Spocky’s
Story
T’Len
Geschrieben im
Mai 2002
Für den
Bettina-von-Arnim-Wettbewerb der „Brigitte“
Er hielt ängstlich inne. Sein Magen knurrte und
der Duft des Futters wehte verführerisch in seine Nase, doch die Fremden in
dessen Nähe machten ihm Angst. Sie waren noch nie zuvor da gewesen, wenn er
sich im Schutz der einbrechenden Dunkelheit an sein Fressen anschlich. Er hatte
nie gefragt, woher es kam oder wer es für ihn bereit hielt. Um ehrlich zu sein,
er wusste nicht einmal, ob es überhaupt für ihn bestimmt war. Der Zufall und
eine gehörige Portion Hunger hatten ihn vor ein paar Tagen hierher geführt. Er
erinnerte sich genau an das glückliche Miau, dass er ausgestoßen hatte, als
sein Magen endlich etwas Essbares bekam. Seitdem war er jeden Tag gekommen und
hatte zu seiner großen Freude, einen gefüllten Teller vorgefunden. Es war nicht
genug, um wirklich satt zu werden, doch es reichte, um zu verhindern, dass er
verhungerte.
Aber jetzt waren da diese Fremden und sein
Instinkt drängte ihn zur umgehenden Flucht - bevor sie ihn entdecken konnten.
Doch der Hunger trieb ihn weiter vorwärts.
"Ja, wer bist du denn, Kleiner?"
Die Stimme eines der Fremden, ein Weibchen, wie
er erkannte, ließ ihn sofort innehalten. Sein Herz schlug so wild in seiner
Brust, dass er glaubte, sie müsse jeden Augenblick zerspringen. Er kauerte sich
zusammen, so gut es ging, hoffte, sie würde ihn nicht entdecken. Doch hier auf
dem freien Weg hatte er keine Tarnung. Er schallt sich selbst dafür, die
sichere Deckung der Pflanzen aufgegeben zu haben. Und er wusste er sollte
fliehen, doch seine Muskeln schienen wie gelähmt, so dass er sich nicht rührte.
"Hast du Hunger?"
Sie schien nicht verärgert zu klingen. Zumindest
hoffte er das. Seine Erfahrungen mit den Zweibeinern, die sich Menschen
nannten, war gering. Er ließ ein leises Maunzen hören, hoffte, sie würde
verstehen, dass er nichts Böses hatte tun und niemanden bestehlen hatte wollen
- und in so in Ruhe gewähren lassen. Sein knurrender Magen erinnerte ihn allerdings
schmerzhaft daran, dass er nun vor dem erneuten Problem der Nahrungssuche
stand.
"Komm, fress’!"
Instinktiv wich er ein Stück zurück, als eine
dieser komischen Hände, welche die Zweibeiner besaßen, näher kam. Doch zu
seiner Überraschung schon sie nur den Teller in seine Richtung.
"Du brauchst keine Angst haben, ich tue dir
nichts."
Er verharrte reglos, auch als sich die
Menschenfrau wieder etwas von ihm zurückzog. Der verführerische Duft des Essens
stieg in seine Nase und er konnte seinen Hunger kaum noch beherrschen.
Schließlich nahm er allen seinen Mut zusammen und schlich sich an den Teller
heran.
Ein Bissen wurde hastig hinunter geschluckt, ein
zweiter und ein dritter folgten.
"Schling doch nicht so. Niemand nimmt es
dir weg."
Wie aus weiter Ferne drang die Stimme an seine
empfindlichen Ohren. Doch er beachtete sie nicht weiter. Hastig schlang er
einen Happen nach dem anderen hinunter, rechnete fest damit, jeden Moment
vertrieben zu werden. So wollte er wenigstens bis dahin so viel wie möglich
gefressen haben.
Doch zu seiner großen Überraschung geschah
nichts, bis er den Teller leergeputzt hatte. Hastig zog er sich unter die nahen
Büsche in Deckung zurück.
"Willst du noch etwas, Kleiner?"
Er riss seine Augen überrascht auf, als der
Teller erneut gefüllt und noch ein Stückchen weiter in seine Richtung geschoben
wurde. Bot diese Menschenfrau ihm tatsächlich noch mehr zu Essen an? Sein Herz
hüpfte vor Freude auf die Aussicht, endlich einmal satt zu werden. Doch er
wollte besser wachsam bleiben. Vorsichtig, ganz vorsichtig begann er erneut zu
fressen.
///
Die Menschen waren wieder da. Er konnte ihre
Stimmen hören und als er sich ein wenig nach vorn schob - ganz vorsichtig
natürlich - sah er sie auch. in bisschen hatte er gehofft, sie würden wieder da
sein, verhieß ihm das doch mehr als einen Teller voll zu fressen, wie er in den
letzten Tagen gelernt hatte. Doch noch immer fürchtete er, sie würden ihn eines
Tages verjagen.
Vorsichtig, wie immer, schob er sich näher. Sein
Magen knurrte schon wieder gewaltig vor Hunger. Dann entdeckte er es - der
Teller war leer. Er knurrte leise vor Enttäuschung. Aber hätte er nicht damit
rechnen sollen, dass die Gastfreundschaft der Menschen eines Tages enden würde?
Es war so schön gewesen. Mit hängendem Schwanz wollte er sich von dannen
schleichen. Doch dann überlegte er es sich noch einmal. Vielleicht hatten sie
ihn nur unbeabsichtigt vergessen. Er nahm all seinen Mut zusammen und ließ ein
Miau ertönen, um sich bemerkbar zu machen.
