Titel: Alte Freunde, neue Freunde
Autor: Lady Charena (August 2013)
Fandom: Torchwood - Greyfriars Arms Hotel-Universum
Wörter: 4163
Charaktere: Ianto Jones, Rhiannon
Davies, Mica Davies, Jack Harkness, Originalcharakter: Tomos “Tomi” Williams
Pairing: Jack/Ianto (Freundschaft, pre/slash)
Rating: AU, ab 12, slash/het
Beta: T’Len
Summe: Ianto trifft auf der Hochzeitsfeier, zu der
ihn seine Schwester mitgenommen hat, unerwartet einen alten Freund. Und es
kommt zwischen ihm und Jack zu einem klärenden Gespräch – das jedoch am Ende
vielleicht nur zu mehr Verwirrung führt.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story
verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern.
Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen
oder diese Inhaberrechte zu verletzen.
Ianto griff unbehaglich nach dem Knoten seiner
Krawatte und lehnte sich zurück, bis sein Hinterkopf die kühle Mauer berührte.
Die Hochzeitsgesellschaft war in der Auflösung begriffen. Er wartete nur
darauf, dass Rhiannon wieder auftauchte und sie
endlich nach Hause gehen konnten. Ianto gähnte und
rieb sich die Augen.
Wieso zog sich das so lange hin? Die Braut, ihre Schwestern und Rhi waren ins Haus verschwunden… um was auch immer zu tun.
Tante Gladys und ihr Mann waren damit beschäftigt, die Geschenke einzusammeln
und zu verstauen. Der Bräutigam wurde von seinen Freunden umringt – aufbrausendes
Gelächter, Wortfetzen die in seine Richtung drifteten und das Klirren von Glas
deuteten an, dass sie auf die bevorstehende Hochzeitsnacht anstießen. Ianto fragte sich müßig, ob Robin überhaupt noch in der
Lage sein würde, auf eigenen Beinen den Weg zum Ehebett zu finden.
Alkohol war zuvor schon in Strömen geflossen. Das Essen war gut und reichlich,
die Eltern der Braut hatten an nichts gespart. Es wurden Reden auf das
Brautpaar gehalten, Anekdoten aus der Kindheit der beiden erzählt, ein paar Tränen
vergossen, gelacht und schließlich legte der Mann von Maddies
ältester Schwester Schallplatten auf. Ianto ließ sich
widerstrebend und eher peinlich berührt von einer ausgelassenen Rhi auf die Tanzfläche zerren und tanzte notgedrungen auch
mit Mica. Am frühen Abend taten sich zwei der anderen Eltern zusammen und
brachten Mica und die anderen Kinder nach Hause. Ianto
hätte sich freiwillig dafür gemeldet, doch Rhi
bestand darauf, dass er blieb und „sich amüsierte“. Tosh
passte im Hotel auf die Jungs auf und würde dafür sorgen, dass alle drei
rechtzeitig in die Federn kamen.
Trotz allem war es Ianto unmöglich, sich auch nur
einen Moment völlig zu entspannen.
Oh, alle waren ausgesprochen höflich zu ihm gewesen. Niemand machte ihm
gegenüber eine Bemerkung, die sich auf Lisa oder die Vergangenheit bezog. Tante
Gladys bedankte sich für sein Kommen und sie schien aufrichtig erfreut, ihn
wieder zu sehen. Sie plauderte kurz mit ihm über seine Mutter, dann riefen sie
ihre Pflichten weg. Er unterhielt sich mit einigen Bekannten von früher,
ehemaligen Klassenkameraden, und älteren Leuten, die seine Eltern gekannt
hatten. Im Grunde genommen sprach er aber nur sehr wenig, und hörte zu, was ihm
die Höflichkeit gebot, ob er interessiert war oder nicht.
Er konnte aber nicht ignorieren, wie weit er sich von seinen Altersgenossen und
ihren Zielen entfernt hatte. Die meisten von ihnen waren verheiratet, hatten
Kinder oder bastelten an ihren Karrieren. Ein paar von ihnen hatten studiert,
andere Wales verlassen.
