Disclaimer:
Alle hier dargestellten
Figuren gehören Tracy Chevalier sowie den Produzenten des gleichnamigen Films.
Die Handlung entspringt einzig und allein meiner Fantasie. Ich verdiene durch
das Schreiben und Veröffentlichen dieser Geschichte im Internet kein Geld und
nutze sie auch sonst nicht für kommerzielle Dinge.
Zusammenfassung:
Basiert auf dem Film „Das
Mädchen mit dem Perlenohrring“ und schließt sich an das Ende an. Wie geht das
Leben aller nun weiter? Welche Gedanken bewegen die Personen? Was hat sich
verändert? Werden sich Griet und Johannes Vermeer noch einmal gegenüberstehen?
Rating: (bis jetzt noch) ab
12
Ihm war kalt. Bitterkalt.
Draußen tobten die ersten Herbststürme und obwohl er vor dem wärmenden Feuer
saß, fror er.
Er wusste, dass er nichts an
diesem Zustand ändern konnte. Er war innerlich wie leer und doch musste er den
Schein waren. Deshalb saß er hier, hatte den Arm um eines seiner Kinder gelegt
und beobachtete scheinbar die züngelnden Flammen. Auch wenn sein Körper sich in
diesem Raum, in diesem Haus befand, so war er mit seinen Gedanken weit weg. Bei
ihr…
Einen Monat war es her, dass
er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Im stetigen Lauf der Welt eine so kurze
Zeitspanne, für ihn jedoch eine Ewigkeit. Auch wenn er sich nicht körperlich
nach ihr verzehrte, war es dennoch eine tiefe Sehnsucht, die ihn fast
wahnsinnig machte. In dieser Zeit hatte er nur Bilder verkauft, malen konnte er
nicht. Nicht mehr seit….
Es war, als hätte ihm jemand
etwas entrissen. Etwas, das er nach außen hin nicht zum Leben benötigte. Etwas,
was nach außen hin nicht fehlte. Und doch…
Auch sein Auftraggeber war
nicht gekommen; er hatte anderes zu tun, schenkte man den Gerüchten, die auf
dem Markt die Runde machten, Glauben. Ja, sogar auf dem Markt war er gewesen,
in der Hoffnung an einem der Stände ihr Gesicht zu sehen.
Nichts. An jenem Tag hatte
sich eine tiefe Enttäuschung seiner bemächtigt. Warum war er nur hier gefangen?
Warum nicht frei?
An jenem Tag war es ihm
gleich gewesen, was seine Frau und seine Schwiegermutter von ihm denken würden.
Er hatte sich einen dicken Mantel übergeworfen und war durch die ärmlicheren Viertel
der Stadt gestreift. Auf der Suche nach ihr.
Wie einfach und bescheiden
hier alles war. Trotzdem ging von den meisten Menschen eine tiefe Zufriedenheit
aus. Besonders ein altes Ehepaar hatte ihn beeindruckt, als sie ihm
entgegenkamen und gemeinsam einen schweren Bottich mit Wasser trugen. Sie waren
unten am Kanal gewesen und befanden sich nun auf dem Rückweg. Beide lächelten.
Er konnte sehen, dass die beiden fast keine Zähne mehr hatten. Ihre Gesichter
waren voller Falten und wegen der Kälte fest in mehrere Lagen dünnen Stoffes
eingehüllt. Sie strahlten etwas aus, etwas, das er nicht mit all seinen Worten
beschreiben konnte. Es war ihm, als ob er Gott begegnet sei.
Doch auch hier sah er sich
einer neuen Enttäuschung gegenüber gestellt. Nichts. Fragen wollte er nicht, um
ein neues Leben für sie nicht schon von Anfang an zum Scheitern zu verurteilen.
Wenn sie sich zu einem neuen Leben entschlossen hatte.
