Titel: Gold
Autor: Lady Charena
Fandom: The A-Team
Charaktere: Face, BA, Murdock, Hannibal
Thema: 049. Kreuz
Rating: gen, PG-13
Anmerkung des Autoren: Vielen Dank an T’Len für’s betalesen.
Summe: Vier Kapitel, von denen jedes eine Begebenheit aus der Kindheit der
Mitglieder des A-Teams zum Inhalt hat. Die ersten drei Kapitel beruhen auf
Angaben aus dem canon, das Vierte ist frei erfunden.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen
und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt
nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu
verletzen.
Der kleine Junge stand in der schlichten Kapelle, die zum Gelände des
Waisenhauses gehörte. Den Kopf in den Nacken gelegt, starrte er das große Kreuz
an, das frei über dem Altar schwebte. Es war nicht das religiöse Symbol,
sondern der goldene Glanz, der davon ausging - als es die durch das
Seitenfenster fallenden Sonnenstrahlen trafen, der ihn so gefangen nahm - dass
er alles um sich herum vergaß. Der Schimmer schien selbst die Staubflocken in
der Luft zum Leuchten zu bringen, so dass das ganze Altarschiff damit erfüllt
war. Es war wie in dem Gedicht über Kublai Khans Schätze, dass ihm seine Mutter
vorgelesen hatte und an das er sich noch vage erinnerte. An die Worte, doch
nicht an ihre Stimme.
Der Glanz und die enorme Größe des Kreuzes hatten ihm schon beim ersten Anblick
den Atem verschlagen, als er auf der Flucht vor den Hänseleien und
Nachstellungen der älteren Jungs hier Zuflucht gesucht hatte. Der kühle, mit
Zwielicht erfüllte Raum erschien dafür perfekt. Obwohl er nun schon fast zwei
Monate im Guardian Angel Waisenhaus war, blieb er doch der Neue, der in der
Hackordnung ganz unten stand. Dass er fast sofort zum Liebling der Schwestern
geworden war, trug nicht dazu bei, seine Lage entscheidend zu verbessern.
Mit klopfendem Herzen wartete er hinter der Tür, ein Ohr gegen das glatte Holz
gepresst, bis ihre Stimmen und Schritte verklangen und er wieder alleine war.
Dann trat er ein paar Schritte weg, um sich in eine der Bänke zu setzen, bis
sich sein Puls und sein Atem beruhigt hatten.
Doch dann fielen die ersten Sonnenstrahlen durch das Seitenfenster und brachten
das Kreuz zum Strahlen. Anstatt sich zu setzen, wanderte er versunken vor zum
Altar. Die Kapelle wurde nur von den Schwestern benutzt, mit den Kindern
besuchten sie sonntags die Messe in einer nahe gelegenen Kirche. Und die
allmorgendlichen und allabendlichen Andachten wurden im Schulgebäude von Sankt
Teresa abgehalten.
„Alvin? Alvin Brenner! Was hast du hier zu suchen? Es ist Zeit zum Abendessen.“
Die strenge Stimme von Schwester Theodora schreckte den Jungen aus seinen
Gedanken auf. Er riss seine Augen von dem Kreuz los und wirbelte zu ihr herum.
Ausgerechnet Schwester Theodora. Sie konnte ihn nicht leiden. „Es... es tut mir
leid“, murmelte er. Er hatte sich erwischen lassen. Wenn es nun einer der
älteren Jungen gewesen wäre, der ihn überraschte... Als die Schwester nickte,
trat er hastig an ihr vorbei, sich an die Lektionen erinnernd, dass man an
Orten wie diesen nicht rannte. Bevor er die Tür hinter sich zuzog, warf er
einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das goldene Kreuz. Eines Tages wollte er
auch so viel Gold besitzen.
Schwester Theodora sah dem Jungen mit einem Seufzen nach. Es tat ihr leid, dass
sie so kurz angebunden mit ihm gewesen war. Doch etwas an dem Kind störte
sie... aber sie sollte nicht so von ihm denken. Er war immerhin erst sechs
Jahre alt und wie es schien, völlig alleine auf der Welt. Alvin war... er war
zu hübsch mit seinen großen, strahlendblauen Unschuldsaugen und dem blonden
Haar, mit dem er aussah wie die Kind auf den etwas kitschigen
Biedermeierbildern, die sie einmal gesehen hatte. Und sie hatte das ungute
Gefühl, dass ihm eines Tages sein gutes Aussehen zum Verhängnis werden könnte.
Schon jetzt schenkten ihm einige der jüngeren Schwestern zu viel Aufmerksamkeit
und zeigten sich zu nachsichtig. Es schuf Unruhe unter den anderen Kindern und
machte Alvin zum Ziel ihrer Streiche und ihres Spottes. Vielleicht ließ sie das
so ungeduldig und streng mit ihm umgehen. Es war nicht richtig, ihn bevorzugt
zu behandeln. Alle Kinder im Guardian Angel hatten auf die eine oder andere
Weise ihre Eltern verloren oder waren hier, weil ihre Familienverhältnisse unerträglich
geworden waren. Alvin Brenner war nur eine von vielen Waisen.
