Morning
Interruptus
2007
Kategorie: PG-15, m/m-slash, humor
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Summe:
Endlich mal ein gemütlicher Morgen im Bett, doch Melrose und Richard haben die
Rechnung ohne die „lieben“ Freunde und Verwandten gemacht.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Vielen Dank an Lady Charena fürs Beta.
„Hmmm.“ Melrose Plant seufzte wohlig, als die Benommenheit
des Schlafes sich langsam lichtete und er begann, seine unmittelbaren Umgebung
wahrzunehmen.
Starke Arme, die ihn liebevoll umfingen. Der warme Körper
seines Geliebten eng an seinen gepresst. Richards Kopf an seiner Schulter.
Lippen, die zärtlich seinen Hals hinauf zu knabbern begannen. Eine Erektion,
die sich verheißungsvoll an sein Hinterteil schmiegte. Sanft gemurmelte Worte:
„’n Morgen, Love.“
Melrose drehte sich in Richard Jurys Armen um, küsste ihn
zärtlich und murmelte dann: „An dieses Aufwachen könnte ich mich gewöhnen.“
Richard seufzte. „Man müsste öfters Urlaub haben.“
„Man könnte immer Urlaub haben“, erwiderte Melrose. Er
stützte sich auf seine Arme und blickte Richard direkt in die Augen. „Mein Geld
reicht locker für uns zwei. Schade, dass wir nicht heiraten können.“ Er
schürzte nachdenklich die Lippen, zwinkerte dann. „Ich hab’s. Ich könnte dich
adoptieren. Das würde Agatha umbringen.“
„Sie würde wohl eher mich umbringen und niemand wäre da, der
den Fall aufklärt“, erwiderte Jury trocken.
Nicht gewillt, mit Melrose erneut eine Diskussion darüber zu
führen, warum er auf keinen Fall bereit war, seinen Job bei New Scotland Yard
an den Nagel zu hängen und vom Geld der Caverness zu leben, rollte er Melrose
herum, bis dieser auf seinem Rücken lag.
Lippen, die einander erneut suchten und fanden. Küsse, die
von zärtlich zu leidenschaftlich wechselten. Hände, die heißer werdende Körper
erkundeten. Ein Mund, der ihrer Wanderschaft folgte. Schwitzende Leiber, die
ihre Position tauschten, ohne auch nur einen Zentimeter voneinander abzurücken.
Noch mehr Küsse und Berührungen. Zärtlichkeit, Leidenschaft, Liebe und
Begehren. Bald waren die Fragen von Beruf und Urlaub, immerwährendem Müßiggang
und Geld vergessen. Bis...
Ein Klopfen – laut, hartnäckig, nervend, keine Chance
lassend, es zu ignorieren – störte ihre zärtliche Zweisamkeit.
Melrose’ zerzauster Blondschopf tauchte unter der Decke,
worunter er gerade mit einer gewissen, tiefer gelegenen Körperpartie Richards
beschäftigt gewesen war, auf. „Ignorier sie einfach“, flüsterte er seinem
Partner zu.
„Sie?“, wunderte sich Jury.
„Agatha“, lautete die geseufzte Antwort.
Bevor Richard auch nur den Mund öffnen und fragen konnte,
wieso Melrose so sicher war, dass seine Tante und nicht sein Butler sie störte,
ertönte von draußen eine befehlende Stimme, die keinen Zweifel an der
Richtigkeit seiner Annahme ließ.
„Plant, steh auf! Ich muss dir etwas zeigen.“
„Verschwinde, ich schlafe noch!“, rief Melrose zurück.
„Wie kann man nur so faul sein. Nun komm schon“, ertönte vor
der Tür zum Schlafzimmer die Antwort.
“Ich bring sie um“, murmelte Melrose.
“Nicht doch, dann muss ich wieder ermitteln und ich hab’ Urlaub“, erwiderte
Richard. „Ich will keine Leichen mehr sehen. Hab besseres zu tun.“ Er hielt
Melrose fest, küsste ihn sanft, um zu unterstreichen, was er damit meinte.
