Titel: how to let go
Teil
1
Autor:
Lady Charena
Fandom: Kung Fu - Im Zeichen des Drachen
Paarung: Peter, Caine
Rating: PG, POV, bisschen Drama
Summe/Hintergrund: Caines sechsmonatige Abwesenheit hat zu einem Bruch zwischen
Vater und Sohn geführt. Nach einer für beide schmerzvollen Konfrontation mit
Peters Ärger und Verlassensängsten scheint sich das Verhältnis zwischen ihnen
wieder zu bessern. Doch dann bereitet sich Caine auf eine Reise vor – und Peter
wird plötzlich und unerklärlich krank...
Episodenhintergrund:
Die erwähnten Chi’Ru sind Anhänger einer Sekte, die ihre Opfer mit einem
Alkaloid vergiften, das heftige Angstzustände und Halluzinationen hervorruft,
so dass diese dann buchstäblich vor Angst sterben. Ein Schriftsteller, der über
diesen Kult gestolpert war und in einem Roman verwendete, wurde von einem
dieser Anhänger verfolgt. Caine gelang es, ihn zu besiegen. Später kehrt der
Chi’Ru in Begleitung seines Meisters zurück, um die Schande seines Versagens zu
tilgen und den Schriftsteller und Caine zu töten. Um Caine, der sechs Monate
zuvor die Stadt verlassen hatte, zurück zu locken, beginnen die beiden Männer
damit, Menschen aus Peters näherer Umgebung zu töten. Diese Bedrohung findet
schließlich in einem Überfall auf Paul Blaisdell einen vorläufigen Höhepunkt.
Caine kehrt gerade noch rechtzeitig, um mit Peters und Lo Sis Unterstützung das
Versteck der Kultanhänger zu finden und Kelly Blake, Peters Freundin, die als
Köder diente, zu befreien.
Diese
Story schließt sich an diese Ereignisse an.
Disclaimer:
Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren
liegen bei den jeweiligen Inhabern (Warner, Michael Sloan). Eine Kennzeichnung
unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese
Inhaberrechte zu verletzen.
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…how do you love
someone
that hurts you oh
so bad
with intentions
good
was all he ever
had.
…but how do I let
go when I've
loved him for so
long and I've
given him all
that I could
maybe love is a hopeless
crime.
…it's so hard to
just let go
when this is the
one and only love I've ever known…
(Alicia
Keys „Goodbye“)
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"You will
never be alone again. I will always be there for you. You will hear the sound
of the flute. You will feel the wind of my hand stopping an attack." --Caine, Return of the Shadow Assassin
I.
Vertraute
Schritte erklingen auf den Stufen der alten Feuerleiter, die auf meinem Balkon
führt und meine Ohren bestätigen nur, was mein Herz bereits weiß – Peter hat
den Weg zu meiner neuen Wohnung gefunden.
Der
Ausdruck von Erleichterung und Freude, gemischt mit einer unterliegenden
Strömung von Sorge, war den ganzen Tag in Peters Gedanken. Mein Bewusstsein
seiner Empfindungen, das während meiner Abwesendheit befremdlich gestört war,
ist sehr zu meiner Erleichterung zurückgekehrt und ich erfreue mich an dem
erneut wachsenden Band zwischen uns. Die Sonne beginnt eben erst sich zu neigen
und ich frage mich, warum Peter es vorzieht, den Abend mit mir, anstelle den
Blaisdells zu verbringen.
Erst
an diesem Morgen war es Paul Blaisdell möglich gewesen, das Krankenhaus nach
dem Überfall des Chi’Ru zu verlassen und mein Sohn hatte sich entschieden, Zeit
mit ihm und seiner... anderen... Familie zu verbringen.
