Title: Blade Runner
Author: Myra
Fandom: Blade Runner
Rating: NC - 17
Typ/Kategorie: Slash, Romance
Pairings:
D/H
Inhalt: Ein Privatdetektiv
will sein Leben zurück.
Disclaimer:
Warner Bros.
Beta: T´Len,
REV
Anm.:
Es gibt auf DVD eine rausgeschnittene Szene in der Deckard seinen verletzten
Kollegen Holden im Krankenhaus besucht.
Voight-Kampff-Test
„Was würden
Sie tun, wenn Ihnen versehentlich eine kleine Ratte zuläuft? Würden Sie
versuchen, das Tier einzufangen, oder würden Sie es sofort töten?“
Immer
dieselben idiotischen Fragen, fluchte Deckard leise in sich hinein.
Er
arbeitete in dem futuristischen Los Angeles als Detektiv, aber in Wirklichkeit bestimmte
die übermächtige Tyrell Company sein Leben. Einmal im Monat musste er sich hier
einfinden und einen Parcours von physischen und psychischen Tests durchlaufen.
Dabei ging es um seine Lizenz. Sagten sie jedenfalls.
Als er
antwortete, sah sein Gesicht so leer und unschuldig aus wie immer.
„Natürlich würde
ich alle Anstrengungen auf mich nehmen, um es unbeschadet einzufangen und es
danach bei den entsprechenden Stellen abliefern.“
Falls der
Nager sich nicht für viel Geld in der China Town versilbern lassen würde,
vollendete er den Satz insgeheim. Echte, lebende Tiere lebten nur noch extrem
selten auf dieser inzwischen total verseuchten Welt. Die Reichen in ihren
pyramiden-, oder besser gesagt festungsartigen Hochhäusern, umgaben sich gern
mit allem möglichen Tierzeugs und blätterten fast jede Summe für diese Dekadenz
hin.
„Gut,
nächste Frage.“
Holden
beugte sich erneut vor das Tischgerät. Der Voight-Kampff-Test galt als einzig
sicherer Beweis, um zu erkennen, ob es sich um einen Menschen oder einen
menschlichen Androiden handelte. Rein äußerlich, vermochte das niemand mehr, zu
unterscheiden. Aber es gab ein paar signifikante, fehlende emotionale
Reaktionen, die das kleine, aus einer optischen Sonde bestehende Gerät in den
willentlich nicht steuerbaren Veränderungen der Augen erkennen konnte.
Dave Holden
überprüfte die neuen Replikanten und war der Beste in der Tyrell Company für
diesen Job. Deckards Pupillen hatten auf die ausgesuchten Fragen
erwartungsgemäß mit nur minimalen Veränderungen reagiert, aber seine Antworten
passten fast erschreckend perfekt in das normale, menschliche Muster.
„Sie finden
ein Magazin mit Abbildungen von nackten Frauen. Was machen Sie? Schauen Sie
sich die Fotos genauer an?“
Holden
beobachtete durch den Sensor Deckards Pupillen. Würden sie sich jetzt vergrößern,
wie sie das, bei einem typischen Mann in 95 Prozent aller Fälle, bei der
Vorstellung von Pin-up Girls tun würden? Wenigstens ein kleines Bisschen? Oder
blieben sie unverändert, wie bei einem Replikanten? Oder… in dem
unwahrscheinlichsten Fall, wie bei einem ... Homosexuellen?
Das Gerät
schlug nicht an.
„Hey,
kommen Sie. Was soll der Scheiß? Ihr seid schlimmer als die Polizei und das
will was heißen. Gottverdammt“, schimpfte Deckard von den absurden Fragen
zunehmend genervt.
„Okay, wenn
Sie sich wieder beruhigt haben, möchte ich gern die nächste Frage stellen“,
stoppte ihn Dave Holden kühl.
Eldon
Tyrell, der Besitzer der Tyrell Company mit einem Faible für künstlich
produzierte Lebewesen, hatte angeordnet, dass Deckard nach diesem letzten Test
endgültig auf die Menschheit losgelassen werden würde. Als erster Prototyp
einer neuen Generation, als erfolgreich abgeschlossenes Experiment. Aber mit
der Überzeugung, ein ganz normaler Mann mit einer üblichen Biografie zu sein.
Die Idee,
fremde Erinnerungen mithilfe eines Biochips einzupflanzen, hatte offensichtlich
perfekt funktioniert. Damit ließen sie sich viel leichter steuern.
Und wenn
alles gut lief – und danach sah es jedenfalls bis jetzt aus – würde jemand wie
Deckard nur der Anfang für eine ganze Generation menschlicher Replikanten sein.
Natürlich würde die Tyrell Company ihn auch in Zukunft nicht aus den Augen
lassen. Ihn immer an der langen Leine halten.
Deckard
atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, hier den unbeugsamen Rebellen zu
markieren. In diesem überdimensionalen Stadtmoloch zählte jede Chance.
Sein Blick
wanderte durch die breiten Säulen auf den zwischen den Hochhäusern
durchscheinenden Abendhimmel. Von hier oben sah alles so friedlich aus, weit
und lichtdurchflutet, voll reiner Luft. Aber er wusste es besser. Die wirkliche
Stadt tief unten ersoff in Dauerregen, Smog und im Gewimmel seiner Milliarden
Bewohner aus allen Regionen, die nicht wussten, wie sie den nächsten Tag
überstehen sollten.
Deshalb war
es ein Privileg, hier einige Stunden verbringen zu können. Verdient mit was
auch immer.
„Es tut mir
leid, Dave. Stellen Sie ihre nächste Frage. Ich werde antworten. Ich weiß, was
ich an Ihnen habe.“ Deckard ging wieder vor dem Gerät in Position.
„Hm“,
zögerte der Diagnostiker, etwas von Deckards letzter Feststellung aus dem
Konzept geworfen. Der selbst ernannte Detektiv zeigte sich heute verdächtig
einsichtig. Er markierte normalerweise immer den harten Kerl, den ungezügelten
Kämpfer und das war es auch, was an ihm so anders, so anziehend war.
Holden
wünschte, er wüsste, aus welchem Tyrell-Pool Deckards Vorstellungswelt stammte.
Und sogar diese kleinen Besonderheiten, die er ihm selbst noch ohne Eldens
Tyrells Wissen zusätzlich eingepflanzt hatte, machten Deckard offensichtlich
nach außen hin, nur noch menschlicher.
Damit war
seine Arbeit eigentlich abgeschlossen. Aber er wollte aus ganz persönlichen
Gründen ganz sicher gehen, dass Deckards fehlende Pupillenreaktion bei der
Frage zu den Frauen nicht nur daran lag, dass er ein Replikant war.
Die
Berichte über Deckards gelegentliche Kontakte zu bekannten schwulen Männern
waren ein Indiz, aber noch kein Beweis.
Spontan
beschloss er, die Frageroutine etwas zu verändern.
„Sie
befinden sich in der Sammeldusche Ihres Sportclubs und plötzlich fällt Ihnen
auf, dass Sie interessiert die Genitalien der anderen Männer anschauen. Und es
erregt Sie. Was würden Sie von sich selber denken?“
Deckards
Minenspiel erstarrte von einer Sekunde auf die andere zu einer eisigen Maske.
Dann schluckte er hart und sein Adamsapfel stellte für lange Zeit die einzige
Bewegung dar.
„Was zum
Teufel! Was ... "Deckard versuchte, sich zu räuspern, aber es kam nur ein
trockenes Krächzen zwischen seinen mühsam zusammengepressten Lippen hervor.
„Was wollen
Sie wirklich von mir?“, setzte er erneut an. Aufgebracht erhob er sich von
seinem Stuhl. Mit beiden Armen stützte er sich von der Tischplatte ab. „Es gibt
keine gottverdammte Frage, die mir noch nicht gestellt wurde“, klagte er wütend
an. „Aber so etwas Persönliches war bisher noch nicht dabei!“
Deckard
beugte sich soweit über den Schreibtisch, dass Dave den nach Whisky riechenden
Mundgeruch wahrnehmen konnte. Unbewusst weiteten sich seine Nasenflügel.
„Setzen Sie
sich wieder hin, Deckard. Sie vergessen sich“, ordnete er mit harter Stimme an.
Aber unter der Tischplatte presste er seine Finger zusammen, um das Zittern in
den Griff zu bekommen. Eldon Tyrell, sein übermächtiger Boss, würde ihn sofort
und ohne Skrupel feuern, wenn er wüsste, was er mit seinem neuesten Modell
eines Menschen versucht hatte.
„Ich wette,
damit überschreiten Sie hundertprozentig ihre Kompetenzen!“, fluchte Deckard
laut.
„Ich teste
nur unbewusste, emotionale Reaktionen, wie Sie wissen. Die Art der Frage ist
nicht von Bedeutung. Was ist also so schlimm an gerade dieser Frage, Rick?“,
gab Holden betont unschuldig zurück.
„Was so
schlimm daran ist? Hey, das sollte euch einen Scheiß angehen, auf was ich
schaue!“
„Es geht
uns auch nichts an, was Sie in ihrer Freizeit treiben“, stimmte Dave schneller
zu, als ihm lieb war.
„Das
stimmt. Das ist meine Privatsache.“
Deckard
musterte den Mann vor ihm. Er war einer dieser glattgesichtigen Anzugtypen, die
sich in ihren Büros verschanzten, die den Daumen heben oder senken konnten,
aber wenn es darauf ankam, garantiert nichts drauf hatten.
Holden war
ihm vor vielen Jahren von Tyrell zugeteilt worden und hatte seitdem viel
Psychohokuspokus mit ihm angestellt. Aber er konnte der Person dahinter nicht
näher kommen. Die kühle, professionelle Fassade mit immer den gleichen Fragen
und die immer gleiche Farbgebung bei der Auswahl der Krawatten hatten es ihm
nicht leichter gemacht.
Holden
wirkte auf ihn wie einer der künstlichen Menschen, von denen man in den Straßen
immer mal flüstern hörte, die aber noch niemand wirklich gesehen hatte. Aber
Kooperation war die Eintrittskarte in diese Luxuswelt der Überreichen und daran
sollte es nicht scheitern. Wollte er seine Lizenz als Detektiv behalten, das
Einzige, dass ihm in dieser Stadt das Überleben sicherte, musste er sich so
schnell wie möglich wieder beruhigen.
„Okay, es
tut mir leid. Wie lautet die nächste Frage?“, lenkte er ein.
„Es gibt
keine Fragen mehr. Aber wie wäre es mit einem Drink zum Abschluss?“
Der
Psychodiagnostiker stand plötzlich und ohne auf eine Antwort zu warten ging er zum
Sideboard, um zwei eckige Gläser mit etwas Bernsteinfarbigem zu füllen.