Agatha hämmerte erneut mit Nachdruck gegen die Tür.
„Mich wundert, dass sie noch nicht vor unserem Bett steht“,
flüsterte Richard leise in Melrose’ Ohr.
“Ich war so vorrausschauend gestern Abend abzuschließen“, erwiderte Melrose.
„Aber ich glaube langsam, das war ein Fehler. Vielleicht hätte der Schock, uns
in flagranti zu erwischen, sie umgebracht und ich hätte endlich meine Ruhe vor
ihr.“
Wohl wissend, dass seine angeheiratete Tante keine Ruhe vor der Tür geben
würde, bis er nicht zumindest mit ihr gesprochen hatte, quälte sich Melrose aus
Jurys Armen und dem Bett – natürlich nur äußerst widerwillig. Ohne die Nähe von
Richards komfortabler Wärme fröstelte es ihm sofort. Er zog seinen Morgenmantel
über und verknotete ihn fest. Dann öffnete er die Tür einen Spalt breit.
„Was willst du, Agatha?“ Er hoffte, seine Stimme machte all
seinen Unmut über die frühe Störung deutlich.
Doch wie immer war Lady Ardry immun oder ignorant oder beides gegenüber den
Stimmungen ihrer Mitmenschen. „Du musst sofort mitkommen, Plant“, sagte sie und
zerrte an Melrose’ Ärmel.
Der wich einen Schritt zurück, stellte aber sicher, dass er
die Tür nicht freigab, so dass Agatha weder ins Zimmer schauen noch herein
stürmen konnte. „Das werde ich bestimmt nicht“, erwiderte Melrose mit
Nachdruck. „Wenn du mich bitte entschuldigen würdest.“
Er wollte die Tür wieder schließen, doch diesmal war es Agatha, die hastig
einen Fuß dazwischen schob. Sie versuchte erneut, ins Zimmer zu spähen,
lauschte dann. „Du... du hast Gesellschaft“, stellte sie fest. Dabei konnte
sich ihre Stimme nicht entscheiden, ob sie mehr Verwunderung über Melrose’
ungewohnte Bettgesellschaft – schließlich galt er als eiserster Junggeselle
weit und breit - oder Empörung über den
illegitimen Zustand der Beziehung zeigen sollte.
Schließlich entschied sie sich für letzteres. „Also zu
meiner Zeit hat man noch geheiratet bevor man... bevor man... Die Jugend heute
hat wirklich keinen Anstand und Moral mehr“, ereiferte sie sich.
Melrose verkniff sich eine Bemerkung, dass er wohl
schwerlich noch zur „heutigen Jugend“ zu zählen war, ganz zu schweigen davon,
dass sein Intimleben sie gar nichts anginge. Stattdessen antwortete er so
liebeswürdig, wie er nur konnte: „Du hast Recht, Tantchen, ich sollte heiraten,
so schnell wie möglich. Damit alles seine liebe Ordnung hat. Ich werde gleich
heute mit dem Pfarrer und dem Bürgermeister einen Termin machen. Und mit meinem
Anwalt wegen dem Testament.“
Agatha reagierte, wie er es erwartet hatte. „So eilig ist es
nun auch wieder nicht mit dem Heiraten. Hab du mal deinen Spaß. Man ist
schließlich nur einmal jung“, sagte sie rasch. Nichts machte ihr mehr Angst als
die Vorstellung, Melrose könnte tatsächlich eines Tages seine Lady Ardry finden
und mit ihr Kinder in die Welt setzen, womit sich ihre Hoffnung aufs nicht unbeträchtliche
Erbe ebenso wie die unberechtigte Nutzung ihres Titels erledigt hätten.
Aus dem Schlafzimmer ertönte ein erstickter Laut, so als
versuche jemand sein Lachen mit einem Kissen zu dämpfen.