Sie seufzte erneut und schüttelte den Kopf, als sie sich zum Altar umwandte und
sich bekreuzigte, bevor sie die Kapelle verließ. Das Gefühl, dass dem Jungen
noch Schwierigkeiten bevorstanden, begleitete sie, als sie zu ihren Pflichten
zurückkehrte.
Der kleine Junge wehrte sich gegen den Griff des Mannes, der ihn festhielt.
Tränen strömten über sein rundes Gesicht. Aber egal wie er sich mühte und wand
und gegen die Schienbeine des Mannes trat, es hatte keine Wirkung. Er fing sich
lediglich eine schallende Ohrfeige ein. Schließlich verließen ihn die Kräfte
und er hielt erschöpft inne. „Sieh’ gut hin, Kleiner“, sagte der Mann, der ihn
festhielt. „Sieh’ gut hin und merk’ dir für die Zukunft, was mit Leuten
passiert, die den Mund zu weit aufreißen. Pack wie euch sollte man...“
Was immer er sagen wollte, blieb ungesagt, denn ein weiterer Mann erschien. Er
stieg aus einem großen Auto aus und blieb am Straßenrand stehen, in sicherer Entfernung.
„Das reicht“, befahl er. „Ihr sollt ihn nicht umbringen. Dieses Mal noch
nicht.“
Die drei Schläger, die auf den am Boden liegenden Mann einprügelten und auf ihn
eintraten, stoppten fast widerwillig, wie es schien.
„Lass’ den Jungen los, Terry.“
Terry stellte ihn so abrupt auf die Beine, dass er stolperte und auf die Knie
fiel. Schreckensgeweitete, dunkle Augen starrten aus einem tränenverschmierten
Gesicht zu dem Mann auf, der die Befehle gab. Er konnte sein Gesicht nicht
erkennen, weil ein Hut die Züge beschattete. Aber das war niemand aus ihrem
Viertel, genauso wenig wie die anderen Männer, obwohl die schäbiger gekleidet
waren. Was er sah, war Kleidung so fein, wie sie die meisten Leute nicht mal am
Sonntag in der Kirche trugen und ein Mantel, der mit Pelz eingesäumt war,
obwohl es nicht Winter war. Die Hände des Mannes steckten in Lederhandschuhen
und eine davon ruhte auf einem Spazierstock mit einem kugelförmigen Knauf. Doch
was ihm am stärksten auffiel, war das goldene Kreuz, das auf der Brust des
Mannes prangte. Es sah wertvoll aus und hing an einer dicken Kette. Als der
Mann sich bewegte, pendelte das Kreuz leicht hin und her. Es fing das Licht der
Straßenlampe ein und leuchtete fast hypnotisch. Goldene Reflektionen fielen auf
das Gesicht des wie erstarrt wirkenden Jungen. Sah so Macht aus? Und Reichtum?
„Gehen wir“, ordnete der Mann an und wandte sich ab, um wieder in seinen Wagen
zu steigen. Seine Schläger folgten ihm.
Der Junge erwachte aus seiner Erstarrung, sprang auf und rannte zu dem reglos
in der Mitte der Gasse liegenden Mann. Er rüttelte ihn an der Schulter. „Daddy?
Daddy?“, rief er panisch. Frische Tränen begannen über seine Wangen zu fließen.
„Bosco? Bosco, mein Baby.” Schritte
erklangen und dann rannte eine junge Frau auf die beiden zu. Ohne auf die
schmutzige Straße zu achten, fiel sie neben ihrem Mann und ihrem Sohn auf die
Knie und nahm den nun schluchzenden Jungen in die Arme. „Es wird alles wieder
gut, Baby. Alles wird wieder gut, Scooter“, flüsterte sie und wiegte ihn. Sie
drückte ihn fester an sich, als mehr Leute in die enge Gasse kamen, Freunde und
Bekannte, zu denen sie in ihrer Not gelaufen war, als die Männer auftauchten
und ihren Ehemann mitnahmen. „Alles wird wieder gut.“ Sie drückte ihr Gesicht
in das lockige Haar ihres kleinen Sohnes, um ihre eigenen Tränen zu verstecken.
„Sie haben ihn schlimm zugerichtet, Addy“, sagte einer der Männer zu ihr,
Barry, ein Arbeitskollege ihres Ehemannes. „Was ist mit dem Jungen?“
Adele Baracus schob ihren Sohn ein wenig von sich, um ihn anzusehen. „Haben sie
dir wehgetan, Scooter?“, fragte sie mit zitternder Stimme. Der Junge schüttelte
den Kopf und presste sich wieder an seine Mutter.
