Spätere Liebe nicht ausgeschlossen
2007/08
Charaktere:
Jury/Plant
Kategorie:
NC-17
Hinweise:
m/m-slash
Feedback: tlen11@freenet.de
Summe: Das Testament seines Vaters hält eine Überraschung für Melrose bereit.
Disclaimer:
Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen
und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt
nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu
verletzen. Vielen
Dank an Lady Charena fürs Beta.
„Und Sie sind sich ganz sicher? Verdammt!“ Wütend warf
Melrose Plant den Hörer wieder aufs Telefon.
„Wünschen Mylord noch etwas?“ Ruthven, sein treuer Butler,
räumte eilfertig das Telefon vom Frühstückstisch.
„Eine Frau“, erwiderte Melrose.
“Wie bitte, Sir?“ Selbst Ruthven konnte angesichts dieser Antwort einen winzig
kleinen Hauch von Überraschung nicht aus seiner Stimme verbannen.
Melrose winkte resigniert ab. „Schon gut, Ruthven. Sie
können abräumen, mir ist der Appetit vergangen.“
Als sein Butler den Salon verlassen hatte, stützte er den
Kopf in die Hände. Wie hatte sein Vater ihm das nur antun können? Hatte er doch
geahnt, dass Melrose nicht sein Sohn war und das war jetzt die späte Rache? Saß
er jetzt im Himmel – nein, eher in der Hölle, entschied Melrose – und lachte
sich ins Fäustchen wegen seinem genialen Plan?
Vor einer Woche hatte der Anwalt und Nachlassverwalter
seines Vaters ihn informiert, dass nun eine Klausel im Testament wirksam würde,
von deren Existenz Melrose bis dahin nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte.
Zumindest hatte er deren Existenz die letzten Jahre erfolgreich verdrängt, denn
der Anwalt versicherte ihm, sie sei damals bei der Testamentseröffnung bekannt
gegeben worden. Wahrscheinlich hatte er einfach angenommen, bis es so weit
wäre, dass sie in Kraft treten würde, hätte sich längst alles von allein
geregelt.
Der alte Earl of Caverness hatte verfügt, sollte sein Sohn
bis zu seinem 45. Geburtstag nicht verheiratet sein, würde er seiner Titel
verlustig gehen, und der Großteil des Erbes an wohltätige Organisationen
fließen. Melrose bliebe kaum genug für seinen Lebensunterhalt. Offensichtlich
hatte sein Vater mit dieser pekuniären Motivation sicherstellen wollen, dass
die Familienlinie unter allen Umständen erhalten blieb, sollte Melrose seinen
Beitrag dazu nicht freiwillig leisten. Nun hatte Melrose seine Titel schon vor
Jahren freiwillig abgelegt, dieser Punkt wäre ihm also herzlich egal gewesen.
Allerdings wollte er nur äußerst ungern auf seine Besitztümer und damit seinem
bequemen Wohlstand verzichten.
Doch sein 45. Geburtstag war in drei Wochen. Wo sollte er so schnell eine Frau
hernehmen? Eine, die ihn auch heiraten wollte. Okay, räumte er in Gedanken ein,
ein Inserat „Reicher Lord sucht Frau für sofortige Heirat“ in irgendeiner
großen Tageszeitung, würde eine Schlange von Bewerberinnen hervorbringen, die
von Long Pidd bis Sidbury reichte. Nur war das ja wohl kaum eine Basis für eine
vernünftige Ehe?
Sich durchaus bewusst, dass Partnerschaften schon aus
nichtigeren Gründen als die Geldsumme, um die es hier ging, geschlossen worden waren,
wollte Melrose für sich jedoch gern in Anspruch nehmen, dass er an die Liebe
und deren Allmacht glaubte. Oder, überlegte er, war es nicht doch eher seine
Bequemlichkeit. Er wollte einfach nicht, dass ein anderes Wesen seine tägliche
Routine störte. Schon gar kein weiteres weibliches. Agatha war Störung genug.
Auf alle Fälle verabscheute er es zutiefst, zur Ehe gedrängt
zu werden. Diese sollte man freiwillig schließen oder gar nicht. Basta!
Er überlegte: Vielleicht sollte er eine der Frauen fragen,
die er schon kannte? Da wüsste er wenigstens einigermaßen, woran er mit ihnen
war. Melrose ging in Gedanken ihre Namen durch.
Polly vielleicht? Nein, die hatte nur Augen für Richard
Jury. Außerdem würden sie sich schon in der Hochzeitsnacht gegenseitig an die
Gurgel gehen. Spätestens.
Ellen? War in Amerika und überhaupt, sie wäre wohl kaum
bereit, nach Long Pidd zu ziehen. Er aber konnte sich auch nicht vorstellen,
dauerhaft in Baltimore zu leben.
Vivian? Wahrscheinlich wäre es ihr egal, ob sie nun ihren
italienischen Grafen oder einen englischen Ex-Lord heiratete, Hauptsache sie kam
überhaupt endlich unter die Haube. Das Problem war nur, ihm war es nicht egal,
ob er verheiratet war oder nicht. Und Vivian gegenüber wäre es nicht fair, ihr
plötzlich die große Liebe vorzuheucheln oder sie in eine Vernunftehe zu
drängen, wo er doch mit Marshall die letzten Jahre immer versucht hatte, ihr
eine andere dieser Art auszureden. Vivian verdiente es einfach, dass man sie um
ihrer selbst Willen liebte.
Bea? Jung und ungestüm und kein Blatt vor den Mund nehmend –
so gar keine Lady. Agatha hätte bestimmt ihre helle Freude an ihr. Er lächelte
boshaft. Vielleicht sollte er Bea als Notfallplan im Auge behalten.
Aber die Wahrheit war nun einmal, er wollte überhaupt nicht
heiraten. Er wollte nicht, dass eine Frau in Ardry End einzog. Es würde nicht
lange dauern und sie hätte das ganze Haus umgemodelt und sein Leben gleich mit.
Dann war es aus mit Aufstehen erst um 10 Uhr, gemütlichem Frühstück inklusive
Times-Kreuzworträtsel bis 12 Uhr und nachmittäglichen Trinkgelagen mit seinen
Freunden im „Jack & Hammer.“ Stattdessen würde sie ihn auf lange
Shoppingtouren nach London schleppen und laute Partys mit all ihren versnobten
Stadtfreunden in Ardry End geben. Nein Danke! Da konnte er genauso gut gleich alles aufgeben und hätte
wenigstens noch seine Ruhe.
Melrose fuhr sich durchs helle Haar. Er hatte so gehofft,
sein Anwalt würde einen Weg finden, der die Klausel unwirksam machte oder
Erfolg auf eine Gegenklage versprach. Doch vergeblich. Er würde wohl – ob es
ihm passte oder nicht - in den sauren Apfel beißen müssen, den Eva ihm da
reichte.
Da fiel sein Blick auf die Seite der Times, die er gerade
lesen wollte, als Ruthven das Telefon mit der Hiobsbotschaft brachte.
„Parlament verabschiedet Gesetz zur Homo-Ehe“ stand in
großen Lettern über einem Artikel, der ausführlich beschrieb, welche Rechte
künftig gleichgeschlechtlichen Paaren eingeräumt wurden.
Melrose stutzte. Dann lächelte er plötzlich.
„Ruthven! Das Telefon! Schnell!“
///
„Schon gut, der Herr gehört zu mir und wir sind auch schon
weg.“ Richard Jury beruhigte den Wachhabenden am Eingang zum New Scotland Yard,
der sich gerade mit Melrose Plant anlegte, weil der mit seinem Bentley auf
einem Parkplatz stand, der nur für Dienstwagen vorgesehen war.