Deckard hob
ungläubig seinen Kopf von dem Diagnosegerät und beobachtete misstrauisch den
für sein psychologisches Profil verantwortlichen Mitarbeiter von Tyrell. Auch
das konnte alles noch zu seinem Test gehören.
„Original
schottischer Whisky aus dem Jahr 2015.“
Deckard
sah wie Holden ein Glas gegen den Abendhimmel hob. Die Strahlen der
untergehenden Sonne vermischten sich mit den farbenprächtig brennenden
Gasfackeln, die in den Tiefen der Stadt von illegalen Bohrungen zeugten. Die
Reflexionen ließen den Alkohol wie heißes, flüssiges Gold aufleuchten.
„Guter
Jahrgang“, fügte Holden beiläufig noch hinzu und nahm beide Gläser in die Hand.
Als er dann zu dem mit hellem und unvorstellbar wertvollem, weil mit echtem
Leder bezogenen Sofa ging und ihn fast leutselig zu sich heran winkte, fühlte
sich Deckard so unwirklich wie ein Statist in einem Film.
„Die Tests
sind vorbei, Rick. Sie haben die erwarteten Reaktionen gezeigt. Entspannen Sie
sich. Sie brauchen nicht mehr zu kommen.“ Deckard konnte voll und ganz als
Mensch durchgehen. Die Entwicklung der neuen Generation von Replikanten war
geglückt. Aber nur der Himmel wusste, was aus dieser Büchse der Pandora noch
kriechen würde.
„Verdammt,
was soll das schon wieder? Wollt ihr mich aus dem Nest werfen? So ganz ohne
Vorwarnung?“
Deckard
blieb unschlüssig im Raum stehen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich ohne
Lizenz auf der Straße zu enden und bei Gaza, seinem chinesischen Koch in der
China Town, um einen Job in der Küche betteln zu müssen. Gruselig.
Aber
andererseits war es doch das, was er sich immer gewünscht hatte: Endlich
wirklich ganz und gar frei sein.
„Ich
dachte, darauf hätten Sie nur gewartet? Sie werden ihre Lizenz natürlich
behalten“, erwiderte Dave verwundert. „Wenn es das ist, was Sie beunruhigt.“
„Gut zu
wissen.“ Als Deckard den perfekten Maßanzug, die scharfen Bügelfalten, die
sicher irgendeine unterbezahlte Reinigungskraft da hineingebügelt hatte, das
teure Oberhemd, die absolut dazu passende Krawatte, das perfekt gepflegte
Gesicht musterte, spürte er zum ersten Mal einen Anflug von Neid.
So würde er
nie aussehen, aber dies alles hier, würde andererseits auch niemals seine Welt
sein. Besser also, sich damit abzufinden.
Er war und
blieb ein Kind der Straße, nur kurz unter die Fittiche genommen, aber jetzt
wurde es Zeit, zu gehen.
„Okay, dann
bleibt mir wohl nur noch Danke und Auf Wiedersehen zusagen ...“
„Machen Sie
sich um das Finanzielle keine Sorgen. Dafür ist gesorgt. Ausreichend“,
unterbrach ihn Dave mit einem Lächeln. „Möchten Sie jetzt ihren Drink im Stehen
einnehmen oder setzen Sie sich noch für einen Moment, bevor Sie endgültig
verschwinden?“
„Ich hätte
nicht gedacht, dass Tyrell mich so einfach aus seinen Krallen lässt“, antworte
Deckard unschlüssig.
„Nun ja,
als Krallen würde ich das gerade nicht bezeichnen.“
Dave beugte
sich weit vor und nahm einen bisher unbeachteten, hellen Umschlag mit einem
goldgeprägten TC aus einem kleinen Teller in einer Aussparung der
Wandvertäfelung.
„Da, nehmen
Sie. Ihre Fahrkarte in ein besseres Leben.“
„Oh“,
brachte Deckard mühsam hervor, als er die Summe sah, auf die der Scheck
ausgestellt war. Fragend starrte er Dave an. „Unglaublich. Womit habe ich das
verdient?“
„Eldon
Tyrell liebt seine Kinder, hat er jedenfalls mal gesagt.“ Dave lächelte
etwas schief, weil ihm klar war, dass Deckard nie die ganze Bedeutung seiner
Worte verstehen würde. „Sie können jetzt gehen, wohin Sie wollen. Vielleicht zu
den Außenwelten? Leisten könnten Sie es sich ja jetzt.“
„Wohin
sollte ich schon gehen?“ Deckard ließ sich in das Leder fallen. Im Geiste
versuchte er bereits, verschiedene Optionen durchzuspielen. Aber die Erde zu
verlassen, war bestimmt nicht dabei.
„Ich bin
neugierig, werden Sie dabei bleiben, in dieser chinesischen Unterweltspelunke
diese fettigen, chinesischen Nudeln zu essen?“, fragte Dave plötzlich mit
vertraulich, ironischem Ton. „Oder darf es in Zukunft auch etwas Besseres
sein?“
„Machen Sie
sich lustig über mich?“ Deckard hielt verblüfft den Atem an, aber dann breitete
sich Verstehen über sein Gesicht aus. „Ihr habt mich immer im Visier gehabt.
Immer.“
„Du kannst
mich duzen. Wir sind ab jetzt privat, sozusagen.“
„Sind wir
das?“ Deckard drehte sich zu Dave um und musste laut auflachen. Da saß dieser
geschniegelte Intellektuelle und wollte von einem Moment auf den anderen mit
ihm ein nettes, ungezwungenes Gespräch führen.
„Was wisst
ihr denn sonst noch alles von mir? Ich meine, seid ihr auch bis unter meine
Bettedecke gekrochen?“
Deckard
grinste, aber als Holden keine Antwort gab, wurde er blass. „Gottverdammt.“
„Mach dir
deswegen keine Sorgen.“ Auch Holden legte sich lässig in die Polster. Er war
plötzlich wie ausgewechselt und hatte jede Steifheit verloren.
„Sie wissen
es“, stellte Deckard erstaunt fest. Er hatte sich immer etwas darauf
eingebildet, jeden intimen Kontakt mit anderen Männern äußerst diskret zu
handhaben. Besonders, seit er Rachaels sehnsüchtige Blicke gesehen hatte. Eldon
Tyrells schöne Tochter – vermutlich war sie seine Tochter, aber das wusste
niemand so genau – hatte eindeutig mehr als nur ein Auge auf ihn geworfen. Egal
in welche Richtung er es drehen oder wenden würde, das alles konnte nur Ärger
bedeuten.
„Nein.“
Dave erlaubte sich ein Lächeln. „Ich habe das nicht weitergegeben. Eldon glaubt
immer noch, dass du insgeheim auf Rachael stehst. Er würde es zwar nie
zulassen, dass da was zwischen euch läuft. Aber es passt besser in sein
Weltbild.“
„Was soll
das heißen? Was hast du damit zu tun?“ Deckard starrte Dave fragend an. Hinter
der glatten Fassade gab es nicht nur einen Technokraten ohne Eigenleben, nicht
nur den Erfüllungsgehilfen seines übermächtigen Chefs. Aber was wurde hier
gespielt?
„Willst du
mich erpressen?“
„Oh, nein“,
wehrte Dave ab.
„Das musst
du mir glauben. Ich wollte dir nur Ärger ersparen. Verstehst du?“ Er beugte
sich gespielt verschwörerisch vor: „Er mag es nur nicht, wenn etwas außerhalb
seiner Kontrolle passiert.“
Deckards
Hand schoss vor und umfasste Holdens Kinn. Es fühlte sich weich und zart unter
seinen Fingern an. Fast wie ein Kinderpopo. Der Mann musste einen erstklassigen
Barbier haben.
„Wirklich?
Ausgerechnet du wolltest mir einen Gefallen tun? Und das soll alles sein?“ Er
presste seine Finger fest um das Kinn und sah, dass es Dave bereits schmerzte.
Aber der Mann zuckte keinen Millimeter zurück.
„Und wer
sagt mir, dass du mich nicht gerade verarschst?“
„Bitte,
Rick. Ich ...„
„Sag es.
Warum hast du etwas über mich verheimlicht? Deinen Job dafür riskiert?“
Deckard
hatte in Sekundenschnelle alle Möglichkeiten durchgespielt und am Schluss
blieben nur noch wenige Motive übrig. „Spuck es aus. Was willst du von mir?“
„Wirklich,
ich wollte dir nur einen Gefallen tun. Eldon ...„
„Scheiß auf
Eldon! Du bist ein gottverdammter Heuchler. Sag die Wahrheit. Sei einmal in
deinem verlogenen Leben ehrlich, wenigstens zu dir selbst. Du bist scharf auf
mich, richtig?“
„Nein,
nein“, zuckte Dave kreidebleich zurück. Aber seine unnahbare Fassade bröckelte
von ihm ab. „Lass mich sofort los.“
Ohne
Vorwarnung beugte sich Deckard plötzlich vor und presste seine Lippen fordernd
auf seinen verkniffenen Mund. Der raue Männerkuss ließ sofort einen Schwall von
sexueller Erregung durch Daves Eingeweide schießen. Und lieferte ihn von einer
Sekunde auf die andere – und hilflos wie ein Baby – seinen körperlichen
Empfindungen aus. In der Härte zwischen seinen Beinen vermischten sich pure
Lust und schmerzhafte Erregung.
Immer
fordernder drang Deckards feuchte Zunge unter seine angespannten Lippen und
suchte Einlass in sein Inneres. Dave stöhnte innerlich auf. Es war das
eindeutig Erregendste, dass er in den letzten Jahren erlebt hatte. Bei diesen
Tests hatte er sich oft vorgestellt, wie es wäre, diesen Mann, den er
inzwischen besser als sich selbst zu kennen glaubte, als Lover in sein Bett zu
locken. Aber der Realität hatte er nichts entgegen zusetzen.
„Nein, oh“,
wehrte er atemlos und mit letzter Kraft ab. Er hatte nur ein wenig mit dem
Feuer spielen wollen. Mehr nicht. Mehr durfte einfach nicht sein.
„Was
nein?“, widerstrebend löste sich der Detektiv. Der Kuss hatte auch bei ihm
Wirkung hinterlassen und fast hätte Deckard die Umgebung, in der er sich
befand, vergessen. Wieder einen Mann zu besitzen, sein pures Begehren zu
spüren, hatte auch ihn erregt.
„Ich sehe
doch, dass du es auch willst. Also, was soll der Scheiß?“
Deckard
hielt Daves Arm schmerzhaft fest. „Oder hast du Angst, dass hier jemand
unangemeldet reinplatzt?“, fragte er, um sich schauend. „Vielleicht sogar
Eldon? Und merkt, was eigentlich mit dir los ist?“ Es wäre doch ein Wunder,
wenn es hier keine geheimen Kameras gäbe.
Dave
stöhnte auf. Der Detektiv war eindeutig in besserer körperlicher Verfassung,
als er selbst.
