jack zurück zum
Bett. Wozu hatte diese Supersuite schließlich auch eine Mikrowelle…
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Die Waschmaschine
rumpelte im Hintergrund, ein fast hypnotisches Geräusch. Durch das gekippte
Küchenfenster waren die Stimmen spielender Kinder zu hören und im Wohnzimmer lachte
David über den Cartoon, den er sich ansehen durfte, während seine kleine
Schwester ihren Mittagsschlaf hielt. Wegen einer Lehrerkonferenz hatte er schulfrei.
Rhiannon
schüttelte den Kopf, als sie mit einem leeren Wäschekorb in die Küche zurück kam. „Ich schwöre, wenn ich so viel essen würde wie
du, müsste ich mich seitlich durch die Tür rollen, um das Haus zu verlassen.“ Sie
stellte den Korb ab und wandte sich lächelnd ihrem jüngeren Bruder zu. „Lass
dich von mir nicht beirren. Willst du noch Nachschlag?“ Als Ianto zögerte,
setzte sie hinzu: „Es ist okay, Johnny kommt erst heute Abend nach Hause und
ich mache ihm dann sein Essen.“ Sie lachte als Ianto wortlos seinen Teller auffordernd
hochhielt und füllte ihn mit mehr Kartoffelbrei und Würstchen.
Bangers-and-Mash war ein Gericht, dass ihre Mutter immer
dann servierte, wenn etwas anstand – ob es sich nun um eine erfreuliche oder
unangenehme Angelegenheit handelte. Es konnte ebenso gut eine schlechte Note
(ausschließlich ihre, Iantos perfekter Notenspiegel hatte regelmäßig zu
Streitereien und Rivalität zwischen den Geschwistern geführt, trotz des Alters-
und Klassenunterschieds) wie ein aufgeschrammtes Knie (Ianto kam oft mit
Schrammen nach Hause – und sie verstand erst viele Jahre später, dass er nicht
einfach ungeschickt war und oft hinfiel, sondern dass er von seinen Mitschülern
schikaniert wurde) sein – oder die Ankündigung, dass Tante Ceilia
zu Besuch kam. (Das war eine gute Nachricht, die Schwester ihres Vaters war
unverheiratet und hatte keine eigenen Kinder, was bedeutete, sie verwöhnte ihre
Nichte und ihren Neffen hemmungslos.) Als sie heute Morgen die Textnachricht
las, die ihr Ianto spätnachts noch geschickt hatte, ging sie direkt zum
Kühlschrank, holte die Würstchen aus dem Gefrierfach, steckte sie zum Auftauen
in die Mikrowelle und setzte einen Topf für die Kartoffeln auf.
Rhi warf
einen Blick auf die Waschmaschine, die noch nicht fertig war und setzte sich
ihrem Bruder gegenüber an den Küchentisch. Der Teller mit den Gemüsesticks und
dem Spinatdip – ihre Freundin Laura schwor darauf und sie waren ja beide auf
dieser Low-Carb-Diät – hatte Ianto (typisch Mann) nicht
angerührt, es blieb ihr also nichts anderes übrig, als es selbst zu essen.
Sie
knabberte an einem Karottenstreifen, der wie trockene Rinde schmeckte. „Soooo. Wie war denn nun dein Date?“, fragte sie
schließlich, nicht nur um sich davon abzulenken wie Ianto auf beneidenswerte
Weise fettige Würstchen, butterreichen Kartoffelbrei und frittierte
Zwiebelringe in sich hinein stopfte, ohne sich über die Kalorien jedes
einzelnen Bissens Sorgen zu machen. Andererseits tat es wirklich gut, ihn so
mit Genuss essen zu sehen. Stress und Kummer brachten ihn dazu, das Essen
tagelang zu vernachlässigen. Er hatte es einmal so beschrieben, dass er nicht essen
konnte, weil es sich anfühlte als würden Ratten an seinem Magen knabbern. Mit
dreizehn, nach dem Tod ihrer Mutter, hatte eine Lehrerin ihren Vater angerufen,
weil sie sich Sorgen machte, Ianto wäre vielleicht magersüchtig.
Ianto
schien plötzlich sehr daran interessiert gründlich zu kauen – so konnte er
wirklich nicht antworten, schließlich war es unhöflich mit vollem Mund zu
sprechen – und zog mit seiner Gabel Linien durch den Kartoffelbrei. „Es war ein
Abendessen“, sagte er nach einer Weile. Das war nicht gelogen. Er und Jack
hatten ja tatsächlich zu Abend gegessen. Gut, möglicherweise war das Wort…
Date… irgendwann auch gefallen.
„Bei
Bertoni’s?“, fragte sie weiter.
„Ja.“
Ianto baute einen kleinen Berg aus seinem Kartoffelbrei und begrub einen
Zwiebelring unter einem Erdrutsch.
„Uh-hm.
Ein romantisches Abendessen beim Italiener.“ Rhi biss tapfer in ein Stück
Sellerie. Selbst mit Dip schmeckte es noch immer wie ein Stück Styropor.
„Es war
nicht wie bei Susi und Strolch“, murrte er und spießte ein Stück Wurst auf. Mica
hatte den Disneyfilm bei seinem letzten Besuch gerade von einer Freundin
ausgeliehen und zwang ihn mehr oder weniger, ihn sich mit ihr anzusehen, indem
sie auf seinen Schoß kletterte und sich weigerte, ihn wieder los zu lassen.
Rhi
grinste. „Wie, keine Spaghetti?“ Sie zuckte mit den Schultern, als er ihr einen
Ich-bin-nicht-amüsiert-Blick zuwarf. „Aber ihr habt an einem Tisch gesessen,
oder?“
„Nein,
wir haben auf dem Boden gesessen“, erwiderte Ianto sarkastisch und fand ein
Klümpchen in seinem Kartoffelbrei, das seine volle Aufmerksamkeit erforderte. „Stühle
sind out, hast du das noch nicht gehört? Bertoni’s ist das nächste große
Trend-Restaurant in Cardiff und bald braucht man dort sogar Reservierungen.“
„Und
ihr habt zusammen gegessen“, fuhr Rhi ungerührt fort, seine Antwort ignorierend.
„Ja,
zur gleichen Zeit, falls du das meinst. Ein revolutionäres Konzept, dass zwei
Leute zur gleichen Zeit essen, wenn sie an einem Tisch sitzen.“ Er schluckte
die letzte Gabel voll Kartoffelbrei hinunter und wischte den Teller mit einem
Stück Brot sauber. „Es gab Lasagne. Brotsticks. Und hinterher diese kleinen,
süßen Schokodinger, die in Vanillesauce schwimmen. Und Kaffee. Können wir das
Verhör damit beenden?“
„Und hat
ihr euch beim Essen unterhalten?“ So leicht kam er ihr nicht davon. Rhi hatte
fest vor, jedes einzelnes Detail aus ihm heraus zu kitzeln und wenn sie den
ganzen Tag hier verbrachten.
Gedankenverloren
steckte Ianto einen Paprikastreifen in den Mund und verzog das Gesicht. „Er hat
mich keinem Verhör unterzogen. Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten, die ich
kenne.“
„Sieh
an, du bist ja plötzlich doch ein sprudelnder Quell‘ an Information“, spottete
Rhi. „Dann war es also eine gute Unterhaltung?“
Ianto
sah sie an. Das war jetzt seine Strafe dafür, dass er Jack angelogen hatte. Er
hatte für heute keinen Job, erst am kommenden Montag wieder. Und die einzige
Verabredung war die mit seiner Schwester, die nötig geworden war da er keine
saubere Kleidung mehr hatte. Das nächste Mal sparte er sich wieder Kleingeld
für den Waschsalon auf. „Eine sehr gute Unterhaltung“, gestand er ein.
„Hat er
dich nach dem Essen auch nach Hause gebracht?“ Rhi beugte sich gespannt vor.
„Es
fährt kein Bus von dort in meine Richtung.“
„Und
hat er dir vor der Tür einen Gute-Nacht-Kuss gegeben?“
Ianto
antwortete nicht darauf, aber seine Ohren nahmen eine interessante Röte an.
„Ist er
ein guter Küsser?“
Iantos
Wangen passten sich farbtechnisch seinen Ohren an.
Rhiannon
lachte. „So gut, also. Klingt für mich als wäre es ein Date gewesen.“ Ihr
Amüsement verflog, als ihr kleiner Bruder nur düster auf seinen leeren Teller
starrte und mit der Fingerspitze ein paar Krümel auftippte. „Was ist los,
Ianto? Ich dachte, du magst diesen Jack?“ Sie wusste, dass ihr kleiner Bruder
inzwischen ein erwachsener Mann war, der wesentlich mehr Erfahrungen mit Dating
hatte, als sie selbst und kein naiver Teenager, der sich zum ersten Mal
verliebt hatte. Es hinderte sie nicht daran, sich trotzdem Sorgen um ihn zu
machen. Zumal es seit langer Zeit das erste Mal war, dass er in seinen Anrufen
wieder erzählte, dass er jemand kennen gelernt hatte. Es musste etwas ernsteres
sein. „Du klangst zumindest richtig aufgeregt, als du über ihn gesprochen
hast.“
Eine
Weile füllte nur das Rauschen der Waschmaschine und die Cartoon-Geräusche aus
dem Wohnzimmer das Schweigen zwischen ihnen.
„Ich
bin mir einfach nicht sicher, wieso ein Mann wie er – reich, sexy, mysteriös –
mich interessant findet. Das klingt nach dem Plot eines seichten Liebesfilms.
Oder eines Pornos.“ Ianto hob die Schultern. „Und glaub mir, er muss sich nicht
so anstrengen und so viel Interesse heucheln, um an Sex zu kommen. Es reicht
wenn er dich ansieht und lächelt.“
„Hey, das
klingt ja, als hätte es dich dieses Mal so richtig erwischt.“ Rhi griff über
den Tisch und drückte seine Hand. „Und mach dich nicht so runter. Du bist
intelligent, du siehst gut aus… wenn du nicht mein Bruder wärst, würde ich sogar
sagen…“
„Stopp,
Rhi. Bevor es noch peinlicher für uns beide wird.“ Ianto lächelte, um seinen
Worten den Stachel zu nehmen. Er zog sein Handy aus der Jackentasche und rief
ein Foto auf, das er an der Waschanlage heimlich von Jack aufgenommen hatte.
Dann schob er seiner Schwester das Handy zu und stand auf, um seine Sachen aus
der Waschmaschine zu holen und in den Trockner zu packen.
„Du
hast definitiv nicht untertrieben, was sein Aussehen betrifft“, meinte Rhi
vorsichtig. „Aber du hast vergessen zu erwähnen, dass er so viel älter ist als
du.“
„Ich
weiß nicht, wie alt er ist.“ Ianto schloss den Trockner.
„Wenn
ich raten müsste, würde ich sagen, er ist etwa so alt wie ich – oder sogar ein
bisschen älter.“
Ianto
rollte mit den Augen. „Du lässt das klingen als wärst du uralt“, scherzte er;
die zehn Jahre Altersunterschied zwischen den Geschwistern führten während
ihrer Kindheit stets zu Spannungen. Und seit Rhi eigene Kinder hatte,
behandelte sie ihn oft genug eher mütterlich, denn schwesterlich. Dass sie sich
daran störte, dass er sich für einen älteren Mann interessierte, war typisch
dafür.
Rhi sah
sich noch immer das Foto an. „Schicker Wagen. Aber nicht gerade neu. Welchen
Beruf hat er?“
Er
beschloss sie nicht wegen ihrer Einschätzung des Autos zu korrigieren. „Keine
Ahnung. Irgendwas mit der Regierung, wenn ich raten sollte. Tourismusbranche –
im weiteren Sinn – ist wie er es formuliert hat.“ Ianto lehnte gegen den
Trockner und verschränkte die Arme vor der Brust. „Er scheint aber Geld zu
haben und es sitzt ziemlich locker.“ Als Rhiannon ihn erstaunt ansah, zuckte er
mit den Schultern. „Kuck nicht so, ich habe nicht damit angefangen, mich für
Sex bezahlen zu lassen. Und ich habe übrigens noch nicht mit ihm geschlafen.
Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sparen muss, wenn er im St. Davids wohnt.
In der Penthouse-Suite. Und jetzt halt dich fest: sie gehört ihm.“
„Hat er
dir das erzählt oder weißt du das?“
Er
wandte sich dem Trockner zu, der ein komisch ratterndes Geräusch von sich gab.
„Verpass
ihm einfach einen Tritt, dann geht es wieder“, riet ihm Rhi.
Ianto
folgte ihrem Rat und tatsächlich, der Trockner lief nach kurzem Stocken normal
weiter. „Ich habe heute Morgen im Hotel angerufen, an der Rezeption, und darum
gebeten, zu Captain Jack Harkness durch gestellt zu werden. Ich wusste, er
würde bei der Arbeit sein und nicht ran gehen. Die Frau sagte, ich solle einen
Moment warten, sie würde das Penthouse anrufen und sehen, ob er da ist. War er
natürlich nicht, aber außer er bezahlt jemanden im St. Davids dafür, für ihn zu
lügen, ist es zumindest die Wahrheit das er da wohnt.“
„Er ist
ein Captain?“, wiederholte Rhi. „Captain von was? Einem Schiff? Einem Flugzeug?
Oder was?“
Wieder
hob Ianto die Achseln. „Er hat etwas Militärisches an sich, aber er hat bisher nur
Andeutungen darüber gemacht.“
„Vielleicht
hast du recht. Vielleicht ist es besser, wenn du dir
nicht zu viel davon versprichst, dieses geheimnisvolle Getue, das klingt ja schon
so als ob er…“, begann Rhi, wurde jedoch von David unterbrochen, der in die
Küche kam.
„Mami,
ich hab Durst.“ David sah sich um. „Hallo, Onkel Ianto. Hast du mir etwas
mitgebracht? Ist deine Waschmaschine kaputt oder warum wäscht du deine Sachen
bei uns? Ziehst du wieder bei uns ein? Bist du pleite?“
„David!
So etwas fragt man nicht“, tadelte seine Mutter. „Hol dir aus dem Kühlschrank was
du willst und verzieh dich wieder ins Wohnzimmer so lange die Erwachsenen sich
unterhalten.“
„Aber
der Film ist schon längst zu Ende“, protestierte David, als er mit einer Limo-Dose
zurückkam und sich zu ihnen an den Tisch setzte. „Außer ich darf gehen und mit
Sean spielen…“
„Nichts
da. Du hast Hausarrest“, beschied Rhi. Sie warf Ianto einen entschuldigenden
Blick zu. „Mica wird auch bald wach, dann mache ich euch Sandwiches.“
„Kann
ich stattdessen nich‘ Cocopops
haben?“, fragte der Junge und sah dabei zu, wie sein Onkel Kleidung aus dem
Trockner nahm.
„Nein.
Die sind fürs Frühstück.“ Rhi stand auf und fuhr David über die Haare, als sie
an ihm vorbei ging. „Soll ich das schnell für dich bügeln?“, fragte sie, an
ihren Bruder gewandt und wies auf die Hemden, die er in der Regel nur zu
Vorstellungsgesprächen trug.
„Wenn
du mir dein Bügeleisen leihst, mache ich das selbst. Du kannst dich ruhig um
deine Kinder kümmern.“ Ianto musterte kritisch die Flecken auf einem T-Shirt,
die das Waschmittel nicht ganz heraus bekommen hatte.
„Du
weißt, wo es ist.“ Rhi machte Anstalten, die Küche zu verlassen – vermutlich um
nach ihrer Tochter zu sehen, stoppte aber und drehte sich wieder zu ihm um. „Ianto,
wenn du für eine Weile aus Cardiff weg und hier wohnen willst, ich bin sicher,
wir bekommen das auf die Reihe. Du kannst wieder auf der Couch schlafen.“
Ianto
schüttelte den Kopf. „Ich weiß, du meinst es gut, aber in Cardiff sind die
Chancen, dass ich einen Job finde, größer als in Newport. Und jeden Tag mit dem
Bus dorthin zu pendeln ist zu umständlich.“
Es war
ein sachlicherer Einwand, als zu sagen, dass er auf keinen Fall wieder im
Haushalt seiner Schwester leben wollte, mit zwei Kindern und einem chronisch an
Geldmangel leidenden Schwager, der ihn als zusätzliche Last ansehen würde und hinter
seinem Rücken Witze über die Schwuchtel riss. In Newport, wo ihn die halbe
Nachbarschaft als blassen, unbeholfenen Jungen mit Strafakte kannte. Nicht,
dass das hier als Makel angesehen wurde. Ein guter Teil der Jungs, mit denen er
aufgewachsen war, befand sich gerade im Gefängnis oder kamen von dort, lebten
von Sozialhilfe, Gelegenheitsjobs oder Gaunereien. In den meisten Fällen eine
mehrere Generationen lange Familientradition. Er hatte gehofft, aus diesem
Kreislauf zu entkommen, als er nach London ging, aber offensichtlich war das
für ihn nicht vorgesehen.
Rhi sah
nicht so wirklich glücklich über seine Antwort aus, akzeptierte sie aber
wortlos – vielleicht auch wegen David, der an jedem Wort hing, dass die
Erwachsenen sprachen. Er wusste, dass sie sonst noch einige Dinge über seine
Beziehung mit Jack zu sagen gewusst hätte. Sie verließ die Küche und Ianto
holte Bügelbrett und Bügeleisen aus dem Schrank im Flur, um seine Hemden zu
bügeln und damit war die Sache erledigt.
Er
verließ seine Schwester ein paar Stunden später - nachdem er mit David gespielt
und mit Mica gemalt und noch einmal mit den Kindern gegessen hatte; mit
gebügelten Hemden, genug sauberer Kleidung für zwei Wochen, einer Dose
selbstgebackener Kekse und einer Telefonkarte zum Aufladen seines Handys im
Rucksack. Er ging mit einem warmen Gefühl, aber auch mit einem nicht zu
leugnenden Empfinden von Erleichterung.
###
„Jack?“, murmelte Ianto schlaftrunken und rückte näher zu ihm. „Was
ist los?“
„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Es ist nichts. Schlaf
weiter.“ Jack legte den Arm um ihn, küsste ihn auf die Schulter. „Ich werde
Suzie vermissen“, murmelte er.
„Nnnnmh. Okay“, kam es von Ianto. Es war
offensichtlich, dass der junge Waliser mehr schlief als wach war.
Jack lächelte und rückte noch ein wenig näher an den schlafwarmen,
entspannten Körper seines jungen Liebhabers. Als er Gwen Cooper nach Hause
geschickt hatte, war er nahe daran gewesen, die Verabredung mit Ianto endgültig
abzusagen. Suzies Selbstmord, die Schuldgefühle ihr Abrutschen in den Wahnsinn
nicht bemerkt zu haben (die ihn dazu bewogen Cooper anzuheuern – sie war das
absolute Gegenteil von Suzie, sie war eine neue Chance es richtig zu machen und
vielleicht würde sie ihm zeigen, woran er bei Suzie gescheitert war) und der
Phantomschmerz des Kopfschusses und seiner Wiederbelebung lagen wie graue
Schatten auf ihn. Er würde keine gute Gesellschaft sein und er hatte ohnehin so
wenig Zeit für den jungen Waliser, dass er die paar Stunden die ihnen blieben,
nicht mit seiner depressiven Stimmung belasten wollte. Aber dann hatte er es
doch dabei belassen und rückblickend war er froh, nicht abgesagt zu haben. Auch
wenn es nicht mehr als die Besorgnis in Iantos Gesicht und seiner Stimme
benötigt hatte, damit er mit der Wahrheit – oder einer beschönigten, gekürzten
Version davon – heraus rückte.
Wenigstens hätte er sich im Hub die Haare waschen müssen, bevor er
hierher kam. Sein Team wusste von seiner „speziellen Fähigkeit“ und schenkte
dem Blut auf seinem Mantel kaum noch Aufmerksamkeit. Gwen schien noch
unentschieden, ob sie ihm glaubte, oder ob er nur einen raffinierten Trick
vorgeführt hatte und nicht wirklich von seiner Kollegin erschossen wurde. Da
traute sie Torchwood wirklich einiges zu. Er hatte es fast vergessen, bis Ianto
– sein cleverer, aufmerksamer Ianto – das Blut entdeckte und ihn fragte, ob er
verletzt war. Der Moment auch dem jungen Waliser sein Geheimnis anzuvertrauen
kam und ging ungenutzt vorüber. Es war immer zu früh und immer zu spät und nie
der richtige Zeitpunkt für dieses Gespräch.
Eine lange Dusche, Sex und das späte Abendessen hatten für eine
Weile die Kopfschmerzen vertrieben, doch nun waren sie zurück und hatten sich
zu der bleiernen Müdigkeit gesellt, die sich in ihm ausbreitete. Wieso hatte er
Gwen gegenüber eigentlich behauptet, nie zu schlafen? Er schlief. Vor allem
hier, in diesem Bett, in dem er – nachdem er im Bad eine Handvoll Aspirin mit
einem Glas Wasser geschluckt hatte – neben einem trotz der Wärme im Raum bis
zum Kinn in Decken eingemummelten Waliser lag.
„Immer noch Kopfschmerzen?“, murmelte Ianto in seinem
selbstgesponnenen Kokon und rollte sich auf die andere Seite, so dass sie nun
Gesicht zu Gesicht lagen.
„Ja. Aber das ist nichts. Schlaf weiter.“
Ianto griff mit geschlossenen Augen nach ihm, bis seine Hand auf
Jacks Schulter landete, von wo sie sich bis zu seinem Gesicht vortastete. Jack
drehte den Kopf in seine Handfläche, presste einen Kuss gegen den Handballen. Es
war entweder die Wirkung der Tabletten oder pures Placebo, doch das Hämmern in
seinen Schläfen ließ nach, als Iantos Finger leicht über seine Schläfe strichen,
der Rhythmus geradezu hypnotisch.
Ein paar Minuten später schlief Jack tief und traumlos.
###
„Eine
Penthouse-Suite in einem Luxushotel. Du machst wirklich keine halben Sachen,
was, Jack?“ Ianto musste sich große Mühe geben, sich nicht mit vor Staunen weit
aufgerissenen Augen und offenem Mund umzusehen. Er steuerte auf die
Fensterfront zu als würde er magnetisch davon angezogen. „Wahnsinn. Ich kann
die ganze Bucht von hier aus überblicken. Und es sah von draußen definitiv
nicht so hoch aus.“ Ianto lachte, fühlte sich fast ein wenig schwindlig. „Als
wären wir auf einer Insel. Auf einer Insel mit einem Leuchtturm.“
„Ich
verbringe bei der Arbeit viel Zeit in einem fensterlosen, kalten Raum. Es ist
gut, die Sonne sehen zu können.“ Er beobachtete amüsiert Ianto, seine Reaktion
auf die Suite. Nach einem langen und ermüdenden Wochenende war ein wenig echter
Enthusiasmus genau das, was er jetzt brauchte.
Ianto
drehte sich herum und wandte der Aussicht den Rücken zu. „Es sieht aus wie eine
Wohnung, nicht wie ein Hotelzimmer.“
„Es ist
eine Wohnung“, korrigierte Jack ihn. „Sie ist nur zufällig auf das Dach eines
Hotels gebaut.“
Der
grau und blassrot gemusterte Teppich erinnerte vage an orientalische Teppiche, ohne
deren Schwere zu besitzen. Die Couch und vier dazu passende Sessel waren mit grau
und matt hellblau gestreiftem Stoff bezogen, in Rahmen aus glänzendem Chrom.
Und sie sahen alle sehr bequem aus. Die restlichen Möbel waren älter, aus Holz,
in Honigfarben gehalten und schienen den Raum mit zusätzlicher Wärme zu füllen.
Auf einem Milchglas-und-Chrom-Kaffeetisch stand eine dunkelblaue Schale. Die
Lampenschirme hatten die gleiche Farbe. In einer Ecke stand als einzige Zierde
eine große Vase voll exotischer Blumen, deren Name er nicht kannte. Die
Glasfront mit Ausblick auf die Bay bildete die vordere Wand. Seitlich davon
befanden sich Bücherregale und ein Schrank mit allen möglichen, nagelneuen, technischen
Unterhaltungsgeräten und seltsamerweise einer Kiste voller altmodischer
Schallplatten, überragt und dominiert von einem Flatscreen,
der sogar noch größer als der Kaffeetisch war.
Die
anderen Wände waren Fenster oder leer, mit Ausnahme eines Gemäldes in den
gleichen Farben wie die Möbel und der Teppich. Es konnte alles - von einer
Blütenpolle in tausendfacher Vergrößerung bis hin zur Milchstraße - in seinen abstrakten
Farbklecksen darstellen.
Hinter
der Couch führten zwei flache Stufen eine Ebene höher, hier fand sich eine
Miniatur-Ausgabe einer Küche mit einem schmalen Esstisch für vier und einer
Abtrennung zum Wohnraum in der Form einer Frühstückstheke mit zwei hohen
Hockern davor.
Eine
weitere Türöffnung führte zu den anderen Räumen - Schlafzimmer und Bad,
vermutete Ianto.
„Legen
sie dir trotzdem jeden Abend Schokolade aufs Kopfkissen?“, fragte er
schnoddrig, versuchte nicht zu zeigen, wie sehr ihn trotz allem dieses
luxuriöse Ambiente beeindruckte.
„Warum
siehst du nicht nach?“, entgegnete Jack amüsiert. „Das Schlafzimmer ist dort.“
Er wies auf den Durchgang.
Ianto
lächelte. „Ich denke das spare ich mir fürs Ende der Besichtigungstour auf.
Hast du mir nicht zuerst ein Abendessen versprochen?“
„Oh,
ich habe jede Absicht, dieses Versprechen zu halten.“ Jack trat zu ihm und
legte die Hände rechts und links von Iantos Kopf gegen das kühle Fensterglas.
„Zimmerservice oder gehen wir aus?“, fragte er, sein Mund dicht an Iantos.
„Aus“,
erwiderte der junge Waliser lachend und hakte die Finger in Jacks Hosenträger. Langsam
sah er den Vorteil darin, sie zu tragen. „Oder…“ Er küsste Jack. „Oder wir
kommen heute nicht mehr zum Essen.“
„Damit
kann ich leben.“ Jack versucht den Kuss fort zu setzen, doch Ianto zog den Kopf
weg, legte ihm einen Finger über den Mund.
„Aber
ich nicht.“ Ianto schlüpfte aus seinem losen Griff und trat ein paar Schritte
weg, Jack in der engen Jeans und der nur taillenlangen Jacke einen weitaus
interessanteren Ausblick als den altvertrauten in die Bay bietend.
„Okay“,
lenkte der Captain ein. „Wie wäre es mit einem Drink vor dem Essen? Ich denke,
ich kenne einen Ort, an dem es dir gefallen wird.“
Ianto
sah über die Schulter zu ihm. „Es besteht kein Grund, mich betrunken zu machen,
Jack. Ich schlafe auch nüchtern mit dir. Deshalb bin ich hier, oder? Kein Grund
schüchtern zu sein und die Dinge nicht beim Namen zu nennen.“
„Mir
gefällt wie du denkst, Jones-Ianto-Jones.“ Jack streckte die Hand aus. „Aber es
besteht ja wirklich kein Grund zu Eile. Erwartung steigert bekanntlich den
Genuss, wie man so schön sagt.“
„Mir
gefällt, wie du denkst, Captain Harkness.“ Ianto trat zur Tür und hielt sie
einladend auf. „Nach Ihnen, Sir.“
---
Es war
unübersehbar, dass Jack ihn in eine Bar führte die er nicht zum ersten Mal
besuchte. Der Türsteher winkte sie trotz einer langen Warteschlange einfach durch
und erhielt im Vorübergehen einen Schein für seine Mühe zugesteckt. Wie aus dem
Nichts tauchte im verdunkelten Eingang eine Frau in einem glitzernden Minikleid
auf, die lachend ein paar Worte mit Jack wechselte – auf Französisch, wenn
Ianto sich nicht irrte - ihn auf beide Wangen küsste und sie dann in eine abseits
des Hauptraumes gelegene Nische führte. Sie hatten kaum auf einem dunkelvioletten
Sofa Platz genommen, in dessen weichen Polstern man fast versank, als eine
andere Frau mit Drinks kam, ohne auf eine Bestellung zu warten.
Ianto
betrachtete erstaunt das hohe Glas mit der dunkelroten Flüssigkeit, in der eine
Orchidee und ein Strohhalm steckten, lehnte sich zurück gegen die samtene Lehne
des Sofas und lachte.
„Was?“,
fragte Jack und beobachtete ihn amüsiert über den Rand seines eigenen Glases.
„Mädchen-Drinks?
Ehrlich?“, fragte Ianto neckend, als er sich beruhigt hatte. „Das ist ja
überhaupt kein Klischee.“
Doch
Jack schien nicht im Geringsten beleidigt. Er lächelte nur, lehnte sich ebenfalls
zurück, so dass er den Arm über Iantos Schulter legen konnte, schlug ein Bein
über das andere und nippte an seinem Drink.
Ianto
fischte die Blume aus seinem Glas und legte sie neben sich auf das Sofa, bevor
er vorsichtig einen Schluck nahm. Es schmeckte besser als er befürchtet hatte,
sehr gut sogar, kalt und fruchtig – und schien weniger Alkohol zu beinhalten
als befürchtet. Sie hatten erst in einer Stunde eine Reservierung und Ianto hörte
prompt seinen Magen knurren.
Jack
winkte der Frau zu, die ihnen die Drinks gebracht hatte. „Können wir eine
Kleinigkeit zu essen bekommen, Tyler?“ Er zwinkerte ihr zu. „Ich denke, er
knabbert mich sonst an, bevor wir einen Tisch bekommen.“
Mit
einem „Natürlich, Captain“ und einem Lächeln, eilte sie weiter. Oh, zweifellos
war Jack hier sehr gut bekannt.
Kurz darauf
stand eine Schale mit Nachos vor ihnen.
„Das
nennst du eine Kleinigkeit?“, fragte Ianto und betrachtete den Berg aus
Tortilla-Chips, die mit einer dicken, gelben Schicht Käse überbacken waren.
„Hast du
Mädchen-Essen erwartet? Und wir müssen ja nicht alle essen.“ Jack fischte einen
der fettigen Chips heraus und balancierte ihn, eine Hand unterhaltend, damit
nichts auf ihre Kleidung kleckerte, zu Ianto. „Aber du musst sie auf jeden Fall
probieren.“
Ianto
rollte mit den Augen, öffnete aber den Mund und ließ sich füttern. Jack wirkte
zufrieden, nahm sich selbst auch etwas und signalisierte der Bedienung, eine
weitere Runde zu bringen, obwohl sie ihre Drinks bisher kaum angerührt hatten.
„Gut?“
Jack hielt ihm einen weiteren Nacho hin. Statt zu antworten, leckte Ianto Käse
von seinen Fingerspitzen. Jack beugte sich vor und küsste ihn hungrig.
„Ups. Sorry, Captain. Ich wusste nicht,
dass du gerade so beschäftigt bist.“ Der Mann, der die Drinks brachte, grinste
und musterte Ianto sehr ausgiebig, von Kopf bis Fuß und wieder zurück. „Sonst
hätte ich früher gestört.“
Jack sah auf, eine Hand fast besitzergreifend auf Iantos Brust
gelegt. „Hallo, Terry. Mach dir keine Hoffnungen. Ich habe ihn zuerst gefunden.“
Terry stellte die Drinks ab. „Vielleicht hat er später auch ein
wenig Zeit für mich. Meine Bar schließt um drei, aber da geht für mich die
Nacht erst so richtig los.“ Unaufgefordert setzte er sich neben Ianto. „Ich
habe dich hier noch nie gesehen. In welcher Gegend arbeitest du sonst so?“
Ianto wandte sich ihm zu. Jack grinste und überließ es ihm, zu
antworten. Er erinnerte sich sehr gut an Iantos Reaktion darauf, für einen
Stricher gehalten zu werden. Doch der junge Waliser lächelte zu seiner
Überraschung nur und lehnte sich entspannt zurück. „Oh, hier und dort, wohin
immer es mich verschlägt, ich habe kein festes Gebiet.“ Er legte die Hand auf
Jacks Oberschenkel. „Aber der Captain hier nimmt meine Zeit gerade exklusiv in
Anspruch. Vielleicht ein anderes Mal.“
„Absolut.“ Terry beugte sich vor und küsste Ianto, dann drückte er
ihm eine Visitenkarte in die Hand, die er scheinbar aus dem Nichts zauberte.
„Ruf mich an wenn du frei bist.“ Er leckte sich über die Lippen, stand auf und
verschwand in Richtung Tresen.
„Das war interessant.“ Jack griff nach seinem Glas. „Ich dachte,
deine Zeit lässt sich nicht kaufen.“
Doch anstatt zu antworten, nahm der junge Waliser seinen Drink und
leerte ihn. Dann faltete er Terrys Visitenkarte der Länge nach und stopfte sie
ins Glas. Er schnappte sich noch ein paar Nachos und meinte: „Wo sind wir
stehen geblieben?“
In diesem Moment erklang ein schriller Alarmton
und Jack griff fluchend nach seinem Handy. „Ich muss jemand zurückrufen“,
meinte er nach einem Blick aufs Display. „Nicht weg laufen, okay? Du bleibst
genau hier sitzen.“ Er wies auf das Sofa und dann auf Ianto. „Ich bin sofort
wieder da, also brenn mir nicht mit Terry durch.“
„Ich kann für nichts garantieren… aber ich gebe dir eine
Schonfrist von fünf Minuten.“ Ianto griff nach seinem zweiten Drink und nahm
einen großen Schluck, bevor er sich wieder den Nachos widmete.
Ein paar Minuten später tauchte Jack wieder auf, seine Miene
grimmig. Er blieb stehen, griff nach seinem Glas und leerte es halb auf einen
Zug. „Es tut mir leid, aber ich muss weg. Es ist ein Notfall.” Er schnitt eine
Grimasse. „Es wird nicht die ganze Nacht dauern, versprochen, aber wir müssen
das Abendessen wohl um ein paar Stunden verschieben.“
Ianto nickte und stand ebenfalls auf. „Ich verstehe.“
„Hey. Das bedeutet nicht, dass du schon nach Hause gehen musst.“
Jack griff nach ihm, legte die Hände locker auf Iantos Hüften. „Wie gesagt, es
dauert höchstens ein paar Stunden. Wieso fährst du nicht zu mir, bestellst dir
etwas zu Essen beim Zimmerservice und ich komme dazu so bald ich kann.“ Er zog
eine Schlüsselkarte aus der Tasche und hielt sie Ianto hin. „Hier. Für den Lift
und die Tür. Ich habe deinen Namen schon an der Rezeption hinterlegt, es sollte
dir niemand Schwierigkeiten machen.“ Er kramte ein paar Geldscheine aus der
Tasche, warf die Hälfte davon auf den Tisch neben die Gläser und drückte den
Rest in Iantos Hand. „Nimm ein Taxi zurück ins Hotel. Ist das okay?“
„Ja, okay.“ Ianto küsste ihn auf die Wange und nahm wieder auf dem
Sofa Platz. „Aber du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mir so lange noch
einen Drink von Terry spendieren lasse, Captain?“
„Ich rate dringend davon ab, alles zu trinken, das blau ist. Das
Zeug ist das reinste Gift, und du weißt nie, wo du hinterher am nächsten Morgen
nackt aufwachst.“
„Danke für den Tipp.“
Jack winkte und verschwand zwischen den anderen Gästen. Ianto aß
noch ein paar Nachos, trank sein Glas aus und bat die Frau in dem glitzernden
Minikleid, ihm ein Taxi zu rufen. Sie schien nicht sonderlich überrascht, dass
er ohne Jack ging.
---
Als Jack die Suite betrat, wurde es draußen bereits hell.
Sie mochten den Rift weitestgehend unter Kontrolle halten, aber
die verdammten Weevil hielten sich nicht an seine freie Zeit oder an seine
Pläne. Es waren einfach zu viele gewesen, als dass der Rest des Teams ohne ihn mit
ihnen fertig wurde, zumal sich das neue Betäubungsspray noch in der Testphase
befand. Und dann ging noch einiges andere schief. So waren aus den paar Stunden
doch eine ganze Nacht geworden.
Owen stolperte im Dunkeln über irgendetwas und knallte auf den
Boden, deshalb humpelt er jetzt mit verstauchtem Knöchel durch die Gegend und
beschwerte sich, dass er sich selbst behandeln musste. Nicht, dass er wirklich
Grund zur Klage hatte. Jack hatte sich selbst nämlich als Kauspielzeug für
einen Weevil wiedergefunden, der sich von hinten angeschlichen hatte und ihm
den Arm fast abriss. Er reinigte nach der Rückkehr die tiefen Kratzwunden und
wartete, bis sie heilten. Owen schlief auf einem Feldbett in der MedBay, sein gestauchtes Fußgelenk hochgelegt und unter
einem Kühlkissen versteckt, als er ging.
Ianto schlief
ebenfalls, aber auf der Couch. Seine nackten Füße sahen unter einer Decke
heraus, die er bis zur Taille hoch gezogen hatte. Meringuekrümel bedeckten die Brust
seines T-Shirts, die Tüte lag auf dem Tisch, neben zwei leeren Bierflaschen, einem
benutzten Teller mit ein paar Reiskörnern und einer offensichtlich
unangetasteten Salatbeilage.
Jack
stahl einen Kuss von ihm. Ianto schmeckte nach Alkohol und dem zuckersüßen
Gebäck aus der Minibar. Er ging duschen.
Eine
Weile später stolperte Ianto schlaftrunken in den Raum, blinzelte sein eigenes
Spiegelbild misstrauisch an und verfehlte die Zahnbürste beim ersten Versuch.
Jack
versuchte gar nicht erst, ihn in diesem Zustand anzusprechen. Offenbar gehörte
Ianto zur Gattung Morgenmuffel. Stattdessen lehnte er sich gegen die
Duschkabine und wandte den Kopf, um einen Blick zu erhaschen, als der junge
Waliser – die Zahnbürste im Mund – zur Toilette trat. Alles was er sah, war jedoch
Ianto garantiert nicht zu verachtende Rückansicht in engen, dunkelblauen Shorts
und einem nicht mehr ganz weißen T-Shirt, das einen schmalen Streifen blasse
Haut freigab.
Er trat
aus der Dusche und begann sich abzutrocknen, als Ianto fertig war und zum
Waschbecken zurückkehrte. Jack setzte sich auf die geschlossene Toilette, und
schüttelte Wasser aus seinem Haar, tropfte es unbekümmert auf den Boden.
Als
Ianto sich über das Waschbecken beugte, rutschte das T-Shirt noch ein Stück
weiter hoch, und gab etwas Rotes an der Hüfte des jungen Walisers preis. Er
konnte nicht ganz ausmachen was es war, das meiste davon bedeckten die Shorts.
Er
stand auf, um sich das näher anzusehen. „Was ist das?“ Jack legte den Kopf,
während Ianto mit einem irritierten Seufzen versuchte, seine Hand weg zu
schlagen. „Ein Tattoo… ist das etwa ein Drache?“ Er grinste und küsste Iantos
Nacken. „Guten Morgen übrigens.“
„Guten
Morgen.“ Der Blick des jungen Walisers – nun ein wenig wacher - fand Jacks im
Spiegel. Er schnitt eine Grimasse. „Es ist ein Tattoo und es ist in London
passiert. Ich war betrunken, siebzehn, betrunken und halb krank vor Heimweh. Möglicherweise,
unter Umständen, könnte ich auch ein paar Züge am Joint eines namentlich nicht
genannten angeblichen Freundes genommen haben. Aber erwähnte ich schon, dass
ich so betrunken war, dass ich kaum meinen eigenen Namen wusste? Meine
beiden... Kumpel... obwohl das kaum die Bezeichnung ist, die ich ihnen im
Rückblick verpassen möchte, fanden es witzig mich zu einem Tätowierer zu
schleppen, der keine Skrupel hatte, einen halb besinnungslosen Minderjährigen
auf ewig zu entstellen. Sie haben ihm gesagt, dass ich aus Wales komme und Heimweh
hätte und irgendwie muss ich wohl zugestimmt haben, einen walisischen Drachen
auf meiner Hüfte haben zu wollen. Es war meine Unterschrift auf dem Formular.
Denke ich. Vermutlich sollte ich noch dankbar sein, dass es am Ende doch kein Einhorn
oder ein Bündel Lauchstangen war.“
„Nun,
das wäre definitiv etwas schwieriger zu erklären.“ Jack grinste und fing
schließlich an zu lachen, als Ianto ihn böse anfunkelte. Er beugte sich vor und
küsste den kleinen, roten Drachen, der sich wie ein Feuermal von der weißen
Haut abhob. Das Tattoo war erstaunlich gut gelungen, vor allem unter den von
Ianto geschilderten Umständen. "Gefällt mir", meinte er dann.
"Passt irgendwie zu dir. So viel versteckte Leidenschaft." Dann
lehnte er sich gegen Ianto und stützte das Kinn auf die Schulter des jungen
Mannes. „Es tut mir leid, dass es gestern nicht mit dem Abendessen geklappt
hat. Oder dem Danach. Lass es mich jetzt gleich wieder gutmachen.“ Er schob
seine Hände unter Iantos T-Shirt, presste sich gegen ihn, und ließ ihn deutlich
spüren, was er im Sinn hatte.
„Können
wir damit anfangen, dass du mich zum Frühstück einlädst?“
Jack
lachte. „Ich stehe nackt vor dir und biete dir Sex an und du kannst nur an
Essen denken?“
Ianto
drehte sich um, musterte ihn demonstrativ, soweit er das konnte, von Jack immer
noch gegen das Waschbecken gepresst und grinste. „Das kann warten.“ Er gab Jack
einen Klaps auf den Hintern. „Mein Magen nicht.“ Mit diesen Worten drückte er
sich an ihm vorbei und verließ mit provokativ schwingenden Hüften das Bad.
„Außerdem brauchst du vorher eine Stärkung, alter Mann.“
Sprachlos
starrte Jack dem Jüngeren nach. Oh, ihn würde er definitiv eine Weile behalten.
Jack wandte sich grinsend dem Spiegel zu und begann seine nassen Haare in Form
zu bringen.
---
Offenbar
war Ianto nach dem Motto „Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages“
erzogen worden.