„Tut mir Leid, wenn du wegen mir Schwierigkeiten hast“,
sagte Melrose, als Richard auf den Beifahrersitz geklettert war. Im Rückspiegel
sah er, wie der Wachmann ihnen mit offenen Mund hinterher starrte als sie los
fuhren.
Auch Jury war es nicht entgangen. „Jetzt haben sie
wenigstens was darüber zu tratschen, wieso ich mit einem gutaussehenden Mann in
einem gutaussehenden Auto davonfahre“, sagte er leichthin.
„Und das stört dich nicht?“, fragte Melrose.
Richard zuckte mit den Schultern: „Mir egal, was andere über
mich reden und denken. Die tun doch eh, was sie wollen.“
Melrose erleichterte diese Antwort etwas. Dann fand Jury
seine Idee ja vielleicht doch nicht so verrückt, wie er befürchtete und vor
allem, wie er sie selber fand. Sein Anwalt hatte ihm versichert, sein Vater
habe zwar zweifelsohne erwartet, dass er eine Frau eheliche, zumal damals, als
er das Testament aufsetzte, nichts anderes möglich war, doch sei es nirgends explizit
erwähnt. Melrose müsse nur verheiratet sein, mit wem war egal. Und so hatte er
beschlossen, wenn er schon heiraten musste, dann würde er jemanden fragen, für
den die Ehe mit ihm garantiert nur auf dem Papier bestehen würde und das war
bekanntlich sehr geduldig.
„Was ist los, dass du mich so dringend sprechen wolltest und
extra nach London gekommen bist?“, fragte Richard in Melrose’ Gedanken hinein.
„Trueblood hat doch nicht wieder eine Leiche im Sekretär gefunden?“
Plant schüttelte den Kopf. „Kein Mord“, sagte er. „Ich
erzähle es dir beim Essen.“
///
Melrose hatte einen Tisch im teuersten Restaurant bestellt,
in dem er so kurzfristig einen bekommen konnte. Er sagte sich: Wenn schon, denn
schon. Sein Antrag sollte schließlich einen gewissen Stil haben. Nun warteten
sie auf ihre Hauptspeise. Nicht wissend, wie er das Thema taktvoll anschneiden
sollte, das ihm so unter den Nägeln brannte, zog Melrose einfach den Ring, den
er ebenfalls kurzfristig erstanden hatte, aus seiner Tasche.
Richard sah ihn überrascht an. „Ich hatte ja keine Ahnung.
Wer ist denn die Glückliche?“
Melrose schüttelte den Kopf. „Keine Glückliche. Ich...“
Himmel, wie machte man einem Mann einen Antrag? Ob er auf seine Knie sinken
sollte? Hätte er vielleicht Rosen mitbringen sollen? Wieso lernte man so was
nicht in der Schule? Oder wenigstens aus der Zeitung?
Entschlossen hielt er Richard den Ring hin. „Heirate mich“,
sagte er in der Hoffnung, der direkte Weg sei auch der beste, und fügte noch
hastig ein „Bitte“ hinzu.
Nun war Jury aber wirklich überrascht. Mit allem mochte er
gerechnet haben, damit aber garantiert nicht. „Das schmeichelt mir“, sagte er
nach einem Augenblick peinlichen Schweigens auf beiden Seiten. „Wirklich, aber
es tut mir leid, ich fürchte, ich bin nicht schwul.“
„Na, ich doch auch nicht“, platzte es aus Melrose heraus.
Er zog die Hand mit dem Ring hastig zurück, als der Kellner
ihr Essen brachte.
“Was soll dann das Ganze?“, fragte Richard und schob sich ein Stück Kartoffel
in den Mund.
„Mein Vater hat da so eine blöde Klausel in seinem
Testament“, erklärte Melrose und stocherte in seinem Essen herum. Er würde
seinen Appetit wohl erst wieder finden, wenn endlich diese blöde
Erbschaftsangelegenheit geregelt war. „Wenn ich nicht in drei Wochen
verheiratet bin, geht der Großteil meines Besitzes an diverse Organisationen.“
„Aber ich bin wohl kaum das, was er da im Sinn hatte“,
erwiderte Jury.
Melrose stocherte noch immer in seinem Essen herum, während
Richard das seinige geradezu verschlang, als habe er seit Tagen nichts
gegessen. Was womöglich auch stimmte, sollte ihn gerade ein Fall beschäftigt
halten. „Mein Anwalt hat es geprüft. Ich muss nur verheiratet sein. Mit wem
spielt keine Rolle. Ich meine, welches Geschlecht mein Partner hat. Und
mittlerweile ist es zwischen zwei Männern möglich.“
„Warum fragst du nicht Polly oder Ellen? Oder Vivian? Ein
Mann, wie du, der findet doch leicht eine Frau, die ihn mit Handkuss nimmt.“
Melrose warf Richard einen Blick zu, der die Sahara zum
Einfrieren hätte bringen können.
„Ich will nicht heiraten“, sagte er. „Ich meine, nicht
richtig. Schau, ich dachte, wir heiraten, ich zeige dem Anwalt die Papiere als
Beweis, dass ich verheiratet bin, und habe für den Rest meines Lebens wieder
meine Ruhe. Niemand sonst braucht etwas davon zu erfahren und in ein paar
Monaten lassen wir uns einfach wieder scheiden. Ich zahle dir Unterhalt bis an
dein Lebensende oder eine Aufwandsentschädigung oder was immer du willst. Du
bist doch ungebunden, dich stört es also nicht, mal ein paar Monate verheiratet
zu sein. Ich meine, keine Freundin, die das missverstehen könnte. Oder?“
Er hoffte zumindest, dass er über Richards Privatleben
soweit auf dem Laufenden war, dass er sich da nicht irrte.
Mittlerweile hatte auch Jury sein Essen vergessen. Nachdenklich
musterte er Melrose. Wie oft hatte er ihm aus der Patsche geholfen? Und damals
in Littlebourne hatte er sein Leben gerettet als eine geladene Waffe auf ihn
gerichtet und die Frau dahinter mehr als Willens gewesen war auch abzudrücken. Eigentlich
schuldete er Melrose etwas. Wenn er ihm nun aus der Patsche half, war das nur
mehr als fair. Es musste ja wirklich niemand davon erfahren.
Richard nickte. „Ja, ich will.“, sagte er.
„Was?“ Melrose blickte ihn stirnrunzelnd an, da er mit dem
Satz im Moment nicht wirklich etwas anfangen konnte.
„Na ist das nicht die richtige Antwort auf deine Frage?“,
lächelte Richard. „ Ja, ich will dich heiraten.“
///
„Herzlichen Glückwunsch.“ Der Beamte schüttelte ihnen am
ende der kleinen Zeremonie freundlich die Hände. „Damit sind Sie offiziell ein
Paar.“
„Sie dürfen einander nun küssen“, setzte er mit einem
Augenzwinkern hinzu.
Sie zogen es vor, ihn beide zu ignorieren.
Melrose zog statt dessen ein generöses Trinkgeld aus der
Tasche. Er hoffte nur, das würde ihm nicht als Beamtenbestechung ausgelegt.
„Herzlichen Dank, dass Sie so kurzfristig für uns Zeit hatten“, sagte er, dann
verabschiedeten sie sich. Melrose hielt die Urkunde, die ihre ehe bestätigte,
wie eine wertvolle Trophäe ganz vorsichtig in den Händen.
„Darf ich dich noch zum Essen einladen?“, fragte er Richard
vor der Tür des Standesamtes.
