In
Your Mind
von Jimaine, c. 27-7-2003
Warnung: Dies
ist der Beweis dafür, daß alles möglich ist. Zum 50. Jahrestag des
Waffenstillstands überbringe ich euch den Crossover zwischen M*A*S*H und The
Uncanny X-Men. Yup, *g*. Jetzt dürft ihr getrost im Arkham Asylum anrufen, oder
bei Sidney Freedman, je nachdem wer den besseren Telefondienst hat.
Mich trifft
keine Schuld! Ich war mit M*A*S*H vollkommen glücklich, als ich den Fehler
machte, ein X-Men-Comic in die Hand zu nehmen. Böse Jimaine, böse,
böse Jimaine… Gewisse
Details in Professor Xaviers Biographie waren eine zu große Versuchung.
Es ist nicht
viel, nicht besonders elegant und hat keinerlei Handlung! In punkto Stil kam
irgendwie was Comicähnliches raus. Dialog. Bloßer Dialog in imaginären
Sprechblasen.
Im Nachhinein
habe ich sogar den Luxus zu behaupten, daß das Absicht war.
Archiv: bei
Fanfiction Paradies und in meinem Story Swamp im Archiv der TOSTwins.
Pairing:
Hawkeye/Trapper aus Sicht von Charles Xavier
Rating: PG
Den zeitlichen
Rahmen, den ich mir ausgesucht habe, ist der späte Juni 1951. Karten bei (Link
Korean War Project) halfen bei dem militärisch/taktischen Teil, aber obwohl die
Angaben ansatzweise auf Fakten basieren, ist ihr Gebrauch rein mein eigenes Bier.
Die Standorte der anderen M*A*S*H-Einheiten ist ebenfalls meine Erfindung; ich
habe mir nur Orte nahe der Front ausgesucht.
*****
Während der
Nacht, wenn das Haus still war und die meisten Bewohner schliefen – oder sich
in der Stadt amüsierten oder für ein paar Runden Billard bei Harry trafen –
gestattete er es sich, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Was am Tage
streng kontrolliert und seinem Willen unterworfen war, lebte in dieser
nächtlichen Freiheit auf.
Der Irrsinn des
Krieges, sei es zwischen den Nationen dieser Welt wegen eines Stücks Land, ein
paar Quadratzentimeter auf einer Landkarte, oder zwischen Menschen und
Mutanten, war zermürbend in seiner Sinnlosigkeit, selbst in einer angenehmen
Sommernacht wie dieser. Dies waren die schlimmsten Stunden, zu spät fürs
Gestern, zu früh fürs Morgen.
Ihre Gedanken
füllten seine Wahrnehmung, umschwärmten sein Ich wie Glühwürmchen.
Lebendig, pulsierend, belebend...
Diese jungen Männer
und Frauen hatten Kampf und Tod gesehen, hatten unter Feindseligkeit und
Vorurteilen gelitten, während Jugendliche gleichen Alters die sorglosen Freuden
von Highschool, Autokino und Wochenenden auf dem Baseballfeld genossen.
Er hatte Kriege
erlebt. Mehrzahl. Den 2. Weltkrieg aus sicherer Entfernung und Korea aus nächster Nähe...
glücklicherweise war ihm Vietnam erspart geblieben. Und manchmal fühlte auch er
seine Hoffnung schwinden, seine Überzeugung nachlassen. Nicht daß er das seinen
Schülern gegenüber zugeben würde. Ehemaligen Schülern, erinnerte er sich. Sie
waren nun mehr wie eine Familie für ihn. Vielleicht war es das, was nötig war,
um den Horror zu überleben. Familie. Liebe war das Gegenmittel, sie brachte
Ruhe inmitten des Sturms, der sich niemals zu legen schien.
Er brauchte
jetzt Ruhe.
Die
HBO-Dokumentation anläßlich des 50. Jahrestages des Endes der Polizeiaktion in
Korea hatte Erinnerungen zurückgebracht und nicht nur die geschichtlichen
Fakten, die man in Büchern nachlesen konnte. Sie waren vielmehr persönlicher
Natur, Erinnerungen an einen jungen Private Charles Xavier, der seinem
Stiefbruder in einen Krieg folgte, den niemand hätte ausfechten sollen, am
allerwenigsten in einem Land, das weder die U.S.A. noch eine der anderen
UN-Nationen als Heimat bezeichnen konnte.
Seine Gedanken
kreisten schneller und schneller und er wurde von dieser Spirale eingesogen,
zurück, weit zurück durch die Zeit in einen Strudel aus Grün und Braun und
Blut.
*********
Korea, vor fünfzig
Jahren...
Schmerz
und Furcht waren ihm nicht unbekannt, aber diese Tage bildeten einen neuen
Standard in beiden Kategorien. Wie weit er in der vierten Nacht gekommen war,
wußte er nicht, aber es war die größte Distanz, die er bis dato am Stück
zurückgelegt hatte. Bei Tage wagte er es nicht, sich zu zeigen, denn es
wimmelte in den Hügeln von Heckenschützen, und im Dunkeln, wenn Schatten und
Mondlicht zu einem formlosen Schleier verschmolzen, gab es andere unsichtbare
Bedrohungen, vor denen er sich in Acht nehmen mußte. Dementsprechend langsam
kam er voran.
Insbesondere
mit einem gebrochenen linken Arm und, wie er vermutete, einem verstauchten
rechten Knöchel.
Bergauf,
bergab, und natürlich mußte er die zahlreichen kleinen Dörfer und Siedlungen
umgehen. Auf dieser Seite der Front konnte ein amerikanischer G.I., egal ob
verwundet oder nicht, nicht mit einem herzlichen Willkommen rechnen.
Er
sollte nicht hier sein, keiner von ihnen sollte hier sein. Dies war nicht ihr
Land und die Sache, für die sie kämpften, schien von Tag zu Tag sinnloser.
Obwohl
er müde war und durchgefroren – die Nächte waren so kalt wie die Tage heiß –
und in seiner zerrissenen Uniform zitterte, gab es Momente der Klarheit, wenn
sein vom Schlafmangel geplagter Geist...pausierte...und er zu den Sternen hinaufblickte
mit der Ehrfurcht eines Kindes. In jenen Momenten verschwand die Gefahr und
seine Panik mit ihr.
Dies
war nun die fünfte Nacht und wenn er sich nicht irrte, war er endlich aus
feindlichem Gebiet heraus, auch wenn die Hügel alle gleich aussahen und die
Dunkelheit hier von derselben Kälte begleitet wurde wie zehn Meilen weiter
nördlich.
Mit
zusammengebissenen Zähnen humpelte er ins Tal hinunter und jeder Schritt sandte
brennenden Schmerz bis hinauf in seine Hüfte. Mittlerweile war es allein der Schmerz,
der ihn wachhielt. Der Schmerz und der nagende Hunger.
Und
das Gewicht eines weiteren Paars Dogtags in seiner Brusttasche.
Cains
Dogtags.