Barry drückte ihre Schulter und strich dem Kind über die Locken. „Wir bringen
ihn zu Dr. Adams“, sagte er. „Geh’ mit dem Jungen nach Hause, Addy. Er hätte
das nicht sehen dürfen.“
Adele drückte ihren Sohn enger an sich, als die Männer vorsichtig ihren Ehemann
aufhoben, um ihn weg zu tragen. Bosco hatte in dem kleinen Wohnzimmer gespielt
und darauf gewartet, dass sein Vater nach Hause kam. Er trug nur seinen
Schlafanzug, denn es war schon fast Schlafenszeit. Als er draußen Stimmen
hörte, unter anderem die seines Vaters, rannte er aus dem Haus, ohne auf seine
Mutter zu hören. Als er die Treppe hinab eilte, schleppten sie ihn gerade weg.
Angsterfüllt lief der Junge ihnen hinterher, um dann zusehen zu müssen, wie
sein Vater verprügelt wurde.
Sie nahm ihren Sohn auf den Arm, als sie aufstand und hielt ihn fest an sich
gedrückt. Als sie die Gasse verließ, kamen ihr zwei andere Frauen entgegen, um
sie nach Hause zu begleiten. Adele bewegte sich wie eine Schlafwandlerin, alles
was sie im Moment auf den Beinen hielt, war das Kind in ihren Armen. Sie musste
Bosco in Sicherheit bringen.
„Es tut mir leid“, flüsterte der Junge plötzlich und drückte sein Gesicht an
ihren Hals. „Ich wollte nicht weglaufen.“ Er schloss die Augen, sah wieder das
goldene Kreuz tanzen und Licht reflektieren. Wenn er groß sein würde, würde er
so ein goldenes Kreuz haben und den Leuten Befehle erteilen und niemand würde
je wieder ihm oder seinem Vater oder sonst jemand wehtun. „Wo ist Daddy?“
„Scchh, Scooter. Denk’ nicht mehr daran. Es wird alles gut. Dein Daddy ist bald
wieder bei uns.“ Sie hoffte, dass es die Wahrheit war. Sie musste jetzt stark
sein, vor allem für den Jungen. Er war doch erst sechs Jahre alt.
„HM? Wo steckst du, junger Mann?“
Emma schüttelte den Kopf. Sie kam sich seltsam vor, ihren Enkel bei seinen
Initialen zu rufen, aber der Junge bestand darauf. Sie seufzte und strich sich
über das braune Haar, in das sich das erste Grau mischte. Was sollte sie mit
dem Jungen nur anfangen? Seit dem Tod seiner Mutter... sie verspürte einen
Stich beim Gedanken an Emily. Ihr Unfall lag nun fast ein Jahr zurück und
beinahe ebenso lange lebte HM bei ihnen. Aber der Schmerz war immer noch da und
so frisch wie in dem Moment, als sie die Nachricht erhalten hatte.
Sein Vater hatte sich mit einem Fünfjährigen und seiner eigenen Trauer
überfordert gefühlt und stand eines Tages mit dem Jungen vor ihrer Tür.
Natürlich hatte Emma ihn bei sich aufgenommen, auch wenn sie jeden Abend hörte,
wie sich HM in den Schlaf weinte. Jeden Morgen, wenn er aufwachte, fragte er
als erstes danach, wann sein Daddy ihn wieder abholen würde. Und ob sie heute
seine Mommy im Himmel besuchen konnten. Es zerriss ihr das Herz. Doch als aus
Wochen Monate wurden und schließlich ein halbes Jahr verging, ohne dass sein
Vater zurückkam, hörte der Junge auf, nach ihm zu fragen. Das letzte Mal, dass
er über seinen Vater gesprochen hatte, war an seinem Geburtstag gewesen, als
ein Paket mit einer Absenderadresse in Phoenix kam. Es stand noch immer
ungeöffnet auf der Truhe neben der Speisekammer. Emma hatte einen Brief an die
Adresse auf dem Paket geschickt, doch er kam nach einer Weile mit dem Vermerk,
dass der Empfänger verzogen war, ohne eine neue Adresse anzugeben, zurück.
Danach hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Bis heute ein Brief von ihm in der
Post gewesen war.
Emma seufzte erneut und schalt sich für ihre Gedanken. Es war nicht gut, so
lange in der Vergangenheit zu verweilen. Die Gegenwart, in der sie sich um
einen quirligen Sechsjährigen zu kümmern hatte, war anstrengend genug.
Manchmal machte sie sich große Sorgen um ihn. Er war mit der gleichen lebhaften
Fantasie gesegnet, wie sie auch seine Mutter gehabt hatte, doch sie hatte das
Gefühl, dass er sich manchmal in seinen selbst geschaffenen Fantasiewelten
geradezu verlor. Sie wusste, dass sie ihm nicht immer die Aufmerksamkeit
schenken konnte, nach der sich der Junge so sehr sehnte. Doch es war auch nicht
leicht, nur zu zweit eine Farm zu betreiben und sie und ihr Mann arbeiteten
hart und konnten sich keine Hilfe leisten. Die Farm warf gerade genug ab, damit
sie über die Runden kamen. Sie lebten außerhalb der Stadt, und hatten somit
keine direkten Nachbarn, so waren keine anderen Kinder da, mit denen HM spielen
konnte. Vielleicht würde es besser werden, wenn er im Herbst anfing, die Schule
in der Stadt zu besuchen.