Der nickte und lächelte. „Das ist das mindeste, das ich von
meinem Ehemann erwarte.“
///
„Du wirst doch hoffentlich dieser unsinnigen Klausel nicht
nachgeben und plötzlich heiraten.“ Agatha stopfte sich ein weiteres Muffin in
den Mund, während Melrose sich fragte, woher sie nun schon wieder die Sache mit
der Heiratsklausel wusste. Von ihm bestimmt nicht. Er hatte mit niemanden außer
mit Richard und seinem Anwalt darüber gesprochen. Letzterer würde nun die
Papiere an den Nachlassverwalter weiterleiten.
“Ich darf dich erinnern, dass nicht du alles bekommst, wenn ich enterbt werde,
sondern diverse Organisationen. Ich werde Ardry End verkaufen müssen und
dann...“ Er ließ den Rest des Satzes unvollendet in der Luft hängen.
Doch Agatha, die wieder einmal uneingeladen zum Frühstück
auf Ardry End aufgetaucht war, verstand
auch so und änderte ihre Meinung geschwind wie der Wind. „Du solltest unbedingt
heiraten. Das sage ich ja seit Jahren. Such dir endlich eine Frau.“
„Aber dann wäre sie Lady Ardry und würde alles erben, wenn
ich eines schönen Tages ins Gras beiße.“ Melrose grinste hinter seiner Morgenzeitung,
zufrieden über Agathas Dilemma. Weder wollte sie riskieren, dass der
Ardry-Plantsche Familienbesitz in fremde Hände fiel und sie somit dessen
Service, den sie uneingeladen und unaufgefordert in unschöner Regelmäßigkeit in
Anspruch nahm, verlustig ging, noch wollte sie dass hier künftig die zarten
einer anderen Frau, der sie womöglich noch unwillkommener als ihrem Neffen war,
regierten.
Doch Agatha wäre nicht Agatha hätte sie nicht gleich eine Lösung für ihr
Problem gefunden. “Du solltest gegen das Testament klagen“, sagte sie. „Diese
Klausel ist doch bestimmt sittenwidrig oder wie man das nennt.“
„Keine Bange, liebste Tante“, erwiderte Melrose und streckte
seine Hand hinter der Zeitung hervor, so dass sie den Ehering sehen konnte.
„Ich habe bereits alles Notwendige arrangiert. Du darfst mir zur Hochzeit
gratulieren.“
Melrose war sich sicher, dass er zum ersten Mal erlebte, wie
Agatha ein Sahnetörtchen fallen ließ satt es in ihren Mund zu stopfen. „Du...
bist... was...“, brachte sie abgehakt und nach Luft schnappend hervor.
Melrose ließ seine Zeitung sinken. „Nun, ich habe deinen Rat
befolgt und geheiratet. Wie du ja sagtest, es war längst überfällig.“ Er
lächelte zufrieden, ihr stand der Mund sperrangelweit offen. Melrose überlegte,
dass man ihr bequem den ganzen Frühstückstisch samt Sahnetörtchen in den Mund
schieben konnte. Eigentlich war dieser Anblick die ganze Aufregung um die
Klausel fast wert.
„Wo ist sie? Wer ist sie?“, fragte Agatha, als sie ihre
Stimme wiederfand. Und wie sie sie wiederfand! „Du hast doch hoffentlich nicht
irgend so eine dahergelaufene Schlampe geheiratet, die es nur auf dein Geld und
deine Titel abgesehen hat.“ Sie überschlug sich fast.
„Ach sprichst du aus Erfahrung?“, fragte er liebenswürdig
zurück.
Sie ignorierte den Satz, wie alles, was er sagte und das ihr
nicht in den Kram passte. „Wir hätten eine große Feier veranstalten müssen. Das
gehört sich so, bei unserem Stand. Wir haben schließlich einem Ruf gerecht zu
werden! Warum stellt sie sich mir überhaupt nicht vor? Das wäre ja wohl das
Mindeste gewesen und zwar vor der Hochzeit“, ereiferte sie sich.
Melrose hatte keine Ahnung, warum sich seine Braut, wenn es
denn eine gäbe, ihr hätte vorstellen sollen, immerhin war sie seine Tante und
nicht seine Mutter. Das sagte er ihr auch zusammen mit den Worten: „Das geht
dich also gar nichts an.“
“Aber ich bin das weibliche Oberhaupt unserer Familie“, erwiderte sie pikiert.
“Also, wer ist diese impertinente Person?“
Melrose war sehr versucht, es ihr zu sagen. Aber diesen Schock
würde er sich für später aufheben. Zum einen wusste er nicht, ob Jury es Recht
war, wenn er es ihr – und damit im Endeffekt ganz Long Piddleton – erzählte,
zum anderen, wenn, dann sollte Richard dabei sein und auch seinen Spaß haben
und ihr Gesicht sehen.
Er setzte sein liebenswürdigstes Lächeln auf. „Das, herzallerliebstes
Tantchen“, sagte er. „Soll eine Überraschung sein.“
///
„Ist es wirklich wahr?“ Fiona Clingmore tupfte sich mit
einem schwarzen Tüchlein die Augen ab. Allerdings weniger, weil sie tatsächlich
Tränen vergossen hatte, sondern um ihren Lidschatten oder ähnliches zu richten,
wie Richard Jury annahm, während sie diese Frage stellte.
Er schenkte ihr eines seiner strahlenden Lächeln, was in der Regel bei keiner
Frau seine Wirkung verfehlte, und fragte: „Was soll wirklich wahr sein?“
„Dass Sie geheiratet haben... einen Mann.“ Noch einmal wurde
um die Augen getupft, dann verschwand das Tuch in ihrem großen Kulturbeutel,
der wie immer einsatzbereit auf dem Schreibtisch stand.
Jury wunderte sich, wie schnell sich manche Dinge beim Yard
herumsprachen, vor allem solche, die sich eigentlich nicht herumsprechen
sollten. Er nickte. „Es stimmt. Sie haben doch Mr. Plant kennen gelernt“, sagte
er.
„Dieser nette, attraktive Lord? Ein hübscher Mann. Und so
gebildet.“ Sie seufzte abgrundtief, als lägen alle Sorgen der Welt auf ihren
schmalen Schultern. „Ich sage ja immer, die besten Männer sind alle schwul.“
Jury hoffte, das Kompliment, als solches war es ja wohl
gedacht, bezog sich nicht nur auf Melrose Plant sondern auch auf ihn. Er griff
zum Türknauf des Büros seines Chefs, der ihn vor einer halben Stunde umgehend
zu sich beordert hatte. Richard hatte es vorgezogen erst den Bericht, an dem er
gerade arbeitete, zu beenden, wohl wissend, dass Racer in 30 Minuten noch
genauso unleidlich sein würde.
„Er hat getobt, als er davon hörte“, sagte Fiona.
Richard hatte nichts anderes erwartet. Racer tobte immer.
Besonders wenn es um ihn ging. Zu sehr fürchtete er, der erfolgreiche und
beliebte Jury könnte es auf seinen Posten abgesehen haben. Dabei lag Richard
nichts ferner als das. Er drückte, ohne anzuklopfen, die Klinke hinunter.
Cyrill, der Kater, der die ganze Zeit ihr Gespräch mit gespitzten Ohren
verfolgt hatte, sauste zwischen seinen Beinen hindurch ins Zimmer hinein.
///
„Sie kommen sich wohl besonders schlau vor, was?“
Da Racer keine Begrüßung für nötig hielt, sparte auch Jury
sich jedwede Höflichkeitsfloskeln und setzte sich einfach in dem Stuhl auf der
Besucherseite des großen Schreibtischs, hinter dem sein Chef thronte. Cyrill
sprang, von Racer unbemerkt, auf den Schrank.