Als
Jack aus dem Bad kam, war die Frühstückstheke bereits für Zwei gedeckt. Offenbar
gefiel Ianto die Idee von Zimmerservice inzwischen immer besser.
Neben
einer Schale mit frischem Obst stand eine runde Porzellanform mit goldbraunem
French Toast. Unter Wärmeglocken warteten Rührei mit Tomate und Schinken, extra
Speck, Würstchen und Pilze. Daneben Blaubeerpancakes und frische Waffeln. In
einem mit einer Serviette ausgeschlagenem Körbchen stapelten sich Toastscheiben
und Hafermuffins. Zwei Krüge mit Milch und
Orangensaft warteten neben Butter und drei Glasbehältern mit verschiedenen
Marmeladen und Honig darauf, getrunken zu werden.
Kaffeearoma
stieg auf, aber er sah keine Kaffeekanne – stattdessen balancierte Ianto gerade
zwei Tassen zur Frühstücksbar. Offenbar kam er mit der chromglänzenden
Kaffeemaschine – einer kürzlichen Erwerbung - besser
zurecht als er, denn als Jack an der Tasse nippte, hatte der Kaffee nichts mit
der dünnen, braunen Flüssigkeit zu tun, die er bisher der widerspenstigen Maschine
abtrotzte. Hoffentlich weihte Ianto ihn in das Geheimnis ihrer Benutzung ein.
Ianto
setzte sich neben ihn, lud einen Teller mit Waffeln voll und ließ golden
glänzenden Sirup darüber laufen. „Kaffee okay?“, fragte er lachend, als Jack
ein wohliges Stöhnen von sich gab.
„Mehr
als okay. Du solltest das Zeug verkaufen und ein Vermögen damit verdienen.“
Jack löffelte Rührei auf seinen Teller. Er hatte das Abendessen verpasst und
sich mit in der Mikrowelle aufgewärmter Pizza begnügt, als er im Morgengrauen
für sich und Owen Kaffee machte… den er nie wieder Kaffee nennen würde, nachdem
er DAS getrunken hatte. „Was ist dein Geheimnis?“
„Es
gibt keines.“ Ianto nahm sich mit der Hand einen Streifen Speck. „Man muss nur
gute Bohnen kaufen und ab und zu die Maschine putzen. Naja, und richtig
dosieren.“ Er leckte sich die fettigen Fingerspitzen ab und Jack versenkte fast
die Gabel im Kaffee anstatt im Rührei, weil er den Blick nicht von ihm abwenden
konnte. „Ich würde für eine Maschine wie die da töten. Und da sind superteure
Bohnen im Gefrierfach.“
In
seinem Gefrierfach waren Kaffeebohnen? Wieso? Okay, er hatte da offenbar schon
längere Zeit nicht mehr rein gesehen. Wozu auch, er kaufte so gut wie nie selbst
ein, und wenn dann nichts, dass länger aufbewahrt werden musste.
Ianto
hob die Tasse vor sein Gesicht und atmete tief ein. „Besser als Sex“, murmelte
er.
Jack
schluckte und widerstand nur knapp der Versuchung, Ianto gleich jetzt und hier
ins Bett zu zerren und ihm das Gegenteil zu beweisen. Ach was, Bett. Die Couch
war näher. Oder gleich hier an der Theke… Sofort nachdem er seinen Kaffee
getrunken hatte. Besser nichts davon verschwenden. „Du kannst jederzeit
herkommen und die Maschine benutzen“, erwiderte Jack, das aus seiner Tasse aufsteigende
Aroma genießend. „Unter einer Bedingung.“
Ianto
sah auf, im Begriff sich Rührei zu nehmen, nachdem er seine Waffeln bereits
fast vollständig vertilgt hatte. „Und welche wäre das?“, fragte er, die Augen
misstrauisch verengt.
„Du
teilst immer mit mir.“ Jack meinte das nur halb im Spaß.
Sinnierend
betrachtete Ianto ein Würstchen, dann zerschnitt er es. „Abgemacht.“
Ganz
nebenbei hatte der junge Waliser zugestimmt, dass es nicht nur bei dem einzigen
gemeinsamen Frühstück bleiben würde und ganz entgegen seiner sonstigen Natur
fand Jack, dass ihn das nicht im Geringsten störte.
Jacks Teller
war leer, aber er hatte keine Erinnerung mehr daran, was er genau gegessen
hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit war von den blauen Augen und dem Lachen
seines Tischgenossen eingenommen worden.
Ianto
nahm eine dritte, dick mit Puderzucker bestäubte Waffel. Er hatte Puderzucker
auf seinem T-Shirt und auf der Nase. Aber Jack würde sich hüten, ihn darauf hin
zu weisen. Vielleicht sollte er künftig Frühstück für Drei bestellen. Nachdem
er gesehen hatte, dass Ianto unter den voluminösen Klamotten nicht nur schlank,
sondern fast schon unterernährt war, wunderte er sich nicht mehr, dass der
junge Waliser ständig hungrig zu sein schien. Er hatte Muskeln, die zu den
Schwielen an seinen Händen passten und davon sprachen, dass er körperlicher Arbeit
nicht abgeneigt war, aber trotzdem kam Jack sein Körper wie der eines
Heranwachsenden vor, gerade am Ende der Pubertät. Sein Aussehen suggerierte
eine gewisse Naivität und Unerfahrenheit, doch war Ianto fern von naiv und
unerfahren.
Kapitel 2: What a Boy wants
Ianto sortierte Unterlagen in eine Unterschriftenmappe. Es war ein
ruhiger Tag. Mister Latimer – einer der beiden Anwälte der Kanzlei – hatte sich
krank gemeldet, er lag mit Grippe im Bett. Lisa hatte seine Termine abgesagt
und ein paar Briefe verschickt. Mister Beecher, sein Partner, hatte nur einen
einzigen Termin am Vormittag erledigt und war danach gegangen. Er startete
bereits am Donnerstagmittag mit seiner Frau in ein lang geplantes, viertägiges
Wochenende, an dem sie ihren fünfzehnten Hochzeitstag feiern wollten.
Die Kanzlei behandelte keine strafrechtlichen Fälle – es ging um
Immobilien, Verträge und die eine oder andere Erbschaft, die Anwälte waren auf
Treuhand- und Vermögensverwaltung spezialisiert - und stand vermutlich als
Gegenteil von spannend im Wörterbuch. Also gerieten sie eigentlich nie in
Hektik. Es gab Termine und Abgabefristen einzuhalten, den büroüblichen
Papierkrieg eben, aber eigentlich wäre die Arbeit auch für beide Anwälte von
einem Anwaltsgehilfen alleine zu schaffen.
Es war der beste Job, den er je hatte – und manchmal fragte er
sich, ob Jack auch damit etwas zu tun hatte… Alles war zu perfekt. Vielleicht
war einer der Anwälte ein Alien. Ianto lachte vor sich hin. Mister Latimer. Er
verzog nie eine Miene. Vielleicht hatte er gar keine Grippe, sondern traf sich
mit seinen Verwandten von Alpha Centauri.
Es war Jack gewesen, der ihn ermutigte, die Gelegenheitsjobs
aufzugeben und stattdessen Kurse in Büromanagement, -verwaltung und -kommunikation
zu belegen, die von verschiedenen Instituten für Erwachsenenbildung angeboten
wurden. Ianto hätte für die Kursgebühren über ein Bildungsförderungskonzept
einen zinslosen Kredit aufnehmen können, doch Jack schoss ihm das Geld vor,
sagte ihm, dass es Unsinn war, sein neues Leben gleich mit Schulden zu
beginnen. Zumal er sich von seinem späteren Einkommen erst einmal wichtigere
Dinge leisten sollte – wie Kleidung und eine bessere Wohnung als das
heruntergekommene Zimmer, in dem er damals hauste. Trotz Jacks wiederholtem Versuch,
ihn dauerhaft in seine Hotelsuite zu locken, beharrte er weiterhin auf ein
eigenes Heim. Er konnte nicht riskieren, plötzlich auf der Straße zu sitzen,
sollte die Sache mit Jack zu einem abrupten Ende kommen.
Und obwohl er das nie selbst von geglaubt hatte, lagen Ianto die
organisatorischen Dinge und die trockene Bürokratie. Er machte Computerkurse
und lernte in Windeseile mit zehn Fingern zu tippen. Für jeden erfolgreich
erhalten Abschluss – und Ianto legte die meisten davon mit Auszeichnungen ab - dachte
Jack sich eine besondere Belohnung aus. Ein Ausflug an den Strand. Ein
nächtliches Mondschein-Picknick auf dem Dach seiner Penthousewohnung. Zwei
Karten für ein Rugby-Spiel, das sie dann natürlich zusammen besuchten. Und
irgendwie schaffte der ältere Mann immer, dass Ianto sich dabei weder wie ein
Wohltätigkeitsprojekt, noch wie ein Kind behandelt fühlte, oder wie ein
ausgehaltener Liebhaber. Es schien, dass Jack auf seine Erfolge stolzer war,
als Ianto selbst.
Eine Zeitarbeitsagentur vermittelte ihm zunächst einige kürzere
Aushilfsjobs, bei denen er Erfahrungen über einen geregelten Arbeitstag und
Büroabläufe sammeln konnte, bis er die Schwangerschaftsvertretung in der
Kanzlei Latimer & Beecher übernahm – als normale Schreibkraft natürlich,
nicht als Anwaltsgehilfe. Und er blieb, weil Lisas Kollegin unerwartet beschloss,
ab sofort Mutter und Hausfrau zu sein und ihre Stelle kündigte. Seine
Festanstellung war eigentlich logisch, er war bereits da und wusste schon, was
er zu tun hatte.
Seine Sorge, dass er auf Dauer nicht gut genug für die Stelle war,
verflog unter Lisas gründlicher Einarbeitung und bald teilten sie die Arbeit
unter sich auf, als hätten sie nie etwas anderes getan. Lisas Freund Mark war
Assistenzarzt und hatte unregelmäßig Dienst oder war auf Abruf im Krankenhaus.
Dafür hatte er dann manchmal zwei oder drei Tage am Stück frei. Ianto ging es
mit Jack ähnlich. Also arbeiteten er und Lisa einen flexiblen Plan aus, mit dem
Segen ihrer beiden Chefs, der es ihnen ermöglichte, sich Tage außer der Reihe
freizunehmen, wann immer ihre besseren Hälften frei bekamen.
Ohne die beiden Anwälte könnten sie die Kanzlei eigentlich völlig schließen.
Der Anrufbeantworter konnte genauso gut mögliche Klienten auf den Montag
vertrösten.
Ianto seufzte und schloss die Mappe, sie zur Seite legend. Zu
dumm, dass Jack ausgerechnet jetzt Cardiff verlassen hatte. Irgendeine Sache,
die Torchwood in den Brecon Beacons,
nahe dem Naturschutzgebiet, untersuchen wollte.
Jack hatte gelacht als er Iantos enttäuschte Miene sah, ihn auf
die Nase geküsst und versprochen, dass er ihn sofort anrufen würde, wann immer
er ihn vermisste. Und gemeint, er solle froh sein, dass er nicht dabei sein
musste – das Team würde im Freien campen, da es keine Hotels gab, wohin sie
gingen. Ianto heuchelte übertriebenes Bedauern und erhielt dafür einen Klaps
auf den Hintern. Sie rollten nackt, lachend, spielerisch übermütig miteinander
rangelnd, über das Bett und vergaßen darüber fast ihre Reservierung für ein
Restaurant, in das ihn Jack am Sonntagabend zur Entschädigung ausführte.
Mitten in diesem Gedanken begann sein privates, neues Handy zu
vibrieren. Nur zwei Personen kannten die Nummer – Jack und Lisa. Selbst seiner
Schwester hatte er die Nummer noch nicht gegeben. Seit er eine feste
Arbeitsstelle hatte und Jack den größten Teil seiner freien Zeit beanspruchte,
sah er Rhiannon eigentlich nur noch selten. Ab und zu rief er sie an, damit sie
nicht begann, sich Sorgen zu machen, aber ihr Verhältnis hatte sich geändert.
Dinge, die er früher ihr anvertraut hätte, besprach er jetzt mit Lisa. Also
konnte Rhi es nicht sein. Und seine Freundin befand sich gerade nur einen Raum
weiter, sie hatte keinen Grund, ihn auf dem Handy anzurufen.
„Hallo, schöner Mann“, meldete er sich, die Stimme gesenkt, damit
sein Akzent stärker hervortrat. Jack wurde nicht müde, den angeblich
oh-so-erotischen walisischen Einschlag in seiner Stimme zu erwähnen. Er
erwartete ein Lachen, vielleicht die Frage danach, was er anhatte. Jack
versuchte ihn schon zu einer Weile zu Telefonsex im Büro zu verleiten. Noch
hielt er eisern stand.
„Ianto.“
„Jack?“ Er runzelte die Stirn. Es war Jacks Stimme, ja, ohne jeden
Zweifel, aber er klang tonlos, seltsam zögernd. Fast unsicher. Jack klang
nicht… nun, nicht wie Jack. Im Hintergrund hörte er das Geräusch eines Motors,
also kam der Anruf wohl von unterwegs. „Bist du schon auf dem Weg zurück nach
Cardiff?“, fragte er schließlich, als er nichts weiter hörte als das Auto und
einmal das Murmeln einer Frauenstimme.
„Ja. Ich… wir sind auf dem Weg zurück nach Cardiff.“
Ianto lehnte sich in seinen Stuhl zurück und holte den
Terminkalender auf seinen Bildschirm. Vielleicht rief Jack an, um sich mit ihm
zu verabreden. Möglicherweise hatte sich ihre Untersuchung als unnötig
herausgestellt. Was sollte da draußen in der Einöde auch schon groß passieren. „Ist
es ein gutes Zeichen, dass du so schnell zurück bist? Das waren ja gerade mal
zwei Tage.“
„Kann ich dich sehen?“, fragte Jack ohne weiter auf seine Worte
einzugehen.
Er warf einen Blick auf den Kalender, obwohl er genau wusste, was
für den Nachmittag eingetragen war. Nämlich nichts. „Ich höre heute um halb fünf
auf zu arbeiten, wir könnten uns dann gleich um…“
„Geht es früher? Schon in einer Stunde?“, drängte der Captain, ihn
unterbrechend.
Ianto runzelte die Stirn. Lisa zog fragend die Augenbrauen hoch,
als sie in diesem Moment mit einer weiteren Unterschriftenmappe im Arm
zurückkam. Sie musterte ihn neugierig.
„Gib‘ mir eine Minute, Jack, ich muss das mit Lisa abklären“,
sagte er. Ianto hob eine Schulter und deckte das Mikrophon ab. „Hast du etwas
dagegen, wenn ich meine Mittagspause ein bisschen überziehe?“, fragte er seine
Kollegin.
„Ein Quickie statt Mittagessen?“, spottete
Lisa. „Ist das eine neue Diät, die du gerade ausprobierst?“
„Bitte? Es ist wichtig, denke ich.“ Er dachte an den seltsamen
Klang von Jacks Stimme. „Ich mache es wieder gut, okay?“
„Okay. Du weißt, ich kann nie Nein zu dir sagen.“ Lisa nahm an
ihrem Schreibtisch Platz und warf seufzend einen Blick auf ihren eigenen
Kalender. „Wann denkst du, bist du zurück? Um zwei? Spätestens um drei, oder?
Es ist ja nichts los heute Nachmittag, aber ich habe um vier einen Termin beim
Zahnarzt.“
„Ich dachte eher, dass ich heute vielleicht überhaupt nicht mehr
zurückkomme“, meinte Ianto entschuldigend.
„Ianto Jones, willst du, dass mir die Zähne ausfallen und ich in
meiner Jugend schon eine hässliche, alte Schachtel werde?“ Lisa bleckte ihre
perfekten, weißen Zähne. „Okay, okay“, setzte sie hinzu und hob die Hände. „Ich
sage den Termin ab – aber wenn sie mir schon wieder eine Strafgebühr aufbrummen
weil ich damit so spät dran bin, bezahlst du das.“
„Natürlich. Du hast etwas gut bei mir.“ Ianto hielt das Handy
wieder ans Ohr. „Jack? Bist du noch da? Sag mir wann und wo.“ Er lächelte Lisa
abwesend an, die praktisch vor Neugier aus den Säumen platzte. „Gut. Wir sehen
uns gleich.“
„Was ist los?“, fragte Lisa, kaum dass er die Verbindung unterbrochen
hatte. „Er war doch bloß drei Tage weg, ist der Notstand schon so groß?“
„Ich weiß nicht.“ Ianto stand auf und strich gedankenverloren die
Sitzfalten aus seiner Hose. „Er klang… komisch.“
„Er klang komisch“, wiederholte Lisa ungläubig und schlug die
Beine übereinander. „Und deshalb lässt du alles stehen und liegen und rennst zu
ihm? Ianto, er ist keine fünf Jahre alt. Er ist ein erwachsener Mann und kann
sich doch wohl ein paar Stunden gedulden.“
„Jack ist… Ich kann dir das nicht erklären, Lisa.“ Ianto fuhr sich
durch die Haare, zerstörte seine ordentlich gekämmte Frisur und zerrte an
seinen Manschetten herum bis sie exakt gleich weit aus den Ärmeln seines
Jacketts hervorsahen. Ein deutliches Zeichen von Anspannung. „Er klang nicht
wie er selbst.“
„Ich hoffe wirklich, dass er weiß, was er an dir hat.“ Sie griff
nach ihrem Kaffeebecher. „Und du kannst gleich damit anfangen, es bei mir
wieder gut zu machen, indem du mir frischen Kaffee kochst. Und vielleicht auch
noch gleich die Thermoskanne auffüllst, bevor du gehst?“
Ianto rückte seine Krawatte zurecht und ließ dann endlich von
seinem Anzug ab. „Natürlich mache ich das.“ Er nahm ihren Becher, sammelte
seinen eigenen ein und ging in die Küche.
---
„War er das?“, fragte Tosh. Sie hörte auf so zu tun als wäre sie
an der vorbeiziehenden Landschaft interessiert und sah Jack an. Ihr Blick fiel
auf seine Hände, die das Lenkrad so fest umklammert hielten, dass die
Fingerknöchel hell aus der Haut hervortraten. „Dein Ianto“, setzte sie hinzu, obwohl
sie das Gespräch über die Freisprechanlage mitgehört hatte und daher genau
wusste, wen Jack angerufen hatte. Aber es schien wichtig, ihn zum Reden zu
bringen. Ein schweigender Jack war… nicht gut.
Ein flüchtiges Lächeln glitt um Jacks Mund. „Mein Ianto?“,
wiederholte er gedehnt. „Das würde ihm gar nicht gefallen. Ich kann dir
versichern, dass er sehr unabhängig ist.“
Tosh stieß ihn sanft an. „Du weißt, was ich meine.“ Sie schluckte
und zwang sich den Schmerz in ihrem Hals zu ignorieren. Dunkle Quetschungen
lagen wie eine exotische Halskette auf ihrer blassen Haut. Sie hatte versucht
die Jacke darüber zu schließen, doch selbst die leichte Berührung des Kragens
war unerträglich gewesen. „Er ist nicht einfach irgendjemand für dich, oder?“
„Nein.“ Jack löste einen Moment den Blick von der Straße und sah
sie an. „Das ist er nicht. Er ist nicht irgendjemand.“
„Das ist gut.“ Tosh drehte sich ihn ihrem Sitz, bis sie sich auf
die Seite kuscheln konnte und Jack ansehen, ohne ihren Hals zu wenden. „Und ich
denke er ist auch gut für dich. Du verbringst nicht mehr die ganze Zeit im Hub.
Früher warst du ja sogar während deiner Freischicht dort.“
„Hast du die Berge an Papierkram gesehen, die auf meinem
Schreibtisch liegen? Damit sollte ich eigentlich meine freie Zeit verbringen.“
Jack wirkte ein wenig entspannter als zuvor. Sein Klammergriff um
das Lenkrad hatte sich gelockert. Und Tosh war froh über jede Ablenkung. Über
jedes Wort. Das Schweigen hatte zu viel leeren Raum gelassen und sie wollte die
Erinnerungen noch fernhalten. Zumindest so lange, bis sie sicher und alleine in
ihrer Wohnung war.
„Zugegeben, Ianto ist unterhaltender als die ewigen Berichte“,
fuhr Jack fort. „Er ist… scharfsinnig, sehr intelligent, aber er sieht sich
selbst nicht so, weil er nicht den üblichen Weg gegangen ist – Schule,
Ausbildung oder Studium, Job – er ist als Teenager von Zuhause weggelaufen und
hat sich so durchgeschlagen. Als Kind hat er ständig gelesen, weil er nur
wenige Freunde hatte und sein Gedächtnis ist einfach nur unglaublich. Er hat
einen trockenen, manchmal sarkastischen Humor und er liebt Filme. Manchmal
verbringen wir eine ganze Nacht im Bett, stopfen uns mit Junkfood voll, ordern
einen Film nach dem anderen und er zeigt mir immer wieder etwas Neues, etwas
das ich ohne ihn übersehen hätte. Er ist stolz und will sich nichts schenken
lassen. Nun, nichts… von Bedeutung. Und er ist misstrauisch. Als ich ihn zum
ersten Mal zum Essen einlud, hat er mir vorgeworfen, ihn kaufen zu wollen.“ Er
lachte leise. „Wir sind schließlich über dieses Missverständnis hinweg
gekommen. Er fordert nicht viel von mir, aber er lässt es mir auch nicht
durchgehen, wenn ich mich ihm gegenüber wie ein Bastard benehme.“
Jack sah sie wieder an und für einen Moment war das alte Funkeln
in seinen Augen zurück, vertrieb das eisige Grau daraus, dass sich dort gezeigt
hatte, seit sie die gehäutete Leiche im Wald fanden. Tosh schluckte bei der
Erinnerung daran gegen einen neuen Anflug von Übelkeit an.
„Ich denke ihr beide würdet euch gut verstehen.“ Es schien fast,
als würden Jack seine eigenen Worte überraschen.
Tosh fragte sich, warum dann noch niemand von ihnen diesen
geheimnisvollen jungen Mann gesehen hatte. Oh, sie hatte seinen Hintergrund
überprüft, zuerst auf Jacks Geheiß, dann grub sie aus eigenem Antrieb weiter,
um sicher zu sein, dass Jack nicht verletzt wurde. Nicht, dass es viel zu
entdecken gab.
---- Ianto
Jones, geboren im August 1983 in Newport/Wales, Eltern verstorben (die Mutter
als er 13 war, nach längerem Aufenthalt in einer Nervenklinik – möglicherweise
Suizid - der Vater während seines letzten Schuljahres an einem Herzinfarkt;
Jones verbrachte den Rest des Schuljahres bei einer entfernten Tante und seiner
Schwester und verschwand dann nach London), die Schwester lebte mit ihrer Familie
(zwei Kinder) noch immer in Newport.
Er
hatte eine versiegelte Jugendstrafakte, die sie natürlich knackte, aber auch
die ergab nichts Besonderes – ein paar Ladendiebstähle, einige Anzeigen wegen
Schwarzfahrens, „Herumlungerns“ und „unbefugten Eindringens“ in leer stehende
Gebäude (er schien sich einer Gruppe Hausbesetzer angeschlossen zu haben, die
es vorzogen in heruntergekommene Häuser einzubrechen und dort zu wohnen,
anstatt auf der Straße zu schlafen), Besitz eines Joints und offenbar wurde er
auch ein paar Mal betrunken aufgegriffen, lange bevor er das Alter erreichte,
in dem er Alkohol trinken durfte. Offensichtlich eine Phase jugendlicher
Rebellion. Er war nicht gerade ein Großkrimineller, aber seine Strafakte
erklärte wohl, wieso er sich so lange nur mit Gelegenheitsjobs durchschlug –
und es waren eine Menge Gelegenheitsjobs. Es gelang ihr sogar eine Reihe von
Jobs zu finden, für die er schwarz bezahlt wurde. Manche behielt er nur für Tage,
selten mal einen über ein paar Wochen oder gar Monate. Seit er vor etwas über
zwei Jahren mit einundzwanzig nach Cardiff zurückgekehrt war, schaffte er es
wenigstens, jede Woche genug zusammen zu kratzen, um ein schäbiges kleines
Zimmer zu mieten. Und er schien keine Schwierigkeiten mehr mit der Polizei zu
haben.
Interessanterweise
hatte sich seine Situation in den letzten Monaten geändert. Kurz nach der Zeit
als Jack sie bat, einen Hintergrundcheck zu machen. Er belegte Abendkurse in
Büromanagement, Organisation und bildete sich am Computer weiter. Und
inzwischen hatte er einen festen Job als Bürohilfe in einer Kanzlei. Eine Weile
hatte er auf der Couch seiner Kollegin Lisa Hallett geschlafen (sie wusste
nicht, ob das eine Umschreibung dafür war, dass die beiden auch das Bett
geteilt hatten – obwohl die Frage vermutlich hinfällig war, wenn er eine
Beziehung mit Jack führte) und sich jetzt eine bessere, wenn auch immer noch
kleine, Wohnung zugelegt. ----
Vielleicht war es nur Zufall. Vielleicht war es die verkappte
Romantikerin in ihr, die glauben wollte, dass sich Iantos Leben gewaltig verbessert
hatte, als er Jack über den Weg lief und das nicht nur in beruflicher und
finanzieller Hinsicht.
Und was immer ihr Captain in dem jungen Waliser sah – und seit
heute wusste sie darüber so viel mehr – sie taten einander unheimlich gut.
„Ist es wirklich okay, wenn ich dich einfach so in deiner Wohnung
absetze?“ Jacks Stimme durchbrach ihre Gedanken. Tosh sah sich um und
entdeckte, dass sie zurück in der Stadt waren. Die Außenbezirke Cardiffs hatten
nie so… heimelig… ausgesehen wie jetzt.
„Ja, natürlich.“ Ihre Wohnung, das klang sehr verlockend. Das und
ein heißes Schaumbad und das größte Glas Wein, das sie auftreiben konnte – sie
bedauerte, nichts Härteres im Haus zu haben – um sie in den Schlaf zu lullen.
„Es ist okay, Jack“, setzte sie hinzu, die Besorgnis in seinem Blick lesend.
„Ich wäre jetzt wirklich gerne ein wenig alleine. Du kannst gehen und deinen
Ianto treffen. Owen kümmert sich um Gwen und bleibt bei ihr im Krankenhaus, bis
ihr Freund sie abholt. Und die Weevil sollen sich eine Nacht um sich selbst
scheren.“
„Du bist in Sicherheit.“ Er legte ihr eine Hand auf den Arm. „Ich
verspreche dir, es ist alles vorbei.“
Tosh fragte sich, ob er damit sie oder sich selbst beruhigen
wollte. Sie zwang ein weiteres Lächeln auf ihre Lippen und drückte seine
Finger. „Ich weiß. Du hast uns alle wieder nach Hause gebracht, Jack. Es ist wirklich
vorbei.“
Es schienen die richtigen Worte zu sein. Jack wandte seine
Aufmerksamkeit wieder der Straße zu und Tosh schloss die Augen, auf das
vertraute Rauschen des Verkehrs um sie herum lauschend. Wer brauchte schon
diese verdammte Stille auf dem Land…
---
Dank Lisas Entgegenkommen und einer günstigen Busverbindung war
Ianto bereits vierzig Minuten später im Hotel. Er benutzte seine
Schlüsselkarte, um mit dem Lift ins Penthouse zu
fahren und betrat die Suite. Alles war so, wie er und Jack es am Montagmorgen
verlassen hatte, als der andere Mann ihn trotz seines Protests zur Arbeit fuhr.
Wie Jack – nicht ganz zu Unrecht – meinte, wäre es schließlich
auch seine Schuld, dass Ianto seinem Zeitplan hinterher hinkte, also könne er
ihm zumindest das Warten auf den Bus ersparen. Den Führerschein zu machen, das
stand noch auf seinem Plan. Ianto hatte zwar mit zwölf das Fahren gelernt –
heimlich, zusammen mit einem gleichaltrigen Kumpel, im Auto des großen Bruder
seines Freundes - aber nie den Führerschein gemacht. Da es nicht so aussah, als
könne er sich je einen Wagen leisten, war es lange hinfällig gewesen. Außerdem
nutzten viele Menschen in London ohnehin lieber die U-Bahn als sich mit dem
Auto durch den morgendlichen Berufsverkehr zu quälen und hier in Cardiff hatte er
die Möglichkeit, kostenlos mit den Citybussen zu fahren, wenn er weitere
Strecken zurück legen oder wegen des Wetters nicht zu
Fuß gehen wollte.
Ianto stellte seine feuchten Schuhe in eine Ecke – es hatte
begonnen zu regnen, als er aus dem Bus stieg und auf das St. Davids zu eilte –
und hängte seine Jacke zum Trocknen an einen dafür vorgesehenen Haken. Er fuhr
sich durch die Haare und packte seinen Rucksack in einen Schrank, damit der
nicht im Weg herum lag.
Dann blieb er unschlüssig stehen. Ianto kannte Jacks Stimme wenn
er betrunken, albern, traurig, schläfrig, erschöpft oder aufgekratzt war; tief
und kehlig beim Sex oder seidenglatt - verführerisch, wenn er ihn zu etwas
überreden wollte. Aber noch nie hatte er so unsicher geklungen, wie bei dem
Anruf vor inzwischen einer knappen Stunde.
Er beschloss die Kaffeemaschine in Betrieb zu setzen – Kaffee war
immer gut. Ianto nahm zwei Becher aus dem Schrank und stellte sie neben die
Maschine. Jack war erst am Dienstagmorgen mit seinem Team aufgebrochen, aber
nichts deutete daraufhin, dass er zwischen der Abfahrt am Dienstag und ihrem
Aufbruch am Montagmorgen noch einmal hier gewesen war. Vermutlich hatte er die
Nacht vor dem Ausflug (oder die Teambildungsmaßnahme, wie Jack es lachend
genannt hatte – seltsame Bezeichnung, schließlich arbeitete er schon seit
Jahren mit seinem Team zusammen) im Hub verbracht, in dem kleinen,
bunkerähnlichen Raum unter seinem Büro. Er fragte sich wirklich, wie Jack dort
schlafen konnte. Keine Fenster.
Seine Hände arbeiteten ganz automatisch.
Er nahm den Tank ab und kippte das abgestandene Wasser ins
Spülbecken, stirnrunzelnd den feinen Kalkrand betrachtend, den es hinterlassen
hatte. Darum würde er sich ein anderes Mal kümmern. Lisa zog ihn oft mit seiner
Besessenheit auf, jede Woche den Wasserkocher und den Tank der Kaffeemaschine im
Büro zu entkalken. In seiner Wohnung hielt er es genauso und seit er mehr Zeit
hier verbrachte, ließ er auch der Kaffeemaschine in Jacks Suite die gleiche
liebevolle Pflege angedeihen. Manchmal scherzte Jack, dass er in Wirklichkeit
nur wegen der Maschine mit ihm zusammen wäre.
Als nächstes leerte er das Abfallfach für den Kaffeesatz und
spülte es gründlich aus. Wenn man das nicht regelmäßig machte, konnte es sein,
dass der Kaffeesatz zu schimmeln begann und der Schimmelgeruch setzte sich in
den Leitungen fest. Nun, zumindest konnte Ianto es riechen. Nicht seine Schuld,
dass er so eine gute Nase hatte.
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich an eine Nacht
erinnerte, an der er genau hier in der Küchenecke auf einem Hocker saß, nur mit
Shorts bekleidet, ein Tuch über Augen und Nase gebunden. Er kam sich ein wenig
albern vor, aber Jack hielt ihm mit fast kindlichem Enthusiasmus die
verschiedensten Dinge vors Gesicht und ließ ihn raten, was es war. Für jede
richtige Antwort wanderte eine Pfundnote von Jacks Tasche in Iantos. Irgendwann
gingen Jack die Geruchsproben aus, aber sie spielten im Bett noch eine Weile
mit der Augenbinde weiter…
Der Behälter für die Bohnen war noch fast voll. Er ließ ein paar der
blaugrün schimmernden Bohnen durch die Finger gleiten und atmete das
aufsteigende Aroma ein. Ianto schloss die Augen. Jamaica Blue Mountain, sogar
der Name klang teuer und exotisch. Neben dem ganz normalen Alltagskaffee (wenn
auch definitiv nicht bei Tesco gekauft) wurde jeden Monat ein kleiner Karton
mit mehreren Portionsvakuumpackungen exotischer Kaffeebohnen mit ausführlicher
Beschreibung der Sorte ins Penthouse geliefert. So
eine Art „Kaffee-des-Monats“-Club. Er würde nie in der Lage sein, sich so etwas
zu leisten.
Das Öffnen der Tür holte ihn aus seinen Gedanken und Ianto drehte
sich um. Er stand ein wenig seitlich, nicht direkt in der Blicklinie vom
Eingang aus, und so sah er Jack, bevor der ältere Mann ihn entdeckte. Ianto
beobachtete ihm und das ungute Gefühl verstärkte sich. Jack wirkte… mutlos und
erschöpft; er lehnte sich mit nach unten gesackten Schultern gegen die Tür, den
Kopf gesenkt. Ianto wartete ab, doch Jack schien seine Anwesenheit nicht zu
bemerken. Also trat er einen Schritt zurück – da er auf Socken ging, völlig
geräuschlos – und klapperte absichtlich mit den Kaffeebechern.
Einen Moment später trat Jack neben ihn. Von der
Niedergeschlagenheit, die Ianto zuvor beobachtet hatte, war nichts mehr zu
bemerken – allerdings wirkte er nach wie vor müde.
Ianto wandte sich ihm zu und lächelte. „Hey. Wie war dein Ausflug
aufs Land? Habt ihr ihn wegen des schlechten Wetters verkürzt?“
Jack sah ihn zunächst einfach nur wortlos an, dann nahm er das
Gesicht des jüngeren Mannes fest in beide Hände und küsste ihn ausgiebig. „Ich bin
froh, dass du dir frei nehmen konntest“, sagte er schließlich leise.
„Wir schulden Lisa dafür mindestens ein Abendessen, sie hat für
mich ihren Termin beim Zahnarzt abgesagt.“ Ianto rümpfte unwillkürlich die
Nase. Wo hatte Jack sich herum getrieben?
Seine Kleidung (und sein heißgeliebter
Mantel) war mit dunklen Flecken übersät – und er war sich nicht sicher, ob er
so genau wissen wollte, was es war oder woher sie stammten. Und da war ein
komischer Gestank, nach Moder und Fäulnis. Außerdem hing der unverwechselbare
Geruch an seinen Kleidern, der verriet, dass eine Waffe abgefeuert worden war –
so stark wie er war, mehrfach. Entweder hatten er und sein Team da draußen
Schießübungen abgehalten oder irgendetwas Schlimmes war passiert. Er hatte
diesen Geruch schon so oft an Jack wahrgenommen, dass er ihn eigentlich gar
nicht mehr bewusst registrierte, aber jetzt war er einfach nicht zu ignorieren.
„Ja, gute Idee. Oder du besorgst ein Geschenk für sie, dir fällt
bestimmt etwas für sie ein. Keine Sorge, ich übernehme natürlich die Rechnung
dafür.“ Jack schien seinen Gesichtsausdruck falsch zu interpretieren. Mit dem
Daumen strich er Iantos Wangenknochen nach. „Ist alles okay? Du hattest keine Pläne
für meine Abwesenheit, die ich dir verdorben habe, oder?“, fragte er scherzend.
„Nein. Keine Pläne außer Fernsehen und so was...“ Ianto umfasste
Jacks Hosenträger. „Hör mal, warum gehst du nicht zuerst unter die Dusche und
ziehst dich dann um? Ehrlich gesagt, du riechst etwas streng… nein, du stinkst.
Und ich glaube, du hast Blut an deiner Kleidung.“
Jack sah an sich herunter und schnitt eine Grimasse. „Es ist nicht
mein eigenes.“ Bisher hatte er seinen eigenen Zustand kaum beachtet. „Ich kann
das erklären.“
„Ich nehme an, es hat etwas mit deiner Arbeit zu tun?“ Ianto hob
die Schultern, als Jack nickte und ließ ihn los. „Keine weitere Erklärung
nötig. Mach, dass du unter die Dusche kommst. Was hältst du davon, wenn ich uns
in der Zwischenzeit ein Mittagessen besorge? Hast du Hunger?“
„Das klingt perfekt.“ Jack küsste ihn auf die Stirn. „Du bist
perfekt. Tu mir nur einen Gefallen und bestell nichts mit Fleisch. Mir steht
heute der Sinn nicht nach Steaks.“
Ianto zog die Augenbrauen hoch. „Ist das wieder ein Versuch, mich
dazu zu bringen, mehr Gemüse zu essen?“, entgegnete er trocken. „Muss ich dich
daran erinnern, dass du nicht meine Mutter bist?“
„Ein Glück. Sonst wäre wirklich sehr, sehr falsch, was ich hier
mit dir mache.“ Jack küsste ihn noch einmal, bevor er in Richtung Bad ging. „Bestell
deine heißgeliebte Jubilee-Pizza wenn du willst, das
Hotel wird es verkraften, wenn wir einmal außer Haus ordern.“
„Aye, Sir“, murmelte Ianto und sah ihm
nach, bis die Badezimmertür hinter ihm ins Schloss fiel. Irgendetwas stimmte
hier ganz und gar nicht. Er trat zu seiner Jacke und holte sein Handy heraus,
um beim Pizzaservice anzurufen. Garantiert lieferte Jubliee-Pizza
nicht oft an Luxushotels…
„Bitte zwei Mal die Peperoni-Paprika-Pizza mit extra Pilzen und
extra Käse. Und einen dieser Container mit Krautsalat. Ohne Zwiebeln. Ja, genau.
Mein Freund denkt ich esse nicht genug Gemüse und das ist so ziemlich das
einzige, das ich genießbar finde.“ Ianto wiederholte noch einmal die
Lieferadresse und gab ihnen Jacks Kreditkartennummer, bevor er das Handy auf
den blankpolierten Couchtisch legte.
Die Dusche rauschte nebenan immer noch. Er warf einen Blick auf
seine Uhr. Nichts gegen gründliche Körperpflege, aber Jack ließ sich heute wirklich
Zeit. Gut, dass er den Kaffee noch nicht gemacht hatte. Außer… vielleicht
wartet Jack unter der Dusche auf ihn. Er hatte nichts gesagt, aber sie wussten
beide, dass es um diese Uhrzeit mindestens eine halbe Stunde dauerte, bis Jubilee lieferte, obwohl sie weniger als einen Kilometer
vom St. Davids eine Filiale hatten – Ianto hatte sich dort schon häufiger auf
dem Weg ins Hotel Pizza geholt.
Er nahm sein Jackett ab und hängte es ordentlich über die
Rücklehne der Couch, um es vor Knitterfalten zu bewahren und lockerte seine
Krawatte, um sie abzunehmen. Er ließ sie neben dem Jackett liegen und knöpfte
sein Hemd auf, als er ins Badezimmer trat.
„Einsam, schöner Mann?“, fragte er mit gesenkter Stimme, gegen den
Türrahmen lehnend, um seinen Gürtel zu öffnen. „Wie wäre es mit…“ Ianto brach
ab, als ihm klar wurde, dass zwar die Dusche lief, er Jack aber hinter der
Milchglaskabine gar nicht sehen konnte. „Jack?“ Er durchquerte den Raum und
schob die Türe der Duschkabine zur Seite. Wasserdampf schlug ihm entgegen und
einen Moment lang war er wie blind. Ianto blinzelte ein paar Mal und beugte
sich in die großzügig geschnittene Kabine, um das heiße Wasser abzudrehen. Zum
Glück war der Duschkopf in der Mitte angebracht, der Strahl kam direkt von der
Decke, so bekam sein Arm nur einen kleinen Teil des kochendheißen Wassers ab.
Jack saß auf dem Boden der Duschwanne, die Knie angezogen, den
Rücken gegen die Wand gelehnt. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und wo
das heiße Wasser auf ihn herab prasselte, zeigte sich die Haut dunkelrot und
wund.
Ianto trat ganz in die Dusche, eine Grimasse schneidend, als sich
seine Socken sofort mit heißem Wasser vollsogen und kauerte sich neben Jack. Er
berührte die Schulter des älteren Mannes. War Jack derart erschöpft, dass er
unter der Dusche eingeschlafen war? Bei voll aufgedrehtem Heißwasserhahn?
„Hey!“ Er schüttelte Jack leicht, dann fester, als er keine Reaktion bekam.
Erleichterung breitete sich in ihm aus, als der ältere Mann die Hand hob und
sein Handgelenk umschloss.
Jack blinzelte ein paar Mal und sah sich um. „Hast du nicht ein
wenig zu viel an, um zu duschen?“, fragte er mit einem müden Lächeln und ließ
Iantos Handgelenk los, um nach seinem offenen Gürtel zu greifen.
Ianto schüttelte den Kopf. „Hast du versucht, dich zu ertränken?“,
fragte er, alles andere als amüsiert. „Oder bist du einfach nur eingeschlafen?“
Er deutete auf Jacks Brust. „Du hast dich ziemlich verbrüht.“
„Ich schätze ich bin erschöpfter, als ich dachte.“ Jack sah an
sich herab. „Ich habe nur einen Moment die Augen geschlossen.“ Er packte eine
Haltestange und zog sich daran wie ein alter Mann hoch. „Mach dir keine Sorgen,
das sieht schlimmer aus, als es ist.“ Er hielt Ianto die Hand hin und wartete,
bis der jüngere Mann ebenfalls auf den Beinen war, bevor er aus der Duschkabine
trat. „Hast du die Pizza bestellt?“
„Ja.“ Ianto hob einen Fuß an und puhlte eine durchgeweichte Socke
ab. „Wir können in einer halben Stunde oder so essen.“ Er musterte Jack, der
ihm den Rücken zuwandte und sich gerade das Haar trocken rieb. Offensichtlich
wollte er so tun, als wäre nichts passiert…
Andererseits, was war überhaupt passiert? Ianto hatte noch nie
gehört, dass jemand unter der Dusche einschlief. Manchmal schlief jemand in der
Badewanne ein und ertrank fast, aber im Stehen oder Sitzen, unter fließendem
Wasser?