Er würde dann Freunde finden – reale Freunde. Sie hatte ihn beobachtet, wie er
mit ihrem alten Hofhund Billy und einer Entourage unsichtbarer Geschöpfe
spielte; die Umgebung erkundete, die seine Fantasie in die Oberfläche des
Mondes verwandelt hatte oder in einen Dschungel am Amazonas. Er hatte ungewöhnlich
früh lesen gelernt, kurz nach seinem dritten Geburtstag und Emily war darüber
erfreut gewesen, dass ihr Sohn ihre Leidenschaft für Bücher teilte. Seither
hatte der Junge einen fast unersättlichen Hunger nach neuer Lektüre. Sie
besuchten zweimal die Woche die Bibliothek in der Stadt, wenn Emma einkaufen
ging und HM kam nie mit weniger als vier Büchern nach Hause.
„Komm’ mein Schatz, es ist Zeit fürs Abendessen. Dein Großvater ist bald zurück
und du musst dich noch waschen.“
Emma sah sich um, doch der Hof war leer. Keine Spur von ihrem Enkel. Sie
wusste, dass er hier irgendwo steckte und vermutlich hoffte, sich vor dem
Waschen drücken zu können, indem er wartete, bis das Essen auf dem Tisch stand.
Sie lächelte unwillkürlich. Er glich auch in dieser Beziehung seiner Mutter
sehr. Aber da erinnerte sie sich noch gut an einen Trick... Emma wandte sich
zum Gehen. „Na gut“, meinte sie laut und gut verständlich. „Wie schade, dass er
nicht hier ist. Ich habe Apfelkuchen gebacken.“
Sie war noch keine zwei Meter weit gekommen, als wie aus dem Nichts ihr Enkel
neben ihr auftauchte. Sein Gesicht war schmutzig und seine Kleidung übersät mit
Stroh. „Apfelkuchen?“, fragte er und seine großen, braunen Augen leuchteten
begeistert auf. „Kann ich zwei Stück haben?“
Sie nahm ihm die Mütze ab, die schief auf seinem Kopf saß und fuhr ihm
liebevoll durch das zerzauste Haar. Er war immer hungrig und manchmal
verblüffte es sie, wie viel Essen in ihm Platz hatte. Dabei war er nur ein
kleiner, dünner Junge. „Nur wenn du dich vorher gründlich wäschst. So ein
Schmutzfink hat in meiner Küche nichts zu suchen.“
Er rümpfte die Nase, schien aber das verhasste Waschen mit dem Apfelkuchen
seiner Großmutter abzuwägen und es war ihm an der Nasenspitze abzulesen, welche
Option gewann. „Na gut“, sagte er ergeben. „Wenn ich dir damit eine Freude
mache.“
Emma lachte und umarmte ihn. Der Junge schmiegte sich an sie, die dünnen Arme
fest um sie geschlungen. „Du machst mir damit sogar eine sehr große Freude.“
„Grandma?“, fragte er. „Kann ich den Kuchen nicht sofort haben? Ich verhungere
sonst. Ehrlich. Billy und ich haben gegen einen ganzen Stamm von Kannibalen
gekämpft. Das hat uns echt hungrig gemacht.“
„Zuerst machst du dich sauber. Und dann sehen wir weiter. Na los, ins Haus mit
dir, du Rabauke.“ Emma sah ihm lächelnd nach, als er, einen lauten Kampfschrei
ausstoßend, losstürmte. Obwohl er noch ein wenig klein für sein Alter war,
hatte ihnen ihr Hausarzt versichert, dass er völlig gesund war. Irgendwann
würde er einen gewaltigen Wachstumsschub bekommen und sicherlich seinem
großgewachsenen Vater nachschlagen.
Sie konnte sich ein Leben ohne ihren Enkel nicht mehr vorstellen.
* * *
Emma blickte ihren Mann an, der nickte. Dann stand sie vom Sofa auf und kauerte
sich neben den Sessel, in dem HM – bereits im Schlafanzug - in eines seiner
Bücher vertieft war. Sie legte die Hand auf seinen Arm und wartete einen
Moment, bis er aufsah. Dann nahm sie das Buch und legte es zur Seite. Seine
Augen waren leicht glasig, bis er ein paar Mal blinzelte. Sie wunderte sich, wo
er wohl mit seinen Gedanken gewesen war, schob das aber zur Seite. „Ich möchte
mit dir reden, Liebling“, sagte sie sanft.