Er
hatte seinen Rüpel von Stiefbruder niemals gemocht, aber andererseits bemitleidete
er ihn auch. Vom ersten Tag an hatte er in ihm die Unzufriedenheit gesehen, den
Neid, der sich als körperliche Gewalt manifestierte. Nach außen gerichteter
Selbsthaß.
Diese
Einstellung hatte sich mit den Jahren nicht verbessert. Wenn überhaupt, so
hatte sich Cains Ablehnung verschlimmert, während die Geschwister heranwuchsen.
Er, der schnell kahlwerdende Musterschüler, hatte sich an der Universität
bewährt und Cain blieb unterer Durchschnitt in seinem gewählten Beruf, der
Infanterie der U.S. Army. Nach drei Jahren der, Beginn Zitat, Langweile, Zitat
Ende, in einer Armee zu Friedenszeiten, hatte Cain seine Begeisterung kaum
verbergen können, als Präsident Truman verkündete, daß die Vereinigten Staaten
in Korea eingreifen würden.
Endlich
würde er etwas Nervenkitzel haben.
Nun,
sie hatten mehr Nervenkitzel gehabt als sie es sich ihren schlimmsten
Alpträumen je vorgestellt hatten.
Wie
er hier durch die Hügel stolperte, ständig bemüht, den NKPA-Patroullien
auszuweichen, hinterfragte er ernsthaft die Weisheit – oder den Mangel
derselben – seiner Entscheidung, sein Studium in Oxford zu unterbrechen und in
die Armee einzutreten, um bei seinem Bruder zu sein.
Cain
hätte es nicht weniger kümmern können.
Inchon,
Seoul, Choisin...es hätte schon längst aufhören sollen, aber das hatte es
nicht.
Cain
Marko hatte vorgegeben, keine Furcht zu kennen, und hatte stets vor den anderen
Männern mit Geschichten seiner angeblichen Heldentaten angegeben. Er hatte es
nie für nötig gehalten, die Tatsachen richtigzustellen. Stattdessen hatte er
geschwiegen und seine Arbeit getan, hatte die Männer Cains Geschichten glauben
lassen, wenn sie das so wollten. Sechs Monate waren zu acht Monaten geworden,
dann neun, dann...
Der
nächtliche Granatenbeschuß hatte die Nacht zum Tag gemacht, und an einem
gewissen Punkt während dieses Infernos hatte Cain die Nerven verloren und war
davongerannt.
Einfach
nur gerannt.
Und
er war ihm gefolgt.
Was
die Gegenwart betraf...er konnte nicht mehr weiter, keinen einzigen Schritt.
Weswegen sich auch sein Bewußtsein entschloß, für eine Weile abzuschalten.
***********
Fünf
Tage zuvor…
Es
war nicht besonders schwer, mit Cain Schritt zu halten, schließlich war er ihm
stets überlegen gewesen, körperlich wie geistig, und anders als der Mann,
dessen Spur er folgte, wurde er nicht von blinder Furcht getrieben. Sondern
einfach von seiner Entschlossenheit, ihn zurückzubringen. Unverletzt, wenn
möglich.
Kurz
vor dem Morgengrauen holte er ihn schließlich ein. Es regnete wie aus Eimern
und Cain, erschöpft von den Strapazen der Nacht, suchte Zuflucht in einer
Höhle.
Schon
vor einigen Meilen hatte er sein Gewehr und das Ersthilfe-Paket verloren,
vermutlich bei der Überquerung des Flusses, so daß er, als er Cain in die Höhle
folgte, nichts weiter als einen leeren .45er Colt bei sich trug. Aber er hatte
keine Angst. Trotz all ihrer Differenzen war er sich sicher, daß sein Bruder
ihm nichts antun würde.
Die
Höhle, wie sich herausstellte, war nicht nur einfach eine Höhle. Vielmehr war sie
eine Art Tempel, und vom Aussehen her sehr alt. Wäre er aus irgend einem
anderen Grund hier, hätte er vielleicht die Zeit genommen, ihn genauer zu
untersuchen. Die Statuen und Wandmalereien waren faszinierend, die in die Wände
geritzten Texte in einer Sprache geschrieben, die er nicht identifizieren
konnte, und Cain...
In
jenem Moment versuchte er, sich an ein Vorkommnis zu erinnern, wo sein Bruder
noch verängstigter ausgesehen hatte, aber da fiel ihm keines ein. Cain war ein
Bild des Elends wie er dastand in seiner durchweichten Uniform und von Kopf bis
Fuß zitterte. Mit wildem, starren Blick sah er den unerwarteten Besucher an als
wäre er ein Geist. Bei all dem Dreck und Blut hätte er genauso gut einer sein
können.
"Ich
gehe nicht wieder zurück, Charles!" schrie er, doch es klang mehr wie ein
Flehen.
Und
er wußte, daß es dabei bleiben würde. Trotz all seiner Angeberei und Arroganz
war Cain Marko ein zu großer Feigling, um sich den Konsequenzen für sein
Handeln zu stellen.
"Beruhig'
dich doch, Cain."
"Warum,
zum Teufel, bist du mir gefolgt?"
"Ich
mußte mich versichern, daß du okay bist."
"Scheiß
auf die Army! Scheiß auf diesen Ort! Ich geh' nicht zurück!" Um seine
Verachtung und Entschlossenheit zu betonen, riß sich Cain die Dogtags vom Hals
und warf sie seinem Bruder vor die Füße. Sie landeten mit einem Klirren, ein
schwacher Silberschimmer in der Dunkelheit.
"Laß
uns zumindest reden..."
Reden
half nicht, hatte nie geholfen und würde nie helfen, das mußte er sich bald
eingestehen.
Früh
in die nächste Nacht hinein schreckte er plötzlich aus seinem unruhigen Schlaf
hoch. Etwas stimmte nicht, er spürte es deutlich. Und dann hörte er auch schon
Cain die Worte sprechen, die alles ändern sollten. Er konnte nichts tun als
zusehen und Zeuge der Tragödie zu sein.
Vom
Schoß eines Götzenbildes an der rückwärtigen Wand der Höhle hatte Cain, dessen
Gier durch die traumatischen Erlebnisse des Kriegs nicht gemindert worden war,
einen faustgroßen Rubin genommen und las nun laut die Inschrift auf dem Sockel.
Wie
sein Bruder die uralte Beschwörungsformel entziffern konnte, war ihm ein
Rätsel, immerhin hatte Cain es nie für nötig gehalten, andere Sprachen als
Englisch überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, und auch dabei beschränkte er sich
auf das Nötigste. Vielleicht kompensierte die Magie irgendwie für den Mangel an
linguistischer Begabung, wenn das Verlangen, die zerstörerische Macht in den
Worten freizusetzen, nur groß genug war.
<<Wer
auch immer dieses Juwel berührt, soll die Kraft der purpurnen Bänder von
Cyttorak besitzen. Daher soll jener, der diese Worte liest, auf ewig zu einem
menschlichen Juggernaut werden.>>
Cain
war von purpurrotem Licht eingehüllt und schrie aus voller Kehle, während er sich
unter den Schmerzen der Verwandlung wand. Aber er hielt trotzdem das Juwel
fest. Hielt es fest. Seine Uniform platzte an den Nähten auf, als sie für
seinen sich rasant verändernden Körper zu klein wurde. Binnen einer Minute
hatte er eine furchterregende Größe und Masse erreicht. Und auch beeindruckende
Kraft. Sie ließ Boden und Wände erbeben. Schon bald war Cain durch den Staub
und die fallenden Steine kaum noch zu sehen.