Racer musterte Jury abfällig. „Sie behaupten also, Sie seien
verheiratet, ja?“
„Der Personalabteilung liegen die entsprechenden Unterlagen
vor“, erwiderte Jury ruhig. Er hatte überlegt, ob er seine Heiratsurkunde
einreichen sollte oder nicht. Einerseits lag ihm nichts daran, die Zweckehe mit
Melrose publik zu machen, anderseits sah er nicht ein, warum er nicht auch in
den Genuss der Vorteile kommen sollte, die eine Ehe ihm bot. Sei es bei
steuerlichen Fragen oder bei der Bevorzugung, was freie Feiertage anging. Er
hatte mehr als genug für den Yard getan, um kein schlechtes Gewissen zu haben,
wenn er nun seine Rechte als verheirateter Mann einforderte. Aber
offensichtlich hatte jemand es für nötig befunden, Racer zu informieren.
„Sie wollen mir also weismachen, Sie seien eine Tu...“ Racer
hielt inne. Offensichtlich fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass auch er
sich nicht jede Beleidigung gegenüber seinen Untergebenen erlauben konnte,
zumindest keine allzu diskriminierende. „Das ist einfach lächerlich. Dann bin
ich der Kaiser von China“, fuhr er fort, um dann in seinen gewohnten Monolog
einzufallen, der Jurys angebliches Versagen in den letzten Jahrzehnten
aufzählte, so als wäre er eine einzige Schande für die Polizei.
Richard schaltete, wie immer bei dieser Gelegenheit, einfach
ab und beobachtete statt dessen Cyrill, der sich auf den Schrank in Position
gebracht hatte und nun auf den geeigneten Augenblick für seinen Angriff
wartete.
„...Jedenfalls werden wir es ganz genau prüfen. Wir lassen
uns hier nicht für dumm verkaufen. Wenn Sie denken, uns mit dieser angeblichen
Ehe zum Narren halten zu können, sind Sie gewaltig auf dem Holzweg“, kam Racer
letztendlich zum Schluss.
Jury wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Chef zu.
„Wenn weiter nichts ist, Sir, auf mich warten noch einige Berichte“, sagte er
und erhob sich.
Für Cyrill war dies das Zeichen zum Angriff. Er sprang auf
den Schreibtisch, stieß alles um, was ihm in den Weg kam, sprang am anderen
Ende herab und flitzte zur Tür, die Jury ihm höflich aufhielt.
Hinter ihm schrie Racer nach Fiona. Richard schenkte ihr ein
weiteres Lächeln und ging hinaus.
///
„Mr. Plant hat angerufen. Sie sollen ihn dringend zurück rufen“,
empfing Wiggins Jury in ihrem Büro.
Richard ließ sich in seinen Sessel fallen, legte die Beine
auf den Tisch und angelte sich das Telefon.
„Mein Chef glaubt mir unsere Ehe auch nicht“, sagte er nach
einer Weile, in der er Melrose Ausführungen gelauscht hatte. Der hatte ihm
gerade erzählt, der Testamentsvollstrecker seines Vaters bezweifle den
Wahrheitsgehalt ihrer Ehe und verlange eine genaue Prüfung, worauf sein Anwalt
ihm geraten habe, sie sollten sich doch wenigstens etwas Mühe geben, auch wie ein
Ehepaar, ein schwules Ehepaar, auszusehen. „Zusammenleben und so“, hatte er
gesagt.
„Ich habe keine Ahnung, wie ein schwules Ehepaar auszusehen
hat“, ergänzte Richard.
“Na, ich doch auch nicht“, kam es aus dem Hörer zurück. „Soll ich nach London
kommen und bei dir einziehen und dir den Haushalt führen oder was?“ Es war
Melrose deutlich anzuhören, wie „begeistert“ er von dieser Idee war.
Jury schüttelte den Kopf, auch wenn der andere das nicht
sehen konnte. „Ich komme am Wochenende zu dir. Ich denke, wir sollten uns Rat
von einem Experten in Sachen schwules Verhalten holen.“
„Oh nein“, sagte Melrose, dem klar war, dass Richard nur
Marshall Trueblood, den ortsansässigen Antiquitätenhändler und bekennenden
Schwulen, meinen konnte.
“Oh doch“, erwiderte Jury. „Oder fällt dir jemand anderes ein, der uns helfen
könnte?“
„Ich gehe ein bisschen an die frische Luft“, sagte er zu
Wiggins nachdem er aufgelegt hatte, stand auf und nahm sich seinen Mantel vom
Haken.“
„Sir?“ Wiggins hielt ihn zurück, als er die Hand schon an
der Türklinke hatte.
„Ja?“ Jury drehte sich zu seinem Sergeant um.
„Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit. Ich fand ja schon
immer, Sie und Mr. Plant seien ein ideales Paar.“
///
„Sie sind was!?!" Marshall Trueblood warf in einer
dramatischen Geste die Hände nach oben. "Ich fass es nicht."
Melrose Plant seufzte und ließ sich aufs nächstbeste Sofa in
dem vollgestellten Antiquitätenladen fallen. „Warum glaubt uns bloß niemand,
dass wir ein Paar sind?", fragte er Richard Jury.
Der setzte sich ebenfalls. „Weil wir es nicht richtig
sind", erwiderte er.
„Was denn nun? Verheiratet oder nicht?", fragte
Marshall verwirrt und ließ sich theatralisch in einen Louis Quinze Sessel
fallen. Er holte eine Sobranie, die farblich genau zu seinem fliederfarbenen
Hemd passte, aus der Tasche, und zündete sie an.
„Wir sind verheiratet, aber kein Paar", erwiderte
Melrose und begann die ganze Geschichte zu erzählen. "Mein Vater hat in
seinem Testament eine Klausel eingebaut, dass ich bis zu meinem 45. Geburtstag
verheiratet sein muss, sonst verliere ich mein Erbe. Glücklicherweise hat er
nicht reingeschrieben, dass es mit einer Frau sein muss und Richard war so
freundlich, mir auszuhelfen.
"Verstehe", erwiderte Marshall. "Eigentlich
schade, dass es nicht echt ist. Ich fand schon immer, Sie seien ein schönes
Paar."
"Sie haben uns für ein Paar gehalten?", fragte
Jury verwundert.
"Nun ja", Trueblood zuckte mit den Schultern.
"Ich habe es nie ganz ausgeschlossen."
Melrose blickte mit hochgezogener Augenbraue auf Richard.
"Da geht er hin, unser schöner Ruf als Frauenheld."
"Es ist ja nicht gerade so, dass Sie beide all zu viele
Damenbekanntschaften gepflegt haben, zumindest nicht intimerer Art und soweit
mir bekannt natürlich", verteidigte sich Marshall. Er drückte die Sobranie
in einem Aschenbecher aus Bleikristall aus. "Aber wo ist nun eigentlich
das Problem? Sie sagten vorhin, ich müsse Ihnen unbedingt helfen.
Offensichtlich haben Sie Ihr Problem doch mit ihrer Hochzeit schon
gelöst."
"Das Problem ist, dass uns eben niemand glaubt, dass
wir ein Paar sind", erwiderte Melrose. „Der Anwalt meines Vaters nicht und
Richards Chef bohrt auch nach.“
"Wir dachten, Sie könnten uns helfen, ein
bisschen...", Richard räusperte sich verlegen. "...schwuler rüber zu
kommen. Ähem, als Experte auf diesem Gebiet, gewissermaßen."