„Ich rufe an der Rezeption an, dass sie das Essen sofort
hochschicken. Das letzte Mal hatten sie meinen Namen falsch verstanden und an
der Rezeption war jemand, der nicht wusste, dass ich bei dir wohne.“ Ianto
puhlte auch die andere Socke von seinen Zehen und wand beide aus. „Ich mache
dir eine Tasse extrastarken Kaffee, sobald ich wieder trocken bin.“
Jack drehte sich zu ihm um und grinste. „Willst du dir wirklich
die Mühe machen, etwas anzuziehen?“, fragte er und zog die Augenbrauen hoch.
Ianto warf die zusammengeballten Socken nach ihm und Jack wich
lachend aus. Ihm war nichts mehr von der Benommenheit anzumerken, die er in der
Duschkabine gezeigt hatte. Und auch die Rötung seiner Haut sah schon nicht mehr
so grellrot und akut aus. Es war inzwischen eher ein pinkfarbener Schimmer.
„Offenbar geht es dir besser“, murmelte er, als Jack sich dem Spiegel zuwandte
und an seinen Haaren herum zupfte.
Er sammelte seine Socken wieder ein und stopfte sie in den
Wäschekorb – er hatte seinen eigenen – und zog dann die Hose aus, da die
Hosenbeine unten ebenfalls feucht geworden waren. Ianto hängte sie an den
Handtuchwärmer, wo sie ziemlich knitterfrei trocknen sollte (falls nicht, gab
es in der Suite auch ein Bügeleisen) und zog sein Hemd über den Kopf. Es
landete ebenfalls im Wäschekorb. Sein T-Shirt war trocken geblieben und Ianto
tappte barfuß an Jack vorbei aus dem Bad. Zum Glück hielt er seit einiger Zeit
ständig Kleidung zum Wechseln hier bereit. Jack hatte ihm einen Schrank mit einer
Kleiderstange und mehreren Schubladen überlassen und er zog eine saubere Jeans
und frische Socken an. Ein verwaschenes, aber bequem weites Sweatshirt rundete
sein Freizeit-Outfit ab.
Als er sich die Haare aus der Stirn strich, kam Jack aus dem Bad.
„Willst du dich nicht anziehen?“, fragte er, als der ältere Mann direkt in die
Küche ging und den Kühlschrank öffnete.
„Owwww. Muss ich?“, kam es von Jack –
gedämpft, weil er den Kopf noch im Kühlschrank hatte, aber trotzdem wie ein
Fünfjähriger klingend.
„Es ist deine Wohnung.“ Ianto schloss den Schrank und ging
ebenfalls in die Küche, um sich um die Kaffeemaschine zu kümmern.
Jack tauchte auf und hielt eine Packung Milch hoch. „Wieso habe
ich nichts weiter zu essen hier?“, fragte er.
„Du wolltest erst Montag wieder kommen, erinnerst du dich?“,
entgegnete Ianto über das Mahlen der Bohnen hinweg. „Wieso sollte das Housekeeping
den Kühlschrank auffüllen, wenn niemand da ist, um das Zeug zu essen?“ Er
musterte Jack, sah ihm dabei zu, wie er die Milch direkt aus der Packung trank.
Ein paar Tropfen glitten an seinem Kinn entlang und landeten auf seiner Brust.
Ianto bemerkte, dass die Rötung fast völlig verschwunden war. Jacks Haut hatte
ihre übliche, leicht gebräunte Farbe wieder. Es hatte wohl wirklich schlimmer
ausgesehen als es gewesen war. „Du kannst ihnen ja Bescheid geben, wenn die
Pizza kommt.“ Er nahm den ersten Becher aus der Maschine und schob ihn Jack zu.
„Hier.“
„Eine Minute.“ Jack stellte die Milchpackung weg, wischte sich mit
dem Handrücken den Mund und das Kinn ab und verschwand ins Schlafzimmer. Als er
zurückkam, trug er wie Ianto Jeans und ein T-Shirt. Keine Schuhe. Keine Socken.
Jack nahm den Kaffee und zog einen der Hocker von der Frühstücksbar weg, um
darauf Platz zu nehmen.
Ianto lehnte sich neben der Maschine gegen den Küchentresen und
umschloss den Kaffeebecher mit beiden Händen. Heißer Dampf stieg auf und
kitzelte seine Wange. Er überlegte, ob er noch einmal nach dem Grund der
verfrühten Rückkehr fragen sollte, und wieso Jack ihn unbedingt sofort sehen
wollte. Andererseits wenn es mit seiner Arbeit zusammen hing, war es eh unwahrscheinlich,
dass er mehr als eine stark zensierte Auskunft erhielt.
„Du könntest hier einziehen“, sagte Jack plötzlich.
Der junge Waliser blinzelte überrascht. „Damit der Kühlschrank
immer gefüllt ist?“
Der andere Mann zuckte mit den Schultern, dann wurde sein Blick
abrupt leer. „Der Kühlschrank…“, murmelte er und schluckte, das Gesicht zu
einer angewiderten Grimasse verzogen. Jack trank seine Tasse aus und hielt sie
Ianto hin. „Machst du mir noch einen? Bitte.“
Ianto stellte ihm seinen eigenen Kaffeebecher hin, er hatte bisher
noch nicht daraus getrunken. Jack lächelte dankbar und nahm einen großen
Schluck.
Der Klingelton von Jacks Handy durchschnitt das Schweigen, gerade
als es unbehaglich zu werden drohte und Ianto atmete erleichtert auf. Das war
bestimmt die Pizza. Sie würden essen, und dann konnte Jack vielleicht schlafen.
Und wenn er wach wurde, war er bestimmt wieder mehr er selbst, nicht diese
light-Version. Jacks Handy steckte in seinem Mantel und der hing neben Iantos
Jacke im Eingangsbereich.
„Ich hole es“, meinte Ianto rasch und durchquerte den Raum. Das
Mobiltelefon war verstummt, als er es endlich in einer der überraschend
geräumigen Taschen fand und hoch hielt. Aber noch bevor er damit wieder bei
Jack war, begann es von neuem und auf dem Display tauchte der Name „Owen“ auf.
Das war der Name des Arztes in Jacks Team so viel wusste er. Ianto hoffte, er
rief Jack nicht zurück an die Arbeit.
Er reichte das Handy an ihn weiter und wollte sich diskret
abwenden – und mehr Kaffee machen – doch Jack schlang den Arm um seine Taille
und zog ihn an sich, als er das Gespräch annahm. Ianto fing sich gegen die
Frühstücksbar ab und beobachtete Jack, der die Augen geschlossen hatte.
Jacks Anteil an der Unterhaltung war eher einsilbig, aber Ianto
hörte die wütend klingende Stimme am anderen Ende der Leitung. Gedankenverloren
strich er mit den Fingerspitzen an Jacks Unterarm entlang. Der andere Mann
öffnete die Augen und schenkte ihm ein abgelenktes Lächeln. Kurz darauf
beendete Jack mit einem knappen: „Du tust was ich sage, Owen. Geh nach Hause.“
das Gespräch und ließ das Handy auf den Tisch plumpsen. Er legte beide Hände um
Iantos Taille und zog ihn zu sich her, so dass der junge Waliser zwischen
seinen Beinen stand. „Was denkst du, wie lange dauert es noch, bis die Pizza
hier ist?“
„Wieso?“, neckte Ianto ihn. „So hungrig auf einmal?“
„Ich überlege ob wir Zeit haben, ins Bett zu gehen“, meinte Jack
leichthin. „Oder ob wir gleich hier bleiben sollen…“
Ianto lachte – aber bevor er antworten konnte, klingelte das Handy
erneut. Er griff über Jacks Hände hinweg nach dem Telefon und warf einen Blick
auf das Display. „Jetzt ist es eine… Gwen. Ist das die Polizistin?“
„Ja. Sie wurde verletzt.“ Jack streckte ihm die Handfläche
entgegen und Ianto legte das Mobiltelefon darauf. „Ich sollte mit ihr reden. Es
dauert nur einen Moment, versprochen. Bleib einfach wo du bist.“
Trotzdem löste sich Ianto von ihm, sammelte die leeren
Kaffeebecher ein und machte sich daran, Nachschub zu beschaffen. Jack
telefonierte entgegen seinem Versprechen noch immer, als ein paar Minuten
später der Klingelknopf außerhalb der Suite betätigt wurde und Ianto das Essen
abholen konnte.
Er dankte dem Mann vom Zimmerservice und rollte den Servierwagen
in den Raum. Die beiden Pizzakartons und der Plastikbehälter wirkten ein wenig
albern darauf. Ianto warf einen Blick zu Jack, der aufgestanden war und nun im
Schlafzimmer auf und ab ging, bevor er sich daran machte, den Kaffeetisch zu
decken. Er beschränkte sich auf das Notwendigste: ein Messer um die Pizzen in
Stücke zu schneiden, Papiertücher um die fettigen Finger abzuwischen und ein Paar
Gabeln für den Salat. Zum Schluss nahm er noch eine große Flasche Wasser aus
dem Kühlschrank und zwei Gläser aus dem Schrank.
Jack kam zurück als er gerade die erste Pizza in Stücke
geschnitten hatte. Wortlos schob Ianto ihm ein Stück auf einer Papierserviette
zu und beobachtete, wie Jack sie mit nur zwei großen Bissen verdrückte. Ein
wenig langsamer folgte Ianto seinem Beispiel. Er war etwa halb durch sein
zweites Stück, als Jack bereits die Hälfte der Pizza intus hatte. „Habt ihr
vergessen, auf euren Ausflug Proviant mit zu nehmen?“, fragte er, sich mit
einem Papiertuch die Mundwinkel abwischend.
Der Captain hielt für einen Moment in seiner Darstellung „hungriger
Bär nach dem Winterschlaf“ inne und leckte geschmolzenen Käse von seinen
Fingerspitzen. „Wir sind nicht wirklich zum Essen gekommen. Da war ein
Imbissstand, an dem wir Halt gemacht haben, gegen Mittag am Dienstag, und ich
hatte einen Burger zweifelhafter Herkunft, wie mir meine Kollegin Tosh
versichert hat. Sie war überzeugt, wir würden das Mittagessen dort nicht
überleben.“ Er gab ein Schnauben von sich, halb amüsiert, halb verächtlich.
„Oh, sie lag ja so weit daneben.“ Jack nahm einen weiteren, großen Bissen von
seiner Pizza und Ianto wartete vergeblich auf eine Fortsetzung.
Von der zweiten Pizza waren noch genau ein und ein halbes Stück
übrig, als Jack sich mit einem Aufstöhnen gegen die Rückenlehne der Couch
zurück sacken ließ. „Ich denke, ich platze gleich.“
Ianto lachte und trank einen Schluck Wasser. Früher hätte er den
Rest der Pizza gegessen oder zur Seite geschafft, weil er nie wusste, wann er
das nächste Mal etwas zu Essen bekam. Jetzt überlegte er, ob es sich überhaupt
lohnte, sie in den Kühlschrank zu stellen. So reichte sie nicht mal für einen
Mitternachtssnack. Sein Blick glitt weiter zu dem geöffneten Plastikcontainer
mit Krautsalat, den am Ende keiner von beiden angerührt hatte. Alles
wiederholte sich eben. „Ich bin auch satt.“ Er stellte sein Glas ab und begann,
die gebrauchten Tücher einzusammeln.
Jack griff nach seinem Arm und zog ihn zurück neben sich auf die
Couch, den Arm um seine Taille legend. „Das kann warten.“ Er schwieg einen
Moment. „Kann ich dich dazu überreden, dir morgen auch frei zu nehmen? Bleib
hier. Heute. Morgen… das ganze Wochenende. Ich habe meinem Team auch das
Wochenende frei gegeben, damit sie sich erholen können und ich habe vor, mir
selbst eine Pause zu gönnen.“
„Ich muss Lisa fragen, ob sie einverstanden ist.“ Ianto legte den
Kopf gegen Jacks Schulter. „Geht das überhaupt?“, fragte er dann. „Du sagst
oft, dass du eigentlich immer arbeitest.“
„Es muss gehen.“ Jack legte eine Hand an seine Wange und drehte
sein Gesicht herum, um ihn zu küssen.
---
Ianto schreckte hoch, unsicher was genau ihn geweckt hatte. Jack
war im Schlaf von ihm weg gerollt, und wälzte sich nun hin und her. Seine Lider
zuckten hektisch und Schweiß bedeckte seine Haut, glänzte selbst im weichen
Licht des späten Nachmittags.
Das Bett war zwar groß, aber trotzdem hatten ihn die unruhigen Bewegungen
geweckt. Ianto rappelte sich hoch und überlegte, ob er Jack wecken sollte, oder
doch eher warten, bis er sich von selbst wieder beruhigte.
Der andere Mann nahm ihm die Entscheidung ab. Plötzlich
katapultierte sich Jack geradezu in die Senkrechte und saß schwer atmend
aufrecht im Bett.
„Jack?“ Ianto stieß die Decke von sich und kniete sich neben ihn.
Er legte die Hand auf Jacks Schulter. „Hey. Du hast nur schlecht geträumt“,
sagte er besänftigend. „Du bist Zuhause. In Sicherheit.“
Ein Schaudern lief durch Jacks Körper, dann entspannte er sich
sichtlich und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Ianto rieb über seinen
Oberkörper, über die nun wieder makellose Haut, die keine Spuren der
Verbrühungen mehr zeigte. „Das muss ein heftiger Alptraum gewesen sein“, meinte
er vorsichtig. „Du hast ein paar Mal nach Gwen gerufen und nach Tosh.“
„Was habe ich gesagt?“, fragte Jack, die Augen geschlossen.
„Nur das sie vorsichtig sein sollen. Ich denke du hattest Angst
ihnen würde etwas zustoßen.“ Ianto lehnte sich mit dem Rücken gegen das
Kopfende des Bettes. „Ist alles okay? Was ist passiert?“
Jack fuhr sich durch die wirren Haare, atmete aus und öffnete die
Augen. „Nichts, was ich nicht schon erlebt und auch überlebt hätte“, erwiderte
er mit einem Anflug Bitterkeit. Dann lächelte er und legte die Hand auf Iantos
Oberschenkel. „Aber es ist gut jetzt
nicht alleine aufwachen zu müssen.“
„Ich bleibe übers Wochenende“, entschied Ianto spontan. Ihm würde
schon etwas einfallen, um sich bei Lisa dafür zu revanchieren. „Gehen wir zum
Abendessen aus oder bleiben wir hier?“, wechselte er dann das Thema.
„Wie spät ist es?“ Jack blinzelte auf die Uhr. „Du hast doch nicht
schon wieder Hunger?“, neckte er ihn dann.
„Ich dachte eher an dich.“ Ianto legte sich hin und rollte sich auf
die Seite, um ihn anzusehen. „Und ich will gerne vorplanen. Wenn wir ausgehen,
ziehe ich mich nach dem Duschen an. Wenn wir hier bleiben… lasse ich mich
vielleicht dazu überreden al naturelle zu
essen.“
Jack grinste. „Du musst erst fragen was mir lieber ist?“
###
„So...“
Jack schwenkte den letzten Rest Kaffee in seiner Tasse. „Du musst nicht gleich
gehen, oder?“
Ianto
leckte Puderzucker aus dem Mundwinkel. „Nein. Ich habe mir für heute keinen Job
besorgt.“ Er stützte das Kinn in die Handfläche und sah Jack an. „Ich dachte
mir, wir brauchen vielleicht den ganzen Morgen, um uns von unserem dritten Date
zu erholen.“
Jack
grinste. „Mir gefällt, wie du denkst, Jones, Ianto Jones.“ Dann wurde er wieder
ernst. „Es tut mir leid, dass wir unterbrochen wurden. Und ich kann nicht
versprechen, dass es nicht mehr vorkommt. Wir arbeiten in Schichten, aber ich
bin der Boss und mein Team ist klein. Das heißt, selbst wenn ich frei habe, bin
ich ständig in Rufbereitschaft.“
Ianto
nickte. „Ich verstehe. Das Tourismusgeschäft in Cardiff ist wohl mörderisch.“
„Du
hast keine Vorstellung.“ Jack griff über den Tisch, begann mit der Spitze des
Zeigefingers Kreise auf den Rücken von Iantos freier Hand zu doodlen. „Ich bin sehr interessiert daran, zu sehen, wohin
uns das hier führt, aber... es gibt Dinge, über die ich nicht sprechen kann.
Oder darf. Wie meine Arbeit. Ich arbeite tatsächlich für die Regierung.“
Der
junge Waliser sah ihn unvermittelt an und zuckte dann mit der Schulter. Seine
graublauen Augen verrieten nichts außer leichtem Amüsement. „Das ist keine
Überraschung, nach der Sache mit meiner Jugendstrafakte - und dem GPS-Ding in
meinem Rucksack. Ich habe allerdings eine Frage.“
„Okay?“
Jack wartete gespannt, während Ianto sich in der Suite umsah.
„Wohnst
du in einem Hotel, weil du irgendwo eine Frau und eine Familie oder sonst
jemand hast, der nichts davon wissen soll, dass du gelegentlich junge Männer von
der Straße aufliest und zum Dinner einlädst?“
„Nein.“
Jack hob die Augenbrauen, als Iantos Blick zu ihm zurückkehrte. „Ich habe
niemanden in der Art. Beziehungen sind... schwierig für mich und ich treffe
selten jemanden, der längere Zeit meine Arbeitszeiten, meine Verschwiegenheit
und meine gelegentlich schlechte Laune erträgt.“ Ein schiefes Lächeln zuckte um
seine Mundwinkel. „Wie steht es mit dir?“
„Ich
jobbe, wann immer ich Arbeit finde, also gibt es keine festen Arbeitszeiten;
ich hasse es über meine Vergangenheit zu sprechen und ich denke, das beste
Mittel gegen schlechte Laune ist Sex. Reichlich davon.“ Ianto stützte sich mit
beiden Handflächen ab, um aufzustehen. „Oh, und ich bin natürlich auch solo.
Obwohl das wohl kaum noch eine Überraschung für dich sein kann, so gründlich
wie du dich über mich informiert hast.“ Er trat von der Frühstücksbar weg und
begann seine Kleidung hinter der Couch hervor zu fischen.
Jack
drehte sich auf dem Hocker, um ihm nach zu sehen. „Ich dachte, wir könnten jetzt
gleich herausfinden, ob dein Heilmittel für schlechte Laune bei mir wirkt.“
„Später.“
Ianto zog ein Kapuzenshirt über den Kopf. „Wenn ich das richtig sehe, hast du
die ganze Nacht nicht geschlafen und ich habe zu viel gegessen für anstrengende
Tätigkeiten.“ Er hielt nach seinen Sneakern Ausschau.
„Ich dachte, ich mache einen Spaziergang und du kannst ein paar Stunden
schlafen. Und wir treffen uns dann später wieder.“ Der letzte Satz war klar
eine Frage, auch wenn er nicht so klang.
„Schlaf
wird überbewertet.“ Jack lachte. „Aber ich schätze du hast mit dem Frühstück Recht.
Etwas dagegen, wenn ich mit dir komme? Ich denke, mir könnte jetzt ein wenig Bewegung
auch nicht schaden. Und wir können feststellen, ob wir noch mehr Übereinstimmungen
zwischen uns finden.“
Ianto
musterte ihn einen Moment als versuche er abzuschätzen, ob das Angebot ernst
gemeint war. Dann zuckte er mit den Schultern und zog die Kapuze über seinen
Kopf. „Können wir nach Mermaid Quay gehen? Es ist gleich um die Ecke und ich
war das letzte Mal als Kind dort.“
Eigentlich
hätte Jack es bevorzugt, sich nicht praktisch direkt vor seiner eigenen Haustür
aufzuhalten, wo er seinen Kollegen über den Weg laufen konnte, aber wenn der
junge Waliser das gerne wollte... „Also erst vor ein paar Jahren“, spottet er
sanft.
„Angst,
dass ich zu jung für dich bin?“, fragte Ianto, die Augenbraue hochgezogen. „Wie
alt bist du? Hast du schon das reife Alter von… 35… erreicht?“
„Ich
hatte auf 32 gehofft, aber lassen wir es im Moment dabei.“ Jack stand auf und
trat zu ihm, um ihn auf die Stirn zu küssen. Du bist definitiv zu jung für mich,
Ianto, dachte er. Aber wer ist das nicht... „Ich hole meinen Mantel.“
###
Am Freitagmorgen… eher Freitagvormittag, dem Licht nach, dass
durch die Fensterfront mit ihrem fantastischen Ausblick auf die Bucht fiel…
erwachte Ianto alleine in dem großen Bett. Es war nicht das erste Mal, dass das
passierte, und für gewöhnlich – falls er nicht aufstehen und zur Arbeit gehen musste
– drehte er sich einfach wieder auf die andere Seite und schlief weiter. Aber
sie waren gestern bereits am frühen Abend ins Bett gegangen und obwohl es noch
eine ganze Weile gedauert hatte, bis sie dann tatsächlich auch schliefen, war
er nicht mehr müde.
Eine Weile blieb er liegen, warm und gemütlich unter der Decke und
zwischen Kissen, die nach Jack rochen, und sah dabei zu, wie das Sonnenlicht an
der Zimmerdecke über ihm ein Stückchen weiter wanderte. Er fragte sich, wie
früh Jack wohl an die Arbeit gerufen worden war - hatte er überhaupt mehr als
ein paar Stunden geschlafen? – und wie er es fast immer schaffte, aufzustehen
und sich anzuziehen ohne ihn dabei zu wecken. Ianto hielt sich selbst nicht gerade
für jemand, der ein Erdbeben verschlafen würde. Typisch, das gerade jetzt ein
Alarm kommen musste, wenn Jack seinem Team freigab und niemand anderen schicken
konnte. Einen Moment lang regte sich seine Neugier, was genau Jack jetzt wohl
tat… aber es brachte nichts, darüber nach zu grübeln. Er hatte akzeptiert, dass
es Dinge gab, die er nicht wusste und auch nicht wissen durfte.
Ianto streckte sich und trat ins Bad, um lange zu duschen. Als er
unter dem heißen Wasserstrahl stand, fiel ihm Jacks merkwürdiges Verhalten am
Vortag ein. Egal wie sehr der andere Mann es herunterspielte, er hatte
irgendeine Art von stressbedingtem Zusammenbruch erlitten. Wie auch nicht? Jack
war auch nur ein Mensch. Zusammen mit den Alpträumen… Er wünschte, er wüsste etwas
mehr darüber, was auf diesem Ausflug aufs Land passiert war.
Als er schließlich das Bad verließ, fiel Iantos Blick auf sein
Handy, das er seit der Bestellung der Pizzen nicht mehr beachtet hatte. Offensichtlich
war er heute Morgen bereits gefragt gewesen. Zwei verpasste Anrufe und eine
Voicemail von Lisa, in der sie in nicht allzu freundlichen Worten eine bessere Erklärung
verlangte. Vielleicht hätte er mehr tun sollen, als ihr nur eine Textnachricht
zu schicken, dass er heute nicht kam und in der er ihr ein schönes Wochenende
wünschte.
Seufzend nahm er das Handy mit ins Schlafzimmer und zog eine
Stoffhose und eines von Jacks langärmligen T-Shirts an, das über der Stuhllehne
hing. Er wusste, es störte den älteren Mann nicht und er fand es überraschend
angenehm, Jacks Geruch um sich zu haben, auch wenn er nicht da war. So
sentimental das klang.
Er ging in die Küche und bereitete sich einen doppelten Espresso,
bevor er die Schnellwahltaste für Lisas Nummer antippte und darauf wartete,
dass sie abnahm. Er öffnete gerade den Küchenschrank auf der Suche nach etwas
Essbarem für ein verspätetes Frühstück, als sein Anruf weggedrückt wurde. Ianto
legte mit einem Stirnrunzeln das Handy zur Seite. Offensichtlich wollte Lisa im
Moment nicht mit ihm sprechen. Nun gut, er würde es einfach später noch einmal
versuchen. Ianto fand einen ungeöffneten Karton mit Frühstücksflocken und einen
Rest Milch, den Jack am Vortag übriggelassen hatte und der genau für eine
Schale voll reichte.
Auf der Frühstücksbar lag ein Stapel Zeitungen von letzter Woche
und Ianto verbrachte eine vergnügliche Viertelstunde damit, ein Kreuzworträtsel
zu lösen, während er langsam seine Flocken löffelte. Erst als er das benutzte
Geschirr in die Spülmaschine stapelte, sah er den Notizzettel, der auf dem
Boden vor der Kaffeemaschine lag. Er war zerknittert – offenbar war er drauf
getreten – und vermutlich hatte der Zettel ursprünglich auf der Maschine darauf
gewartet, von ihm gelesen zu werden, war aber durch einen Luftzug auf den Boden
gefallen. Wo er ihn natürlich zunächst übersehen hatte.
Auch ohne Unterschrift hätte er erkannt, dass Jack die Nachricht
geschrieben hatte. Inzwischen kannte er seine Handschrift gut genug. Das war
nicht der erste Zettel, den er fand.
Ianto lächelte unwillkürlich, als er damit ins Wohnzimmer ging, er
wusste die Geste zu schätzen.
Jack schrieb, dass er ein paar Stunden weg müsse, und etwas zum Essen
mitbringen würde, wenn er zurückkam. In der Zwischenzeit sollte Ianto in der
Suite bleiben und sich amüsieren.
Also ging er zurück in die Küche, machte sich mehr Kaffee und schaltete
dann den Fernseher ein.
Überrascht setzte Ianto sich auf, faltete die Beine unter sich und
starrte gebannt auf den Bildschirm.
Gleich mehrere Sender berichteten über einen Einsatz in einem
abgelegenen, kleinen Dorf im Naturschutzgebiet Brecon
Beacons. Er zappte sich durch die
Nachrichtensendungen.
Die Reporter vor Ort – ein kleiner Schwarm mit Mikros und
Kameraleuten, die sich gegenseitig beinahe auf die Füße traten - klangen durchwegs
frustriert, weil die Polizei das Gebiet weiträumig abgesperrt hatte und sie
nicht mehr als Landschaftsaufnahmen von eintönigen Hügeln und ein paar grauen
Häusern zeigen konnten.
Im Hintergrund waren hastig errichtete Holzbarrieren und
Polizisten in fluoreszierenden Jacken und mit grimmigen Mienen zu sehen. Iantos
scharfe Augen erspähten sogar Polizisten in Körperpanzerung, wie sie sonst bei
aus dem Ruder gelaufenen Demonstrationen zum Massenkontrolle zum Einsatz kam und
mit Gewehren in den Händen. Erwarteten sie, dass die einheimische Fauna über
sie herfiel? Es gab in diesen Hügeln doch schon seit Jahrhunderten keine Bären
und Wölfe mehr. Selbst Füchse zog es heute eher in die Vorstädte, wo sorglose
Menschen überall Nahrung herumliegen ließen oder es die eine oder andere
saftige, dumme Hauskatze zu fressen gab. Zwei Personen – ob Männer oder Frauen
ließ sich nicht erkennen, sie waren von Kopf bis Fuß in weiße Overalls gehüllt
– luden gerade am Rande der Aufnahme Taschen und Koffer aus einem Van mit einer
auf diese Entfernung nicht lesbaren Aufschrift.
Tatsächliche Informationen schienen spärlich vorhanden zu sein,
dafür wucherten die wildesten Gerüchte. Es war die Rede von einem Satanskult. Von
einem Drogenring und von in den Tälern versteckten Hanffeldern, die angeblich
von der Forstbehörde bei einem Kontrollflug aufgrund illegaler Holzfällerei entdeckt
wurden. Daraufhin kam es zu einer Schießerei mit den Dorfbewohnern.
Andere sprachen von einer Sekte, die nicht näher genannte, altertümliche
keltische Rituale praktizierte. Die Reporterin, die diese Nachricht verbreitete
tat alles außer verschwörerisch in die Kamera zu blinzeln, als sie von angeblichen
Blutspuren in einem Keller sprach.
Ein anderer wollte von einer kriminellen Familie erfahren haben,
die nach alter „Highwayrobber“-Sitte durchreisende
Autofahrer und Touristen im örtlichen Pub um ihr Hab und Gut erleichterten oder
Übernachtungsgäste in den Feriencottages überfielen. Diese Version klang am
unglaubwürdigsten. Sicherlich hätte es in dem Fall schon längst Anzeigen und
Beschwerden gehagelt.
Für Ianto stellte sich vor allem eine Frage – was auch immer in
diesem Dorf passiert war, konnte er es als Zufall abtun, dass es ausgerechnet
dann geschehen war, als sich Jack mit seinem Team in dieser Gegend aufhielt?
Nein. Das konnte kein Zufall sein.
Ein Mann tauchte vor der Kamera auf und behauptete, zu wissen,
dass mehrere Personen angeschossen worden waren – merkwürdigerweise alle in die
Beine und Knie, so dass sie es überlebten, und dass es sich wohl um Schüsse aus
einer Schrotflinte (die auf keiner Farm in der Gegend fehlte) handelte. Das löste
frische Spekulationen aus - nun, dass es eine Verbindung zur Mafia geben
könnte. (Es wurde nicht gesagt, welche Nationalität sie im Sinn hatten, denn
Ianto bezweifelte, dass es eine walisische Mafia gab – dazu war das Land
einfach zu klein und was, bitte, hätten sie da draußen wohl kontrolliert? Den
Handel mit Schafen und Wolle oder etwa die stillgelegten Kohleminen?)
Ianto erinnerte sich nur zu gut an den Gestank nach Schießpulver
an Jacks Kleidung und an die Blutflecke an seinem Mantel. Ja, kein Zweifel
daran, dass Torchwood irgendetwas damit zu tun hatte. Die Brecon
Beacons waren nicht gerade klein, wenn er sich aus seiner
Schulzeit richtig daran erinnerte, aber zwei isolierte, gewalttätige
Zwischenfälle dieser Art im gleichen Zeitraum? Die Chancen mussten astronomisch
gering sein.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür holte ihn aus seinen
Grübeleien und Ianto drückte die Stumm-Taste der Fernbedienung, bevor er sich
umdrehte, erwartungsvoll über den Rücken der Couch zur Tür sehend.
Es war nicht Jack.
Eine junge Frau mit blaugesträhntem, schwarzem Haar, das sie zu
einem Pferdeschwanz zurückgebunden trug, schob gerade einen Putzwagen in den
Raum. Sie stoppte, als sie Ianto entdeckte und zog rasch die Ohrstöpsel ihres
mp3-Players aus den Ohren. „Oh. Es war kein „Nicht stören“-Schild draußen. Ich
wusste nicht, dass jemand da ist.“ Sie hielt eine Ausweisekarte hoch, die an ihre
Hoteluniform geklippt war. „Entschuldigung, ich bin vom Housekeeping. An der
Rezeption haben sie mir gesagt, dass der Captain weg ist, also dachte ich, jetzt
ist es günstig. Aber ich kann später wieder kommen…“
Ianto stand auf und trat zu ihr. „Kein Problem. Ich verspreche,
nicht zu sehr im Weg zu sein.“ Er fuhr sich durch die Haare, die nach seiner
Dusche unfrisiert getrocknet waren und sicherlich in alle Richtungen abstanden.
Wenigstens hatte er sich bereits rasiert und war angezogen… „Ich bin übers Wochenende
zu Gast bei Captain Harkness.“ Uh, wieso erklärte er ihr das? Was interessierte
es das Zimmermädchen? Vermutlich war das Personal daran gewöhnt, dass Jack
gelegentlich Besuch hatte. Bisher war er nur noch nie einem der dienstbaren
Geister begegnet, die sauber machten, einkauften und frische Wäsche lieferten. Er
lächelte und zuckte mit den Schultern. „Ich bin Ianto.“
„Vera.“ Sie schob den Wagen ganz in den Raum. „Ich fange im
Badezimmer an, ist das okay?“
„Ja, kein Problem.“ Ianto trottete zur Couch zurück, nahm Platz
und zog wieder die Füße unter sich. Er lauschte einen Moment auf die Geräusche
aus dem Bad – es fühlte sich merkwürdig an, hier zu sitzen, während jemand
anderes seinen Dreck weg machte – und schaltete dann den Ton am Fernseher wieder
ein.
Die Reporterin von vorhin hatte sich mit ihrer Kamera zu einer der
Barrieren vorgearbeitet und versuchte einem jungen Police Constable eine
Auskunft zu entlocken. Doch der Polizist musterte sie nur stoisch, sah flüchtig
in die Kamera und erklärte, dass er hier wäre um den Verkehr zu regeln. Für
Auskünfte war die Pressestelle zuständig.
Sie blieb hartnäckig. Fragte den PC, ob er das Gerücht bestätigen
könne, dass jemand in einem der Cottages als Geisel gehalten worden wäre, ein
ahnungsloser Rucksacktourist, der ein Quartier für die Nacht gesucht hätte und
der jetzt in Cardiff in einem Krankenhaus behandelt wurde. Und dass diese
Geisel ausgesagt habe, dass mindestens ein Polizist die Vorgänge im Dorf
gedeckt habe, weil seine Familie dort lebe.
Der junge Polizist, dessen rötlichblondes Haar struppig unter
seiner Dienstmütze hervor sah, wirkte einen Moment lang ehrlich verdutzt.
Entweder darüber, wie gut die Reporterin informiert war oder weil er eben zum
ersten Mal von dieser Version der Geschichte hörte. Bevor er sie wieder auf die
Pressestelle verweisen konnte, kam ein anderer Polizist – ein älterer,
großgewachsenen, stämmiger Mann mit rötlicher Haut und kahlem Kopf – und
schickte ihn weg. Er selbst baute sich hinter der Barrikade auf, die Arme vor der
Brust verschränkt, die Beine auseinander um sicheren Stand zu haben. Er
beantwortete keine Fragen, schüttelte nur den Kopf. Vermutlich hatten sie ihn
geschickt weil er abschreckender aussah als der junge Constable.
Nach einer Weile fruchtlosen Bemühens ließ die Reporterin von ihm
ab und wandte sich wieder der Kamera zu. Sie gab zurück ins Studio und
versprach, weitere Neuigkeiten zu melden, sobald sie sich ergaben.
Ianto schaltete den Fernseher aus. Aus den Augenwinkeln sah er
Vera mit einem Arm voll Handtücher aus dem Bad kommen. Sie warf sie in den
Wäschekorb und ging mit einem Stapel frischer, ordentlich gefalteter Tücher
zurück.
Unschlüssig, was er jetzt tun sollte, stand Ianto auf. Es war kurz
vor elf.
Wenn er im Büro wäre, würde er jetzt mit Lisa eine Kaffeepause
einlegen, nachdem sie Mister Beecher und Mister Latimer die Tagespost gebracht
hatten. Etwa eine halbe Stunde später bekamen sie normalerweise die Unterlagen
zurück, mit Anmerkungen versehen, was damit zu tun war. Pünktlich um zwölf verschwanden
dann die beiden Anwälte, um zum Essen nach Hause zu fahren. Erst um zwei waren
sie wieder in der Kanzlei und empfingen dann meist den ganzen Nachmittag lang
Klienten.
Wäre dies ein normaler Freitag, an dem er frei hatte, wäre er
vermutlich ebenfalls hier in Jacks Suite – aber vermutlich mit Jack und die
Frage danach, was er tun sollte, würde sich gar nicht erst stellen…
Er holte sich ein Glas Wasser aus der Küche, wischte verstohlen
einen einzelnen verschütteten Milchtropfen von der Frühstücksbar, den er zuvor übersehen
hatte und schlenderte zurück in den Wohnbereich. Vera lächelte ihm zu, als sie
ins Schlafzimmer ging.
Okay, er bevorzugte es definitiv, nicht hier zu sein, während
jemand anderes die Suite aufräumte und reinigte. In welchem Zustand hatten sie
das Schlafzimmer eigentlich hinterlassen? Er wusste, dass er seine Kleidung
aufgesammelt und in den Wäschekorb bzw. auf einen Stuhl geworfen hatte, bevor
er schlafen ging. Jack war bereits eingeschlafen gewesen, als Ianto aus dem Bad
zurückgekommen war und rührte sich auch nicht, als er ein feuchtes Handtuch
über den Bauch des anderen Mannes zog. Keiner von ihnen hatte in der letzten
Nacht an Kondome gedacht und Ianto wusste, er würde nie schlafen können, bevor
er sich nicht zumindest kurz wusch. Er hasste es, wenn seine Haut am Laken festklebte…
Ianto kauerte sich in einen der bequemen Sessel, von denen aus man
in zwei Richtungen freien Ausblick aufs Wasser hatte und nahm ein Buch zur
Hand, das auf der breiten Sessellehne lag. Es stammte aus Jacks Bibliothek und
er hatte irgendwann während seines letzten Aufenthaltes darin zu lesen
begonnen. Das Buch war alt, auf der Innenseite war 1935 als Erscheinungsjahr
angegeben, das Papier so dünn, dass die Schrift auf der Rückseite
durchschimmerte und es schwer machte, die kleinen, eng gedruckten Worte zu
entziffern. Er fragte sich, woher Jack es hatte und wieso er sich für
walisische Mythologie interessierte. (Ehrlich gesagt, Ianto hatte keine Ahnung
gehabt, dass es so etwas gab. Sie mussten in der Schule ein paar Gedichte
lesen, die englische Übersetzung bekannter, alter walisischer Gedichte und die
Lebensläufe einiger walisischer Dichter und Poeten wurde ihnen nahe gebracht,
aber er konnte sich nicht erinnern, dass einer seiner Lehrer von Mythen und
Märchen gesprochen hätte.)
Ein an den Rändern vergilbtes Lesenzeichen,
das offensichtlich mit einer echten, gepressten Blume - auf Karton geklebt - und
einem geflochtenen Stoffbändchen handgefertigt worden war, markierte eine
Stelle über Faeries. Feen, nicht wie Disneys Tinkerbell, eher kleine, gemeine Geschöpfe, die den
Menschen üble Streiche spielten, wenn man sie nicht durch Opfergaben
besänftigte. Offensichtlich gehörte dazu eine Untertasse voll Sahne auf der
Fensterbank des Küchenfensters oder auf dem Herd, genauso wie das Hinterlassen von
Honig, Kuchen oder Blumen an Orten, die ihnen zugeschrieben wurden. Im Gegenzug
sollten sie die Hausbewohner und ihr Vieh verschonen, und ihnen sogar gutes
Wetter und eine reichliche Ernte bescheren. Leider wurde nicht weiter
ausgeführt, wie diese Wesen das zustande brachten.
Dort wo die Blüte des Lesezeichens auf dem Papier auflag, hatte
sie es verfärbt und das dünne Papier hatte ihren Abdruck angenommen, selbst
jetzt wo das meiste davon zu Staub zerbröselt war. Es lag wohl schon seit
vielen Jahren im Buch und markierte dieses Kapitel. Nicht zum ersten Mal
schloss Ianto den Band wieder um die Widmung auf dem Vorsatzblatt zu lesen. In
kunstvoll geschnörkelter Schrift, die Tinte zu einem blassen Veilchenblau ausgebleicht,
stand dort: „Verschließ die Augen nicht, Jack“ und darunter „In Liebe, Estelle.
Cardiff, Weihnachten 1953“.
Wer diese Estelle wohl war? Und an welchen Jack sich diese Worte richten
mochten? Vielleicht ein Familienerbstück? Jack machte zwar ein Geheimnis um
sein wahres Alter, aber es schien ihm eher unwahrscheinlich, dass Tante Estelle
dieses Buch 1953 für den kleinen Jack unter den Weihnachtsbaum gelegt hatte. So
alt war er auf keinen Fall.
Vielleicht hatte Jack es auch nur zufällig in einem Antiquariat
gesehen und wegen der Widmung gekauft. Da stand nämlich eine ganze Reihe an
Büchern im Regal, aus den unterschiedlichsten Jahren und sie sahen alle
gebraucht aus. Es waren sowohl alte, schwere, ledergebundene Bände dabei, als
auch zerfledderte Taschenbücher. Und die Themen umfassten alles erdenkliche,
von Literaturklassikern, Sachbüchern über Mathematik, Physik, Astronomie bis
hin zu Taschenbüchern, wie man sie zur Unterhaltung an Flughäfen und Bahnhöfen
kaufen konnte, billige Krimis mit reißerischen Umschlagbildern, dazwischen ein paar
Mills-and-Boon-Romane, die
er wirklich nicht im Bücherregal eines Mannes vermutete. Vielleicht waren sie
Souvenirs von Frauen, die Jack gekannt hatte… Ein
paar Bücher waren in anderen Sprachen gedruckt und er fragte sich, wie viele
Jack davon wohl sprach. Einmal hatte er ihn in fließendem Französisch
telefonieren hören und als er ihn danach fragte, hatte Jack gelacht und etwas
von einem längeren, beruflichen Aufenthalt in Paris erzählt, bevor er ihn mit
seiner Demonstration von French Kissing
ablenkte. Und da war die vergilbte Broschüre, die zwischen zwei Bände über Stonehedge geklemmt war – sie war offenbar für Kinder
entworfen, und illustrierte indische Worte und ihre englischen Gegenstücke mit
bunten Zeichnungen. Sie trug das Copyright der Indischen Regierung und war auf
1923 datiert.
Sie passten nicht so ganz zur Suite, genau wie Jacks
Schallplattensammlung. Er hatte die schon bei seinem ersten Besuch bemerkt und
sich darüber gewundert. Jack hatte sogar einen Plattenspieler, der an die
Stereoanlage angeschlossen wurde und einmal hatte er auf Iantos Bitte hin eine
Platte aufgelegt. Er war einfach neugierig gewesen, mehr über Jack zu erfahren
und warum nicht mit seinem Musikgeschmack anfangen? Das Cover der Plattenhülle
verriet ihm, dass es sich um das Glen Miller Orchester handelte, aber ohne sich
an einen PC zu setzen und danach zu googlen, brachte
es ihn auch nicht viel weiter. Außer, dass Jack melancholisch wurde, als die
Musik den Raum füllte und an irgendetwas anderes zu denken schien.
Ianto legte das Buch zurück auf die Armlehne. Er sah hinaus auf
die Bucht und beobachtete Veras Reflektion auf dem makellos polierten Glas. Sie
stopfte Bettwäsche und Laken in den Wäschesack und schenkte ihm keine Aufmerksamkeit.
Gut. Er war sicher, dass er rot anlaufen würde, wenn sie ihn ansah, während sie
die Laken in der Hand hielt, die sicherlich verrieten, was letzte Nacht auf
ihnen passiert war.