Das
war das letzte, was er von ihm sah, bevor er sich umdrehte und fortrannte.
Die
Höhle stürzte ein, er konnte sich gerade noch rechtzeitig mit intaktem Schädel
ins Freie retten. Dort fiel er auf die Knie und rang nach Luft, doch die
Schmerzen in seiner Brust nahmen ihm den
Atem... Schreie hallten in seinen Ohren, unmenschlich laut und
erbärmlich, es regnete (das Wasser war eiskalt), aber er bemerkte es nicht.
Ebensowenig seinen linken Arm...garantiert gebrochen. Kein Zeichen von Cain.
Zumindest keines außer den beiden rechteckigen Metallplättchen, um die er seine
rechte Faust ballte: 'Marko, Cain', in doppelter Ausfertigung und verbunden
durch eine zerrissene Kette
Der
Regen fiel.
Und
inmitten dieses Chaos war er sich einer Sache niemals wirklich bewußt: daß
derjenige, der schrie, er selbst war.
********
Schwache
Stimmen und Gedankenfetzen und ein leichtes Ziepen an der Innenseite seines
rechten Ellbogens. Er hatte den Grund schnell identifiziert: jemand hängte eine
frische Infusion an den Schlauch in seinem Arm an; dem Gefühl nach steckte die
Nadel schon seit Tagen dort.
Nach
und nach zog er sich aus dem Schlaf in die Gegenwart und öffnete die Augen.
"Hey,
Kiddo. Wie geht's uns heute?"
Die
Gestalt in der weißen Schwesternuniform bekam klare Umrisse und schon im
nächsten Moment erschienen ihm einige Details reichlich seltsam. So wie die
buschigen Augenbrauen, die große Hakennase und der Bartschatten. "Sagen
Sie's mir, Doc...Ma'am...?!" Er brach ab.
"Weder
noch. Schön, daß Sie endlich aufwachen."
"Wo...?
Wie lange...?"
Der
Pfleger setzte sich neben ihn, schlug die Beine übereinander und glättete
seinen Rock, bevor er ihm beruhigend den Arm tätschelte. "Langsam,
langsam. Eine Frage nach der anderen. Die schlechten Neuigkeiten zuerst: Sie
sind immer noch in Korea. Aber das wissen Sie vermutlich schon. Dennoch haben
Sie Glück, noch am Leben zu sein. Ein paar Einheimische suchten nach ihrer
entlaufenen Ziege und fanden Sie am Straßenrand. Brachten Sie direkt hierher.
'Hier' ist übrigens die Postoperative einer MASH-Einheit. Sie haben sicher
schon von uns gehört."
"8063ste?"
"Tut
mir leid, aber nein. Um bei denen zu landen, hätten Sie sich mehr westlich
halten müssen. Die 8063ste ist momentan in Ch'unch'on, die 8055ste in Yang'gu.
Zwischendrin gibt's ein paar Briten, angeblich in der Nähe von Kap'yong. Aber
angekommen sind Sie im wunderschönen Ouijongbu, Heimat von Ratten, Flöhen,
Durchfall und der 4077sten." Er machte eine Pause und erinnerte sich dann
an die zweite Frage. "Und Sie waren unser Gast für die letzten drei Tage,
welche Sie komplett verschlafen haben. War hart für Sie da draußen, hm?"
Er
hatte kaum die Kraft, seinen Kopf zu bewegen, doch er nickte.
"Ich
werd' jetzt die Medizinmänner für Sie holen."
"Danke."
"Bleiben
Sie nur schön liegen und keine Spaziergänge, während ich weg bin."
"Als
ob ich das könnte", lächelte Charles. Vielleicht war er doch gestorben.
Das Jenseits konnte wohl kaum bizarrer sein. Doch wenn er tot war...warum dann
diese Schmerzen? Wie er mit seinen Gedanken den Raum abtastete, konnte er mit
Sicherheit sagen, daß er noch am Leben war. Auch wenn er sich nicht so fühlte.
Einige
Minuten später kam der Pfleger (Klinger hieß er, soviel hatte er durch einen
kurzen Gedankenkontakt herausbekommen) mit einem Mann im Arztkittel zurück. Sie
machten am Fuß des Bettes Halt und der Arzt, der ihm mit seinem warmen Lächeln
und blonden Locken mehr wie ein kuscheliger Hund vorkam als wie ein Mann, der
verletzte Körper zusammenflicken und durch Blut und Eingeweide waten sollte,
nahm das Klemmbrett mit den Patientendaten. Nachdem er die Informationen sorgfältig
durchgelesen hatte, begrüßte er einen anderen Mann, der nun den Raum betrat,
eine seltsame Erscheinung in seinem roten Bademantel und ungewöhnlich
gutgelaunt. Niemanden schien das allerdings zu stören. War auch nicht wirklich
ungewöhnlicher als ein Mann in Rock und Pumps.
"Wir
erholen uns prächtig, nicht wahr?" Das Klemmbrett wurde weitergegeben.
"Was meinst du, Hawkeye?"
Der
Hawkeye genannte Neuankömmling blätterte die Seite um und kaute für einen
Moment auf seiner Unterlippe, bevor er laut vorlas, "Unterkühlung,
Abschürfungen, Beulen, Schnittwunden – niemand verläßt Korea ohne das
grundlegende ABC – zwei gebrochene Rippen, ein gebrochener linker Arm,
Prellungen an Lunge und Leber, und zuguterletzt ein verstauchter Knöchel. Sieht
nicht allzu übel aus." Augen so blau und tief wie der Atlantik ließen von
dem Blatt ab und begegneten den seinen. "Hi. Willkommen im Ouijongbu
Hilton. Wir sind einberufene Pagen. Wie gefällt es Ihnen denn so bei uns?"
Sein Lächeln war so deplaziert wie der rote Bademantel, ein Relikt aus einer
anderen Zeit, einem anderen Ort. "Das Personal ist einigermaßen
freundlich, wir haben frisches Plasma in der Minibar, und die akustische
Unterhaltung wird von unseren Nachbarn, den Nordkoreanern, zur Verfügung
gestellt. Was soll man auch sonst vom Army-Management erwarten? Oh, und in
meiner professionellen Kapazität kann ich Ihnen sagen: Sie werden
überleben."
Sein
Kollege in Weiß nickte zweimal. "Yeah. Da kann ich dir nicht
widersprechen. Tja, was soll man da sagen? Manchmal gelingt sogar unserem
Chefchirurgen eine richtige Diagnose...ist ja so schwer bei diesen einfachen
Fällen, nicht wahr, Mary?"
"Man
gebe mir täglich einen zerlöcherten Darm und zwei Pfund Schrapnell",
meinte der andere – der *Chefchirurg*, erinnerte sich Charles – Mann mit
erzwungenem Witz, nahm das Stethoskop aus seiner Tasche und hängte es sich um
den Hals. "Aber ich hab' ihm einen hübschen Gips verpaßt, oder?"