Ich
war ebenfalls dort, wartete vor dem Hospital, um nicht zu stören – doch ich
hatte das Empfinden, in diesem Moment in Peters Nähe sein zu müssen. Es fällt
mir noch immer schwer, mich der Wahrheit meiner Gefühle zu stellen, aber ich
kann auch nicht die beschämende Eifersucht verleugnen, die mich nach wie vor
verfolgt. Ich bin nicht fähig, Paul Blaisdell anzublicken, ohne meinen Verlust
zu sehen. Nicht Ärger zu empfinden über die Jahre, die mir gestohlen wurden,
über die verpassten Freuden und Sorgen, mein einziges Kind zu dem Mann
heranwachsen zu sehen, der er nun ist. Ein unwürdiger Gedanke, um so mehr
aufgrund dessen, was ich darstelle... Und doch. Ich bin nur ein Mann und mein Herz
ist so trügerisch und so leicht zu brechen wie das jedes Menschen.
Ich
habe meinen Sohn seit einigen Tagen nicht gesehen - um genau zu sein, nicht
mehr seit dem Kampf mit dem Chi’Ru-Meister und dessen Schüler. Nachdem ich
Peter und seine Freundin Kelly Blake zu Peters Wohnung begleitet hatte,
verließen Lo Si und ich ihn. So sehr ich es bevorzugt hätte, bei meinem Sohn zu
bleiben, um seinen Kummer und seine Anspannung zu besänftigen, war mir doch
klar, dass ich das junge Paar nur stören würde. Peter hatte sich jetzt um Kelly
zu kümmern, sie über ihre Entführung hinweg zu trösten und ihr zu helfen, mit
den Ereignissen umzugehen, die ihr befremdlich und unwirklich erscheinen
mussten. Später würde Zeit genug sein, mich mit meinem Sohn auszusprechen und
die Distanz, die aus meiner Abwesenheit erwachsen war, zu überbrücken.
Als
wir in der Wohnung meines Meisters ankamen, bot mir Lo Si Tee an und begann,
mich über meine Pläne auszufragen. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass er
bereits eine Unterkunft für mich arrangiert hatte – offenbar davon ausgehend,
dass ich in der Stadt bleiben würde, lange bevor ich diese Entscheidung traf.
So machte ich mich auf dem Weg zu dem mir benannten Gebäude, mir meiner
weiteren Zukunft noch unsicher.
Lo
Si und die Gemeinde versorgten mich mit vielen nötigen – und unnötigen – Dingen
für meine neue Unterkunft, an den Räumen mussten Reparaturen vorgenommen worden
und ich verbrachte viel Zeit damit, Besuche zu machen – und zu empfangen - und
mich für die Geschenke zu bedanken. Und obwohl ich überall mit Freude empfangen
wurde oder Besucher willkommen hieß... die Person, die ich am sehnlichsten
erwartete, kam nicht. Und ich fühlte, dass ich nicht das Recht hatte, Peter
aufzusuchen. Mein Sohn musste aus eigenem Antrieb zu mir kommen – alles andere
würde er als Aufdringlichkeit empfinden. Wie sehr die Situation doch erneut der
glich, als ich ihn in dieser fremden Stadt wiederfand... Wieder war ich
unsicher, wie ich mich ihm nähern sollte, verwirrt über seine Reaktionen. Das
hatte ich nicht erwartet, als ich ein halbes Jahr zuvor von hier wegging, um
mir über meinen weiteren Weg klar zu werden.
Es
war Kelly Blaisdell, nicht Peter, der mich beim Krankenhaus entdeckte und den
anderen meine Anwesenheit mitteilte. Während Peter seinem Pflegevater dabei
half, in den Wagen zu steigen, trat ich zu ihnen. Annie wandte sich mit offener
Freude an mich und lud mich ein, mit der Familie zu Mittag zu essen.
Ich
lehnte ihr freundliches Angebot höflich ab. Und entgegen meiner Erwartung
versuchte auch Peter nicht, mich zum Bleiben zu überreden. Er schien meine
Anwesenheit kaum wahrzunehmen und zum ersten Mal seit meiner Rückkehr wurde mir
deutlich, dass ich ihn verloren haben könnte. Trotz seiner gegenteiligen Worte
im Park hinter dem Krankenhaus, hat er mir nicht verziehen, dass ich ihn...
erneut... verlassen habe.