Er hob den Arm zum Gesicht und atmete Jacks Geruch am Ärmel ein.
Das half nicht gerade und feine Gänsehaut bildete sich an der Innenseite seiner
Oberschenkel. Das waren bestimmt die kalten Füße. Er hätte Socken anziehen
sollen. Vielleicht war Vera im Schlafzimmer bald fertig und er konnte sich ein
Paar holen.
Wozu warten. Ianto stand auf und ging ins Schlafzimmer. Vera war
gerade dabei, das letzte Kissen glatt zu streichen und sah auf, als sie ihn
hinter sich bemerkte. „Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte sie freundlich.
So etwas hatte er doch schon einmal in einem Film gesehen… „Uuh. Danke, nein, ich hole nur schnell…“ Ianto zog den Kopf
ein und eiligst eine Schublade auf. Es musste an dieser Umgebung liegen, dass
er sich immer wie ein stotternder Idiot benahm. Na und, dann war das hier eben
ein Luxushotel, das Wert auf ein anspruchsvolles, reiches Klientel legte (und
Touristen aus Europa). Nirgendwo gab es Schilder, die dem Sohn eines
Kaufhaus-Schneiders und einer Musiklehrerin verboten, es zu betreten. Er
schnappte sich das erste Paar Socken, das ihm in die Finger geriet und ging
damit ins Wohnzimmer zurück.
Ianto schaltete den Fernseher wieder ein. Er hatte keine Lust auf
weitere Spekulationen und Theorien der Reporter und öffnete stattdessen einen
Schrank, in denen DVDs lagen. Das Hotel stellte sie zur Verfügung und wechselte
sie ab und zu gegen aktuelle Filme aus. Unter ihnen befand sich eine Box mit
James-Bond-Filmen. Irgendjemand musste gedacht haben, das würde dem Captain
mehr zusagen, als die üblichen Hollywood-Streifen. Jack hatte zugegeben, dass
er mit seinem Team ab und zu einen gerade angesagten Film sah, wenn sie während
einer ruhigen Nachtschicht wach zu bleiben versuchten, aber sich ansonsten
nicht besonders dafür interessierte. Aber er hatte nichts dagegen, wenn Ianto
die DVDs nutzte – und meistens sahen sie sich dann am Ende die Filme zusammen
an. Action war okay, auch die gelegentliche Komödie, aber alles was mit Science
Fiction oder Aliens zu tun hatte, forderte nur Jacks Kritik heraus.
Eines Nachts hatte Ianto sich die Wiederholung von „Alien“
angesehen, als er nicht müde war und nachdem Jack den halben Film über
kritisiert hatte, schaltete Ianto den Fernseher ab, wandte sich dem anderen
Mann zu, und fragte ihn, ob er schon vielen Alien begegnet war, weil er so gut
Bescheid zu wissen glaubte.
Zu seiner Überraschung war Jack plötzlich sehr ernst geworden und
hatte eine Weile geschwiegen. Schließlich schien er zu einer Entscheidung zu
kommen und forderte von ihm das Versprechen, niemand gegenüber zu wiederholen,
was er ihm erzählen würde - und dann spann Jack ein unglaubliches Märchen von
einer 1879 durch Königin Victoria in Schottland gegründeten Einrichtung namens
„Torchwood Institute“, die die Erde vor einem gewissen Außerirdischen – einfach
nur „Doctor“ genannt – und seinem zeitreisenden Raumschiff und weiteren Alien
beschützen sollte. Mehr als das, die Königin richtete diese Organisation ein,
weil sich in ihrem Stammbaum eine Art von außerirdischen Werwölfen eingeschlichen
hatten, was sie am eigenen, königlichen Leib erfahren musste, und vom Doctor
gerettet wurde. Von Dankbarkeit hielt sie wohl nicht genug, um ihn nicht gleich
darauf von der Erde zu verbannen. Vermutlich, damit niemand hinter ihr kleines
Familiengeheimnis kam.
Mehr noch. Jack sagte, er wäre mit diesem Doctor und seiner Zeitmaschine
eine Weile durchs Universum gereist und hätte einige Abenteuer auf anderen
Planeten erlebt. Wann genau das allerdings geschehen war, darüber schwieg er
sich auffällig aus. Auch wie lange er schon für dieses ominöse Torchwood
arbeitete. „Zu lange“, war sein einziger Kommentar dazu.
Zwei Tage später, in einer Samstagnacht, nahm Jack ihn dann mit
nach Mermaid Quay und brachte ihn über einen am Fuß des Wasserturms versteckten
Lift in das Torchwood Hauptquartier in Wales.
Er war nach wie vor nicht wirklich ganz sicher, ob er in dieser
Nacht nicht einfach nur zu viel Bier getrunken hatte, um das scharfe indische
Curry, zu dem Jack ihn ausgeführt hatte, hinunter zu spülen. Und ob er den Rest
der Nacht und den Besuch in einer hochgeheimen, unterirdischen Alien-Jäger-Basis
nur geträumt hatte. Ausgerechnet, sich vorzustellen, dass der prähistorische
Flugsaurier, den Jack als eine Art Haustier dort hielt, tatsächlich echt sein
sollte, fiel ihm am Schwersten. Vielleicht gerade, weil er eine der ledrigen
Schwingen berührt hatte...
Jack lachte, als er ihn - später, zurück im Hotel - fragte, ob er
vielleicht auch ein Alien wäre und meinte, er wäre seinem Wissen nach
menschlich genug. Was immer auch das bedeuten sollte. Vielleicht erklärte es,
wieso die Verbrühungen gestern Mittag innerhalb so kurzer Zeit abgeheilt waren
und warum Jack immer so gut roch…
Jedenfalls hatte er heute keine Lust auf irgendetwas, das mit
außerirdischem Leben zu tun hatte - Ianto zog Casino Royale mit David Niven aus
der Box und legte die DVD ein. Kaum hatte er es sich wieder auf der Couch
bequem gemacht – und dieses Mal mit warmen Füßen – als Vera mit einem zusammen
gefalteten Karton unter dem Arm aus der Küche kam. Er hatte fast vergessen,
dass sie sich noch in der Suite aufhielt.
Als er sich zu ihr umdrehte, schien sie sich genötigt zu fühlen,
ihn anzusprechen. „Ich habe den Kühlschrank nach den Wünschen von Captain
Harkness aufgefüllt. Eine neue Bestell-Liste liegt auf dem Tisch und die
Reinigung des Wohnraumes wurde wie erbeten auf Dienstag verschoben. Schönen Tag
noch, Mister Jones.“
Bevor er sich von der Überraschung erholt hatte, dass sie seinen Nachnamen
wusste, war Vera bereits mit ihrem Wagen – nun voll Schmutzwäsche –
verschwunden.
Ianto wandte sich wieder dem Film zu und wurde nur ein paar
Minuten später wieder unterbrochen. Dieses Mal klingelte sein Handy und auf dem
Display stand „Lisa“. Er nahm den Anruf rasch an, bevor sie es sich anders
überlegen konnte. „Hi, Freundin“, sagte er.
„Faulpelz“, kam es vom anderen Ende der Leitung, gefolgt von einem
tiefen Seufzen. „Du hast besser eine sehr gute Entschuldigung… wie… dass er
dich ans Bett gefesselt als seinen persönlichen Sexsklaven in diesem schicken
Hotel gefangen hält… dafür dass du dir heute außer der Reihe frei genommen
hast.“
Ianto lachte und drückte auf die Pause-Taste des DVD-Players.
„Jack hält mich in einem schicken Hotel als seinen persönlichen Sexsklaven fest
und hat mich ans Bett gefesselt.“
„Lügner“, erwiderte Lisa trocken. „Ich habe den Fernseher gehört.
Und du kommst ans Handy, also bist du nicht gefesselt.“
„Vielleicht hat er eine Hand frei gelassen“, flachste Ianto
zurück. „Und der Fernseher ist an um meine Hilferufe zu übertönen.“
„Ich sollte um Hilfe rufen“, erwiderte seine Freundin mit dumpfer
Stimme. „Ich muss meinen eigenen Kaffee trinken, während du dich in deinem
Vergnügen suhlst.“ Er hörte ein leises Quietschen im Hintergrund und wusste,
dass sie sich in ihren Stuhl zurück gelehnt hatte. „Wo steckt der Herr
Kerkermeister? Mark hat vorhin angerufen, ob wir mal wieder zu Viert essen
gehen wollen.“
Nun, das war definitiv ein Vorwand. Mark hasste ihn zwar nicht
gerade, aber er war auch nicht froh über die Vertraulichkeit seiner Freundin
mit ihm. Die Tatsache, dass Ianto gegenwärtig mit einem Mann liiert war und Mark
eben diesen Mann bereits kennen gelernt hatte (oder war es gerade das gewesen?)
überzeugte ihn wohl nicht ganz, dass er keine „Absichten“ auf Lisa hegte.
„Er musste für eine Weile weg. Etwas mit seiner Arbeit.“
„Ist wirklich alles okay?“, fragte Lisa, plötzlich wieder ernst. „Du
bist so überstürzt aus dem Büro verschwunden und ich meine, es ist nicht
wirklich ein romantisches… Intermezzo… wenn er dich dann alleine im Hotel
sitzen lässt und an die Arbeit zurück geht.“
„Ich weiß nicht, was es ist, Lisa“, gestand er ein. Vor seinem
inneren Auge tauchte urplötzlich die Reporterin auf, die von Blutspuren im
Keller gesprochen hatte. „Aber er hat gesagt er braucht mich. Und ich habe
versprochen, das Wochenende hier mit ihm zu verbringen.“
„Du musst das selbst wissen.“ Lisa seufzte erneut. „Anderenfalls
kannst du wieder auf meiner Couch unterkommen und ich verteidige dich mit
meinem Leben, okay? Zumindest für ein paar Minuten. Jack ist verdammt charmant,
wenn er etwas will und ich bin auch nur eine Frau aus Fleisch und Blut, kein
Roboter. Wobei er vermutlich da noch das Metall zum Schmelzen bringen würde...“
„So weit wird es nicht kommen“, versicherte ihr Ianto lachend. „Keine
Sorge. Ich würde dieses große Opfer niemals von dir fordern.“
„Sollen wir uns nachher irgendwo zum Mittagessen treffen?“, fragte
Lisa nach einem Moment. „Ich mache um zwölf Schluss. Natürlich nur, wenn du
ohne Erlaubnis des Kerkermeisters deine hochfeine Suite verlassen darfst.“
„Ein anderes Mal? Ich habe erst vor einer Weile gefrühstückt und
sobald Jack zurück ist, muss ich eh wieder mit ihm essen.“
Lisa lachte. „Das klingt, als versuche er dich zu mästen. Gibt es
vielleicht einen besonders großen Ofen in seiner Luxushöhle?“
„Jetzt wo du es sagst… er versucht mich immer zu füttern. Als wäre
ich eine streunende Katze, die ihm zugelaufen ist.“ Ianto zupfte an der Ecke
eines Sofakissens.
„Also, wenn du es so formulierst...“
„Zumindest bin ich ihm nicht nach Hause gefolgt“, schnitt Ianto
ihr das Wort ab.
„Nein, du bist ihm in ein Hotel gefolgt. Böser Junge.“
„Okay, du hattest eindeutig zu viel schlechten Kaffee heute.“
Ianto grinste und legte den Kopf in den Nacken. Es tat gut, mit ihr zu
sprechen.
„Du hast schon was von einem Kätzchen an dir“, meinte Lisa und er
konnte das Grinsen in ihrer Stimme hören. „Hmh, ich
erinnere mich. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hast du eben sehr wie
ein halbverhungertes Straßenkätzchen gewirkt.“
„Kätzchen,
wirklich? Konntest du nicht wenigstens Kater sagen?“
„Du
hast damit angefangen. Und nein. Eindeutig ein Kätzchen. Wie du dich bewegst. Die undurchdringlichen Augen. Ein
bisschen fluffiges Fell…“
Ianto schnitt eine Grimasse. Das hatte er sich jetzt wirklich selbst
zuzuschreiben.
„Und ein langer Schw...“
„Ich höre dir nicht zu“, rief Ianto. „Siehst du? Ich halte mir beide
Ohren zu.“
„Ach, das ist sehr erwachsen.“ Lisa lachte, wurde dann abrupt
ernst. „Hey, wenn du mehr Zeit mit Jack brauchst, dann ruf mich Montag an, und
wir kriegen das hin. Mark muss auf eine Fortbildung, und danach nimmt er eine
Woche Urlaub. Ich könnte dann ein paar freie Tage extra gut brauchen. Latimer
hat mir eine eMail geschickt, dass er die ganze nächste
Woche krank ist, die Arbeit sollte also für einen alleine leicht zu schaffen
sein.“
„Danke. Du bist die beste Kollegin – und Freundin - die man sich
wünschen kann.“ Ianto meinte es auch so. „Ich spreche mit Jack und melde mich
spätestens am Montag bei dir.“
„Gut, dann gehe ich jetzt meinen Heiligenschein polieren, bevor
ich ins Wochenende enteile.“ Wieder das Quietschen des Stuhls. „Pass auf dich
auf, okay, Ianto? Ich mag Jack, aber manchmal ist er… unerklärlich.“ Damit
legte sie auf.
Das war möglicherweise stark untertrieben, dachte Ianto, als er
das Handy neben sich auf die Couch legte.
###
Ianto
benutzte einen Handspiegel, den er in einer Schublade gefunden hatte, um die
Rückseite seiner Schulter im großen Wandspiegel zu betrachten, als Jack hinter
ihm im Türrahmen auftauchte.
Das
Lächeln des älteren Mannes war gleichzeitig entschuldigend, als auch unübersehbar
zufrieden. Und offensichtlich ein klein wenig stolz, als Jack die Spuren
musterte, die er auf Iantos blasser Haut hinterlassen hatte. Er trat zu dem
jungen Waliser, nahm ihm den Spiegel ab. „Ich war wohl ein bisschen...
übereifrig“, meinte er, einen Kuss auf das hervortretende Schlüsselbein des
anderen Mannes pressend. Er sollte Ianto unbedingt häufiger zum Frühstück
einladen, und zum Lunch und zum Dinner... Es war zwar nicht so, dass man seine
Rippen einzeln zählen konnte, aber er wirkte auf eine ungesunde Weise dünn.
„Mein
letzter HIV-Test liegt sechs Monate zurück“, erwiderte Ianto sachlich. „Er war
negativ und ich bin auch sonst sauber. Seither hatte ich mit niemandem Sex. Bis
heute. Ich schätze, das hätten wir eigentlich vorher besprechen sollen...“ Er
zuckte mit der Schulter.
Sechs
Monate? Hmh, das erklärte einiges.... Jack wurde ein
wenig verspätet klar, dass der junge Waliser auf eine entsprechende Antwort von
ihm wartete.
Darüber
machte er sich selten Gedanken. Sein weiterentwickeltes Immunsystem und die
Impfungen, die er während seiner Zeit als Time Agent erhalten hatte, machten
ihn praktisch immun gegen so ziemlich alles, was dieses Jahrtausend an
Krankheiten bereit hielt. Und falls sich doch etwas in
seinen Blutstrom verirrte, kümmerte sich das gleiche in ihm darum, das ihn auch
heilen ließ, wenn er starb. Owen studierte seit Jahren sein Blut, in der vergeblichen
Hoffnung, heraus zu finden, was dieses etwas in ihm war. Aber er wartete auf
den richtigen Doctor - seinen Doctor - um diese Frage zu beantworten.
Sie
hatte Kondome benutzt und so weit er sehen konnte, waren die Abdrücke seiner
Zähne an Iantos Schulter nicht tief genug, um zu bluten.
„Ich
auch“, entgegnete er. „Bei meiner Arbeit sind monatliche Blut- und
Gesundheitstests vorgeschrieben. Ich habe es schriftlich.“
Natürlich
nahm Owen die monatlichen Blutproben nicht nur, um sie auf
Geschlechtskrankheiten zu testen - obwohl das nebenbei gleich mitlief - sondern
um zu kontrollieren, wie sich die Riftstrahlung auf
ihre Körper auswirkte. Außerdem wurde auf diese Weise sichergestellt, dass sich
niemand zum Beispiel einen außerirdischen Parasiten oder Krankheitserreger
eingefangen hatte, der sich vielleicht auf der Oberfläche eines Artefakts
befunden hatte und der von den Bioscannern an den Eingängen nicht entdeckt
wurde. Veränderungen in der Körperchemie konnten auch auf mentale Beeinflussung
hindeuten. Jack hatte es in Torchwoods Diensten mehr als einmal erlebt, dass
einer seiner Kollegen - ohne sich dessen bewusst zu sein - unter den Einfluss
einer anderen Lebensform geraten war, durch Drogen, Sekrete oder telepathische
Aufzwingung eines fremden Willens.
Er
hatte Owen nicht grundlos Iantos DNA vom Speichel an der Colaflasche
testen lassen. Auch wenn zugegeben Neugier sein Hauptmotiv gewesen war. Es gab
erstaunlich viele Alien in Cardiff und er hatte mit nicht wenigen davon geschlafen,
aber seit er der Leiter der Torchwood Drei Niederlassung war und die
Verantwortung für sein Team, den Rift und praktisch die komplette Bevölkerung
von Wales trug, musste er gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen. Ianto war jedoch
eindeutig kein Alien, das Macht über den Rift zu erlangen versuchte, sondern
genau das, wonach er aussah.
Ianto
erwiderte sein Lächeln. „Gut. Dann könnten wir ja...“
„Sechs Monate?“,
wiederholte Jack lachend. „Wieso stehen wir noch hier herum? Du hast eine Menge
nachzuholen.“
Einige
Zeit später glitt Jacks Blick über den jungen Waliser. Ianto schlief, auf den
Bauch gedreht, die Arme unter sich verschränkt. Auf seiner eigenen Haut
verblassten bereits die Spuren, die ihm der junge Waliser zurückgegeben hatte.
---
„Ianto?
Wo willst du hin? Es ist mitten in der Nacht.“
Der
junge Waliser zog die Kapuze seines Shirts über den Kopf. „Ich kann nicht
schlafen. Ich gehe spazieren.“
„Bleib
hier und ich finde eine angenehmere Methode dich müde zu machen.“ Jack schlug
die Bettdecke zurück und klopfte auf die Matratze.
Doch
Ianto schüttelte den Kopf und schob die Hände in die Taschen. „Ich brauche
frische Luft.“
„Okay.“
Jack drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme im Nacken. Sollte er
fragen...? Aber Ianto war ihm gegenüber keine Rechenschaft schuldig, nur weil
sie eine Nacht miteinander verbrachten. „Hey, hast du irgendeinen besonderen
Wunsch zum Frühstück? Roman vom Zimmerservice meinte, sie erweitern das Menü
um...“ Weiter kam er nicht, denn Ianto hatte sich aufs Bett gekniet und sich
über ihn gebeugt, um ihn zu küssen.
„Ich
laufe nicht weg, ich habe kein anderes Rendezvous und ich will ein
traditionelles britisches Fry-up zum Frühstück. Aber
bis dahin bin ich längst zurück, dazu ist dieses Bett einfach zu bequem.“
„Hey!“
Jack packte ihn am Arm und Ianto wand sich lachend aus seinem Griff.
„Und
die Gesellschaft ist gut.“ Der junge Mann bückte sich auf dem Weg zur Tür noch
einmal - vorgeblich um seine Schnürsenkel zu checken und verschwand dann aus der Suite.
###
„Was hältst du von einem Ausflug aufs Land?“ Jack lehnte sich
zurück und sah ihn erwartungsvoll an.
„Ein Ausflug aufs Land?“ Ianto warf einen Blick in den Karton mit süßsaurem
Huhn und Nudeln und beschloss, dass er noch ein bisschen davon essen konnte. Er
kippte den Rest der orangefarbenen Masse auf seinen Teller und attackierte sie
mit den Stäbchen. Jack nannte das lachend seinen „Raubtiermodus“ und hatte
versprochen, nie zwischen ihn und etwas Essbares zu geraten. Weise Entscheidung
von seiner Seite.
„Ich muss noch einmal dorthin, wo ich mit meinem Team gewesen
bin.“ Jack schob seinen eigenen Teller weg und griff stattdessen nach dem
Wasserglas. „Ich muss noch ein paar Dinge abholen, die wir zurück gelassen
haben und ich dachte, die Fahrt ist unterhaltsamer, wenn du mitkommst.“
Ianto erinnerte sich an die Bilder in den Nachrichten und war sich
nicht sicher, ob er wirklich dorthin wollte, wo diese Dinge passiert waren. Andererseits
würde Jack ihn bestimmt nicht bitten, ihn zu begleiten, wenn er dachte, es wäre
dort noch in irgendeiner Weise gefährlich. Er nickte und schluckte seine
Bedenken mit einem Bissen voll scharfer Nudeln hinunter.
„Okay. Wir fahren morgen früh hin und kommen lange vor Einbruch
der Dunkelheit zurück nach Cardiff.“ Jack griff in die Papiertüte, in der die
Kartons mit chinesischem Essen verpackt gewesen waren. „Habe ich da drin nicht frittierte
Kokosbällchen und ein paar Glückskekse gesehen? Ich mache mir Sorgen, dass du
die Stäbchen mit isst, wenn ich dir keinen Nachtisch gebe…“
---
„Wir sind da.“ Jack parkte am Rand einer schlecht asphaltierten
Straße. Ein hölzernes Gatter schnitt ihnen hier den Weg ab.
„Es sieht aus wie eine Kulisse für einen Horrorfilm“, bemerkte
Ianto, als sie ausgestiegen waren. Er schob die Hände in die Taschen seines
Parkas. Es war unangenehm kühl und der Wind pfiff ungehindert an ihnen vorbei.
„Ich habe vergessen dich zu fragen, aber ich nehme an, du hast die
Nachrichten gesehen?“ Jack sah ihn von der Seite an. Er hatte seinen Mantel bis
zum Hals zugeknöpft, kaum dass sie das Auto verlassen hatten.
„Es war schwer, es nicht zu sehen, auf vielen Sendern liefen
Sondersendungen.“ Ianto zuckte mit den Schultern und sah sich um. Hier und dort
flatterten noch abgerissene Polizeiabsperrbänder im Wind und schwere Fahrzeuge
hatten tiefe Reifenfurchen in der Erde hinterlassen. „Ihr wart also tatsächlich
hier?“
„Ja.“ Jack schnitt eine Grimasse, auf ein größeres Gebäude in der
Mitte der kleinen Ansiedlung starrend. „Wir waren hier.“
„Was ist wirklich passiert? Es wurde eine Menge Unsinn geredet.
Irgendwas mit Drogenhändlern und Entführung, war - glaube ich – der letzte
Stand.“ Ianto zog den Nacken ein, als ein Windzug direkt an der entblößten Haut
oberhalb des Kragens vorbei zu streifen schien. Fast wie die beklemmende Berührung
einer eiskalten Hand. Er verfluchte wortlos jeden Horrorfilm, den er sich
jemals angesehen hatte. „Niemand hat etwas von Alien erwähnt“, setzte er hinzu,
als Jack schwieg. „Und wenn Torchwood sich darum gekümmert hat…“
„Es waren Menschen.“ Ein sichtlicher Schauer lief durch Jack.
„Willst du wirklich wissen, was passiert ist?“ Er sah Ianto an.
Nein, das wollte er nicht. Dieser Ort war unheimlich. Und was
immer hier passiert war, musste schlimm sein, wenn selbst Jack davon Alpträume
bekam. Trotzdem nickte er. Ihm bot sich eine einzigartige Chance, mehr über die
Arbeit des anderen Mannes zu erfahren. Der Besuch im Hub war nur ein kleiner
Tropfen auf den heißen Stein seiner Neugier gewesen. Jetzt hatte er zum ersten
Mal seit der Nacht als Jack vom Torchwood Institute gesprochen hatte, die
Chance, mehr zu erfahren.
„Okay. Aber nicht hier. Ich will keine Sekunde länger bleiben, als
nötig ist.“ Jack nahm die Schultern zurück und checkte den Sitz seiner Waffe.
Ianto hatte gesehen, wie er das Holster mit dem
Revolver an seinem Gürtel befestigt hatte, bevor sie die Suite verließen.
„Bitte hör mir zu.“ Er wandte sich an den jungen Waliser und sein
Gesicht war ernst. „Du bleibst genau hier stehen und rührst dich nicht von der
Stelle. Auf keinen Fall, was immer auch passiert, gehst du in eins der Häuser.“
Er deutete auf eine Art großen Schuppen, ein Stück entfernt. „Die Polizei hat
unsere Sachen aufgesammelt, und alles, was nicht total kaputt war, da drinnen
verstaut. Es sollte nicht mehr als ein paar Minuten dauern, sie zu holen. Wenn
jemand auftaucht, egal wer es ist, sogar ein Polizist – drehst du dich um, läufst
so schnell du kannst zurück zum Wagen und schließt dich ein.“ Er fischte den
Autoschlüssel aus der Tasche und drückte ihn Ianto in die Hand. „Ich kann dir
das jetzt nicht erklären, aber ich will dich auf keinem Fall irgendeinem Risiko
aussetzen. Die Polizei ist sicher, dass sie alle erwischt hat, die hier gewohnt
haben, aber das ist keine Garantie, dass es nicht noch irgendwo mehr von ihnen
gibt.“
Ianto dachte, dass er nach diesen Warnungen vielleicht besser
gleich im Wagen warten sollte. Dort würde es auch wärmer sein. Aber offenbar war
er zu einem bestimmten Zweck hier. Jack war nicht immun gegen die unheimliche
Atmosphäre und noch wusste Ianto nicht, was passiert war. In was konnten wohl
gleich alle Bewohnung der Ansiedlung verwickelt gewesen sein? „Ich bleibe
hier“, versicherte er und schob die Hand mit dem Autoschlüssel zurück in die
Tasche.
Jack warf ihm ein Lächeln zu und ging auf die Scheune zu.
Es war eine ziemliche Enttäuschung. Zwar fand Ianto die Umgebung
und die grauen Häuser noch bedrückender, während er alleine in der Dorfmitte
stand und auf die leeren Gebäude starrte, aber es passierte nichts, dass die
Anspannung gerechtfertig hätte. Über ihm kreisten ein paar Vögel, doch sie
schienen auch nichts Interessantes zu entdecken und ließen sich vom Wind weiter
treiben.
Jack kam mit zwei Kartons voll zerbeulten Campinggeschirrs und
mehreren, ordentlich auseinander gebauten und in ihren Taschen verstauten
Zelten unter dem Arm, zurück. Wortlos nahm Ianto ihm den zweiten Karton ab und
sie gingen zum Auto zurück. „Eines von Toshs Ortungsgeräten fehlt. Ich werde wohl
einen Anruf bei der Polizei machen müssen“, meinte Jack, als sie die Kartons im
Kofferraum verstauten.
Es war das erste Mal, dass Ianto nicht in Jacks privaten Auto,
sondern dem Torchwood-SUV unterwegs war, den er bei seinem ersten
Zusammentreffen mit Jack gesehen und als für zu protzig befunden hatte. Er
musste seine Meinung korrigieren. Innen war der aufgerüstete Range Rover sehr
bequem und mit einer Menge an technischem Schnickschnack ausgestattet. Von den
meisten Sachen konnte er allerdings nicht mal erahnen, wofür sie gebraucht
wurden. Auf dem Rücksitz gab es Computerarbeitsplätze. Und der Kofferraum war
offenbar so etwas wie ein mobiles Waffenlager. Außerdem fand er einen Karton
voller Plastikhandschuhe, mehrere Paar lose herumfliegende Handfesseln –
ebenfalls Plastik – und etwas das an einen Erste-Hilfe-Koffer erinnerte, aber
in Tarnfarbe gestrichen war, die er zur Seite schob, um die Campingsachen
abzustellen
Jack bemerkte seinen Blick. „Da ist Betäubungsspray drin“, sagte
er. „Für eine bestimmte Art von Alien, das sich in Cardiff besonders heimisch
fühlt. Manchmal müssen wir sie von dort weg bringen, wo sie sind, damit sie
keine Menschen verletzen und wenn sie dabei wach sind, ist das ein ziemliches
Problem. Sie haben rasiermesserscharfe Zähne und spitze Krallen und können mit beidem
verdammt gut umgehen.“
Ianto schluckte. „Okay“, erwiderte er unsicher. Er stellte seinen
Karton ab und trat einen Schritt zurück, während Jack den Kofferraum wieder
schloss. Dann wandte er sich ab und kletterte auf den Beifahrersitz, sich die
Hände an der Luft aus dem Gebläse aufwärmend.
Es tat ihm nicht die Spur leid, dass der Ausflug nicht länger
gedauert hatte, als Jack den Wagen wendete und sie zurück nach Cardiff fuhren.
---
Jack rollte sich herum und presste einen Kuss auf das Drachen-Tattoo
auf Iantos Hüfte.
Erwartungsgemäß verdrehte der junge Waliser die Augen. „Soll ich
euch beide vielleicht alleine lassen?“
Mit einem Grinsen richtete der andere Mann sich auf und gab Ianto
einen Kuss auf den Mund. „Ich dachte eher daran, dass wir zu Dritt spielen.“
„Träum weiter, Mister.“ Ianto drehte sich auf den Rücken, winkelte
ein Bein an und entfernte damit das Tattoo vorübergehend aus Jacks Reichweite. Er
hatte im Internet recherchiert, wie viel es kosten würde, den Drachen entfernen
zu lassen und war sich nicht sicher, ob er jemals so viel zusammensparen
konnte. Oder ob es wirklich besser war, den Rest seines Lebens mit einer Narbe
auf der Hüfte herum zu laufen. Seine helle Haut war nicht gerade ideal für den
Laser. Offenbar konnte er sich ernste Verbrennungen während der Prozedur
zuziehen, die seine Haut dauerhaft vernarbten. Und das ganze klang sehr
schmerzhaft. Nur Jacks… Enthusiasmus… für das Tattoo versöhnte ihn ein wenig mit
der ungeliebten Erinnerung an seine Jugendtage. „Erzählst du mir jetzt, was
passiert ist?“, fragte er nach einer Weile.
„Nicht hier.“ Jack wandte sich ab und setzte sich auf, schwang die
Beine über die Bettkante und angelte nach seiner Hose.
„Nicht hier?“, wiederholte Ianto verblüfft.
„Ich will hier wieder ohne Alpträume schlafen können. Gehen wir
ins Wohnzimmer.“ Jack sah ihn über die Schulter an und lächelte. „Du darfst
deine Decke auch mitnehmen.“
„Nenn‘ mich einfach Linus. Es ist eine sehr freundliche Decke“,
murmelte Ianto, als er aufstand. „Wir sind gute Freunde geworden.“ Er
tätschelte „seine“ Decke, die sich im Moment als unordentlicher Haufen am
Fußende des Bettes befand. Bisher hatte ja Jack ihn ausreichend warm gehalten… Ianto
zog seine Shorts an, um seine Bereitwilligkeit zu einem ernsten Gespräch zu
unterstreichen, schlang sich die Decke um die Schultern und folgte Jack ins
Wohnzimmer.
Zwei der Lampen an der Wand waren eingeschaltet, aber der Rest des
Raumes lag im Schatten. Jack saß auf der Couch, die Arme auf die Knie gestützt,
den Körper nach vorne gebeugt. Auf dem Kaffeetisch vor ihm standen zwei Gläser,
in denen eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schimmerte.
Ianto setzte sich neben ihn, drehte sich zur Seite und zog die
Beine unter sich, so dass er Jack ansehen konnte ohne sich den Hals zu
verrenken. Etwas sagte ihm, dass es sich um ein längeres Gespräch handeln
könnte.
„Ich war noch nie so froh, dass du es abgelehnt hast, für mich zu
arbeiten“, sagte der ältere Mann schließlich. „Wenn ich mir vorstelle, du wärst
dabei gewesen, als…“ Er schüttelte den Kopf.
Nach einem Moment beugte Ianto sich vor, nahm eines der Gläser und
reichte es an Jack weiter. Er stützte den Ellbogen gegen die Rücklehne der
Couch und legte die Wange in die Handfläche.
Eine Weile – bevor er die Anstellung in der Kanzlei bekam - hatte
Jack mit dem Gedanken gespielt, ihn für Torchwood anzuheuern. Nicht als
Feldagent, sondern als allgemeine Hilfe im Hub – Kaffee kochen, Aufräumen,
Mülleimer leeren, Akten sortieren, Einkaufen und Klamotten in die Wäscherei
bringen. Dafür brauchte er keine spezielle Ausbildung.
Jack trank einen kleinen Schluck, drehte das Glas in den Fingern.
„Ich hätte beinahe einen Teil meines Teams an Kannibalen verloren.“
„Kannibalen?“, wiederholte Ianto stirnrunzelnd. „Wie in der
Dokumentation über diese ausgestorbenen Südseevölker, die ihre Nachbarn aßen
und ausgerottet wurden, als sie sich an exotischere Kost in der Form von englischen
Missionaren wagten?“
Ein schwaches Lächeln spielte bei dieser Beschreibung um Jacks
Mundwinkel. „Die hier war sehr lokal. Das Dorf, in dem wir heute waren. Sie…
wohnten da, ihre Familien lebten dort wohl schon sehr lange. Ganz normale
Menschen.“
„Aber wenn es sich nicht um Aliens handelt, die sich an Menschen
vergreifen, warum hat Torchwood damit zu tun?“, fragte Ianto leise. „Ist das
nicht ein Fall für die Heddlu?“ Wow, das war ihm fast
zu glatt über die Lippen gekommen. Jack färbte auf ihn ab.
„Das ist meine Schuld.“ Jack trank einen weiteren, kleinen Schluck.
„Weil ich dachte, es wäre nichts ernstes. Nur ein Ausreißer in der Statistik.“
Er sah Ianto an. „Menschen sind in diesem Gebiet verschwunden, Ianto, über die
Jahre sehr viele – Durchreisende, Touristen, Einheimische, die im
Naturschutzgebiet Ausflüge oder Urlaub machen wollten. Ein Kontaktmann bei der
Polizei hat mich darauf aufmerksam gemacht, er dachte, das wäre vielleicht ein
Fall für uns.“ Jack schüttelte den Kopf. „Ich dachte mir, der Rift reicht nicht
so weit, also warum fahren wir nicht da raus, sehen uns um, verbringen zwei,
drei Nächte in der freien Natur und vielleicht glätten sich ein paar Falten,
die sich in den letzten Monaten zwischen uns aufgeworfen haben. Gwen und Owen
verbringen die meiste Zeit damit, sich zu zanken oder zu flirten oder beides
und Tosh leidet sichtlich darunter, dass sie sie oft ignorieren und so ausschließen.“
Er schwieg einen Moment. „Stattdessen finden wir kurz nach unserer
Ankunft eine gehäutete Leiche und während wir sie uns ansehen, stiehlt jemand
unseren Wagen und verwüstet das halb aufgebaute Camp. Tosh konnte unseren Wagen
über das GPS orten und so haben wir das Dorf gefunden. Vielleicht hast du gar
nicht so unrecht, dass es aussieht wie die Kulisse
eines Horrorfilms. Was wir dort gefunden haben, sah so auf jeden Fall so aus.
Blut, Leichen und einen Kühlschrank voller Leichenteile und einen Keller voller
Schuhe.“
„Moment, was haben Schuhe damit zu tun?“, fragte Ianto, mit Ekel
kämpfend, als er sich unwillkürlich die Szenerie vorzustellen versuchte.
„Welche Schuhe?“
„Die ihrer Opfer. Es gab einen ganzen Berg davon, wie… Trophäen.
Und sie müssen da zum Teil schon sehr lange liegen, manche Modelle waren vor 50
oder 60 Jahren modern.“ Er wusste, dass das Blut und die Toten mit der Zeit
verblassen würden. Aber diese Schuhe, die Erinnerung an die Reihen über Reihen
an Schuhen, würde noch lange bei ihm bleiben.
„In einem der Ferien-Cottages versteckte sich ein verängstigter,
total verstörter Junge. Sein Name ist Kieran. Er
dachte, sie wären zurückgekommen um ihn zu holen und zu töten und deshalb hat
er sofort geschossen als die Tür aufging. Die Waffe stammte aus einem Schuppen
den er aufgebrochen hat. Gwen wollte nicht warten, sie war die Erste und Kieran hat sie getroffen – zum Glück nur mit Vogelschrot.
Sie hat viele kleine Wunden an der Seite des Bauches, das ist sehr schmerzhaft,
aber die Schrotkugeln sind nicht so tief eingedrungen, dass ihre Organe
verletzt wurden.“ Jack schloss die Augen und lehnte sich zurück gegen die Lehne
der Couch, holte tief Atem und stieß die Luft langsam aus. Er hätte auf der
Stelle mit Gwen getauscht, wenn es möglich gewesen wäre.
„Wie geht es ihr jetzt?“, fragte Ianto.
„So weit ganz gut. Sie hat ein paar Stunden im Krankenhaus
verbracht, und ist dann mit Owen nach Hause gegangen. Die beiden dachten
wirklich, niemand merkt etwas von ihrer Affäre - ich würde es nicht merken. Als
ich sie Zuhause angerufen habe, hat mir ihr Freund den Kopf gewaschen, weil ich
sie sofort wieder an die Arbeit geschickt hätte, trotz ihrer Verletzung. Ihr Handy
war ausgeschaltet, nur deshalb habe ich das Festnetz benutzt - aber das GPS hat
mir verraten, dass es sich in unmittelbarer Nähe von Owens Handy befindet.“ Er
lachte leise, aber es war kein fröhlicher Laut. „Ich habe ihn angerufen. Er hat
es nicht mal geleugnet, dass sie bei ihm ist. Nur gemeint, dass sie beide
erwachsen wären und in ihrer Freizeit tun könnten, was sie wollten. Ich denke
es ist keine gute Idee. Es herrscht jetzt schon genug Anspannung im Team. Wenn
es zwischen ihm und Gwen endet – und das wird es, weil Gwen Rhys liebt… Unsere
Arbeit ist oft riskant, und abgelenkte Agenten bringen ihr eigenes und das
Leben von anderen in Gefahr.“
„Vielleicht haben sie sich nur unterhalten.“ Ianto rückte näher an
Jack, nahm ihm das Glas ab und stellte es auf den Tisch zurück. „Vielleicht war
es ihr peinlich, dass ihr Freund sie mit den Wunden sieht, aber Owen ist Arzt,
er kann sich gut um sie kümmern…“
Jack senkte den Kopf, schob die Decke ein kleines Stück zur Seite und
küsste ihn auf den Bizeps. „Du bist wunderbar. Nein, ich bin ziemlich sicher,
dass sie genau wie wir viel Zeit im Bett verbringen.“ Er legte die Hand unter
Iantos Kinn und drehte sein Gesicht ganz zu sich, um ihn zu küssen. „Vielleicht
nicht ganz so wie wir.“
„Was meinst du damit?“, fragte Ianto und ließ den Kopf in den
Nacken sinken, seine Kehle für Jacks Mund entblößend.
Jack sah ihn an. „Gwen hat nicht vor, ihren Freund Rhys zu
verlassen. Und Owen trauert immer noch um seine tote Verlobte. Er benutzt
Alkohol und Sex nur, um seine Trauer fern zu halten. Ich hingegen…“ Er legte
beide Hände um Iantos Gesicht. „…habe nicht vor, dich in naher Zukunft
irgendwohin gehen oder dich auch nur längere Zeit aus den Augen zu lassen.“
„Was ist mit der „Wir haben nur ein wenig Spaß“-Regel passiert? Du
sagst immer, du kannst keine festen Beziehungen eingehen.“ Der junge Waliser
musterte ihn eindringlich.
„Vielleicht bin ich dabei, meine Meinung zu ändern.“ Jack zeichnete
Muster auf Iantos Rücken, sein Kinn auf die Schulter des jungen Walisers gestützt.
„Alte Hunde lernen manchmal neue Tricks.“
„Was ist passiert, nachdem Gwen von diesem Kieran
angeschossen wurde“, fragte Ianto nach einer Weile.
„Danach… ging alles schief. Tosh verschwand. Und der Rest von uns
hat sich in einem Pub verschanzt. Da gab es eine Küche mit noch einer Leiche.
Zu dieser Zeit dachten wir immer noch, es handele sich vielleicht doch um
irgendeine außerirdische Lebensform, die durch den Rift gefallen ist und sich
bis aufs freie Land durchschlug, um sich von der einheimischen Bevölkerung zu
ernähren. Dann wurden wir angegriffen, aber es war zu dunkel, um zu erkennen,
wer da draußen war. Dann entdeckte ich einen Mann, der es geschafft hatte, sich
in den Keller vorzuarbeiten. Zuerst dachte ich, er wäre ein weiteres Opfer –
obendrein noch eines, das wir aus Versehen angeschossen haben. Aber er war… da
war etwas Arrogantes an ihm, er hatte keine Angst, er tat nur so. Ich… Ianto,
ich habe etwas getan, das ich mir vor langer Zeit geschworen habe, nie wieder
zu tun. Ich habe ihm damit gedroht ihn zu foltern, wenn er mir nicht die
Wahrheit sagt.“
„Aber du hast es nicht getan, oder?“, fragte Ianto. Seine Knie
berührten Jacks Oberschenkeln und er spürte die Anspannung in den Muskeln des
anderen Mannes.
