Titel: Kamingespräch #2
Serie: Martha Grimes‘ Inspector Jury Romanreihe
Autor: Lady Charena / Juni 2003
Charaktere: Melrose Plant, Richard Jury, Marshall Trueblood, weitere Charaktere
Rating: pg12 [slash]
Worte: 2613
Beta: T’Len
Summe: Ein Gespräch mit Trueblood führt zu
überraschenden Erkenntnissen. (Teil 2 des Prequels zu „Mord in Ardry End“)
Disclaimer: Bei dieser Story handelt sich um nicht-kommerzielle Fanfiction, es
wird keine Verletzung von Urheberrechten beabsichtigt. Die Charaktere wurden
von Martha Grimes geschaffen.
Jury sah sich um. Das Innere von Truebloods Häuschen
hatte sich kaum verändert, seit er zum letzten Mal hier gewesen war. Noch immer
stand alles mit diesen zerbrechlichen, kostbaren Möbeln voll, die aussahen, als
wären sie nicht in der Lage, irgend etwas
außer ihrem eigenen Gewicht zu tragen. Er konnte allerdings unmöglich sagen, ob
es noch die gleichen waren – das heißt, bis auf das lilafarbene Sofa, auf dem
er damals Platz genommen hatte, um Marshall über seine Beziehung zu Ruby Judd zu befragen.
„Oh Gott, Sie wollen hoffentlich nicht schon wieder ein Alibi von mir?“, tönte
es von der Treppe, die nach oben führte.
Jury drehte sich um – und blinzelte überrascht. Was um alles in der Welt war
mit Trueblood passiert? Er sah so... normal aus!
Offensichtlich hatte sein Gesicht ihn verraten, denn Trueblood
fuhr sich mit den Fingern durch sein wirr abstehendes Haar, ohne dabei großen
Schaden – oder Nutzen – anzurichten. Er trug verwaschene Jeans und ein
schlichtes, weißes T-Shirt. Jury hätte bis zu diesem Moment sein Leben darauf
verwettet, dass sich so etwas garantiert nicht im
Besitz des Antiquitätenhändlers befand.
Was ihn am meisten verblüffte, war, wie erschreckend jung Marshall in diesem
Aufzug wirkte. Man vergaß so leicht, dass er fast sechs Jahre jünger als Melrose Plant war. Jury fühlte sich plötzlich sehr alt.
„Nun?“, fragte Trueblood und hob erwartungsvoll die
Augenbrauen. „Verhaften Sie mich jetzt gleich?“ Das übliche Trueblood‘sche
Grinsen lag auf seinem Gesicht, doch verbarg es nicht die Müdigkeit – und etwas
anderes, schwer greifbares.
Jury lächelte. „Nein“, entgegnete er. „Hat sich hier eigentlich irgend etwas seither verändert?“
„Ich habe das eine oder andere ausgetauscht, das mir nicht mehr gefiel.“ Trueblood kam langsam die Treppe herunter.
Er ging an Jury vorbei, ohne ihn anzusehen. Und endlich wusste er, was er in Truebloods Gesicht gesehen hatte – Verlegenheit.
Trueblood setzte sich auf das Sofa und griff nach
seinen Zigaretten. Er bot Jury keine an, da er wusste, dass der Superintendent
mit dem Rauchen aufgehört hatte. Er lehnte sich zurück und wies auffordernd auf
einen gegenüber stehenden Sessel, in dem Jury Platz nahm. „Ich habe Ihnen nie gedankt“,
meinte Trueblood nachdenklich.
„Wofür?“ Jury beugte sich leicht vor.
„Dafür, dass Sie damals die... Sache mit Ruby nicht breitgetreten haben.“ Trueblood lachte, doch es klang alles andere als fröhlich.
„Ich hatte immerhin einen gewissen Ruf zu verlieren.“
„Ich habe es Melrose Plant erzählt.“ Jury wusste auch
nicht so recht, was ihn zu diesem Geständnis bewogen hatte. Aber das lag alles
schon so lange zurück... Er hatte das Gefühl, dass Marshall auf etwas wartete –
und versuchte, das so lange wie möglich hinaus zu zögern.