"Aber solche Kleidung wie Sie ziehe ich nicht an",
warf Melrose ein, um dann nach einem erneuten Räusperer und einem warnenden
Blick Richards hastig hinzu zu fügen: "Obwohl sie Ihnen natürlich
ausgezeichnet steht."
Sie konnten es sich schließlich nicht leisten, Marshall zu
verärgern. Wer, wenn nicht der schwule Antiquitätenhändler, konnte ihnen
helfen, glaubwürdiger zu erscheinen.
Marshall musterte die beiden Männer, die in ziemlich
verkrampfter Haltung vor ihm saßen, nachdenklich. "Ihr Problem ist nicht,
ob Sie schwul wirken oder nicht, sondern, dass Sie nicht wie ein Paar
aussehen", sagte er dann.
"Wie meinen Sie das?", fragte Richard.
"Na schauen Sie sich doch an", sagte Marshall und
gestikulierte in ihre Richtung. "Wie weit Sie von einander entfernt
sitzen. Ein frisch verheiratetes Paar würde die Nähe des jeweils anderen
suchen. Es könnte quasi die Hände nicht von einander lassen. Eine zärtliche
Berührung da, eine liebevolle Geste dort und so weiter und so fort."
Er wedelte wieder mit den Händen. "Rücken Sie mal enger
zusammen."
"Noch näher", kommandierte Marshall, nachdem Jury
und Plant auf dem Sofa zusammen gerückt waren.
"Noch näher und ich sitze auf seinem Schoß",
beschwerte sich Melrose.
"Und wo ist das Problem?", fragte Marshall zurück.
"Vielleicht könnten wir diesen Punkt
überspringen", schlug Jury hastig vor, bevor Melrose ins nächste
Fettnäpfchen treten konnte.
Trueblood seufzte theatralisch, sagte aber: "Legen Sie
Ihren Arm um Mr. Plant, Richard!"
Richard tat wie ihm geheißen und legte seinen Arm um
Melrose´ Schulter.
"Sehr gut", kommentierte Marshall. "Melrose,
drehen Sie sich etwas zu ihm um und schauen Sie ihm liebevoll in die Augen.
Berühren Sie Mr. Jury zärtlich am Arm oder Bein."
"Ich komme mir vor wie bei der ersten Tanzstunde",
kommentierte Melrose, legte aber gehorsam eine Hand auf Richards linken Arm.
"Und so steif benehmen Sie beide sich auch",
beklagte sich Marshall. "So nimmt Ihnen nie jemand ab, dass Sie ein Paar
sind. Etwas mehr Einsatz müssen Sie schon zeigen."
Er seufzte erneut. "Lassen Sie mal sehen, wie es mit
Ihrer Kussglaubwürdigkeit aussieht."
"Mit was?", fragten Richard und Melrose unisono
zurück.
Ein weiterer theatralischer Seufzer entrang sich Marshall Truebloods
fliederfarbenbehemdeter Brust. Er zündete sich eine neue Sobranie an. Bei
diesem schwierigen Fall vor sich brauchte er dringend eine Nervenstärkung.
"Küssen Sie sich!", befahl er.
Plant und Jury starrten einander an. „Küssen?“, murmelte
Melrose vor sich hin. Schließlich raffte sich Richard auf, überwand die wenigen
Zentimeter, die ihn von Melrose noch trennten und drückte ihm einen kurzen
Schmatz auf den Mund.
"Oh Gott." Marshall warf verzweifelt die Hände in
die Höhe.
"Sie küssen nicht Ihre alte, nach dem Knoblauch vom
letzten Mittag riechende Erbtante, sondern Ihren Liebsten, ihren Schatz, nach
dem Sie ganz verrückt sind und dem Sie am liebsten auf der Stelle die Kleider
vom Leib reißen würden, um ihn zu vernaschen. Also etwas mehr Leidenschaft,
wenn ich bitten darf."
Marshall musste sich nach diesem Ausbruch mit der Hand Luft
zu fächeln. Richard und Melrose waren hingegen beide leicht errötet. Gehorsam
näherten sie jedoch wieder ihre Münder einander an. Diesmal fiel der Kuss
immerhin etwas länger aus.
Doch ihr Lehrer war damit alles andere als zufrieden.
"Sie wissen aber schon, was Leidenschaft ist?", fragte er.
Jury und Plant, die sich langsam tatsächlich wie zwei
Schuljungen vorkamen, nickten.
"Na dann will ich die jetzt aber auch sehen",
verlangte Marshall. "Oder soll ich es Ihnen zeigen?"
"Nein!", riefen Richard und Melrose wie aus einem
Mund.
"Küssen und zwar richtig!", verlangte Trueblood.
"Setzen Sie ruhig die Zunge ein und berühren Sie einander während Sie sich
küssen!"
´Was soll´s´, dachte Richard. ´Schließlich ist es Melrose
und kein Fremder.´ Außerdem: Wenn sie es nicht richtig machten, würde Marshall
nie Ruhe geben. Er legte seine rechte Hand auf Melrose´ Hinterkopf und zog ihn
sachte zu sich heran. Seine Lippen fanden Melrose´ Mund zu einem langen Kuss.
Seine Zunge leckte schließlich über Plants Lippen, die sich unter der zarten
Berührung öffneten. Richards Zunge spielte kurz mit ihrem Gegenstück.
"Und denken Sie daran, man kann nicht nur den Mund
küssen", ertönte Marshalls Stimme.
Gehorsam ließ Richard seinen Mund über Melrose´ Wange hinab
zu seinem Adamsapfel gleiten, an dem er leicht nippte, um sich anschließend
wieder hinauf zu Melrose´ Ohr zu küssen. Plant hatte die Augen geschlossen und
seufzte wohlig. ´Wer hätte gedacht, dass Jury so ein guter Küsser ist´, dachte
er. ´Dass es sich überhaupt so gut anfühlen kann, von einem Mann geküsst zu
werden.´ Er hätte nie erwartet, dass Männerlippen so sanft sein konnten. Seine
Hand glitt zu Jurys Hinterkopf, hielt ihn fest, damit er sich nicht von ihm
lösen konnte, krallte sich in die dunklen Haare.
"Na bitte, geht doch. Aber Sie sollten das unbedingt
noch öfters üben." Marshalls Wangen waren, als sie sich schließlich
voneinander lösten, sichtlich gerötet und er fächelte sich erneut Luft zu.
Seine Sobranie lag vergessen im Aschenbecher.
Melrose warf einen Blick auf seine Uhr. "Wir müssen ins
Jack & Hammer. Die ganze Gang ist garantiert schon da und platzt vor
Neugier." Er streckte seine Hand nach Richard aus. "Kommst du? Es
wird Zeit, dass ich das Geheimnis um meine Braut lüfte."
"Warten Sie, das darf ich nicht verpassen!", rief
Marshall den beiden nach, als sie Hand in Hand aus dem Laden eilten.
///
Als sie das "Jack & Hammer" betraten, waren
alle bereits versammelt. Vivian Rivington,
Diane Demorney, Joanna, die Wahnsinnige, und Melrose´ Tante Agatha saßen an
ihrem üblichen Tisch und unterhielten sich. Das Gespräch verstummte jedoch
sofort, als die drei Männer das Lokal betraten. Zuvor hatte Melrose noch die
Worte "unmöglich verheiratet" von seiner Tante aufgeschnappt.
