NEU: Remedies (MASH, PG, angst) 1/1
"Remedies"
von Jimaine
War mal eine Antwort auf irgendeinen 5-Minuten-Challenge. Ich grabe gerade meine
Platte durch (es ist das schlechte Gewissen, weil ich seit über einem Jahr nur
noch auf die Kommandos von Navy-Captains höre und die Army sträflich
vernachlässige.außer für gewisse 'sauterelles' in zu engen Hosen, *g* Daher ist
das Shakespeare-Zitat auch bitte mit Sheffield-Akzent zu lesen...)
Pairing: keines
Fandom: MASH
Zusammenfassung: Ein Blick in den Postsack der 4077th.
Disclaimer: Alles von MASH gehört 20th Century Fox, ich kann und will nichts für
mich beanspruchen und Geld mache ich erst recht keines damit.
"Things without all
remedy should be without regard;
What's done is done."
- Macbeth
***********
Lieber -
Jemand.
Liebe Leser, lieber Verleger.
Die Journalisten, die für die Zeitungen der Welt über den Krieg (die *Polizeiaktion*)
berichten, geben ihm sein Aussehen, die für ihre jeweiligen Nationen sichtbare
Form, aber es sind die Briefe, die ihm Substanz geben. Briefe sind die wahren
Chroniken von drei Jahren Blutvergießen - nicht die Schlagzeilen, nicht die
fröhlichen Töne des "Washington Post", dem gewohnten Auftakt der
Movietone-Nachrichtenfilme. Auf diesen zerknitterten Blättern drängen sich die
Zeilen, hastiges Gekritzel, das mit den Jahren verblassen wird. Anders als die
Erinnerungen...die werden immer zu frisch sein.
Liebe Ma -
Die Briefe sind nicht im besten Stil, doch die einfachen Worte des Schreibers
drücken viel aus und verbergen die häßliche Realität hinter einem Schleier der
Unschuld. Er erzählt von den Leben der Menschen, die ihm etwas bedeuten und die
er bewundert. Durch seine Briefe bezieht er sie in sein Leben ein, gibt ihnen
etwas zurück, von dem er befürchtet, daß sie es vielleicht verloren haben.
Deshalb sind seine Briefe so wichtig, nicht nur für ihn.
Sie bewahren ein Stückchen Unschuld von all jenen, die ihn kennen und mögen, jenen,
die ihn Radar nennen und wie den Bruder behandeln, den sie nie hatten.
Briefe voller Hoffnung und anderen Dingen, die sie nicht verlieren wollen, es
aber nicht verhindern können.
In seinen einfachen Worten fängt der Schreiber ein, was niemand auszusprechen
wagt, nicht weil er glaubt, daß es den Empfänger interessiert, was für Sorgen
völlig fremde Leute haben, sondern weil er fühlt, daß er notwendig ist. Also
tut er es einfach. Er schreibt. Spät in der Nacht, wenn seine Arbeit getan ist
und seine Vorgesetzten und der Rest des Camps schlafen, sitzt er auf seinem
Feldbett und schreibt. Langsam und sorgfältig, und er läßt kein Detail aus.
Nichts ist *zu trivial*. Man könnte sagen, es sei sentimental, auf die Gefühle
anderer Personen aufzupassen, aber er betrachtet es lediglich als zusätzliche
Verwaltungsarbeit. Die sichere Verwahrung von Wertgegenständen. Andere Leute
verschiffen Fahrzeuge zurück in die Heimat, Möbel und andere Luxusgüter - er
dagegen schickt Papierbögen nach Hause, gefüllt mit Gefühlen und Gedanken aus
zweiter Hand. Nur für den Fall, daß jemand in den kommenden Jahren Bedarf
anmeldet.
Als er schließlich heimkehrt an den Ort, an den er seine Briefe schickt, in diese
Oase friedlichen Farmlebens unter einem Himmel, der noch nie von Artilleriefeuer
erleuchtet wurde, ist die Unschuld, die diese Briefe möglich machte,
fadenscheinig geworden, so durchsichtig wie eine Scheibe Buntglas. Die
dominierende Farbe ist immer eine Abwandlung von Rot.
Die Zeit vergeht, doch niemand ruft ihn an, um seinen verlorenen Besitz zurückzufordern.