Trueblood wurde noch eine Spur blasser, zuckte
zusammen, als hätte er einen Schlag erhalten und drückte seine Zigarette
heftiger als nötig aus. „Damit wären wir also beim Thema“, meinte er lustlos
und stocherte mit der Fingerspitze im Aschenbecher herum. „Hören Sie, Richard,
es tut mir wirklich leid, was ich gestern Nacht alles von mir gegeben habe.
Hoffentlich sind Sie und Melrose nicht allzu sauer
auf mich. Fragen Sie ihn nur, was Dianes Martinis anrichten können. Man könnte
das Zeug als Molotow-Cocktail verwenden.“ Er blickte auf. Hektische rote
Flecken glühten auf seinen Wangen. „Können wir das ganze
nicht einfach vergessen? Ich war so betrunken, ich wusste einfach nicht mehr,
was ich sagte.“
Jury unterdrückte ein Lächeln. „Ich bin nicht deswegen zu Ihnen gekommen“,
entgegnete er sanft. „Es ist längst vergessen. Ich wollte mich nur erkundigen,
wie es Ihnen geht.“
„Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, dass Sie nur die Sorge um
mein Wohlbefinden zu so früher Stunde hierher treibt.“ Für einen Moment blitzte
der alte, sarkastische Marshall Trueblood auf. „Äh...
und Melrose?“
„Er schlief noch, als ich gegangen bin.“ Jury lauschte einen Augenblick seinen
eigenen Worten nach und runzelte die Stirn. Fing er jetzt auch schon an,
Gespenster zu sehen?
Trueblood, der sich gerade eine neue Zigarette
anzündete, zögerte einen Moment. „Ich meinte, ob er noch irgend etwas gesagt hat? Ich glaube, er war gestern
ziemlich wütend.“
Jury lehnte sich zurück. “Da fragen Sie ihn wohl am besten selbst.”
“Am besten verlasse ich Long Pid so schnell wie
möglich”, meinte Trueblood düster. “Bevor sie mich
federn und teeren.”
Jury lachte. “Ich glaube nicht, dass es ganz so schlimm werden wird.” Dann
wurde er unerwartet ernst. „Kann ich Ihnen helfen?“
Überrascht sah Trueblood auf. „Helfen? Mir? Warum
denn?“ Er warf das goldene Feuerzeug so heftig auf den Tisch, dass es bis auf
die andere Seite schlitterte. „Sehe ich aus, als würde ich Hilfe benötigen?“
Jury fing es auf, bevor es auf den Boden fallen konnte. „Ja“, entgegnete er
trocken. „Jeder, der sich von Diane Demorney zum
Wett-trinken herausfordern lässt, braucht Hilfe. Sofern er es überlebt.“
Aufstöhnend ließ Trueblood den Kopf in die Hände
fallen. „Mussten Sie das unbedingt erwähnen?“, klagte er. „Ich kriege wieder
Kopfschmerzen.“ Er massierte vorsichtig seine Schläfen.
„Geschieht Ihnen Recht“, beschied Jury. „Also, was ist los?“ Fast ohne es zu
merken, drehte er das Feuerzeug in den Fingern.
Trueblood sah auf. „Ein Polizist ist immer im Dienst,
was, Superintendent?“, meinte er spottend.
Jury lächelte nur und zuckte leicht mit den Schultern.
Der Antiquitätenhändler drückte seine kaum angerauchte Zigarette aus. „Na gut“,
meinte er. „Das ist kurz gesagt. Ich wurde von meinem Freund in London
abserviert.“
„Abserviert?“, echote Jury.
„Er hat einen anderen. Aus. Finito. Basta. Ende der
Fahnenstange. Gestern Vormittag hat er es mir mitgeteilt, am Telefon. Ich wäre
sonst heute hingefahren.“ Er lachte bitter. „Wenn Sie so wollen, war das
Wett-trinken mit Diane ein missglückter Selbstmordversuch.“ Jury blickte ihn
erstaunt an und Trueblood winkte ab. „Streichen Sie
den letzten Satz wieder. Ich eigne mich nicht zur Julia.“ Er griff nach seinen
Zigaretten, überlegte sich es sich aber dann doch anders und ließ den Kopf
wieder in die Hände fallen.
„Es ist nie einfach, eine Beziehung auf Distanz zu führen“, meinte Jury nach
einer Weile.