Ich
hebe den Kopf und beobachte Peter, der auf der anderen Seiten der gläsernen
Balkontüren steht, beide Handflächen flach gegen das Glas gepresst, als wage er
nicht, die Wohnung zu betreten. Er wartet darauf, dass ich zu ihm komme. Und so
stehe ich auf und durchquere den Raum, um seinem Blick durch die gläserne
Barriere zwischen uns zu begegnen. Einem plötzliche Impuls folgend, presse ich
meine Handflächen gegen die Scheibe, bedecke Peters auf der anderen Seite,
stelle mir durch das trennende, kühle Glas die beruhigende Wärme seiner Haut an
meiner vor. Für einen Moment kann ich sie fast fühlen.
Heute
Abend bin ich nicht in der Lage, in seinen braunen Augen zu lesen und am Ende
bin ich es, der als erster den Blickkontakt bricht. Ich ziehe meine Hände
zurück und öffne einen der Türflügel.
“Bin
ich erwünscht?”, fragt Peter und mein Herz setzt einen Schlag lang aus – sowohl
aufgrund der Erschöpfung in seiner Stimme, als auch wegen der Erinnerungen, die
seine Worte wachrufen. Erinnerungen, die uns beide unendlich wertvoll sind.
„Du
musst niemals um Erlaubnis fragen, um diese Wohnung zu betreten, Peter“,
antworte ich leise. „Du weißt, dass alles, was ich besitze auch dir gehört.“
Etwas wie Ungläubigkeit schimmert in seinen Augen auf und instinktiv strecke
ich die Hand nach ihm aus. Doch Peter zuckt vor meiner Berührung zurück und ich
lasse die Hand rasch sinken, neige meinen Kopf um meine Beschämung und meinen
Schmerz gleichermaßen zu verbergen. Habe ich das Recht verloren, mein Kind zu
berühren?
Peter
geht an mir vorbei, tritt in den Raum. Durch die nur angelehnte Tür folgt ihm
die Kühle des Abends und bringt die Kerzen auf dem Altar zum Flackern.
„Nun...
ein bisschen spärlich eingerichtet ist es ab. Aber zumindest scheint alles
daraufhin zu deuten, dass du vorhast, wieder eine Weile zu bleiben“, sagt Peter
und ich kann ein Zusammenzucken nicht verhindern, als ich den bitteren Zynismus
in seinen Worten wahrnehme.
‘Bin
ich für deinen Schmerz verantwortlich?’ Wieder höre ich mich selbst, wie ich
diese Frage im Garten des Krankenhauses stelle. Und anders als damals, erhalte
ich nun eine Antwort – wenn auch nur in meinen Gedanken. ‘Wer sonst...’ Mich
selbst zur Ordnung rufend, wende ich mich meinem Sohn zu, der offenbar auf eine
Erwiderung warte. “Peter…” Doch er lässt mich nicht weitersprechen – was
möglicherweise besser ist, denn ich bin mir nicht sicher, mit welchen Worten
ich büßen, die Wunden gutmachen könnte, die ich ihm zugefügt habe.
“Paul
und Annie sind heute Nachmittag in die Hütte am See gefahren, damit Paul sich
dort erholen kann. Und Kelly besucht noch immer ihre Eltern. Sie... hat sich
noch nicht ganz von der Entführung erholt und hat sich vorerst vom Dienst
beurlauben lassen.“ Peter tritt zu dem ersten der Regale, die einmal meine
Apotheke aufnehmen werden – sollte ich mich dazu entschließen, diesen Teil
meines Lebens weiter zu führen. „Das ist im Moment das Beste für alle. Sich von
mir fern zu halten, meine ich. Kelly ist es langsam satt, mit jemand zusammen
zu sein, der mysteriöse Killer und andere Katastrophen wie ein verdammter
Magnet anzieht.“
„Die
Rückkehr des Chi’Ru war nicht deine Schuld, mein Sohn.“ Der Themenwechsel macht
mich sicherer. „Er benutzte dich nur als einen Köder. Aber er hat Everett
Cooper nicht getötet und wurde erneut von uns besiegt. Ich bin sicher, dass
deine... Freundin... Kelly mit der Zeit Verständnis finden wird, wenn du ihr
erklärst, dass...“
Bitteres
Gelächter schneidet meine Worte an und ich stocke, als mir klar wird, dass
dieses erschreckende Geräusch von Peter kommt.