Als er an jenem Abend nach
Hause gekommen war, hatte es Streit gegeben. Wieder einmal. Die Kinder waren
schon im Bett, aber seine Frau war noch wach und hatte in der guten Stube
gesessen, eingehüllt in einen kostbaren Mantel. Die Situation kam ihm nach
seinem Besuch in der anderen Hälfte der Stadt irreal vor. Seine Frau war ein
Raubvogel, der alles an sich riss und er nur ihr Mittel zum Zweck. Natürlich
war es wieder um Geld gegangen, Geld, das er nur mühsam verdiente. Er, der
wohlhabende Mann, dachte in diesem Moment zurück an das Ehepaar, das er am
Vormittag gesehen hatte.
Wortlos drehte er sich um
und ging in seine Räume. Das Bild stand immer noch auf der Staffelei, die
Farbpalette lag noch auf dem Tisch und dort stand die Kerze, so als ob sie
jeden Moment hereinkommen und er sie wieder malen würde. Dieser Raum barg so
manche glückliche Stunde für ihn und so floh er fast bis unter das Dach,
dorthin, wo sie zuletzt geschlafen hatte. Er sank neben ihrer Schlafstatt zu
Boden, Tränen in den Augen…
Tanneke hatte Mitleid mit
ihrem Meister, wie sie ihn da so sitzen sah, am Kamin. Er hatte den Arm um
seine jüngste Tochter gelegt, die dicht an ihn gekuschelt ihren Mittagsschlaf
hielt.
Das junge Ding, dachte die
Magd, versteht zum Glück noch nichts von dem, was sich hier in den letzten
Wochen abgespielt hat. Eine weniger, um die man sich sorgen muss.
Und sorgen tat sie sich um
Mijnher. Sie verstand zwar nichts von seiner Kunst, Gott bewahre, aber sie
musste, seitdem Griet fortgejagt worden war, wieder alleine für die Familie
kochen und bei Tisch bedienen, so dass sie schon bemerkte, wenn jemand weniger
aß. Und der Herr aß weniger als vor ein paar Wochen. Auch wenn er sich ab und
zu nachts in der Küche etwas holte, wenn er wieder einmal nicht schlafen
konnte. Sie bemerkte es nur, weil morgens manchmal das Brotmesser anders lag
als am Abend vorher. Ansonsten nahm er nur sehr wenig zu sich.
Ein Knistern des Feuers
schreckte sie aus ihren Gedanken. Sie hatte aus Versehen das Holzscheit etwas
zu schnell in die Glut vorgeschoben und eine helle Flamme war emporgeschossen.
Verstohlen sah sie ihren Herrn an. Er schien nichts bemerkt zu haben und
starrte weiter vor sich hin. Das kleine Mädchen drehte sich im Schlaf um und
kuschelte sich noch näher an ihren Vater. Tanneke schalt sich selber für ihre
Unachtsamkeit. Mijnvrouwe hätte bestimmt etwas gesagt, dachte sie.
Ihr Herr war seit einem
Monat nicht mehr er selbst. Er ging seiner Frau und seiner Schwiegermutter aus
dem Weg. Auch malte er nicht mehr, obgleich er sich viele Stunden im Atelier
aufhielt. Sie war einmal auf den ausdrücklichen Befehl Maria Thins hineingegangen,
um nachzusehen, ob alle Fenster im Haus geschlossen waren. Zuerst hatte sie ihn
gar nicht bemerkt, doch als sie sich umdrehte und wieder hinausgehen wollte,
sah sie ihren Meister auf einem Stuhl in der dunkelsten Ecke des Zimmers
sitzen. Er hatte durch sie hindurch gesehen, als wäre sie ein Geist.
Verängstigt ging sie hinaus. Was hatte seine Frau angerichtet?
Dass solche Gedanken ihr,
einer einfachen Magd, nicht zustanden, wusste sie. Dennoch konnte sie es nicht
lassen.
Einen Tag später war er schon
früh am Morgen verschwunden.
Sie war erst seit einigen
Minuten in der Küche, als sie die Haustür zuschlagen hörte.
Der Herr war damals erst am
späten Abend zurückgekommen. Maria Thins war gerade zu Bett gegangen und auch
die Kinder schliefen schon. Nur seine Frau war noch wach geblieben und hatte
auf ihn gewartet. Sie war an jenem Tag bei ihrem Schneider gewesen und hatte
sich ein neues Kleid für den Winter anfertigen lassen. Sie benötigte nun Geld,
um es bezahlen zu können.
Es hatte wieder Streit zwischen
den Eheleuten gegeben, in dessen Verlauf der Meister jedoch kaum etwas gesagt
hatte. Schließlich war er ins Obergeschoß hinaufgestiegen. Seine Frau ging
wenig später auch nach oben.
Tanneke war in der Küche
noch mit dem Scheuern der Töpfe beschäftigt, als sie wenig später ein leises
Geräusch hörte. Zuerst dachte sie, es wären wieder Katzen auf dem Hof.
Catharina Vermeer mochte keine Katzen und so beschloss Tanneke nachzusehen.
Leise öffnete sie die schwere Tür, die auf den Innenhof des Hauses hinausführte
und sah sich einen Augenblick um. Nichts. Sie ging wieder hinein.
Vorsichtig schlich sie die
Treppe hinauf, die ins Obergeschoß führte. Möglicherweise war eines der kleinen
Fenster aufgesprungen, einige der Läden schlossen nicht mehr richtig. Zaghaft
öffnete sie nacheinander die einzelnen Zimmertüren, um die darin Schlafenden
nicht zu wecken. Sie wollte sich nur nicht nachsagen lassen, sie sei
unzuverlässig und unachtsam, sollte etwas anderes der Grund für das Geräusch
sein. Doch sie konnte nichts erkennen. Außer…. Wo war ihr Herr? Er lag nicht an
der Seite seiner Frau und war auch nicht im Zimmer, soweit Tanneke es von ihrem
Platz aus überblicken konnte. Sollte er wieder hinausgegangen sein?
Sie hielt inne und lauschte
erneut, ob sich das Geräusch wiederholen würde.
Plötzlich zuckte sie
zusammen. Sie hatte es wieder gehört, lauter und näher als das erste Mal. Es
kam aus dem Atelier. Sie beschloss nachzusehen.
Leise schlich sie über die
alten Dielen bis sie an dem kleinen Vorraum angekommen war. Zum Glück war
während des letzten Winters ein Tischler hier gewesen und hatte die alte Tür
repariert. Sie hatte bei jedem Öffnen und Schließen ein quietschendes Geräusch
verursacht, das der Herrin während ihrer letzten Schwangerschaft immer
Kopfschmerzen verursacht hatte. So klagte sie jedenfalls, bis ihr Mann einen
Tischler mit der Reparatur beauftragt hatte.
Tanneke legte ihre rechte
Hand auf die Wand dicht neben der Tür, mit ihrer linken umfasste sie den Knauf
und drückte die Türe langsam auf. Ihr Meister schloss sich nicht mehr ein, wie
er es früher zu tun pflegte, bevor diese Sache mit Griet passiert war. Zum
ihrem Glück, wie Tanneke sich jetzt eingestand. Vorsichtig machte sie einen
Schritt nach vorne. Sollte der Meister hier sein, würde er sie nicht sehen
können, da sie noch hinter dem Vorhang stehen geblieben war.
Da! Wieder das Geräusch!
Dieses Mal schien es von oben zu kommen. Aus der Dachkammer. Und es klang wie,
wie… Tanneke musste sich erst über diese Laute klar werden. Es klang als ob,
als ob… als ob ein Kind weinen würde.
Ihre Augen weiteten sich vor
Entsetzen. Ihr Herr weinte bitterlich wie ein Kind…
Die Stimme von Maria Thins
riss Tanneke abrupt aus ihren Gedanken. Rasch erhob sie sich vom Boden vor dem
Kamin und eilte in die Küche.
Maria Thins ging an der
offen stehenden Tür zur guten Stube vorbei. So konnte sie ungehindert
hineinsehen:
Tanneke kniete vor dem Kamin
am Boden um Holz nachzulegen, wie sie es ihr befohlen hatte. Johannes hatte
seit jenem Tag vor ungefähr zwei Wochen nicht mehr im ehelichen Zimmer
geschlafen, sondern oben auf dem Dachboden. Dort, wo Griet zuletzt ihre
Schlafstatt hatte, bevor Catharina darauf bestand, dass die Magd gehen müsse.
Es war recht kalt dort oben
und da es ihr nicht entgangen war, dass ihr Schwiegersohn kaum noch etwas zu
sich nahm, wollte sie wenigstens auf diese Weise zu verhindern suchen, dass
fehlende Wärme den Ausbruch einer Krankheit beschleunigen konnte. Solange er
sich in der guten Stube aufhielt…
In gewisser Weise fühlte sie
sich mitschuldig an dem, was in diesem Haus vorgefallen war. Sie war es
schließlich gewesen, die Van Ruijven damals hierher eingeladen hatte, um
Johannes möglicherweise einen neuen Auftrag zu erteilen. Hätte sie damals
geahnt, dass es so kommen würde, hätte sie wahrscheinlich nicht….
Ihre Tochter hatte sich in
den Jahren seit ihrer Heirat mit Johannes Vermeer verändert. Aus dem einst
fröhlichen Mädchen war eine habgierige und prunksüchtige Frau geworden. Ja, es
stimmte zwar, dass Catharina in ihrer Kindheit und Jugend einen gewissen
Wohlstand kennen gelernt hatte –ihr Vater war schließlich einer der
Gildenmeister der Delfter Maler gewesen und hatte dieses Haus mitten in der
Stadt für seine Familie erworben-, aber sie hatte vor ihrer Heirat den Wert des
Geldes durchaus zu schätzen gewusst.
Schon oft hatte Maria Thins
versucht, ihrer Tochter ins Gewissen zu reden, aber es war zwecklos und so
hatte sie es bald aufgegeben. Vielleicht waren es gerade die vielen Besuche,
die Van Ruijven und andere reiche Delfter Bürger diesem Haus abstatteten, die
Catharina um den Verstand gebracht hatten.
Leider hatten sich einige
ihrer unschönen Wesenszüge auf ihre älteste Enkelin Cornelia übertragen. Maria
Thins war tief enttäuscht, aber vor allem traurig gewesen, als Johannes ihren
Perlmuttkamm bei Cornelia unter der Matratze gefunden hatte. Lieber hätte sie
ihn den Kamm wirklich bei Griet finden sehen. Dann wäre er vielleicht schon
eher von seinem Wahn für dieses Mädchen geheilt worden…
Wäre Johannes nur ein
Kachelmaler unter vielen gewesen und nicht einer der begabtesten Maler von
Delft, wäre es vielleicht nie so weit gekommen.
Catharina hatte sich damals
in ihn verliebt, als er öfters in diesem Haus zu Besuch war. Herr Thins hatte
-wie Johannes heute auch- Bilder anderer Maler an- und wieder verkauft und da
ihr zukünftiger Schwiegersohn einen besonderen Blick für die Qualität der
Bildkompositionen hatte, lud ihn ihr Mann immer dann ein, wenn ihm ein neues
Bild angeboten worden war. Bei diesen Anlässen hatten sich die beiden jungen
Menschen kennen- und liebengelernt.
Eine Bewegung, die Maria
Thins nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, lenkte ihre Gedanken wieder auf das
Hier und Jetzt zurück. Jemand war am Fenster vorbeigegangen. Einen Augenblick
später klopfte es an der Tür. Sie ging hin und öffnete.
„Guten Tag Mijnvrouwe“,
begrüßte sie der junge Mann, der mit einem flachen Paket unter dem Arm vor ihr
stand. „Ich bringe ein neues Bild für Herrn Vermeer.“ „Kommen Sie herein und
warten Sie bitte hier“, erwiderte Maria Thins.
Sie drehte sich um und ging
in die gute Stube zurück, um ihren Schwiegersohn zu holen. Tanneke war noch
immer damit beschäftigt, Holz nachzulegen. Ganz offenbar war sie mit den
Gedanken nicht bei der Sache. „Es reicht, Tanneke. Geh zurück an Deine Arbeit,
“ sagte sie scharf. Dann, etwas weicher: „Johannes, kommst Du bitte? Draußen
steht der Bote von Herrn van Straaten mit einem neuen Bild.“ Sie musste es noch
zweimal wiederholen, bis ihr Schwiegersohn reagierte. Er löste sich von seiner
Tochter und deckte sie sanft mit einer Decke zu. Stumm ging er an ihr vorbei.
Sie hörte ihn draußen mit
dem Boten sprechen. Johannes bat den Mann in ein kleines Zimmer neben dem Flur,
wo er alle Bilder, die dem Händler Vermeer gebracht wurden, ausstellte. Bald
danach hörte sie eine Tür zugehen.
Kapitel 4
Catharina Vermeer stand im Zimmer der Kinder am
Fenster, als ihr Mann das Haus kurz nach dem Boten von Herrn van Straaten
verließ. Sie sah ihm hinterher, wie er die Straße hinunterging. Der eisige
Herbstwind spielte mit seinen Haaren. Er hatte sie immer lang getragen; länger,
als es sich für einen Mann aus gutem Hause schickte. Herr van Ruijven
dagegen...
Sie wandte sich vom Fenster ab. Sie erkannte ihren
Mann nicht wieder. Seit das Mädchen so fluchtartig das Haus verlassen hatte,
zog er sich immer mehr aus ihrer Welt zurück. Sie waren noch weiter voneinander
entfernt als je zuvor.
Hätte sie vorher geahnt, dass diese Griet so einen
Einfluss auf ihren Mann haben würde, hätte sie sie nie in ihren Haushalt
aufgenommen. Für Catharina war es Griet, die ihren Mann in den Bann gezogen
hatte.
Was sie in all den Jahren ihrer Ehe wirklich von
ihrem Mann trennte, hatte sie jedoch nie verstanden. Dafür war sie noch heute,
einen Monat nach jenem schicksalshaften Tag, blind:
Sie hatte nie wahrgenommen, dass sich ihr Mann im
Grunde seines Herzens in diesem Haus einsam fühlte.
Sie hatte nicht verstanden, dass er in Griet auch
eine Seelenverwandte in der Malerei sah. Jemand, der genauso fühlte wie er,
wenn er stundenlang vor einem Gemälde saß, um herauszufinden, wie es noch
schöner, noch vollendeter werden könne.
Keines seiner Kinder zeigte Interesse an seiner Kunst
und auch sie hatte es nie interessiert, wie es oben in seinem Atelier aussah,
wenn er malte. Was für sie zählte, waren einzig und allein die Momente, wenn
wieder ein Bild fertig war und von dem Auftraggeber abgeholt wurde. Dann hatte
sie ihre Freude: Das Haus wurde hergerichtet, sie selber konnte sich feinmachen
und wurde bewundert. Ihr Mann war meistens froh, wenn alles vorbei war und
wieder die gewohnte Ordnung im Haus herrschte. Er machte sich nichts aus dem,
was ihr Freude bereitete. Sie lebten in zwei verschiedenen Welten, die nur
durch den Rest der Familie und des Haushaltes beieinander gehalten wurden...
Durch Griet hatte sich diese Kluft noch verstärkt.
Ihr Mann war während dieser Zeit häufiger im Atelier als sonst irgendwo und
auch als ihre Mutter ihren Perlmutkamm vermisste, wurde es nicht anders.
Es wurde schlimmer: Ihr Mann hatte sich ganz offen
auf die Seite der Magd gestellt und im gesamten Haus das unterste zu oberst
gekehrt. Hätte er nicht den Kamm wirklich bei dem Mädchen finden können? Sie
ahnte nicht, dass es ihrem Mann das Herz noch mehr gebrochen hätte, wäre es so
gewesen.
Wie hatte sie nur so blind sein können? Warum war sie
nicht schon eher dahinter gekommen, dass ihr Mann sich in dieses Mädchen
vernarrt hatte? Warum musste er sie erst mit ihren Ohrringen malen, damit sie
es bemerkte? Wahrscheinlich hatten die beiden dort oben heimlich über sie
gelacht, dass sie ihre Beziehung praktisch unter ihrer Nase führen konnten und
sie nichts bemerkte.