"Dachte
mir doch, daß ich da deine Handarbeit sehe."
"Erinnere
mich daran, daß ich ihn noch unterschreibe, bevor er abhaut. Passiert ja nicht
jeden Tag, daß ich einen Kollegen eingipse und es sich dabei nicht um Frank
Burns handelt."
"Kollegen?"
"Oh.
'Tschuldigung, Trap. Hatte ich dir nichts gesagt...?"
"Mir
was gesagt? Wann?" beschwerte sich Trapper. "Ich war mit Margaret
drüben bei der 8063sten und habe für uns Penicillin besorgt. Und du hast
geschlafen, soviel ich weiß."
Lächelnd
klopfte ihm Hawkeye auf den Rücken. "Nanana, Trap, komm' schon, beruhig' dich.
Diese Art von Neuigkeit hat kein Verfallsdatum. Radar hat G-1 wegen diesem
Jungen angerufen. Es stellte sich heraus, daß dein Patient nicht irgendein
Patient ist, sondern ein Arzt in der Ausbildung. Oxfordstudent, für den Krieg
in der Warteschleife."
"Ich
dachte, er sei *dein* Patient!"
"Meiner?
Gott bewahre. Niemand", verkündete Hawkeye, "mit Namen Charles Xavier
kann mein Patient sein! Nichts für ungut, Junge, der Name ist in Ordnung, aber
ein Xavier", er deutete auf Trapper, "reicht mir. Tolle Frisur, das
muß Ihnen aber schon lassen. Sagt so ziemlich alles aus, was es über diesen
Krieg zu sagen gibt." Die Metallstange am Fuß des Bettes klapperte, als er
das Klemmbrett an seinen Haken hängte und Trapper das Stethoskop reichte. Er
mußte nichts sagen, Charles wußte, was jetzt kommen würde, bevor irgend jemand
bewußt daran dachte. Mit etwas Anstrengung setzte er sich auf und machte auf
dem Bettrand etwas Platz für Trapper. Hätte er beide Hände benutzen können,
hätte er seinen Ärmel selbst hochgerollt, doch unter den gegebenen Umständen
ließ er es den Arzt tun.
"Ich
werde deine Beschwerde an meine Eltern weiterleiten, Hawk. Aber ich kann dir
sagen, daß es schon zu spät ist, mich umzutauschen. Geld zurück gibt's auch
nicht. – Schenken Sie ihm keine Beachtung, Private, er führt sich nur so auf,
weil wir heute vergessen haben, ihm seine Pillen zu geben." Nachdem er
Puls, Blutdruck und Atmung geprüft hatte, winkte Trapper Klinger herbei.
"Florence hier wird Ihnen etwas geben, damit Sie schlafen können." Er
trug die neuen Werte auf dem Krankenblatt ein. "Also, Hawk, du lädst ihn
einfach bei mir ab?"
Der
Kommentar war nicht weniger als eine rausgestreckte Zunge wert. "Ich bin
nur zuvorkommend", konstatierte Hawkeye und hielt eine Schwester im
Vorbeigehen an. "Ginger, legen Sie O'Keefe in Bett Vier noch eine neue IV
an. Und ich will alle halbe Stunde Calazzis Blutdruck haben. Wir werden drüben
im Sumpf sein und unsere Batterien aufladen." Er beugte sich zu Xavier
herunter und flüsterte im Verschwörerton, "Schauen Sie genau zu, Doktor,
diese heißblütigen Italiener sind Topkandidaten für postoperative Infekte.
Speziell wenn sie Franks Patienten sind."
Trapper
lachte. "Zuvorkommend nennt er das! Was für eine Art von Arzt sind
Sie?"
"Genetiker",
lieferte Charles die Information freiwillig.
"Und
ich habe heute morgen vergessen, meine Chromosomen ordentlich zu binden."
In gespieltem Entsetzen flogen Trappers Hände an seine Kehle.
Hawkeye
reagierte lediglich mit einem schwachen 'Ha'. "Sehr witzig, Trap. Du
läufst zu neuer Tiefform auf."
Der
verbale Schlagabtausch täuschte Charles Xavier nicht für eine Sekunde. Man
brauchte keine Telepathie, um diese beiden zu lesen. Obwohl sie einen Meter
auseinander standen, nahmen sie praktisch denselben Platz im Raum ein. Und denselben
Moment. Finger streiften Finger, als das Klemmbrett die Hände wechselte, und
hier fing er die unausgesprochenen Worte auf.
((Ich
liebe dich))
((Nicht
halb so sehr, wie ich dich liebe))
Das
Band zwischen den beiden Männern war fast sichtbar in seiner Stärke. Wie sie
schafften, es vor der Welt zu verstecken, war ihm ein Rätsel. Namen schwammen
dicht unter der Oberfläche, Silben gefärbt von Zärtlichkeit und Angst vor
Verlust.
Hawkeye.
Trapper.
Keine
realen Namen, aber wer konnte es sich an diesem Ort schon leisten, real zu
sein?
Pierce
und McIntyre waren Namen, die sie aus einer anderen Welt mit sich gebracht
hatten.
((Vorratszelt
in einer Stunde. Muß so sein. Frank ist heute da und ich habe dieses wirklich dringende...ah,
wenn du doch meine Gedanken lesen könntest...)) "Was hältst du von einem
Spaziergang nach der Visite? Ich muß...muß mit dir reden." ((Ein Tod
zuviel heute...bin kurz vor dem Zerbrechen, will nicht
auseinanderfallen...hasse es hasse es hasse es hasse es...)) In Hawkeyes Stimme
lag etwas Flehendes.
'Pierce'
und 'McIntyre' waren hier so null und nichtig wie Ränge und Titel,
bedeutungslose Masken, die nicht verhindern konnten, daß die Realität in die
Illusion von Frieden eindrang.
Und
im nächsten Moment stolperte er durch Hawkeyes Geist, fühlte sich wie ein
Gefangener in einem Spiegelkabinett. Jedes Bild war anders, Gedanken und
Erinnerungen wurden in die Endlosigkeit reflektiert.
Faszinierend.
Und
angsteinflößend.
Da
war soviel in diesem Mann, das nie in Worte gefaßt werden würde. Keine Sprache
könnte seinen Schmerz in der angemessenen Tiefe ausdrücken oder beschreiben,
auf was für einem schmalen Grat er sich bewegte, und, so mußte er sich
eingestehen, selbst Gedanken mangelte es an der nötigen Präzision.
Trapper
nickte. ((Mit dir doch immer)) "Ja, sicher. Ich habe gehört, Korea bei
Nacht ist wunderschön. Und ich muß mir die Beine vertreten."
Seltsamerweise
verstand dieser Mann jedes Wort, er konnte es in seinen Augen sehen, das totale
Verständnis von allem, was Hawkeye nicht denken und noch weniger sagen konnte.
Und
umgekehrt.
Während
Telepathie seine Gabe war, besaßen sie eine andere, die viel seltener war als
Mutation und viel kostbarer. Jedoch ebenso natürlich.
