FP: Seelenbrüder
Disclaimer:
Alle hier dargestellten
Figuren gehören Karl May bzw. den Produzenten der Filme, einige stammen jedoch
aus meiner Feder. Die Handlung entspringt einzig und allein meiner Fantasie.
Ich verdiene durch das Schreiben und Veröffentlichen dieser Geschichte im
Internet kein Geld und nutze sie auch sonst nicht für kommerzielle Dinge.
Zusammenfassung:
Knüpft an den Film „Old
Shatterhand“ an. Was, wenn die Beziehung zwischen Winnetou und Tujunga eine
andere gewesen wäre als die zwischen Schüler und Mentor? Was, wenn Old
Shatterhand erst spät davon erfährt? Was, wenn wir etwas erfahren würden über
Winnetous Kindheit?
Rating: ab 18, da Slash enthalten ist
Als wir von Fort Niobara zum Pueblo der Mescaleros zurückritten, wurde immer mehr deutlich, welche Wirkung der Tod Tujungas auf Winnetou hatte. Den wahren Zustand seiner Seele konnte jedoch auch ich, sein Blutsbruder, nicht ermessen. Er verbrachte jede Minute an der Bahre mit dem Leichnam Tujungas, in der Nacht errichtete er sein Lager dicht daneben. Tujungas Gesicht war von der Explosion nicht entstellt worden und so hatte ich Winnetou einmal dabei beobachten können, wie er vorsichtig, ja fast zärtlich darüber strich. Als sich jedoch Sam Hawkins näherte, zog er seine Hand blitzschnell zurück. Ich war in der Nähe verborgen, weil ich einen Auerhahn verfolgte, der sich ins Unterholz geflüchtet hatte. Wäre Winnetou nicht von der Trauer um Tujunga erfasst gewesen, hätte er mich unbedingt entdecken müssen.
Wäre, hätte...
Noch heute, in hohem Alter, mache ich mir Vorwürfe,
auch wenn mir das Herzle gut zuredet. Ich hätte damals die Verfassung Winnetous
besser erkennen müssen. Hatte ich sowenig auf meinen Reisen gelernt, dass ich
meinen Blutsbruder so schlecht eingeschätzt hatte? Winnetou hatte mir nie seine
innersten Geheimnisse verraten, seine Seele geöffnet, aber meistens konnte ich
doch an seiner Mimik ablesen, wenn ihn etwas bedrückte, obwohl er jegliche Gefühlsregung
geradezu panisch zu verbergen versuchte. Warum war er damals nicht eher zu mir
gekommen? Hätten wir nicht gemeinsam den Schmerz überwinden können...?
Ich erinnere mich noch genau an jene Tage. Kaum waren
wir im Pueblo angekommen, als Winnetou vom Pferd stieg, seinen Iltschi einem
seiner Krieger übergab und verschwand. Wir übrigen wurden von einer jungen Frau
empfangen, die uns freundlich begrüßte. Die anderen bewillkommten ihre
zurückgekehrten Männer und standen denen bei, deren Angehörige wir auf Bahren,
entweder tot oder verwundet, mit uns gebracht hatten.
Die junge Frau erstarrte, als ich sie zu Tujungas
Leiche führte. „Wie ist das passiert?“ fragte sie mit stockender Stimme. Ich
erzählte es ihr. Sie veranlasste, dass der Leichnam des jungen Kriegers in
Decken gehüllt und aufgebahrt wurde, um nach einer angemessenen Trauerzeit
begraben zu werden. Danach stiegen wir gemeinsam zum Pueblo hinauf.