„Nein, hier
kommt keiner unangemeldet rein. Der Raum ist vollkommen ab geschottet. Aber ...
"Vorsichtig bewegte er sich von Deckard wieder weg. In seinen Fantasien
spielten sich die Dinge immer ganz anders ab. Leicht, spielerisch und ohne
Komplikationen.
„Hey, du
hast das alles schon im Voraus geplant? Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr du
mich willst“, grinste Deckard breit.
„Also,
warum zierst du dich noch wie ein junges Mädchen?“ Dann sah er die aufsteigende
Angst in Daves Augen.
„Okay, okay,
ich will keinen Mann, der mich nicht wirklich will. Vergessen wir das Ganze. Ich
nehme meinen Scheck und verschwinde auf Nimmerwiedersehen.“
Mit diesen
Worten erhob sich das Schmuddelkind aus der Unterstadt von dem unermesslich
teuren Sofa, verließ den Dandy mit den perfekten Bügelfalten und wandte sich in
Richtung Tür.
„Nein“,
krächzte Dave leise.
„Was
nein?“, fragte Deckard und blieb kurz vor der Ausgangstür stehen.
„Bleib
noch“, bat Dave. „Nur für einen Moment.“
„Für was
soll das gut sein?“ Deckard rührte sich nicht. Sein unvermeidlicher Trenchcoat
lag locker über seinem Arm. Und eine Ecke des Briefumschlags leuchtete
auffällig weiß und kaum verdeckt von dem rostroten Jackett aus der Brusttasche
des dunklen und leicht zerknitterten Oberhemdes. Aber seine braunen Augen
durchdrangen mühelos die Distanz bis zum Sofa.
„Sag es
mir.“
„Ich
möchte, dass du es auch mit mir tust“, flüsterte Dave kaum hörbar, aber Deckard
hatte jedes Wort verstanden. Also stimmte es doch.
„Das reicht
mir nicht. Und bevor ich hier noch mehr Zeit vergeude, gehe ich lieber gleich“,
antworte er leichthin und wandte sich mit einem Grinsen wieder zur Tür. Er
wusste, was jetzt unvermeidlich kommen musste.
Sekunden
später spürte er erstaunlich kräftige Hände auf seinen Schultern und fühlte
sich herumgerissen. Deckard hatte sein leicht arrogantes Lächeln behalten, aber
auf Holdens Gesicht spiegelte sich immer noch die Panik, dass er wirklich
endgültig verschwinden würde.
„Lass.
Mich. Los!“, forderte der Detektiv hart und ohne nachzudenken, senkte Dave
seine Arme wieder.
„Aber, ich dachte
...“
„Sag es.
Sag, was du von mir willst. Sag, warum du gegen alle Regeln Informationen nicht
weitergegeben hast. Deine kostbare Stellung riskiert hast. Mich hier mit deinen
Fragen und dem teuren Whisky verführen wolltest. Wie lange geht das schon so?“
Schweratmend
packte er Daves hellbraunes Anzugrevers und presste ihn hart gegen die Wand
neben der Tür. Er war ihm so nah, dass er den dezenten Duft von edlem Rasierwasser
riechen konnte, die leichten Schweißperlen auf der Stirn und die vor Erregung
geweiteten Pupillen wahrnahm.
„Sag es mir
ins Gesicht!“
„Weil ich
dich liebe, schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe“, flüsterte Holden
rau und fühlte sich sehr verletzlich dabei.
„Was soll
der Scheiß!“ Mit der Rückseite seiner Rechten schlug Deckard fest in das
Gesicht vor ihm. „Verarsch mich nicht! Wie kann sich denn so einer wie du in
mich verlieben!“
Die Hand
hinterließ einen sichtbaren Fleck und Holden bebte, aber er hielt sichtlich
bemüht den Augenkontakt.
„Es ist
wahr. Ich begehre dich. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Ich ...“
Seine
Stimme versagte, denn Deckard hatte gezielt zwischen seine Beine gefasst und
die heraufschießende Erregung nahm ihm fast die Sinne. Mühsam versuchte er,
wieder Luft zu bekommen. Der feste Griff ließ seine Knie zittern. Dann näherte
sich der Detektiv mit seinem Unterkörper und er spürte durch den teuren, dünnen
Stoff Deckards hartes, großes Geschlecht. Dave war sich sicher, dass er jeden
Moment seine Sinne verlieren würde.
„Sag es!
Was willst du wirklich von mir, Dave“, flüsterte Deckard fordernd. Jetzt war er
in seinem Element und die sexuell aufgeladene Atmosphäre ließ auch sein Blut
doppelt so schnell durch seine Adern rauschen.
„Nimm mich!
Davon habe ich geträumt, seid ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Nimm mich
ohne Rücksicht. Ich muss es fühlen.“
Die Worte
kamen ohne Zögern, aber am Zittern der Lippen sah Deckard, wie schwer es ihm
gefallen war, es auszusprechen. Der Prinz aus dem goldenen Schloss ließ sich
auf das Kellerkind herab, glaubte vermutlich, nur hier den Sex zu bekommen, von
dem er immer träumte. Schmutzig, roh und ohne Verpflichtung. Nun, das konnte er
haben.
Als er zum
zweiten Mal versuchte, Daves Mund zu erobern, ließ er keinen Zweifel an seiner
Dominanz und fegte sofort jeden Widerstand hinweg.
Dave ergab
sich stöhnend seinem fleischgewordenen Traum. Mit seinen freien Armen umfasste
er den Detektiv und versuchte, unter dem Hemd ein Stück seiner Haut zu spüren.
„Lass das
und dreh dich um“, stoppte ihn Deckard. „Ich will dich sofort.“
Mit
bebenden Händen drehte sich Dave um, und kurz darauf spürte er, wie ihm die
Hose mit einem Ruck bis über die Knie gezogen wurde. Ein kostbarer Hosenknopf
aus Tierbein fiel laut scheppernd auf den geheizten Parkettboden.
Mit hartem
Griff drückte ihn Deckard auf die Knie und während er noch seine Hose öffnete,
streichelte er schon die hellen und schmalen Hinterbacken des
Schreibtischtäters.
„Entspann
dich. Ich werde dich jetzt nehmen. Denn das wolltest du doch.“
„Ja, ja,
mach es. Nimm keine Rücksicht. Tu was du willst. Jetzt, jetzt, oh ja, komm“,
stöhnte Dave laut auf, als das stahlharte Geschlecht des stolzen Prinzen der
Straße in ihn eindrang. Es schmerzte, aber in seiner Erregung war es ein süßer,
erregender Schmerz und er ließ sich willig auf den von Deckard bestimmten
Rhythmus ein.
„Ja, Ja.
Fester. Ja. Tiefer. Ja, oh, oh.“
„Jesus, was
bist du eng. Ah. Komm. Beweg’ dich. Ja, so. Komm.“
Deckard
nahm sich von Daves Körper, was er wollte, was ihm seine eigene Lust diktierte.
Das verzückte Stöhnen unter ihm feuerte ihn an, noch härter und tiefer
einzudringen. Seine Hüften bewegten sich wie eine Maschine.
Laut
klatschend trafen die Körper in einem sich zunehmend beschleunigenden Rhythmus
aufeinander, begleitet von atemlosen, kurzen Rufen der Lust.
Als Deckard
merkte, wie die Ekstase heranrollte, versuchte er gegenzusteuern. Aber die
Willigkeit mit der Dave sich auf jede seiner Bewegungen einstellte, der heiße,
männliche Geruch nach Sex und der Anblick des sich vor Erregung windenden
Körpers unter ihm schwemmten jeden Widerstand hinweg.
Dave
versuchte, mit schweißnassen Händen Halt an der glatten Wand zu finden. So
musste es sein, so machten sie es auf den Straßen, fantasierte er und fühlte
sich so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Seine Knie begannen zu zittern,
und er genoss mit allen Sinnen jede Sekunde des immer neuen Eindringens. Sein
gesteigertes Lustempfinden verteilte sich vom Zentrum über seinen ganzen Körper
und löschte jeden weiteren Gedanken aus. Er fühlte nur noch die Sehnsucht, so
viel wie möglich von diesem fremden Fleisch in sich zu spüren. Als sich dann
der immer mächtiger werdende Pfahl in seine Eingeweide endgültig einbrannte,
kam viel zu schnell die Erlösung aus dieser Gratwanderung zwischen Irrsinn und
Ekstase.
Als es dann
alles vorbei war, lehnte sich Dave schweratmend mit dem Rücken an die Wand und
beobachtete noch ganz benommen, wie Deckard seinen Hosenbund bereits wieder
schloss. Im selben Moment wurde ihm schmerzlich klar, dass das nicht der letzte
Sex mit Männern vom Schlage Deckards gewesen sein würde.
„Oh, Rick.
Ich wollte das alles nicht, aber ich konnte nicht anders. Es tut mir alles so
leid, was sie mit dir gemacht haben“, flüsterte er rau und suchte mit zittrigen
Fingern nach dem Reisverschluss seiner eigenen hastig hochgezogenen Hose.
Deckard war
einen Moment versucht, ihm beruhigend den Kopf zu tätscheln. Auch er hatte den
Sex genossen, wie schon lange nicht mehr. Aber irgendetwas an Holdens Worten
klang seltsam und doppeldeutig und er ließ den Arm wieder fallen.
„Kein
falsches Mitleid. Das habe ich nicht verdient.“ Stolz löste er sich und suchte
mit seinen Augen, wo sein Mantel und sein rotes Jackett abgeblieben waren.
„Rick,
vergiss niemals, dass ich es immer gut mit dir gemeint habe“, schickte Dave
trotzdem hinterher, während er seinen Anzug endgültig in Ordnung brachte. „Und
wenn du jemals Hilfe brauchst, komm’ sofort zu mir.“
Deckard
räusperte sich. Undefinierbare Gefühle drohten hochzuspülen. Es war höchste
Zeit zu gehen.
„Danke
Dave. Ich werde es nicht vergessen. Aber ich werde jetzt besser gehen. Wir
leben in verschiedenen Welten, wenn du weißt, was ich meine.“
„Natürlich,
Rick“, beeilte sich Holden, zu versichern. Er hatte es plötzlich auch eilig,
sich von Deckard zu trennen. In seinen Träumen war eine gemeinsame Zukunft mit
einem Replikanten nie vorgekommen. Und er würde es auch niemals wagen, ihm
diese Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Vielleicht war das aber auch besser so.
Wenige
Minuten später hatte sich Deckard im angrenzenden Bad frisch gemacht und
verabschiedete sich danach beinahe förmlich von Holden. Nur ein verräterischer
Geruch lag noch in der Luft. Aber auch der würde bald von den allgegenwärtigen,
überdimensionalen Luftfiltern aufgesogen sein.