Melrose nutzte die günstige Gelegenheit, dass Agatha vor Schreck
einen Schritt zurück gewichen war, warf die Tür zu und drehte den Schlüssel
herum. „Schönen Tag noch, Tantchen“, sagte er.
„Vergiss nicht, vorsichtig zu sein“, rief Agatha von
draußen. „Nicht, dass dir deine Freundin ein Kind andreht, damit du sie
heiraten musst. Manche Leute tun alles, um an Geld und Titel zu kommen.“
Während sich ihre Schritte langsam entfernten, konnte
Richard Jury nicht mehr an sich halten und lachte lautlos los. „Da spricht
jemand wohl aus Erfahrung“, prustete er.
Melrose warf seinen Morgenmantel achtlos auf den Boden,
schlüpfte dann wieder zu seinem Freund unter die Decke.
„Wo waren wir stehen geblieben?“ Er betonte besonders das
Wort „stehen“. Als er wieder unter die Decke schlüpfte, stellte er zu seiner
großen Befriedigung fest, dass da tatsächlich noch etwas stand. Mit Feuereifer
machte er sich erneut ans Werk.
„Vergiss nicht, immer schön zu verhüten. Nicht, dass du mich
noch schwängerst und mich heiraten musst“, sagte Richard Jury später lachend,
als er Melrose eine Tube Gleitcreme reichte.
Ehe dieser antworten konnte, klopfte es erneut an der Tür. „Verschwinde, Agatha
oder ich hetz Mindy auf dich“, rief Melrose, sich wohl bewusst seiend, dass
angesichts des Alters und der Behäbigkeit seiner Hündin dies alles andere als
eine glaubwürdige Drohung war.
“Melrose, Süßer, ich bin’s“, ertönte Marshall Truebloods etwas näselnde
Stimme.
Plant stöhnte gequält auf. Der Antiquitätenhändler war
wenigstens so schwer wieder los zu werden, wie seine Tante – und genauso
hartnäckig, was sein Klopfen betraf.
Er drückte Richard noch rasch einen Kuss auf die Lippen,
dann stand er erneut auf und griff zum Morgenmantel.
„Das musst du sehen“, platzte Trueblood sofort heraus, als
Melrose die Tür ein Stück öffnete.
„Ich bin beschäftigt“, erwiderte Plant und machte Anstalten,
die Tür wieder zu schließen.
Doch Marshall hielt ihn auf. „Da hatte Agatha also doch
recht, du hast wirklich... Besuch.“ Er betonte das letzte Wort so, dass es
eindeutig zweideutig klang. „Und ich dachte, die alte Schachtel will mich
veralbern als sie mir ganz aufgeregt entgegen kam. Wer ist denn die Glückliche,
die du beglückst?“ Nun schwang neben Neugier auch ein Hauch Eifersucht in
seiner Stimme mit. Melrose war sich wohl bewusst, dass Marshall stets ein
gewisses Interesse an ihm als potentiellen Partner gezeigt hatte, wie auch an
Richard – obwohl er nichts von ihrer beider sexuellen Orientierung ahnte. Sie
hatten es ja selbst bis zum Beginn ihrer Beziehung nicht gewusst.
Was würde Marshall wohl sagen, wüsste er, wer da gerade in
Melrose’ Bett auf ihn wartete? Plant hatte nicht vor, es herauszufinden.
Besonders nicht jetzt.
Aber apropos warten... „Ich wüsste nicht, dass dich das
etwas angeht, genauso wenig wie sie“, erwiderte Melrose barsch und schlug die
Tür zu. Er wusste, dass Marshall ihm diese Abfuhr mindestens die nächsten drei
Wochen vorhalten würde. Aber das war ihn in diesem Moment herzlich egal. Er
wollte nur zurück in sein warmes Bett und vor allem in Richards Arme. Außerdem
mit ein paar Drinks im „Jack and Hammer“ ließ sich Marshall garantiert wieder
besänftigen. Zur Not kaufte er ihm halt noch was aus seinem Laden ab,
vorausgesetzt Trueblood wollte überhaupt etwas verkaufen. Von den meisten
seiner Neuerwerbungen konnte er sich nur schwer wieder trennen.