„Wie
edelmütig“, spottet er. „Spricht da der demütige Shaolinpriester oder mein
Vater?“ Peter dreht sich mir ruckartig zu und ich sehe erstaunt die Wut und den
Schmerz in seinen Augen. „Macht es dich glücklich, wenn du die Schuld für alles
auf dich nehmen kannst?“
“Peter…”
Er
kommt mir sehr nahe. „Sieh der Wahrheit ins Gesicht, Dad.“ Sein Zeigefinger,
der gegen meine Brust stößt, unterstreicht jedes Wort. Eine fast greifbare Woge
an Zorn trifft mich so heftig wie ein Fußtritt in den Bauch. „Es ging niemals
um dich. *Ich* war mit allen Opfern bekannt. Und sie sind nur gestorben, weil
sie *mich* kannten. Kelly wurde in diese Scheiße verwickelte, weil sie *mich*
liebt. Paul wurde fast tot geprügelt – wegen *mir*. Dieser Bastard machte meine
Nächte zur reinsten Hölle, mit Alpträumen von denen ich dachte, sie würden mich
noch in den Wahnsinn treiben. Ich hatte keine Kontrolle über nichts mehr, er
hat mir alles genommen. Er hat... er hat dich fast getötet! Und jetzt kommst du
an und willst mir das letzte nehmen, das ich noch habe – meine Verantwortung
für dass alles...“
Sich
mit den Fingern durch das Haar fahrend, wendet er sich von mir ab und geht auf
die Balkontür zu. Einen Moment lang befürchte ich, dass er vor mir wegrennen
wird – doch er bleibt stehen, lehnt seine Stirn gegen das kalte, glatte Glas.
Vielleicht
zum ersten mal in meinem Leben fehlen mir die Worte. Ja, ich weiß, dass Peter
so ist, wie er ist – er gibt sich immer selbst die Schuld an allem. Ich habe
ihm bereits gesagt, dass er für nichts von dem verantwortlich zu machen ist,
was geschah – doch er schenkt mir keinen Glauben. Vielleicht wird er es, wenn
er sich beruhigt hat.
Zögernd
folge ich ihm, trete nahe zu ihm und – als er keine Anzeichen von Wiederstand
zeigt – lege meine Arme um ihn. Peter bleibt rigide und unnachgiebig in meiner
Umarmung. Ich lehne meinen Kopf gegen seinen Rücken, um seinem Herzschlag zu
lauschen und schließe meine Augen. Meine Gedanken drehen sich wie wild im
Kreis.
Peter
löst sich aus meinen Armen und wendet sich mir zu. Ich öffne meine Augen, doch
er begegnete meinem Blick nicht, als er nach meinen Händen greift und sie nach
unten drückt. „Nein... das funktioniert nicht mehr, Paps“, sagt er. „Nicht
dieses Mal... nicht mehr. Ich bin kein Kind mehr und du kannst meine Alpträume
nicht mehr mit einer Umarmung oder einen Lied vertreiben.“ Mit einem müden
Seufzen bewegt er sich von mir fort und ich fühle eine seltsame Kälte in mir
aufsteigen.
Ich
drehe meinen Kopf nach ihm, folge ihm nur mit den Augen, als er ziellos durch
den Raum schlendert. „Du wirst immer mein Kind sein, Peter.“
„Hör
auf damit, Paps. Vergiss es. Das ist vorbei. Du siehst mich immer noch als den
Zwölfjährigen an, der ich war, als der Tempel zerstört wurde.“ Er lehnt sich
gegen einen Tisch, den ich für meine Apothekerarbeit zu verwenden gedenke und
verschränkt die Arme vor der Brust. „Bist du deswegen wieder weggegangen? Weil
du anstatt des braven, kleinen Jungen mich gefunden hast? Sieh’ es endlich ein.
Er ist tot! Er ist in dieser Nacht im Feuer umgekommen!“
“Nein,
Peter – du bist noch immer wie dieser Junge…”
Peter
unterbricht mich, in dem er die Hand in einer Geste hebt, die er von mir
gelernt hat. „Ich erinnere mich an die Lektion, du musst sie nicht wiederholen.