Sie wissen nicht, wo sie nachschauen oder an wen sie sich wenden sollen. Also
bleiben die Gefühle in Papier gefangen, versteckt in einer Pappschachtel unter
dem Bett des hart arbeitenden Farmers (nicht länger so unschuldig!) und für sie
unerreichbar. Natürlich sind sie sich bewußt, daß ihn *etwas* fehlt...aber sie
können nicht sagen, was genau es ist, das die Alpträume verursacht, die
Angstzustände, das Verhalten, das Leute von ihnen fernhält und Beziehungen
schwierig oder gar unmöglich macht.
Sie wissen nur, daß es in der Hölle Jenseits des Meeres angefangen hat. Korea.
Einige von ihnen finden sich letztendlich damit ab, andere aber nicht. Einige
können mit dem Schmerz leben, andere nicht. Wollen es nicht.
Seine Briefe sind ihre Nachrufe.
Liebe Mildred -
Es gibt Tage, an denen er im Hier und Jetzt lebt und Tage, an denen er die ferne
Vergangenheit bevorzugt. Jene stillen, sonnendurchfluteten Tage auf den Feldern
und im Stall, als der Verlauf der Zeit bestimmt wurde von den Bewegungen des
Pferdes unter ihm. Schritt, Trab, Galopp. Auf dem Pferderücken hat er die
Kontrolle, hält die Zügel in der Hand, und er wirft den Kopf zurück und lacht
laut gen Himmel.
In der Gegenwart fühlt er, wie alles seinem Griff entgleitet; seine Finger sind
zu alt geworden, zu gebrechlich, und er muß die Vergangenheit loslassen und
zurückfallen ins Jetzt.
Blutbespritzte Erinnerungen vermischen sich... Erinnerungen an neun Millionen
Tote, eine ganze Generation, die desillusioniert und ernüchtert nach ihrem
anfänglichen Enthusiasmus auf dem Schlachtfeld namens Europa starb. In einem
Krieg (dem 'Großen Krieg', nur der ersten in einer ganzen Reihe), den niemand
(so werden sie es später behaupten) wirklich gewollt hat.
Die Bilder verschmelzen mit schlaflosen Nächten im Pazifik, als die Hitze und
Anspannung ihn wachhielten. Und dann, fast als Nachsatz...Korea.
Zumindest muß er hier nicht sehen, wie zerfetzte Körper von der zerstörerischen
Wucht der Granaten in die Bäume geschleudert werden, braucht nicht mit noch
größerer Grausamkeit zu rechnen, sobald die Artillerie fertig ist und der Infanterie
das Feld überläßt; hier regnen die Geschosse in nicht-gerade-sicherer
Entfernung vom Himmel und sorgen für die vielen Körper auf dem Tisch vor ihm.
Aber das gegenseitige Abschlachten ist immer noch etwas Alltägliches, der Tod
immer noch eine Gewohnheit. Und Gewohnheiten, seien sie alt oder neu, lassen
sich schwer ablegen.
Liebe Peg -
Für jeden Brief, den er schreibt, bekommt er drei zurück. Die anmutigen Linien
ihrer Feder sind der magische Faden, den sie mit Liebe und Gebeten spinnt, mit Glöckchen,
Buch und Kerze im Licht des Neumondes. Obwohl dieser Faden so fein ist wie
Spinnenseide und nur im Sternenlicht gesehen werden kann, wenn Augen und
Gefühle von Gin benebelt sind, knüpft er sich daraus ein festes Seil, eine
Rettungsleine, die ihn mit einer anderen Realität verbindet, die in dieser
Unrealität nur ein Phantasiegespinst ist.
Hände müssen berühren, den Kontakt haben, und die seinen sind niemals frei. Nur
wenn die Patientenflut nachläßt und vier Personen in blutbeflecktem Weiß ausspuckt,
tauscht er das Skalpell gegen den Stift. Trotz der Gesellschaft steht er
alleine da, durchnäßt und erschöpft und...verloren. Wie ein Überlebender eines
internationalen Schiffsuntergangs.
Kein Tag am Strand, Beej.
Hände (berühren, erforschen, streicheln, greifen, klammern) suchen verzweifelt
nach Halt (an einem Jemand oder Etwas), und obgleich der Inhalt seiner Rechten
variieren kann, läßt er mit der Linken trotzdem niemals die Rettungsleine los.