Es
war beruhigend zu wissen, daß inmitten von Tod und Zerstörung etwas derartiges
existierte.
Wie
er die Spritze aufzog, fragte Klinger Hawkeye, "Werden Sie später noch mal
nach ihm sehen, Sir?"
"Wieso
ich?" protestierte der Arzt. "Er ist *Trappers* Patient!"
((Witzbold!)) Aber dann zwinkerte er Xavier noch mal zu und sagte,
"Schlafen Sie gut, Private. Und was die Wanzen angeht, die beißen einen,
ganz egal was man tut. Gute Nach." Er und Trapper verließen den Wachsaal
Seite an Seite.
Charles
spürte kaum, wie die Nadel seine Haut durchstach; er war bereits eingeschläfert
von dem sanften Gedankenflüstern, das auch in Abwesenheit jeglicher Worte
weiterging.
Es
würde ihn friedlich träumen lassen.
Dann
schlief er, und auch sein Geist ruhte.
******
Normalerweise,
so sagten die Schwestern, würde jemand in seiner relativ guten Verfassung so
bald wie möglich ins 121ste EVAC verlegt werden. Wenn das Geschäft gut lief,
brauchten sie jedes verfügbare Bett, jeden Zentimeter in der Postoperativen,
doch da die Kämpfe sich diese Woche in einen anderen Sektor verlagert hatten,
würde man es erlauben, daß er noch ein Weilchen blieb. 'Ein Weilchen'... Zwei
Tage war es jetzt her, daß er aufgewacht war, und schon ging ihm die
Untätigkeit auf die Nerven. Sein eingegipster Arm juckte und es gab nichts für
ihn zu tun als zu schlafen, an die Decke zu starren und das Buch zu lesen, das
Schwester Anderson ihm gegeben hatte. Nach zwei Tagen war er schon halb mit
'Ulysses' fertig...
Die
Uhr an der Wand zeigte halb elf an, als eine vertraute Gestalt in Rot neben
seinem Bett stand. "Dr. Xavier, wie geht's uns heute?"
"Dr.
Pierce –"
"Nennen
Sie mich Hawkeye. Kein Grund für übertriebene Förmlichkeit unter
Medizinern."
"Aus
'Der letzte der Mohikaner'." Er merkte sich die Seitenzahl und ließ dann
das Buch sinken.
Müde
blaue Augen blinzelten und der Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln.
"Ich mag Patienten, die ihren Cooper kennen. Sie bekommen eine Eins,
Doktor."
Er
hätte Cooper jetzt sogar lieber anstatt noch mehr James Joyce. "Es ist ein
gutes Buch." Gott, das Jucken an seinem rechten Ellbogen machte ihn noch
verrückt! "Aber...ich bin noch kein Arzt", berichtigte er Hawkeye.
"Sie
werden es früh genug sein. Wollen wir hoffen, daß das hier vorbei ist, bevor
Sie Ihr Examen machen, ansonsten stellt Uncle Sam Sie an den OP-Tisch neben
mir."
Wie
er den ganzen Tag hier herumlag, mußte er sich sehr anstrengen, damit ihn die
Schmerzen und Ängste der anderen Patienten nicht überwältigten. Der Verlust von
Gliedmaßen und Sinnen verursachte starke Gefühlsregungen, die er nicht
ignorieren konnte. Manchmal mußte er sich stark auf die vereinzelten
Hoffnungsblitze, die Erleichterung (nur im Hintergrund spürbar) konzentrieren,
nur um ein einfaches Gespräch führen zu können. "Danke, daß Sie mich schon
wieder besuchen", sagte er. "Es gibt bestimmt Patienten, die Ihre
Aufmerksamkeit dringender brauchen als ich."
Hawkeye
winkte ab. "Ach was. Sie haben natürlich Recht, aber dies ist der
angenehmere Teil meines Jobs...zu sehen, wie sich Patienten erholen. Und ich
denke, es ist an der Zeit, daß ich mit Ihnen die große Führung mache und Ihnen
eine Tasse Nicht-Kaffee spendiere. Glauben Sie mir, Doktor, es ist noch das
Genießbarste, was das Messezelt bietet." Er wies mit dem Daumen nach
unten. "Ihre Stiefel sind hier, geputzt und poliert."
"Danke.
Aber würden Sie nicht lieber was anderes tun?" Er schlug die Decke zurück,
ließ sich aufhelfen. Nach mehreren Tagen im Bett fühlten sich die Holzbretter
seltsam unter seinen Füßen an.
Da
sein Patient sich kaum ohne Hilfe anziehen konnte und das auch noch für einige
Zeit so bleiben würde, zog ihm Hawkeye die Stiefel an und begann, sie
zuzuschnüren. "Sicher, da gibt es einiges", gab er nonchalant zurück.
((Trapper küssen, Trapper lieben, in Trappers Armen einschlafen und diesen Ort
für immer vergessen)) "Ich würde gerne zusehen, wie die Hummerfischer bei
Sonnenuntergang mit ihrem Fang in die Bucht einlaufen. Oder mit einem Mädchen
auf dem Rücksitz eines Autos knutschen. Eigentlich so ziemlich alles –"
So
angenehm die Bilder von Indian Summer in Maine waren, sie verbargen sich hinter
einem Schleier aus Rot. Aus Blut. "Alles außer diesem Ort und blutiger
Flickchirurgie", beendete Charles den Satz für ihn und biß sich schon im
nächsten Augenblick dafür auf die Zunge.
"Genau."
Hawkeye machte den letzten Knoten und schüttelte den Kopf, etwas verwirrt.
"Wow. Sie sind nicht zufällig mit einer Familie O'Reilly verwandt?
O'Reilly aus Ottumwa, Iowa? Unglaublich." Er stand auf. "Sie müssen
meine Gedanken lesen können. Nun, es ist entweder das oder einfach gesunder
Menschenverstand. Von dem es hier ohnehin schon viel zu wenig gibt. Tun Sie dem
Krieg einen Gefallen und sehen Sie zu, daß Sie Ihren nie verlieren!"
"Jawohl,
Sir." Die Anrede brachte ihm ein abfälliges Schnaufen ein.
"Was?"
"Oh
bitte, der Rang ist ungewollte Dekoration."
Er
ließ sich in einen Rollstuhl verfrachten, überrascht darüber, wie fit er sich
schon wieder fühlte und wie gering die Schmerzen waren.
Hawkeye
schien in guter Stimmung, als er seinen Patienten durchs Lager schob. Die Tour
beinhaltete die Latrine, Radars Menagerie, die Schwesterndusche und den Sumpf
('Leider nur die Außenansicht, tut mir leid, aber Trapper schläft sich nach 15
Stunden im OP aus, und Sie werden sehen, daß wir beide nötig sind, um für Frank
zu kompensieren!'), und während der ganzen Zeit schwatzte er unaufhörlich über
die Verrücktheit, die in der 4077sten als beste Alternative zum Leben galt.