„Ich habe ihm wehgetan. Es war nicht schwer. Nur ein bisschen
Druck auf seine Wunden… und er hat geredet. Er hat mir gesagt, dass die
Dorfbewohner die „Ernte“ abhalten. Sie haben Menschen getötet und…“ Jack sprach
nicht weiter. Musste er auch nicht. Die Vorstellung alleine war übelkeitserregend
genug. „Tosh konnte entkommen, als sie sie in eins der anderen Häuser bringen
wollten und wir haben die restlichen Dorfbewohner gefunden – sie hatten sich in
einer Art Gemeindehaus versammelt. Das war das große Gebäude, das ich dir
gezeigt habe. Es waren zu viele für uns fünf – ich, Tosh und Owen, dazu Gwen
mit ihrer Schusswunde und ein total verängstigter Junge – also sind wir zurück
in den Pub und ich habe meinen Kontaktmann bei der Polizei angerufen. Er…
genauer gesagt: sie – mein Kontaktmann ist eine Frau… ein Detective
- rückte mit einer Spezialeinheit an, und sie denken, sie haben alle Kannibalen
erwischt. Sogar den, den ich gefesselt im Keller zurückgelassen habe.“
„Das war der wahre Grund, warum du heute nochmal da hin wolltest,
richtig? Nicht die Campingausrüstung. Nichts davon war unersetzlich. Du
wolltest nachsehen, ob wirklich alle verhaftet wurden.“
Jack nickte. „Ich musste sicher sein.“ Er hob den Kopf. „Habe ich
mich schon dafür bedankt, dass du mit mir gekommen bist?“
„Musst du nicht.“ Ianto schwieg eine Weile, dann sagte er: „Du
hast schon am Telefon so merkwürdig geklungen, dass ich sofort wusste, dass
etwas nicht stimmt. Und dann, als du diesen Aussetzer unter der Dusche hattest…
habe ich mir wirklich Sorgen gemacht. Reden wir gar nicht erst von deinen
Alpträumen. Bisher hatte ich nie das Gefühl, dass dich deine Arbeit so
belastet.“
„Manchmal braucht es länger, bis ich abschütteln kann, was ich
erlebe. Und wenn wir uns sehen, dann will ich nicht mehr an meine Arbeit
denken.“ Jack strich mit den Fingerspitzen an der Innenseite von Iantos Arm
entlang und zog dann die Decke wieder um die Schultern des jungen Walisers.
Ianto war eine fürchterliche Frostbeule, dachte er zärtlich. „Und es hilft,
dich zu treffen. Zu wissen, dass es dich gibt. Die Welt ist nicht ganz so grau
mit dir darin.“ Er sah direkt in Iantos weite, blaue Augen, in denen sich deutlich
widersprüchliche Gefühle spiegelten. Und als Ianto den Mund öffnete, um ihm zu
antworten, wählte er den Weg des Feiglings – er beugte sich vor und küsste ihn.
---
„Hey, weißt du was komisch ist?“, murmelte Ianto eine Weile
später. Er nestelte gegen Jacks Seite, einerseits wegen der Wärme, die der
Körper des anderen Mannes abstrahlten; andererseits, weil Jack wesentlich
entspannter wirkte als zuvor und so würde er direkt spüren, wenn sich das
änderte. Und es war wirklich… nett… hier so zu sitzen. Erst seit er Jack
kannte, wurde ihm klar, dass ihm das gefehlt hatte – jemanden berühren zu
können, und das nicht nur während des Sex, sondern einfach so, einfach weil es
sich gut anfühlte.
„Was ist komisch?“, murmelte Jack zurück. Ianto hatte da einen
Punkt in seinem Nacken, der nach… hmmmh… was war das
noch?… roch. Irgendeine Art von Gewürz, aber er kam
nicht auf den Namen. Er leckte über die Stelle, und Iantos Hand flog hoch, gab
ihm einen leichten Klaps auf den Oberarm.
„Keine Knutschflecken wo man sie sehen kann, wenn ich angezogen
bin.“ Ianto legte den Kopf zurück, sah ihn warnend an. „Lisa grillt mich am
Montag ohnehin über offener Flamme, weil ich sie gestern alleine gelassen habe.
Das ist zusätzliches Öl auf ihren Flammen.“
„Sag ihr, es war alles meine Schuld.“ Er küsste ihn auf die Nase
und Ianto lächelte, schloss die Augen, drehte das Gesicht gegen seine Schulter.
Jack wusste, dass es nicht anhalten würde. Dieses Vertrauen, und die Nähe…
Der junge Waliser hatte sich verändert. Er hatte gelernt sich
selbst zu vertrauen. Irgendwann würde Ianto mehr wollen. Eine richtige
Beziehung. Vielleicht sogar eine Familie. Völlig normal in seinem Alter. Und
dann würde er nicht mehr bereitwillig alles stehen und liegen lassen, um für
ihn da zu sein.
Das waren sicherlich nur die Nachwirkungen des Schocks, die da aus
ihm sprachen. Er hatte schlimmere Dinge gesehen, als in dem kleinen Dorf, aber
es hatte ihn mehr erschüttert, als er erwartet hatte, weil es sich um Menschen
handelte. Wenn Tosh oder Gwen gestorben wären…
Er strich Ianto durch die Haare, presste einen Kuss gegen sein Ohr
und zwang seine Gedanken in eine andere Richtung. „Wolltest du mir nicht etwas
erzählen?“, fragte er. „Etwas Komisches.“
„Nicht komisch wie in haha-witzig“, entgegnete Ianto. „Nur wieder
einer dieser Zufälle. Es ist mir eingefallen, als wir zurück nach Cardiff
gefahren sind. Ich war schon einmal dort.“ Er hörte Jack scharf einatmen.
„Nicht im gleichen Dorf“, korrigierte er sich sofort. „Aber irgendwo dort in
der Gegend. Auf einem Schulausflug, ein ganzer Bus voll Stadtkinder aufs flache
Land gekarrt. Die meisten von uns waren nicht sehr begeistert davon, dass wir
einen ganzen Tag von Büschen, Bäumen und Wiesen umgeben verbringen sollten.“
Ianto lachte leise, als Jack den Arm um seine Taille schlang und
ihn tröstend in den Nacken küsste. „Mir gefiel es übrigens auch nicht. Ich saß
neben einem Jungen namens Tommy im Bus. Und ihm wurde furchtbar schlecht vom
Ruckeln bei der Fahrt, das hat er zumindest behauptet. Er hat sich dreimal
übergeben und das letzte Mal erwischte er meine neuen Schuhe. Sie waren für
mich danach ruiniert. Meine Mutter versuchte sie zu reinigen, aber immer wenn
ich sie ansah, dachte ich an Tommy. An den Ausflug. Daran, wie mich ein paar
der größeren und stärkeren Jungs in einen Busch gestoßen haben, der mir Gesicht
und Hände zerkratzte. Und als mich ein Lehrer fragte, was passiert war und ich
die Wahrheit sagte, stießen sie mich in einem mit Wasser gefüllten Graben, so bald
er uns den Rücken zuwandte. Und um das Ganze noch demütigender zu machen, behaupteten
sie hinterher, ich wäre freiwillig hineingeklettert um zu verbergen, dass ich
mir vor Angst in die Hose gepinkelt hatte.“
„Ist das oft passiert?“ Jack ließ seine Finger nachdenklich weiter
durch Iantos Haare gleiten. Er versuchte
sich den jungen Waliser als Kind vorzustellen. Mit Stupsnase, und großen,
blauen Augen in einem runderen Gesicht, noch kindlich weich, ohne die scharfen
Wangenknochen. Hatte er damals schon diesen misstrauischen Ausdruck in den
Augen getragen? „Wurdest du oft so von den anderen Kindern behandelt? Was war
mit deinen Freunden?“
„Oft genug. Ich war höflich zu Erwachsenen, ich machte meine
Hausaufgaben jeden Tag und vielleicht das Schlimmste von allem, ich wagte es,
gerne zur Schule zu gehen. Ich wollte lernen. Ich wollte alles wissen.“ Wieder
lachte Ianto leise, fast als könnte er selbst nicht glauben, wie naiv er damals
gewesen war. „Es fiel am Ende sogar den Lehrern auf, dass ich nicht sonderlich
beliebt war und meine Eltern mussten in die Schule kommen. Mein Vater meldete
mich dann beim Schul-Rugbyteam an, ich sollte so wohl neue Freunde finden und
vermutlich dachte er auch, ich würde Muskeln und Selbstvertrauen aufbauen. Der
Plan ging nur halb auf. Ich fand einen neuen Freund, aber keinen Anschluss ans
Team.“
„Warum nicht?“ Jack war fasziniert von diesem Einblick in die
Kindheit des jüngeren Mannes. Er dachte an einen schlaksigen Jungen mit wirren,
braunen Locken und Iantos blauen Augen, in schlammbespritzter Sportkleidung,
die Stirn in Konzentration kraus gezogen.
„Weil ich nach ein paar Wochen aus dem Team flog“, brach Iantos
Stimme in seine Fantasien.
„Was ist passiert?“
„Ich wollte neue Rugby-Schuhe haben. Die, die ich trug, waren mir
zu klein, Mam hatte sie von einer Nachbarin gebraucht
gekauft. Aber weil ich mich weigerte, die Schuhe vom Ausflug zur Schule zu
tragen, sagte Mam sie könne mir im Moment nicht auch
noch neue Rugby-Schuhe kaufen. Also habe ich mir ein Paar gestohlen. Natürlich
konnte ich sie nicht mit nach Hause nehmen, das wäre ihr aufgefallen, also ließ
ich sie in meinem Spind in der Schule. Aber irgendjemand hat mich schließlich
verpetzt und ich bezog Prügel von meinem Vater, es gab Tränen und Vorwürfe von
meiner Mam, Spott von meiner Schwester und der
Trainer schloss mich zur Strafe aus dem Team aus.“ Ianto zuckte mit den
Schultern. „Es war mir egal. Der Hausarrest gab mir Zeit zum Lesen und ich
musste nicht mehr so tun, als würde es mir Spaß machen, mich mit anderen Jungs
im Schlamm herum zu wälzen.“
Jack lachte leise. „Oh, unter den richtigen Umständen kann das
sehr viel Spaß machen. Der Teil mit dem Herumwälzen mit anderen Jungs zumindest.“
Er klang schläfrig. „Das alles hat dich aber nicht daran gehindert, es wieder
zu tun. Ich erinnere mich an deine Strafakte.“
Ianto angelte nach einem Kissen vom anderen Ende der Couch und
schob es unter seinen Kopf. Jack rückte näher, um es mit ihm zu teilen. „Nein,
das hat es nicht. Ich muss dir leider mitteilen, dass du das Bett mit einem vollkommen
reuelosen Dieb teilst.“
„Dann sind wir schon zwei. Oh, du hast keine Vorstellung, was ich
schon alles gestohlen habe. Sogar das Schiff, mit dem ich zur Erde kam.“ Jack
schloss die Augen.
„Bist du müde? Sollen wir zurück ins Bett gehen?“, fragte Ianto
leise. Er ignorierte Jacks letzten Satz, speicherte ihn irgendwo in seinem
Hinterkopf ab, um vielleicht später danach zu fragen. Im Moment schien es
wichtiger, dass der andere Mann endlich zur Ruhe kam.
Jack schüttelte den Kopf, nickte dann. „Lass uns noch ein wenig
hier sitzen.“ Er küsste Ianto auf die Stirn. „Sprich weiter, erzähl mir mehr
von deiner kriminellen Vergangenheit. Ich liebe deine Stimme, diesen Akzent...“
Zwei Minuten später schlief er tief und fest. Für einen Mann, der
einmal behaupt hatte, nie zu schlafen, war das bestimmt ein Rekord. Für Ianto
hieß es, dass Jack erschöpfter war, als er zugeben wollte. Er ließ den Kopf
gegen Jacks Schulter sacken, zog seine Decke über sie beide so gut es ging und
folgte ihm in den Schlaf.
---
Die Türklingel riss Lisa aus dem Schlaf. Sie schob Marks Arm von
ihrer Taille und rollte sich auf die andere Seite, den Wecker anblinzelnd. Kurz
nach zehn. Wer störte denn um diese Zeit? Es war spät geworden, sie waren mit
Freunden Essen gewesen und danach in einem Club tanzen…
Es klingelte erneut.
Oh… Hoffentlich nicht ihre Mutter, die auf einen sonntäglichen
Überraschungsbesuch vorbeigekommen war. Sie hatte sich zwar angewöhnt, vorher
anzurufen, seit ihr eines Morgens Ianto die Tür geöffnet hatte, nur mit Shorts
bekleidet. Das war gewesen, als Ianto vorübergehend eine Weile auf ihrer Couch
geschlafen hatte. Er verlor damals seine Wohnung und fand nicht sofort eine
neue – und Jacks Angebot, bei ihm einzuziehen, wollte er nicht annehmen. Ihre
Beziehung war noch viel zu neu gewesen. Eigentlich war ihre noch neuer, aber
trotzdem… Ihre Couch war leidlich bequem und Ianto entpuppte sich als angenehmer
Hausgast, der das Bad sauberer hinterließ als er es vorfand, den Kühlschrank
auffüllte und keine Klamotten in der Wohnung verstreute. Ohne Marks –
vollkommen unbegründete – Eifersucht, hätten sie das bestimmt zu einer
dauerhaften Einrichtung gemacht…
Ein neuerliches Klingeln, länger und nachdrücklicher dieses Mal,
ließ Lisa mit einem Seufzen aufstehen. Sie kletterte über Mark, der sich mit
einem unwirschen Grunzen auf die andere Seite rollte und warf sich einen
Morgenmantel über.
„Ich komme ja schon“, rief sie im Flur. Sie sah durch den Spion
und auf… Blumen. Einen riesigen Strauß Sommerblumen. Überrascht öffnete Lisa
die Tür.
„Lisa Hallett?“, fragte ein gelangweilt dreinsehender Teenager,
der hinter dem umfangreichen Blumenstrauß auftauchte. Er trug eine Mütze mit
der Aufschrift eines Lieferdienstes.
„Ja?“ Lisa zog ihren Morgenmantel zu, als er ungeniert in ihren
Ausschnitt starrte.
„Bitte hier unterschreiben.“ Er hielt ihr ein Pad hin, an dem ein
Stift befestigt war und Lisa kritzelte ihre Unterschrift auf die Linie. Dann
drückte ihr der Bote den Blumenstrauß in die Hand und lief die Treppe hinunter.
Die Stiele waren mit Papier umwickelt, an dem ein kleiner Umschlag
klebte. Lisa riss es ab, während sie in ihre Wohnung zurück trat und in die
Küche ging. Sie legte die Blumen auf den Tisch und öffnete den Umschlag. Auf die
Karte war ein Kätzchen gedruckt, das eine Sonnenblume in der Hand hielt – im
Zentrum der Blüte stand „Danke“. Lachend drehte Lisa sie um, und auf die
Rückseite war Jack + Ianto von einem Computer geschrieben. Sie klemmte die
Karte mit einem Magneten an den Kühlschrank und machte sich summend auf die
Suche nach einer Vase, die groß genug dafür war.
---
Ianto lehnte sich gegen die Küchenzeile und atmete den Kaffeedampf
ein, der aus seiner Espressotasse aufstieg. Orangefarbenes Morgenlicht fiel
durch die Fensterfront.
Jack – Haut und Haare noch feucht von seiner Dusche - legte beiläufig
die Hand auf Iantos Hüfte, während er um ihn herum nach seiner eigenen Tasse
griff, die neben der Maschine auf ihn wartete. „Denkst du, ihr gefällt der
Blumenstrauß?“
„Das hoffe ich doch sehr.“ Ianto leerte die Tasse mit
geschlossenen Augen und leckte sich über die Unterlippe. Jack wünschte sich, er
hätte eine Kamera griffbereit, um den Ausdruck seines Gesichts auf einem Foto
fest zu halten. „Der Strauß hat fast 100 Pfund gekostet und dazu kam noch ein
Aufschlag für die sofortige Lieferung.“
Jacks Daumen rieb Kreise über das Drachentattoo
auf Iantos Hüfte. „Dafür wurden schließlich Kreditkarten und Onlineshops
erfunden.“ Er trank einen Schluck und seufzte zufrieden. „Das ist mir übrigens ein
verlängertes Wochenende mit dir wert.“
Der junge Waliser sah ihn amüsiert an. „Haben wir nicht schon vor
einer ganzen Weile geklärt, dass ich mich nicht kaufen lasse?“
„Richtig.“ Jack stellte seine Tasse weg und schlang beide Arme um
die Taille seines Liebhabers. „Aber ich kann dich weiterhin mieten, richtig?“,
neckte er ihn.
„Nicht mich“, korrigierte Ianto in gespielter Strenge, in seinen
Augen funkelte es schelmisch. „Meine Zeit. Manchmal.“
„Markier‘ deinen Kalender als ausgebucht.“ Jack zog ihn enger an
sich und küsste ihn.
###
Ianto
spürte seinen Körper im Rhythmus der Musik pulsieren. Lichter zuckten. Um ihn
herum drängten sich Menschen, tanzend, lachend, ein Stimmengewirr. Hände,
Schultern und Oberkörper streiften ihn, bis er sich fast benommen von den
vielen Berührungen fühlte. Er hatte nicht viel getrunken. Nur genug, dass sich
in seinem Magen ein warmes Gefühl ausbreitete, es in seinen Gliedmaßen zu
kribbeln begann und er einen Tag voll stumpfsinniger Handlangerarbeit vergessen
konnte. Sein Arbeitskollege Aron, der ihn mit hierher genommen hatte, war mit
seiner Freundin in der Masse verschwunden. Das war okay, soweit es Ianto
betraf. Er hatte ohnehin nicht vor, allzu lange zu bleiben.
Jack
hatte früher am Abend eine Textnachricht geschickt und gefragt, ob er Zeit habe,
ihn gegen 23 Uhr im Hotel zu treffen. Es war Freitagabend, Ianto hatte fürs
Wochenende keinen Job und der Gedanke daran, Jack wieder zu sehen, ließ
Schmetterlinge in seinem Magen tanzen. Ja, so sehr das auch nach Schulmädchen
und Herzchen mit zwei Namen darin, gemalt auf Hello-Kitty-Hefte,
klingen mochte. Jack war aufmerksam, charmant, großzügig und der Sex einfach
unglaublich. Bisher hatte Ianto sich nicht für gerade unerfahren gehalten, aber
bei Jack kam er sich manchmal vor, als würde er das erste Mal mit einem Mann
schlafen. Sex mit Jack war wie eine Droge und wenn sie sich schließlich
trennten, konnte er ihn noch stundenlang in sich spüren.
Er war
Realist genug, um zu wissen, dass es nicht ewig so weiter gehen würde. Ein Mann
wie Jack langweilte sich rasch. Was immer der ältere Mann jetzt auch in ihm
sah, es würde mit der Zeit verfliegen. Die Nachrichten und Anrufe und Treffen würden
weniger werden, und schließlich ganz aufhören, wenn Jack etwas oder jemand
neues fand, das sein Interesse gefangen nahm.
Aber
bis dahin hatte er vor, jeden einzelnen Moment in Jacks Gesellschaft
auszunutzen.
Ein
Mädchen mit langen roten Haaren tauchte an seiner Seite auf. Ihre Haut war milchweiß
und Sommersprossen leuchteten förmlich auf ihren Wangen. Sie lächelte ihn an
und schmiegte sich in seine Seite, legte die Arme um seine Mitte, als wären sie
beste Freunde, tanzte mit ihm. Ihr Unterkörper rieb gegen seinen Oberschenkel, als
sie sich vorbeugte und ihn ins Ohrläppchen biss. „Willst du etwas?“
Er
konnte ihre Worte kaum über den Lärm hören, obwohl sie direkt in sein Ohr
sprach, aber es war nicht das erste Mal, dass er sich in dieser Situation
befand. Ianto schüttelte den Kopf. „Kein Geld“, erwiderte er, sich zu ihr
vorbeugend. Das stimmte zwar nicht, er hatte seinen gesamten Wochenlohn bei
sich, aber es war die beste Möglichkeit, sie los zu werden.
Heute
Abend brauchte er nichts, um in Stimmung zu kommen und überhaupt war diese Art
von Drogen ohnehin nicht so wirklich sein Ding. Er hatte den einen oder anderen
Joint geraucht und auch mal auf einer Party Ecstasy probiert, aber ansonsten
interessierte er sich nicht groß für das Zeug. Seine selbstzerstörerische Phase
lag Jahre hinter ihm – heute versuchte er so gesund zu essen wie seine Finanzen
es zuließen, hatte keinen ungeschützten Sex und trank nicht übermäßig oft oder viel
harten Alkohol.
Sie
lächelte und hakte den Arm um seinen Nacken. „Kein Problem“, meinte sie und
ihre grünen Augen blitzten. „Du bist echt süß.“ Ihre freie Hand schlängelte sich
zwischen ihre eng aneinander gepressten Körper, ihre Finger drückten gegen den
Schritt seiner Jeans. Sie zog seinen Kopf nach vorne, bis sich ihre Lippen fast
berührten. „Du bekommst heute eine einmalige Gratisprobe von mir“, schnurrte
sie.
Ianto
griff nach ihrer Hand und öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass er eigentlich
weder an ihr noch an ihrem Produkt interessiert war, aber da überbrückte sie
die letzte Distanz zwischen ihnen und küsste ihn. Ihre Zunge schob sich in
seinen Mund und presste gegen seine. Er wollte keine Szene veranstalten und
vermutlich war sie nicht alleine – sie war nur der Verteiler, garantiert
beobachtet von ihrem Dealer – also ließ er sie gewähren, küsste sie mit wenig
Enthusiasmus zurück. Ianto legte beide Hände auf ihre Hüften, um sie von sich
zu schieben, sobald der Kuss endete. Es war nicht wirklich „schlimm“ – ihr Haar
roch nach Erdbeershampoo und wenn er nicht schon eine Verabredung mit Jack
gehabt hätte, wäre er nicht abgeneigt gewesen, mehr von dem straffen Körper zu
sehen, den er an seinem spürte. Bestimmt hatte sie überall diese milchweiße
Haut und die neckischen Sommersprossen und er konnte sich genau vorstellen, wie
ihre langen, glatten Haare kühl durch seine Finger gleiten würden.
Ein
leicht bitterer Geschmack blieb in seinem Mund zurück, als sie den Kuss
schließlich beendete und er schluckte instinktiv ein paar Mal dagegen an. Etwas
kleines, rundes rutschte seine Kehle hinunter. Die
Gratisprobe, die sie ihm versprochen hatte! Wie hatte sie das gemacht, er hatte
nicht gesehen, dass sie sich vor dem Kuss etwas in den Mund steckte...
„Hab noch
einen schönen Abend, Süßer.“ Sie strich ihm über die Wange und verschwand in
der Menge, bevor er sie fragen konnte, was sie ihm gegeben hatte.
Ianto
wischte sich über die Lippen, die nach ihrem Lipgloss schmeckten und warf einen
Blick auf seine Uhr. Er musste sich beeilen, damit er nicht zu spät zu seiner
Verabredung mit Jack kam.
Aron
war nicht zu sehen, also verließ er den Club, ohne sich zu verabschieden.
Draußen atmete er tief die kühle Nachtluft ein. Okay. Er spürte keinen
Unterschied zu vorher. Was immer sie ihm da gegeben hatte, vielleicht wirkte es
überhaupt nicht bei ihm. Ianto schlug den Kragen seiner Jacke hoch und machte
sich auf den Weg zum St. Davids.
---
„Jack!
Jack! Jack!“ Die Rufe seines Namens wurden von Hämmern gegen die Tür
unterstrichen.
Jack
durchquerte den Raum und öffnete die Tür. „Jemand hat es aber eilig“, meinte er
mit einem breiten Grinsen.
Ianto
hatte sich offenbar gegen die Tür gelehnt, er fiel Jack eher entgegen, als dass
er in die Suite trat. Sofort schlang er die Arme um Jacks Nacken, hängte sich
an ihn und küsste ihn.
„Wow,
hey.“ Jack drehte sie herum, kickte die Tür mit dem Fuß zu und dirigierte Ianto
zur Couch, während der junge Waliser ungeschickt an seiner Kleidung zerrte.
„Ich weiß, wir haben uns ein paar Tage nicht gesehen.“
Der
jüngere Mann sackte auf die Couch und sah aus weiten, feuchten Augen zu ihm hoch.
„Dubistsoheißundichkannkaumwartenbisdumichfickst.“
Die Worte verschwammen ineinander, während Ianto versuchte, genug Kontrolle
über seine Finger zurück zu gelangen, um Jacks Reißverschluss zu öffnen.
Jack
runzelte die Stirn. „Ianto?“ Er schob Iantos Finger von seinem Reißverschluss
weg und packte sein Kinn, um sein Gesicht ins Licht zu drehen. Seine Pupillen
waren so weit, dass das Blau seiner Iris sich nur noch als ein schmaler Ring
zeigte. Eine dünne Schweißschicht hatte sich auf seiner Stirn gebildet. „Hey,
ist alles okay? Versuch langsamer zu sprechen.“
„Bestens.“
Ianto zog einen Schmollmund. „Noch besser, wenn du mich endlich fickst.“
„Darüber
können wir reden.“ Jack sah nach unten, wo wieder ungeschickte Finger an seinem
Reißverschluss herumfummelten. Er hatte zugegeben wenig Skrupel, wenn es um Sex
ging, aber er bevorzugte es doch, wenn seine Partner wenigstens einigermaßen
Herr über ihre Sinne waren. Was bei Ianto im Moment nicht wirklich der Fall
war. „Du musst mir nur vorher etwas sagen.“
„Was?“
Ianto sog an seiner Unterlippe, ließ sie mit einem leisen Laut plump und feucht
und pink aus dem Mund ploppen.
Er versuchte sein Gesicht in Jacks Hand zu drehen, konnte es aber nicht, weil
Jack sein Kinn weiterhin fest im Griff hatte.
„Hast
du irgendetwas genommen?“ Betrunken war Ianto nicht, obwohl er Alkohol, Rauch
und etwas, dass ihn an künstliches Erdbeeraroma – wie Seife - erinnerte, an ihm
roch.
„Du
willst mich nicht mehr“, murmelte Ianto schmollend. „Du willst mich nicht
ficken.“
„Oh,
glaub mir, das will ich“, erwiderte Jack besänftigend. „Aber bevor wir das tun,
sag mir bitte, was du genommen hast, okay.“ Er streichelte Iantos Wange, legte
die Finger der anderen Hand gegen seinen Hals. Der Puls des jungen Walisers
raste und seine Haut kam Jack wärmer vor als sonst. „Ich bin bestimmt nicht
böse, aber erzähl es mir einfach und dann können wir ins Bett gehen.“ Er
wusste, dass er mit ihm sprach als wäre er ein Kind, aber das bekam Ianto
vermutlich in diesem Zustand gar nicht mit.
„Können
wir?“ Ein breites, hoffnungsvolles Grinsen breitete sich über Iantos Gesicht
aus.
„Versprochen.“
Jack beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Iantos Haut war definitiv
wärmer als sonst.
„Ich
war mit Aron in einem Club.“ Ianto drehte den Kopf, leckte über Jacks
Handfläche. „Da war ein Mädchen.“ Er grinste. „Sie war heiß. Aber nicht so heiß
wie du, ich wollte nix von ihr. Sie hat mich angemacht.“
„Das
ist absolut okay. Du kannst treffen, wen du willst“, versicherte ihm Jack. „Sie
hat dir etwas gegeben?“
„Sie
hat mich geküsst“, murmelte Ianto. „Und ich war so dumm.“ Er runzelte die Stirn
und schüttelte kummervoll den Kopf. „So dumm. War Ex-ta-siiii in ihrem Mund. Denke ich.“ Seine Miene hellte sich
wieder auf. „Sie meint, ich bin süß.“
„Oh,
und sie hat vollkommen recht.“ Jack umschloss mit beiden Händen Iantos Gesicht.
„Du bist hinreißend. Aber hast du sonst etwas genommen? Oder getrunken?“
Eigentlich war ihm der junge Waliser bisher nicht wie ein typischer Partyboy
vorgekommen. Das klang eher, als hätte er das Ecstasy unabsichtlich geschluckt.
Er zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen.
„Ein
paar Bier. Mit Aron. Wir haben auf seine Freundin gewartet.“ Ianto runzelte
erneut die Stirn. „Können wir jetzt ficken?“
„Gleich.“
Besänftigend streichelte er weiter Iantos Gesicht. „Hey. Was hältst du davon,
wenn wir mit einer Dusche anfangen? Ich bin erst ein paar Minuten vor dir
gekommen und ganz verschwitzt von der Arbeit.“
Ianto
beugte sich leicht vor und atmete tief ein. „Du riechst gut. Immer.“ Er sah
wieder zu Jack hoch. „Manchmal rieche ich an deinen Sachen. Heimlich.“
„Das
freut mich“, entgegnete Jack trocken. „Komm jetzt, hoch mit dir. Auf die Beine
mit dir.“ Er schlang die Arme um Iantos Oberkörper und zog ihn hoch. Ianto
lehnte sich gegen ihn und versuchte ihn zu küssen. „Gleich, Baby.“ Das war
nicht unbedingt, wie er sich den Abend vorgestellt hatte, aber hey, er hatte
nichts anderes zu tun. Und selbst in diesem Zustand war Ianto bessere
Gesellschaft als die Aktenstapel, die im Hub auf ihn warteten.
Er dirigierte
ihn ins Bad, wehrte mehr Annäherungsversuche als jemals zuvor in seinem Leben
ab – nicht ohne Bedauern - und half Ianto dabei aus seiner Kleidung. Der junge
Waliser spielte an seiner beginnenden Erektion herum, während Jack sich
ebenfalls auszog und das Wasser in der Dusche aufdrehte. Er stellte die
Temperatur kalt ein und lockte den jüngeren Mann mit sich unter den
Wasserstrahl.
Ianto
schnappte nach Luft, als ihn das kalte Wasser mit voller Wucht traf und
versuchte zurück zu weichen, doch Jack stand hinter ihm und hielt ihn fest. Er
wusste nicht sicher, ob das die empfohlene Behandlung war – er hatte wenig persönliche
Erfahrung mit den Drogen dieser Zeit und dieses Planeten, da sie kaum eine
Wirkung auf ihn zeigten – aber Ianto schien darauf zu reagieren. Seine
Bewegungen verloren ein wenig von ihrer Ungeschicklichkeit, seine Finger
fummelten nicht mehr ziellos umher. Ianto packte mit beiden Händen seine
Schultern um sich an ihm fest zu halten, drehte das Gesicht in den Wasserstrahl
und trank gierig. Dann wandte er sich ab und übergab sich.
Eine
Grimasse schneidend – obwohl das vermutlich eine gute Sache war – trat Jack hastig
vom Abfluss weg, in die andere Ecke und beobachtete Ianto, der sich jetzt gegen
die Wand lehnte und sich stöhnend den Bauch hielt. Glücklicherweise spülte das
Wasser die ganze Bescherung schnell weg.
„Besser?“,
fragte Jack nach einer Weile, als Ianto sich von der Wand löste und den Mund
ausspülte, mehr Wasser trinkend.
„Mir
ist total schlecht“, murmelte Ianto und setzte sich in der Ecke auf den Boden.
„Was ist mit mir los?“
„Darüber
sprechen wir später.“ Jack musterte den jungen Mann. Ianto war blass, seine
Haut fast durchscheinend, aber sein Blick wirkte klarer. Die Pupillen näherten
sich langsam einer normalen Größe an. „Denkst du, du musst noch einmal…?“
„Ich
weiß nicht.“ Ianto presste die Handballen gegen die Schläfen. „Ich habe seit
heute Mittag nichts mehr gegessen. Es sollte nichts mehr drin sein.“
Das
klang ermutigend.
„Kannst
du das Wasser abdrehen?“ Ianto schlang die Arme um sich selbst. „Mir ist kalt.“
„Kein
Problem.“ Jack drehte das Wasser ab und hielt Ianto eine Hand hin, um ihm auf
die Beine zu helfen.
Der
jüngere Mann folgte ihm bereitwillig aus der Dusche, wickelte sich
zähneklappernd in alle Handtücher, die Jack auftreiben konnte. Eigentlich war
es nicht kalt in der Suite, aber Iantos Lippen zeigten eine leichte
Blaufärbung. Und da sich seine Haut vorher wärmer als normal angefühlt hatte,
war das wohl auch eine Auswirkung der Droge in seinem Blut. Feuchte Handtücher
zogen hinter ihnen eine Spur bis ins Schlafzimmer, wo Jack den Schrank nach
warmer Kleidung durchstöberte. Seine Sachen saßen nicht unbedingt perfekt an
dem schlaksigen Waliser, aber Ianto hörte mit dem Zähneklappern auf und sah
weniger wie der aufgewärmte Tod aus. Jack zog sich rasch selbst an, platzierte
ihn mit einer Decke auf der Couch und ging in die Küche, um Tee zu kochen.
„Nicht beschweren, trinken.“ Jack schüttelte
den Kopf, als Ianto den Mund öffnete – und dann wieder schloss – und den
Teebecher nahm, den Jack ihm unter die Nase hielt. Er nippte daran und schnitt
eine Grimasse. Da musste ein halbes Kilo Zucker drin sein, so süß war der Tee.
Seinem Magen schien es aber gut zu tun, also schluckte Ianto seine Beschwerden
hinunter und trank mehr davon.
Jack
nahm neben ihm Platz, legte eine Hand auf seinen Oberschenkel. „Habe ich dich
vorhin richtig verstanden? Du hast aus Versehen Ecstasy genommen?“
„Nicht
mit Absicht. Ich war nur so dumm und sagte nur, ich hätte kein Geld, als sie mir
etwas angeboten hat – wie sollte ich wissen, dass sie das mit der Gratisprobe
ernst meint?“ Ianto verzog das Gesicht. „Oh Gott, ich erinnere mich wie ich
mich aufgeführt habe. Das gleiche ist passiert, als ich das erste Mal Ecstasy
genommen habe, damals aus Neugier. Ich habe mich total wie ein Idiot
aufgeführt.“
„Oh, so
schlimm fand ich dein Verhalten nicht“, entgegnete Jack leichthin. „Du warst
sehr anhänglich, sehr zuwendungsbedürftig und du hast darauf bestanden, dass
ich dich unbedingt und auf der Stelle ficke. Übrigens deine Worte.“
„Vielen
Dank für deine Zurückhaltung“, entgegnete der jüngere Mann sarkastisch, den
Blick auf den Teebecher in seinen Händen senkend. „Ich bin sicher es war ein großes
Opfer.“
Jack
grinste. „Du hast sehr viel Enthusiasmus an den Tag gelegt, aber irgendwie
fehlt dir gerade das richtige Talent. Ich hatte Sorge, du tust dir weh, wenn
ich dich nicht stoppe.“ Er stand mit einem ermutigenden Klaps auf Iantos
Oberschenkel auf. „Ich denke der Abend ist für uns beide gelaufen. Gehen wir
schlafen?“
„Es tut
mir leid.“ Ianto stellte den Teebecher ab. „Ich gehe besser. Du bekommst deine
Sachen gewaschen zurück, sobald ich…“
„Warum
willst du gehen?“, unterbrach ihn Jack. „Wir können auch in einem Bett
schlafen, ohne Sex zu haben. Das ist keine Bedingung dafür, dass du hier
übernachtest.“ Er zuckte mit den Schultern. „Überhaupt, das Wochenende ist doch
noch nicht vorbei.“
Ianto
musterte ihn, seine ganze Körperhaltung drückte Unentschlossenheit aus. „Ich
mache das sonst nicht“, murmelte er.
Jack
schüttelte den Kopf, lächelte. „Es ist okay. Warum trinkst du nicht den Tee
aus, und gehst ins Bett?“ Er deutete auf den Laptop, der auf der Frühstücksbar
lag. „Ich habe noch ein bisschen etwas zu tun, aber ich komme bald nach.“
Schließlich
schien Ianto zu einer Entscheidung gekommen zu sein. Er nickte, zog die Decke
um sich und verschwand ins Schlafzimmer.
Als
Jack ihm eine Weile später folgte, hatte sich der junge Waliser auf dem Bett zu
einem Knäuel zusammengerollt und schlief tief und fest. Er hatte es gerade mal
geschafft, sich halb auszuziehen und hatte sich fast bis zur Nasenspitze in
Decken vergraben.
---
„Wie
wäre es mit einer Dusche? Und dann Frühstück? Du siehst aus als könntest du ein
bisschen frische Luft brauchen, warum lade ich dich nicht in ein Café ein und
wir gehen zu Fuß dorthin?“ Jack war so früh am Morgen geradezu boshaft guter
Laune.
„Du
schmeißt mich nicht raus?“ Ianto rollte sich auf die Seite, um den anderen Mann
anzusehen.
„Wegen
letzter Nacht? Warum sollte ich? Ich fühle mich geschmeichelt, dass du trotzdem
zu mir gekommen bist.“ Jack verschränkte die Arme im Nacken.
„Machst
du dich lustig über mich?“
„Es ist
mein voller Ernst. Hey, du hast einen schlechten Tag erwischt, das ist alles.
Ich glaube dir, dass du das Zeug nicht absichtlich genommen hast und wir können
immer noch das Wochenende miteinander verbringen. Ecstasy-Dealen in einem Club
fällt nicht in mein Aufgabengebiet.“ Solange es sich um menschliche Dealer
handelte. Es sah nach nichts anderem aus, aber Jack hatte sich die Form des
Einlassstempels an Iantos Handgelenk gemerkt und würde Suzie in der Datenbank
nachsehen lassen, ob sie mit diesem speziellen Etablissement bereits in der
Vergangenheit Schwierigkeiten hatten.
„Ich
mache das sonst wirklich nicht.“ Ianto setzte sich auf und zog die Decke bis zu
den Schultern hoch. „Ich nehme keine Drogen mehr.“
„Das
ist okay. Ich glaube dir.“
In
Iantos Gesicht kehrte langsam eine normale Farbe zurück. Er konnte den jungen
Waliser später scannen, mit Hilfe seines Vortex Manipulators, wenn Ianto
schlief, um zu sehen, ob er gesund war. Aber das konnte warten, jetzt wollte er
erst einmal frühstücken. Und dann hatte er da noch ein Versprechen einzulösen...
###
Ianto
hatte sich endlich entschlossen dem Schimmel in der dunkelsten Ecke seines
winzigen Badezimmers den Garaus zu machen. Seinen Vermieter interessierte das
nicht besonders, als er sich darüber beschwerte und hatte ihm nur geraten,
häufiger zu lüften oder auszuziehen, bevor er ihm die Tür vor der Nase zu
schlug.
Aber
noch war Ianto nicht bereit seinen ersten ernsthaften Schritt in die neuerliche
Sesshaftigkeit schon wieder aufzugeben. Sein Gehalt reichte für die Miete, versorgte
ihn mit Essen, Kaffee und gelegentlich auch mit den Anzügen, die ihm Jack so
gerne auszog.
Er
brauchte eigentlich nur einen Platz zum Schlafen, zum Duschen und um seine
Sachen aufzubewahren. Jack hatte ihm angeboten, in der Suite zu wohnen,
wenigstens so lange, bis er eine bessere Wohnung gefunden hatte (Lisas Couch war
inzwischen strikt verbotenes Territorium, zumindest laut ihrem Freund Mark) –
aber es fühlte sich nicht richtig an. Er hatte kein Problem damit, im Hotel zu
übernachten oder Jacks freie Tage mit ihm dort zu verbringen… mit der Betonung
auf „mit Jack“. Ihre Beziehung rechtfertigte nicht seinen Einzug und so wie es
war, käme er sich ausgehalten vor. Als wäre es Jack am Ende doch noch gelungen,
ihn zu kaufen.
Vielleicht
war es albern so zu denken, vor allem weil er wusste, dass Jack zwar den Luxus
genoss, aber nicht davon eingenommen war. Er erinnerte sich an den
Bunkerähnlichem Raum, in dem Jack schlief, wenn er über Nacht im Hub blieb und
der war alles andere als luxuriös.
Also
war Ianto losgezogen und hatte in einem Heimwerkermarkt Schimmelkillerspray, Handschuhe
und – nachdem er die Hinweise auf der Flasche mit dem Reinigungsmittel las –
noch eine Atemschutz-Maske, eigentlich gedacht für Maler- und Lackierarbeiten,
gekauft. Angetan mit alten, fleckigen Jeans, einem schlabbrigen, verwaschenen
T-Shirt, schmutzigen Nikes und den Handschuhen, holte Ianto noch einmal tief
Luft, bevor er die Malermaske über Mund und Nase zog – und es sofort hasste.
Die Maske stank – im wahrsten Sinn des Wortes atemberaubend - nach Plastik.
Vielleicht war es doch besser, das Schimmelspray einzuatmen… es würde ihn
möglicherweise etwas schneller umbringen.
Er
zog die Sprayflasche aus der Plastikeinkaufstüte und machte sich am
Sicherheits-Verschluss zu schaffen, seine Finger in den Handschuhen untypisch
ungeschickt. Nach zweimaligem Abrutschen; einer eingeklemmten Fingerkuppe und
etliche Flüche später, hatte er den kindersicheren Verschluss geknackt und
angefangen, sorgfältig in alle grau-grün-weiß-schwarz-bepelzten Ecken zu
sprühen. Er blinzelte und begann zu bedauern, dass er nicht auch noch eine
dieser Plastikschutzbrillen gekauft hatte (das stark nach Chlor riechende Spray
brannte in seinen Augen) als sein Handy klingelte.
Ianto
stellte die Flasche weg und zog einen der Handschuhe ab, den er ins Waschbecken
warf. Sein Handy lag auf dem Bett und er runzelte die Stirn als er aufs Display
sah, das statt des Namens des Anrufers nur „unbekannt“ anzeigte.
„Hallo?“,
meldete er sich, während er nochmals zurück ins Bad ging, um das winzige
Fenster zu öffnen, unwillkürlich den Atem anhaltend, als ihm beißender
Chlorgeruch entgegen schlug.
„Ianto
Jones?“, fragte eine zögerliche Frauenstimme am anderen Ende.
„Ja?“,
entgegnete er unverbindlich. Sie klang nicht vertraut.
„Mister
Jones. Ianto, wenn ich darf... ähem... wir kennen uns
nicht. Mein Name ist Tosh... Toshiko Sato. Ich arbeite mit Jack Harkness.“
Zurück
im Schlafzimmer setzte Ianto sich überrascht auf die Bettkante. „Ich weiß, er
hat mir von Ihnen erzählt, Miss Sato“, sagte er langsam, unsicher ob er das
preisgeben sollte. Andererseits wenn sie ihn anrief musste Jack seinem Team von
ihm erzählt haben…
Die
Stimme am anderen Ende der Leitung zögerte erneut. Vielleicht erwartete sie,
dass er nach dem Grund ihres Anrufes fragte, oder zu wissen verlangte, wie sie an
seine Nummer gekommen war. Ianto wartete ab.