Die wenigsten schienen überrascht, dass er den Familienbetrieb übernommen
hatte. Niemand machte eine Bemerkung darüber, dass er nicht verheiratet war,
was ihn den Verdacht schöpfen ließ, dass Tante Gladys oder Maddie
– vielleicht auf Rhis Betreiben hin – das Thema für
Tabu erklärt hatten. Diejenigen von ihnen, die in Cardiff wohnen oder noch
Verwandte hier hatten kannten sicher die Geschichte. Ianto
war froh nicht darüber sprechen zu müssen und sich womöglich
Mitleidsbekundungen anzuhören.
„Du trinkst ja gar nichts. Das habe ich aber anders in Erinnerung. Sag nicht,
du wirst alt.“
Ianto öffnete die Augen und blinzelte überrascht. Er
setzte sich auf. „Tomos?“, fragte er verblüfft. „Tomos Williams, in voller
Lebensgröße und doppelt so hässlich.“
„Sag Hallo zum verlorenen Sohn.“ Tomos Williams streckte die Hand aus. Als Ianto sie ergriff, zog er ihn mit einem kräftigen Ruck auf
die Beine und drückte ihn lachend an sich. „Wie es aussieht bin ich zu spät für
die Hochzeitsfeier, ich hatte unterwegs eine Autopanne und es dauerte ewig, bis
ich einen Abschleppwagen fand. Aber ich freue mich, dass ich dich hier
getroffen habe. Und weißt du was? Du hast dich kein bisschen verändert.“
Ianto musterte den alten Freund. Tomos hatte sich
verändert. Nun, nicht so sehr, dass Ianto ihn nicht
wiedererkannte, aber doch merklich. Er war nicht mehr der magere Junge mit dem
schlechten Haarschnitt und den dicken Brillengläsern. Eine Brille trug er immer
noch, aber genau wie der Haarschnitt war sie nun elegant. Sein Anzug sagte sehr
dezent aber unüberhörbar Savile Row.
„Tomi.“ Ianto und Tomi. Es hatte eine Zeit gegeben,
in der sie unzertrennlich gewesen waren. Sie hatten die erste Zigarette
miteinander geteilt, das erste heimliche Bier. Und den Unfug, den sie getrieben
hatten. Einmal holten sie die Schafe des alten Wells aus dem Stall und stellten
die Ziegen des Nachbars dort unter. Der alte Mann hatte fast einen Schlaganfall
erlitten und ihnen Prügel angedroht. Parkplätze und Bürogebäude befanden sich
nun dort, wo Ziegen und Schafe einst untergebracht gewesen waren.
Tomos lachte. „Verdammt, Ianto, so hat mich schon
lange niemand mehr genannt. Seit ich in London wohne, bin ich auf Thomas
umgestiegen. Ich war es leid, zu erklären, dass es kein Tippfehler ist und ich
auch nicht aus Griechenland komme. Manchmal kommt es mir so vor als liege Wales
am anderen Ende der Welt. Ich bin überrascht, dass du deinen Namen nie geändert
hast.“
„In was? John? John Jones ist auch nicht origineller.“ Ianto
deutete auf den Stuhl neben seinem und nahm wieder Platz. „Bist du extra wegen
dieser Hochzeit hergekommen?“
„Es hat sich so getroffen. Ich habe Urlaub und wollte ein paar Verwandte in der
alten Heimat besuchen. Dann kam die Einladung und ich dachte, wieso nicht.“
Tomos streckte die Beine aus. „Hier bin ich. Aber damit, dich wieder zu sehen,
habe ich nicht gerechnet. Ich hätte echt gedacht, dass du aus Cardiff weg bist.
Arbeitest du noch im Hotel deiner Eltern?“
„Ich leite es inzwischen.“ Ianto räusperte sich.