Als er
wenig später mit dem Fahrstuhl die unendlich vielen Stockwerke der Pyramide
heruntersauste, um wieder in den Bauch der futuristischen Metropole
einzutauchen, vermischte sich Erleichterung mit einem Hauch des Bedauerns. Ein
wichtiger Abschnitt seines Lebens war zu Ende gegangen. Er wusste zwar immer
noch nicht, warum die Tyrell Company so viele Jahre derartig intensiv an ihm
interessiert gewesen war, aber unter dem Strich hatte er ihnen viel zu
verdanken.
Deckard
warf einen letzten Blick nach oben. Er war sich sicher, dass Holden aus seinem
goldenen Gefängnis auf ihn herunterblickte.
Aber sie würden
sich nie mehr begegnen. Vielleicht war das auch besser so.
Unten saß
schon seit Stunden der japanischstämmige Gaff in seinem Spinner. In der
kleinen Fahrerkabine studierte er, geschützt vor dem allgegenwärtigen
Dauerregen, die auf- und abfahrenden Fahrstühle der Tyrell-Company.
Bryant,
sein übergewichtiger Chef des Los Angeles Polizei-Department, mit dem
hinterhältigsten Lächeln der Stadt und immer misstrauisch zusammengekniffenen
Augen, wartete bereits ungeduldig mit einem ganz speziellen Angebot auf
Deckard.
Origami
Ein
Jahr später.
„Was
für eine gottverdammte Sauerei!“, schimpfte Bryant laut.
„Kein
Zweifel, das war wieder dasselbe, perverse Schwein.“
Der
schwergewichtige Polizeichef der Megametropole Los Angeles hob eine Ecke des
blutverklebten Bettlakens auf und musterte die entsetzlich zugerichteten
Leichen zweier junger Männer. „Derselbe Irre, der denen letzte Woche in der
Nightclub-Row die Lichter ausgeknipst hat.“
Es
lag ein feiner Blutgeruch in der Luft und eine Neonreklame, außen neben dem
Fenster, kämpfte knisternd darum, genügend Strom aus der maroden Elektroleitung
zu ziehen.
Der
Dicke hatte schon viel gesehen, aber die Art und Weise, wie den beiden nackten
Körpern die Glieder verdreht worden waren, hatte etwas groteskes –
unnatürliches – und ließ sogar Bryant das Blut in den Adern gefrieren.
Die
leblosen Teile der Opfer lagen verkeilt aufeinander und bildeten so eine Art
neuen Körper, der scheinbar der Fantasie eines verrückten außerirdischen
Bildhauers, der keine Ahnung von menschlicher Anatomie hatte, entsprungen war.
„Das
war kein Mensch, das war eine gottverdammte Tötungsmaschine!“
Der
Polizeichef ließ angewidert das verschmierte, ehemals weiße, Laken zurückfallen.
„Sie
haben gut daran getan, mich sofort zu benachrichtigen, Mason.“
Bryant
hatte diesen Fall aufgrund seiner Brisanz sofort zur persönlichen Chefsache
erklärt. Und als in der Zentrale der besorgte Anruf des Deputy eingetroffen
war, hatte er spontan beschlossen, sich diesmal selbst einen Eindruck zu
verschaffen.
„Das
da ... “, der Dicke zeigte auf das Bett und seine Augen wurden zu kleinen,
bösen Schlitzen. „...das darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit. Wir können
hier keine Massenpanik gebrauchen. Nicht so kurz vor den Wahlen.“
„Vor
Ihrer Wiederwahl, meinen Sie wohl, Bryant“, mischte sich Rick Deckard mit einem
schiefen Grinsen ein und trat zwischen Mason, einem eher unauffälligen Mann mit
beginnender Glatze und dem bulligen Polizeichef, dem er, sozusagen als Mann
fürs Grobe, neuerdings direkt unterstellt war.
„Das
Gremium wird sich für den Besten entscheiden und bis dahin haben wir unsere
Verantwortung gegenüber der Bevölkerung zu erfüllen“, antwortete Bryant kurz
angebunden und kühl.
„Sicher,
Chef“, beeilte sich Deckard, die offizielle Version zu bestätigen. Er wusste,
dass er mit seiner kompromisslosen Art ein beständiger Stachel im Fleisch des
Polizeichefs war, aber er hatte sich inzwischen unentbehrlich gemacht. Und er
mochte seinen neuen Job, auch wenn die Bezahlung lausig war.
„Was
ist das hier? Eine Absteige?“, rief Bryant laut, mit Blick auf das mit Blut
besudelte Bett zu dem durch die halb offene Tür spähenden und sichtlich
nervösen Nachtportier.
„So
etwas in der Art. Wird hauptsächlich von Homos für ihre Schäferstündchen
genutzt“, antwortete der wie ein Hippie gekleidete Mann, und strich sich
unsicher über seinen langen Pferdeschwanz „Ist alles ganz legal hier. Ich will
keine Schwierigkeiten haben.“
„Wir
sind nicht von der Sitte“, beschied ihm Bryant und nach einem scharfen Blick in
seine Richtung, fügte er hinzu: „Und auch nicht von der Drogenbehörde.“
„Kannten
Sie die beiden Männer?“, führte Deckard die Befragung weiter.
„Oh,
nein, nein. Ich kenne hier niemanden von den Gästen. Die Leute bezahlen ihr
Zimmer, gehen hier rein und wieder raus.“, beeilte sich der sichtlich nervöse,
junge Mann zu erklären. „Und was, die hier oben treiben, interessiert mich
einen Scheiß. Ich meine, wir sind immer noch ein freies Land und jeder sollte
...“
„Verschwinde,
du Hohlkopf, bevor ich es mir noch anders überlege“, unterbrach Bryant rüde den
Wortschwall und der Angestellte nutzte sofort seine Chance, um zurück zur
Rezeption zu eilen. Aber in Deckard blieb das unbestimmte Gefühl, dass das noch
nicht die ganze Wahrheit gewesen war.
„Okay,
Deckard. Dein Job. Nur das allernötigste Personal von der Spurensicherung und
du kümmerst dich selbst um den Rest“, ordnete der Polizeichef an. Der
Ex-Detektiv würde der perfekte Mann dafür sein. „Du hast vollständig freie
Hand, um alles zu tun, was nötig ist.“
„Geht
klar“, nickte der Angesprochene knapp. „Ich kriege das Schwein.“
„Kein
Aufsehen. Das ist das Wichtigste. Verstanden?“ Bryants Augen wurden hart.
„Keine
Zeugen“, bestätigte Deckard. „Und keine unnötigen Fragen.“ Er wusste, dass
damit die Täter zum Abschuss freigegeben waren. Zum Ausknipsen, wie Bryant das
gerne nannte. Das war das übliche Verfahren, wenn es um mehr ging, als nur um
die Straßenverkehrsordnung. Um mehr als die alltägliche Grausamkeit und
Perversionen in diesem regentriefenden Auffangbecken für den Bodensatz der Gesellschaft,
genannt Los Angeles. Um mehr, als nur den üblichen Mord- und Totschlag.
Das
war das übliche Verfahren, wenn es um Politik ging. Wenn Geheimnisse und
Verbrechen der mächtigen Wirtschaftsbosse verdeckt werden mussten.
Bryant
würdigte ihn keiner Antwort mehr und verließ sichtlich erleichtert mit Mason
das schäbige Hotelzimmer.
Deckard
beobachtete mit schiefem Grinsen den Abgang und stellte sich vor, dass Bryant
vermutlich schon über seine erneute Antrittsrede zum Polizeichef nachdachte.
Noch wahrscheinlicher war allerdings, dass er auch dafür jemanden auf seiner
Lohnliste stehen hatte.
Allein
gelassen, lies er den Blick mit der Hoffnung auf eine Erleuchtung durch das
triste Zimmer wandern. Aber außer dem trostlosen Anblick auf dem Bett und den immer
größer werdenden Blutflecken auf den Laken gab es nichts Bemerkenswertes mehr
zu entdecken. Ein schlecht beleuchteter und mit einer hoffnungslos veralteten
und vergilbten Tapete verzierter, trostloser Raum.
Ein
Zufluchtsort, so belanglos wie alle, die an sexhungrige Paare, die anonym
bleiben wollten, zu Tausenden in dieser verseuchten Metropole viel zu teuer
vermietet wurden. Eine Oase der Erfüllung geheimster Wünsche, wie er sie selbst
schon so oft gebraucht hatte.
Aber
als er sich gerade zur Tür umwandte, sah er etwas Helles unter dem einfachen
Nachtkästchen blitzen. Ohne lange darüber nachzudenken, hob er ein gefaltetes
Papierchen auf und hätte es vor Schreck beinahe fallen gelassen. Es war nur
eines dieser Origami-Figuren, ein Vogel mit einem langen Schnabel, gefaltet aus
einer rechteckigen, weißen Folie. Aber das Tier – vermutlich ein Fischreiher –
war selbst in seinen Nuancen ganz einzigartig ausgeformt.
Deckard
kannte nur einen, der in diesem Stil arbeitete, und sich mit der Kunst Leben in
ein kleines Stück Papier zu hauchen, derartig gut auskannte. Gaff, seinen
asiatischen Kollegen. Mit dem er schon viele Fälle gemeinsam bearbeitet hatte.
Schweigsam und immer mit einer Aura des Geheimnisvollen umgeben. Aber auch
loyal und verlässlich.
Was
hatte er an diesem Tatort verloren gehabt? Es war doch überhaupt nicht sein
Fall. Konnte es sein, dass er etwas mit den Morden zu tun hatte?
Deckards
Gedanken wirbelten durcheinander und er versuchte, auch das Undenkbare mit
einzubeziehen. Er fühlte Übelkeit in sich hochsteigen, aber noch war die
Ermittlung ganz allein in seiner Hand.
Entschlossen
steckte Deckard das Figürchen ein. Danach versiegelte er das Zimmer und ging
die Treppe nach unten in den Empfangsraum des Stundenhotels.
Offensichtlich
ging der Betrieb in der Absteige weiter, als ob nichts passiert wäre.
Hauptsächlich Männer gingen hier gemeinsam ein und aus. Viel geredet wurde
nicht, nur manchmal hörte Deckard hinter sich überlautes Lachen, während er am
Bildtelefon der Spurensicherung die Adresse durchgab. Danach beobachtete er
unauffällig, den hinter der Rezeption stehenden, jungen Portier.
Zu
den Gästen gehörten auch etliche Stricher und Deckard war sich sicher, dass der
ziemlich schmuddelig gekleidete Hotelangestellte einige mehr als gut kannte.
Als
gerade niemand mehr einen Schlüssel für ein Zimmer haben wollte, ging Deckard
zum Tresen und begann ein Gespräch mit dem misstrauisch um sich blickenden
Angestellten. Als seine Frage nach mehr Hintergrundinformationen kam, spürte
der ehemalige Detektiv einen merklichen Rückzug.