Die braunen Augen weiteten sich. „Habe ich etwas angestellt, Grandma?“
Sie lächelte. „Nein, nein, keine Sorge, mein Schatz. So ein Gespräch ist das
nicht.“ Emma hob die Hand, strich ihm das Haar aus der Stirn zurück. Bevor er
in die Schule kam, mussten sie es ihm unbedingt schneiden lassen. Ihre Hand kam
an seiner Wange zur Ruhe und er schmiegte sein Gesicht in ihre Berührung. „Ich
möchte mit dir über deinen Daddy sprechen.“
Er wich ihrem Blick aus. „Ist er auch im Himmel? Bei meiner Mom?“, fragte der
Junge ernst.
„Wie kommst du...“ Emma schüttelte den Kopf. „Nein. Es geht deinem Vater gut.
Er hat einen Brief geschickt.“ Sie legte beide Hände um sein Gesicht und hob es
an, bis er ihr wieder in die Augen sah. „Dein Dad hat... er hat eine Frau
kennen gelernt und möchte sie heiraten. Und dann sollst du zu ihm kommen und
wieder bei ihm leben.“ Emma war sich nicht sicher gewesen, wie er reagieren
würde und hatte sich mit ihrem Mann besprochen, während HM – den Geräuschen
nach zu vermuten – in der Badewanne eine Seeschlacht gegen eine ganze Horde von
Piraten führte. Sie hatte jedoch nicht erwartet, dass sich seine Augen mit
Tränen füllen würden. Rasch stand sie auf und zog ihn mit sich hoch, um ihn in
die Arme zu nehmen. „Ist ja gut, mein Liebling. Ist ja gut. Ganz ruhig.“ Sie
drückte ihn an sich, und wiegte ihn leicht. „Was ist es? Sag’ es mir.“ HM
drückte sein Gesicht in ihre Schulter; sie spürte, dass er zitterte. Er
flüsterte etwas. „Was hast du gesagt?“, fragte sie.
„Ich... ich will nicht weg von hier, Grandma. Bitte. Zwing’ mich nicht dazu.“
Emma schob ihn leicht von sich, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Niemand wird dich
zu irgendetwas zwingen, mein Schatz. Aber ich dachte, du würdest deinen Daddy
vermissen und möchtest gerne wieder mit ihm zusammen sein.“
Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich will bei dir und Grandpa und Billy und den
Tieren bleiben.“
Emma drückte ihn wieder an sich und streichelte ihm übers Haar. „Ist schon gut,
ist schon gut“, flüsterte sie besänftigend. Sie wandte den Kopf und warf ihrem
Mann einen hilflosen Blick zu. „Ist schon gut, Baby. Wir sprechen ein anderes
Mal darüber.“ Sie strich ihm über den Rücken, bis er aufhörte, zu zittern. Dann
sah sie ihn an. „Es ist schon spät. Geh’ nach oben und mach’ dich fertig fürs
Bett, okay? Wir kommen in zehn Minuten hoch, um dir Gute Nacht zu sagen.“
Er nickte und schniefte, dann wischte er sich das Gesicht an seinem
Pyjama-Ärmel ab. „O-okay.“
Als sie ihn losließ, kletterte er aus dem Sessel, hob sein Buch auf und ging,
nachdem ihm sein Großvater ermunternd zugenickt hatte, die Treppe hoch.
Emma wartete, bis sie sicher war, dass er außer Hörweite war. Dann stand sie
auf und trat zu ihrem Mann. Sie sah ihn an. „Ich kann ihn nicht hergeben,
Henry.“ Ihre Stimme zitterte und als ihr Mann die Hand ausstreckte und sie
neben sich aufs Sofa zog, setzte sie sich und schmiegte sich an ihn, als er den
Arm um sie legte. „Du hast doch gesehen, wie er reagiert hat. Das ist jetzt
sein Zuhause.“
„Ich weiß. Und ich will ihn genauso wenig hergeben, wie du. Er ist alles, was
uns von unserer Emily geblieben ist“, entgegnete Henry leise. „Aber es ist
nicht unsere Entscheidung. Wenn sein Vater ihn zu sich holen will, dann weiß
ich nicht, was wir tun können. Wir sind nur seine Großeltern.“
Emma setzte sich ruckartig auf. „Ich werde dir sagen, was wir tun können. Nicht
kampflos aufgeben. Ich werde ihm schreiben. Wenn er den Jungen haben will, dann
soll er herkommen und um ihn kämpfen. Er soll sich ansehen, wie wohl sich HM
hier fühlt und was er ihm antut, wenn er ihn jetzt von uns wegholt, nachdem er
sich so gut eingelebt hat. Das ist jetzt sein Zuhause. Er hat sogar angefangen,
den Tod seiner Mutter zu verkraften.“
Und er hatte ihnen geholfen, das gleiche zu tun. Henry küsste sie auf die
Schläfe. „Dann werden wir um unseren Jungen kämpfen“, entgegnete er einfach.
* * *
„Nun, bist du doch neugierig geworden, was dir dein Vater zum Geburtstag
geschickt hat?“, fragte Henry, als er Eier aus der Speisekammer holte und
seinen Enkel vor der Truhe vorfand, wo er nachdenklich das Paket studierte.