„Jack
ist krank“, sagte sie schließlich. „Es ist nichts Ernstes... denke ich. Er
lässt sich nicht von Owen - das ist unser Teamarzt - untersuchen, aber er will
auch nicht nach Hause gehen. Ich rufe an, weil ich dachte, vielleicht könntest
du... ich meine... vielleicht könnten Sie ihn dazu überreden.“
„Du
ist völlig okay.“ Ianto rieb sich übers Gesicht und ließ hastig die Hand
sinken, als ihm einfiel, dass er noch immer einen nach Chlor riechenden
Gummihandschuh trug. Dieser Anruf wurde von Augenblick zu Augenblick
mysteriöser. „Aber ich bin nicht sicher, dass ich Erfolg habe, wenn er nicht
auf Doktor Harper hören will.“
Sie
registrierte, dass er Owens vollen Namen kannte, obwohl sie ihn nicht erwähnt
hatte. Offensichtlich sprach Jack mit Ianto über Torchwood - im Gegensatz zu
Jack, der nach wie vor nur selten ein Wort über Ianto verlauten ließ. „Ein paar
Teammitglieder sind in den letzten Wochen mit einem Virus ausgefallen und so
wie es aussieht, hat Jack ihn jetzt auch erwischt, egal für wie unmöglich er es
hält, krank zu werden.“
Ianto
lachte leise. „Ich verstehe. Der unzerstörbare Captain, richtig?"
Tosh
lächelte. "Genau." Sie spürte ein merkliches Zögern am anderen Ende
der Leitung.
"Es
ist doch kein..." Eine Pause. "Es ist ein normaler Virus, oder?"
Verwundert
blinzelte Tosh. Was meinte... Oh! Jack vertraute ihm wohl wirklich sehr.
"Es ist ein ganz normaler Virus. Husten, Fieber, Heiserkeit, gepaart mit
Appetitlosigkeit und in Jacks Fall offenbar extreme Schlaflosigkeit. Ich denke
er war die ganze Nacht auf den Beinen und ist durch die Gegend gegeistert,
anstatt sich auszuruhen."
„Gut,
ich... ich meine... nicht, dass ich mich in dem Fall nicht um ihn gekümmert
hätte, das meine ich nicht, nur...“
„Ich
verstehe“, unterbrach sie ihn. „Und Ianto... Vielleicht wäre es besser, wenn
Jack nichts von meinem Anruf erfährt.“
„Ich
habe hier noch ein wenig um zu organisieren, dann rufe ich Jack an und versuche
ihn davon zu überzeugen, nach Hause zu gehen“, versprach Ianto. Er klemmte das
Handy zwischen Ohr und Schulter und fummelte seine Finger aus dem zweiten
Handschuh.
Im
Hub hörte Tosh ein Rauschen und Knistern, dann ein schnalzendes Geräusch wie
von zurückschnellendem Gummi. Wobei hatte sie ihn wohl gestört? "Danke.
Auch wenn es mir leid tut, dass wir ihn dir aufbürden müssen, denn er hat wirklich
eine Laune wie ein verwundeter Bär. Aber hier liegen eine Menge geladener
Waffen herum und die Stimmung ist langsam am Überkochen.“
„Ich
komme schon mit ihm klar, Miss Sato. Es war schön, mit Ihnen zu sprechen.“
Die
Verbindung war unterbrochen, bevor sie Gelegenheit hatte, ihn zu bitten sie zu
duzen und Tosh zu nennen. Er war nur ein paar Jahre jünger als sie, kein Grund
sie „Miss“ zu nennen. Leider auch bevor sie ihm sagen konnte, dass sie es
bedauerte, dass sie ihn einfach so angerufen hatte.
Neben
ihr ertönte explosives Husten und Tosh schreckte auf, ließ fast das Telefon
fallen. Jack stand hinter ihr und so wie er nach Luft rang – nach einem
erstklassigen Hustenanfall - nahm sie an, dass er nicht eben erst angekommen
war, sondern ihr Gespräch belauscht hatte - und dabei wohl die Luft angehalten
hatte, um sich nicht durch seinen rasselnden Atem oder Husten zu verraten. Sie
sprang auf und kippte einen Rest kalten Kaffee aus ihrer Tasse in den
Mülleimer, füllte sie mit Wasser aus einer Flasche auf ihrem Tisch nach und
hielt sie Jack hin.
Nachdem
er ein paar Schlucke getrunken hatte, ebbte der Hustenanfall langsam ab.
„Ich
habe dir nicht von ihm erzählt, damit du ihn hinter meinen Rücken anrufst.“
Seine Stimme war schlimmer geworden, war fast nicht mehr wiederzuerkennen. Jack zuckte zusammen und stöhnte. „Mein Hals
fühlt sich beim Sprechen an als hätte ich mit Rasierklingen gegurgelt.“
„Dann
hör auf zu sprechen. Und möglicherweise hilft es auch, wenn du damit aufhörst,
Owen anzuschreien.“ Tosh hatte sich von ihrer Überraschung erholt und stemmte
die Hände in die Hüften, während sie zu ihm aufsah. „Ich habe Ianto angerufen,
weil du ins Bett gehörst.“ Sie ignorierte das lüsterne Grinsen, das Jack
zustande zu bringen versuchte und das schwer danebenging. "Du brauchst
jemand, der sich um dich kümmert. Und wenn es keiner von uns sein soll, dann
hör wenigstens auf ihn. Gwen hast du schließlich gestern auch gezwungen nach Hause
zu gehen und sie war wesentlich weniger krank als du."
„Ich
kann mich im Bunker für ein paar Stunden hinlegen“, murmelte Jack trotzig.
„Wenn
du nicht in diesem Loch schlafen würdest, wärest du vielleicht gar nicht krank
geworden. Geh nach Hause und lass zu, dass Ianto sich um dich kümmert. Ich
hatte nicht den Eindruck, dass es ihn stört.“
Einen
Moment lang sah Jack so aus als wolle er widersprechen, sie vielleicht daran
erinnern, dass sie mit ihrem Boss sprach, dann sackten seine Schultern nach
unten. Es musste ihm wirklich mies gehen und da war ein Schimmer von
Schweißperlen auf seiner Stirn.
„Okay“,
sagte er leise.
„Woher
wusstest du, dass ich ihn angerufen habe?“, fragte Tosh. Jack war in seinem
Büro gewesen, als sie nach dem Telefon griff.
Plötzlich
sah Jack sehr schuldbewusst drein.
„Oh
nein, das hast du nicht! Du überwachst sein Handy?“ Tosh schüttelte den Kopf. Wenn
er nicht so elend dreinsehen würde, dann würde sie ihm jetzt eine gesalzene
Predigt halten...
Jack
zuckte mit den Schultern, offenbar hatte er abrupt beschlossen, dass das
Sprechen tatsächlich zu schmerzhaft war.
Sie
seufzte. „Männer, nie um eine Ausrede verlegen, nicht direkt miteinander reden
zu müssen“, murmelte sie, ihre Worte von einem neuerlichen Hustenanfall auf
Jacks Seite übertönt.
Jack
presste einen dankbaren Kuss auf ihr Haar und sie versuchte nicht zurück zu
zucken, als seine fieberwarmen Lippen ihre Haut berührten. Es war ohnehin zu
spät, zu befürchten, dass er sie ansteckte. Entweder hatte sie den Virus
bereits oder nicht.
Er
nahm einen Notizzettel von ihrem Schreibtisch und kritzelte: „Wir sprechen
später darüber“ darauf, bevor er ihn vor ihre Nase hielt. Dann verschwand er in
Richtung seines Büros, hoffentlich um seinen Mantel zu holen, bevor er ging.
„Wir
kommen ein paar Tage alleine zurecht, verstanden? Du musst nicht morgen schon
wieder hier vor der Tür stehen“, rief sie ihm nach.
---
Ianto
betrachtete unschlüssig das Handy. Das war wirklich ein seltsamer Anruf
gewesen. Er wusste nicht, ob er einen Fehler gemacht hatte, indem er preisgab,
dass er von Torchwood wusste. Andererseits war Jack der Boss, also was konnte
ihm schon passieren?
Jack.
Zuerst
musste er Jack überzeugen, dass er nach Hause gehen sollte und dann musste er
Lisa anrufen und ihr sagen, dass er vermutlich morgen wieder mal nicht zur
Arbeit kommen konnte. Und er musste auf dem Weg ins Hotel noch ein paar Dinge
einkaufen. Zweifelnd sah er an sich herunter. Sollte er sich vorher umziehen?
Nein, keine Zeit. Außerdem hatte er Klamotten zum Wechseln in der Suite.
Ianto
schnappte sich eine Jeansjacke und seinen Rucksack, als das Handy in seiner
Hand wieder summte. Ein Blick aufs
Display verriet ihm, dass Jack eine Nachricht geschickt hatte.
Ich weiß von Toshs Plan.
30 min, bei
mir? xx J.
Er
hoffte, dass sie deshalb keinen Ärger bekam, denn er war überzeugt, dass
Toshiko Sato es nur gut gemeint hatte. Wenn Jack von ihr sprach, klang es als
wäre sie eine Freundin, nicht nur ein Teammitglied. Plötzlich tat es ihm leid,
dass er nicht länger mit ihr hatte sprechen können. Er hätte sie gerne ein paar
Dinge gefragt…
Aber
das musste warten. Jetzt hatte er erst einmal einiges zu erledigen. Zum Glück
wusste er genau, wo er was einkaufen konnte, das sparte enorm viel Zeit. Auf
der Treppe nach unten textete er seine Antwort.
Sie meint es gut, Jack.
Ich bin in 45 minten
da. xx Ianto
Als
er „Senden“ drückte, fiel ihm der Tippfehler auf. Jack konnte ihn mit seiner
Besessenheit, selbst Textnachrichten fehlerfrei und korrekt zu verfassen, ein
anderes Mal aufziehen.
Exakt
42 Minuten später betrat Ianto mit zwei Plastiktüten das Foyer des Hotels und
hatte sofort das Gefühl, dass die Blicke aller Anwesenden auf ihn gerichtet
waren – und zwar alle in Missbilligung. Vielleicht hätte er sich doch die Zeit
nehmen sollen, sich umzuziehen?
Selbst
der Teppich schien vor seinen abgetragenen Nikes zurück zu zucken und Ianto war
erleichtert, als sich die Lifttüren hinter ihm schlossen. Er zog seine
Schlüsselkarte aus der Tasche und steckte sie in den entsprechenden Schlitz.
Anders als mit dieser Karte konnte man nicht zum Penthouse gelangen, der Lift
hatte keinen entsprechenden Stockwerksknopf.
„Jack?“,
rief Ianto als er die Tür mit dem Ellbogen aufstieß und in die Suite trat.
Statt
Jack tauchten zunächst nur Jacks Hand und sein Arm über der Rückenlehne des
Sofas auf und er winkte. Einen Moment später folgte der Rest des Captains, als
sich der ältere Mann langsam auf die Beine hievte.
Jack
sah… nun, er sah schlichtweg krank aus. Er war - abgesehen von roten Flecken
auf den Wangen - blass, er hatte dunkle Ringe unter den fiebrig glänzenden
Augen, und seine Lippen waren aufgesprungen und trocken. Andererseits war er
Jack und dass bedeutete, selbst krank und mit in Stacheln
abstehenden verschwitzten Haaren war er noch attraktiver als der
Durchschnittsmann. Dunkle Schweißflecke zeigten sich auf seinem hellblauen
Hemd. Er hatte zwar den Kragen geöffnet und die Ärmel hochgekrempelt, war aber ansonsten
vollständig angekleidet – Schuhe und Hosenträger inklusive. Sein Mantel lag auf
einem Sessel, wo er das leere Waffenholster halb
verdeckte. Jack hatte einen Safe für seinen altmodischen Revolver und die Munition,
er trug in der Suite nie die Waffe bei sich.
Das
blanke Elend in seinem Blick hätte einen Stein erweichen können.
Lisa
hätte die Augen verdreht und ihm gesagt, er wäre eine Dramaqueen und solle die
Vorstellung vom sterbenden Schwan nicht so übertreiben.
„Hey“,
sagte Ianto leise und durchquerte den Raum, um seine Tüten und den Rucksack in
der Küchennische abzustellen. „Wie fühlst du dich?“
Jack
murmelte etwas und deutete auf seinen Hals, als Ianto sich ihm wieder zuwandte.
Dann saugte sich sein Blick an den engen Jeans fest und ein Grinsen breitete
sich über seine Züge aus. Er versuchte etwas zu sagen, was jedoch in einem
weiteren Husten endete.
Ianto
schüttelte den Kopf. „Setz dich wieder hin“, sagte er, als Jack kurz schwankte.
Doch
der Captain blieb störrisch auf den Beinen. „Was… ist …?“, krächzte er und
deutete auf die Einkaufstaschen.
„Du
bist krank.“ Ianto kam auf ihn zu, um ihn notfalls mit sanfter Gewalt auf die
Couch zurück zu zwingen. "Und offenbar ist Hühnersuppe in so einem Fall
ein wahres Wundermittel. Also werde ich dir welche kochen.“ Er sah überrascht
hoch, als Jack ihn fest umarmte und dabei fast von den Beinen holte - uh, seine
armen Rippen. Wofür war das? Er berührte Jacks Stirn. War sein Fieber
gestiegen?
„Wieso…
nicht... Zimmer… service?“, flüsterte Jack heiser.
Ianto
schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nicht das gleiche, einfach Suppe zu kaufen
oder zu bestellen.“ Er lächelte, als Jack die Stirn gegen seine Hand presste
und "kühl" murmelte. „Oder eine Dose zu öffnen. Das behauptet meine
große Schwester und ich wage ihr in dieser Hinsicht nicht zu widersprechen.
Hey, warum setzt du dich nicht wieder hier auf die Couch und ich hole dir ein kaltes
Handtuch für deine Stirn?“ Es benötigte nicht viel Nachdruck um Jack zurück auf
die Couch zu befördern und Ianto wich den an der Innennaht seiner Jeans
entlangwandernden Händen aus. Dazu war er also nicht zu krank…
Aber
schlecht ging es ihm trotzdem. Ianto lauschte auf Jacks rasselnde Atemzüge und
sein Husten, während er Wasser in einen Topf füllte und gleichzeitig auch den
Wasserkessel anstellte. Er wusch das Huhn ab und ließ es in den Topf plumpsen,
warf das schon fertig geputzt und geschnitten gekaufte Suppengemüse hinein und
packte den Deckel darauf.
Kaum
war das erledigt, klickte der Wasserkocher aus und Ianto füllte das kochende
Wasser in eine Thermoskanne, in die er ein paar Teebeutel hängte. In einer der
Schubladen fand er Honig und gab einen großen Löffel voll in eine Tasse, bevor
er den Tee aufgoss. Aus einer kleinen Papiertüte, die er aus dem Rucksack
holte, nahm er ein Tablettenröhrchen. Die Teetasse, eine Packung Cracker, die
Tabletten und eine Flasche Wasser stellte er auf ein Tablett, das er zum
Couchtisch balancierte und dort vorsichtig abstellte.
Jack
war gegen die Rückenlehne zurückgesunken und schien zu dösen. Zumindest hatte
er die Augen geschlossen.
„Jack?“
Ianto nahm seine Schulter und rüttelte ihn sanft bis Jack mit einem Stöhnen den
Kopf wandte und ihn anblinzelte. „Du musst etwas trinken.“ Er schraubte die
Wasserflasche auf und hielt sie ihm zusammen mit zwei Ibuprofen hin. Jack
musterte die beiden Tabletten mit fast so etwas wie Amüsement, dann schluckte
er sie, eine Grimasse schneidend, als sie im Hals kratzten. Er leerte fast die
halbe Flasche Wasser, bevor Ianto sie ihm abnahm und zurück auf den Tisch
stellte. „Versuch den Tee.“
„Kaff…“
Ein neuer Hustenanfall schnitt Jack das Wort ab.
“Nein.
Kein Kaffee”, beschied Ianto. “Sieh es als besonderen Anreiz schneller wieder gesund
zu werden. Willst du etwas essen?”
Jack
schmollte – und schnitt eine Grimasse als Ianto Essen erwähnte.
„Gut,
dann versuchen wir es später, wenn die Suppe fertig ist.“ Ianto hielt ihm die
Tasse vor die Nase. „Trinken! Es ist Tee, kein Gift.“ Er ging zurück in die
Küchenecke und ließ kaltes Wasser in eine Plastikschüssel laufen. Kein
Vergleich zu dem kalkig-trüben Wasser, das in seiner Wohnung aus dem Hahn kam.
Seufzend dachte er an den Schimmel in seinem Bad und die unterbrochene Aktion
zu dessen Beseitigung, während er Eiswürfel ins Wasser kippte – so ein Eisfach
mit automatischem Eiswürfelbereiter war super. Vielleicht half das verlängerte Einwirken
des Mittels ja besonders gut. In Jacks schimmelfreiem Bad fand er flauschige,
kleine Gästehandtücher von denen er ein paar mit ins Wohnzimmer der Suite nahm.
Jack
hatte wieder die Augen geschlossen, er atmete rasselnd und flach. Frischer
Schweiß stand auf seiner Stirn. Die Teetasse war immerhin leer.
Ianto
stellte die Schüssel auf den Tisch, packte eine Ecke der Tischplatte und zog
ihn näher zur Couch. Ein Tischbein verfing sich im flauschigen Teppich und der
Ruck brachte die Tasse klirrend zum Umfallen. Eiswasser schwappte auf die
polierte Glasoberfläche. Jack blinzelte und sah zu ihm hoch. Er setzte zu einer
Frage an, doch alles was über seine Lippen kam war ein heiseres Flüstern.
Offenbar hatte er seine Stimme völlig überbeansprucht und jetzt war sie ganz
weg.
Vorsicht
darauf achtend dass er sich nicht in die Pfütze setzte, nahm er auf der Kante
des Tisches Platz. „Mehr Tee?“, fragte Ianto und tauchte das erste der
Gästehandtücher ins Eiswasser. Nachdem er das Tuch sorgfältig ausgewrungen
hatte, wischte er damit Jacks Gesicht und Hals ab. Das wohlige Stöhnen das über
die Lippen des älteren Mannes kam ließ Ianto fast rot werden… Er faltete das
Handtuch zusammen und legte es auf Jacks Stirn, bevor er aufstand und die
Thermoskanne und den Honig holte, um die Tasse frisch zu füllen.
Als
er zurückkam hatte Jack sich ein wenig aufgerappelt und die Kissen in seinen
Rücken befördert, so dass er trinken konnte ohne sich zu verschlucken. Ianto
kehrte auf seinen vorherigen Platz zurück, nahm das Handtuch und tauchte es
wieder in das kalte Wasser.
Jack
trank eine zweite Tasse Tee und schüttelte dann den Kopf, als Ianto nachfüllen
wollte. Er schloss die Augen und ließ sich in die Kissen fallen. Ab und zu lief
ein Schauer durch seinen Körper und unter Iantos Händen fühlte er sich glühend
heiß an. Wann war das Fieber so hoch, dass er einen Arzt rufen musste? Er
erinnerte sich, dass Jack behauptete schnell zu heilen, und dass ihm nichts auf
Dauer Schaden zufügen könnte. Offenbar ein Vorteil davon, in der Zukunft
geboren zu sein. Das klang gut, so lange Jack gesund und munter war, doch war
jetzt alles andere als beruhigend.
Ianto
fuhr fort, ihm Gesicht und Nacken zu kühlen und als er sah, dass Jack
eingeschlafen war – so viel dazu, dass Schlaflosigkeit ein Symptom der
Krankheit war – zog er ihn rasch aus. Nun, das
machte deutlich mehr Spaß wenn sie beide wach waren…
Jacks
Schuhe polterten auf den dicken Teppich und obwohl der das Geräusch dämpfte,
bewegte sich der ältere Mann unruhig, bevor er wieder in tieferen Schlaf sank.
Ianto schob die Hosenträger über Jacks Schultern, löste seinen Gürtel und
packte dann seine Hosenbeine, um ihm die Hose auszuziehen. Sie gesellte sich
zum Mantel auf dem Sessel. Die engen weißen Boxershorts ließ er wo sie waren
und beugte sich über Jack, um sein Hemd aufzuknöpfen. Er zog es ihm über die
Arme, ließ ihn dann aber einfach darauf liegen, anstatt zu versuchen, es unter
Jack hervor zu ziehen. Das T-Shirt bekam er ohne Mithilfe des anderen Mannes eh
nicht über seine Arme, also beließ er es dabei, es bis unter die Achseln hoch
zu schieben und Jacks Brustkorb mit kaltem Wasser abzuwaschen. Mit einem
zweiten Handtuch trocknete er ihn wieder ab und deckte ihn schließlich mit
einer dünnen Decke zu, die über der Rückenlehne der Couch hing.
Als
er aufstehen und nach der Suppe sehen wollte, kam Jacks Hand unter der Decke
hervor und er packte Ianto am Handgelenk. Jack blinzelte ihn unter schweren
Lidern an. Ianto lächelte besänftigend und nahm wieder Platz. Er drückte Jacks
Hand. „Okay, kein Problem, ich kann auch noch eine Weile hier sitzen bleiben,
wenn du willst.“ Ianto legte die freie Hand an die Seite von Jacks Gesicht und
massierte mit dem Daumen seine Schläfe. Er erinnerte sich vage daran, dass
seine Mutter das so gemacht hatte, als er einmal mit einer Grippe fiebernd im
Bett lag. Und die Berührung schien auch auf Jack ihre besänftigende Wirkung
nicht zu verfehlen.
Nach
einer Weile schlief Jack ruhiger und Ianto glaubte auch, dass er sich ein wenig
kühler anfühlte. Vorsichtig löste er Jacks Griff um sein Handgelenk und stand
auf.
Ianto
piekste das Huhn an, befand es für gar, schaltete die
Kochplatte ab und stellte den Topf für später beiseite. Er machte sich Kaffee
und trank die Tasse im Stehen, wusch sie automatisch ab und räumte sie wieder
in den Schrank, obwohl es genug frische Tassen und eine Spülmaschine gab. So
lange Jack schlief hatte er ohnehin nichts anderes zu tun.
Er
ging zurück zu dem anderen Mann, checkte wieder seine Temperatur und legte ein
frisch angefeuchtetes Handtuch auf seine Stirn. Die Eiswürfel waren
geschmolzen, also leerte er die Plastikschüssel aus und füllte sie mit frischem
Wasser und mehr Eis nach.
Danach
setzte er sich in einen der Sessel und schaltete den Fernseher ein, ohne Ton
natürlich, obwohl es nicht danach aussah als könne augenblicklich irgendwas Jacks
Schlaf stören. Da fand er aber auch nichts, das sein Interesse fesselte und
Ianto wandte sich wieder einmal Jacks Bücherregal zu. Er fand einen dicken
Band, auf dem in angelaufenen Goldbuchstaben stand, dass es sich um eine
Kollektion von Jules Verne-Geschichten handelte. Das klemmte Ianto sich unter
den Arm, machte es sich in einem Sessel bequem, den er neben die Couch zog, und
vertiefte sich in die fantastischen Geschichten über Reisen zum Mittelpunkt der
Erde oder zum Mond. Immer bewusst, dass er neben einem Mann saß, dessen wahren Erlebnisse die Geschichten von Jules Verne zu unbeholfenen
Schulaufsätzen verblassen ließen. Ab und zu wechselte er das Handtuch auf Jacks
Stirn oder wusch ihm Gesicht und Brust mit kaltem Wasser ab.
Er
hatte sich schließlich Sandwiches und mehr Kaffee gemacht und das Buch zur
Hälfte gelesen, als Jack sich wieder rührte, hustete und die Augen aufschlug.
Ianto
legte das Buch weg. „Hey“, sagte er, neben der Couch in die Hocke gehend, damit
sie auf einer Höhe waren. „Möchtest du etwas?“
„Et…
trinken.“ Jack klang noch immer wie ein Rabe mit Halsentzündung. “Bitte.”
“Bitte?”,
wiederholte Ianto trocken. “Du bist tatsächlich krank.” Er steckte einen
Trinkhalm in die Wasserflasche und hielt sie ihm hin, so konnte Jack trinken ohne
sich aufzusetzen.
„Ha.
Ha“, machte Jack als er gierig getrunken hatte. Seine Lippen waren immer noch
spröde und aufgeplatzt. Er schob die Decke ein Stück nach unten. „Meine…“ Er
deutete auf seinen Körper, dann auf Ianto.
„Du
hast Fieber“, wiederholte er geduldig. „Du warst viel zu heiß um in deinen
Klamotten zu schlafen.“ Ianto zog die Augenbrauen hoch. „Du bist doch nicht
plötzlich schüchtern?“
Jack
gab ein amüsiertes Schnauben von sich, das abrupt in einen trockenen
Hustenanfall überging. Der ältere Mann verzog das Gesicht und nickte, als Ianto
ihm wieder den Trinkhalm hinhielt, dieses Mal in der Teetasse. „…nie krank…“,
murmelte er.
„Ich
weiß.“ Ianto stellte die Tasse zurück, als Jack den Kopf weg drehte. “Du bist unkaputtbar. Außer wenn es um itzyklitzekleine
böse Viren geht.”
„Witzig.“
Jacks Blick glitt zu der Fensterfront, und zu der Dunkelheit draußen.
“Du
hast ungefähr fünf Stunden geschlafen”, bemerkte Ianto. „Willst du jetzt versuchen
etwas zu essen? Ich kann dir die Suppe in der Mikrowelle warm machen.“
Jack
nickte und rappelte sich hoch. Er schwankte ein wenig, als er sich hochstemmte,
stand dann aber sicher auf den Beinen. Ianto ging eine Schale mit Suppe
aufwärmen, während Jack ins Bad verschwand.
Als
er wieder auf der Couch saß, stellte ihm Ianto ein Tablett auf den Schoß,
darauf standen eine Suppenschale mit einem Löffel und ein kleiner Teller mit
Crackern. Er klopfte auf das Polster neben sich und Ianto nahm Platz. Jack
legte einen Arm um seine Schultern und aß die Suppe, schluckte widerstandslos
mehr Ibuprofen, während Ianto durch das Fernsehprogramm zappte, bis er eine
Wiederholung von Casino Royal (die alte Version, mit David Niven) fand, die
gerade begann. Er hatte die DVD schließlich nie beendet. Halbwegs durch den
Film lehnte Jack sich gegen ihn, seine Schulter als Kopfkissen benutzend. Ianto
stellte das Tablett auf den Boden und zog die Decke um ihn. Kurz darauf schlief
Jack wieder tief und fest.
Ianto
stellte den Ton leise und machte es sich bequem. Er spürte wie seine eigenen
Augen schwer wurden. Jack murmelte etwas im Schlaf und presste mehr seines
fieberwarmen Körpers gegen Iantos. Hm. Damit konnte er leben. Ianto schlief ein,
noch lange bevor der Abspann lief.
---
Er
erwachte mit Kopfschmerzen und wundem Hals, aber das Fieber war weg. Jack
schlug verkrustete Augen auf und sah sich um. Richtig. Tosh hatte ihn nach
Hause geschickt und Ianto… Er lächelte. Ianto war gekommen, um sich um ihn zu
kümmern.
Jack
löste die Fernbedienung aus Iantos Hand und schaltete den Fernseher ab, bewegte
seinen Nacken, seine Muskeln von der nicht ganz idealen Haltung ein wenig steif.
Es lag Jahrzehnte zurück, dass er zuletzt krank geworden war. Damals hatte er
mit einer Frau namens Elisabeth zusammen gelebt, und er erinnerte sich noch an den
bitteren Kräutertee, den sie ihm zu trinken gegeben hatte. Es fiel ihm schwer,
sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie ausgesehen hatte.
Er
ließ die Fernbedienung zwischen die Kissen fallen und schob die Decke von
seinen Schultern, warf sie über den jungen Waliser, der sich neben ihm
zusammengerollt hatte. Es war warm in der Suite, aber wie er Ianto kannte,
würde der trotzdem frieren.
Wie
immer hatte Tosh Recht. Es war okay, sich auch einmal wie ein normaler Mensch
zu fühlen. Und im Moment, hier und jetzt, war er nicht Captain Jack Harkness,
Leiter von Torchwood Drei und Ex-Time Agent – sondern einfach nur Jack, und er
war krank und wurde von seinem… Freund? Partner? Liebhaber?… versorgt.
Vorsichtig
löste er Iantos Hand, die auf seiner Hüfte lag und stand auf. Ein Besuch der
Toilette stand an und er brauchte dringend eine Dusche. Es musste ihn dieses
Mal wirklich schlimm erwischt haben, sein ganzer Körper fühlte sich an, als
wäre er verprügelt worden – schwerfällig und nicht total unter seiner Kontrolle.
Aber so viel besser als früher am Tag im Hub.
Im
Bad warf er seine restliche Kleidung in den Wäschekorb, benutzte die Toilette
und trat unter die Dusche. Jack stellte das Wasser kühler als sonst ein und
blieb lange einfach unter dem Wasserstrahl stehen, den Kopf gesenkt und genoss
das Prasseln auf seine Haut. Es fühlte sich wie eine Minimassage an und wirkte
auch so. Als er die Dusche verließ, hatten seine Kopfschmerzen nachgelassen und
sein Körper fühlte sich weniger steif und fremd an. Jack rieb sich die Haare
trocken und putzte den pelzigen Belag von Zunge und Zähnen.
Ianto
hatte sich nicht vom Fleck bewegt, als er den Wohnbereich auf dem Weg ins
Schlafzimmer durchquerte. In der Ecke neben dem Schrank stand die Plastikbox
der Wäscherei, sie war irgendwann am Vormittag geliefert worden war und er nahm
eine der losen Pyjamahosen heraus, auf die Ianto bestand. Nun, Jack hatte immer
großes Vergnügen daran, ihn aus seinen Stoffhüllen zu locken. Heute fühlte sich
der vom häufigen Waschen weiche Stoff großartig auf seiner Haut an. Er nahm ein
weißes T-Shirt aus seinem Schrank, streifte es über und streckte sich, bevor er
wieder auf der Couch Platz nahm. Es war noch Tee in der Kanne und Jack goss
sich eine frische Tasse ein. Sein Magen knurrte und er fragte sich, ob er Ianto
wecken sollte – er war sicherlich auch hungrig – und ob er den Zimmerservice
anrufen sollte. Wie spät war es eigentlich? Ein völlig überraschender
Hustenanfall nahm ihm vorübergehend den Atem.
Der
junge Waliser rappelte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Ich
kann zu einer Apotheke gehen, dir etwas dagegen besorgen. Hustensaft oder so
was.“
Jack
trank ein paar Schlucke Tee. „Das ist nicht nötig.“ Er klang noch ein wenig
heiser, aber nicht mehr als hätte er mit Rasierklingen gegurgelt. „Der Husten
ist viel besser geworden, es dauert nicht lange bis er weg ist.“
„Nun,
wenn du Glück hast, nur ein paar Tage. Meine letzte Erkältung dauerte zwei
Wochen.“ Ianto streckte die Beine aus und bewegte die Schultern. Im Sitzen zu
Schlafen klang bequemer als es in Wirklichkeit war.
„Nicht...
bei mir.“ Es mochte ihn überrascht haben, dass er sich den Virus eingefangen
hatte, aber Jack war sicher, dass er spätestens am Morgen wieder fit sein
würde. „Wenn du mir jedoch wirklich einen großen Gefallen tun willst…“
Ianto
musterte ihn. „Ja-a?“, entgegnete er gedehnt.
„Servier
mir mehr von deiner Suppe in einer dieser sexy Krankenschwesternuniformen und
ich verspreche dir eine Spontanheilung.“ Jack stellte die Teetasse ab und
rückte näher.
„Oh,
ich sehe es geht dir prächtig“, erwiderte der junge Waliser trocken.
Jack
sah sehr enttäuscht drein.
Ianto
seufzte. „Wie wäre es, wenn ich dir Suppe und Tee bringe und sie dir nicht über
den Kopf kippe und du mich nie wieder als Krankenschwester bezeichnest?“
„Okay.“
Jack legte den Kopf in den Nacken und sah an die Decke. „Laaaannggweiilllig.“
„Aber
wir können vielleicht Doktor spielen, wenn du wieder gesund bist“, meinte Ianto
auf dem Weg in die Küche. Er drehte sich nicht um, aber er konnte sich auch so
den begeisterten Ausdruck auf Jacks Gesicht vorstellen.
---
Sie
aßen die aufgewärmte Suppe und mehr Cracker und dann noch Eiscreme zum
Nachtisch. Ianto gähnte während er seine Eisschale in die Geschirrspülmaschine
stellte. Es war inzwischen immerhin drei Uhr morgens.
„Ist
das meine Hose?“, fragte er, während Jack den letzten Rest Eiscreme aus der
Packung kratzte.
„Yeah.“ Jack grinste. „Wenn es dich stört, ziehe ich sie
sofort aus.“
„Nicht
meinetwegen.“ Ianto hob abwehrend die Hände. „Ich weiß, wir haben schon den
ganzen Abend wie ein altes Ehepaar vor dem Fernseher gedöst, aber ich würde
echt gerne ins Bett gehen und noch ein paar Stunden schlafen, bevor ich zur
Arbeit muss.“ Er runzelte leicht die Stirn und wandte sich dem Spülbecken zu,
um sich die Hände zu waschen, als er bemerkte, dass Jack bei dem Wort „Ehepaar“
zusammengezuckt war.
„Nein,
das ist eine gute Idee. Ein paar Stunden Schlaf mehr und ich sollte wieder total
fit sein.“ Jack leckte den letzten Löffel Eiscreme sehr gründlich ab und warf
die leere Packung mit Bedauern in den Müll. Vielleicht würde er das später
bereuen, aber die Kälte schien seinem Hals gut zu tun, er hatte fast keine
Schmerzen mehr beim Schlucken. Er steckte den Löffel in die Spülmaschine und
schloss die Tür. „Es war sicher nur einer dieser 24-Stunden-Viren.“
„Das
ist kein 24-Stunden-Virus, und die sind übrigens nur eine Erfindung von Leuten,
die einen Tag außer der Reihe freinehmen wollen und sich krank melden, um
Urlaub zu sparen“, erwiderte Ianto und trocknete sich die Hände ab. „Als ich
hier angekommen bin, warst du wirklich ernsthaft krank, ich dachte schon, dein
Fieber ist so hoch, dass du einen Arzt brauchst. Jetzt hast du gerade mal eine
leichte Erkältung. Kommt das auch davon, dass du in der Zukunft geboren
wurdest? Werden die Leute da einfach schneller wieder gesund?“ Es war nicht
gerade ein Tabu-Thema, sie sprachen einfach nur nie darüber. Ianto akzeptierte,
dass Jack ihm Dinge anvertraut hatte, die er eigentlich nicht wissen dürfte.
Und indem er keine Fragen stellte, respektierte er dieses Vertrauen. Aber
manchmal konnte er einfach nicht anders.
„Teilweise
hat es damit zu tun.“ Jack streckte die Hand aus und strich mit einem Finger an
Iantos Arm entlang. „Das ist eine lange Geschichte, Ianto. Und ich kenne selbst
nicht alle Einzelheiten. Wieso ich so bin, wie ich bin. Es gibt jemand, den ich
finden muss – jemand der die Antworten kennt. Der Doctor weiß, was mit mir
passiert ist – und vielleicht auch, wie man es wieder rückgängig machen kann.“
„Rückgängig?“
Ianto runzelte die Stirn. „Wieso? Nicht krank zu sein oder zumindest nicht
lange oder schnell zu heilen – das klingt nach einer guten Sache.“
Jack
hakte den Arm um seine Taille und zog ihn näher zu sich. Er stützte das Kinn
auf Iantos Schulter, vermied es ihn anzusehen, als er weiter sprach. „Erinnerst
du dich, als wir uns darüber unterhalten haben, wie alt ich bin? Nun, ich bin
ein bisschen älter, als ich gesagt habe.“
Ianto
lachte leise. Er schob die Hände in Jacks Rücken unter sein T-Shirt. „Bist du
sicher, dass du nicht einfach nur ein bisschen nach Komplimenten fischst? So,
dann bist du den 40ern wohl ein wenig näher als ich geschätzt habe? Ich nehme
an, Menschen altern in der Zukunft langsamer oder du hast diese Supergene, wie sie manche Schauspieler und Models haben.“
Das
war der Moment. Jack traf eine Entscheidung und holte tief Luft. „Versuch es
mit 35 und leg noch einmal ungefähr 130 Jahre darauf.“
Iantos
Finger, die bisher sehr angenehme Kreise auf seinen Rücken gezeichnet hatten,
stoppten. „Du willst mir sagen, du bist 165 Jahre alt?“
Es
klang, als wäre Ianto nicht ganz sicher, ob Jack scherzte, aber er klang nicht
so, als würde er ihn für verrückt halten und bereits seine Flucht aus der Suite
planen. „Es ist eher eine Schätzung. Ich habe nie hingekriegt auszurechnen, wie
alt ich war, als ich 1869 auf die Erde gekommen bin. Zeitreisen helfen nicht
gerade und jeder Planet, den ich besucht habe, hatte andere Methoden, die Zeit
zu messen.“
Einen
Moment lang war Ianto sehr still, dann zogen seine Finger weiter Linien entlang
Jacks Wirbelsäule. „Du nimmst mich nicht auf den Arm, oder? Ich denke, ich
kenne langsam deinen perversen Sinn für Humor.“
„Es
ist mein Ernst, ich schwöre.“ Jack hob den Kopf, sah ihn an. „Ianto, ich…“ Er
umfasste das Gesicht des jungen Walisers mit beiden Händen. „Ich hatte mir eigentlich
vorgenommen, dass wir dieses Gespräch nie führen würden. Ich behalte meine
Geheimnisse für mich, weil sie… zu viel… sind. Zu groß um sie zu verstehen“,
sagte er leise.
„Warum
hörst du nicht auf, in Andeutungen zu sprechen und versuchst, ob ich die
Wahrheit verkrafte?“ Ianto sah ihn direkt an. „Das heißt, wenn du mir so weit
vertraust.“
„Wenn
du das fragst, muss ich bisher etwas falsch gemacht haben.“ Jack seufzte und
fuhr dem jüngeren Mann durch die Haare, bevor er ihn los ließ. „Können wir im
Bett weiter sprechen? Oder auf der Couch?“ Er lächelte schief. „Natürlich -
jetzt, wo du weißt, dass ich ein alter Mann bin…“
„Soll
ich dir helfen den Weg ins Bett zu finden? Wie wäre es mit einer Wärmflasche, wenn
wir schon beim Thema sind? Und soll ich dir warme Milch machen?“, meinte Ianto
trocken. „Du solltest langsam wissen, dass ich eine Schwäche für ältere Männer
habe. Aber wenn wir in den Bereich der Erwachsenenwindeln kommen sollten…“ Er
hob beide Hände. „…bin ich leider weg.“
Jack
lachte. „Oh, ich wusste vom ersten Moment an du bist etwas Besonderes, Ianto
Jones.“ Er küsste Ianto und schwang sich dann den überraschten Waliser wie ein
Feuerwehrmann über die Schulter, beförderte ihn ins Schlafzimmer und ließ ihn
aufs Bett fallen. „Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass du so frech bist.“
„Wirklich?“
Ianto rollte sich herum, winkelte den Ellbogen an und stützte den Kopf in seine
Handfläche, während Jack das mit Eiscreme bekleckerte T-Shirt auszog. „Weißt
du, das ist nicht der Oberkörper eines Mannes, der das reife Alter von fast 170
Jahren erreicht hat.“
Jack
drehte sich einmal um die eigene Achse und streckte sich dann neben ihm aus. Er
rollte sich auf die Seite und musterte Ianto. „Du nimmst das ziemlich locker.“
„Locker?
Ich bin nicht ganz davon überzeugt, dass ich nicht immer noch vor dem Fernseher
schlafe und das Ganze nur träume.“ Ianto zuckte mit den Schultern. „Du hast mir
diese unterirdische, geheime Anlage gezeigt. Und einen lebendigen Dinosaurier.
Und mir gesagt, dass es Alien in Wales gibt. Oh, und natürlich dass du von
einem anderen Planeten stammst und in der Zukunft geboren wurdest. Ich denke,
ich bin einfach nicht mehr so leicht zu überraschen.“
„Willst
du eine wirkliche Überraschung?“ Jack streckte die Hand aus, legte die Finger
in Iantos Halsbeuge. „Ich bin schon tausende Male gestorben und immer noch am
Leben.“ Er flüsterte die Worte nur, aber sie hallten sehr laut in der Stille
des Raumes nach. „Wenn ich sterbe, heilt mein Körper und ich komme zurück. Ich
weiß nicht, wie es funktioniert. Ich weiß nicht, warum ich so bin. Vermutlich
ist es auch der Grund, warum ich nach all den Jahren noch keine Falten und
grauen Haare habe.“ Jack hielt unwillkürlich den Atem an. Unter seinen
Fingerspitzen hatte sich Iantos Puls beschleunigt, doch der junge Waliser hielt
seinem Blick stand.
Schließlich
schluckte Ianto. „Tut es weh?“, fragte er dann.
„Das
Sterben? Oder das Zurückkommen?“ Jack ließ seine Finger zu Iantos Schulter
wandern. Es war bizarr, diese Unterhaltung… Iantos Reaktion. Vielleicht träumte
er ebenfalls. Vielleicht war das Fieber zurück gekommen.
„Ja, es tut in der Regel weh. Es hängt natürlich davon ab, wie ich sterbe, ob
es schnell geht oder langsam. Eine Kugel in den Kopf ist langsamem Verbluten vorzuziehen.
Und dann… ist da eine Weile nichts… Bevor ich zurück gezerrt werde, von wo auch
immer ich während dieser Zeit bin. Es tut jedes Mal weh, wie Glasscherben, die
mich am ganzen Körper schneiden und selbst nach all der Zeit habe ich mich
nicht wirklich daran gewöhnt.“
Ianto
schloss einen Moment die Augen, schluckte noch einmal. „Ich glaube dir.“
„Was
ist, wenn du doch noch aufwachst?“ Jack flocht die Finger in Iantos Haare, zog
seinen Kopf nach vorne.
„Dann
immer noch.“ Ianto küsste ihn. „Ich hatte noch nie einen so guten Traum.“
„Habe
ich mich schon dafür bedankt, dass du hergekommen bist?“ Er musste unbedingt
das Thema wechseln, bevor einer von ihnen noch sentimentaler wurde und feuchte
Augen bekam.
„Nicht
nötig. Aber wenn du mich mit deinen Viren angesteckt hast…“ Ianto gähnte und
wandte Jack den Rücken zu, zog den Arm des anderen Mannes quer über seine
Mitte, als er sich gegen seinen Körper zurück lehnte. "...wirst du es
bereuen." Er lächelte, als Jack sich über ihn beugte und seine Schläfe
küsste.