Dick Scroggs, der Wirt, lehnte über seinem Tresen und las in
der Zeitung. Er blickte nun auf und Melrose gestikulierte ihm, ihm sein
übliches Old Peculier und Richard ein Single Malt zu bringen. Die alte Withers
schnarchte leise am Kamin, auf ihrem Wischmop gestützt und ließ sich auch durch
die Neuankömmlinge nicht stören.
Jurys unerwartetes Erscheinen in Long Piddleton sorgte für
eine allgemein herzliche Begrüßung, war er doch unter den Dorfbewohnern sehr
beliebt. "Sie wollen wohl auch Melrose´ Braut kennen lernen?", fragte
Diane, während Vivian bei seinem Anblick errötet war und kein Wort heraus
brachte.
"Eine Braut, die es gar nicht gibt", sagte Agatha
spitz. "Wahrscheinlich wird Melrose uns gleich weismachen, sie sei auf
mysteriöse Weise ermordet worden und der Superintendent müsse den Fall
aufklären."
"Du wirst dich noch wundern, liebste Agatha",
sagte Marshall und lächelte hintergründig. Angesichts seiner Dauerfete mit Lady
Ardry bereitete es ihm nicht geringes Vergnügen, etwas zu wissen, was sie nicht
wusste, vor allem da er sicher war, die Wahrheit würde sie gleich umhauen.
Zumindest metaphorisch gesprochen. Er setzte sich neben Agatha, um auch ja
nichts zu verpassen, und rief Scroggs seine Bestellung zu.
Nachdem auch Marshall mit flüssiger Nahrung versorgt war,
räusperte sich Melrose, der im Gegensatz zu Richard stehen geblieben war, und
nun hinter dessen Stuhl trat. "Wie ihr ja alle schon von meiner lieben
Tante", er nickte Agatha kurz zu, "gehört habt, bin ich vor kurzem in
den heiligen Stand der Ehe getreten."
"Nur glaubt dir das keiner, Plant", fiel ihm seine
Tante ins Wort.
"Ich schon", warf Vivian zaghaft ein.
"Kindchen, du glaubst wohl auch noch an den
Weihnachtsmann", bemerkte Agatha spitz.
"Ich habe es in den Sternen gesehen", gab auch
Diane ihren Senf dazu. Seit sie die Horoskope der Lokalzeitung betreute, hielt
sie sich für eine Expertin. Eine Meinung, die niemand sonst teilte. Eine
außergewöhnliche Ehe steht bevor.“
Marshall lächelte wissend, sagte aber natürlich nichts.
Melrose räusperte sich und riss das Wort wieder an sich.
"Und wie meine Tante mit ihrem gewohnten Scharfsinn richtig bemerkte, gibt
es keine Braut."
"Ich wusste es die ganze Zeit!", rief Agatha
triumphierend. "Alles nur eine Farce." Sie klatschte begeistert in
die Hände. "Dein Erbe kannst du vergessen."
Melrose ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen.
Innerlich lächelte er voller Vorfreude auf die Reaktion, die sein nun
unweigerlich kommendes Geständnis bei seiner Tante auslösen würde. Schon allein
das wäre den ganzen Aufwand wert gewesen, dass er sein Erbe behalten konnte,
war da glatt nur ein Bonus. "Sondern einen Bräutigam", fuhr er
ungerührt fort.
Die auf diese Enthüllung einsetzende Stille wurde nur vom
Schlag des eisernen Schmiedes auf dem Dachsims unterbrochen, der die volle
Stunde anzeigte. Marshall gestikulierte, Melrose solle etwas mehr Gefühl an den
Tag legen.
Also setzte er sein strahlendstes Lächeln auf, legte seine
Hände auf Richards Schultern und sagte: "Mein geliebter Richard war so
liebenswürdig, mir sein Herz und sein Ja-Wort zu schenken." Er fand, dass
das ganze reichlichst schwülstig klang, doch es verfehlte seine Wirkung nicht.
„Er hat mich vor acht Tagen zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.“
Fünf Augenpaare starrten sie beide ungläubig an. Diane
vergaß sogar für einen Augenblick ihren Martini und Dick blickte von seiner
Zeitung auf. Nur Mrs. Witherby schnarchte fröhlich weiter.
Marshall bedeutete Melrose derweil mit gespitzten Lippen, er
möge Richard küssen. Also beugte er sich herab, um Jury einen raschen Kuss auf
die Wange zu drücken. Da sich Richard aber in diesem Moment zu ihm umdrehte
trafen sich stattdessen ihre Lippen und der Kuss fiel wesentlich länger als
geplant aus.
Als Melrose wieder aufblickte, sah er, wie Marshall sich mit
der Speisekarte Luft zu fächelte, während die anderen sie noch immer mit
offenen Mündern anstarrten.
Natürlich war es Agatha, die als Erste ihre Sprache wieder
fand. "Das ist unmöglich", krächzte sie und ihre Stimme überschlug
sich dabei fast. "Welch infames Spiel! Und dass du dich nicht schämst, den
Superintendenten da mit rein zu ziehen. Sagen Sie ihm, er soll das Lügen auf
der Stelle lassen!", wandte sie sich an Richard.
Jury lächelte liebenswürdig. "Ihr Neffe hat ganz Recht,
Lady Ardry. Wir lieben uns und sind seit letzter Woche verheiratet. Möchten Sie
vielleicht die Heiratsurkunde sehen?"
"Ich wusste, dass du dich für uns freuen würdest,
liebste Tante", ergänzte Melrose mit boshaftem Lächeln. "Wo Richard doch
garantiert keinen Anspruch auf den Titel einer Lady Ardry erheben wird."
Eigentlich sollte seine Tante ja froh sein, dass er einen Mann geehelicht
hatte, war ihre größte Sorge der letzten Jahre doch gewesen, jemand könnte ihr
den widerrechtlich angeeigneten Titel streitig machen. Doch Agatha hoffte wohl
immer noch, würde Melrose seines Erbes verlustig gehen, weil er die
Heiratsklausel im Testament seines Vaters nicht eingehalten hatte, fielen Ardry
End und all die anderen Besitztümer an sie.
"Ich wusste es schon immer, ich habe es in den Sternen
gesehen, dass ihr das ideale Paar seid", verkündete Diane selbstgefällig
und hob ihr Riesenglas Martini zum Salut, während Joanna bemerkte, es wäre
eigentlich eine gute Idee ihren nächsten Liebesroman um ein schwules Paar zu
schreiben. Melrose fragte sich, ob ihr Verleger und ihre Leserinnen das genauso
sehen würden.
Vivian gratulierte den beiden von Herzen, wirkte dabei aber
ausgesprochen traurig. Der ganze Aufruhr hatte nun endlich auch Mrs. Withersby
geweckt, die ihren zahnlosen Mund öffnete und verkündete, es sei eine Schande,
dass das Brautpaar nicht mal eine Runde auf seine Heirat ausgäbe.
Melrose, ganz braver Bürger, tat, wie befohlen.
///
"Ist doch ganz gut gelaufen, oder?" Melrose
blickte von dem Buch auf, in dem er mit regem Interesse geblättert hatte, als
Richard frisch geduscht das Schlafzimmer betrat und ins große Doppelbett
schlüpfte. Melrose selbst lag schon unter die seidenen Laken gekuschelt.
"Bis auf deine Tante scheinen uns alle das Ehepaar
abgenommen zu haben", erwiderte Jury. Sie hatten ihre rasch,
unangekündigte und ungefeierte Hochzeit damit begründet, dass sie die keinen
Tag länger hatten warten und die neue Gesetzeslage umgehend ausnutzen wollten.
Bis auf Agatha schien das jeder der Anwesenden zu schlucken.