Er dachte an seine eigene, katastrophale Beziehung mit Jenny Kennington. Welche Beziehung?,
fragte er sich bitter.
Trueblood schnaubte. „Klingt, als hätten Sie da
Erfahrung“, murmelte er.
Jury lächelte flüchtig. „Zur Genüge.“ Vielleicht war es doch kein so guter
Gedanke gewesen, hierher zu kommen. Warum eigentlich war er auf diese Idee
verfallen? Die Kummerkasten-Tante für Trueblood zu
spielen? Er erhob sich. „Tja, ich gehe dann wieder.“
Marshall sah auf. „Sie sind mir doch nicht böse?“, fragte er.
Jury schüttelte den Kopf. „Ich würde nur vorschlagen, Sie halten sich in
Zukunft etwas zurück.“
„Ich schwöre, ich nehme nie wieder ein Martini-Glas in die Hand.“
Nachdenklich betrachtete Jury ihn. „Ich meinte auch eher, dass Sie besser
darauf achten sollten, was Sie sagen. Ein Gerücht ist schnell verbreitet, vor
allem in einem kleinen Ort wie Long Piddleton.“ Er
trat zur Tür, als Marshall Trueblood keine Anstalten
machte, zu antworten.
„Erlauben Sie mir eine Frage, Superintendent?“, driftete es hinter ihm her.
Jury stoppte und wandte sich dem Antiquitätenhändler zu, der nun nicht mehr so
ganz wie ein Häufchen Elend wirkte. „Bitte.“
„Sie und Melrose. Zwischen Ihnen und Melrose...“ Hastig hob Trueblood
die Hand, als hätte Jury Einwände erhoben. „Verstehen Sie mich nicht falsch,
bitte! Ich meine nur...“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist da wirklich nichts
zwischen Ihnen beiden?“
„Es ist nichts.“ Jury zögerte einen Augenblick, bevor er das sagte und dachte
an die Begegnung vor dem Kamin... Schwachsinn! Er ließ sich von Truebloods Geschwätz anstecken.
„Sie müssen wissen...“ Trueblood brach ab. „Sie
wissen nicht...“ Wieder brach er ab, selten verlegen um Worte, wie ihn Jury
noch nie zuvor gesehen hatte. „Ich meine, Sie kennen Melrose
nicht so gut wie ich. Zwangsläufig“, fügte er hektisch hinzu. „Es gibt hier ja
kaum Abwechslung, als sich im Jack-and-Hammer zu treffen
und zu betrinken. Melrose ist oft dort, um seiner
Tante zu entgehen... Was ich eigentlich sagen wollte, ist – er ist so ganz
anders, wenn Sie hier sind. Sie sehen nicht, wie seine Augen zu leuchten
beginnen, wenn eine Nachricht von Ihnen kommt oder Sie Ihren Besuch
ankündigen.“
„Ich verstehe nicht, was daran so besonders ist“, entgegnete Jury. „Wir
verstehen uns gut, sind befreundet...“
Ein fast mitleidiger Blick traf ihn. „Seien Sie ehrlich, Richard. Zu sich
selbst. Wenn Melrose eine Frau wäre – hätten Sie sich
dann nicht längst in ihn verliebt?“
Ärger stieg in Jury auf, doch er schaffte es, ihn zurück zu drängen. „Ich
glaube, Sie sollten sich noch einmal hinlegen“, erwiderte er ruhig. „Ich weiß
nicht, was Sie auf den Gedanken bringt, dass ich mit allen Frauen, mit denen
ich mich gut verstehe, ins Bett gehe.“ Einen Moment lang stand Jenny Kenningtons Bild vor seinen Augen und er verdrängte es.
„Außerdem fällt es mir sehr schwer, mir Melrose Plant
als Frau vor zu stellen. Was immer Sie andeuten wollen, weder bei mir noch bei
Plant gibt es irgendeinen Grund dazu“, schloss er trocken.
Trueblood sah ihn mit einem matten Lächeln an.
„Vielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken. Das Leben ist zu kurz,
um gesellschaftlichen Konventionen nach zu hecheln, ohne nach links oder rechts
zu sehen.“ Trueblood griff nach seinen Zigaretten und
steckte sich eine an.