"Na, hallo, da bist du ja wieder. Hunger,
ja?"
Sie hatten ihn gehört. Sein Herz raste. Er blieb
zusammengekauert sitzen, als er beobachtete, wie die junge Menschenfrau
verschwand, um kurz darauf mit einer Büchse in der Hand wiederzukommen.
"Mal sehen, ob du das auch magst."
Mit weit aufgerissenen Augen sah er, wie sie den
Teller füllte und in s eine Richtung schob. Sie wollten ihn doch noch. Er
jubilierte innerlich.
"Lass es dir schmecken, Schätzchen."
E zögerte einen Moment, dann schenkte er ihr ein
dankbares Schwanzwedeln, bevor er sich ans Fressen machte.
///
Erschrocken wich er ein Stück zurück, als die
Hand sich ihn näherte.
"Aber du brauchst doch keine Angst vor mir
zu habe. Ich will dich nur streicheln."
Er schalt sich selbst einen Feigling, als er
seinen rasenden Puls spürte. Noch immer schreckte er instinktiv vor de Menschen
zurück, dabei wusste er doch längst, dass sie ihm nichts Böses wollten. Er
hatte aufgehört, die Tage und Wochen zu zähle, die er nun schon regelmäßig
hierher kam.
Er wartete auch längst nicht mehr auf die
Dunkelheit, hatte vielmehr rasch gelernt, dass er um so mehr zu fressen bekam,
wenn er sich bemerkbar mache, wenn die Menschen da waren. Und fand er den
Garten doch einmal verlassen vor, so wartete ein reichlich gefüllter Teller auf
ihn.
Auch Futterkonkurrenten brauchte er nicht zu
fürchten, wie er mittlerweile wusste. Zwar wohnte nebenan eine schwarze Katze,
doch sie beachtete seinen Teller nicht weiter. Und die stacheligen Gesellen,
die manchmal des Nachts etwas von seinem Futter knabberten, waren keine
wirklichen Konkurrenten. Das Futter war eindeutig und allein für ihn bestimmt.
Auch die Zweibeiner konnte er mittlerweile
auseinanderhalten. Es gab ein Männchen und zwei Weibchen, eines davon
offensichtlich jünger. Dieses war es auch, dass sich besonders um ihn bemühte.
Und auch er mochte es wirklich gern.
Er zögerte noch einen Moment, dann kam er
vorsichtig näher. Er zwang sich, stocksteif stehen zu bleiben, als die Hand
sein Fell berührte, auch wenn er innerlich zitterte und alles in ihm zur Flucht
drängte.
Na, ist das so schlimm?
Sanft wurde durch sein Fell gestreichelt, hinter
seinen Ohren gekrault. Und dann schnurrte er, ohne es eigentlich richtig zu
bemerken.
"Was hältst du davon, wenn ich dich Spocky
nenne?"
///
Er schüttelte ärgerlich sein Fell. Es war
unangenehm nass geworden. Überhaupt hatte sich das Wetter in letzter Zeit
verändert. Immer öfter fielen dicke, weiße locken auf sein Fell und
durchnässten es. Und trotz seines dichten Pelzes fror er nun oft.
Auch die Zweibeiner sah er nur noch selten. Zwar
kam das Männchen jeden Morgen und brachte ihm sein Futter. Und bevor die
Dunkelheit einsetzte, was immer eher geschah, kamen die Weibchen. och all die
anderen Menschen in der Nachbarschaft, die ihn so oft Angst eingejagt hatten
mit ihren seltsamen Geräuschen und Gerüchen schienen verschwunden. zwar genoss
er es, ungestört durch sein Revier zu streifen, doch irgendwie fühlte er sich
auch einsam.
Er blieb überrascht stehen. Gerade hatte er sich
über die Reste seines Frühstückes hermachen wollen, als ihm eine merkwürdige
Kiste auffiel, die vorher noch nicht dagestanden hatte. Er beäugte sie
vorsichtig, doch neugierig. Weiches Fell bedeckte im inneren den Boden, lockte
ihn einladend mit einem Versprechen von Wärme und Geborgenheit.
Er zögerte und schnupperte vorsichtig. Wage nahm
er den vertrauten Geruchs einer Menschen war. Schließlich gab er sich einen
Ruck und schlüpfte vorsichtig hinein. E war in der tat viel behaglicher als
draußen. Es wäre eine viel bessere Schlafstätte als die dunkeln Ecken unter
Bäumen und Büschen, wo er sich sonst ausruhte, die aber jetzt ohne Laub kaum
noch Schutz boten.
Er beschloss, wenn die Menschen nichts dagegen
hatten, zukünftig in der Kiste zu wohnen. Er schien hier ein Zuhause gefunden
zu haben. Und zum ersten Mal in seinem noch jungen Leben und seit seine Mutter
ihn viel zu früh verlassen hatte, wusste er wieder, was das bedeutete.
///
Er spitzte die Ohren.
"Spocky!"
Ja, sie rief nach ihm. Er wusste zwar nicht, was
das Wort bedeutete, doch er hatte gelernt, dass es ihm galt. Und so sprang er
aus seinem Versteck auf und eilte ihr
entgegen, wohl wissend, dass es etwas zu Futtern geben würde.
Die Hände kamen in sein Fell. Er schnurrte
zufrieden, fühlte es sich doch ungeheuer gut an. Dankbar wedelte er mit dem
Schwanz.
"Es war doch schön, geliebt zu
werden."
-Ende-