Charles
müßte lügen, wenn er sagte, daß er es nicht genoß, und im Gegenzug erzählte er
von seinem Leben in Oxford und seinen Plänen, nach dem Studium in der Welt
herumzureisen. Noch immer konnte er spüren, daß den anderen Mann etwas
beschäftigte, etwas anderes als ihre Unterhaltung. Er hätte es natürlich
herausfinden können, aber das würde bedeuten, sein höchstes Prinzip zu
verletzen. Bei einer mächtigen Gabe wie der seinen mußte seine Beherrschung im
Umgang mit ihr direkt proportional sein zu dem Unheil, das ein Mißbrauch
anrichten könnte.
"Ich
wollte mit Ihnen über etwas reden. Normalerweise fallen Unterhaltungen dieser
Art in Father Mulcahys Aufgabenbereich, aber er hat heute im Waisenhaus zu tun
und, hm, in Anbetracht der Tatsache, daß Sie und ich uns ganz gut
verstehen..." Hawkeye stellte seine Tasse ab und sah Xavier ernst an.
"Als er Ihre persönliche Habe erfaßte, ist Radar etwas aufgefallen. Er
erzählte mir davon, während Sie noch bewußtlos waren, aber ich dachte mir, ich
sollte damit warten, bis Sie wieder halbwegs beisammen sind."
Plötzlich
war das Thema, über das Hawkeye reden wollte, ganz offensichtlich. Mit einem
Seufzer rührte er noch mehr Zucker in seinen Kaffee – nicht daß die Brühe
dadurch genießbarer würde – und meinte, "Das zweite Paar Dogtags, das ich
bei mir hatte."
"Exakt."
Hawkeyes Erleichterung, es nicht selbst ansprechen zu müssen, war sichtbar.
"Kein Grund, ein Kriegsgericht zu befürchten, Junge, viele von den
Kindern, die hier durchkommen, nehmen sie ihren toten Freunden ab, wenn sie
wissen, daß die Leichen nicht geborgen werden können. Für die meisten Familien drüben
in den Staaten sind die Dogtags aber das einzige, was von ihren Söhnen
übrigbleibt, die einzige Erinnerung an sie, also muß ich fragen –"
"Es
gibt daheim niemanden für Cain."
"Sie
klingen ja ziemlich sicher."
"Ich
weiß es. Cain Marko. Er ist…" Er stoppte, kämpfte gegen den Würgereflex.
Der Kaffee war wirklich furchtbar. "Er war mein Stiefbruder."
Ein
Schatten fiel über Hawkeyes Gesicht. "Tut mir leid, das zu hören. Ich
schätze, Sie beide standen sich sehr nahe."
Nahe?
Nein, schon von Anfang an, seit ihrer Kindheit, als Sharon Xavier einen Dr.
Kurt Marko traf und heiratete, war brüderliche Nähe pures Wunschdenken gewesen.
"Nicht wirklich", antwortete er ehrlich. "Er war...niemand, den
man mögen konnte."
"Ich
verstehe." Ein Gedanke an Trapper und wie hart ihn sein Verlust treffen
würde, huschte durch Hawkeyes Bewußtsein – fast intensiv genug, um bei Charles
das telepathische Äquivalent von Netzhautverbrennung hervorzurufen. Reflexartig
rieb er sich die Augen und fuhr dann fort, "Trotzdem war er mein Bruder.
Nicht mein Blutsverwandter, aber dennoch mein Bruder."
Hawkeye
nickte. "Sicherlich."
"Als
er sich freiwillig meldete, dachte ich, es wäre das Beste, es ihm gleichzutun
und ihn im Auge zu behalten. Wir wurden der gleichen Einheit zugeteilt und
kamen vergangenen September gerade rechtzeitig für Operation Chromite in Korea
an. Seitdem waren wir eigentlich nonstop bei den Kampfhandlungen dabei."
Wenn Hawkeye seine Entscheidung in Frage stellte, sich aktiv am Kampf zu beteiligen,
sagte er es nicht, und genaugenommen legte Charles keinen großen Wert auf die
Meinung des älteren Mannes was medizinische Ethik anging. Er fand keinen
Gefallen am Töten – ganz im Gegenteil, er verabscheute es ebenso sehr wie
jeder, der einmal mit dem Tod zu tun gehabt hatte – und scherte sich keinen
Deut um die Truman-Doktrin und die Rote Gefahr des Kommunismus, aber er war
nach Korea gekommen, um seinen Bruder zu beschützen. Die einzige Familie, die
er nach dem Tod seiner Eltern noch hatte.
Und
darin hatte er versagt.
"Was
ist Ihnen da draußen zugestoßen?"
Es
war als hätte Hawkeye gespürt, daß es ihm schon schlecht genug ging und er
keine weitere Kritik gebrauchen konnte. Charles war dankbar dafür, daß der Mann
seine Neugier bremste, alle spitzen Kommentare über die Pflichten eines Arztes
herunterschluckte und nur eine einfache Frage stellte. Er war in der Tat sehr
dankbar. Und etwas überrascht, denn schließlich war *er* der Telepath von ihnen
beiden. *Er* sollte Hawkeyes Gedanken lesen, nicht andersrum. Die Art, wie ihn
der ältere Mann ansah, jedes seiner blauen Augen eine Frage für sich allein,
lockte die Geschichte aus ihm heraus. "Wir...wir lagerten in der Nähe von
Chiam-ni. Unser Auftrag war, die Straße zum Hwach'on Reservoir zu bewachen. Die
Front war fünfzehn Meilen nordwärts, wir glaubten uns sicher. Bis zu jener
Nacht. Für eine Nacht kam die Front bis vor unsere Haustür. Der Granatbeschuß
war so heftig, das Gewehrfeuer auch...meine Freunde starben in ihren
Schützenlöchern wie die Fliegen. Die Kämpfe dauerten bis zum Morgengrauen. Und
da kam es dann, daß Cain wegrannte."
Es
gab nichts Schrecklicheres als die Gedanken eines Sterbenden zu teilen, und
davon hatte es so viele gegeben. Unfähig, sich vor ihnen verschließen, war er
bei ihnen gewesen, in ihren letzten Hoffnungen und Sehnsüchten, er war *sie*
gewesen, als sie verloschen, einer nach dem anderen, zu zweit oder zu dritt,
und ringsherum regnete es Artilleriefeuer.
Mörsergranaten,
Gewehre, Helikopter... Er hatte mal gelesen, daß Leonardo da Vinci als erster
diese Basisausstattung für bewaffnete Konflikte erdacht hatte. Für Leonardo,
einen Pazifisten und Vegetarier, waren es nur Zeichnungen und Ideen gewesen,
Hypothesen, die erst nur Linien auf Pergament blieben, während der brillante
Geist, dem sie entsprungen waren, sich mit angenehmeren Dingen wie Malerei und
der Mona Lisa befaßte.
Linien,
die einmal Wirklichkeit werden sollten.
Jahrhunderte
später konnte man sich Krieg nicht mehr ohne sie vorstellen.
"Und
vermutlich fühlten Sie sich verpflichtet, ihm zu folgen. Ihn zur Vernunft zu
bringen."