Das ist nicht der richtige Zeit für dein kleines Märchen über den Persischen
Fehler, spar es dir für einen anderen Narren auf. Es geht um dich und mich,
Paps. Ich bin nicht der Sohn, den du haben wolltest. Ich bin eine Enttäuschung
für dich!“ Er schüttelt den Kopf. „Ich war ja so blind, dass ich das nicht
früher verstanden habe. Du hast es mir gesagt, du bist nur in diese Stadt
gekommen, um Sing Ling zu finden und zu schützen. Um die Ehre unserer Familie wieder
her zu stellen. Unser Wiedersehen war nur ein... ein glücklicher Zufall. Aber
ich dachte wirklich, du würdest dich an mich gewöhnen. Mich wieder lieben –
mich, und nicht das Bild deines kleinen Jungen, das du all die Jahre mit dir
rumgeschleppt hast.”
„D-Du...“
Ich unterbreche mich selbst, zwinge meine Stimme unter Kontrolle. „Du irrst
dich, Peter. Bitte... deine Erschöpfung lässt dich alles so düster sehen. Ich
verstehe jetzt, dass du von mir enttäuscht bist und dass dich meine Abwesenheit
verletzt hat. Aber du musst mir glauben... du bist die wichtigste Person in
meinem Leben. Als man mir sagte, du wärst umgekommen... ich hatte nicht nur
mein Kind in den Flammen verloren... ich hab in dieser Nacht meine Seele
verloren. Dich zu finden, hat sie mir zurückgebracht.“
„Leere
Worte.“ Peter zeigt noch immer keine Reaktion, und das besorgt mich mehr als
seine Wut vor ein paar Minuten. „Du liebst mich nicht“, sagt er leise. „Ich
wünschte, du würdest dir selbst zuhören... Vater... du verstehst überhaupt
nichts. Ich bin nicht, wie du mich haben willst – und du kümmerst dich nicht
darum. Du versuchst mich nur immer in diese nette, kleine Form namens „Peter
Caine“ zu pressen. Du...“ Er stockt.
Jedes
seiner Worte durchdringt mich wie ein Messer, unfehlbar auf mein Herz zielend,
sie reißen mich innerlich in Fetzen. Ich beobachte den Fremden, der das Gesicht
meines Sohnes trägt und... bin hilflos. „Das ist nicht wahr. Ich liebe dich,
Peter.“ Ich wage nicht, zu ihm zu gehen und versuche ihn mit meinen Gedanken zu
erreichen. Doch alles, was ich vorfinde, ist eine massive, schützende Wand, die
er um sich errichtet hat, so kalt und unnachgiebig wie Marmor. Es trifft mich
wie ein Schock, dass die Verbindung, die so zögerlich seit unserer Wiedersehen
gewachsen ist, nicht mehr zu existieren scheint... und dass nicht ich, sondern
Peter die Kontrolle darüber hat. Es wird mir klar... was ich schon viel früher
hätte verstehen müssen... es ist der Grund, warum ich nur manchmal seine
Gedanken und Emotionen so deutlich empfangen konnte, während er zu anderen
Zeiten völlig unerreichbar war.
Ich
ertrage es nicht länger, ihm so fern zu sein und durchquere den Raum, um sein
Gesicht mit beiden Händen zu umschließen. Und dieses Mal weicht er meiner
Berührung nicht aus. Er begegnet meinem Blick, doch noch immer kann ich nicht
in seinen Augen lesen. Langsam ziehe ich ihn näher zu mir und er lässt es zu,
gibt nach, als ich ihn umarme. Erleichterung quillt in mir auf, als er nach
einem Moment des Zögerns den Kopf an meine Schulter legt, seine Arme mich
unsicher umfassen. Mit Knien, weich von dem emotionalen Sturm, der über mich
hinweggefegt ist, ziehe ich ihn mit mir nach unten, bis wir beide auf dem Boden
sitzen. Und er erlaubt mir, ihn zu halten, als sich der aufgestaute Ärger, der
Kummer über Paul und die Verletzungen, die in meiner Verantwortung liegen, in
erschöpften Tränen entladen.