„Was wollen Sie damit sagen?“, fragte Jury belustigt. „Dass ich eigentlich...
homosexuell bin?“
Trueblood blickte ihn durch einen Rauchschleier
hindurch an, sein Gesichtsausdruck rätselhaft wie der einer Sphinx. „Nein“,
entgegnete er. „Sind Sie wirklich noch nie einem Mann begegnet, der auf Sie
anziehend wirkte? Früher oder später begegnet doch jeder einmal so einem
Menschen.“
Einen Moment lang überlegte Jury, ob Trueblood
vielleicht selbst Interesse an ihm – oder gar an Melrose...
aber er schob diesen Gedanken rasch von sich. Doch ihm fiel auf, dass der
Antiquitätenhändler einen wesentlich munteren Eindruck machte, als noch wenige
Minuten zuvor – und so ernst und vernünftig klang, wie Jury ihn noch nie erlebt
hatte.
Er räusperte sich. „Natürlich, habe ich so etwas schon einmal erlebt“, sagte
er. „Aber es war nur ein flüchtiger Augenblick. Nichts von Bedeutung.“
Trueblood biss sich nervös auf die Unterlippe. „Und Melrose Plant?“
Er ist ein anziehender Mensch... „Worauf wollen Sie hinaus?“
Marshall zuckte mit den Schultern. „Ich will nur, dass Sie nachdenken.“ Er
beugte sich vor, drückte seine Zigarette aus und stand auf, um zu Jury zu
treten. Ein schiefes Lächeln krümmte seine Lippen. „Natürlich können Sie meine
Worte der Tatsache zuschreiben, dass ich eventuell noch nicht wieder ganz
nüchtern bin.“
„Dann sollten Sie kalt duschen“, entgegnete Jury trocken.
Trueblood ignorierte die Bemerkung. „Aber verstehen
Sie, ich... mag Melrose sehr, er ist ein guter Freund
und ich würde ihn gern glücklich sehen.“
„Mit mir?“, entgegnete Jury ungläubig. „Das kann nicht Ihr Ernst sein.“
„Dann vergessen Sie, was ich gesagt habe.“ Trueblood
wandte sich ab und platzierte sich auf dem Sofa. Plötzlich erschien der
affektierte Ausdruck wieder in seinen Zügen und er lächelte. „Achten Sie nicht
auf die Worte einer liebeskranken Tunte, die romantischen Vorstellungen von
wahrer Liebe nachhängt.“ Er zupfte mit Abscheu an seinem T-Shirt. „Aber
entschuldigen Sie mich bitte, ich muss mich unbedingt umziehen. Ich sterbe in
diesen Klamotten. Sie finden den Weg ja selbst, nicht wahr, Superintendent?“
Der alte Marshall Trueblood war zurück. Jury wusste
nicht, ob er sich darüber freuen oder es bedauern sollte. „Natürlich.“ Er
öffnete die Tür. „Wir sehen uns ja noch.“
„Aber klar und grüßen Sie mir Melrose.“ Trueblood winkte königlich und sprang auf, um die Treppe
hoch zu eilen, sobald Jury den Raum verlassen hatte.
* * *
Jury bog in die Hauptstraße ein, er hatte kurz erwogen, bei Vivian Rivington rein zu sehen, es dann aber unterlassen. Zu
vieles ging ihm im Kopf herum. Er lächelte über sich selbst. Dieser Trueblood hatte es doch fast geschafft, ihn irr werden zu
lassen, mit seinem Gerede über Anziehungskraft und... Er blieb stehen und fuhr
sich über das Gesicht. Was als erholsamer Urlaub bei Plant geplant gewesen war,
entpuppte sich immer mehr als Komödie. Oder eher als Tragödie?
Er warf einen Blick auf die Uhr. Wenn er noch frühstücken wollte, sollte er
sich jetzt wohl besser beeilen.
* * *
In der Bibliothek traf er auf Melrose Plant, der
sichtlich missmutig in einer Tasse Kaffee rührte.
“Wo kommen Sie denn um diese Zeit schon her?”, fragte er erstaunt, als er seinen
Gast eintreten sah.
„Ich habe Trueblood einen Besuch abgestattet“,
erklärte Jury und goss sich ebenfalls eine Tasse ein.