„Meine Eltern sind vor ein paar Jahren gestorben.“
„Oh.“ Tomos sah ihn bestürzt an. „Das tut mir leid.“ Er schwieg einen Moment,
drehte das Glas in seinen Händen. „Deine Schwester?“
„Rhiannon arbeitet mit mir im Hotel. Sie und Johnny
haben zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Das ist der Grund, warum ich hier
bin. Rhi ist mit Maddie und
ihren Schwestern befreundet und ihre Tochter Mica ist eines der Blumenmädchen,
sie ist mit einer von Gladys Enkelinnen befreundet“, erklärte Ianto. „Johnny arbeitet irgendwo im Norden und Rhi brauchte jemand, der sie begleitet.“
„Dann bist du selbst nicht verheiratet?“, fragte Tomos.
Ianto schüttelte den Kopf. „Du?“
„Nah, nichts für mich.“ Tomos trank einen Schluck aus seinem Glas. „Es gibt
viel zu viele hübsche Blumen um sich in nur einen Topf pflanzen zu lassen.“
Ianto boxte ihn in den Oberarm. „Deine Sprüche sind
nicht besser geworden. Was machst du in London? Sag mir nicht, dass du dein
Geld jetzt mit deinem Kopf verdienst? Dein Anzug sieht nicht so aus, als
schuftest du in einer Fabrik.“
Tomos lachte. „Und wie. Weißt du noch, wie schlecht ich in Mathe war?
Offensichtlich war ich nur ein Spätstarter. Ich arbeite jetzt bei einer Bank.
Ja, das hätte ich auch nie von mir gedacht.“
„Hallo. Ianto, willst du mir nicht deinen Freund
vorstellen?“
Ianto sah überrascht auf, als seine Schwester
plötzlich neben ihm auftauchte. Rhis Frisur war
durcheinander und ihr Gesicht war gerötet – und schwankte sie? „Du bist ja
betrunken.“
„Oh, scheesh“, winkte Rhi
ab. „Wir haben nur nochmal mit Maddie angestoßen.“
Sie lächelte Tomos an. „Kennen wir uns?“
„Wir kennen uns.“ Tomos stand auf und reichte ihr die Hand. „Tomos Williams.
Tomi? Ianto und ich waren beste Freunde vor einer
gefühlten halben Ewigkeit.“
„Jetzt erinnere ich mich.“ Rhi musterte ihn von Kopf
bis Fuß. „Wow, der kleine Tomi. Du hast dich ganz schön raus gemacht.“
„Nicht mehr so klein“, grinste Tomos. „Rhiannon
Jones. Ianto, habe ich dir je verraten, dass deine
Schwester meine erste große Liebe war? Sie hat mir in meiner zartesten Jugend
das Herz gebrochen, als sie mit diesem ungewaschenem Schaffarmer ankam.“
„Vorsichtig, wie du über meinen Ehemann sprichst, Tomi“, tadelte Rhi lachend. „Er ist nicht gut auf Leute in schicken
Anzügen zu sprechen.“
Tomos wandte sich an Ianto. „Wie ich sehe, weiß
wenigstens einer in der Familie einen gutsitzenden Anzug zu schätzen.“
Ianto stand auf. „Ich denke, es ist an der Zeit, dass
wir nach Hause fahren. Tomos, es war wunderbar, dich wieder zu sehen, aber
meine Schwester ist dabei, sich zu blamieren.“
„Hey, warte. Du hast ein Hotel, ich brauche ein Zimmer für die Nacht. Und eine
Fahrgelegenheit, so lange mein Wagen in der Werkstatt ist.“ Tomos lachte.
„Perfekte Lösung. Ich wäre ohnehin heute in Cardiff geblieben und erst morgen
zu meiner Tante gefahren.“ Er legte den Kopf schief. „Außer, ihr seid
ausgebucht? Aber hey, ich kann überall schlafen, erinnerst du dich noch?“
„Das ist kein Problem.“ Ianto sah sich um. „Wir
sollten uns von den anderen verabschieden.“
„Vergiss es.“ Rhi klemmte sich ihre Handtasche unter
den Arm und rückte ihren Hut zurecht. „Die sind alle viel zu betrunken, um noch
was zu bemerken.“ Sie hakte sich bei Tomos ein. „Und ich habe nichts gegen ein
bisschen Unterhaltung auf dem Heimweg.“
„Rhiannon!“, zischte ihr Bruder.