Er drehte sich zu Richard um. „Was hältst du von Frühstück
im Bett und Dinner und Abendbrot auch?“, fragte er. „Ich hänge das
Bitte-nicht-stören-bin-verstorben-Schild raus.“
Vor der Schlafzimmertür waren nun zwei Stimmen zu hören.
Melrose erkannte die eine als die seines Dieners Ruthven, der sich
offensichtlich bemühte, Trueblood hinaus zu komplimentieren.
„Langsam frage ich mich, was der ganze Aufstand soll? Was
wollten sie uns nun eigentlich erzählen?“, wunderte sich Richard.
“Ich kann Marshall ja zurückrufen, wenn du willst. Er wäre sicher entzückt, das
Bett mit uns zu teilen, während er uns mit seinem Wissen erheitert“, erwiderte
Melrose und zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, welche heißen Gerüchte Agatha
und er wieder aufgeschnappt haben und nicht für sich behalten können. Oder
welche ach so wertvolle Antiquität er neu erstanden hat und nun allen zeigen
muss.“
Es klopfte zaghaft an die Tür.
Melrose unterdrückte ein Seufzen und öffnete.
“Es tut mir unendlich leid, Mylord, dass ich Ihre werte Tante und Mr. Trueblood
nicht aufhalten konnte“, sagte ein sichtlich zerknirschter Ruthven. „Bitte
richten Sie meine Entschuldigung auch an Mr. Jury aus.“
„Schon gut, Ruthven“, erwiderte Melrose. „Nicht Ihre Schuld.
Die beiden kann keine Macht der Welt aufhalten. Bitte bringen Sie uns in einer
halben Stunde das Frühstück.“ Er blickte Richard an und überlegte kurz. „Sagen
wir besser in einer Stunde.“ Sie würden schon dafür sorgen, dass ihnen die Zeit
bis dahin nicht zu lang wurde. „Und richten Sie Martha aus, sie soll sich keine
große Mühe wegen dem Diner machen, wahrscheinlich werden wir es auch hier
einnehmen.“
Ruthven nickte. „Sehr wohl, Mylord.“
„Oder bist du schon sehr hungrig“, fragte Melrose, als er
endlich zu Jury ins Bett zurück kletterte.
“Nur auf dich“, erwiderte dieser und rollte sich auf Melrose, nun seinerseits
umfassende Aktivitäten mit Mund und Händen entfaltend.
Um kurz darauf durch Stimmen vor der Schlafzimmertür erneut
unterbrochen zu werden.
Plant seufzte. Warum musste ausgerechnet an diesem Morgen –
einen der raren, den er mal in Ruhe mit seinem Liebsten verbringen konnte –
ganz Long Piddleton - so schien es ihm
zumindest – ihm einen Besuch abstatten wollen.
Die Stimmen wurden lauter, begleitet von einem erneuten
Klopfen an der Tür.
„Jetzt reicht es mir aber!“ Melrose sprang aus dem Bett und
riss die Tür auf.
Er sah sich Ruthven gegenüber, der rasch eine Entschuldigung murmelte, und
Diane Demorney. Als Melrose ihre vor Überraschung geweiteten Augen bewusst
wurden, realisierte er, dass er diesmal ganz vergessen hatte, seinen
Morgenmantel überzuwerfen.
Hastig schlug er die Tür zu. Besser gesagt, wollte es, denn
Diane hatte geistesgegenwärtig einen Fuß dazwischen geschoben. Melrose brachte
sich hinter dem massiven Holz in Sicherheit, so dass sie ihn nicht sehen und er
gleichzeitig verhindern konnte, dass sie die Tür weiter aufstieß.
“Melrose, Darling, das musst du sehen. Und Richard auch.“
Plant schluckte. „Richard, wie kommst du jetzt ausgerechnet
auf Richard?“ Hatte sie ihn in diesem kurzen Augenblick bereits gesehen?