Peter
ist voll von Verwirrung, doch mit der Realität meines Kindes in meinen Armen,
glaube ich daran, dass wir diese erschreckende Entfremdung zwischen uns
überbrücken können. Ich muss einen Weg finden, seine Liebe zurück zu gewinnen –
denn ich weiß nur eines, ohne meinen Sohn kann ich nicht weiterleben.
II.
Heute
Abend ist Peter angespannt und wachsam. Anstatt zu reden, sitzt er wortlos auf
der Plattform und beobachtet jede meiner Bewegungen. Ich bin damit beschäftigt,
die getrockneten Blätter einer Heilpflanze von den nicht zu verwendenden
Stielen zu streifen. Es ist keine besonders schwierige Aufgabe, auch wenn die
zarten Blätter bei mangelnder Sorgfalt leicht zerdrückt werden können.
Ich
halte inne, sehe von den Kräutern auf und lenke meine Aufmerksamkeit erneut auf
mein Kind. Die Heilpflanze erinnert mich an Peter – so widerspenstig, wie sich
die Blätter an ihre Stiele klammern, so hartnäckig klammert sich Peter an
seinen Kummer und seinen Schmerz. Den Versuch, ihn davon zu trennen, ohne die
äußerste Sorgfalt aufzubringen, könnte ihn mühelos zerstören.
Selbst wenn mich sein sonst unablässiges Verlangen zu reden manchmal
ermüdet – heute Abend würde ich seine Worte mit Freude begrüßen und
bereitwillig der Beschreibung seiner aktuellen Fälle oder Erlebnissen mit
seinen Kollegen lauschen. Doch mehr, als dass er mit Annie telefoniert und von
ihr erfahren hatte, dass Pauls Genesung gut voranschritt und sie ihren Urlaub
genießen würden, hat er mir noch nicht mitgeteilt. Sein Schweigen hängt wie
eine dunkle Gewitterwolke über dem Raum. Ich stelle die Kräuter zur Seite und
setze mich neben ihn auf das Podest.
Wir haben noch nicht über die Nacht vor vier Tagen gesprochen, als Peter
letztlich, erschöpft von seinem Ausbruch, in meinen Armen einschlief. Ich hielt
ihn fest, bis er einige Stunden später aufwachte, voll Scham über das, was er
als Schwäche empfand. Er löste sich wortlos von mir, verschwand ins Badezimmer
um die Tränenspuren von seinen Wangen zu waschen und verließ mich dann mitten
in der Nacht, nachdem er mich auf die Stirn geküsst hatte.
Peter weicht meinem Blick aus, statt dessen start er die aufgerollte
Schlafmatte an, die an der Wand lehnt. Bevor er zu mir kam, packte ich meine
Sachen für einen kurzen Ausflug in die Wälder außerhalb der Stadt. „Du... du
hast vor, weg zu gehen, Paps?“
Seine Stimme klingt brüchig und unsicher, dass es mir wehtut. Ich lege
meine Hand über seine, die zu einer Faust geballt ist. „Ich werde nur für zwei
Tage weg sein, Peter. Würdest du das nicht einen... Wochenendtrip nennen?“ Mein
Versuch, seine Stimmung aufzuhellen, scheitert als ich sehe, wie er blass wird.
“Peter?” Alarmiert greife ich nach seinen Schultern, drehe ihn zu mir, damit er
mich ansieht. „Was ist los mit dir, mein Sohn?“
“I-Ich fühle mich nicht so gut, Paps. Ich glaube, ich muss... mir wird
schlecht... ”
Er schüttelte meine Hände ab, springt von der Plattform und verschwindet
ins Badezimmer. Mit wachsender Besorgnis höre ich ihn erbrechen, dann fließt
Wasser. Ein paar Minuten später kehrt er zurück. Ein paar feuchte Haarsträhnen
umrahmen sein bleiches Gesicht. Ich komme ihm entgegen, berühre seine Wangen,
seine Stirn, um zu prüfen, ob er Fieber hat. Seine Haut ist plötzlich
glühendheiß und er zittert. „Komm.“ Ich schelte mich selbst für meine
Achtlosigkeit, nicht früher bemerkt zu haben, dass er krank ist. Seine
unübliche Schweigsamkeit hätte ich alarmieren müssen. Schon als Kind... Ich
helfe ihm die Stufen hoch, entrolle die Futonmatte und bringe ihn dazu, dass er
sich hinlegt. Peter liegt still, als ich ihm Schuhe, Hemd und seine Jeans
ausziehe und in eine Decke wickle. „Versuche ganz ruhig zu sein. Ich werde dir
gleich einen Tee bringen, der deinen Magen beruhigt und das Fieber senkt.“
Peter antwortet mir nicht, er nickt nur und schließt die Augen.