„Hör
mal Bürschchen. Ich muss nur einige von deinen Kunden ein bisschen härter
anfassen und dein florierender Handel mit illegalen Substanzen fliegt auf.“
Deckard
griff über den Tisch nach dem speckigen T-Shirt des Hippies, das sofort
einriss.
„Entweder
du sagst mir jetzt, was du weißt, oder du erlebst das nächste Jahr nicht mehr.“
Deckard zeigte ein böses Grinsen. „Was kein Verlust wäre. Also - ich gebe dir
nur eine Sekunde mir alles zu sagen, was du weißt.“
„Lassen
Sie mich verdammt noch mal los“, keuchte der Portier erschrocken auf und
versuchte vergeblich, sich zu befreien. „Ich weiß nichts. Die Zeit für das
Zimmer war abgelaufen und ich wollte nur den Schlüssel holen. Da war nur ...“
„Was
war da?“, knurrte Deckard lauernd.
„So
ein älterer Mann. Der trieb sich hier rum. Alleine!“, brachte der Junge heraus
und starrte hilfesuchend zum Ausgang. „So ein Asiat mit einem komischen Hut
...“
„Verdammt,
du lügst mich hoffentlich nicht an?“, fluchte Deckard und ließ den jungen Typen
los, als hätte er sich an ihm verbrannt. „Und das war wirklich alles?“
„Ja,
verdammter Cop. Ich weiß wirklich nicht mehr“, versicherte der Befragte sofort
und nickte heftig.
Deckard
zog seinen Mantel wieder zu recht und starrte den Angestellten hart an. „Okay,
du Junkie. Wenn du nicht möchtest, dass deine schmutzigen Geschäfte auffliegen,
behältst du das besser für dich, verstanden?“
„Scheiße,
ja.“ In diesem Moment ging die Tür wieder auf und der Portier wandte sich
erleichtert dem nächsten Kunden zu.
„Vergiss
das bloß nicht. Du würdest es nicht überleben“, raunte ihm Deckard noch einmal
drohend zu und verließ dann schnell das schmuddelige Etablissement.
*
Stunden
später saß Deckard an der langen Theke in einer der großen Show-Bars in der
China Town von Los Angeles, einer Mischung aus altem vermodertem Broadway und
modernem Hightech Osaka.
Normalerweise
fand er es hier zu grell und zu laut, aber die Drinks waren gut und einige der
regelmäßigen Gäste schuldeten ihm einen Gefallen.
Er
nippte an seinem Glas und beobachtete das nächtliche Treiben, als ihm von
hinten auf den vom Regen noch feuchten Trenchcoat getippt wurde.
„Deckard,
altes Haus. Angst davor, dass zu Hause die Wand anfängt, mit dir zu sprechen?
Oder ersäufst du gerade dein schlechtes Gewissen wegen der vielen
Ausknips-Tickets, die du in deiner kurzen Karriere beim Los Angeles
Polizeidepartment inzwischen schon ausgestellt hast?“
„Scheiße,
Sam. Musst du mich immer so erschrecken?“ Deckard fuhr herum und verfluchte
sich wegen seiner Unaufmerksamkeit. Zum Glück war es nur ein Ex-Kollege aus
seiner Zeit als Privatdetektiv, der neuerdings einen Job in der
Sicherheitsabteilung von Tyrell hatte.
„Schön,
dich zu sehen.“
Sam
Ridder setzte sich neben Deckard auf den freien Hocker und winkte den Barkeeper
heran. „Noch mal dasselbe für mich und meinen Freund.“
Deckard
grinste den etwas kleineren Mann neben sich an, dem man die vielen im
Sportstudio verbrachten Stunden sogar noch unter dem Regenmantel ansah. „Davon
träumst auch nur du.“
„Hey,
du weißt, dass ich immer noch auf dich stehe. Du hast nur ein Problem“, gab der
Neuankömmling mit einem entwaffnenden Grinsen in den Lärm um sie herum zurück.
„Und
das wäre?“, fragte der Angesprochene amüsiert.
„Du
willst keinen an dich ranlassen. Soll keiner hinter deine kostbare Fassade
sehen. Richtig?“ Ridder lachte ein bisschen zu laut auf. „Könnte ja sein, dass
sich da doch noch das ein oder andere Gefühl versteckt hat.“
„Du
wirst der Erste sein, dem ich es mitteile “, kam die trockene Antwort.
„Scheiße,
Deckard, immer noch der alte Zyniker“, fluchte Sam leise.
„Tut
mir leid.“
„Wie
leid? So leid, dass du meinen Drink annimmst? So sehr leid, dass du mit mir
noch mal in diesem Hotel – du weißt schon, welches – ne heiße Nacht verbringst?
Oder so leid, dass du mich doch nur wieder für deine Zwecke benutzt“,
antwortete Ridder bitter.
„Sam,
verdammt, komm wieder runter“, forderte Deckard. Das Gespräch wurde ihm langsam
unangenehm. Ihr Verhältnis war schon vor seinem Abschied von Tyrell,
beziehungsweise Dave zu Ende gewesen. Und auch lange vor seiner Zeit als
Bryants Troubleshooter. Aber die Erwähnung des Hotelzimmers holte
Deckard gleichzeitig wieder schmerzhaft in die Gegenwart zurück.
Ridder
hob ergeben seine Hände: „Okay, okay, ich gebe es auf, lass uns das Thema
wechseln. Was macht der Job? Wieder auf der Jagd?“
Deckard
seufzte erleichtert auf. Mit wenigen Worten, und ohne seinen Verdacht bezüglich
Gaff zu erwähnen, erzählte er von seinem neuesten Fall.
Sam
hörte aufmerksam zu und machte dann die rätselhafte Bemerkung, dass ihn das an
etwas erinnere. „Und was wäre, wenn das wirklich kein Mensch gemacht hat?“
„Was
denn sonst? Ein Tier? Die gibt es doch gar nicht mehr, nur noch künstliche
Kreaturen. Und diese Androiden, von denen man hört, sind doch alle auf den
außerirdischen Bergbaukolonien. Mal abgesehen davon, dass die sich hier wohl
kaum unauffällig bewegen könnten.“
„Und
wenn doch?“
„Was
willst du damit sagen?“
„Man
hört da manchmal so Geschichten über bestimmte Experimente. Ich weiß nichts
Genaues, aber bekomme bei Tyrell mehr mit, als so manch anderer und es gibt das
Gerücht, dass es menschliche Androiden gibt, die keiner mehr von Menschen
unterscheiden kann, sogenannte Replikanten“, raunte Sam geheimnisvoll.
„Habe
ich auch schon mal gehört, aber das ist doch Unsinn“, wehrte Deckard ungläubig
ab.
„Vielleicht.
Vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon so genau?“ Sam rückte näher und
redete leise weiter. "Stell dir nur mal vor, von denen dreht mal einer
durch. Die könnten uns Menschen in null Komma nichts zu Hackfleisch
verarbeiten.“
„Mann,
jetzt geht aber die Fantasie mit dir durch“, wehrte Deckard ab, aber in seinem
Gehirn formte sich bereits die erste Hypothese. Sams Idee hatte etwas
Bestechendes. Aber wie sollte er diese Spur verfolgen?
„Sam,
ich glaub dir kein Wort, außer ...“
„Außer?“,
fragte Sam gespannt.
„Na
ja, ich bräuchte einen Beweis, damit ich damit etwas anfangen kann.“
„Einen
Beweis? Bist du irre? Wie soll ich das denn anstellen? Ich bin froh, dass ich
diesen Job habe.“
„Sam
...“, lockte Deckard.
„Oh,
Jesus, hör auf damit! Du bringst mich in Teufels Küche“, schimpfte der
Tyrell-Mitarbeiter und verlor sein freundliches Lächeln.
„Okay,
vergiss es. Mir fällt ein, ich muss jetzt auch gehen. Es wartet noch Arbeit auf
mich“, verkündete Deckard plötzlich und erhob sich halb von seinem Sitz. In der
Regel funktionierte dieser Trick.
„Rick!
Du bist wirklich das Letzte. Wie konnte ich nur so auf dich reinfallen?
Verdammt, okay. Ich versuche es. Aber dafür verbringst du noch mal eine Nacht
mit mir. Um der alten Zeiten willen.“
„Sam,
du sexgeiler Bastard. Das ist nicht dein Ernst“, aber Deckard musste lachen. Es
gab schlimmere Sachen, die er schon für eine wichtige Information gemacht
hatte.
„Also
abgemacht.“ Sam grinste bereits voller Vorfreude, aber die Sorge vielleicht
gerade das eigene Todesurteil unterschrieben zu haben, war auch im Spiel. Bei
Tyrell gab es keine Nachsicht für allzu neugierige Mitarbeiter.
Auch
Deckard dachte daran, seine eigenen Kontakte zu Tyrell aufzufrischen. Es war
immer gut, mehrere Eisen im Feuer zu haben. Wenig später verließ er alleine den
Nachtclub und suchte in einer Seitengasse seinen polizeieigenen Spinner, um
nach Hause zu fliegen. Vielleicht war der Fall ja doch nicht so kompliziert,
wie er anfangs gedacht hatte.
Erst
in dem Moment, als die Repulsoren hochfuhren, spürte er seine Anwesenheit.
„Gaff!
Verflucht!“ Deckard erkannte im Halbschatten die vertraute Gestalt. „Warum
meint heute nur jeder, mich überraschen zu müssen!“
„Rick,
ich kann mich momentan nicht auf der Straße sehen lassen“, kam die scheinbar
gleichmütige Antwort eines etwas älteren, asiatisch aussehenden Mannes mit
einem engen Stoffmantel und einem charakteristischen kleinen Hut.
„Scheiße
Gaff. Was hast du dann in meinem Spinner verloren? Du kennst das Spiel. Ich
könnte dich sofort liquidieren. Ist dir das überhaupt klar?“, fluchte Deckard
und sah durch das Fenster um sicherzustellen, dass niemand sie beobachtete.
„Ich habe neben dem Bett diese Papierfigur von dir gefunden, du bist damit der
Hauptverdächtige.“
„Ich
war es nicht.“ Gaff starrte geradeaus auf die regennasse Straße. „Aber der Fall
ist zu groß für mich geworden.“
„Was
redest du da? Was hattest du überhaupt in dieser Absteige zu suchen? Sogar dem
Portier bist du aufgefallen“, fragte Deckard kopfschüttelnd.
„Bring
mich bitte sofort zu dieser Adresse. Ich habe noch eine Angelegenheit zu
regeln“, forderte der Asiat, ohne auf Deckards Fragen einzugehen.