„Ich bitte dich. Darling, verkauf mich nicht für dumm.
Agatha und Marshall mögen so blind und taub sein und glauben, du vergnügst dich
hier mit einer Frau.“
Melrose seufzte innerlich. Es war wirklich erstaunlich, wie
schnell Gerüchte in Long Pidd die Runde machten, vor allem wenn sie seiner
Tante und Marshall in die Hände oder besser losen Mundwerke fielen.
Wahrscheinlich war es bis zum Abend schon verheiratet und Vater von zehn
Kindern. So wie die zwei gern übertrieben.
“Aber unser einer“, fuhr Diane fort und versuchte, die Tür weiter aufzustemmen,
doch Melrose hielt dagegen. „Hat für so was natürlich eine Antenne. Nicht
umsonst bin ich eine Kennerin der Sterne und damit der Menschen.“
Du denkst dir irrsinnige Horoskope für ein billiges
Provinzblatt aus, dachte Melrose, hielt aber seinen Mund. Er musste Diane
allerdings zugestehen, dass sie das Ganze – vorausgesetzt sie hätte mit ihrer
Vermutung Recht, bestätigt hatte er sie schließlich nicht - mit Fassung zu
nehmen schien. Immerhin war sie am Anfang ihrer Bekanntschaft mal hinter ihm
her gewesen. Aber vielleicht lebte sie ja auch nur nach dem Motto: Wenn ich ihn
nicht haben kann, soll ihn auch keine andere Frau haben.
Melrose überlegte, ob er dementieren und Richards
Anwesenheit leugnen sollte.
„Außerdem steht Richards Wagen hinterm Haus“, ergänzte
Diane.
Okay, soweit dazu Richards Besuch geheim zu halten. Aber was
zum Teufel treibst du hinter meinen Haus? Wieder sprach Melrose seine Gedanken
nicht laut aus.
Diane beantwortete sie auch so. „Ich musste mich durch den Hintereingang
schleichen, weil dieser Hausdrachen von Butler mich nicht herein lassen
wollte.“
Melrose beschloss Ruthven später dafür zu loben. Auch wenn
seine Bemühungen letztendlich umsonst gewesen waren.
„Also kommt in die Hufe und zum Dorfplatz“, beendete Diane
ihren Monolog und zog die Tür zu.
Richard kletterte aus dem Bett.
„Du willst doch nicht wirklich gehen?“, wunderte sich
Melrose. Und wieder ging ein Morgen, der so hoffnungsvoll und vielversprechend
begonnen hatte, trostlos zu Ende.
„Erstens“, erwiderte Richard, „Habe ich das ungute Gefühl,
sie lassen uns sowieso nicht eher in Ruhe, als bis sie uns gezeigt haben, worum
auch immer es geht. Und ich habe keine Lust, das ganze Dorf in deinem Bett zu
empfangen. Zweitens, wenn alle so in heller Aufregung wegen diesem Etwas sind,
sollten wir es uns wirklich lieber einmal anschauen. Vielleicht handelt es sich
doch um eine Leiche. Dann bin ich besser vor Ort.“
Melrose seufzte. „Bloß das nicht.“ Dann konnten sie Richards
Urlaub wirklich vergessen. Denn ob es der lokalen Polizei und dem zuständigen
Superintendenten Pratt passen würde oder nicht, Jury würde sich in dem Fall in
die Ermittlungen einschalten. Das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Wenn Richard
etwas hatte, dass er ihm als Schwäche auslegen würde, dann dass er an keiner
Leiche – besonders bei mysteriös anmutenden Todesfällen - vorbeigehen konnte,
ohne sich einzumischen. Für Melrose’ Geschmack war sein Freund manchmal einfach
zu sehr mit seinem Beruf verheiratet.
Obwohl er nicht an höhere Mächte glaubte, betete Melrose auf
dem Weg zum Dorfplatz, dass es sich nicht um einen erneuten Mord in Long Pidd
handelte. Hoffnung hatte er aber eher wenig.