"Agatha würde uns nicht mal glauben, wenn wir so was im
Jack & Hammer vor aller Augen täten", meinte Melrose. Er hielt Richard
das Buch hin.
Marshall Trueblood hatte es sich nicht nehmen lassen auf dem
Nachhauseweg vom "Jack & Hammer" ihnen zur "Vertiefung ihres
Unterrichts", wie er es nannte, einige Bücher aus seinem offensichtlich
recht umfangreichen Besitz mit der Aufforderung sie ja auch genauestens zu
studieren mitzugeben und weitere Titel zu nennen, deren Lektüre er ihnen dringend
anraten würde, wollten sie glaubhaft als Paar durchgehen. Melrose hatte sich
einen Spaß daraus gemacht, mit besagter Liste umgehend in Theo Wrenn Brownes Buchladen
aufzutauchen.
Da sich in Long Pidd, wie in so vielen kleinen Orten,
Neuigkeiten mit Lichtgeschwindigkeit herum sprachen, hatte der wenig beliebte
Buchhändler natürlich schon von ihrer Vermählung gehört und gratulierte ihnen
mit süß-säuerlicher Miene. Melrose fragte sich, auf wen von ihnen beiden er
denn nun eifersüchtig war. Oder war es eher die allgemeine Tatsache ihrer Ehe,
die ihn ärgerte, wo er sich selbst doch noch nicht einmal traute offen zu
seiner Homosexualität zu stehen, geschweige denn einen Partner aufweisen
konnte.
Melrose hatte die Bücher mit der Erklärung, sie hätten schon
alle möglichen Stellungen und alle möglichen Orte ausprobiert und vielleicht
könnten sie ja noch etwas Neues lernen, bestellt und sich innerlich an Theos
kochender Eifersucht geweidet. Das war zwar nicht die feine englische Art, zu
der man ihn erzogen hatte, aber Browne hatte sich mit seinem arroganten
Verhalten und vor allem dem Versuch, die Dorfbücherei zu vernichten, nicht
gerade Freunde in Long Pidd gemacht und eine Abreibung mehr als verdient, fand
zumindest Melrose.
Nun zeigte er Richard eines der Bilder in dem Buch
erotischer Aktfotografien, in dem er schon seit geraumer Zeit angelegentlich
blätterte. Ihm war zwar nicht ganz klar, was das mit ihrer Weiterbildung als
Paar zu tun haben sollte, aber ihm gefielen die anspruchsvoll fotografierten
Akte. Die Fotografien der, zumeist paarweise mitunter aber auch zu mehreren,
miteinander beschäftigten jungen Männer ließen wenig Raum für Spekulationen
über ihre Beschäftigung im Moment der Aufnahme und zeichneten sich durch große
Liebe zum intimen Detail aus.
"Ich hätte nicht gedacht, dass der menschliche Körper
oder in dem Fall der männliche zu solchen Verrenkungen fähig ist",
kommentierte Richard das ihm gezeigte. Drei junge Männer schienen regelrecht
ineinander verknotet zu sein, wobei offensichtlich jeder in der einen oder
anderen Form auf seine Kosten kam.
"Ich auch nicht", räumte Melrose ein. "Aber
um auf meine Tante zurück zu kommen. Selbst wenn sie den Nachlassverwalter
meines Vaters weiter aufstachelt, alle anderen im Dorf werden unsere Ehe
bereitwillig bestätigen und bezeugen und Ruthven kann ruhigen Gewissens
angeben, dass wir die Nacht im selben Bett verbracht haben." Obwohl Ardry
End natürlich über reichlich Gästezimmer verfügte, hatten sie sich entschieden
bis auf weiteres aus Glaubwürdigkeitsgründen gemeinsam in einem Raum zu
schlafen.
"Ich kann bis Dienstag bleiben, wenn nichts dazwischen
kommt", sagte Richard. "Du solltest danach ein paar Tage mit zu mir
nach London kommen. Es wäre sicher glaubwürdiger, wenn wir als Paar so kurz
nach der Hochzeit zusammen sein wollen."
"Gern", erwiderte Melrose und blätterte eine Seite
um.
"Auch wenn ich nicht mit einem so komfortablen Bett
dienen kann", ergänzte Richard sicherheitshalber.
"Macht nichts. Es sollte nicht allzu lange dauern, bis
alles ein für alle Mal geregelt ist und wir uns fröhlich scheiden lassen
können", erwiderte Melrose, sein Blick magisch von dem Foto auf dieser
Seite angezogen. Ein blonder, junger Mann kniete auf einem breiten, antiken
Bett, dem seinen nicht unähnlich, die Hände fest um die eisernen Bettstangen
geschlossen, während ein dunkelhaariger Bursche ihn von hinten nahm. Melrose
fand, dass die beiden Männer wie eine jüngere Ausgabe von Richard und ihm
wirkten und dass das, was sie da taten, ihnen ganz offensichtlich großes Vergnügen
bereitete. Dem Fotografen war es gelungen, ihre Verzückung, womöglich im Moment
höchster Ekstase, genau festzuhalten.
Melrose’ Blick wanderte zwischen den ekstatisch verzückten
Gesichtern und jener Stelle, an der der Hintere in seinen Vordermann eindrang
hin und her. Er seufzte - Wann hatte er eigentlich das letzte Mal Sex gehabt?
Es musste um 1845 gewesen sein oder eher um 1756, ihm kam es jedenfalls
Jahrhunderte her vor und so befriedigt war er damals garantiert auch nicht
gewesen - und öffnete den obersten Knopf seiner Pyjamajacke. Irgendwie war es
heute seltsam heiß in seinem Schlafzimmer. Man sollte dringend das Fenster
öffnen.
Richard hatte sich derweil ein anderes, eher aufklärerisches
Buch vom Nachttisch genommen und murmelte beim Lesen etwas von Penetration vor
sich hin.
Melrose legte das Buch zur Seite und sah Richard an.
"Was hältst du davon, wenn wir noch ein bisschen küssen üben?"
Irgendwie war ihm plötzlich danach.
"Gern", erwiderte Jury. Wie Melrose hatte er rasch
Gefallen an derlei Aktivitäten gefunden und sie hatten sie im Laufe des
Nachmittages in der Kneipe noch reichlich demonstriert. Natürlich nur, um ihre
Glaubwürdigkeit gegenüber den Anderen zu erhöhen, und sehr zu Marshalls Freude,
auch wenn er meinte, ihre Vorstellung ließe noch stark zu wünschen übrig und
sie müssten fleißig weiter üben.
Auch Richard legte sein Buch zur Seite und wandte sich
seinem Bettgefährten zu. Melrose beugte sich etwas vor, um ihn zu küssen. Er
erinnerte sich an Marshalls Anweisung vom Nachmittag, auch die Zunge ins Spiel
zu bringen und tat genau das.
Geschätzte fünfzehn Minuten später waren sie noch immer
eifrigst damit beschäftigt einander zu küssen, nur war das längst nicht mehr
nur auf den Mund und das Gesicht beschränkt. Zudem war ihre Nachtbekleidung im
Laufe der Zeit Dank eifriger Hände wie fast wundersamerweise verschwunden.
Schwer atmend und vollkommen nackt lag Richard auf Melrose,
als der ihm ins Ohr flüsterte: "Was hältst du davon, mich mit dem großen,
harten Ding, dass ich zwischen deinen Beinen spüren kann, zu penetrieren?"
"Sehr viel", erwiderte Richard, seine Stimme
ebenso rau wie Melrose´. "Hast du es schon mal gemacht, mit einem Mann,
meine ich?"
"Nein", antwortete Melrose. "Und du?"