###
Ianto kickte die
Schuhe von den Füßen und streckte sich auf der Couch aus. Sein Hosenbein
rutschte hoch und zeigte ein dünnes Band, das um seinen Fußknöchel geschlungen
war.
Jack entdeckte es
sofort und hakte den kleinen Finger darunter. „Was haben wir hier…“
„Komm nicht auf
falsche Ideen“, warnte Ianto amüsiert. „Das stammt von meiner Nichte. Ihr
unaufmerksamer Onkel ist bei der fünften Vorstellung von „Arielle die kleine
Meerjungfrau“ eingeschlafen und sie fand, ich müsse dringend verschönert
werden. Sie hat das Band in ihrer Bastelgruppe selbst gemacht.“
„Woher willst du
wissen, was ich denke.“ Jack ließ sein Bein los und beugte sich über ihn. Sein
Mund streifte Iantos fast.
Der junge Waliser
lachte. „Ich lasse mich nur von Männern fesseln, die ich bedeutend besser als
dich kenne“, neckte er ihn.
„Gut. Weise Worte
aus einem so jungen Mund.“ Jack küsste ihn. „Aber ich denke, dass du mich
inzwischen ganz gut kennst.“
„Ich weiß von dir
nur, was du mich wissen lässt.“ Ianto sah zu ihm hoch, seine Augen beinahe
stürmisch grau. „Aber das bedeutet nicht, dass ich dich kenne.“
Das Klopfen an der
Tür rettete Jack davor, eine Antwort darauf finden zu müssen. Er richtete sich
auf. „Unser Essen ist da.“
Ianto rollte sich
auf die Seite, stützte den Ellbogen auf und legte den Kopf in die Handfläche,
während Jack zur Tür ging. Er musste etwas Falsches gesagt haben, so wie der
ältere Mann reagiert hatte. Vielleicht weil er angedeutet hatte, dass er gerne
ihr Verhältnis vertiefen würde? Jack hatte von Anfang an keinen Zweifel daran
gelassen, dass er zu diesem Zeitpunkt keine feste Beziehung eingehen konnte
oder wollte. Und Ianto sah das Ganze realistisch. Er war nur einer von vielen
willigen Partnern, die in Jacks Leben getreten und es ebenso wieder verlassen
hatten. Jemand wie Jack ließ sich nicht mit einer Person nieder und spielte
glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage. Er konnte was immer er wollte, von wem auch
immer es haben wollte, bekommen.
Und er selbst sah
sich auch nicht in Jacks Supersuite einziehen. Das hätte eine Bereitschaft zu
emotionaler Nähe bedeutet, zu der er noch nicht, vielleicht nie, bereit war. Er
war gerne mit Jack zusammen, der Sex war fantastisch und er lernte langsam mit
der beiläufigen Großzügigkeit des anderen Mannes umzugehen, die nicht dazu
diente, Gefälligkeiten von ihm zu erkaufen. Jack war da eher wie ein Kind am
Taschengeldtag in einem Süßigkeitenladen. Der Wert
seines Geldes lag darin, was er sich damit kaufen konnte und wie sehr er dieses
etwas wollte.
Vor ein paar Tagen
hatten sie sich in seiner Mittagspause zum Lunch im Einkaufszentrum getroffen.
Doch bevor sie aßen, schleppte Jack ihn in die Abteilung für Männerbekleidung
und überredete ihn, ein weinrotes Hemd mit dazu gehöriger, etwas dunklerer Krawatte anzuprobieren. Der Stoff war glatt und
geradezu luxuriös auf seiner Haut, die Krawatte aus Seide, mit der seine Finger
eher ungeschickt hantierten - aber Ianto konnte nicht über den Kontrast zu
seinen ausgewaschenen Jeans und den abgetragenen Turnschuhen hinweg sehen. Ein
Verkäufer, der sie kritisch aus sicherer Entfernung betrachtete, offenbar auch
nicht. Er hatte sich so postiert, dass sie auf dem Weg nach draußen auf jeden
Fall an ihm vorbei kommen mussten.
Jack hatte darauf
bestanden, es für ihn zu kaufen, und entgegnete auf seinen Einwand, dass er
wohl kaum viel Gelegenheit habe, so etwas zu tragen, dass er es als Investition
in seinen neuen Job sehen solle. Einen Job, den er nicht hatte und möglicherweise
auch nie bekommen würde, egal wie gut die Bewertungen in seinen Kursen waren.
Aber die Art, wie Jack die Krawatte durch seine Finger gleiten ließ und ihn
dabei ansah, ein Funkeln in den blauen Augen, das alles sprach nicht davon,
dass er an seine Kreditkarte dachte.
„Dinner ist
serviert, Mister Jones“, brach Jacks Stimme in seine Gedanken und Ianto setzte
sich rasch auf, und lächelte als der andere Mann einen Teller vor ihn auf den
Couchtisch stellte.
Darüber was vor dem
Essen passiert war, sprachen sie nicht. Weder als sie Sex unter der Dusche und
später noch einmal im Bett hatten oder sehr viel
später, als Jack nicht schlafen konnte und Ianto dank seines Nickerchens am
Nachmittag auch wach blieb. Sie machten es sich auf der Couch bequem, Ianto
gegen Jacks Seite gelehnt, ihre Beine auf dem Couchtisch und sahen Filme, bis
sie im Morgengrauen ins Bett krochen. Und Jack wie immer einen Arm lose über
seine Taille warf, als wolle er ihn daran hindern, einfach so zu verschwinden.
Und Ianto noch ein paar Momente wach blieb, bis er spürte wie Jacks Atem gegen
seinen Nacken langsamer wurde und er sich überzeugt hatte, dass der ältere Mann
auch tatsächlich schlief.
Was sie hatten, war
gut. Wozu es zu sehr hinterfragen und das Risiko eingehen, dass sie es
zerstörten.
***
Er
erwachte vom Sonnenlicht, dass durch die Fensterfront in die Suite strömte –
und von der Hand unter seinem T-Shirt, und Fingern, die Muster auf seinen
Rücken zeichneten. Ianto rollte sich herum und sah zu Jack auf, der sich über
ihn beugte. „Bore da“, sagte er leise, einen Arm um Jacks Nacken hakend. „Wie
geht es dir?“ Bevor Jack antworten konnte, begann Iantos Handyalarm zu
schrillen. „Oh, der Wecker.“ Er rollte sich von dem älteren Mann weg und griff
nach seinem Mobiltelefon, um es zum Schweigen zu bringen. „Wo sind wir stehen
geblieben?“
„Ich
glaube du wolltest dich gerade persönlich davon überzeugen, wie es mir geht?“
Jack versuchte ihm das Handy abzunehmen und ihn gleichzeitig zu küssen. Er
rollte sich über ihn, klemmte ihn unter sich ein. Ianto versuchte sich lachend
unter ihm hervor zu winden, als sein Mobiltelefon erneut Laut gab. Jack wühlte
den Kopf unter die Decke und Ianto grabschte nach seinem Handy, um aufs Display
zu sehen.
„Das
muss warten.“ Er gab Jack einen Klaps auf den Hinterkopf. „Es ist Lisa!“
Unter
der Decke gab Jack ein mitleiderregendes Seufzen von sich. Er pustete warmen Atem durch Iantos T-Shirt.
„Guten
Morgen, Lisa“, sagte Ianto betont freundlich. „Was kann ich für dich tun?“ Er
lauschte einen Moment, abwesend mit der freien Hand Jacks Nacken kraulend, als
hätte er einen sehr großen Kater vor sich. „Ja, ich komme pünktlich zur Arbeit.
Nein, Jack geht es besser.“ Er hatte ihr getextet, als Jack schlief und sie auf
den neuesten Stand gebracht. „Er ist ein großer Junge und kommt heute ohne
Babysitter klar.“ Jack gab Protestlaute von sich. „Das werde ich nicht zu ihm
sagen und ich hole auf keinen Fall jetzt ein Maßband!“ Jack tauchte unter der
Decke auf um ihn interessiert zu mustern. „Bis später.“ Ianto unterbrach die
Verbindung und legte Jack die Hand auf den Mund, bevor er fragen konnte, über
was er mit Lisa gesprochen hatte. „Es geht dir offensichtlich besser.“
„Gut
genug, um zu wissen, dass wir noch mindestens zwanzig Minuten im Bett bleiben
können, wenn du dich hier duschst, anziehst und ich dich ins Büro fahre.“ Jack
stützte das Kinn auf Iantos Brustbein. „Natürlich könntest du auch den ganzen
Tag hier bleiben. Nur um ganz sicher zu gehen, dass du dich nicht angesteckt
hast. Und selbstverständlich besteht immer die Möglichkeit, dass ich einen schweren
Rückfall erleide…“
„Und
dann brauchst du mich, damit ich meine kühle Hand auf deine fiebrige Braue
lege?“, entgegnete Ianto spöttisch.
„Oh,
überall hin, nicht nur die Braue.“ Jack gab sich alle Mühe, elend und krank
drein zu sehen. „Uh, ich denke, ich fühle mich… ein plötzlicher
Schwächeanfall…“
„Schwäche
ist nicht, was sich da gegen meinen Oberschenkel presst“, murmelte Ianto direkt
in Jacks Ohr – und biss ihn ins Ohrläppchen. „Nun, was hältst du davon, wenn
wir das unter der Dusche fortsetzen? Ich denke, ich habe eine Tube wasserfestes
Gleitgel im Bad gesehen…“
Jack
hielt sehr viel von dieser Idee.
---
Es
blieb sogar noch genug Zeit für ein frugales Frühstück, bestehend aus Kaffee
und Toast. Ianto pickte zum Nachtisch ein paar Weintrauben aus einer Schale auf
der Frühstücksbar, während Jack mit geschlossenen Augen an seiner zweiten Tasse
nippte. Offenbar fand Ianto, dass er über das Tee-Stadium hinaus war...
„Keine
Halsschmerzen mehr?“, fragte Ianto, mit der Hand ein paar Krümel zusammenfegend.
„Kopfschmerzen? Fieber? Husten?“
Jack
schüttelte den Kopf. „Alles bestens. Muss an der guten Pflege liegen.“ Er
grinste. „Oder an der Hühnersuppe. Ich hoffe du hast dir das Rezept gemerkt.“
„Alles
hier drin gespeichert.“ Ianto tippte sich an die Schläfe. „Ich werde sie in
Dosen abfüllen und als magische Hühnersuppe vermarkten. Was hältst du davon,
als Model für das Etikett zu posieren?“
„Nackt?“,
erkundigte sich Jack grinsend.
„Könnte
den Absatz ankurbeln“, erwiderte Ianto trocken. Er leerte seine Tasse und warf
einen Blick auf die Uhr. „In fünf Minuten geht ein Bus. Ich sollte wirklich…“
„Ich
fahre dich.“ Jack stellte seine eigene Tasse weg. „Ianto,
was ich dir heute Nacht erzählt habe…“
„Ich weiß“, unterbrach ihn der junge Waliser. „Streng geheim, kein
Wort darüber zu niemandem. Als würde mir jemand glauben.“
„Gut, aber das war nicht, was ich eigentlich sagen wollte.“ Jack
zögerte einen Moment. „Bist du okay damit? Ich meine… wird es etwas zwischen
uns ändern?“
„Willst du wissen, ob ich jetzt denke, dass du jemand anderes bist
als der Typ, der mir Kaffee über den Kopf geschüttet hat, um meine
Aufmerksamkeit zu erregen?“, erwiderte Ianto nachdenklich. „Nein, Jack. Weiß
ich, was ich von all dem halten soll, dass du mir erzählt hast? Nein, Jack.
Aber die Person, die ich bisher kennen gelernt habe, ist jemand, den… ich… sehr
mag. Reicht das für den Moment? Ich muss nämlich wirklich los, oder Lisa wird
mich wegen Vernachlässigung verklagen. Und sie hat wirklich gute Chancen, zu
gewinnen.“
Jack zog seinen Mantel an und fischte darin nach den
Wagenschlüsseln. „Ich kenne einen guten Anwalt, falls es zum Äußersten kommt“,
meinte er, während Ianto sich in seine Jacke wickelte und seinen Rucksack
holte.
Ianto sah über die Schulter, eine Augenbraue hochgezogen. „Hast du
mit ihm auch geschlafen?“
„Ein Gentleman genießt und schweigt“, sagte Jack, neben ihn
tretend und die Tür für ihn offenhaltend.
„Ja, ich weiß. Aber was hat das mit dir zu tun?“ Ianto trat
lachend in den Aufzug, als Jack ihm dafür einen Klaps auf den Hintern
verpasste.
Kapitel 3: What a Boy needs
„Nächsten Monat ist Weihnachten.“ Jack lehnte am Türrahmen und
beobachtete Ianto dabei, wie er seine Krawatte band. Oh, dieser Anzug… Es war
als würde der Waliser eine Rüstung überstreifen, jemand anderer werden als der
junge Mann der verwaschene Jeans und löchrige Sweatshirts trug, und neben dem
er vor einer knappen Stunde aufgewacht war. Andererseits musste er zugeben,
dass Ianto atemberaubend darin aussah. So proper und korrekt… Jack konnte kaum
die Finger von ihm lassen.
„Ich weiß.“ Ianto rückte seine Krawatte zurecht und wischte ein
paar Staubfädchen von seiner Weste. „Meine Schwester hat eine Andeutung fallen
lassen, dass ich mich wieder einmal bei ihr blicken lassen soll. Jetzt da Onkel
Ianto ein festes Einkommen hat, erwarten Mica und David Weihnachtsgeschenke“,
setzte er sarkastisch hinzu.
„Gehst du hin?“, fragte Jack neugierig. Ianto erwähnte seine
Schwester selten genug, aber Jack wusste, dass er sich oft von ihr bemuttert
fühlte, wegen des großen Altersunterschieds.
Ianto schüttelte den Kopf. „Ich werde einen Tag vorher hinfahren
und meine Geschenke abliefern. Und du? Willst du feiern?“
Er hatte die Geschenke für seine Tochter und seinen Enkel bereits
verpacken lassen und bewahrte sie im Büro im Hub auf, bis er sie abschicken
würde. Er wollte Ianto nicht erklären, warum er Kinderspielzeug eingekauft
hatte, auch wenn der junge Waliser inzwischen so viele seiner Geheimnisse
kannte.
Weihnachten und Sylvester waren nicht gerade Jacks Lieblingstage,
aber er konnte sich vorstellen, für Ianto eine Ausnahme zu machen. Nichts
Besonderes. Sie würden sich Essen vom Zimmerservice bestellen und die eine oder
andere Flasche teilen und die Feiertage im Bett verbringen. „Es wird eine
kleine Feier im Hub geben, für das Team, Gwen ist schon mit den Vorbereitungen
beschäftigt. Ansonsten habe ich keine speziellen Pläne…“ Er trat hinter Ianto
und ihre Blicke trafen sich im Spiegel. „Du bist aber herzlich willkommen. Wir
können es uns hier bequem machen.“
„Ich denke darüber nach“, erwiderte Ianto. Er gab Jack einen
leichten Klaps auf den Arm. „Lass mich vorbei, ich muss mich fertig machen,
sonst erwische ich den Bus wieder nicht.“
„Dann fahre ich dich eben wieder zur Arbeit.“ Jack legte die Arme
um seine Taille und küsste seinen Nacken. „Ist das ein neues Rasierwasser?“
„Wieso? Wolltest du mir eines zu Weihnachten schenken?“
„Riecht gut. Und nein – trau mir ein bisschen mehr Kreativität zu.“
Jack stützte das Kinn auf Iantos Schulter und beobachtete Ianto, der nun
unwillkürlich seine Rasur checkte. Er grinste. Es war so einfach, Ianto aufzuziehen.
„Hör auf damit“, meinte er. „Es ist perfekt.“ Er tätschelte Iantos Wange. „Glatt
wie ein Babypopo.“
„Danke für deine Expertise.“ Ianto schnitt eine Grimasse. „Warum
reden wir dann über Weihnachtsgeschenke?“
„Ich wollte fragen, ob ich dir etwas schenken darf, oder ob ich
damit deine Unabhängigkeit herabwürdige. Oder beleidige. Oder wie auch immer.
Du weißt, was ich meine.“
„Ich weiß, dass ein Geschenk kein Kaufangebot ist. Es ist ein
Geschenk.“ Der junge Waliser runzelte die Stirn. „Jack! Das bedeutet ja, ich
muss auch ein Geschenk für dich finden!“
„Ich bin nicht anspruchsvoll. Wir binden einfach eine rote
Schleife – es muss unbedingt eine rote sein, das steht dir am besten – um
deinen…“
„Im Ernst, Jack“, unterbrach ihn Ianto. „Schenk mir nichts, sonst
bin ich verpflichtet, dir auch etwas zu schenken und ich werde furchtbar in
Stress geraten und du kannst dir die rote Schleife in die Haare binden.“
Jack lachte. „Hey, du musst mir wirklich nichts zurückschenken.“ Er
zog Ianto wieder an sich. „Wenn du ein wenig Zeit für mich übrig hast, reicht
das vollkommen.“ Er küsste die Seite von Iantos Kinn. „Eindeutig Babypopo“,
flüsterte er ihm ins Ohr und brachte den jüngeren Mann damit zum Lachen.
„Geh weg von mir, du Perversling“,
beschwerte sich Ianto amüsiert und wand sich aus Jacks Griff. „Da nur einer von
uns selbst ein Chef ist, muss ich pünktlich zur Arbeit erscheinen.“
„Autsch, war das ein Seitenhieb auf mich?“ Jack setzte eine gespielt
gekränkte Miene auf, trat aber brav einen Schritt zur Seite, so dass Ianto sein
Haar in Fasson bringen konnte. Er mochte ihn ja lieber so richtig zerzaust,
frisch aus dem Bett… „Ich werde die nächsten drei Tage genug Zeit ohne dich im
Hub verbringen, gönn mir die paar Minuten mit meiner Lieblingsbeschäftigung.“
„Mich zu begrabschen ist deine Lieblingsbeschäftigung?“ Ianto zog
die Augenbrauen hoch, setzte eine Miene übertriebenen Erstaunens auf. „Wir
müssen dir unbedingt ein Hobby suchen.“
„Ich wüsste ein großartiges Hobby für uns beide.“
„Außerhalb des Bettes, Jack.“
„In der Küche und unter der Dusche und auf der Couch und
irgendwann überrede ich dazu, es mit mir auf dem Dach zu versuchen.“ Jacks
Augen verengten sich. Oh ja. Das hätte fast schon mal geklappt… Dann schlug das
Wetter um und Ianto weigerte sich, länger draußen zu bleiben.
„Um dabei zu erfrieren? Nein, danke. Nicht so lange wir nicht in
den Tropen wohnen.“ Ianto zog seine Ärmel gerade. Dann wandte er sich um und
küsste Jack. „Können wir das Thema auf ein anderes Mal vertagen? Der Bus wartet
nicht.“
„Ich habe gesagt, dich fahre dich. Und vertagen wir im Übrigen die
Couch oder die Küche?“
„Die Weihnachtsgeschenke.“ Ianto trat aus dem Bad.
Okay. Nun, theoretisch konnten sie das Thema vertagen. Praktisch
hatte er bereits ein Geschenk für Ianto, sicher versteckt in seinem Safe…
###
Jack hielt seinen
Arm hoch, schob das Shirt zurück, bis Iantos dünnes Handgelenk sichtbar wurde. „Was
ist das?“, fragte er neugierig und rieb mit dem Finger über die dünne Halskette
mit dem billig wirkenden Kreuzanhänger, die Ianto wie ein Armband trug. Das war
das erste Mal, dass er sie an dem Waliser sah. Bisher war er ihm nicht religiös
erschienen und auch so trug Ianto nie Schmuck.
Der junge Mann zog
ruckartig die Hand aus seinem Griff und ballte die Finger zur Faust. „Nicht.“
Er rieb die Kette vorsichtig gegen sein Shirt, wie um sie von seiner Berührung
zu säubern. „Bitte nicht anfassen.“
„Entschuldige.“ Ohne
sich beleidigt zu fühlen, lehnte Jack sich gegen die Rücklehne der Couch,
musterte ihn. Offensichtlich bedeutete der Schmuck dem jungen Waliser sehr
viel, aber sie sprachen selten über seine Vergangenheit. Ianto war erst vor ein
paar Minuten in der Suite eingetroffen, nachdem sie sich fast eine Woche nicht
gesehen hatten. Jack war zu einer Konferenz in London gewesen, die sich mit
seinen üblichen freien Tagen überschnitt. Ianto war in dieser Zeit aus seinem
schäbigen Zimmer aus und in eine etwas bessere kleine Wohnung ein gezogen.
Aber das konnte
doch wohl kaum die dunklen Augenringe und seine auf Distanz bedachte Haltung
erklären. Ianto war schon sehr oft umgezogen. Vielleicht war es die neue
Stelle, die Ianto am Montag antreten würde? Die Zeitarbeit-Agentur hatte ihm
eine Vertretungsstelle in einer Kanzlei vermittelt. Vielleicht war er deshalb
so angespannt. Hinter der abgeklärten Fassade steckte oft noch ein unsicherer
Junge, vor allem wenn es um seine berufliche Zukunft ging. Ianto glaubte nicht
wirklich daran, dass er es schaffen würde, einen festen Job auf Dauer zu
halten. Sich an strikte Arbeitszeiten zu gewöhnen. Mit Kollegen zu arbeiten. Sicher,
das hatte er bisher auch getan, aber unter anderen Bedingungen. Autos zu
waschen oder Kisten in Lagerhäusern zu schleppen, erforderten eine andere Art
von Geschick als in einer Kanzlei, wo der Umgang mit Klienten und Vorgesetzten
erwartet wurde. Jack hatte keinen Zweifel das Ianto sich ohne wirkliche
Schwierigkeiten in seine neue Rolle eingewöhnen würde – und er hatte das ganze
Wochenende, um den jungen Waliser ebenfalls davon zu überzeugen.
Er beschloss zu
warten, ob Ianto ihm mehr erzählen würde. Und es war die richtige Entscheidung
gewesen…
„Das gehörte meiner
Mutter“, sagte Ianto nach einer Weile. „Sie hat sie von meinem Dad bekommen,
als meine Schwester geboren wurde. Sie hatten damals unheimlich wenig Geld,
deshalb ist es kein wertvoller Schmuck. Aber...“
„Aber es ist eine
wertvolle Erinnerung“, beendete Jack den Satz für ihn, als er nicht
weitersprach. Er beugte sich vor und presste einen Kuss gegen Iantos
Handgelenk, ohne dabei die Kette zu berühren. Dann zog er den Ärmel wieder
darüber. „Gibt es einen… besonderen Grund… dass du sie heute trägst?“, fragte
er vorsichtig.
„Normalerweise
bewahre ich sie in meinem Tagebuch auf.“ Ianto starrte auf seine Hände. „Meine
Schwester hat mich heute Morgen angerufen, und sie hat mich daran erinnert,
dass unsere Mam nächste Woche Geburtstag gehabt
hätte. Sie will, dass wir Sonntag zusammen auf den Friedhof gehen und Blumen
auf ihr Grab legen.“ Er legte den Kopf in den Nacken, musterte die Decke.
„Deshalb wollte ich eigentlich nie wieder nach Wales zurück
kommen.“
Jack legte die Hand
auf Iantos Oberschenkel, strich an der Naht seiner Jeans entlang. „Erinnerungen
nimmt man mit wohin man geht, Ianto. Egal ob sie gut oder schlecht sind, egal
wie weit man von dem Ort entfernt ist, an dem sie entstanden sind“, sagte er
leise. „Das weiß ich nur zu gut.“
Der junge Mann sah
ihn an. „Ich kann nicht mit ihr dorthin gehen, Jack. Sie wird darüber sprechen
wollen. Über unsere Eltern. Über unsere Kindheit. Und ich kann das nicht… nicht
so… nicht wie auf Befehl.“ Er schwieg einen Moment. „Nicht mit ihr.“
„Du kannst ihr Grab
doch auch ohne deine Schwester besuchen.“ Jack zuckte mit den Schultern. „Sie
wird das bestimmt verstehen.“ Er setzte sich auf, beugte sich vor. „Wenn du
willst, können wir gleich jetzt gehen. Ich fahre dich… und wenn du willst…
komme ich auch mit?“, setzte er fragend hinzu. „Als… moralische Unterstützung?“
„Jetzt gleich?“,
fragte Ianto ungläubig. Sein Blick wanderte zur Fensterfront hinter ihnen. „Es
ist schon dunkel.“
„Okay. War nur so
eine Idee.“ Jack setzte sich auf und griff nach dem schnurlosen Telefon der
Suite. „Hey, ich habe Hunger. Du auch? Auf was hast du Lust?“
Ianto legte die
Hand auf seinen Arm. Eine steile Falte zeigte sich zwischen seinen Augenbrauen.
„Meinst du das ernst?“, fragte er leise, angespannt. „Würdest du wirklich mit
kommen?“
„Ja. Natürlich.“
Jack legte das Telefon zurück. Er war nicht so hungrig.
„Okay. Gut.“ Ianto
holte tief Luft und stand auf. „Dann lass uns gehen, bevor ich es mir anders
überlege. Und können wir irgendwo anhalten und Blumen kaufen?“ Nervös
durchquerte er den Wohnbereich.
Jack folgte ihm.
„Kein Problem.“ Er schloss zu Ianto auf, legte den Arm um die Schultern des
jüngeren Mannes und küsste ihn auf die Schläfe. Sie würden zwei Blumensträuße
kaufen. Auch wenn er Iantos Mutter nie kennen lernen würde – er hatte das
Gefühl ihr dankbar sein zu müssen.
---
Ianto presste die
Spitze des Zeigefingers auf den Punkt über der Nasenwurzel. Erst acht Uhr
morgens und er fühlte sich schon gestresst. Er warf
einen Blick zu Jack hinüber, der eben aus dem Bad kam und sich große Mühe gab,
so zu tun, als würde er ihn nicht belauschen. Aber wenn sich Ianto darüber
Sorgen gemacht hätte, dann hätte er seine Schwester angerufen, während der
andere Mann noch unter der Dusche stand. Sie hatten nur ein paar schweigende
Minuten am Grab seiner Eltern verbracht, aber als Jack ihn hinterher ins Bertoni’s
einlud, hatte er das Gefühl als wären sie sich irgendwie näher gekommen.
Er winkte ihm. Jack
schlenderte nonchalant zur Couch, setzte sich neben ihn und legte die Füße auf
den Couchtisch. Ianto deutete ein Stirnrunzeln an und deutete auf Jacks Füße.
Jack grinste und wackelte mit den Zehen. Verdammt, es war schwer, einem nackten
Mann böse zu sein. Oder es überhaupt sein zu wollen. Wozu auch. Das war Jacks
Wohnung. Er konnte die Füße hinlegen, wo er wollte. Auch wenn sie diesen Tisch
gelegentlich dazu benutzten, um darauf zu essen. Wenigstens kam er gerade aus
der Dusche…
Entweder hatte die
viele nackte Haut neben ihm auf dem Sofa seine Gedanken zu lange beschäftigt,
oder Rhiannon hatte mitten im Satz das Thema gewechselt. Eigentlich hatte er
sie nur angerufen, um ihr zu sagen, dass er Sonntag schon etwas vor habe. Und nun sprachen sie plötzlich über seinen Vater!
„Und du weißt
genau, dass seine väterliche Fürsorge nur darin bestand, mich grün und blau zu
prügeln, als er Iain und mich in meinem Zimmer beim Knutschen erwischt hat“,
sagte er hitzig.
Er hörte Jack
hinter sich einatmen, als bereite sich der andere Mann darauf vor, eine Frage
zu stellen. Aber Jack schwieg, schob einen Arm zwischen ihn und der Rücklehne
der Couch und zog ihn näher zu sich. Ianto sträubte sich zunächst ein wenig,
dann lehnte er sich gegen Jacks Schulter, während er der Antwort seiner
Schwester lauschte.
„Das war nicht
wegen Iain, sondern weil ihr seinen Whiskey getrunken habt.“ Rhiannon klang
nicht sonderlich von ihrem eigenen Argument überzeugt. Sie war älter gewesen,
sie hatte bereits ihr eigenes Leben gelebt. Ianto hatte die Launen seines
Vaters ertragen müssen. Und seine so handgreiflich ausgedrückte Missbilligung,
dass sich sein fünfzehnjähriger Sohn für Mädchen UND Jungs interessierte.
Ianto schloss die
Augen, spürte die Wärme von Jacks Körper gegen seinen. Gott, er wagte sich
nicht auszumalen, was sein Vater von seiner Beziehung mit Jack gehalten hätte,
ungeachtet dessen, dass er inzwischen erwachsen war und es seinen Erzeuger
absolut nichts angehen würde, mit wem er schlief.
„Er war überrascht.
Davor hattest du nur Mädchen mit nach Hause gebracht.“
Rhi war nicht
überrascht gewesen. Sie hatte es vor ihm gewusst – hatte es geahnt, als er mit
acht Kreide-Herzchen auf den Gehweg vor ihrem Haus gemalt hatte. Ianto + Sally.
Und in der nächsten Woche: Ianto + Andrew. Er hatte damals nicht gewusst, dass
es ein Wort dafür gab. Er wusste nur, dass er Mädchen genauso gerne mochte wie
Jungs, und er hatte nicht geahnt, dass andere Menschen nicht genau so
empfanden. Seine natürliche Zurückhaltung und die früh erlernte Fähigkeit,
andere einzuschätzen, hatten verhindert, dass er später auf größere
Schwierigkeiten stieß oder ernsthafte Anfeindungen erlebte.
Sie mochte ihren
kleinen Bruder nie richtig verstanden haben, aber das hinderte sie nicht daran,
ihn so zu lieben und so zu akzeptieren, wie er war. Ihr Vater hatte diese
Einstellung natürlich nicht geteilt.
Sein Vater hatte
damals einige Monate zuvor den Job verloren, weil er immer wieder angetrunken
zur Arbeit erschienen war, die Nächte im Pub verbrachte und sich weigerte, die Beratung
anzunehmen, die die Jugendbehörde ihm empfahl, noch einen vorgeschriebenen
Termin beim Amtsarzt wahrzunehmen. Nach mehreren Personalgesprächen (die
Tatsache, dass er Witwer mit zwei Kindern war - auch wenn es keine kleinen
Kinder mehr waren - brachte ihm wohl einige Nachsicht ein) bei denen er
hartnäckig schwieg, und die darauf folgenden Abmahnungen wurde er schließlich
entlassen. Von dem Moment an verbrachte er auch meist die Tage im Pub,
zumindest so lange das Geld reichte.
Der Grund für die
Prügel hatte ihn damals nicht interessiert und tat es jetzt sicherlich auch
nicht mehr. Er sah Iain danach nur noch zweimal wieder. Sein Vater nahm nämlich
die Mühe auf sich, Iains Vater zu besuchen und ihm zu erzählen, dass sein Sohn
eine widerliche kleine Schwuchtel wäre, und dass er ihn mit seinem ebenfalls
nichtsnutzigen Sohn beim Fummeln erwischt hätte.
Er traf Iain am Tag
danach während der Mittagspause im Heizungskeller der Schule, (ein riskanter
Ort weil sich dort aufgrund eines kaputten Schlosses immer wieder Schüler
einfanden, um zu rauchen) aber der einzige, an dem sie ungesehen waren. Ianto
klemmte einen Stuhl mit nur drei Beinen unter die Türklinke, nachdem Iain in
den Raum schlüpfte, um sie notdürftig zu verschließen. Die Prellungen im
Gesicht seines Freundes sprachen Bände darüber, wie sein Vater die Neuigkeit
aufgenommen hatte und als Ianto die Hand auf seine Schulter legen wollte,
zuckte Iain zurück, trat von ihm weg – wandte sich ab und ging ohne noch ein
Wort mit ihm zu sprechen.
Das zweite - und
letzte Mal - sah er Iain ein paar Wochen später auf dem Gehweg vor dem Haus, in
dem er wohnte, demonstrativ um Yasmin aus dem Nachbarhaus gewickelt. Ohne jede
Begründung oder eine Chance, sich zu verabschieden, hatten seine Eltern ihn
mitten im Schuljahr in einer anderen Schule angemeldet.
Zu diesem Zeitpunkt
hatte Ianto bereits beschlossen, alles hin zu schmeißen und aus Newport zu verschwinden.
Sobald er das Geld für eine Fahrkarte nach London zusammen hatte.
„Ianto?“ Rhiannon
klang besorgt und ihm wurde klar, dass er eine ganze Weile geschwiegen hatte.
„Ich muss jetzt
Schluss machen“, sagte er und drehte den Kopf zu dem anderen Mann. „Jack ist
hier und wir wollen frühstücken.“
„Okay.“ Sie klang
verunsichert. Das war immer so, wenn sie über die Vergangenheit gesprochen
hatten. Entweder das, oder sie schwiegen sich ein paar Wochen lang an. „Ruf
mich Montag an, ich will wissen, wie dein erster Arbeitstag war, ja?“
„Mache ich. Bye,
Rhi.“ Ianto unterbrach die Verbindung, ohne auf ihre Antwort zu warten. Er
legte das Handy neben Jacks Füßen auf den Tisch.
„Dein Vater hat
dich grün und blau geprügelt, als er dich mit einem anderen Jungen erwischt
hat?“ Jacks Blick glitt suchend über ihn, als könne er noch Schatten der alten
Misshandlungen sehen. „Wie alt bist du gewesen?“
Ianto zuckte mit
den Schultern. „Fünfzehn.“ Er zog die Knie hoch, schlang die Arme darum als
wäre ihm kalt. „Iain war nicht der erste Junge, den ich geküsst habe, aber der
erste, den ich mit nach Hause genommen habe. Ich dachte mein Vater würde noch
Stunden im Pub sein. Der Wirt hat ihn rausgeschmissen, weil er seine Rechnung
nicht bezahlen konnte.“ Wieder hob er die Achseln. „Ich denke, meine Schwester
hat Recht, das war der wirkliche Grund, dass er so ausgerastet ist - seine
letzte Flasche Whiskey, die wir aus dem Küchenschrank geklaut hatten. Nicht
Iains Hand unter meinem T-Shirt oder meine Hand in Iains Jeans.“ Er musterte
Jack, seine schamlose Nacktheit, die Selbstverständlichkeit seiner Berührung.
„Dazu war ich ihm viel zu gleichgültig geworden. Nach dem Tod meiner Mutter
zählte für ihn nur noch was er seine Kehle hinunter schütten konnte.“ Er
lächelte bitter. „Wenn er mich hier mit dir sehen würde, in einer Suite in
einem Luxushotel, würde er mich vermutlich eher anpumpen, als sich darum zu
scheren, dass ich mit einem Mann schlafe.“
Jack nahm seine
Hand und zog sie an sein Gesicht, küsste seine Handfläche. „Manchmal ist es so
schwer, das Kind seiner Eltern zu sein, wie Eltern für sein Kind zu sein.“
„Muss ich das
verstehen?“ Der junge Waliser runzelte die Stirn, dann verengten sich seine
Augen. „Hast du Kinder, Jack?“
Er zögerte einen
Moment. „Eine Tochter.“ Ein leichtes Weiten von Iantos Augen war die einzige
Reaktion auf seine Worte. „Sie ist erwachsen und wir haben seit vielen Jahren keinen
Kontakt mehr miteinander, abgesehen davon, dass ich ihr ein Geschenk zu
Weihnachten oder zu ihrem Geburtstag schicke und ab und zu ein wenig Geld.“
Ianto nickte. Dann
begann er hinter einem der Kissen zu kramen und hielt Jack kurz darauf eine Packung
Kondome vor die Nase. „Kann es sein, dass ich deine Pläne fürs Wochenende
gefunden habe?“, fragte er trocken.
Überrascht von dem
plötzlichen Themenwechsel – und Iantos herrlich trockenem Humor – lachte Jack. „Ich
war eine ganze Woche in London, ich habe Nachholbedarf.“ Er zog den jungen
Waliser näher zu sich. „Vielleicht nehme ich dich das nächste Mal besser mit.“
Beide Hände um Iantos Gesicht legend, küsste er ihn. Und danach spielte für
eine lange Zeit die Vergangenheit absolut keine Rolle mehr.
###
Ianto
war alleine im Büro. Er saß an seinem Schreibtisch und ordnete die Unterlagen
eines Falles, den Mister Latimer in einigen Tagen vor Gericht vertreten würde.
Es
gab eine Menge Papier zu sichten und nach der Bedeutung für die Verhandlung zu
sortieren, immerhin zog sich der Erbstreit bereits über zwei Dekaden hin. Wider
Willen war Ianto fasziniert von der Geschichte. Bei den Akten lagen viele
persönliche Briefe, verfasst in einer altmodischen Handschrift, auf leicht
vergilbtem Papier, die von der Erblasserin stammten. Einer alten Dame, die ohne
Kinder gestorben war. Sie hatte auch keine Geschwister mehr und ihr Mann war ebenfalls
lange verstorben. Und so gab es eine Reihe an Cousins und Cousinen und ferneren
Verwandten, die das Erbe antreten wollten. Offenbar handelte es sich um ein
Haus voll Antiquitäten und das Grundstück auf dem es stand, alles zusammen
mehrere Millionen wert.
Es
war wie in einem Roman von Agatha Christie. Die Briefe der alten Dame waren als
Beweise von einigen der Verwandten eingereicht worden, um ihren besonderen
Anspruch – oder was sie dafür hielten - zu unterstreichen. Sie waren natürlich
vor Gericht nicht beweiskräftig, aber Ianto hatte die Aufgabe erhalten, alle
noch einmal durch zu lesen und eventuell wichtige Einzelheiten zu notieren.
Mister Latimer hatte von einer darauf spezialisierten Agentur einen
Abstammungsnachweis erstellen lassen und anhand dessen würde das Gericht
entscheiden, wer tatsächlich erbte und wer leer ausging.
Lisa
hatte einen freien Tag. Mister Beecher war nachmittags nicht in der Kanzlei,
weil er einen persönlichen Termin wahrnahm. Mister Latimer hatte sich eine
Tasse Kaffee bei ihm geholt und sich dann in sein Büro zurück
gezogen. Vermutlich um sich in die Zeitung zu vertiefen. Manchmal
wunderte Ianto sich, wie die Kanzlei von den wenigen Fällen existieren konnte
und ob er sich vielleicht besser nach einem anderen Job umsehen sollte. Aber er
würde Lisa und die großzügigen Arbeitszeiten vermissen. Und Lisa, die auch die
Buchhaltung führte, hatte ihm gesagt – als er ihr seine Bedenken anvertraute –
dass er sich darüber keine Sorgen machen solle.
Als
sein Handy vibrierte, konnte er es zunächst nicht finden. Es war irgendwo unter
den noch nicht sortierten Unterlagen verschwunden, die er auf der freien Hälfte
des Tisches ausgefächert hatte. Schließlich entdeckte er einen verdächtig
zitternden Papierstapel und zog triumphierend das Mobiltelefon hervor. Jacks
Foto begrüßte ihn auf dem Display, und Ianto nahm lächelnd das Gespräch an. Er
stellte das Gerät auf Freisprechen, um weiter an den Unterlagen arbeiten zu
können. „Hey, Jack.“
„Ianto“,
begrüßte ihn die Stimme seines Liebhabers. „Ich möchte dich um einen Gefallen
bitten.“
„Ich
bin im Büro und ich arbeite, Jack. Kein Telefonsex während ich arbeite.“ Der
junge Waliser legte ein Blatt Papier auf den Stapel mit den Unterlagen, die in
den Akten bleiben würden und nicht mit ins Gericht kamen.
„Weiß
er, dass wir mithören können?“, fragte eine Frauenstimme im Hintergrund.
Iantos
Augen weiteten sich. Er hatte mit Toshiko Sato bereits telefoniert, also musste
das die Ex-Polizistin in Jacks Team, Gwen Cooper, sein.
„Mein
Team hört mit“, informierte ihn Jack - überflüssigerweise.
„Womit
kann ich dir… oder eher Torchwood... helfen“, kam es nach einem Moment
resigniert von Ianto.
„Wir
haben ein paar Gäste von außerhalb. Könntest du mit ihnen heute Nachmittag eine
kleine Tour machen? Ihnen ein paar Dinge in Cardiff zeigen. Mit ihnen einkaufen
gehen?“
Jacks
Bitte klang harmlos genug. Aber warum rief er gerade ihn an?
„Von
wie weit außerhalb kommen sie?“, fragte Ianto misstrauisch.
„Grob
gesagt, die 50ziger. Die 19hundert50ziger. Offensichtlich haben wir ein wenig
den Kontakt zum Alltag verloren“, fuhr Jack fort. „Und du bist mir als Einziger
eingefallen, der uns weiter helfen könnte.“
„Rhys
hätte...“, begann Gwen Cooper, doch ein "scchht"
von Toshiko Sato und "pssscht" von Owen
Harper stoppten sie. Ianto konnte ihre Stimmen deutlich unterscheiden. Er selbst
hatte mit dem Torchwood-Arzt noch nie ein Wort gewechselt, aber er hatte ihn mit
Jack sprechen hören, als der Doktor seinen Boss abholte. Harper hatte damals eine
bissige Bemerkung darüber gemacht, wie leid es ihm täte, ihn von seinem neuesten
Spielzeug los zu reißen.
„Ich
denke, ich könnte das tun...“, erwiderte Ianto zögernd.
„Wunderbar!“
Jack klang erleichtert.
„Wunderbar“,
kam es sarkastisch von Harper – ein wenig verzerrt, aber deutlich zu verstehen.
„Jacks Bettwärmer spielt also den Stadtführer. Was kommt als nächstes? Nimmst
du ihn zum Weevil jagen mit? Und das alles nachdem du Gwen einen Vortrag hältst,
dass wir keine Zivilisten in unsere Arbeit verwickeln dürfen…“
„Um
vier Uhr auf dem Roald Dahl Plass, okay?“, unterbrach
Jack ihn. „Danke, Ianto!“ Dann beendete Jack das Gespräch bevor der junge
Waliser mehr sagen konnte.
Ianto
lehnte sich in seinen Stuhl zurück und holte tief Luft. Sah ihn Jacks Team so?