Captain Truman und sein Steuermann MacArthur haben es nicht geschafft, dem
koreanischen Eisberg auszuweichen und so treibt er auf dem Ozean seiner
Alpträume, am Horizont die unerreichbare Küste; mit jedem Brief, den er
schreibt, jeder rotgefärbten Lüge, die er erzählt (ja, er ist zu einem Experten
geworden, was das Lügen durch Verschweigen betrifft), entfernt er sich weiter
vom Land.
Manchmal taucht er mitten in der Nacht aus jenen eisigen Tiefen auf, nach Luft
ringend und hellwach. Seine Hand sucht und findet den Stift, und wenn der
Morgen graut, hat er vergessen, wie knapp er dem Ertrinken entronnen.
Wenn er ihr schreibt, ist er gleichzeitig Autor und Kritiker, zensiert die Wahrheit
mit jedem Wort. Er filtert den Schmutz heraus, das Blut, die lähmende Angst,
die tragischen Einzelschicksale und zu früh gealterten Gesichter - die
Flüssigkeit, die er ihr einschenkt, ist durch und durch klar. Destillierte
Gefühle, hochprozentige Nichtigkeiten.
Nur vom Besten.
Manchmal hat er keine Zeit zum Schreiben.
Manchmal weiß er nicht, wie er schreiben soll, denn würde er anfangen, würde er
immer weiter schreiben und somit zwangsläufig die Wahrheit sagen.
Der Strom ihrer Briefe reißt nicht ab, sie schickt Kekse und Fotos, greifbare
Stücke von etwas, das er um keinen Preis loslassen will, und aus diesem
magischen Garn spinnt er sich einen Kokon. Eine Hülle, die weder Kugeln noch
Granaten durchdringen können; sie wird ihn vor den Gefühlen anderer Leute
schützen und seine eigenen sicher aufbewahren.
Mit jedem Tag, an dem er die Veränderungen beobachtet, die seine Mitmenschen durchlaufen,
wächst seine Entschlossenheit, diesen Ort lebendig und bei einigermaßen klarem
Verstand zu verlassen. Sie wächst in direkter Proportion zu seiner
Hilflosigkeit beim Anblick seines besten Freundes, dessen Dämonen ihn schon
fast zu ihresgleichen gemacht haben.
Liebe Schwester -
Er kann sich nicht helfen, trotz seiner Versuche, optimistisch zu klingen, schleichen
sich Melancholie und Verzweifelung in seine Briefe.
In gewisser Weise, so muß er zugeben, stellen sie eine Reihe von Beichten dar,
all die Gefühle, die er aus den privaten Unterredungen mit seinem Gott herausläßt.
Warum? Vielleicht weil er das Gefühl hat, daß auch ER nicht ganz die
zermürbende Ernüchterung begreifen kann, die jeden seiner Tage hier wie ein
Krebsgeschwür durchzieht.
Glaube, egal in welcher Form, ist nur ein Werkzeug...und das Leben
ist zu oft das Opfer, das gebracht werden muß.
Er kämpft mit seiner aufgestauten Frustration. Der Verantwortung für die Seelen,
die ihm anvertraut sind.
Wie kann man geben, was man selbst nicht hat?
Wie kann man das bereitstellen, wonach man sich selbst allzu sehr sehnt?
Liebste Honoria -
Er läßt sie wissen, daß Emily Dickinson es schon treffend ausgedrückt hat:
'Because I could not stop for Death/ He kindly stopped for me.'
Selbstverständlich redet er nicht von sich selbst. Es sind immer die anderen,
für die der Tod anhält. Der Sensenmann hat das 4077th schon vor langer Zeit zu
seinem dauerhaften Wohnsitz gemacht. Vielleicht, so kommt ihm ein Gedanke, ist
das vierte Bett im Sumpf deswegen immer frei. Das symbolische Extragedeck am
Tisch für ein verstorbenes Familienmitglied, die unverschickte Einladung an die
Hexe zum Fest anläßlich von Dornröschens Geburt.
Er erzählt ihr, daß er die Musik vermißt. Berichtet ihr durch Concertos und Poesie,
wie er leidet, denn so stolz er auf seine Redegewandtheit ist, er findet keine
eigenen Worte dafür, wie ihn der Verlust an Menschenleben (vor Korea hat er
noch nie Patienten verloren) angreift. Noten, Harmonien und Verse sind seine
Ersatzsprache.
.
Smetanas "Moldau" - von der Quelle bis zum Strom, aus einem Rinnsal
wird eine Flut, genau wie im OP. Erst ist es nur ein gebrochener Arm und plötzlich
dann...