Tomos lachte. „Hey, ich mag deine Schwester jetzt noch mehr als früher.“ Er
folgte mit der untergehakten Rhi Ianto,
der kopfschüttelnd den Weg durch den Garten und zur Straße wies.
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„Wenn du das bitte ausfüllst.“ Ianto schob Tomos das
Gästebuch zu, und wandte sich um, einen Schlüssel für ein Zimmer im zweiten
Stock auswählend. „Wir haben viele Dauergäste, hauptsächlich Studenten und
Leute, die in Cardiff arbeiten.“
Rhiannon war leise vor sich hin summend – und barfuß,
sie hatte ihre Schuhe noch im Auto ausgezogen – in die Küche verschwunden, um
sich einen Tee zu machen, bevor sie ins Bett ging.
„Wird dir das hier nie langweilig?“, fragte Tomos, seinen Namen und seine
Adresse in das Register eintragend.
„Es wohnen viele verschiedene Menschen in einem Hotel.“ Der Schlüssel klirrte leise,
als Ianto ihn über den Tresen schob. „Das wird
eigentlich nie langweilig.“ Er nahm das Buch entgegen und legte es an seinen
Platz zurück. Dann trat er hinter der Rezeption hervor und stellte sich neben
Tomos. „Ich zeige dir dein Zimmer, du musst müde sein.“ Er bückte sich nach der
Reisetasche, die Tomos mitgenommen hatte. Der Rest seines Gepäcks war im
Kofferraum des Wagens mit in die Werkstatt gewandert.
„Warte, Ianto.“ Tomos legte den Arm auf Iantos Arm. „Ist…“
„Wow. Das weckt Erinnerungen.“ Die beiden Männer drehten sich um, als hinter
ihnen eine Stimme erklang. „Ich wollte nicht stören.“ Entgegen seiner Worte kam
Jack Harkness jedoch näher, eine Hand ausgestreckt. „Captain Jack Harkness“,
stellte er sich vor.
Tomos zog überrascht eine Augenbraue hoch, schüttelte aber die Hand des anderen
Mannes. „Thomas Williams“, erwiderte er. „Ich bin ein alter Freund von Ianto.“
„Ich bin ein neuer Freund von Ianto.“ Jack musterte
Tomos eindringlich.
„Captain Harkness ist einer der Dauergäste hier“, warf Ianto
erklärend ein. „Kann ich etwas für dich tun?“
„Ich wollte nur meine Post abholen.“ Jack lächelte Tomos an. „Aber ich habe
auch nichts dagegen, neue Freundschaften zu schließen. Vielleicht sollten wir
drei in der Bar einen Drink nehmen und uns besser kennen lernen.“
„Ich war gerade dabei, Tomi sein Zimmer zu zeigen.“ Ianto
deutete auf die Brieffächer. „Du weißt ja, wo du deine Post findest.“
„Ja, ich habe eine lange Fahrt hinter mir.“ Tomos trat um Jack herum und nahm Ianto die Tasche ab. „Schön, dass wir uns getroffen haben,
Captain. Gute Nacht.“
Ianto führte ihn zum Lift. Bevor sich die Kabine
schloss, sah Ianto zurück zur Rezeption, wo Jack am
Tresen lehnte und im Gästebuch blätterte.
Ein paar Minuten später kam er wieder nach unten. Jack hatte den
Rezeptionstresen in seinen persönlichen Schreibtisch – oder eher seine
persönliche Postsortierstelle – verwandelt. „So, ein alter Freund ist in der
Stadt“, sagte er, ohne von einem Brief aufzusehen.