"Auch nicht“, erwiderte Richard. “Aber ich kann nicht
verhehlen, dass mir die Vorstellung momentan sehr gefällt." Eher
widerstrebend rollte er sich von Melrose herab.
"Ich frage mich", überlegte Melrose. "Ob mein
nicht sonderlich erfolgreiches Verhältnis zu Frauen nicht darin begründet lag,
dass ich bisher auf der falschen Seite des Ufers angelte, sozusagen.“
Richard nickte. "Ich habe mich auch schon gewundert, ob
meine Beziehungen deshalb scheiterten, weil ich mir unbewusst Frauen suchte,
mit denen es gar nicht funktionieren konnte, weil ich eben gar nicht wollte,
dass es funktioniert."
Melrose, so stellte er nun fest, war neben seiner Arbeit und
seiner Islingtoner Wohnung nebst den damit verbundenen Kollegen und Nachbarn
die einzige Konstante in seinem Leben und das, was einer Familie am nächsten kam. Sie hatten trotz ihrer so
unterschiedlichen Herkunft mehr gemeinsam als viele andere Paare, nicht zuletzt
die Wunden ihrer Jugend, und auf einmal schien die Vorstellung, einander auch
körperlich näher zu kommen gar nicht absurd, sondern hatte vielmehr etwas sehr
verlockendes.
Richard richtete sich auf und konsultierte kurz das Buch, das
aufgeschlagen auf dem Nachttisch lag. "Hier steht, für Anfänger ist es am
besten in der Seitenlage", sagte er. "Das obere Bein
angewinkelt."
Melrose nahm die
angegebene Position ein. Richard griff zur Gleitcreme, die Marshall ihnen in
weißer Voraussicht auch mitgegeben hatte. Er konsultierte erneut kurz das Buch.
"Hier steht, ich soll dich mit den Fingern gut vorbereiten, deinen Muskel
dehnen und einschmieren."
"Ich komme mir vor wie ein Toaster, dessen
Gebrauchsanweisung du studierst", protestierte Melrose.
"Ich will halt keinen Fehler machen und dir auf keinen
Fall weh tun. Ich weiß doch auch nicht, wie das geht", erwiderte Richard.
Er rückte dich an Melrose heran und ließ seinen Finger sanft die schmale
Öffnung necken. Schließlich holte er tief Luft und schob ihn vorsichtig hinein.
"Oh", machte Melrose und Richard hielt sofort
inne. Doch Plant forderte ihn auf: "Mach weiter" und Jury brachte
einen zweiten Finger ins Spiel.
Nach einer Weile fragte Richard: "Meinst du, du kannst
ihn jetzt aufnehmen?"
"Lass es uns versuchen", erwiderte Melrose.
Richard löste sich von ihm, griff zu den Kondomen, eine
weitere Spende Truebloods, streifte sich eins über, cremte sich ein und warf
noch einmal einen Blick in den Ratgeber.
"Der Empfangende verspürt in der Regel zunächst den
Drang seinen Darm zu entleeren", las er vor.
"Vergiss endlich das dämliche Buch und steck mir das
Ding hinten rein", knurrte Melrose ungeduldig. "Wir werden das doch
wohl auch so hinkriegen." Er dachte wieder an die hingebungsvollen,
ekstatischen Blicke der jungen Männer auf den Fotografien und wollte das
unbedingt auch spüren.
"Wenn dir etwas nicht gefällt oder ich aufhören soll,
sag es", bat Richard, als er sich an Melrose schmiegte und sein Glied in
Position brachte.
///
Etliche Minuten, ungezählte Seufzer und Stöhner und einige
laute Schreie später, als sich ihr Puls und ihre Atmung langsam wieder
beruhigten, sagte Melrose: "Himmel, war das gut."
"Es war fantastisch", stimmte ihm Richard zu, noch
immer eng an den Rücken seines Partners geschmiegt.
"Warum haben wir das nicht eher gewusst, da hätten wir
es schon lange tun können?", seufzte Melrose.
"Ich nehme an, jetzt willst du nicht mehr die Scheidung?",
fragte Jury.
"Gott bewahre, nein ", antwortete Melrose rasch
und drehte sich zu Richard um. "Du etwa?", seine Stimme klang
besorgt.
Richard nahm ihn in die Arme. "Niemals!"
///
Epilog:
"Was meinst du, könnten wir das mal
ausprobieren?", fragte Melrose am nächsten Morgen und zeigte Richard sein
Lieblingsbild.
Sie hatten ihn nach einer angenehmen Nacht in den Armen des
anderen mit heißen Guten-Morgen-Küssen verbracht, die ihre Wirkung auf tiefer
liegende Körperregionen nicht verfehlten.
"Gern", erwiderte Richard und griff zur
Gleitcreme.
Wenige Minuten später waren sie so vertieft in ihr
Liebesspiel, dass sie die Schritte, die sich dem Schlafzimmer näherten und dann
vor der Tür stehen blieben, nicht hörten, ebenso wenig die Stimmen, die nun
erklangen.
"Glauben Sie mir", rief Lady Agatha. "Das ist
alles ein ausgemachter Schwindel. Selbst wenn mein Neffe vom anderen Ufer sein
sollte, was ich ihm durchaus zutraue, der Superintendent ist es bestimmt nicht.
Sie werden sehen, Plant schläft allein. Von wegen trautes Ehepaar!"
"Madame, Sie können da nicht rein", flehte
Ruthven.
"Papperlapapp", erwiderte Agatha entschlossen.
"Kommen Sie, Herr Anwalt."
Sie schob Ruthven zur Seite, riss die Tür auf und blieb wie
erstarrt stehen.
"Hallo Tantchen", grüßte Melrose freundlich.
"Sir Brodwin."
Wohl zum ersten Mal in ihrem Leben war Agatha sprachlos,
zumindest für mehr als fünf Sekunden. Sie machte auf dem Absatz kehrt und floh
aus dem Zimmer. Vom Ende des Ganges hörte man sie "Sodom und
Gomorrha" rufen.
"Es ist mir unendlich unangenehm. Ihre Tante bestand...
Bitte entschuldigen Sie vielmals, Mylord", stotterte der Nachlassverwalter
seines Vaters, dann floh er ebenfalls.
Ruthven hielt die Augen diskret gesenkt, als er sagte:
„Bitte verzeihen Sie, Mylord, ich habe versucht, Ihre werte Frau Tante
aufzuhalten.“
„Schon gut, Ruthven“ erwiderte Melrose mit jener
Gelassenheit, die seine Erziehung mit sich brachte und die ein wahrer
englischer Gentleman immer an den Tag legte, egal ob im Salon eines
herrschaftlichen Schlosses oder in seinem eigenen Bett mit den Händen fest um
die eisernen Bettpfosten geschlossen und seinen Liebhaber tief in sich. „Meine
Tante kann nichts und niemand aufhalten. Bitte haben Sie die Güte nachzusehen,
ob sie den Schock überlebt hat. Falls erfreulicherweise nicht, rufen Sie den
Bestatter. Ich mag keine Leichen im Haus. Bringen Sie bitte Sir Brodwin etwas
zu trinken und richten Sie ihm aus, ich... ich komme gleich.“
Der letzte Satz wurde nicht nur in zweideutiger Weise,
sondern auch etwas heftiger atmend ausgestoßen, die Richard, der auf die
peinliche Situation bisher mit Innehalten reagiert hatte, nun seine Bewegungen
wieder aufnahm.
Ruthven verbeugte sich: „Sehr wohl, Mylord.“ Dann fiel die
Tür hinter ihm ins Schloss.
Ende