Ravels "Bolero" - ein und dieselbe Melodie, immer und immer wieder, und
mit jeder Wiederholung intensiviert sich der Horror, gewinnt an Schwung, bis
das Crescendo ihn davonfegt.
Mozarts "Requiem" - für diejenigen, die trotz seiner *gepriesenen* überragenden
Fähigkeiten gestorben sind.
Tschaikowskis "Schwanensee", Act II, no. 10, scène moderato – als Beschreibung
des ersten Schimmers der Morgendämmerung hinter den Hügeln, wenn man nach
siebzehn Stunden im OP erschöpft und zerschlagen vor die Tür tritt.
Vivaldis "Vier Jahreszeiten", 'Der Frühling' - um den
Achterbahn-Charakter der Stimmung im Lager zu beschreiben, besonders die
Chamäleons, die er seine Zeltgenossen nennt; zu den unmöglichsten Anlässen
gelingt es ihnen, daß er so etwas wie Sympathie für sie empfindet, fast sogar
mit ihnen fühlt, doch würde er das selbst unter Folter niemals zugeben.
Nur seiner Schwester gegenüber läßt er verlauten, daß sie etwas in ihm ansprechen,
einen langvergessenen Teil seiner Seele, die sich nach dieser Art von
Kameradschaft sehnt, den Anschluß sucht...aber er hat zu große Angst, daß er die
letzten wenigen Überbleibsel des Jungen, der er nie sein durfte, an den Mann
verlieren könnte, zu dem er geworden ist.
Lieber Papa -
Die Lücken zwischen den Worten sind offene Wunden der Stille. Keine sauberen Schnitte
wie von einem Skalpell, nein, das Skalpell ist etwas, mit dem er Leben rettet.
Diese Wunden sind häßlich und tief und verschmutzt, Wunden, die ausgelöschte
Leben hinterlassen haben, und das Blut, das aus ihnen strömt, ist das Blut
anderer. Langsam aber stetig verblutet er in die wachsende Leere in seinem
Inneren hinein, arbeitet mit wütender Energie, die seine Mitmenschen entweder
begeistert oder erschreckt.
Er muß zugeben, daß sein Kummer und sein Zorn durch keine ihm bekannten Worte
geheilt werden können, und auch das Wörterbuch ist da keine Hilfe. Das sind die
Tage, an denen er verzweifelt. Manisch wird.
Unberechenbar. Instabil.
Er bemerkt es auch, doch es entzieht sich seiner Kontrolle. Nachdem er so lange
gekämpft hat, Widerstand geleistet und *durchgehalten* hat, treibt ihn
die rote Strömung davon. Wohin weiß er nicht. Vielleicht wird er an der Küste
eines fernen, fremden Landes enden - aber ein Land, das noch fremder ist als
das, in dem er sich zur Zeit aufhält, kann er sich kaum vorstellen - allein und
überraschenderweise am Leben nach dem großen Sturm (Oh schöne neue Welt, in der
es solche Opfer gibt!), oder vielleicht wird er ertrinken. Durchaus eine
Möglichkeit. Er hat kein rettendes Seil; einst hatte er eines, doch es ist
gerissen/ wurde durchtrennt/ zerrissen/ nach Hause geschickt/ neu eingezogen/
getötet, und vermutlich sollte es ihn beunruhigen, daß es ihn nicht mehr stört.
Die ehemals scharfe Schneide seiner Zunge ist stumpf geworden. Er kämpft gegen
Drachen und ist lediglich mit einem hölzernen
Spielzeugschwert bewaffnet. Sprache ist keine Verteidigung mehr, stellt er fest,
und dieser Moment selbstmörderischer Klarheit ist der K.O.-Schlag, der ihn auf
die Bretter schickt. Hier ist es, daß er aufhört zu schreiben, aus Angst, die
Zeilen könnten rot sein.
Und als das Ende kommt, das Ende ihres ein ums andere Mal verlängerten Aufenthalts
im Fegefeuer, sind die Wunden (nie gab es ausreichend Zeit oder Verbandsmaterial,
um sie zu versorgen, nie gab es ausreichend Zeit für nur irgend etwas...)
bereits septisch, schüttelt ihn das Fieber der Erinnerungen im Träumen wie im
Wachen.
*******
Lieber Gott -
Briefe dieser besonderen Art gehen ungelesen zurück an den Absender.
FINIS