„Okay,
ich tue dir den Gefallen. Wir sollten hier sowieso so schnell wie möglich
verschwinden. Bevor man mich noch zusammen mit dir sieht.“
Deckard
startete durch und mit einem Aufheulen setzte sich das futuristische Gefährt in
Bewegung, um in dem regnerischen und von großen, bunten Werbebildern schwach
beleuchteten Himmel zu verschwinden. „Aber danach muss ich entscheiden, was mit
dir geschehen soll.“
„Also,
was steckt dahinter? Kanntest du die beiden?“, fragte Deckard seinen Kollegen,
wenig später, während er sich in dem unbekannten Terrain, in das sie geflogen
waren, zu orientieren versuchte.
„Ich
kannte sie nicht und ich kann dir auch nicht sagen, was dahinter steckt. Es ist
zu gefährlich.“
„Zu
gefährlich, hä?“ Deckard lachte finster auf. „Für wen zu gefährlich? Du scheinst
ja ziemlich tief drin zu stecken.“
„Zu
gefährlich für dich“, verkündete der Asiat überraschenderweise.
„Für
mich?“ Deckard meinte, schon bessere Ausreden gehört zu haben. „Ja klar. Also
entweder bietest du mir etwas an, oder ich mach sofort kehrt und liefere dich
den Kollegen aus.“
„Rick,
nur 24 Stunden. Danach kannst du mich holen“, bat Gaff noch mal eindringlich.
„Gib
mir wenigstens einen Anhaltspunkt“, beharrte Deckard und sah auf das Profil des
von ihm immer besonders hoch geschätzten Kollegen.
Aber
Gaff starrte nur noch auf den Boden und weil sie das Ziel der Reise erreicht
hatten, konzentrierte sich Deckard auf die Landung zwischen den flachen,
einfachen Gebäuden. In diesem mexikanischen Getto war er noch nie zuvor
gewesen.
„Hast
du hier Freunde?“
„Meine
Frau stammt von hier.“
Deckard
nickte nur. Gaff hatte noch nie zuvor etwas aus seinem Leben erzählt. Er musste
es wirklich ernst meinen.
„Okay,
Gaff. Ich halt so lange wie möglich den Deckel drauf, aber irgendwann muss ich
kommen.“
„Das
ist mir klar.“ Gaff erhob sich mühsam und wirkte plötzlich wie ein alter Mann.
Sein Gesicht wirkte wie dünnes Papier mit den vergeistigten Zügen eines
erleuchteten Mönchs.
„Rick?“
„Ja,
Gaff?“
„Vielleicht
kennst du jemanden bei Tyrell, dem du vertrauen kannst. Wenn ja, solltest du
ihn demnächst aufsuchen.“ Der Asiat sah ihn durchdringend an. „Bald.“
„Danke
Gaff. Und ... "Deckard half seinem Kollegen aus der Tür und sah wenige
Meter entfernt einige mit langen bunten Tüchern bekleidete finster blickende Männer
stehen. Offensichtlich wurde Gaff bereits erwartet.
„Pass
gut auf dich auf.“
„Das
Rad ist unaufhaltsam in Bewegung und der Anfang vom Ende nicht zu
unterscheiden.“
„Das
hilft“, antwortete Deckard ironisch, aber Gaff war bereits von den Schatten der
Hütten und dem feinen Nieselregen verschluckt worden.
„Es
wird langsam Zeit, einen bestimmten Anruf zu tätigen“, sprach er leise zu sich
selbst, als er jetzt sein Gefährt in Richtung Tyrell Company steuerte.
*
„Rick,
was willst du von mir?“, kam die barsche Frage, nachdem sich knisternd das
kleine Bild in dem Übertragungsgerät aufgebaut hatte.
„Dave,
ich muss mit dir reden.“ In seinem Spinner beugte sich Deckard näher an das
Bildtelefon heran. „Es ist wichtig.“
„Ich
habe zu tun. Frag später noch mal nach“, lehnte Dave Holden kühl ab. Es war ihm
nicht erlaubt, ohne Eldon Tyrells Einverständnis noch mal Kontakt mit Deckard
aufzunehmen, um das Experiment nicht zu gefährden, wie er sagte. Andererseits
...
„Du
solltest mich wirklich nicht warten lassen“, forderte Deckard ungeduldig. „Du
weißt, du schuldest mir noch einen Gefallen.“
„Tue
ich das, Rick?“
„Ich
sehe das jedenfalls so. Und wenn es nicht so wichtig wäre, würde ich dich
wahrhaftig nicht belästigen.“ In der Stimme des Ex-Detektivs mischte sich
Verhöhnung mit einer versteckten Drohung.
Holden
gefiel der Ton überhaupt nicht und er entschloss sich, das vermeintlich
kleinere Risiko auf sich zu nehmen. „Okay, ich gebe der Sicherheit Bescheid. Du
kannst den Fahrstuhl nehmen. Den Weg wirst du ja noch kennen.“
„Ich
habe ihn noch nicht vergessen. Bis gleich, Dave“, antwortete Deckard sofort.
Während
der Los Angeles Cop aus Bryants Spezialtruppe die vielen Stockwerke mit dem
gläsernen Fahrstuhl hinauf rauschte, ordnete Dave an, für die nächsten Stunden
ungestört zu bleiben. Als Blade Runner, das hieß bei Tyrell zuständig zu sein
für ganz bestimmte Probleme der Sicherheit im Umgang mit Replikanten, war er an
heikle Situationen gewöhnt. Deckard konnte ihm vielleicht ein Gefühl dafür
geben, was die Polizei schon wusste. Aber das verscheuchte nicht die plötzliche
Nervosität, die ihm unkontrollierbar durch die Adern rieselte. Wie ein feiner
Regen, der jeden Moment drohte zu Eis zu werden.
Ich
muss wissen, was er will und ihn dann so schnell wie möglich wieder loswerden,
nahm er sich vor. Als er zur Eingangstür seines Büros ging, prüfte er wie
üblich mit einem kurzen Blick, ob seine Krawatte richtig saß.
Routine
war immer etwas gewesen, dass ihm half, wenn Gefühle drohten, übermächtig zu
werden.
„Dave,
lange nicht gesehen. Du siehst immer noch aus, wie aus dem Ei gepellt.“ Deckard
prüfte kurz den zurückhaltenden Gesichtsausdruck des Tyrell Mitarbeiters und
sondierte danach kurz den Raum.
„Viel
hat sich hier in der Zwischenzeit nicht geändert.“
Die
Erinnerung an ihr allerletztes Treffen drängte sich ihm wieder auf. Und er
erkannte plötzlich, dass er sich, ohne es zu wissen, die ganze Zeit nach einem
Wiedersehen mit seinem ehemaligen Psycho-Diagnostiker gesehnt hatte. Aber es
war besser, solche Gefühlsduseleien so schnell wie möglich wieder zu vergessen.
Er hatte einen Auftrag zu erfüllen. Und nur das zählte.
„Du
hast dich auch nicht verändert“, antwortete Holden vorsichtig und folgte ihm
langsam in den hellgolden beleuchteten, großräumigen Raum.
„Hey, was ist das?“ Deckard ging auf den
seitlichen Schreibtisch zu, weil er zu seiner Überraschung zwischen
verschiedenen Unterlagen etwas Bekanntes entdeckt hatte, eine Ecke seines
Ausweisfotos.
„Hey,
Dave, alter Junge, du bist doch nicht etwa sentimental? Ich hatte ja keine
Ahnung. Kannst mich wohl nicht vergessen?“, grinste er erfreuter, als ihm lieb
war und wollte das weiße, beschriftete Blatt mit seinem Bild darauf aus den
Folien herausziehen.
Holden
fluchte halblaut auf und eilte sofort an den Schreibtisch. Mit einer
schützenden Bewegung sorgte er dafür, dass die Akten über die Forschungsdaten
zu der neuesten Replikanten-Generation in der nächsten Schublade verschwanden.
Niemand durfte von dem entflohenen Replikanten erfahren, der offensichtlich
einen schweren Defekt hatte und seitdem mordend durch die Metropole herumirrte.
Es wäre das Ende der Forschung. Vermutlich auch das Ende der Company. Und unter
Umständen sogar das Ende der Bergbaukolonien. Eine Katastrophe! Mehrere
Auftragskiller waren schon unterwegs, um den Replikanten und eventuelle Zeugen
aus dem Weg zu räumen. Aber für einen Deckard war kein Platz in dem Spiel.
Dafür war er zu kostbar, hatte Holden bereits entschieden. Und zu unberechenbar.
„Ich
wollte mich nur auf deinen Besuch vorbereiten. Weiter nichts“, lenkte er ein.
„Okay,
das verstehe ich natürlich“, lachte Deckard, aber seine Augen lachten nicht
mit. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Er ging zur Designercouch und
ließ sich in das teure Leder sinken.
Holden
blieb vor der Schreibplatte stehen und stützte sich mit seinen Händen an der
Kante ab.
„Warum
bist du hier, Rick?“, fragte er betont neutral.
„So
schlimm?“
„Wenn
du keinen triftigen Grund hast, bitte ich dich sofort wieder zu gehen. Ich bin
ein beschäftigter Mann“, drängte Holden.
„Okay,
um es kurz zu machen, ich brauche deine Hilfe“, erklärte Deckard.
„Was
hast du für ein Problem?“, fragte Holden und befürchtete schon zu wissen, was
sicher gleich kam. Er musterte den ehemaligen Detektiv, der jetzt Bryants
rechte Hand war und sich offensichtlich großer Beliebtheit bei der Lösung
heikler Fälle erfreute. Nicht gerade die Art Karriere, die sich Holden selbst
für ihn gewünscht hätte, aber er erfüllte alle erwarteten Parameter. Aggressiv,
eigenwillig und absolut lebensfähig in dieser Stadt. Und er hatte sich wirklich
kaum verändert. Auch äußerlich.
„Wenn
ich kann, helfe ich dir, aber danach solltest du besser wieder gehen.“ Holden
verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Hm,
um es kurz zu machen. Vermutlich hast du auch schon von diesem Doppelmord
gehört. Ein Kollege von mir steht im Verdacht, der Mörder zu sein, aber er war
es nicht. Er kann es nicht gewesen sein.“
„Und
warum nicht?“, fragte Holden etwas überrascht und ging in Richtung der großen
verglasten Aussichtsscheiben. Deckard war also tatsächlich von Bryant mit
diesem Fall beauftragt worden. Eigentlich hätte er das voraussehen müssen.
Bryant war ein Fuchs und wusste seine Leute richtig in Stellung zu bringen.
Vermutlich würde am Schluss alles auf einen Kompromiss herauslaufen. Sein
Schweigen gegen noch mehr Macht und Einfluss.
Aber
Deckard war hier wegen eines Kollegen. Erstaunlich. Als Holden endlich die
Stille hinter seinem Rücken auffiel, fragte er noch mal nach. „Warum kann er es
nicht gewesen sein?“
„Es
ist nicht seine Art“, antwortete Deckard verwundert über Holdens langes
Schweigen.