HM zuckte zuerst mit den Schultern. „Doch. Schon“, murmelte er und kickte mit
der Schuhspitze gegen die Truhe, als wäre sie irgendwie schuld daran.
Henry legte die Eier auf den Küchentisch. „Dann öffnen wir es. Oder was hältst
du davon, wenn ich es aufmache und nachsehe, was drin ist. Du kannst es dir ja
dann immer noch überlegen.“
Sein Enkel studierte ihn einen Moment nachdenklich, dann nickte er. Als Henry
das Paket von der Truhe genommen hatte und es auf den Tisch stellte, hopste HM
auf die Truhe und ließ die Beine baumeln. Er kaute auf seiner Unterlippe herum,
während Henry nach einer Schere kramte, um damit die Paketschnur
durchzuschneiden. Schließlich war es so weit. Henry öffnete den Karton und
holte zuerst eine Menge Packpapier heraus. Dann pfiff er leise durch die Zähne.
Das war mehr, als HM ertrug, seine Neugier gewann die Oberhand und er hüpfte
von der Truhe, um auf einen Stuhl zu klettern. Sein Großvater holte einen
kleineren Karton aus dem Paket. Er war mit einem Flugzeug bedruckt. „Was ist
das, Grandpa?“, fragte der Junge.
Henry lachte. „Das ist ein Bausatz. Damit kann man sich ein kleines
Flugzeugmodell bauen. Du magst doch Flugzeuge, nicht wahr, HM?“
„Weiß’ nicht“, erwiderte der Junge, obwohl er den Blick kaum von der Schachtel
nehmen konnte. „Baust du es mit mir zusammen?“
Henry strich ihm mit der Hand übers Haar. „Natürlich.“ Er legte den Karton
zurück in das Paket und sah seinen Enkel an. „HM. Wegen dem, was deine
Großmutter dir gestern Abend gesagt hat – über deinen Vater...“ Er wartete, bis
der Junge nickte. „Ich kann dir nicht versprechen, dass du bei uns bleiben
darfst, aber wir werden alles versuchen. Am wichtigsten für deine Großmutter
und mich ist, dass es dir gut geht. Verstehst du das?“
Große, braune Augen musterten ihn ernst und Henry musste schlucken, als er
daran dachte, dass ihn seine Tochter genauso angesehen hatte, als sie im Alter
des Jungen gewesen war. HM nickte und legte seine kleine Hand auf die
abgearbeitete Hand seines Großvaters. „Ich will immer hier bleiben“, sagte er.
„Sogar wenn ich ganz groß bin.“
„Das ist gut, mein Junge.“ Henry räusperte sich. „Da ist noch ein Umschlag in
dem Karton. Soll ich den auch aufmachen?“ Er schob einen Finger unter eine lose
Ecke und als der Junge nickte, riss er das Kuvert auf. Er schüttelte den
Umschlag und drehte ihn um. Eine zierliche Goldkette mit einem Kreuzanhänger
fiel auf seine Handfläche und Henry holte hörbar Luft. „Die hat deiner Mom
gehört, HM. Wir haben sie ihr geschenkt, als sie die Schule beendete. Ich nehme
an, dein Vater dachte, du hättest sie gerne.“ Er hielt sie dem Jungen hin, der
sie vorsichtig aus seiner Hand nahm. „Du solltest sie gut aufbewahren.
Vielleicht hast du irgendwann einmal selbst eine Tochter und ihr kannst du sie
dann schenken.“
HM betrachtete sie, dann holte er sein Taschentuch aus der Hosentasche, das
zufällig noch sauber war, weil ihm seine Großmutter erst am Abend zuvor eines
hingelegt hatte. Er wickelte die Kette sorgfältig darin ein und verstaute es in
der Brusttasche seiner Jeansjacke. „Grandpa?“, fragte er dann.
„Ja?“
„Wann bauen wir das Flugzeug?“
Henry lachte. „Wir fangen heute Abend damit an, versprochen.“ Er rückte die
Mütze zurecht, die der Junge auch im Bett getragen hätte, wenn Emma es ihm
erlauben würde. „Und jetzt geh’ und hilf’ deiner Großmutter die Hühner zu
füttern.“
„Okey-dokey.“ HM hüpfte von dem Stuhl und verschwand wie ein geölter Blitz
durch die Hintertür aus der Küche.
Er sah ihm lächelnd nach. Ja, er war jede Anstrengung wert. Sie würden um ihren
Jungen kämpfen.
„John Smith! Stell’ dich gefälligst gerade hin!“, zischte Tante Helen leise.
Ihre in einem schwarzen Spitzenhandschuh steckende Hand schnellte vor wie eine
nervöse Schlange und packte sein Kinn, um seinen Kopf nach vorne zu drehen.