„Tomi und ich waren Schulfreunde, beste Freunde bis wir beide fünfzehn Jahre
alt waren.“ Ianto trat neben ihn, sammelte
aufgerissene, leere Umschläge ein und warf sie in den Papierkorb. „Dann zog
Tomos zu Verwandten nach London um, und ich begann die Hotellehre. Seither
haben wir uns nicht mehr gesehen.“
„Er sagte, er hieße Thomas“, bemerkte Jack beiläufig. „Das steht auch so im
Anmeldebuch.“
„Dieses Buch ist eigentlich für Gäste tabu. Und Tomos ist die walisische Form
von Thomas.“ Ianto sah ihn von der Seite an. „Sonst
noch Fragen?“
„Nicht zu Mister Williams.“ Jack wandte sich ihm zu. „Wie wäre es, wenn wir
beide den Drink nehmen?“ Er streckte die Hand aus, legte sie auf Iantos Arm. „Wir haben uns schon eine Weile nicht mehr
unterhalten.“ Er lächelte. „Ich meine, wenn wir beide wach sind.“
Der junge Waliser sah auf Jacks Hand. Er schluckte. „Ich sollte heute wirklich
keinen Alkohol mehr trinken.“
„Auch okay. Wir müssen nichts trinken.“ Jack lächelte. Er zog langsam die Hand
zurück, ließ seine Fingerspitzen über Iantos
Handrücken streifen. „Ich hoffe, du weißt, dass du jederzeit mit mir sprechen
kannst, wenn dich etwas bedrückt.“ Das erste Mal seit dieser Nacht sprach Jack
an, was passiert war. „Ich möchte wirklich, dass wir wieder Freunde sind. So
wie letzten Sommer? Unsere Gespräche auf dem Dach haben mir viel bedeutet.“
Ianto schluckte erneut, ein Knoten bildete sich in
seiner Kehle. Ohne sich dessen bewusst zu sein, drehte er die Hand, so dass
Jacks Fingerspitzen seine Handfläche berührten. Etwas wie statische Energie
entlud sich zwischen ihnen und die Härchen an seinem Arm stellten sich auf. Es
erinnerte ihn an ein Schulexperiment, an kratzige Wollpullover und die
Erklärung des Lehrers über Reibung…
Er dachte an Weihnachten, an den Kuss im Schnee und an die Episode in Jacks
Zimmer, als er den verstopften Ausfluss reparierte. Versteckt im Schuppen,
während draußen der Weevil lauerte und Jack, der ohne
zu Zögern sein eigenes Leben riskierte. An die vielen kleinen Begegnungen und
an die Momente, in denen die Aufmerksamkeit des anderen Mannes völlig auf ihm
lag. Warum ließ er zu… warum ermutigte er Jacks Flirten? Was stimmte nicht mit
ihm? Vielleicht war es einfach nur der Alkohol und die Euphorie über das
Wiedersehen mit Tomi. Vielleicht war er einfach nur erschöpft von all den
schlaflosen Nächten und den widerstreitenden Emotionen der letzten Wochen.
Eigentlich wollte er überhaupt nichts mehr fühlen. Nichts mehr denken.
Er wollte nicht mehr… sein… müssen. Nicht mehr in eine Form gepresst werden,
die er niemals ganz ausfüllen konnte.
„Ianto?“, fragte Jack leise. „Was denkst du?“
„Können wir Freunde sein?“ Ianto sah auf, dann auf
ihre Hände. Auf Jacks Fingerspitzen, die inzwischen Kreise auf seine
Handinnenfläche malten.
Jack lächelte reuevoll. „Ich werde nicht aufhören können, dich zu begehren, Ianto. Aber ich habe gesagt, dass ich nichts tun will, dass
dir unangenehm ist und dazu stehe ich.“ Er zog die Finger weg, aber Iantos Hand folgte automatisch seiner und er hielt sie einen Moment fest, bevor er Iantos Hand sanft wieder auf dem Tresen ablegte. „Auch wenn
es nicht leicht ist.“
„Ich sollte gehen.“ Ianto wich einen Schritt zurück,
musterte die auf dem Tisch verstreuten Papiere. „Es sieht allerdings so aus,
als könntest du damit Hilfe brauchen.“
Jack stand neben ihm, dicht genug dass ihre Schultern aneinander streiften.
„Ich denke, das ist deine Antwort“, sagte er leise.
„Meine Antwort?“, wiederholte der junge Mann tonlos.