Als Bettwärmer? Er schob ein paar Unterlagen zur Seite und stand auf, um in die
Kaffeeküche zu treten und von da aus durch eine diskret gekennzeichnete Tür,
die in die Angestelltentoilette führte. Er wusch sich das Gesicht mit kaltem
Wasser und machte sich dann auf dem Rückweg eine frische Tasse Kaffee.
---
Ianto
betrachtete unsicher die drei Personen, die ihm Gwen Cooper – ihn neugierig
musternd – übergeben hatte. Er war enttäuscht gewesen, dass sich nicht Jack mit
ihm getroffen hatte, verbarg es aber vor der Brünetten mit der Lücke in den
Vorderzähnen.
Da
war ein älterer Mann im Anzug, der streng wirkte und ihn mit einem Stirnrunzeln
ansah. Ein Mädchen, das aufgeregt und verschüchtert zugleich wirkte. Und eine
Frau mittleren Alters, die sich neugierig, aber selbstsicher umsah. Sie hatte
sich als Diana vorgestellt und gesagt, sie wäre Pilotin. Das Mädchen hieß Emma,
sie hatte ihren Namen nur gemurmelte und scheu seine Hand geschüttelt. Den
Namen des älteren Mannes hatte er noch nicht erfahren.
„Arbeiten
Sie auch für Torchwood?“, fragte Diana forsch. „Sie sehen irgendwie anders aus
als die anderen.“ Ihr Blick ruhte auf seinem Anzug, der trotz des Wintermantels
deutlich zu erkennen war. „Sie sind besser gekleidet.“
Ianto
zog die Augenbrauen hoch und schob die Hände in die Taschen. „Ich? Nein, das
tue ich nicht.“ Ihm gefiel ihre Offenheit und er lächelte ihr zu. „Ich schlafe
nur mit dem Captain.“
Die
Pilotin warf den Kopf zurück und lachte. Emma, die ihn so scheu gemustert
hatte, riss die Augen auf und schlug die Finger vor den Mund. Der ältere Mann
starrte ihn zuerst schockiert, dann angewiderte an und wischte sich die Hand,
die Ianto geschüttelt hatte, an seiner Hose ab.
Der
junge Waliser zuckte mit den Schultern und begann das "Taschengeld"
zu verteilen, das Miss Cooper ihm in die Hand gedrückt hatte. Damit konnten
sich die drei ein paar dringend benötigte Dinge kaufen und sollten sich so mit
dem verändertem Angebot vertraut machen. Ianto bezweifelte insgeheim, dass
dieser Ausflug eine gute Idee war. Ein Supermarkt von heute musste die drei
Zeitreisenden ja völlig überwältigen...
---
John Ellis‘ Selbstmordversuch und Dianas Verschwinden setzten der
Feiertagsstimmung einen Dämpfer auf und so endete ihre kleine, recht freudlose
Feier früh.
Nachdem Owen verschwunden war – vermutlich, um sich zu betrinken;
Gwen zu ihrem Rhys nach Hause gegangen war – womöglich um in trauter
Zweisamkeit Plätzchen zu backen - und sich selbst Tosh von ihrem Computer los geeist
hatte; sicherte Jack den Rift und den Hub, setzte die Alarme so, dass sie auf
seinen Vortexmanipulator umgeleitet wurden und schlug den Mantelkragen gegen
den Graupelregen hoch, als er aufs Hotel zueilte. Die Menge an Abgasen, die er
eingeatmet hatte, reichte ihm für eine Weile, und so zog er es vor, zu Fuß zu gehen.
Ellis lag mit unsicherer Prognose in einer Klinik unter einem Sauerstoffzelt
und Emma befand sich auf dem Weg nach London. Wenigstens hatte eines der
Riftopfer eine Zukunft vor sich.
Er hoffte, dass Ianto in der Suite auf ihn wartete. Die Kanzlei war
über die Feiertage und bis ins Neue Jahr geschlossen, also hoffte er sehr, dass
sie die nächsten Tage in Ruhe verbringen konnten. Das Hotel bot ein spezielles
Weihnachtsmenü an, und auch wenn Ianto nicht mehr ganz so verhungert aussah wie
am Anfang ihrer Beziehung, so hatte er doch vor, das meiste daraus zu machen.
„Ianto?“ Jack trat in die Suite und kickte müde seine schmutzigen
Schuhe von den Füßen, bevor er den feuchten Mantel aufhängte.
„Hier.“ Der junge Waliser tauchte hinter der Frühstücksbar auf und
Jack trat in die kleine Küche. „Hi.“ Ianto musterte ihn, den Kopf leicht zur
Seite geneigt. „Du siehst müde aus.“
Jack lächelte und küsste ihn auf die Schläfe. Er folgte dem Blick
des jüngeren Mannes, der in Richtung Decke ging. Über der Frühstücksbar verlief
ein Balken. Und von ihm baumelte ein Mistelzweig. Lachend packte Jack Iantos
Kragen und zog ihn zu sich und in einen Kuss. „Es geht mir mit jeder Minute
besser.“ Er küsste Ianto auf die Nase, bevor er ihn los ließ. „Es gab ein paar
Probleme mit unseren Neuankömmlingen. Aber das erzähle ich dir später.“ Er trat
zum Kühlschrank und öffnete ihn, um eine Flasche Wasser heraus zu holen.
„Wollen wir…“ Er unterbrach sich. „Wow. In diesem Kühlschrank war noch nie so
viel verschiedenes Essen, wusstest du das?“
„Zumindest
nicht so lange ich dich kenne.“ Ianto hatte sich umgewandt und rührte in einer
Schüssel.
„Oh,
ist das ein neues Spielzeug für uns?“ Jack hielt grinsend eine Gurke hoch. Er
lachte, als sich Iantos Wangen röteten. „Ich muss dir unbedingt von meinem
Wochenende mit dem Sohn des golbonischen
Premierministers erzählen. Seine Haut hatte eine ähnliche Farbe. Überall.“ Er schloss
den Kühlschrank wieder, trat zu Ianto und legte die Arme von hinten um ihn, das
Kinn auf seine Schulter stützend. „Was machst du da?“, fragte Jack neugierig. „Abendessen?
Du hättest dir nicht die Mühe machen müssen. Bestell doch einfach etwas beim
Zimmerservice.“
„Waffelteig.
Ich hatte absurde Lust auf Waffeln und nichts anderes zu tun, also habe ich ein
Rezept im Internet gesucht und mir ein Waffeleisen aus der Küche geborgt. Dein
Freund von der Rezeption hat es für mich geborgt, um ehrlich zu sein.“ Ianto
zuckte mit den Schultern, doch Jack spürte, dass seine Gleichgültigkeit nur
aufgesetzt war.
„Also
bist du einkaufen gegangen und hast vielleicht auch noch meine Wäsche
weggebracht? Und...“ Er sah sich um. „Hast du etwa auch aufgeräumt und sauber
gemacht?“
Wieder
zuckte Ianto mit den Schultern. „Ich wollte nicht den ganzen Tag herum sitzen,
sondern mich nützlich machen.“
Jack
drehte ihn zu sich herum. „Ianto. Du musst dich nicht nützlich machen, wenn du
hier bist. Du bist nicht meine... Haushälterin. Ich bezahle dafür, dass die
Wohnung geputzt wird und sich jemand um die Wäsche kümmert. Wenn du hier
bist…“, er tippte auf Iantos Brust. „…dann will ich, dass du dich amüsierst und
an nichts anders als an mich denkst.“
„Oh,
ich verstehe“, erwiderte Ianto trocken. „Weniger Haushälterin und mehr Haremsdame.
Um bei deinem Beispiel zu bleiben.“
„Das
trifft es genau. Cleverer Junge.“ Jack küsste ihn wieder auf die Nase. „Sag
mal, hast du hier noch irgendwo ein paar Mistelzweige versteckt?“
---
Sie verbrachten ruhige Feiertage. Mit reichlich gutem Essen aus
der Hotelküche, und Filmen, die Ianto über das Internet orderte. Sie hatten
einander zur Gesellschaft und das reichte ihnen vollkommen.
Housekeeping hatte einen echten, kleinen - klassisch und dezent in
Rot und Gold geschmückten - Weihnachtsbaum in der Ecke neben dem Bücherregal
aufgestellt.
Ein bunt verpacktes Geschenk mit Iantos Name darauf, stand halb
versteckt unter den Zweigen. Es war von Lisa und Jack hatte es bereits
versuchsweise geschüttelt. Das leise Klirren machte ihn zwar noch neugieriger,
aber verriet ihm nicht wirklich etwas über den Inhalt. Ianto hatte für sie
einen kleinen Anhänger für ihr Charms-Armband besorgt
– in der Form des Drachens auf der walisischen Flagge. Der fehlte in ihrer
Sammlung. Lisa verbrachte mit Mark die Feiertage bei ihren Eltern in London,
rief aber regelmäßig an und berichtete von den großen und kleinen Kontroversen,
die sich daraus ergaben, dass sich diverse Mitglieder der Familie an einem Ort einfanden.
Am vierundzwanzigsten gesellte sich ein zweites Päckchen hinzu,
viereckig und flach, geschmückt mit einer großen, roten Schleife. Auf einem
Anhänger mit Iantos Handschrift darauf stand „Jack“. Nur unter äußerster
Beherrschung hielt er sich davon ab, es mit seinem Vortexmanipulator zu
scannen, um zu sehen was sich darin befand.
Ianto ließ sich lachend am Weihnachtsmorgen aus dem Bett ziehen. Er
versuchte darüber zu verhandeln, dass sie wenigstens zuerst eine Tasse Kaffee
tranken, gab aber nach und wickelte sich seine Decke um die Schultern. Jack
hielt sich wie üblich nicht mit so Nebensächlichkeiten wie Kleidung auf –
verschwand aber nochmal ins Schlafzimmer. Ianto hörte das Piepsen des Safes,
der im Kleiderschrank versteckt war und gähnte. Er betrachtete mit einer
Grimasse sein zerstrubbeltes Haar als die Fenster mit
ihrem großartigen Ausblick in die Bucht seine Konturen wiederspiegelten. Es war
noch nicht richtig hell draußen, und überall blitzten kleine Positionsleuchten
wie eine exzentrisch verteilte Weihnachtsbeleuchtung. Ianto wandte sich ab und
kuschelte sich in den Sessel vor dem Bücherregal, einem seiner Lieblingsorte. Winzige
elektrische Birnen zwischen den Kugeln und Ornamenten hüllten den
Weihnachtsbaum in ein warmes, goldenes Schimmern. Er hatte das Gefühl, er
müsste nur die Hand ausstrecken um es berühren zu können.
Jack kam mit einem in dunkelblaues Glanzpapier verpackten Geschenk
in den Wohnbereich zurück. Er trug jetzt das Lederband
am Handgelenk, das eine Art Minicomputer enthielt. Meistens legte er es ab,
sobald er das Penthouse betrat. Ianto erinnerte sich,
dass Jack gesagt hatte, dass er damit früher durch Zeit und Raum gereist war.
Aber seit seiner Ankunft auf der Erde funktionierte das Ding nicht mehr
richtig. Deshalb musste Jack hier bleiben. Er benutzte es gelegentlich als eine
Art Fernbedienung, und als Verbindung zu den Computern im Hub. Ein paar Mal
hatte es Alarm ausgelöst und Jack zur Arbeit gerufen.
„Okay.“ Jack hielt ihm das Geschenk hin. „Pack meins als erstes
aus.“
Ianto nahm es, hielt es aber zuerst einen Moment auf der
Handfläche. Er tippte auf Jacks Wriststrap. „Erwartest du einen Alarm?“
„Nein.“ Jack setzte sich auf die Armlehne des Sessels. „Ich
erkläre dir das, nachdem du dein Geschenk ausgepackt hast.“
„Gut. Ähem… ich meine, Danke.“ Ianto zog
den Kopf ein, er benahm sich ja als wäre dies das erste Weihnachtsgeschenk
seines Lebens.
Rhi hatte ihm einen versilberten Kugelschreiber geschenkt, in den
sein Name eingraviert war. Sie wusste dass er trotz seines Interesse an
technischen Spielereien noch immer per Hand in seinem Tagebuch schrieb. Und sie
hatte sich offenbar wirklich Gedanken darüber gemacht.
Seit er feste Arbeitszeiten hatte und so viel seiner Freizeit mit
Jack verbrachte, sah er seine Schwester nur noch selten. Er musste nicht mehr
zum Wäschewaschen zu ihr fahren, in seiner neuen Wohnung gab es einen Raum im
Keller, mit Waschmaschinen, Trockner und Bügelbrett und die Anzüge, die er zur
Arbeit trug, gingen ohnehin in die Reinigung. Er musste sich nicht mehr von ihr
durchfüttern lassen oder Geld von ihr schnorren. (Seit er ein festes Einkommen
bezog, hatte er ihr jeden Monat eine kleine Summe zurückgezahlt, obwohl Rhi
dagegen protestierte.) Deshalb waren seine Besuche in Newport sehr viel
seltener geworden. Davids Geburtstag im Sommer. Und dann am dreiundzwanzigsten,
um seine Geschenke für die Kinder und Rhi abzuliefern. Für seine Nichte und
seinen Neffen hatte er sich von seiner Schwester beraten lassen und Spielsachen
gekauft, die offenbar gerade total IN waren. Johnny war vollauf von der Flasche
Whiskey begeistert, die ihm sein Schwager überreichte. Aber inzwischen tat es
ihm leid, dass er sich nicht mehr Mühe mit Rhi gegeben hatte. Er hatte ihr
einfach eine Flasche ihres Lieblingsparfums gekauft und es auch gleich im
Kaufhaus verpacken lassen.
Jack beobachtete ihn amüsiert und ungeduldig, als er die
Klebestreifen auf der Unterseite löste und das Papier vorsichtig entfernte,
anstatt es einfach abzureißen.
Eine Schatulle - wie für Ringe, nur größer – kam zum Vorschein.
Der dichte, dunkelblaue Samt fühlte sich unter seinen Fingerspitzen luxuriös
an, als er darüber strich, war aber schon etwas ausgebleicht. Die Box hatte
einen richtigen Verschluss aus Metall und keine Aufschrift, die den Namen des
Juweliers zeigte, was bedeutete, dass das was sich darin befand, vermutlich
sehr teuer gewesen war. Ianto holte tief Luft, schluckte und öffnete die
Schatulle. Sie enthielt eine Uhr mit einem richtigen Ziffernblatt statt einer
Digitalanzeige und einem Lederarmband, dass die gleiche Farbe hatte wie Jacks
Wriststrap. Sie sah irgendwie so aus als wäre sie nicht neu, aber dabei
gleichzeitig auch nicht so, als hätte sie schon einmal jemand getragen. „Wow.
Die ist… wunderschön.“ Ianto berührte das kühle Metall.
„Es ist nicht nur einfach eine Uhr“, sagte Jack. Er hielt sein
Handgelenk mit dem Wriststrap daneben. „Tosh hat mir geholfen ein paar Besonderheiten
in das Gehäuse einzubauen. Sie ist jetzt mit meinem Vortexmanipulator
synchronisiert. Das bedeutet, dass ich dich immer finden kann und du mich immer
erreichen kannst, zumindest so lange wir uns beide auf der Erde aufhalten.“
Ianto sah auf. Er war eben dabei gewesen, die Uhr an seinem
Handgelenk zu befestigen. „Heißt das, du planst aus Cardiff weg zu gehen?“
Jack schüttelte den Kopf und strich ihm mit einem Lächeln durch
die Haare. „Nein, ich plane nichts in der Art.“ Er beugte sich vor und küsste
seinen jungen Liebhaber. „Darf ich jetzt meines auspacken?“, fragte er eifrig.
„Ja, natürlich.“ Lächelnd sah Ianto ihm nach als Jack aufstand um
das andere Geschenk zu holen, dann auf die Uhr an seinem Arm. Das weiche Lederband schmiegte sich an sein Handgelenk.
Anders als er hielt sich Jack mit dem Geschenkpapier nicht lange
auf. Er bewunderte kurz das viktorianische Muster aus Stechpalmenzweigen, deren
roten Früchte perfekt mit der großen, roten Stoffschleife harmonierten und riss
es dann auf. Eine Holzleiste kam zum Vorschein. Zuerst hielt Jack es für einen
Bilderrahmen, doch dann streifte er das restliche Papier ab und hielt dann
unwillkürlich einen Moment lang den Atem an. „Oh…“
Jack hatte im Laufe seines Lebens viele Orden verliehen bekommen.
Und sie waren ausnahmslos in einer alten, hölzernen Zigarrenkiste verschwunden,
die er auf einem Regal im Wohnzimmer aufbewahrte.
Ianto musste sie gefunden haben – und hatte mit großer
Sorgfältigkeit das angelaufene Metall gereinigt und in einem schlichten Holzrahmen
ordentlich aufgereiht.
Der junge Waliser hielt sichtlich angespannt den Atem an, als Jack
sein Geschenk auspackte und als er ihn ansah, biss Ianto sich unsicher auf die
Unterlippe. „Sie sollten nicht in einer Kiste versteckt sein“, meinte er leise.
„Jemand sollte sie sehen. Selbst wenn es nur hier in deiner Wohnung ist.“
Wortlos umarmte und küsste Jack ihn. Sie hatten ihm nie viel
bedeutet, aber Iantos Geste berührte etwas in ihm. Vielleicht bewiesen sie,
dass er doch etwas erreicht hatte. Dass er trotz all den schlimmen Dingen auf
einiges stolz sein konnte. Vielleicht konnte er dem Doctor entgegen treten,
ohne sich dafür schämen zu müssen, was aus ihm geworden war.
„Danke. Das ist ein wundervolles Geschenk.“ Er zog mit einem
leisen Lachen die Decke enger um Iantos Schultern, küsste ihn auf die Schläfe
und schloss die Augen, um diesen Moment zu genießen.
###
„Jack,
wo willst du jetzt hin“, schnappte Gwen aufgebracht. „Du warst dieses Mal ganze
vier Tage lang tot! Denkst du nicht, du schuldest uns eine etwas ausführlichere
Antwort als: Du musstest dich erholen?“
Owen
und Tosh, die – von Gwens aufgebrachter Stimme alarmiert - in einer Ecke der
Leichenhalle standen, während er sich anzog, sahen sich betreten an, als Gwen
sie in ihre Vorwürfe einbezog.
"Nein."
Er schob sie sanft beiseite und holte seinen Mantel, der über eine Stuhllehne
hing. „Ich war vier Tage lang tot und der einzige, dem ich eine Erklärung dafür
schulde, ist Ianto“. Er behielt seine größte Befürchtung für sich, dass er direkt
nach dem Aufwachen befürchtet hatte, dass Ianto einer der Menschen gewesen sein
könnte, die der Schatten des Dämons berührt hatte.
„Weißt
du, ich gebe Gwen ungern Recht, aber vielleicht sollest du die Nacht wirklich
hier verbringen, damit ich ein Auge auf dich halten kann“, warf Owen ein. Er
war selbst hundemüde und wollte nur noch in sein Bett kriechen – als Jacks
Vertreter hatte er die Verantwortung für die Aufräumaktion nach Abbadons
Vernichtung getragen. Whitehall wollte Erklärungen von ihm, die er nicht
liefern konnte – genauso wenig wie er Jack aus dem Hut zaubern konnte, egal wie
sehr die Schreibtischhengste in London darauf drängten mit dem Captain zu
sprechen. Er beharrte darauf, dass Jack bei der Zerstörung der Bedrohung
verletzt worden war und sich erst von seinen Verletzungen erholen musste, bevor
er für Besprechungen zur Verfügung stand.
Jedes
Mal, wenn er vor einem Bildschirm stand oder einen Hörer in der Hand hielt und
log, dass sich eigentlich die Balken biegen müssten, sah er Jack vor sich, der
kalt und tot auf einer Metallbahre in der Leichenkammer lag. Er klammerte sich
daran fest, dass Jack bisher immer wieder zurückgekommen war – und dass er
nicht wirklich tot sein konnte, so lange keine Verwesung einsetzte. So makaber
das klang, in diesem Fall war es etwas Gutes gewesen. Jack war eiskalt und so
blass als hätte er keinen Tropfen Blut mehr im Körper, aber es setzte keine
Leichenstarre ein und es bildeten sich keine Totenflecken. Für ihn als Arzt ein
eindeutiges Zeichen, dass irgendwo in Jack noch ein Funke Leben steckte.
„Ich danke euch für eure Sorge.“ Jack knöpfte fröstelnd den Mantel
bis ganz nach oben zu. Er trat zu Tosh, küsste sie auf die Stirn. Dann umarmte
er Owen, der seine Umarmung ein wenig steif erwiderte. „Aber ich brauche jetzt eine
kleine Pause von all dem hier. Nur ein paar Stunden.“ Er drehte den Kopf, sah
zu Gwen hinüber, die mit trotzig vor der Brust verschränkten Armen neben der
Metallbahre stand. „Gwen. Ich kann dir deine Frage nicht beantworten – nicht,
weil ich es nicht will, sondern weil ich es nicht kann. Ich kenne die Antwort
selbst noch nicht.“ Er wandte sich wieder den beiden anderen zu. „Geht nach
Hause, schlaft euch aus. Morgen früh fangen wir mit der Schadensbegrenzung an.
Okay?“
Tosh nickte, drückte ihn noch einmal und ging dann, den Arm durch
Owens gehakt, so dass ihm eigentlich keine andere Wahl blieb, als sie zu
begleiten.
„Gwen, hör mir zu…“ Aber sie ging an ihm vorbei, die Lippen zu
schmalen Strichen zusammen gepresst, eine steile Falte zwischen den
Augenbrauen.
Jack seufzte, warf einen Blick zurück auf die Stahlkammern,
schaltete das Licht aus und verließ diesen ungastlichen Ort. Er wollte auf
schnellstem Weg nach Hause. Das erste, was er nach dem Aufwachen getan hatte,
war eine Nachricht an Ianto zu schicken. Zu seiner Erleichterung wartete der
junge Waliser im Hotel auf ihn.
---
Er fand Ianto auf der Couch, über ein Buch gebeugt, die Reste
seines Abendessens auf dem Tisch.
Sein junger Liebhaber wirkte ein wenig irritiert, dass er so lange
keine Antwort auf seine Anrufe und Textnachrichten erhalten hatte, schob es
aber auf Jacks Arbeit. Und er hatte sich bei seiner Schwester in Newport
aufgehalten, als Abbadon Cardiff heimsuchte. Er war in eine Stadt zurückgekehrt,
in der Chaos herrschte und niemand eine Erklärung für die merkwürdigen
Ereignisse hatte.
Aber er stellte keine Fragen, sondern wartete bis Jack sich neben
ihn setzte, ohne auch nur den Mantel abzulegen und ihn in seine Seite zog.
Und dann lauschte er schweigend, als Jack ihm die Wahrheit sagte.
---
„Jack?“
Ianto blinzelte schläfrig. „Musst du wieder an die Arbeit? Ist wieder etwas
passiert?“
„Nein,
es ist alles in Ordnung.“ Er beugte sich über den jungen Mann, küsste ihn auf
die Schläfe. „Hey, schlaf einfach weiter. Ich muss kurz in den Hub, nur nach
dem Rechten sehen. Es dauert nicht lange, ein paar Stunden höchstens. Du wirst
gar nicht merken, dass ich weg war. Und ich will dich genau so, genau hier,
wiederfinden wenn ich zurückkomme, okay?“
„Okay“,
murmelte Ianto und richtete sich halb zu einem ordentlichen Kuss auf. Er hielt die Augen geschlossen.
Um
ein Haar hätte Jack seine Meinung geändert. Er hatte sich noch immer nicht ganz
von Abbadon erholt. Ihm war noch immer kalt, und sein Bett sah mit Ianto darin
sehr warm und einladend aus.
Seufzend
zog er seinen Mantel enger um die Schultern und verließ leise die Suite. Nur
ein kurzer Besuch im Hub. Er würde seinem Team Kaffee mitbringen, einen Blick
auf die Monitore werfen und dann alle nach Hause schicken. Cardiff musste noch
ein oder zwei Tage ohne Torchwood auskommen.
Zwanzig
Minuten später stand er auf dem Roald Dahl Plass und hörte die Maschinen der TARDIS…
Als
Ianto ein paar Stunden später aufstand und gähnend unter die Dusche ging, hatte
er keine Ahnung, dass sich Jack Harkness nicht mehr auf dem Planeten aufhielt.
###
Ianto
griff sich einen der Plastikeinkaufskörbe und begann mehr oder weniger wahllos
Dinge aus den Regalen zu greifen. Er war im Minimarkt einer Tankstelle, also
beschränkte sich die Auswahl auf Snacks, Süßigkeiten und Fastfood. Mehrere
kleine Chipstüten folgten einer Handvoll Schokoriegel und Kaugummipäckchen. Er
nahm einen Sixpack Coladosen aus dem Regal und warf eine Tüte Brezeln
hinterher. Neben den Erdnüssen hingen Kondompackungen an einem Kartondisplay.
Er
zögerte einen Moment - und legte stattdessen mit Schokolade überzogene Erdnüsse
in den Korb. Es sah nicht danach aus, als bräuchte er dieses Wochenende
Kondome. Jack war nach wie vor spurlos verschwunden. Und er konnte sich nicht
dazu aufraffen, auszugehen und sich jemand für eine Nacht oder ein paar Nächte
zu suchen. Lisa hatte ihm bereits angeboten, ihn zu begleiten und seinen
Flügelmann zu spielen, oder auch einfach nur so mit ihm in einen Club zu gehen,
zu tanzen und zu trinken und sich zu amüsieren. Sie wollte, dass er etwas
anderes tat als nur zu arbeiten und ab und zu in einer leeren Luxussuite zu
sitzen und auf einen Hinweis auf den Verbleib des Bastards zu hoffen. Sie
nannte Jack nur noch „DER BASTARD“ und versprach, es dem Captain auf die Stirn
zu tätowieren, sollte er es jemals wieder wagen bei ihm aufzutauchen.
Aber
seit Jack weg war, schien alles zu viel Mühe zu sein. Selbst zu atmen. Er
wollte sich nur in sein Bett verkriechen und darauf warten, dass es aufhörte,
weh zu tun.
Er
kippte den Inhalt seines Korbes auf die Theke neben der Kasse und sah
teilnahmslos zu, wie ein Teenager mit Augen, die von erdrückend breiten Kajalstrichen umrandete waren, seine Einkäufe eintippte.
Ihre Fingernägel waren auf unpraktische Weise lang und pink und spitz. Sie warf
ihm die ganze Zeit über bedeutungsschwere Blicke zu, die möglicherweise
flirtend gemeint waren. Und poppte Kaugummiblasen in seine Richtung, die sie
nach dem Platzen zwischen pink geschminkte Lippen sog und dabei eine rosafarbene
Zunge mit einem silbern aufblitzenden Piercing sehen ließ. Ianto bezahlte und
nahm sein Wechselgeld und die Plastiktüte entgegen, in die sie seine Einkäufe
gepackt hatte.
Als
er in seiner Wohnung die Einkäufe auf den Tisch kippte, fand er neben dem Kassenbon
einen zweiten Zettel mit einer Handynummer in der Tüte. Er hatte wohl das Schild
übersehen, dass sie als Sonderangebot der Woche auspries.
Er
verbrachte den Rest des Wochenendes im Bett und damit, sich Seifenopern und
Serien anzusehen, deren Inhalt er nach dem Weiterzappen bereits wieder
vergessen hatte, Talkshows und Spielshows, sein Kopf auf dem Kissen, das er aus
Jacks Hotelzimmer geklaut hatte und das immer noch ein wenig wie der andere
Mann roch. Sein Magen wehrte sich gegen die Fastfoodorgie und er verbrachte
einige Zeit im Bad um sich zu übergeben. Die Magenschmerzen blieben, selbst als
er sicher war, alles von sich gegeben zu haben, das er in den vergangenen zwei
Tagen gegessen hatte und irgendwann fiel er in einen fiebrigen Schlaf.
Das
Wochenende ging letztlich doch noch vorbei, aber Ianto blieb im Bett, verließ
es nur um auf die Toilette zu gehen und um telefonisch oder online etwas zu
essen zu bestellen. Er klebte einen Umschlag mit dem Geld an die Tür und wies
an, dass man die Lieferung davor abstellte, er wollte niemanden sehen und mit
niemandem sprechen müssen.
Lisa
rief natürlich an. Schickte Textnachrichten. Sie drohte ihm. Sie bat ihn. Sie
versucht mit ihm zu argumentieren. Liebeskummer war kein Grund, sich bei
lebendigem Leib einzumauern.
Schließlich
kam sie persönlich vorbei und Ianto entdeckte die Schwachstelle in seinem Plan
- er hatte ihr für Notfälle einen Schlüssel für seine Wohnung überlassen und
Lisa hegte keine Skrupel, ihn auch zu benutzen.
Sie
zwang ihn zum Duschen und als er sich wieder aus dem Bad schleppte – immer noch
deprimiert, aber wenigstens sauber - war sein Bett frisch bezogen. Die
Schokoriegelverpackungen und leeren Getränkedosen, die fettigen Pizzaschachteln
und Fastfoodtüten waren verschwunden. Genau wie Jacks Kissen.
Lisa
zog die Augenbrauen hoch als sie sich zu ihm umdrehte und sah, dass er sich aus
Trotz nicht angezogen hatte – wie ein Fünfjähriger, der keine andere
Möglichkeit hatte, seinen Protest kund zu tun – und warf ihm dann eine
einigermaßen saubere Jeans an den Kopf. „Zieh das an“, befahl sie knapp. „Du
gehst jetzt mit mir nach draußen, du brauchst unbedingt frische Luft. Und dann
kommst du mit zu mir nach Hause und isst etwas, das nicht in einer Tüte oder
einem Karton serviert wird.“ Nach kurzem Stöbern in seinem Schrank folgte der
Jeans ein Sweatshirt. „Und du wirst mir gefälligst dankbar sein, denn ich koche
nicht für jeden.“ Mit vor der Brust verschränkten Armen wandte Lisa sich ihm erneut
zu. „Wir können uns hinterher mit Eiscreme vollstopfen und Wein trinken und wir
werden den Bastard verfluchen. Aber das hier muss aufhören. Ianto, deine
Beziehung ist vielleicht vorbei, aber nicht dein Leben.“
„Du
klingst ja wie die Kummerkastentante aus der Zeitung“, murmelte Ianto und
bückte sich nach der Jeans.
---
Er
saß mit Lisa und Mark auf dem Sofa in Lisas Wohnung, und sah mit dem Rest der
Welt, wie der amerikanische Präsident ermordet wurde. Die angebliche
Alieninvasion entpuppte sich als - wieder einmal - als Terroranschlag.
Aber
da war auch etwas... oder genauer gesagt, jemand... anderes. Ianto sah Jack. Im
Hintergrund, neben einer atemberaubend attraktiven, dunkelhäutigen Frau, als
eine der Kameras das Publikum zeigte. Er hätte angenommen, sich getäuscht zu
haben, aber Lisa und Mark sahen ihn ebenfalls.
Drei
Tage später entwischte er seiner Aufpasserin/Babysitterin, betrank sich, und
kletterte auf das Dach von Jacks Penthouse, um in die Tiefe zu starren und zu
überlegen, ob es wirklich so schlimm wäre, den letzten Schritt ins Nichts auch
noch zu machen…
###
Jack
sah sich benommen um, als er aus der Tardis trat. Ihre Stimme flüsterte
ermutigend in seinem Kopf. Selbst verletzt und verwirrt, versuchte sie trotzdem
ihm beizustehen. Er dachte einen Augenblick lang, dass der Doctor noch auftauchen
würde, um zu verhindern, dass er einfach so ging… dass er ihm vielleicht
wenigstens doch so viel bedeutete… oder dass er sich zumindest verabschieden
konnte…
Er
ging ein paar Schritte, atmete die kalte, feuchte Luft ein und blinzelte in die
Nachmittagssonne. Sie hatte ihn fast an der gleichen Stelle abgesetzt, an der
er sich an ihre Seiten klammerte. Vor einem Jahr. Nein. Vor… ein paar Wochen.
Oder waren inzwischen Monate vergangen? Wie lange hatte er sich in seinem
Zimmer an Bord der Tardis verkrochen? Wenn Martha und die anderen nicht immer
wieder nach ihm gesehen hätten, ihn zurückholten, wenn er in den Erinnerungen
verloren ging, wäre er vielleicht noch immer dort... Es konnten Jahre - oder
auch nur Minuten – vergangen sein, sein Zeitgefühl schein so zuverlässig wie
das Tageshoroskop in einer Zeitung.
Er
konnte in fünf Minuten im Hub sein. Sein Handy steckte überraschenderweise noch
in der Tasche seines Mantels, vermutlich auch das Werk der Tardis. Sein Team
war nur ein paar Anrufe von ihm entfernt.
Eine
Weile starrte er auf das Mobiltelefon, das er – ohne es wirklich zu bemerken –
aus der Tasche geholt hatte. Versuchte zu entscheiden, wen er zuerst anrufen
sollte.
Er
spürte die Vibrationen, mit denen die Tardis verschwand, aber er hörte die Motoren
nicht. Es war als stecke er unter einer Glasglocke. Hier, aber unbeteiligt. Fast
konnte er sich einreden, dass alles nur ein böser Traum gewesen war…
Jack
steckte das Handy zurück in die Tasche und schob seinen Ärmel hoch. Der Doctor
hatte die Transporterfunktion seines Vortexmanipulators wieder deaktiviert,
aber alles andere sollte okay sein. Seine Finger zitterten so heftig, dass er
sie einen Moment zur Faust ballen musste, um die Kontrolle darüber zurück zu
erlangen. Erst dann konnte er einen Befehl in den winzigen Computer eingeben.
Es gab eine kleine Verzögerung, dann tauchten Koordinaten auf dem Display auf,
die ihm so vertraut wie sein eigener Herzschlag waren. Das Signal kam aus
seiner Wohnung.
Ianto
hielt sich im Penthouse auf. Und ihn wollte Jack jetzt
sehen. Niemand sonst. Wollte ihn berühren und sich versichern, dass es ihn gab
und es ihm gut ging.
Ruckartig
schloss er den Vortexmanipulator, zog den Ärmel darüber und setzte sich in
Bewegung. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er auf das Hotel zulief. Unglaublicherweise
befand sich auch die Schlüsselkarte noch in seiner Tasche und er musste wieder
einen Moment inne halten, bis seine Hand nicht mehr so sehr zitterte, dass er
im Lift die Karte in den Schlitz stecken konnte.
Obwohl
es draußen noch hell war, brannten in der Suite bereits alle Lampen. Es war
warm, fast schon stickig, und er zog den Mantel aus, legte ihn achtlos auf eine
Kommode neben der Tür. Im Hintergrund spielte leise Musik, eine seiner alten Platten.
Glen Miller, die Platte, die Ianto einmal als seinen „Melancholie-Soundtrack“
bezeichnet hatte. Die Luft roch nach frischem Kaffee, nach den
Reinigungsmitteln die das Housekeeping benutzte – und nach Ianto. Jack holte
tief Atem und sein Mund wurde trocken.
In
diesem Moment trat Ianto aus der Küche, in der einen Hand ein Buch, in der
anderen Hand eine Kaffeetasse, die er gerade an die Lippen hob.
Vielleicht
spürte er seine Anwesenheit oder Jack gab unwissentlich ein Geräusch von sich,
denn Ianto hatte kaum zwei Schritte zurückgelegt, als er abrupt stoppte und den
Kopf drehte, um in seine Richtung zu sehen.
Jack
hob instinktiv die Hände in einer beschwichtigenden Geste. „Ianto…“
Die
Kaffetasse landete mit einem dumpfen Poltern auf dem weichen Teppich,
überschlug sich einmal – verteilte dabei Kaffee in einem Halbkreis – und kam
dann gegen ein Stuhlbein zur Ruhe. Sie war nicht einmal zerbrochen. Iantos
andere Hand, die das Buch hielt, fiel an seine Seite.
Ianto
sah… er sah fast wieder so aus wie damals, als Jack ihn das erste Mal gesehen
hatte. Blass, misstrauisch und hungrig. Alleine. Dunkle Schatten lagen unter
seinen Augen und ließen sein Gesicht mit den hervortretenden Wangenknochen noch
schmaler wirken. Er trug Boxershorts, ein nicht zugeknöpftes, hellblaues Hemd das
ziemlich sicher aus Jacks Kleiderschrank stammte – und Socken. So typisch. Er
bekam so furchtbar leicht kalte Füße und fror und wie oft hatte Jack ihn damit
aufgezogen. Ianto hielt es für einen Makel, eine Schwäche. Jack fand es
hinreißend.
Seine
graublauen Augen weiteten sich und dann plumpste das Buch ebenfalls auf den
Teppich, als Ianto die Arme um seinen eigenen Brustkorb schlang, als hätte er
Sorge, sonst auseinander zu brechen.
Mit
einem leisen Klicken und Kratzen glitt der Tonarm des Plattenspielers auf den
Träger zurück, als die Platte endete. Es war so still in der Suite, dass Jack
es deutlich hören konnte.
Langsam
trat er einen Schritt näher. Er hatte das Gefühl, sehr vorsichtig sein zu
müssen, als wäre Ianto ein in die Enge getriebenes Tier. Genauso fähig, die
Flucht zu ergreifen, wie zurück zu schlagen. „Es tut mir leid, Ianto. Du musst
mir glauben, ich wollte das nicht, ich wollte nicht einfach ohne ein Wort…
verschwinden.“ Wieso waren Worte plötzlich so unzulänglich; stolperte seine
Zunge über einfache Sätze?
Der
junge Waliser öffnete den Mund, als wolle er etwas erwidern, aber es kam kein
Laut über seine Lippen. Und dann setzte er sich ruckartig in Bewegung. Kam auf
ihn zu und blieb keinen halben Meter von ihm entfernt stehen.
Jack
spürte ein nervöses Lächeln an seinen Lippen zerren. „Ich kann mir vorstellen,
dass du jetzt sauer auf mich bist. Und du…“ Die Wucht des Schlags riss seinen
Kopf zurück und er wäre fast rückwärts auf dem Boden gelandet. Jack fing sich
im letzten Moment und behielt das Gleichgewicht, taumelte deshalb nur einen
Schritt zurück und stützte sich dann mit einer Hand an einer Sessellehne ab. Er
schluckte und schmeckte Blut. Mit fast so etwas wie Unglauben betastete er sein
schmerzendes Kinn und den Riss in seiner Unterlippe. Beides verblasst fast
gegen den pochenden Schmerz der von seiner Zunge ausstrahlte. Er hatte sich darauf
gebissen, als Ianto ihm den Kinnhaken verpasste.
Ianto
starrte auf seine Hand, dann auf Jacks Gesicht, als könne er selbst nicht
begreifen, was er eben getan hatte. Und begann dann langsam zurück zu weichen.
Jack wischte sich mit den Ärmel das Blut vom Mund; der Riss in seiner Lippe
begann sich bereits zu schließen. Dann folgte er dem jungen Waliser, drängte
ihn mit dem Rücken gegen die Frühstücksbar. Legte beide Hände um Iantos
Gesicht, und küsste ihn hungrig. Iantos Hände glitten über seinen Brustkorb,
krallten sich in sein Hemd, zogen ihn noch näher.
Danach
hörte er auf zu denken.
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Jack
hatte alle Lichter in der Suite ausgeschaltet, bis auf zwei matte Lampen im
Schlafzimmer. Auf der anderen Seite des Glases war es ebenfalls dunkel geworden
und Jack starrte zwar hinab auf die Stadt, aber er sah sie nicht. Die
Reflektionen auf dem Glas fesselten seine Aufmerksamkeit. Sein eigenes Spiegelbild.
Und Iantos.
Hinter
ihm zogen sich ihre Kleider wie die Brotkrumenspur aus dem Märchen über den
Boden, vom Wohn- bis in den Schlafbereich. Jack streckte die Hand aus, berührte
die kühle Glasscheibe mit den Fingerspitzen. Liebkoste die Konturen des jungen
Mannes, wie zuvor seinen Körper.
Ianto
saß in der Mitte des breiten, zerwühlten Bettes, ein Laken lose über die untergeschlagenen
Beine geschlungen, gedankenverloren ins Nichts starrend.
„Woran
denkst du?“ Seine Stimme fiel in die Stille wie Steine in einen dunklen Teich. Vorhin
war es nicht so still gewesen, als sie übereinander herfielen, mehr ein Kampf
um die Oberhand als Leidenschaft, als sie ineinander verkeilt übers Bett
rollten. Später hatten sie sich dann noch einmal geliebt, fast unerträglich
langsam und so intensiv, dass Jack das Gefühl hatte, sie würden sich auflösen
und zu einem Wesen verschmelzen.
Als
Ianto sich von ihm weg drehte, um sein Gesicht ins Kissen zu pressen, sah Jack
die hell glitzernde Tränenspur, die sich über seine Wange zog.
Eine
Weile später verließ er das Bett um die Lichter im Rest der Wohnung zu löschen
und ein Glas Wasser zu trinken, bevor er ans Fenster trat und in die Dunkelheit
hinaus starrte.
Jetzt
wandte er der Aussicht den Rücken zu und ließ seinen Blick über den jungen
Waliser gleiten.
„Ich
frage mich, ob du gerade schon wieder vor mir weg läufst.“ Iantos Stimme hatten
einen heiseren Beiklang, als er endlich antwortete. „Oder ist das die senile
Bettflucht, vor der ich gehört habe?“
Jack
löste sich vom Fenster und streckte sich neben ihm auf dem Bett aus. „So...“ Er
rollte sich auf die Seite, um Ianto anzusehen. Er suchte nach einem
unverfänglicheren Thema. „Was hast du so gemacht, während ich weg war? Bist du
ausgegangen? Hast du jemand interessantes kennen gelernt?“
„Ich
habe versucht mich umzubringen“, sagte Ianto sachlich.
„Du
hast... WAS?“ Jack setzte sich ruckartig auf. „Ianto, das ist nicht witzig.“
Sein Herz begann heftig in seiner Brust zu schlagen.
Der
jüngere Mann zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. „Du hast gefragt,
ich habe geantwortet. Können wir jetzt mehr Sex haben oder wenn nicht, lass
mich schlafen, okay?“
„Du
kannst mir das nicht einfach vor den Kopf knallen und dann so tun als wäre
nichts gewesen.“ Jack fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und zerrte
daran, als versuche er sich aus einem Alptraum aufzuwecken.