„Und starr’ nicht so in der Gegend herum. Das gehört sich nicht.“
Obwohl sie ihre Stimme gesenkt hatte, warfen ihr doch einige der umstehenden
Leute Blicke zu und ihre Wangen verfärbten sich rot. Ihr Mann Thomas trat neben
sie und legte den Arm um den Jungen, an dem sie herumzerrte. „Helen, lass’ ihn
in Ruhe. Denkst du nicht, er ist mit seinen sechs Jahren noch viel zu jung, um
wirklich zu begreifen, um was es hier geht?“, sagte er leise, aber
eindringlich. Als sie sich abwandte, beugte er sich zu dem Kind hinunter.
„Alles okay, Johnny?“, fragte er. „Es ist bald vorbei.“ Dann strich er dem
Jungen übers Haar, bevor auch er seine Aufmerksamkeit wieder auf die
Geschehnisse vor ihnen richtete.
Johnny bohrte die Spitze seines rechten, blank polierten Sonntagsschuhs in die
feuchte Erde.
Es hatte zwei Tage lang geregnet, was Tante Helen fuchsteufelswild gemacht
hatte. Als würden sich die Wolken von ihrem Zorn beeindrucken lassen. Onkel
Thomas hatte nur zu ihr gesagt, dass es gottlos wäre, sich für eine Beerdigung
schönes Wetter zu wünschen und Tante Helen war daraufhin in Tränen ausgebrochen
und aus der Küche gelaufen. Johnny fand Regen langweilig. Dann musste er den
ganzen Tag im Haus bleiben und konnte seine Freunde nicht besuchen. Jack war
vorbeigekommen, aber Tante Helen hatte ihn weggeschickt und ihm gesagt, dass es
sich nicht schickte, in einem Trauerhaus zu spielen. Mit in Jacks Haus ließ sie
Johnny aber auch nicht gehen.
Aber als der Regen dann für eine Weile nachließ und Tante Helen einkaufen ging,
schlich er sich aus dem Haus. Er schlüpfte durch die Hecke auf das Grundstück
der Harmons. Jack spielte auf dem Wäscheplatz hinter der Küche mit einem Ball,
den er immer wieder gegen die Wand des Schuppens warf.
„Hi, Johnny.“ Jack fing den Ball und warf ihn seinem besten Freund zu. Sie
kannten sich seit... seit immer. Geboren im gleichen Jahr (wobei Jack zwei
Monate älter war und auch darauf pochte, der Anführer bei ihren Spielen zu
sein) und aufgewachsen in aneinander grenzenden Häusern. Im Herbst würden sie
beide die gleiche Schule besuchen und beide Jungen freuten sich darauf.
Es gab nur einen gravierenden Unterschied. Jack hatte eine Mutter und einen
Vater und drei große Schwestern. Johnnys Mutter war vor zwei Jahren gestorben
und wenn der Regen aufhörte, der Tante Helen so ärgerte, würden sie seinen Dad
beerdigen. Dann würde er alleine mit Tante Helen, die die Schwester seines
Vaters war, und Onkel Thomas dort leben. Sie waren zu ihnen gezogen, als Johnny
noch sehr klein gewesen war, und Onkel Thomas nach einem Unfall im Sägewerk
dort nicht mehr arbeiten konnte. Onkel Thomas hatte nämlich nur noch einen Arm
und Johnny hörte oft heimlich Tante Helen schimpfen, dass sie es einfach nicht
mehr aushielt, von den Almosen ihrer Schwägerin zu leben.
„Hi, Jack.“
Eine Zeitlang beschäftigten sich die beiden Jungen damit, den Ball abwechselnd
gegen die Schuppenwand zu werfen.
„Denkst du, dass dein Dad deine Mom vermisst hat und deshalb gestorben ist,
damit er bei ihr im Himmel sein kann?“, fragte Jack nach einer Weile.
Johnny zuckte mit den Schultern. „Onkel Thomas hat gesagt, Dad wäre gestorben,
weil er ein Held gewesen ist und vielen Menschen geholfen hat, irgendwo in
einem Land, das Deutschland heißt.“ Er runzelte die Stirn. „Ich glaube, es ist
schrecklich wichtig, ein Held zu sein.“
Jack sah ihn an. „Was ist ein Held, Johnny?“, fragte er. „Ist das ein Beruf, so
wie Lehrer oder wie Mechaniker, wie mein Dad?“
„Ich glaube schon.“ Johnny versäumte es, den Ball zu fangen und ließ ihn davon
rollen. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Jacke. „Großvater hat
gesagt, ich wäre genau wie mein Dad. Und dass ich auch einmal ein Held werden
würde, und dann hat Großmutter mit ihm geschimpft und gemeint, sie würde darum
beten, dass ich es nicht werde.“ Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. Erwachsene
waren manchmal schwer zu verstehen.
„Vermisst du deinen Dad?“ Jack kramte in seiner Hosentasche und fand ein
Bonbon, das er seinem Freund hinhielt. Als der den Kopf schüttelte, steckte er
es rasch selbst in den Mund.