Als ich mich zur Wohnung Winnetous wandte, sprach sie
mich an: „Wohin wollt Ihr, Old Shatterhand?“ „Ich möchte nachsehen, ob Winnetou
in seinen Räumen ist. Er war so schnell verschwunden.“ „Lasst ihn bitte
alleine. Tujunga hat ihm sehr viel bedeutet. Wenn er es möchte, wird er euch
ein Zeichen geben, dass er euch zu sehen wünscht,“ bat sie mich. Verwundert sah
ich sie an. „Wer seid ihr und was wisst ihr von Winnetou und Tujunga?“ „Hat
Winnetou euch nichts erzählt?“ „Nein, er hat nie mit mir über ihn gesprochen.
Aber wer seid Ihr? Ich habe Euch hier im Pueblo bei meinem letzten Besuch vor
drei Jahren noch nicht gesehen.“
„Ich stamme aus Mexiko. Ich war mit einer Botschaft
von Juarez auf dem Weg zu Winnetou, als mich Banditen angriffen und
verwundeten. Zum Glück war einer seiner Apatschen in der Nähe und kam mir zu
Hilfe. Er brachte mich hierher und Winnetou pflegte mich gesund. Seitdem lebe
ich hier. Tujunga kam etwas später auf einem ähnlichen Weg zu uns.“
„Was geschah dann?“ „Sagen wir es so… Nach einiger
Zeit wurde Winnetous Stand als Häuptling schwieriger. Er musste immer mehr
gegen einiger seiner Stammesbrüder ankämpfen, wenn es galt, Entscheidungen zu
treffen.“ „Aber warum?“ „Bitte lasst das Fragen, Old Shatterhand. Wenn Winnetou
es für richtig hält, wird er es Euch selber erzählen.“
Mit diesen Worten wandte sie sich um und ging. Ich
starrte ihr hinterher. Was hatte Winnetou mir die ganze Zeit verheimlicht? Ich
hatte zwar bemerkt, dass er seit unserem letzten Beisammensein vor gut drei
Jahren noch ernster und zurückhaltender geworden war, aber den Grund hatte er
mir weder offenbart noch hatte ich ihn irgendwie erahnen können.
Drei Tage später sollte mir alles klar werden...
Winnetou blieb während der ganzen Zeit verschwunden, in
seinen Räumen im Pueblo war er jedoch nicht mehr. Die junge Frau ging am
nächsten Tag kurz hinein, um –auch auf meinen Wunsch hin- nach ihm zu sehen und
ihm etwas zu essen zu bringen. „Wo könnte er sein?“ fragte ich sie. „Ich weiß
es nicht. Als Tujunga noch lebte, verschwanden die beiden öfters zusammen. Aber
Winnetou hatte für diesen Fall immer jemanden bestimmt, der in seiner
Abwesenheit Entscheidungen traf und sich um alles kümmerte.“ „Sehen wir nach,
ob Iltschi noch auf der Weide ist.“ Ich sprach diese Worte, als hätte ich es
geahnt: Auch Iltschi war nicht mehr da. Ich suchte mit meinen Begleitern und
einigen Kriegern die nähere Umgebung des Pueblos nach Spuren ab, doch Winnetou
hatte uns auch diese Möglichkeit, ihn zu finden, genommen. Wir konnten nichts
entdecken, was uns auch nur den kleinsten Hinweis gegeben hätte, in welche
Richtung er geritten war.
Am dritten Tag saß ich unten am Fluss, meine Gedanken hatten
mich in die Vergangenheit geleitet. Ich dachte an jene Tage, als
Intschu-Tschuna und Nscho-Tschi, Winnetous schöne Schwester, noch lebten. Hier
hatten wir gegessen, auf diesen Felsen am Ufer des Rio Pecos und hatten
hoffnungsfroh in die Zukunft geblickt. Doch dann, am Nugget-Tsil war das
Unglück über uns hereingebrochen. Seitdem schien mir Winnetou jedoch nicht mehr
so bedrückt zu sein, trotz seiner Trauer um Vater und Schwester. Als wir uns
vor ein paar Wochen das erste Mal wieder gegenüberstanden, hatte er zwar immer
noch diese stille, innere Fröhlichkeit an sich, war aber auch auf eine Art und
Weise sehr in sich gekehrt und schwermütig geworden...