„Was
ist denn seine Art?“, versuchte der Tyrell-Mächtige Zeit zu gewinnen. Die Rede
war sicher von Gaff, der inzwischen zu einem Risiko geworden war. Das clevere
Schlitzauge ahnte sicher schon, wo der wahre Täter zu suchen war.
„Scheiße
Dave. Verarsch mich nicht. Was für ein Spiel spielst du mit mir? Ich merke
doch, dass hier etwas gehörig stinkt!“
Deckard
sprang von seinem Sitzplatz auf und stellte sich hinter Holden an den
Fenstersims, aber er zwang sich, nur auf das weite Panorama zu schauen.
Von
hier oben sah alles so friedlich aus. Keine wildgewordenen Aufschlitzer, die in
den dunklen Gassen wüteten. Keine Ausknips-Jobs ...
„Gaff
ist ein guter Mann. Einer von den Guten. Hörst du? Nicht so einer wie du oder
ich“, sprach Deckard leise, wie zu sich selbst.
Er
spürte ein feines Zittern durch Holdens Körper laufen, als er seine Hand auf
dessen rechte Schulter legte. „Bitte Dave, ich muss ihn da raushalten, aber
dazu brauche ich die wahren Schuldigen.“
„Und
deshalb bist du zu mir gekommen?“ Holden versuchte, sich wieder von der Hand zu
entfernen, aber er blieb wie angeklebt stehen. „Oh Gott, Rick. Lass mich bitte
los“, stöhnte er leise.
„Ich
will wissen, wer diese Toten so zugerichtet hat. Gaff kann es nicht gewesen
sein. Aber er sagt mir nicht, was er weiß.“ Deckard holte tief Luft und nahm
seinen Arm wieder weg. „Es gibt einen Hinweis, dass die Tyrell Company darin
verwickelt ist.“
Holden
drehte sich um, aber sein Gesichtsausdruck verschwand im Schlagschatten des
Gegenlichts und bekam etwas Unwirkliches. „Ich kann dir auch nichts sagen“, log
er.
„Dave!
Vielleicht ist es ein Mitarbeiter von euch, der gerade durchdreht. Oder einer
von diesen neuen Replikanten, von denen man überall hört – was weiß ich“,
beschwor ihn der Ex-Detektiv.
„Worum
geht es dir in Wirklichkeit?“, fragte Holden, schockiert darüber, wie nahe Rick
der Wahrheit schon gekommen war.
„Was
meinst du damit?“, kam die misstrauische Antwort.
„Willst
du deinen Kollegen schützen oder die Wahrheit herausfinden?“, wiederholte
Holden mit Nachdruck.
„Ist
das nicht dasselbe?“, antwortete Deckard verwirrt.
„Das
muss es nicht.“ Der Tyrell-Mann schwieg einen Moment.
„Du
hast die Wahl. Um der alten Zeiten willen.“
„Verdammt.
Ich wusste es!“, fluchte Deckard laut. Es war naiv gewesen zu glauben, dass
Dave es ihm diesmal leichter machen würde.
Holden
vermied seinen Blick „Mehr kann ich dir nicht anbieten.“
„Verdammt.
Verdammt.“ Deckard ging in den schattigen Bereich des großen Büros zurück.
„Das
ist unfair“, rief er aufgebracht. „Hey, wie kannst du nur damit leben? Ich
meine, da läuft so ein Irrer in Los Angeles herum und ich muss ihn laufen lassen,
um meinen Kollegen zu schützen. Denn Gaff ist wirklich unschuldig, wenn ich es
auch noch nicht beweisen kann.“ Deckard öffnete seinen oberen Hemdkragen, weil
er plötzlich nicht mehr genug Luft bekam.
„Willst
du mich zu einem schlechten Polizisten machen?“
„Nein
Rick, nein.“ Dave eilte ihm nach.
„Aber
es stehen höhere Interessen auf dem Spiel.“
„Und
du glaubst, dass ich mich damit abfinde?“
Deckard
blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu Tyrells besten Mann für
Replikanten um. Der Geruch von Holdens Rasierwasser kitzelte seine Nase.
Bewirkte ein Gefühl, als hätten sie sich gestern zum letzten Mal gesehen.
„Glaubst
du das wirklich?“
„Rick,
du musst dich entscheiden. Entweder du nimmst mein Angebot an, oder du musst
jetzt gehen.“
„Was
passiert, wenn ich mich für die Wahrheit entscheide?“, forderte Deckard zu
wissen, und forschte in dem Gesicht vor sich, nach verborgenen Hinweisen.
„Letztendlich
wird es zu gewissen Veränderungen kommen. Aber eines ist auch sicher. Du wirst
am Ende nicht überleben.“ Holden klang gleichmütig, aber ein feines Zittern
verriet seine Anspannung.
Es
würde zu enormen Unruhen in der Bevölkerung kommen, wenn durchsickerte, dass
die neueste Generation von Replikanten nicht mehr vom Menschen zu unterscheiden
war. Ein sofortiges Ende der Produktion wäre die unausweichliche Folge und die Entfernung aller noch existierender
Replikanten dieser Serie.
„Scheiße.
Warum habe ich nur das Gefühl, das du diesmal die Wahrheit sagst?“ Deckard rieb
sich übermüdet über die Augen und versuchte den bohrenden Kopfschmerz aus
seinem Bewusstsein zu bannen. Und er fragte sich zum wiederholten Male, warum
Bryant gerade ihn auf diesen Fall angesetzt hatte.
„Es
tut mir leid, Rick“, bedauerte Holden mit schwerer Stimme. „Aber mehr kann ich
dir wirklich nicht anbieten.“
„Hast
du seit damals eigentlich noch mal an mich gedacht?“, fragte Deckard und sah
kurz zum Fenster. Der Smog der Straße schien in dicken, gelben Wolken
hochzusteigen und sogar in diese Exklave einzudringen.
„Danach
meine ich?“
Deckard
bekam keine Antwort, aber ein kurzes Aufflackern in Holdens Augen verriet ihm,
was er wissen wollte. Es war zwar nur ein einmaliges Erlebnis gewesen, aber es
hatte bei beiden tiefe Spuren hinterlassen. Feine Narben, die erst schmerzten
und rote Einschnitte bildeten, aber mit der Zeit verblasst waren. Jetzt war nur
noch eine feine, weiße Linie geblieben, die aber unauslöschlich wie ein Tattoo
zu einem Teil der Haut geworden war.
Er
hatte immer geglaubt, dass ihr Zusammentreffen keine tiefere Bedeutung gehabt
hatte, aber das plötzliche, unerwartet intensive, sehnsuchtvolle Hochbranden in
seinen Eingeweiden belehrte ihn eines Besseren. Und seinem ehemaligen
Psycho-Diagnostiker ging es offensichtlich auch nicht anders.
„Oh,
nein, nein“, wehrte Deckard die nicht ausgesprochene Frage ab.
„Deshalb
bin ich wirklich nicht gekommen.“
„Das
ist mir klar“, antwortete Holden mit einem feinen Lächeln. „Aber um trotzdem
deine Frage zu beantworten: Ja, ich habe manchmal an dich gedacht.“
„Aber
du hast dich danach nie mehr bei mir gemeldet“, stellte Deckard fest.
„Natürlich
nicht“, antwortete Holden sofort. „Und du? Hast du an mich gedacht?“
„Ich
weiß das meine Sprechzeit bei dir gleich beendet ist.“ Deckard fuhr
nachdenklich mit der Rückseite seiner rechten Fingerspitzen am Revers des
perfekten, hellbraunen Anzugs entlang.
„Okay,
Dave, um der alten Zeiten willen. Lass es uns noch einmal tun.“
„Oh
Gott, Rick, sei nicht so vulgär.“ Holden glaubte, trockene Lippen zu haben, und
befeuchtete sie unwillkürlich.
„Hey,
das erwartest du doch von mir“, antwortete Deckard leise und hielt den
Anzugkragen besitzergreifend fest. „Oder etwa nicht?“
Dabei
sah sich Deckard suchend im Raum um, denn er hatte sich spontan entschlossen,
doch noch einmal die Vergangenheit aufleben zu lassen. Er wusste, es würde
endgültig das letzte Mal sein denn Bryant, würde ihn nicht mehr in die Nähe der
Tyrell Company lassen, nachdem er auf diesen Deal eingegangen war.
„Komm
mit nach nebenan. Da ist ein Ruheraum“, flüsterte Holden heiser.
„Und
du meinst, dass so etwas für uns das Richtige ist? Du und ich in einem
gemütlichen Bettchen?“, grinste Deckard breit und streichelte mit leichter Hand
über das für diesen hohen Posten bei Tyrell eigentlich zu glatte, zu unberührte
Gesicht.
„Vergiss
es, Dave“
„Rick,
ich habe versucht, dich zu vergessen, aber ich konnte es nicht“, gestand Holden
und ließ die Berührung mit einem Schaudern in seinen Nervenbahnen geschehen.
„Lass
den Quatsch. Ich wette, du hast jeden gottverdammten Tag gewusst, wie du mich
erreichen kannst, richtig?“, lachte Deckard halblaut auf und nahm seine Hand
wieder weg. Holdens letzte Bemerkung hatte ihm einen kleinen Stich versetzt,
aber ihn dennoch gleichzeitig körperlich erregte.
„Rick!“
„Sieh
mir ins Gesicht.“
Holden,
zuständig für Probleme mit menschlichen Androiden und normalerweise daran
gewöhnt, immer die Kontrolle zu wahren, konnte sich dem Einfluss des Killers
von Bryants Gnaden nicht entziehen. Es war wie beim ersten Mal. Und obwohl der
Mann in gewisser Weise immer noch sein von ihm selbst geformtes Geschöpf war,
blieb es ein Spiel mit dem Feuer. Er sollte jetzt besser sofort einen
Schlussstrich ziehen und den Sicherheitsdienst rufen. Aber als Deckard in
seinen Mund eindrang und wie ein Knebel seiner Zunge den Platz streitig machte,
vergaß er all seine guten Vorsätze und seine Knochen schienen sein Gewicht
nicht mehr tragen zu wollen.
„Rick“,
stöhnte Holden halb erstickt. Die nur schlecht rasierte Backe des Polizisten
rieb schmerzhaft über die glatte Haut des Tyrell-Beauftragen.
Deckard
intensivierte den Kuss noch und es wirkte auf beide wie ein Geschlechtsakt.
Sein Speichel benetzte Holdens Gesicht und die gewaltsame Zärtlichkeit hatte
etwas Verschlingendes. Mit seiner kräftigen Männerhand griff er in das
aschblonde Haar und ruinierte ohne Rücksicht die sorgfältig gelegte
Kurzhaarfrisur.
Holden
stöhnte auf und suchte mit gieriger Hingabe den ehemaligen Detektiv an sich zu
ziehen. Zwischen Hemd und Hose fand er Einlass.
Deckard
ließ die aufdringliche Hand sich einen Weg an seinen Leisten entlang bahnen.