Johnny war sich nicht sicher. Das letzte Mal, dass er seinen Dad gesehen hatte,
war gewesen, als Mama und das Baby in den Himmel gekommen waren. Er erinnerte
sich nur vage an einen großen Mann mit hellen blauen Augen, in einer Uniform,
an dessen Brust etwas golden blinkte, das ähnlich wie ein Kreuz geformt war und
sich kalt gegen seine Wange presste, als er ihn hochhob und an sich drückte. Er
kannte seinen Dad eigentlich nur von den Fotos im Wohnzimmer und von einem
kurzen Besuch mit den Großeltern. Tante Helen hatte ihn nämlich zu ihnen
gebracht, als sein Dad das letzte Mal da gewesen war, sie sagte, sie könne sich
nicht um einen Verwundeten und um ein kleines Kind kümmern und seine Mama wäre
zu nichts zu gebrauchen. Wie konnte man jemand vermissen, den man nie kennen
gelernt hatte? Sein Dad war nicht wie Mr. Harmon, der jeden Abend aus der
Werkstatt nach Hause kam. Sein Dad war... ein Held.
Und Johnny war sich jetzt schon sicher, dass er niemals Held werden wollte,
egal was sein Großvater sagte.
„Weißt du was?“, meinte Jack mit verschwörerisch gesenkter Stimme. „Meine
Schwester Rose bekommt ein Baby. Und meine Mommy hat furchtbar geweint deswegen
und gesagt, sie wird sie zu meinen Großeltern schicken.“ Er zuckte mit den
Schultern und biss krachend auf sein Bonbon. „Ob ich sie wohl dort besuchen
darf und mir das Baby ansehen kann?“
Johnny hatte seine Schwester nur ein paar Mal gesehen und überhaupt nicht
gefunden, dass sie aussah wie ein Kätzchen. Das war es nämlich gewesen, was
Jack behauptet hatte, als sie die Katze mit ihren Jungen im Schuppen fanden.
Das neue Babys wie neue Kätzchen aussehen würden, ganz rosa und runzlig und
blind. Seine Schwester war zwar rosa und auch ein bisschen runzlig, aber sie
hatte große blaue Augen ohne die milchige Haut darüber, wie die Kätzchen. Er
hatte auf den Zehenspitzen gestanden, um in die Wiege hineinsehen zu können und
als er die Hand ausstreckte, um sie anzustupsen, nur um zu sehen, ob sie auch
ein Geräusch von sich geben würde, wie die Kätzchen es getan hatten, kam Tante
Helen in den Raum und schickte ihn hinaus. Aber dann hatte seine Mama den
schlimmen Husten bekommen, der nicht mehr wegging und sie konnte nicht mehr aus
dem Bett aufstehen. Und irgendwann war sie T-O-T. Genau wie die Kätzchen, von
denen Mrs. Harmon sagte, sie hätten sie an liebe Menschen verschenkt, die sich
kleine Kätzchen gewünscht hätten. Aber dann fanden Jack und Johnny beim Spielen
unten am Fluss einen Sack und in dem Sack waren die Kätzchen. Sie waren ersäuft
worden. T-O-T.
Johnny wusste nicht ganz genau, was T-O-T war und wenn er fragte, fuhr ihm
Tante Helen über den Mund und schickte ihn auf sein Zimmer. Also hatte er
begonnen, sich T-O-T als einen Zug vorzustellen, der die Leute mitnahm und sie
im Himmel ablieferte. Er wusste nicht, warum seine Mama und das neue Baby mit
T-O-T gegangen waren, aber vielleicht gefiel es ihnen im Himmel besser. Im
Himmel musste es sehr schön sein. Die Leute da waren alle jung und schön und es
gab immer alles zu essen, was man sich wünschte und es war nie kalt oder
Regenwetter oder jemand wurde krank. Das war zumindest, was Großmutter gesagt
hatte.
* * *
„Komm’ Johnny, wir gehen jetzt nach Hause. Die Beerdigung ist vorbei.“ Onkel
Thomas’ Stimme holte den Jungen aus seinen Gedanken in die Gegenwart zurück und
er sah zu ihm auf, als sich sein Onkel vor ihn kauerte, bis er auf gleicher
Höhe mit dem Gesicht des Jungen war. Er zog das goldene, glitzernde Ding, an
das sich Johnny erinnerte, aus der Brusttasche seiner Jacke. „Gib’ mir deine
Hand“, sagte er dann.
Als Johnny seine Hand aufhielt, ließ sein Onkel das glitzernde Ding in seine
Handfläche fallen und bog seine Finger darum. „Darauf musst du immer gut
aufpassen, Johnny“, sagte er leise.
„Was ist das?“, fragte der Junge verwundert.
Thomas stand auf und strich ihm übers Haar. „Das erkläre ich dir, wenn du älter
bist. Wir gehen besser, bevor deine Tante auf uns böse wird.“
„Okay.“ Johnny verstaute das Ding in seiner Hosentasche. „Kann ich dann etwas
von dem Kuchen haben, den Grandma gestern gebacken hat?“
Ende