Als sie den Platz erreichten, schien sich die ganze Einwohnerschaft des Ortes
um ihn versammelt zu haben. Diane schenkte ihnen ein vielsagendes und wissendes
Lächeln, während Marshall Melrose zu flüsterte: „Wo ist denn dein Ladyfriend?“
Agatha hingegen beschwerte sich lautstark, dass sie so lange
gebraucht hatten und schließlich sollten sie bezeugen, dass sie und niemand
sonst die Entdeckerin des Ganzen gewesen sei. Was Marshall wiederum lautstark
bestritt. Er habe es zuerst gesehen.
Melrose fragte sich, wie sie irgendetwas bezeugen sollten,
immerhin waren sie erst soeben auf dem Schauplatz des Geschehens aufgetaucht.
Agatha scherte sich natürlich nicht um solche logischen Banalitäten.
„Wo ist die Leiche?“, unterbrach Jury die Tiraden der beiden
Streithähne.
„Welche Leiche?“, erwiderte Marshall verwundert?
„Ihr habt uns nicht wegen einem Toten hergerufen?“ Melrose
erlaubte sich einen Hauch von Hoffnung, wollte sich aber nicht zu früh freuen.
Etwas Außergewöhnliches musste geschehen sein, sonst hätte sich nicht ganz Long
Pidd hier versammelt. Hoffentlich nichts, was die dauernde Aufmerksamkeit eines
Superintendenten vom Yard verlangte.
„Ich finde doch nicht so was banales wie eine Leiche,
Plant“, erwiderte Agatha und startete damit erneut Truebloods Widerspruch.
Mühsam bahnten sich Melrose und Jury ihren Weg durch die
Menge. Im Mittelpunkt angelangt, starrten sie zunächst auf den Gegenstand der
ganzen Aufregung, dann einander an.
„Deshalb habt ihr den ganzen Morgen so ein Theater
gemacht?“, fragte Melrose ungläubig.
Mitten auf dem Dorfplatz stand...
...eine neue Telefonzelle.
Keines dieser alten, roten Häuschen, wie man sie einst
überall im Land sah, sondern eine moderne silbergrau im Licht der Sonne
funkelnde Säule, deren Apparat nur noch durch ein kleines Plastikdach und um
ihn herum reichende Seitenwände geschützt war, während der Telefonierer im
Freien stand. Nur, dass das Telefon noch fehlte, was wohl für die Verwirrung
der Dorfbewohner gesorgt hatte, denen so der Sinn und Zweck des Ganzen nicht
ersichtlich zu sein schien
“Wegen einem öffentlichen Telefon macht ihr so einen Aufstand?“, wandte sich
Melrose an Agatha, Marshall und Diane, die ihnen durch die Menge gefolgt waren.
„Telefon? Bist du blind? Das ist doch kein Telefon“,
ereiferte sich Agatha.
„Ach und was ist es deiner Meinung nach dann, liebes
Tantchen?“, fragte Melrose sarkastisch.
„Das diskutieren wir noch“, antwortete an ihrer Stelle
Trueblood. „Ich sage, es ist eines dieser modernen Kunstwerke, wie man sie in
Amerika überall hat.“
„Und das ist über Nacht hier gewachsen oder was, Herzchen?“,
erwiderte Diane bissig. „Ich sage euch, dass ist ein außerirdisches Raumschiff.
Sie sind gekommen, um uns zu beobachten und zu entführen.“
Hoffentlich nehmen sie als Erste dich, dachte Melrose.
„Quatsch“, warf jetzt Agatha ein. „Habt ihr nicht gehört,
dass jetzt überall Kameras installiert werden sollen, um die Leute zu
überwachen und Verbrechen zu verhindern. Habe ich Recht, Jury?“, wandte sie
sich fragend an Richard.
“In der Londoner U-Bahn und an Bushaltestellen werden Kameras installiert, Lady
Ardry, aber bestimmt nicht hier“, antwortete der Superintendent höflich.