Als er den ersten, festen Griff zwischen seinen Beinen spürte, stöhnte er leise
auf und öffnete den restlichen vorderen Reisverschluss. Danach drückte er
Holdens Kopf nach unten, um ihm zu signalisieren, was er von ihm erwartete.
Holden
ging auf seine Knie und Deckard spürte mehr, als er sah, wie seine Männlichkeit
eingesogen wurde und Holden gierig die volle Länge in sich aufnahm. Deckard
genoss die geschickten Mundbewegungen und als er den Kopf unter sich vor- und
zurückbewegen sah, schoss Verlangen wie eine wilde, feurige Woge durch seine
Nervenbahnen.
„Stopp,
stopp!“, forderte er heiser und zog ihn wieder zu sich hoch. „Lass es uns
richtig tun, einverstanden?“
„Oh
Gott“, stöhnte Holden. „Rick, frag nicht, du weißt es doch.“
“Ich
hatte gehofft, dass du das sagst“, flüsterte Deckard mit einem breiten Lächeln
und drängte den anderen Mann auf das breite Sofa. Er drückte Holden rückwärts
auf die Polster und sie befreiten sich nur soweit wie nötig von ihren Hosen und
Schuhen.
Dann
spreizte Deckard die Beine des anderen, streichelte flüchtig die Innenseiten
und setzte sich halb dazwischen.
Die
Hände auf seinen entkleideten Schenkeln hatten in Holden Gefühle ausgelöst, für
die er einen Mord begehen würde. Er hob seine Schenkel an, während er den
ehemaligen Detektiv erwartungsvoll anstarrte.
Deckard
legte lediglich das rechte Bein auf seine Schultern, schob seinen Schenkel
unter die Pobacke und drängte sich dann so nah wie möglich an den anderen
Körper.
„Bedauerlich,...“,
begann er atemlos und nahm sein eigenes, hartes Körperteil mit der Linken,
befeuchtete es erneut mit Speichel und führte es dann mit einer Bewegung ein.
"...dass
wir – keine – gemeinsame Zukunft – haben werden. Ahhh ..... Oh Gott, Dave!“
Als
die Enge und Hitze, die ihn wie feuchter Latex umfasste, seine Nervenbahnen
erreichte, stöhnte er laut auf. Das war nur mit Dave so, dass er absolut alles
um sich herum vergessen konnte, nur Gefühl und Körper war, hart und
gleichzeitig innerlich ganz weich wurde.
Er
nahm immer wieder denselben Weg, aber suchte dabei gleichzeitig so viel Reibung
wie möglich. Und obwohl er sich für seine Gier verfluchte, konnte er nicht
damit aufhören. Schon das errötete Gesicht vor sich ließ ihn ahnen, wie er
selbst aussehen musste. Zusätzlich erregte es ihn zu sehen, wie sehr Holden es
genoss, von ihm genommen zu werden. Er hielt einen Moment inne, um ihn zu
betrachten, denn es war ein perfekter Moment.
„Hör
jetzt nicht auf, Rick“, bat Holden mit kaum noch verständlicher Stimme und
Deckard gehorchte.
„Oh,
Dave.“ Es kam ihm wie eine halbe Ewigkeit voller Ekstase vor, als plötzlich
Holden aufschrie, wie eines dieser wilden Tiere, die sie in der Animoid-Row
verkauften. Das Geräusch machte Deckard verrückt und er nahm keine Rücksicht
mehr auf irgendetwas. Er ließ es kommen und kommen, ohne etwas zurückzuhalten,
und war einen Moment eins und tief verbunden mit dem Menschen unter ihm. Es
setzte die seltsamsten Bilder und ihm ganz fremde Gedankensplitter in seinem
Kopf frei und für einen Moment, drohte er vollständig den Verstand zu
verlieren. Erschöpft und ganz ohne jedes Gefühl für seinen Zustand sank er auf
Daves Körper.
„Rick,
es wird niemals jemanden geben, mit dem es so schön ist, wie mit dir“,
flüsterte Holden weich und legte seine Arme um ihn, fast wie ein vertrauter
Geliebter.
„Ich
weiß“, stöhnte Deckard. „Aber es bringt uns kein Glück.“
„Ja,
das ist wohl so“, und damit meinte Holden mehr, als Deckard jemals ahnen würde.
Am Ende hatte seine kleine, zusätzliche Erinnerungs-Programmierung beide nur
noch einsamer gemacht. Und Holden war sich jetzt nichteinmal mehr sicher, ob
Rick Deckard wirklich jemals ein von ihm geformtes Geschöpf gewesen war. Oder
doch nur einfach ein Mensch mit Zu- und Abneigungen. So wie jeder andere auch.
„Dave?“,
wurden seine Gedanken unterbrochen.
„Was?“
Aber
Deckard antwortete nicht mehr, sondern legte nur seine Lippen auf Holdens
Gesicht. Darin lag die ganze Zärtlichkeit zu der er fähig war und Holden
spürte, wie ihn beinahe die Rührung übermannte.
Aber
dann riss sich Deckard mit einem grimmigen Gesicht gewaltsam los und ging mit
seinen Sachen schweigend in das angrenzende Bad.
Nur
widerwillig erhob sich auch Holden und sah auf die Unordnung um sich herum.
Aber während er sich wieder vollständig bekleidete, dachte er nur daran, dass
das vermutlich das letzte gemeinsame Treffen gewesen war und es in seinem Leben
keine wirkliche Nähe mehr zu irgendjemand anderem geben würde. Aber selbst
diese wenigen gestohlenen Augenblicke würden vermutlich einen zu hohen Preis
fordern.
Er
hörte hinter sich ein Geräusch und sah, wie Rick sich bereits an der Bar
bediente. Er ging zu ihm und mixte sich auch einen Whisky. Schweigend tranken
sie ihre im Gegenlicht golden funkelnden Gläser aus und zuerst wagte keiner,
das Wort an den anderen zu richten. Holden dachte flüchtig daran, Eldon das
nächste Mal um die Erfindung einer Maschine zu bitten, welche die Zeit anhalten
konnte und Deckard klammerte sich gegen jede Wahrscheinlichkeit an die
Hoffnung, dass Dave es wirklich ehrlich mit ihm meinte.
„Was
hättest du gemacht, wenn ich nein zu dem Treffen gesagt hätte?“, durchbrach
Dave als Erster die Stille.
„Was
schon, ich hätte deinem Chef von uns erzählt. Das war jedenfalls mein Plan.“
Deckard holte tief Luft und stellte das leere Glas auf die Anrichte zurück.
„Jetzt bin ich mir da allerdings nicht mehr so sicher.“
„Rick,
wie hast du dich entschieden?“, fragte Dave zurück.
„Für
Gaff. Halte ihn aus der Schusslinie“, antwortete Deckard entschieden.
„Okay,
Dave. Mach ich. Es wird ihm nichts passieren.“
Deckard
starrte Holden an. „Danke.“
„Rick?“
„Ja?“
„Ich
bin froh, dass du dich so entschieden hast.“
*
„Warum
hast du das gemacht?“ Gaff saß auf dem Sessel, der in Deckards Appartement für
die seltenen Gäste reserviert war und blickte finster in seine Richtung. „Wie
haben sie es nur geschafft, dich zu kaufen?“
„Gaff!
Ich habe dir zuliebe Beweismaterial unterschlagen. Wenn rausgekommen wäre, dass
du am Tatort warst, hätte das einen riesigen Wirbel gegeben. Bryant hätte dich ohne
Zögern geopfert, nur um so schnell wie möglich einen Täter präsentieren zu
können.“ Deckard starrte in Gaffs unerwartet helle Augen.
„Du
hattest den Auftrag, den Täter zu eliminieren.“
„Stimmt.“
„Und
du hast es nicht getan. Tyrell hat ganze Arbeit geleistet“, beharrte Gaff.
Obwohl er rein äußerlich ganz gelassen wirkte, spürte Deckard die unterdrückte
Anspannung.
„Wie
meinst du das?“
„Ihnen
ist ein Fehler unterlaufen. Ein wirklich schlimmer Fehler.“
„Wovon
redest du? Was weißt du darüber?“, fragte Deckard drängend.
„Aber
das wirklich Schlimme ist, das du ihnen auch noch dabei geholfen hast, das zu
vertuschen.“
„Hey,
was soll das?“ Deckard wurde wütend. „Ich habe deinen Arsch gerettet und muss
mir nun anhören, dass du eigentlich für immer in einem dieser Gettos
verschwinden wolltest. Ist es das?“
„Bryant
hatte geglaubt, dass du der Einzige wärst, der es mit ihnen aufnehmen könnte“,
beharrte der Asiat.
„Deshalb
hatte er also damals darauf bestanden, dass ich mit zum Tatort komme. Und du,
Gaff? Wie passt du da hinein?“ Deckard nahm einen Schluck, um sich wieder zu beruhigen.
„Tyrell
war mir bereits auf der Spur und ich musste untertauchen. Ich wusste zuviel.“
Gaff beugte sich vor. „Aber du hattest eine echte Chance, die Wahrheit ans
Licht zu bringen. Dir hätten sie nichts getan.“
„Mir
war ziemlich schnell klar, dass die Company irgendetwas damit zu tun hatte.
Irgendein schief gegangenes Experiment. Mit einem Außerirdischen, richtig? Aber
Gaff, sie haben mir ein Angebot gemacht, dem ich nicht widerstehen konnte“,
erklärte er, plötzlich todmüde geworden, seinem Kollegen.
„So
muss es wohl gewesen sein“, antwortete Gaff tonlos. Die Dinge waren absolut
nicht so gelaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Aber inzwischen hatte die
Tyrell-Company das Problem sicher mit ihren eigenen Methoden gelöst und der
Wiederwahl von Bryant stand auch nichts mehr im Weg. Nur die Wahrheit war
irgendwo dazwischen verloren gegangen.
„Scheiße
Gaff, ich werde den Dienst bei euch quittieren“, sprach Deckard laut aus, was
schon seit einiger Zeit in seinem Kopf Form angenommen hatte.
„Das
solltest du nicht tun. Du bist zu gut. Es hat nur niemand daran gedacht, dass
du wie ein Mensch reagieren und versuchen würdest, mich zu retten.“ Gaff stand
von seinem Sessel auf. Er berührte ihn sehr, dass Deckard gerade diese
Entscheidung getroffen hatte. Aber das würde er niemals zugeben.
„Ich
bin ein Mensch, Gaff“, antwortete Deckard, erbittert darüber, dass sein
erster Versuch, mehr als nur eine reine Tötungsmaschine für Bryant zu sein, derartig
gescheitert war.
„Natürlich
Rick, das sind wir doch alle – mehr oder weniger.“
Mit
diesen Worten drehte sich der Asiat um und verließ das Appartement.
Ende.
Erschienen in Nostalgie – Ein Fanzine zur
guten alten Zeit 3