Vernunft
und Cain Marko waren noch nie kompatibel gewesen. "Er rannte und rannte,
mehrere Meilen in die Berge. Dort holte ich ihn schließlich ein. Es war schon
dunkel. Wir…wir fanden eine Höhle." Er unterbrach sich und nahm einen
weiteren Schluck Kaffee. Das kurze Aufflackern von Panik in Hawkeye bei
Erwähnung der Höhle war schwer zu übersehen gewesen. "Wir hatten eine
lange Diskussion, in deren Verlauf er sich die Dogtags vom Hals riß und mir ins
Gesicht schleuderte. Es war offensichtlich, daß er nicht ganz bei Verstand war
und blind vor Angst."
"Kann
ihm da keinen Vorwurf machen", murmelte Hawkeye duster.
"Wir
entschieden uns schließlich, dort zu bleiben, etwas zu schlafen und uns später
Gedanken darum zu machen, was wir tun würden...am nächsten Morgen also. Aber
noch in derselben Nacht wachte ich auf, als etwas direkt neben meinem Kopf auf
den Boden krachte. Bevor ich wußte, wie mir geschah, fielen überall Felsen
herunter Die Höhle stürzte ein."
Und
der Grund war Cain, der ein Juwel berührte, einen Rubin älter als die Zeit
selbst.
Es
war keine Lüge. Es war ein Unfall gewesen und er bezweifelte nicht, daß die
Army seine Geschichte glauben würde. Über den Verbleib von Corporal Cain Marko würden
keine weiteren Fragen gestellt werden. Schließlich würde sein Bruder keinen
Grund haben zu lügen, oder?
Die
Wahrheit würde auf ewig sein Geheimnis bleiben.
"Cain
war zu weit drinnen, ich konnte ihn nicht erreichen. Ich selbst habe es nur
knapp nach draußen geschafft…er jedoch leider nicht. Er wurde lebendig
begraben. Keine Chance, daß er das überlebt hat."
"Verstanden.
Ich werde Radar sagen, daß er das an die G-1 Schreibtischhengste in Seoul
weitergeben soll."
"Kann
ich Cains Dogtags also behalten?"
Hawkeye
salutierte ihm mit seinem Löffel und bestätigte, "In einer
Samtschatulle."
"Yo,
Pierce." Herein kam Henry Blake. Er bewegte sich zu ihrem Tisch herüber,
ein gefaltetes Blatt Papier in der Hand. "Private Xavier. Sie haben Ihr
Bett verlassen, das ist gut. Und wie ich sehe sind Sie tapfer genug, sich am
Kaffee zu versuchen."
Mit
einer Handbewegung forderte Hawkeye ihn auf, Platz zu nehmen. "Ja, ich war
der Meinung, er sollte beim Überlebenstraining in Übung bleiben. Die nächste
Unterrichtseinheit wird 'Lunch' sein, gefolgt von Lektion Drei, 'Sumpfwasser'.
Ich versprech' dir, Henry, er wird froh sein, uns zu verlassen."
Also
unterhielten Hawkeye und Trapper ihre eigene private Schwarzbrennerei. Rasch
schluckte er seinen Mundvoll Kaffee, bevor das Lachen noch weiter in seinem
Hals hochsteigen konnte.
"Komisch,
daß Sie das erwähnen, Pierce. " Henry hielt den Zettel hoch.
Hawkeye
reagierte sofort. "Henry, wenn das eine Beschwerde über vergangenes
Wochenende ist, diese drei Tage in Seoul, so kann ich das erklären. Es war
alles Trappers Schuld –"
"Mund
halten, Pierce! Das hat nichts mit Ihnen oder McIntyre zu tun – zur Abwechslung
mal", setzte er hinzu. "Ich dachte mir, daß Sie das gleich wissen
sollten, Private. HQ hat Neuigkeiten von Ihrer Einheit...beziehungsweise von
dem, was noch davon übrig ist. Sie sind oben in Kap'yong und warten auf
Verstärkung. Und den neuen CO."
"Captain
Piaggi ist tot?" Jetzt war Charles ehrlich schockiert. Er hatte fünf
Monate lang unter Piaggis Kommando gedient, für mehr als die Hälfte seiner
Tour. Piaggi war in Ordnung gewesen. Verheiratet, ein Sohn. Jeden Tag hatte er
ihnen von seiner Familie zu Hause in Philadelphia erzählt. Wie er wohl
gestorben sein mochte? Durch eine Granate oder eine Kugel? Es mußte passiert
sein, nachdem er und Cain die Truppe verlassen hatten. Einen kurzen Moment
hörte er die tadelnde Stimme seines Gewissens. Vielleicht hätte er dieses Leben
retten können, wenn er nur geblieben wäre.
Ein
mitfühlender Henry nickte. "Ja, mein Sohn. Tut mir leid. Nur drei haben es
geschafft, Sie selbst eingeschlossen. Sie hatten verdammtes Glück."
Ungeschickt faltete er den Zettel auseinander und räusperte sich. "Ächem,
und bevor ich's vergesse, hier noch der Klopfer...ah, Sie fahren nach
Hause."
"Nach
Hause?" wiederholte er. Er war schon so lange hier, daß der Gedanke an
Heimkehr etwas gewöhnungsbedürftig war. Heimkehr...zu der Familie, die er nicht
hatte.
Diese
Männer hatten jedoch Familie. Henry dachte an seine Frau und drei Kinder, zwei
Mädchen und einen Jungen, den er noch nie gesehen hatte. Klinger, der jetzt
gerade das Messezelt betrat, um sich für die Ausgabe des Mittagessens
vorzubereiten, hatte eine Frau und mehr Verwandte als er sich je vorstellen
konnte zu haben. Und Hawkeyes Gedanken drehten sich um seinen Vater und jeden
in diesem Lager, seine erweiterte Familie. Hauptsächlich Trapper John.
Alles,
wozu er zurückkehren würde, waren sein Studium und die Forschung. Nicht viel,
aber etwas.
Er
mußte einen Weg finden, diesem 'Etwas' zu etwas mehr Bedeutung zu verhelfen.
"Nach
Hause, genau." Henry strahlte wie ein stolzer Vater. "Sie waren fast
zehn Monate hier und laut den Berichten, die ich erhalten habe, immer nahe
genug am Feind, um die Reiskörner auf deren Tellern zu zählen. Sie sind
draußen. Vermutlich wird man Sie noch einige Tage in Seoul behalten, Ihnen
einen Haufen Fragen stellen und eine psychiatrische Untersuchung ansetzen, aber
es gibt genügend aussagekräftige
Berichte über das Gefecht, daß es nur eine Formalität sein wird",
versicherte er ihm und seufzte dann sehnsüchtig. "Mann, was beneide ich
Sie!"
Es
kostete Charles erhebliche Selbstkontrolle, nicht zu grinsen. Einfach gestrickt
wie Henry Braymore Blake erscheinen mochte, war er dennoch ein guter Mensch und
fähiger Chirurg. "Wann werde ich abreisen, Colonel?"