„Wir können Freunde sein.“ Jack beobachtete, wie Ianto
einen Stapel Zeitungen Kante auf Kante legte. „Aber du musst zuerst dein Leben
wieder in Ordnung bringen.“ Er lehnte sich gegen den Rezeptionstresen, Ianto halb zugewandt. „Du hattest recht, damals, nach
Lucias Tod, weißt du? Als du mich zurückgewiesen hast. Ich wollte die
Erinnerungen an sie durch irgendetwas… irgendjemanden… ersetzen. Dabei hätte
ich fast etwas sehr Wichtiges zerstört.“ Er nahm einen Umschlag aus Iantos Hand und warf ihn nach einem flüchtigen Blick auf
den Absender in den Papierkorb. „Ich würde dich jetzt sehr gerne küssen und ich
glaube, dass du es zulassen würdest.“ Als er sich vorbeugte, berührten sich
ihre Lippen fast. Ianto bewegte sich nicht. „Aber wir
wissen beide, dass es dann nur wäre, weil du um Lisa trauerst und du alles tun
würdest, um nicht an sie zu denken.“ Einen Moment lang schien es so, als würde Ianto ihn küssen, dann hob der junge Waliser die Hand
zwischen ihnen und berührte mit der Kuppe des Zeigefingers Jacks Unterlippe.
Eine Berührung, wie sie unschuldiger kaum sein konnte, aber es kostete Jack
erhebliche Beherrschung, sich nicht zu rühren.
Ianto schloss einen Moment die Augen, schluckte und
ließ dann die Hand sinken. Er atmete tief aus, als hätte er eine Entscheidung
getroffen. „Ich denke, wir können Freunde sein.“
Jack lächelte, nicht das strahlende Haifisch-Lächeln, das Ianto
als Erstes an ihm aufgefallen war. Und Ianto hatte
plötzlich das Gefühl, als hätte er ihm ein Geschenk gemacht. Er konnte nicht
anders, als das Lächeln zu erwidern. Dann hob Jack die Hand und berührte mit
der Kuppe des Zeigefingers Iantos Unterlippe. „Gute Nacht,
Ianto Jones.“
„Nos da, Jack.“ Er spürte Jacks Berührung noch lange, als sein Anzug sorgfältig
am Schrank hing und er selbst im Bett lag.
Es war die erste Nacht seit langem, in der er ohne Träume schlief.
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„Bore da, Tomi.“ Ianto
lächelte und legte die Hand auf Tomos Schulter, als er an den Tisch trat.
"Shw'mae?"
„Hey. Guten Morgen.“ Sein Freund sah zu ihm hoch und lächelte, sich über die
Unterlippe leckend. „Komm, setz dich zu mir, du hast doch einen Moment Zeit?“
Er deutete auf seinen Teller. „Deine Schwester macht ein großartiges Frühstück.
Ich habe in teuren Restaurants schon wesentlich schlechter gefrühstückt. Sie
backt das Brot selbst, richtig? Deine Mutter hat das auch gemacht und ich
erinnere mich, dass es immer so viel besser geschmeckt hat, als das vom
Bäcker.“
Ianto setzte sich und schüttelte den Kopf, als Tomi
den Brotkorb in seine Richtung schob. „Ich werde es
ihr ausrichten.“ Er fegte automatisch ein paar Krümel zusammen, und sah
überrascht auf, als Tomos lachte. „Was ist daran so komisch?“
„Du.“ Tomi grinste. „Du bist komisch, du hast immer
noch diesen Sauberkeitstick. Ich schwöre du warst der einzige Junge, der seine
Pubertät damit verbrachte, zu putzen und aufzuräumen und du hattest immer
saubere Klamotten an.“
„Okay, erstens übertreibst du. So schlimm war ich nicht. Und zweitens wollte
ich einfach meiner Mutter keine zusätzliche Arbeit machen, sie hatte mit dem
Hotel so viel zu tun.“ Ianto zuckte mit den
Schultern. „Ich war nicht wirklich so schlimm, oder?“
„Tante Emily hat dich mir ständig als leuchtendes Beispiel empfohlen.“ Tomi grinste. „Wenn ich dich nicht gemocht hätte, hätte ich dich
um ein Haar gehasst.“ Er tunkte mit einem Stück Brot Eigelb von seinem Teller.