Es dauert nur ein paar Minuten, den heilenden Tee zu bereiten und als ich
zurückkehre, scheint Peter eingeschlafen zu sein. Schweiß perlt auf seiner Stirn
und seinem Oberkörper. Ich hole ein Tuch aus einer Schublade neben der
Plattform und trockne damit sein Gesicht. Peters Lider öffnen sich sofort und
der verängstigte Ausdruck in seinen Augen verwirrt mich. „Versuch dich
aufzusetzen und trink das.“
Peter protestiert nicht, ein sicheres Anzeichen, dass es ihm wirklich nicht
gut geht. Er setzt sich auf und ich ziehe die Decke enger um seine Schultern um
ihn warm zu halten. Peter greift nach der Tasse, die ich neben ihm abgestellt
habe, doch anstelle sie aufzunehmen, stößt er sie über die Kante der Plattform.
Reflexartig fange ich sie, bevor sie auf dem Boden zerschellt und der Tee
ergießt sich über meine Finger. „Peter?“
Er umschließt sein linkes Handgelenk mit den Fingern der Rechten, einen
Ausdruck blanken Erschreckens im Gesicht. „Ich... ich kann mein Finger nicht
mehr spüren, Paps. Meine Hand... sie ist taub, ich kann die Finger nicht
bewegen!“
Seine Linke zwischen meine Hände nehmen, strecke ich seine gekrümmten
Finger aus und versuche den Grund für diese plötzliche Lähmung zu finden. Es
scheint alles in Ordnung zu sein. Die Haut ist unverletzt und zeigt eine
gesunde, normale Farbe. An Knöcheln und Handgelenk zeigen sich keine Wunden.
Ein gezerrter Muskel oder ein überdehntes Band hätte sich lange zuvor bemerkbar
gemacht – und wäre in seinen Bewegungen erkennbar gewesen. Ich lasse seine Hand
los und drücke ihn sanft zurück, bis er nachgibt und sich wieder hinlegt.
„Bitte beruhige dich, Peter. Ich bin sicher, dass es sich nur um eine
zeitweilige... Funktionsstörung... handelt. Vielleicht hast du dir das
Handgelenkt leicht verstaucht, ohne davon Notiz zu nehmen. Es könnte ein Krampf
sein. Die Muskeln in deinem ganzen Arm sind sehr angespannt. Du musst
versuchen, locker zu lassen.“ Für einen Moment verlasse ich seine Seite, um die
Tasse erneut zu füllen und wähle auf dem Rückweg ein Töpfchen mit einer Creme
aus, die entspannend wirkt.
Ich knie hinter ihm und bette seinen Kopf in meinen Schoß. Peter trinkt den
Tee protestlos, als ich die Tasse an seine Lippen halte. Ich beuge mich über
ihn, küsse ihn auf die Stirn und streiche mit den Fingerspitzen über seine
Schläfen, versuche so viel wie möglich von seiner Anspannung und Furcht in mich
aufzunehmen. Für den Augenblick ist er wieder mein kleiner Sohn, krank,
verängstigt... aber voll Vertrauen darauf, dass ich ihn gesund mache... “Du
musst keine Angst haben, Peter. Lass mich deine Hand massieren.” Vorsichtig
löse ich den Klammergriff seiner Finger um sein linkes Handgelenk und beginne
seinen Arm zu massieren. „Versuche dich zu entspannen, Peter.“ Ich beuge mich
tiefer über ihn, um in sein Ohr zu sprechen. „Ich bin da. Ich bin bei dir.“ Ich
streife seine Wange mit meiner, bevor ich mich wieder aufrichte und mit der
Massage fortfahre.