Die
Ärzte berieten sich für eine Millisekunde Blickkontakt, dann antwortete Henry,
"Morgen sollte früh genug sein. Ich habe so ein Gefühl, daß Pierce Sie
nicht gehen lassen wird, bevor Sie nicht ausreichend Gelegenheit hatten,
mindestens eine Billion Hirnzellen zu töten."
"Wie
wahr, wie wahr, Henry." Hawkeye schlug zur Betonung mit der Faust auf den
Tisch, so daß der Zuckerstreuer hüpfte. "Wir werden die Destille
trockenlegen. Und was den Psychiater angeht – ich ruf' Sidney an und sage ihm,
daß er die Expreß-Couch ausklappen soll."
*********
Die
Zeit zum Abschied kam früh genug und gegen Mittag des nächsten Tages standen
sie vor dem Bus, der in die 121ste EVAC fahren würde.
Charles
Xavier, in einer frischen Uniform mit gipsbedingtem aufgeschlitzten Ärmel,
wußte nicht ganz, was er sagen sollte. Er haßte Abschiede. Hawkeye offenbar
auch. Oder vielleicht war es nur eine Nachwirkung der Unmengen Gin von letzter
Nacht. Daß sie es geschafft hatten, den Sumpf früh genug zu verlassen, um noch
Zeit für ein Abschiedsphoto zu haben, war ein Wunder. Unmittelbar nach dem
'Klick' war Trapper John zurück ins Koma gefallen.
Mit
lauter Stimme kündigte Klinger, heute in einem gewagten gepunkteten
Sommerkleid, die Abfahrt des Busses in drei Minuten an.
Da
er sich nicht mit Gepäck abmühen mußte, trat Hawkeye einen Schritt näher an
Hawkeye heran. "Sagen Sie für mich Auf Wiedersehen zu Trapper, bitte. Ich
fürchte, sein Gehörsinn war noch außer Funktion. Euer Flugzeugbenzin hat's
wirklich in sich."
"Ich
werde es ihm ausrichten, wenn er wieder unter die Lebenden zurückkehren
sollte." Lachend umarmte Hawkeye den jüngeren Mann. "Pflegen Sie den
Kater, mein Freund, ein besseres Souvenir hätten Sie auch im hiesigen
Souvenirladen nicht gefunden. Den Kater und die Flasche, die ich Ihnen für
schlechte Zeiten mitgegeben habe."
"Passen
Sie auf sich auf, Hawkeye."
"Werde
mein Bestes tun." Hawkeye strich sich widerspenstiges schwarzes Haar aus
den Augen und lächelte. "Für Sie gilt das gleiche, Charles."
Charles
wußte, daß er dieses Lächeln nie vergessen würde, dieses Lächeln im Angesicht
des Krieges.
"Gute
Reise. Wenn wir uns das nächste Mal sehen, wird es hoffentlich unter besseren
Umständen sein."
"Irgendein
Indian Summer in Maine. Ich komme bei Ihnen in Crabapple Cove vorbei und dann
essen wir frischen Hummer. Ich habe seit Jahren keinen mehr gehabt...die
Nachfrage in England ist nicht besonders groß."
"Ja.
Hummer. Rufen Sie vorher an und mein Vater wird für uns kochen. Er steht im
Telefonbuch, Dr. –"
"Dr.
Daniel Pierce, sicher."
Blaue
Augen blinzelten überrascht. "Was –?"
Hastig
versuchte er, diesen erneuten Fehler (offensichtlicher als die vorherigen)
geschickt zu überspielen. Immerhin hatte er sich diese Information heimlich
angeeignet. Hawkeye sendete unaufhörlich Gefühle und Eindrücke an seine
Umgebung, es war schwer, sie abzublocken. Der Mann dachte und fühlte einfach zu
viel, mehr als gut für ihn war.
In
gewisser Weise, dachte er, lebte Hawkeye in der falschen Zeit; er war den
Politikern, die über ihre Schicksale entschieden, um Jahrzehnte voraus. Und
vielleicht würde eines Tages die Zeit für Männer wie ihn kommen. Hoffentlich
früher als später. Eine Zeit, in der es keinen Bedarf für Krieg gab.
*********
In
der Vergangenheit blickte er aus dem Fenster, bis sie das Lager verlassen
hatten und roter Bademantel wie gepunktetes Kleid seinem Blick entschwunden
waren. Sie waren keine halbe Meile weit gekommen, als er die Hubschrauber
hörte…
*********
In
der Gegenwart bewegte er sich langsam zum Fenster hinüber, hielt den
Schwebestuhl aber auf halber Strecke an. Die gerahmte Schwarzweiß-Aufnahme im
Regal war mit der Zeit verblaßt, die Männer in Uniform unscharf geworden, ihr
Lächeln wie ihre Umrisse, aber in seinem Kopf war das Bild wieder überdeutlich.
Sogar in Farbe, hauptsächlich in Khaki und Ocker. Und etwas Weiß für den
Gipsarm, den er auf Drängen eines ungeduldigen und durch und durch verkaterten
Trapper auf Hawkeyes Schulter gestützt hatte, bevor Klinger das Bild von ihnen
machte. Sekunden später hatte er schon hinten im Bus gelegen, der ihn
geradewegs zum EVAC-Krankenhaus brachte. Dann nach Seoul und schließlich fort
aus Korea.
Er
war nach Oxford zurückgekehrt. Einen Monat später war sein Purple Heart in der
Post gewesen; Papierkram in der Army brauchte seine Zeit, aber er wurde
erledigt. Irgendwann.
Noch
einen Monat später hatte er einen kurzen Brief von Hawkeye bekommen. Anbei das
Photo und ein paar, bittere Zeilen, die besagten, daß Trapper John nun
ebenfalls zu Hause sei.
Was
Cain betraf, der war als 'im Kampf gefallen' in die Akten eingegangen.
Wenn
man Lesezeichen in die Seiten der Geschichte legen könnte...
Irgendwo
hatte er noch immer die Flasche Sumpfwasser, ungeöffnet und unberührt. _Ich frage mich, wo sie jetzt sind...und ob
das, was sie zusammen hatten, den Krieg überlebt hat._ Leider war Cerebro
nicht dafür gebaut, Nichtmutanten aufzuspüren. _Ein übergenauer Kritiker könnte allerdings sagen, daß Krieg einer
Mutation gleichkommt, niemand verläßt ihn, wie er in ihn eingetreten ist, jeder
wird auf irgendeine Weise verändert._ Jede Veränderung, egal wie groß oder
klein, war auf gewisse Weise ein Krieg mit einer Gewinner- und einer
Verliererseite. Frieden im Kampf um Frieden.
Und wie sich die Menschheit weiterentwickelte und
veränderte, wurde die Kriege immer spezialisierter und heimlicher. Von manchen
Kriegen wußte die Öffentlichkeit nicht einmal...noch nicht.
Eigentlich
war es Ironie, daß diese beiden Männer in Korea ihn aus ihrem Krieg zurück in
sein Leben entlassen hatten, damit er Jahrzehnte später in seinem eigenen Krieg
kämpfen konnte.
Er
haßte seinen Krieg ebenso sehr, wie sie den ihrigen gehaßt hatten.
Besonders
während der Nacht.
FINIS