„Wir hatten gestern überhaupt keine Chance, uns zu unterhalten.“ Er kaute und
schluckte. „Eigentlich hätte ich halb erwartet, dass du inzwischen verheiratet
bist. Gibt es da jemand? Oder suchst du noch nach der richtigen Frau für dich?“
Ianto winkelte die Ellbogen an, faltete die Hände und
stützte das Kinn darauf. „Es gab jemanden“, sagte er leise. Er fand, dass es
nicht so schwierig war, mit Tomi darüber zu sprechen. „Erinnerst du dich an das
Hallett-Mädchen? Lisa?“
Tomos griff nach seiner Tasse, trank einen Schluck, während er überlegte. „Lisa
aus dem Stoffgeschäft? Sie war älter als wir. Oh ja, jetzt erinnere ich mich
wieder.“ Er grinste. „Heißer Feger.“
„Wir… waren verlobt.“ Ianto sah auf einen Punkt
hinter Tomos linker Schulter. Er war nicht sicher, wie sein alter Freund auf
diese Neuigkeit reagieren würde.
„Waren verlobt?“, wiederholte Tomi. Er klang nur etwas überrascht, also wagte Ianto es, ihn anzusehen. Neugier spiegelte sich in seinem
Blick, sonst nichts.
„Lisa hatte einen Unfall. Sie ist von einer Leiter gestürzt und sitzt seither
im Rollstuhl. Ihre Eltern konnten sich nicht ausreichend um sie kümmern,
deshalb lebt sie jetzt in einem Sanatorium. Ich… Lisa hat vor einer Weile
unsere Verlobung gelöst, weil sie keine Belastung für mich sein wollte.“ Ianto zuckte mit den Schultern, schluckte gegen den Kloß in
seinem Hals an. „Sie ist eine unglaublich starke Frau. Sie will mich nicht
mehr, wegen ihrer gelähmten Beine. Sie will keine Last sein. Dabei hätte es mir
nichts ausgemacht, sie zu tragen.“
„Hey. Mensch, Ianto. Das tut mir echt leid.“ Tomos
streckte die Hand aus, rieb seinen Arm. „Das klingt ja echt übel.“
„Es ist kaum ein Jahr nach dem Tod meiner Eltern passiert. Wir wollten das
Trauerjahr abwarten, bevor wir heiraten. Sie hat… mir geholfen, die Vorhänge
abzumessen, sie plante neue zu nähen. Darin war sie echt gut. Irgendwann…“ Er
blinzelte. „Irgendwann wollte sie Kleidung entwerfen und nähen und sie in
London verkaufen.“
„Und dabei ist sie gestürzt, ja?“, fragte Tomos leise.
Ianto nickte. „Es sah lange so aus, als würde sie
nicht überleben. Sie konnte nicht selbstständig atmen. Aber sie hat gekämpft.
Lisa war so unglaublich stark…“ Er brach ab. „Seit sie im Sanatorium lebt, habe
ich sie so oft wie möglich besucht, aber… aber sie hat sich verändert. Ich
schätze, wir haben uns beide verändert und ich wollte es nur nicht sehen.“ Er
senkte den Blick, rieb an einem Fleck in der Tischdecke, der offenbar die
letzte Wäsche überstanden hatte. „Sie hat gesagt, ich solle eine andere Frau
finden, mit ihr eine Familie gründen. Aber ich liebe sie noch immer. Ich kann
sie nicht einfach so vergessen.“
„Das erwartet sie bestimmt nicht von dir, Ianto.“
Tomi legte die Hand über Iantos, stoppte sein
Herauskratzen an dem Fleck, der ohnehin nicht davon verschwand. „Ich meine,
wenn es so einfach wäre, dann müsstest du dich ja fragen, ob sie dir vorher
wirklich so viel bedeutet hat.“
„Rhi denkt, es wäre die richtige Entscheidung.“ Ianto bemerkte plötzlich, dass sie praktisch
Händchenhielten und zog seine Hand weg, verschränkte die Arme vor der Brust.