„Siehst du, Richard sagt, ich habe Recht“, legte Marshall
die Antwort zu seinen Gunsten aus und strahlte Jury an. „Schön, dass Sie mal
wieder hier sind, Super. Was verschafft uns die unerwartete Ehre? Der gute
Melrose hat ja gar nicht erzählt, dass er Sie erwartet.“
Natürlich nicht und dir schon gar nicht, dachte Melrose. Er
trat näher zu Richard, als er bemerkte, dass Trueblood Anstalten machte,
seinerseits in Richards Nähe zu kommen.
„Das habe ich nicht gesagt, dass Sie Recht haben“, erwiderte
Jury. Er lächelte Melrose zu.
Die Menge um sie herum erging sich derweil in weiteren
Spekulationen, worum es sich bei dem merkwürdigen Ding, das über Nacht
offensichtlich aus dem Nichts auf dem Dorfplatz materialisiert war, handeln
mochte. Jemand meinte, es sei garantiert einer dieser Transporter, wie man sie
in Fernsehserien sehe. Man trete nur darauf und schon sei man am anderen Ende
der Welt oder noch weiter weg. Ein anderer wollte wissen, aus der Säule würde
beständig Bier fließen, es sei quasi der kleinste Pub der Welt und dazu
womöglich noch kostenlos.
Richard, der Spekulationen und Wortgefechte überdrüssig und
wohl wissend, dass Worte allein die Leute nicht von der Wahrheit überzeugen
würden, trat zur Säule und entfernte eine Schutzfolie, welche das Logo der
Telefongesellschaft verdeckt hatte.
Statt dankbar für die Aufklärung des Mysteriums zu sein,
zeigten sich die Anwesenden allerdings eher enttäuscht. Offensichtlich, so
registrierte Melrose, wäre ihnen der Bierbrunnen oder das außerirdische
Raumschiff lieber gewesen, als eine schnöde, moderne Telefonsäule.
Als Richard wieder an seine Seite trat, wandte sich Melrose
an Agatha, Marshall und Diane. „Ich möchte - und ich betone, dies ist keine
Bitte sondern ein Befehl - die nächsten fünf Tage nicht gestört werden. Sollte
sich jemand von euch auch nur in die Nähe meines Hauses wagen, bringe ich die-
oder denjenigen eigenhändig um.“
„Sie haben es gehört, Super“, ereiferte sich Trueblood. „Wenn
mir jetzt etwas passiert...“
„Ich schließe mich dieser Forderung an“, unterbrach Jury ihn
sofort.
„Aber...“, begann Agatha.
„Das gilt auch und besonders für dich, liebe Tante“, schnitt
Melrose ihr das Wort ab.
Er lächelte Jury an und griff nach dessen Hand. „Komm“,
sagte er. Vielleicht war der Vormittag noch nicht ganz verloren. Er musste sich
jetzt jedenfalls dringend aufwärmen und hatte auch schon ganz konkrete Ideen,
wie ihm gleich wieder heiß werden würde.
Doch nach einem Schritt blieb er stehen. Wenn die Leute
schon über etwas staunen und tratschen wollten, warum ihnen dann nicht einen
wirklich triftigen Grund dafür liefern? Außerdem, dann brauchte Agatha
garantiert ein paar Tage, um sich von dem Schock zu erholen, und Trueblood
würde erst mal seine Enttäuschung pflegen müssen, gute Chancen also, das beide
sie einige Zeit in Ruhe ließen. Zumindest solange bis Richards Urlaub vorbei
war.
Das Funkeln in Richards Augen verriet ihm, dass Jury seine
Gedanken erraten hatte. Mit einem stummen Nicken signalisierte er sein
Einverständnis.
Melrose zog ihn zu sich und küsste ihn. Mitten auf den Mund.
Mitten auf dem Dorfplatz von Long Piddleton stehend. Vor allen Leuten. Vor
Agatha, Trueblood und Diane.
Die folgende Stille wurde nur vom Lachen der beiden Männer
unterbrochen, als sie Hand in Hand heimwärts gingen.
Ende