Peter sagt nichts, doch nach einer Weile spüre ich, wie er sich unter
meiner Berührung entspannt. Während ich an den Muskeln seines Armes arbeite,
lausche ich auf seine Atmung, die sich in den langsameren Rhythmus des Schlafes
verflacht. Als ich mit seinem linken Arm fertig bin und damit anfange, seinen
rechten Arm zu massieren, schläft er tief. Voll Wunder betrachte ich dieses
unbegreifliche Rätsel, das in meine Obhut gegeben wurde; mein Sohn, das
verletzliche Kind unter der äußeren Oberfläche des Mannes – und Angst steigt in
mir auf.
* * *
Ich greife über den kleinen Tisch und streiche eine der widerspenstigen
Haarsträhnen aus Peters Stirn zurück. Seine Haut ist kühl und trocken, ohne ein
Anzeichen von Fieber. Für einen Moment hellen sich seine Augen auf, als ich ihn
berühre – dann senkt er den Blick. „Du fühlst dich besser.“
Peter zuckt mit den Schultern. “Yeah, I denke schon.” Er nippt an dem Tee,
den ich ihm angeboten habe, obwohl es offensichtlich ist, dass er seine
übliche... Koffeindosis... vermisst. „Mein Magen ist leer, aber mir ist nicht
mehr übel und auch meine Hand scheint wieder okay zu sein. Was immer du gemacht
hast... es hat funktioniert.“
“Dann erlaubst du mir vielleicht, dich später noch einmal zu massieren?” I
beobachte meinen Sohn sorgfältig, suche nach Anzeichen, dass er sich bedrängt
fühlt. „Heute Abend? Du bist sehr angespannt.“ Es ist alles, was ich ihm geben
kann. Ich weiß nicht, wie ich die Wunden in seiner Seele heilen soll, aber ich
kann ihn beruhigen, ihm zeigen dass er nicht mehr alleine ist. Peter sieht
hastig auf, seine Augen fliegen über mein Gesicht auf der Suche nach... Ich bin
mir nicht sicher, was er von mir braucht... Beruhigung, eine Bestätigung von
was? Das er mir noch immer vertrauen kann? Das ich nicht verschwinden werde,
während er seiner Arbeit nachgeht?
„Aber dein Ausflug?“, fragt er, erneut wegsehend.
„Meine Reise ist nicht von solcher Bedeutung, dass sie nicht auf einen
späteren Zeitpunkt verschoben werden kann, Peter. Deine Gesundheit ist weitaus
wichtiger. Ich befürchte, du hast diesen Aspekt während meiner Abwesenheit
vernachlässigt“, füge ich in einem strengeren Tonfall hinzu.
Ich beobachte, wie er sich auf die Unterlippe beißt. Dann sieht Peter mich
an, den Ausdruck seiner Augen hinter halb gesenkten Wimpern verborgen. „Bist du
dabei, mich zu bemuttern, Paps?“, fragt er und ein noch unsicheres Lächeln
krümmt leicht seine Mundwinkeln. „Bin ich dafür nicht schon zu alt?“
“Wenn es notwendig ist... wird es mir ein Vergnügen sein, dich auch zu...
bemuttern.“ Es fällt mir schwer, meine strenge Miene angesichts Peters nun
offen gezeigten Zuneigung noch aufrecht zu halten.
Ein Grinsen breitet sich über sein Gesicht aus. „Ich bin wirklich froh,
dass du bleibst.“ Schwungvoll steht er auf, umrundet den Tisch und küsst mich
auf die Stirn. „Ich muss los, Paps. Danke, dass ich bei dir übernachten durfte.
Wir sehen uns heute Abend.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, verlässt er meine
Wohnung.
Verwundert lasse ich
ihn gehen. Etwas an seinem Verhalten... etwas ist nicht richtig. Er ist nicht
in Ordnung. Ich spüre etwas, das ich nicht in Worte fassen kann. Plötzlich wird
mir überdeutlich bewusst, wie vorsichtig ich mit meinem rätselhaften,
verletzbaren Kind umgehen muss...
Tbc