Auf einmal hörte ich lautes Pferdegetrappel und schreckte
aus meinen Gedanken hoch. Ich sprang auf und lief zum Pueblo. Iltschi!
Schweißüberströmt und mit bebenden Flanken stand er dort auf dem Vorplatz.
Winnetou hatte ihm die Saltillodecke abgenommen und stattdessen durch
geschicktes Verschlingen des Lassos seine Silberbüchse und ein kleines Paket
auf Iltschis Rücken befestigt. Wie er mich bemerkte, lief er auf mich zu und
rieb seinen Kopf an mir. Ich streichelte ihn und flüsterte ihm beruhigende
Worte ins Ohr. Vorsichtig löste ich Winnetous Gewehr und das kleine Paket von
seinem Rücken, um Iltschi anschließend mit einer Decke trockenzureiben. Er
begann zu grasen. Ich setzte mich neben ihm nieder und zog das Paket zu mir
heran. Es bestand aus einer kleinen Decke mit einer Umschnürung, in die etwas
eingewickelt war. Ich nahm mein Messer zu Hilfe und hielt bald mehrere eng
beschriebene Pergamente in einer Lederhülle in der Hand. Ich begann mit größter
Spannung zu lesen:
An meinen Bruder Scharlie. Wenn Du diese Zeilen liest, bin
ich bereits fort. Suche nicht nach mir. Ich bitte Dich. Es wäre sinnlos. Ich
kehre nicht zurück.
Du wirst eine Erklärung haben wollen, warum ich das
Zusammensein mit anderen Menschen nach dem Tod Tujungas nicht mehr ertragen
konnte. Im Pueblo erinnert mich alles an ihn, aber viele meiner Krieger fühlen
nicht mit mir. Sie lehnen ihn um meinetwillen ab. Sie sagen, er hätte auf mich
als Häuptling eines Stammes keinen guten Einfluss. Tujunga und ich waren mehr
als nur Stammesbrüder, wir liebten uns mit jeder Faser unserer Herzen. Wir
waren Geliebte.
Am Anfang wollte ich es nicht wahrhaben, aber Tujunga half
mir über meine Bedenken hinweg und führte mir dadurch den inneren Frieden zu,
der mir so lange versagt war. Es gibt zehn Jahre in meinem Leben, die ich am
liebsten ungeschehen machen würde. Niemand weiß mehr davon, nicht einmal
Klekih-Petra wusste es damals, und die, die es miterlebt haben, sind alle tot.
Tujunga war der einzige, zu dem ich davon gesprochen habe. Ich habe ihm mein
Leben anvertraut und er mir das seinige. Und nun ist er tot.
Ich kann ohne ihn nicht weiter wie bisher. Er gab mir Trost,
wenn ich traurig war und freute sich mit mir, wenn ich fröhlich war.
Gemeinsam errichteten wir uns ein kleines Heim in einer
Höhle des Gebirges. Sie liegt am Südrand der Bergkette im Westen des Gebietes
der Mescaleros. Dorthin zogen wir uns zurück, wenn die Situation es erlaubte.
Einige sahen uns nicht gerne zusammen und so waren wir immer zur Heimlichkeit
gezwungen, solange wir im Pueblo waren. Doch dort waren wir für uns, konnten
uns frei bewegen und miteinander
glücklich sein.
Ich weiß nicht, ob mein Bruder mich vollkommen versteht,
wenn ich sage, dass Tujunga mir einen Teil meiner Kindheit wiedergab. Aber so
war es. Bei ihm konnte ich frei meine Gefühle offenbaren, ohne die Angst,
jemand könnte mich dafür bestrafen. Ich lernte es, wieder laut zu lachen und zu
weinen.
Aber nun will ich meinem Bruder Tujungas und meine
Geschichte von dem Tag an berichten, da Tujunga und ich uns das erste Mal
begegneten: