Titel: Naichoryss, Herrin von Altbur
Teil 1 von 2
Autor: Lady Charena
Fandom: Crossover: Die Sage von Kane (Herrin
der Schatten)/Hellsing
Codes: f/f,
R, Naichoryss/Lady Integra Hellsing
Beta: T’Len
Archive: ffp, TOSTwins
Summe: Integra wird in das Schattenreich
der Herrin von Burg Altbur entführt.
Disclaimer:
Naichoryss und die Burg Altbur, sowie Teile der Handlung wurden aus “Die Sage
von Kane – Die Herrscherin der Schattenburg”, geschrieben von Karl Edward
Wagner übernommen. Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten
Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung
unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Rechte zu
verletzen
Wie Eisnadeln traf das
kalte Wasser auf ihre erhitzte Haut, fast qualvoll prickelnd und sie drehte den
Kaltwasserhahn der Dusche noch ein Stück weiter auf. Das weiße Rauschen riss
alles mit sich fort, sogar das Geräusch ihres Atems und das Pulsieren ihres
Herzens. Sie löste sich von allem Belastenden und ließ es das Wasser zusammen
mit der Seife von ihrem Körper abspülen.
Als sie aus der Dusche
trat, fröstelte sie, doch fühlte sie sich erfrischt. Integra steckte ihr
feuchtes Haar hoch und zog sich an. Niemand schenkte ihr besondere Beachtung,
als sie das bescheidene, altmodische Hotel verließ und ihren Wagen vom
Parkplatz holte. Die Ruhe dieses abgeschiedenen Ortes tat ihr gut. Walter hatte
versucht, sie davon zu überzeugen, dass es falsch war, alleine zu reisen, doch
sie hatte sein Ansinnen abgelehnt, sie zu begleiten. Sie musste etwas Abstand
von allem gewinnen, um sich über die Zukunft der Organisation klar zu werden –
und über ihre eigene.
In Gedanken versunken fuhr sie über das weite, flache Land.
Hier gab es keine Ansiedlungen mehr, nicht einmal einzelne Häuser. In der Ferne
erstreckten sich schroffe Berge und dunkle Wälder. Sie bemerkte kaum, wie die
Schatten langsam länger wurden und die Sonne sich senkte. Als sie schließlich
ihre Umgebung wieder bewusst wahrnahm, fand sie sich in einer völlig fremden
Umgebung wieder, ohne zu wissen, wo sie war oder wie sie zurück zum Hotel
finden sollte. Die Straße, auf die sie vor kurzen abgebogen war, endete in
einen kaum befahrbaren, holprigen Trampelpfad, der offenbar in ein Waldgebiet
führte. Integra stoppte den Wagen und wendete ihn. Es wurde nun rasch dunkler
und die Umgebung verschwamm in Schatten.
Sie war vielleicht eine halbe Stunde unterwegs, als etwas
Schemenhaftes dicht vor ihrem Wagen über die Fahrbahn huschte. Dann kam der
Aufprall. Etwas schlug mit voller Wucht gegen den Kühler. Integra verriss das
Lenkrad und der Wagen kam am Straßenrand zum Stehen.
Integra versuchte die Dunkelheit zu durchdringen, doch
außerhalb der Lichtkegel der Scheinwerfer konnte sie nichts sehen. Sie beugte
sich vor, zog ihre Waffe aus dem Seitenfach der Fahrertür und entsicherte sie.
Dann stieg sie aus, die Waffe in der Hand. Die Stoßstange des Leihwagens wies
eine große Beule auf, doch sie konnte nichts entdecken, mit dem sie
zusammengeprallt sein konnte. Integra sah sich um. Das Gelände stieg an, in der
Ferne glaubte sie zwischen der dunklen Masse der Bäume einen Berg ausmachen zu
können. Es schien ihr ungewöhnlich still für eine warme Sommernacht zu sein...
Eine kalte Brise kam plötzlich auf und zerrte an einer
Haarsträhne, die sich gelöst hatte. Integra strich sie ungeduldig zurück und
wandte sich ab, um in den Wagen zu steigen und weiter zu fahren. Doch das Auto
war nicht mehr da. Integra drehte sich einmal im Kreis, in der Annahme, sich in
die falsche Richtung gewandt zu haben. Nichts. Die Lichtkegel der Scheinwerfer
hätte sie sehen müssen, sie hatte sich nicht mehr als einige Schritte vom Wagen
entfernt. Integra umfasste ihre Waffe mit beiden Händen fester und hob sie an
die Wange. Ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf und sie konnte spüren, dass sie
nicht mehr alleine war. „Wer ist da?“, fragte sie laut.
Statt einer Antwort waberten langsam weiße Nebelfinger über
den Boden, umschlangen ihre Beine und stiegen allmählich höher. Die Luft war
plötzlich eiskalt. Der Nebel erreichte inzwischen ihren Kniekehlen. Plötzlich
schien sie von hinten ein Schlag zu treffen. Integra fiel auf die Knie, die
Waffe entglitt ihren tauben Fingern. Dann hüllte der Nebel sie ein.
Als sich nach wenigen Minuten die Nebelbank auflöste, stand
der Wagen mit der offenen Tür alleine am Straßenrand, das Licht der
Scheinwerfer schnitt klägliche Kegel in die alles umfassende Dunkelheit.
* * *
Integra erwachte von einer Sekunde auf die andere und spürte
kalten Steinboden unter sich. Sie rappelte sich auf und tastete nach ihrer
Waffe, doch es war sinnlos – sie war weg. Sie wischte sich den Staub von den
Kleidern und sah sich um. Sie befand sich in einem Raum aus Stein – kahle
Wände, ein staubbedeckter Fußboden, auf dem sich nur ihre Fußspuren zeigten.
Wie war sie hierher gekommen? Wo war sie?
Die Wände waren ohne Fenster und der einzige Ausgang schien
eine große, hölzerne Tür. Integra versuchte sie zu öffnen, doch es gelang ihr
nicht. Frustriert schlug sie mit der flachen Hand dagegen, das Geräusch hallte
in dem großen, leeren Raum wie Donnergrollen wieder. Sie fror, ihr Atem
kondensierte zu einer kleinen Wolke vor ihrem Gesicht, als sie ausatmete. Sie
hatte sich übertölpeln lassen und noch überwog ihre Wut ihre Furcht.
Dann spürte sie, dass sie nicht mehr alleine war und fuhr
herum.
Zwei lächelnde Mädchen, in identische Gewänder aus weichem
Leder - gehalten von Kupferringen - gekleidet, standen vor ihr. Sie öffneten
schweigend die Tür vor ihr und hießen sie eintreten.
Zögernd ging Integra durch die Tür.
* * *
Eine Frau erhob sich von einem Lager aus weichen Pelzen, als
Integra in einen weiteren Raum trat. Hinter ihr fielen schwere Vorhänge über
die Tür. Rote Lippen öffneten sich zu einem geheimnisvollen Lächeln, das ihre
kleinen weißen Zähne schimmernd entblösste. “Ich bin Naichoryss.” Ihre Stimme
war klar und kalt – und weit weg, wie aus einem Traum. “Willkommen auf Burg
Altbur.” Ein langer weißer Arm schob sich aus ihrem weichen, weitfallenden Gewand
und deutete auf den niedrigen Tisch vor ihr. “Bitte, nehmt Platz und erzählt
mir von Euch. Es ist selten genug, dass ich in diesen Tagen einen Gast
empfangen kann.” Ein kaum wahrnehmbarer Wink zu ihren Mädchen und sie kehrte zu
ihrer Liege zurück. Ihre Bewegungen hatten die schweigende Grazie eines
Schattens.
Integra blieb bei der Tür stehen, die Arme vor der Brust
verschränkt. Das Kerzenlicht der schweren Kandelaber zu beiden Seiten des
luxuriös eingerichteten Raumes spiegelte sich in ihren Brillengläsern wieder.
“Weshalb habt Ihr mich hierher gebracht? Wer seid Ihr? Und wo bin ich?”
“Setzt Euch!” Dieses Mal hatte Naichoryss einen befehlenden
Unterton. Auf einen erneuten Wink hin traten die Mädchen neben Integra.
Nach einem Moment des Zögerns gab Integra nach und ließ sich
auf der zweiten Liege nieder, die sich auf der anderen Seite des Tisches
befand. Sie sah zu, wie die Mädchen einen Becher vor sie stellten und mit Wein
füllten – so rot und klar, wie die Rubine, die das Gefäß zierten.
“Ich wäre nicht hier, wenn Ihr nicht wüsstet, wer ich bin”,
sagte sie. „Oder irre ich mich?“
Naichoryss lächelte. Dünne Lippen verzogen sich über dem
roten Wein, dunkle Augen reflektierten das Rubinrot, Welle über Welle langer
schwarzer Locken rahmten ein bleiches, reizvolles Gesicht mit feingeschnittenen
Zügen ein. Eine unheimliche, kalte Schönheit wie ein von Meisterhand aus
Elfenbein und Jade geschnitztes Bildnis. “Ja, ich kenne Euch nun - Integra
Wingates Hellsing.” Ihre Lippen schienen den Namen zu schmecken. “Ein alter
Name, wie mir scheint. Und kein alltäglicher.” Das Licht in ihren Augen bekam
einen spöttischen Schimmer.
Integra beantwortete die amüsante Neugier ihrer Gastgeberin
mit Gleichgültigkeit. Sie schob den Weinbecher zur Seite.
Naichoryss Lachen war eine Symphonie von silbernen Flöten
und Glöckchen. Es klang hell und heiter – und falsch. “Ihr seid wirklich eine
bemerkenswerte Person. So unbeugsam. So tapfer. Ich bin entzückt, dass Ihr den
Weg zu mir gefunden habt.”
“Ich fürchte, ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie
ich hierher gekommen bin...”
Naichoryss schlanke Hand winkte ungeduldig ab. “Ich
versichere Euch, es spielt keine Rolle. Warum entspannt Ihr Euch nicht und
genießt diese Nacht?”
“Genießen?”, wiederholte Integra spöttisch. “Als Gefangene
an einem unbekannten Ort?”
Naichoryss lächelte und lehnte sich zurück.
Die Mädchen trugen ein Tablett mit ausgesuchten
Köstlichkeiten auf und setzten es vor der Herrin von Altbur nieder.
“Trinkt!”, sagte Naichoryss – und Integra hob den Becher zum
Mund. Der Wein war sehr alt und schwer und sie trank vorsichtig einen Schluck.
Kaum hatte das Gefäß den Tisch berührt, stand schon eines der Mädchen bereit,
um ihn wieder bis zum Rand zu füllen. Hitze rann wie eine Woge durch Integra
und sie fragte sich, ob wohl eine heimliche Droge unter den Wein gemischt
worden war. Doch ihre Gastgeberin wurde aus dem selben Krug bedient, obwohl sie
nur sehr wenig aß und trank.
Die Speisen waren ihr fremd, doch gut zubereitet und offenbar
ausgesucht. Dennoch aß Integra erst davon, als Naichoryss es ihr befahl.
Die Mädchen räumten den Tisch bis auf zwei Becher ab und
verließen den Raum.
Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, erhob sich
Naichoryss und winkte Integra, ihr auf den offenen Balkon zu folgen.
Zögernd trat Integra auf die mondbeschienen Steine hinaus
und ihre Bewegungen wurden zunehmend schwer – vielleicht vom Wein, vielleicht
von der Erschöpfung, die sie heimsuchte. Sie fühlte die Schwäche in ihrem
Körper, das heiße Pochen der kaum verheilten Wunde an ihrem Hals und kämpfte
dagegen an.
Naichoryss winkte sie an ihre Seite.
Für einen Augenblick standen sie nebeneinander schweigend an
der Brüstung und blickten über ein Tal, in dem kaltes Mondlicht ein
verlassenes, verfallenes Dorf mit Silber und Schwarz übergoss. Nur ein leichter
Wind wehte und spielte mit Naichoryss schwarzen Locken. Ein Wind, so seltsam
kalt und leer für eine laue Sommernacht.
Mondlicht schimmerte durch Naichoryss rauchiges Gewand und
ließ die unnatürlich weiße Haut darunter aufleuchten.
Integra schauerte. “Mir ist kalt”, sagte sie, als sie
Naichoryss Blick auf sich fühlte.
“Kalt... Ja. Ja, ich kenne diese Kälte. Es ist nicht die
Nacht. Es ist eine viel schrecklichere Kälte, tief in Euch... tief in mir...
die nur etwas wärmen kann...” Das Mondlicht glitzerte auf ihren scharfen,
weißen Zähnen, als sich ihre Lippen weiter öffneten. Der Hunger in ihren Augen
zeigte sich. “Du könntest diese Kälte verlieren, Integra – meine Kälte
wärmen... sie quält mich schon so lange...” Sie griff nach ihr.
Integra versuchte ihr auszuweichen, doch ihre Bewegungen
waren schwerfällig. Abwehrend streckte sie die Hände aus und ihre Finger
streiften Naichoryss bloße Arme. Es war, als berühre sie Eis.
Lachend blieb Naichoryss stehen. “Ah, noch immer so
widerspenstig. Aber nicht so rasch. Dies ist ein Augenblick, der ausgekostet
sein will. Mit einer Ewigkeit gemeinsamer Nächte vor uns kann ich mich in
Geduld fassen.”
“Eher sterbe ich”, sagte Integra. Sie fühlte die kalte
Balkonbrüstung in ihrem Rücken. Sie war nicht hoch. Sie musste sich nur etwas
weiter zurücklehnen, um sich darüber fallen zu lassen. Der Sturz nach unten
würde nicht lange dauern...
Naichoryss schwarze Augen bohrten sich in ihre. “Nein.” Sie
hob die Hand – und einen Moment später saß Integra wieder auf der gleichen
Liege, von der sie sich kurz zuvor erhoben hatte. Ihre Augen verengten sich und
sie ballte die Hände zu Fäusten – auch, um sie am Zittern zu hindern. Wo immer
sie war, wer immer Naichoryss sein mochte... Integra war klar, dass sie auf
sich allein gestellt war. Alucard war nicht in ihrer Nähe. Sie fragte sich, was
das zu bedeuten hatte...
Naichoryss nahm ein Instrument vom Boden auf, das an eine
Leier erinnerte. Spöttisch tänzelte sie einige Schritte vor und zurück. “Ein
Augenblick, ihn auszukosten”, erhob sie ihre heisere Stimme. “Voll auszukosten.
Bis zum letzten schimmernden Tropfen. Soll ich für dich singen, Integra?
Niemand kann meiner Stimme widerstehen.”
“Nein”, sagte Integra. “Ich will gehen.”
Naichoryss lächelte. “Ich glaube, du solltest noch etwas
Wein trinken.” Sie klatschte in die Hände und die Mädchen erschienen mit einem
Krug und zwei frischen Kelchen.
“Nein”, wiederholte Integra, als ein gefüllter Becher vor sie
gestellt wurde. “Ich fordere Euch auf, mich auf der Stelle zu meinem Wagen
zurück zu bringen. Wie auch immer Ihr mich hierher geholt habt.”
Die Mädchen zogen sich in eine Ecke zurück und kauerten dort
nieder, auf den kleinsten Wink ihrer Herrin wartend.
Naichoryss schüttelte sanft tadelnd den Kopf. Fast
gedankenlos glitten ihre Finger über die Seiten der Leier, doch Integra hatte
den Hunger in ihren Augen gesehen und wusste, dass ihre Gleichgültigkeit nur
gespielt war. Sie erinnerte sie an die Gleichgültigkeit einer Katze, die mit
einer gefangenen Maus spielte...
Naichoryss fand einen passenden Ton und summte ihn verloren
im Mondlicht. Und aus dem Mondlicht und aus der Kälte und Einsamkeit der Nacht,
erhob sich ihre Stimme.
“In des Mondes klarem, kaltem Licht tritt vor mich hin,
Und auf meinem steinernen Altar opfere deine Seele.
Fühle meine Hand, fühle meine Haut wie Eis...
Lege deinen Kopf auf meine Brüste, ein Kissen aus weichem
Schnee...
Koste meine Lippen, küsse meinen eisigen Atem.
Schau tief in meine Augen, wo der Nachtfrost wohnt.
Dann lass dich in meine Arme schließen.
Und mein Kuss wird dich lehren,
Der Liebe einzige Erfüllung...
Ist der Tod.”
Mit katzenhafter Anmut legte sie die Leier zur Seite und streckte
sich. “So still, Integra? Wie hat es dir gefallen?”, fragte sie spottend. “Das
Lied ist sehr alt und ich hoffe, es hat dich nicht etwa in den Schlaf gelullt.”
Integra konnte das Zittern, das sie ergriffen hatte,
inzwischen nicht mehr verbergen. Ihre Muskeln waren verkrampft, ihr Geist ein
Delirium wilder Gedanken, in denen einer am meisten hervortrat – Alucard, hilf‘ mir! Doch ihr Beschützer
kam nicht. Eine Furcht erfasste sie, eisig und schmerzhaft, wie noch nie zuvor
in ihrem Leben. Die Szenerie barg die Summe all ihrer Alpträume in sich – nein,
sie war schlimmer, als je ein Alptraum sie heimsuchen könnte. Sie fühlte sich
unter Naichoryss hypnotischem Blick so hilflos wie eine Fliege in einem
Spinnennetz. Ihre Glieder wurden von dem weiblichen Vampir kontrolliert, seit
sie diesen Raum betreten hatte – oder womöglich schon, seit sie in der Burg
erwacht war. Sie versuchte zu beten, doch die Worte wurden von ihr weggerissen,
noch bevor sie gänzlich geformt waren. An diesem verfluchten Ort gab es keine
Gebete. Nur Hass... Integra versuchte mit reiner Willenskraft gegen die Lähmung
anzukämpfen, die von ihren Gliedern Besitz ergriffen hatte. Noch war ihr Geist
ungebrochen.
Naichoryss betrachtete sie und ihr Lächeln verdeutlichte,
dass sie um die Aussichtslosigkeit von Integras Kampf wusste.
Die Türflügel brachen auf und zwischen den sich
aufblähenden, schweren Vorhängen, erschien eine Gestalt. Alucard.
Integra fühlte Erleichterung in sich aufsteigen. Und
plötzlich erlangte sie Herrschaft über ihren Körper zurück. Sie sprang auf und
lief auf Alucard zu - und er bewegte sich nicht, sprach nicht. Integra
versuchte zu stoppen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht mehr, trugen sie
weiter – direkt auf Alucard zu, der nicht auswich. Sekundenlang überlagerten
sich ihre Gestalten, dann prallte Integra nicht etwa von ihm ab, sondern glitt
mit einem Schmerzensschrei durch ihn hindurch, als wäre er nur ein Trugbild.
Sie schlug hart auf dem Boden auf und blieb atemlos liegen. Sekundenlang hatte
sie ein Gefühl erlebt, als wäre sie durch eine Glasscheibe gestürzt. Sie
rappelte sich hoch und nur ihre Kleidung fiel in Fetzen von ihr, ihr Fleisch
war unversehrt. Langsam drehte sie sich um.
Wo Alucard gestanden hatte, befand sich nun die lächelnde
Naichoryss. “Er ist nicht hier”, sagte sie und kam auf Integra zu. “Wer ist er
nur, dass du so verzweifelt nach ihm rufst?” Ihre Augen trübten sich einen
Moment. “Oh, ich verstehe...”, fuhr sie fort. “Aber selbst er kann dir nicht
helfen. Niemand hat Macht über die Herrin von Burg Altbur.”
Benommen sah Integra ihr entgegen. Hinter ihrer Stirn
dröhnte ein Gewitter. “Wer seid Ihr?”, flüsterte sie.
Naichoryss lächelte und legte ihr einen Finger auf den Mund.
Integra stöhnte auf, ihr Körper spannte sich an, als eine
Bilderflut auf sie einströmte. Sie sah die Burg in einer längst vergangenen
Zeit...
Naichoryss als Herrin über ein kleines Volk – schön, jung...
Ein Krieg, der das Land mit Blut und Morden überzog, auch vor diesem
versteckten Winkel nicht Halt machte. Das Dorf, das sie vom Balkon aus gesehen
hatte, zerstört, seine Bewohner niedergemetzelt. Die Truppen nahmen das
Schloss, das ihnen nicht viel an Gegenwehr zu bieten hatte und töteten alle,
die darin lebten...
Alle bis auf Naichoryss. Sie war zu schön, um gleich zu sterben...
In ihrem eigenen Bett musste sie die Gier der Söldner über sich ergehen lassen,
bis endlich einer sie im Rausch erwürgte, als sie ihm ins Gesicht spuckte. Die
Söldner zogen am nächsten Morgen ab.
Doch Hass und Gewalt waren Mächte, die auch nach dem Tod
weiterlebten. Und so kehrte die Herrin von Altbur in ihre gefallene Festung
zurück und die Kraft des Hasses und die Flüche tausender Erschlagener sammelte
sich in ihr, stärker selbst als der Tod.
Und Naichoryss hasste. In den Schatten der Nächte suchte sie
das verwüstete Land heim und wütete unter den Söldnern. Im Licht des Morgens
fanden sich die blutleeren Opfer ihrer unheiligen Rache in Scharen. Die anderen
flohen, so weit sie ihre Beine trugen. Naichoryss Wut kannte keine Grenzen. Sie
wurde der Schrecken des ganzen Landes und vertrieb schließlich alle Menschen.
So blieb sie allein gefangen, die Herrin der Ruinen von Altbur, zwischen deren
Mauern nur noch Ghoule hausten.
Jahrhunderte flogen dahin. Die Urenkel derer, an denen sie
Rache suchte, wurden alt und starben. Der Krieg, der so viel Leid mit sich
gebracht hatte, wurde zu einem halb vergessenen Stück Geschichte, seine
Schrecken und Feldzüge nur noch Lehrstoff der Scholaren. Über die Steine von
Altbur wucherten Moos und Unkraut. Sogar die Ghoule zogen fort, auf der Suche
nach neuen Jagdgründen. Nur Naichoryss blieb allein zurück zwischen den
vergessenen Ruinen, allein mit ihrem Hass. Ihr blieb nichts zu jagen, als die
Tiere des Waldes – und dann und wann ein verirrter Wanderer, der ahnungslos
ihren Weg kreuzte.
Es war einsam Nur die Untoten kennen die ganze Einsamkeit
des Todes ohne die letzte Ruhe des Grabes.
Naichoryss versank in Schatten und Dunkelheit, eingekerkert
in den Mauern, gehalten von ehernen Banden, geschmiedet aus Wahnsinn,
Zerstörung und Blut. Dann hatte Integra den verfluchten Wald betreten. Und
Naichoryss erwachte aus ihrem Schlummer. Ihr Hunger nach frischem Blut war
übermächtig nach Jahrzehnten des Schlafes. Altbur erstand aus dem Staub der
Zeit neu und mit ihr die Herrin der Schattenburg... Und Naichoryss jagte. Die
Zeit war gekommen, eine ganz besondere Beute zu machen. Naichoryss begehrte
mehr als Blut – sie wollte eine Gefährtin.
Naichoryss zog ihren Finger zurück und Integra fiel
bewusstlos zu Boden. Der Vampir lächelte und winkte ihren Dienerinnen, die
Integra vorsichtig aufhoben und in die Schlafkammer im Nebenraum brachten.
* * *
Dort erwachte Intgra. Sie lag in einem Bett, unter einem
Baldachin aus schwerem, dunklen Stoff, der ihr den Blick auf den Raum
versperrte. Sie streckte die Hand aus, um den Vorhang beiseite zu schieben und
konnte es nicht. Kraftlos fiel ihr Arm zurück. Wieder sank sie zurück in einen
unnatürlichen, fiebrigen Schlaf. Schweiß perlte auf ihrer Haut, als sie einen
inneren Kampf um ihren Geist, um ihre Seele focht.
Das silberne Mondlicht, das auf ihr Gesicht fiel, weckte sie
erneut. War es immer noch die gleiche Nacht? Oder hatte inzwischen eine neue
begonnen?
Naichoryss stand neben dem Bett, dessen Vorhänge nun
zurückgeschlagen waren. Ihre dunklen Augen spiegelten ihren Hunger. Dann fuhren
ihre schlanken Finger zum Verschluss ihres Gewandes und die Robe fiel von ihr
ab wie ein Nebelschleier. Ein breites Band des Mondlichtes traf sie in der Dunkelheit
und badete jede Rundung ihrer vollkommenen Schönheit in neuem Zauber.
“Willst du dich hingeben, Integra?”, fragte sie und jeder
Spott war aus ihrer Stimme gewichen.
“Niemals”, flüsterte Integra matt.
“Willst du dich hingeben, Körper und Seele, für alle Nächte
der Ewigkeit?” War da nicht doch ein spöttisches Glitzern in ihren Augen?
“Eher sterbe ich.”
Ein Blitz wilden Triumphes zuckte über Naichoryss Gesicht.
“Wenn du dir den Tod wünschst, werde ich ihn dir geben.”
Integra wandte den Blick nicht von ihr ab, als Naichoryss zu
ihr kam. Wie eine Nebelwand senkte sich der Vampir über sie und Integra konnte
sich nicht wehren, als sich Naichoryss an sie schmiegte, sie in die weichen
Pelze ihres Lagers drückte. Tief ging der Kuss des Vampirs und das unheilige
Feuer von Naichoryss Lippen versengte Integras Mund. Fast bemerkte sie nicht,
wie sich Naichoryss scharfe Fangzähne gierig verschoben. Mit überraschender
Kraft zerrissen ihre Hände das dünne Laken über Integras Brüsten, fetzten jeden
verbliebenen Stoffrest von ihrem nackten Körper. Naichoryss Zähne glitzerten
böse im Mondlicht, als sie einen Moment lang den Kopf hob und sie anblickte,
bevor sich erneut ihr Mund auf Integras senkte. Ihre Nägel hinterließen lange,
tiefe Kratzer auf Integras Brust, ihre kalten Arme zogen sie enger an den
eisigen Körper des Vampirs, zogen sie in eine Vereinigung dunkler Leidenschaft.
Eine unmögliche Mischung aus Feuer und Eis, Ekel und
Begierde brandete in Wellen unsäglicher Lust über sie hinweg.
Und als Naichoryss Zähne endlich in ihre Kehle schlugen, war
es, als würde ein Feuer tief in Integra von Eis umschlossen und erstickt. Sie
stürzte in einen unaussprechlichen Abgrund von Schmerz und Ekstase und ertrank
hilflos in seiner bodenlosen Schwärze...
Ende Teil 1
Einige
Anmerkungen:
àDas Ende von “Order 13:
Hellfire” und damit Integras Einkerkerung wurde für diese Story außer acht
gelassen.
àIntegras Halsverletzung und
ihr geschwächter Zustand beziehen sich auf die Ereignisse in “Order 09: Red
Rose Vertigo”.
à Mit Ghouls sind hier die
Leichenfresser der klassischen Fantasy-Literatur gemeint, nicht die Ghouls, wie
sie in Hellsing zu sehen sind.