„Er ist hoffentlich entsprechend zerknirscht“, meinte Melrose
mit leichtem Unterton – sein Gesicht nahm jedoch einen verschlossenen Ausdruck
an.
Jury tat, als sehe er es nicht. Er verspürte eine Art von perversem Verlangen, Melrose mit Truebloods absurden
Bemerkungen zu konfrontieren. Grimmig griff er nach einer Toastscheibe und
begann, sie mit Butter zu bestreichen. „Er hat sich entschuldigt. Und mich
praktisch im gleichen Atemzug gefragt, ob Sie und ich eine Affäre haben.“
Melrose verschluckte sich an seinem Kaffee und
hustete. „Was?“, murmelte er. „Ist er immer noch nicht nüchtern?“
„Er erschien mir ganz ernst und vernünftig, als er das sagte“, meinte Jury und
häufte sich reichlich von Marthas selbstgemachter Marmelade auf seinen Toast.
„Ernst und vernünftig?“, wiederholte Melrose
sarkastisch. „Mit wem haben Sie gesprochen? Doch nicht mit dem Marshall Trueblood, den ich kenne?“
Zunächst zögernd, doch dann sicherer, berichtete Jury von seinem Gespräch mit
dem Antiquitätenhändler. Er beobachtete Melrose –
oder versuchte es zumindest, denn der hatte den Blick auf seine Kaffeetasse
gesenkt und zeigte keine erkennbare Reaktion.
Erst nach einer Weile sah Plant auf. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich Trueblood mit keinem Wort Anlass gegeben habe, so etwas zu
denken“, versicherte er steif.
„Das habe ich auch nicht angenommen“, entgegnete Jury sanft.
„Am besten wird es sein, wir vergessen das ganze und
sprechen nicht mehr darüber.“ Ärgerlich warf Melrose
die Serviette auf den Tisch. „Es tut mir nur leid, dass er Ihnen mit seiner
Belästigung den Urlaub verdirbt.“
„Ich sehe das nicht als Belästigung“, meinte Jury ruhig und schenkte sich
Kaffee nach.
„Verteidigen Sie ihn auch noch?“ Irritiert stand Melrose
auf. „Wollen Sie ihm Recht geben und ihn weiter seine absurden Behauptungen
verbreiten lassen? Bald wird ganz Long Pidd annehmen,
wir würden...“ Er unterbrach sich und biss sich wütend auf die Unterlippe.
„Wäre das so schlimm?“, hörte sich Jury zu seiner eigenen Überraschung fragen.
„Schlimm?“, echote Melrose verblüfft.
„Dass Sie in Ihrem Alter weder verheiratet sind, noch Kinder haben, hat doch
bestimmt bereits Anlass zu Klatsch gegeben?“
Verwundert setzte sich Melrose wieder. „Nein. Ich...
ich meine, ich habe noch nie so etwas zu Ohren bekommen. Nein, bestimmt nicht.“
Er lächelte etwas bemüht. „Ach, was regen wir uns darüber auf? Es ist doch nur
dummes Gerede.“
Ja, dachte Jury. Doch er sagte: „Und wenn nun etwas Wahres daran wäre?“
Verblüfft starrte Melrose ihn an, dann lachte er
gekünstelt. „Ich glaube, ich verstehe nicht...“, sagte er. „Ich finde das nicht
sonderlich witzig, Richard.“
„Ich auch nicht. Aber je länger ich über das nachdenke, was Trueblood
gesagt hat...“
Melrose stand auf. „Bitte entschuldigen Sie mich
jetzt“, sagte er kühl. „Ich habe zu tun.“
Jury blickte ihm nach, bis sich die Tür hinter ihm schloss. Dann sah er auf
sein Frühstück. Er hatte keinen Appetit mehr. Was war nur über ihn gekommen, so
etwas zu Plant zu sagen? Er stand auf und trat zu einem der hohen Fenster, um
nach draußen zu sehen. Er wandte sich wieder ab und sein Blick fiel auf den
Kamin. Er dachte an die vergangene Nacht, an diesen einen Moment, an Melrose Augen, an diesen besonderen Ausdruck in ihnen...
Und begann sich zu fragen, ob Marshall Trueblood –
von seinen Feinden Marsha genannt – vielleicht der Einäugige unter lauter
Blinden war...
Ende