Cornelia hatte von Anfang an recht gehabt: Diese Magd
passte nicht in dieses Haus, sie war eine zuviel. Sie hätte auf ihre Tochter
hören sollen. Nun musste sie sehen, wie sie die Folgen ihrer eigenen Dummheit
so gut wie möglich beseitigen konnte...
Sie stampfte wütend mit ihrem rechten Fuß auf. Das
Beste, um ihren Mann von seinem Wahnsinn zu heilen, wäre wahrscheinlich erst
einmal das zu verbrennen, was diese kleine Hexe mit ihrem Leib berührt hatte.
Ja, für Catharina Vermeer war Griet von nun an die kleine Hexe, die ihren Mann
verzaubert und so um den Verstand gebracht hatte...
Kapitel 5
Griet war verzweifelt. Seit
einem Monat hatte sie kein regelmäßiges Einkommen mehr. Deswegen war sie doch
eigentlich ins Haus der Vermeers gezogen, um ihre Eltern zu unterstützen! Und
was hatte sie daraus gemacht?
Hätte sie sich nicht so sehr
um seine Malerei gekümmert, sondern noch mehr um das, was Maria Thins und ihre
Herrin von ihr verlangt hatten, wäre es wahrscheinlich nie soweit gekommen. Und
doch bereute sie das Vorgefallene keinen Augenblick. Intuitiv hatte sie von
Anfang an gespürt, wie sehr ihr Herr darunter litt, daß er alles mit sich
alleine abmachen musste, daß er keinen hatte, mit dem er über seine Ideen und
Vorstellungen sprechen oder sich beraten konnte. Selbst sein bester Freund van
Leeuwenhoek verstand mehr von Brennpunkten, Krümmungen und Linsen als von der
Malerei, obwohl er ihrem Meister bei seinen Bildkompositionen mit seiner Camera
obscura oft weitergeholfen hatte.
Ihre Eltern machten ihr zwar
keinerlei Vorwürfe, aber Griet fühlte sich selbst schuldig. Schuldig, daß sie
es soweit hatte kommen lassen. Schuldig, daß sie nicht versucht hatte, ihrem
Herrn entgegenzutreten, sich ihm zu widersetzen. Doch tief in ihrem Inneren
wusste sie, daß sie nie und nimmer anders gehandelt hätte, um dieses kostbare
Etwas, das zwischen ihnen entstanden war, nicht zu zerreißen. Und um die Seele
ihres Meisters nicht noch mehr zu verletzen, wie sie sich im Stillen selber
eingestehen musste.
Sie wusste nicht, was ihr
Meister und van Ruijven bei den Sitzungen im Atelier gesprochen hatten, aber
sie fühlte, daß ihr Herr an manchen jener Abende einen Grund gehabt hatte, in
die Taverne zu gehen und erst spät in der Nacht wiederzukommen:
Er wollte vergessen.
Vergessen, was van Ruijven ihm geschildert hatte. Doch er konnte es auch
mithilfe des Alkohols nicht.
Vielleicht hatte sich
deshalb die Situation so zugespitzt, daß es in einer Katastrophe enden musste.
Wenn es nach ihrem Herrn
gegangen wäre, hätte er vermutlich van Ruijven nie wieder einen Fuß in das Haus
an der Oude Langedijk setzen lassen, um sie vor ihm zu schützen. Doch es ging
nicht. Van Ruijven war der Auftraggeber, der am häufigsten ein Bild bestellte.
Maria Thins und ihre Tochter Catharina sorgten schon dafür. Ihr Meister war nur
Mittel zum Zweck.
Es war ja noch nicht einmal
sein Haus, in dem die Familie wohnte, sondern das seiner Schwiegermutter. Außerdem
waren da noch die Kinder: Er liebte sie, jedes einzelne von ihnen, auch
Cornelia. Für sie verdiente er Geld, um ihnen Essen und Kleidung geben zu
können; nicht, um der Prunksucht seiner Frau nachzukommen.
Griet hatte diesen Zwiespalt
nach und nach immer mehr bemerkt, doch anstatt in seiner Frau eine Stütze zu
finden, war er allein und einsam. Sie hatte ihm wenigstens in der Kunst eine
Stütze sein wollen.
Doch was war daraus
entstanden.....