Schlimm genug, dass Jack ihn dazu gebracht hatte, dass er sich von ihm anfassen
ließ, jetzt fing er das auch noch mit anderen an. Hatte Jack ihn dazu gebracht,
oder war er immer schon so gewesen und hatte es nur nicht gewusst? Es hatte ihn
nie gestört, von Lisa berührt zu werden, oder von Rhiannon.
Auch seine Eltern hatten ihn in den Arm genommen, seine Mutter hatte ihn oft
auf die Wange geküsst oder sein Vater ihm auf den Rücken geklopft. Es war
nie unangenehm gewesen, aber nach Lisas Unfall… er hatte oft das Gefühl, er
verdiene es nicht…
„Ianto? Hey? Bist du noch bei mir?“ Tomi wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum und Ianto lehnte sich abrupt zurück. „Gut, ich dachte schon, du
wärst völlig weggetreten. Ich habe mir hier wirklich einen Moment lang Sorgen
um dich gemacht.“
„Nein.“ Er blinzelte, zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart. „Tut mir leid, Tomi, ich musste gerade an etwas denken.“ Ianto zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. „Ich sollte
langsam an die Arbeit. Genieß dein Frühstück, okay?“ Er stand auf und
durchquerte den Frühstücksraum noch bevor Tomos die Gelegenheit zu einer
Antwort fand.
„Kann ich dir noch Tee nachschenken?“
Tomos wandte den Kopf, als er plötzlich angesprochen wurde. „Rhiannon.“ Er grinste. „Wie geht es dir an diesem
wunderbaren Morgen?“ Er schob ihr auffordernd die Tasse hin.
„Sprich leiser, oder ich weiß nicht, wo der Tee am Ende landet“, warnte ihn Rhi. „Und der ist wirklich sehr heiß.“
„Okay“, flüsterte Tomi. „Ich habe verstanden. Kopfschmerzen, kenne ich.“
„Du bist wirklich noch der gleiche Kindskopf wie früher.“ Rhi
stellte die schwere Kanne ab und setzte sich auf den Platz, auf dem zuvor ihr
Bruder gesessen hatte. Sie rollte die Topflappen zwischen ihren Händen auf.
„Hast du Ianto heute schon gesehen? Eines der Mädchen
meinte, er wäre hier.“
Oh, deshalb bediente sie ihn persönlich. Sie war neugierig. Tomos trank einen
Schluck. „Ja, er war hier. Wir haben uns ein wenig unterhalten.“ Er zögerte
einen Moment. „Er hat mir von Lisa erzählt.“
Rhi seufzte. „Ich schätze, dass das gut ist. Ich
meine, dass er mit jemand darüber spricht. Aber ihr beide wart schon immer
richtig dicke Freunde. Irgendeine Chance, dass du länger hier bleibst?“
Tomos nickte. „Ich habe beschlossen, eine Weile in Cardiff zu bleiben, nachdem
ich meine Tante und den Rest der Verwandtschaft besucht habe. Ich habe noch
drei Wochen Urlaub und nichts anderes zu tun. In London wartet niemand auf
mich, also zwingt mich nichts, zurück zu fahren.“ Er lächelte schief. „Weißt
du, ich wäre nie auf die Idee gekommen, Ianto zu
besuchen. Ich wollte nur einen kurzen Zwischenstopp einlegen, wegen Maddies Hochzeit. Jetzt bin ich richtig froh, dass wir uns
über den Weg gelaufen sind. Ich komme mir fast wieder vor wie mit Fünfzehn.“
„Richtig, du Greis“, spottete Rhi und stand auf.
„Vielleicht ist es gut, wenn Ianto mal auf andere
Gedanken kommt. Ich hoffe, ich sehe dich zum Abendessen. Bis dahin sind
hoffentlich auch meine Kopfschmerzen weg.“ Sie nahm die Kanne mit beiden Händen
und ging weiter, die Tassen der anderen Frühstücksgäste auffüllend.
Tomos widmete sich dem Rest seines Frühstücks, aber seine Gedanken waren mehr
bei Ianto als bei knusprigem Speck und
selbstgemachter Marmelade.
Ende (tbc)