Titel: Kommando-Entscheidungen
Autor: Myra
Fandom: TNG
Zusammenfassung: Geordi sucht den Schiffscouncelor auf.
Disclaimer: Alle Charaktere und sämtliche Rechte gehören
Paramount.
Beta: T´Sihek, REV
Kommando-Entscheidungen
"Ich freue mich, Sie zu sehen, Geordi."
Deanna vollführte eine einladende Geste und wies auf einen
gepolsterten Stuhl, schräg gegenüber ihrem eigenen Sitz. "Kommen Sie doch
herein."
Den Wunsch des Chefingenieurs nach einem offiziellen Termin,
hatte sie zwar erstaunt zur Kenntnis genommen, aber sie verbarg ihre Gefühle
unter einer Maske gelassener Freundlichkeit.
Der Angesprochene fasste unbewusst an seinem goldenen Visor und
registrierte einen in hellen, freundlichen Tönen gehaltenen Beratungsraum, dem
man zwar unaufdringlich, aber doch, an vielen kleinen Details, einen weiblichen
Stil ansah.
Geordis aufgebrachten Zustand konnte das allerdings nicht
beschwichtigten. Er lächelte etwas verlegen und nahm dann den angebotenen Platz
an.
"Danke Deanna, ich bin froh, dass Sie noch einen Termin
frei hatten", antwortete er ihr.
"Ach, machen Sie sich darüber keine Sorgen, Geordi. Im
Moment erfreut sich die Mannschaft bester Gesundheit.“ Sie machte es sich
selbst auf ihren Polstern bequem und sah ihn aufmunternd an.
"Ich habe also viel Zeit für Sie."
Geordi überlegte, wie er seinem Ärger am besten Luft machen
konnte. Ja, es war Ärger über Deanna Troi gewesen, der ihn hierher getrieben
hatte. Aber es war immer eine ganz andere Sache, der Ursache direkt gegenüber
zu sitzen.
Nachdenklich blickte der Chefingenieur auf seine Hände. Durch
seinen Visor nahm er vieles anders wahr, als sehende Menschen. Er konnte zum
Beispiel auch die Feuchtigkeit auf seinen Handinnenflächen in feinen, bunten
Streifen verlaufen sehen, optisch aufgelöst bis in ihre chemischen
Bestandteile.
"Geordi? Ich fühle, dass es Ihnen heute besonders
schwerfällt zu sprechen."
Die Councelor ließ noch ein paar Sekunden verstreichen und warf
dann eine Strähne ihrer dunklen Mähne zurück auf den Rücken.
"Ist es wegen Leah Brahms?", versuchte sie, vorsichtig
seine Mauer zu durchbrechen.
Er wurde sofort aus seinen eigenen Gedanken gerissen.
"Nein, Nein, das ist es nicht." Seine Wangen verfärbten sich leicht. "Ich
weiß, dass ich mir da nur etwas eingebildet hatte."
"Seien Sie nicht so hart mit sich." Deanna verzog
nachdenklich ihre Stirn. Dann konzentrierte sie sich. "Ich kann Ihren
inneren Aufruhr spüren. Er ist immer noch da."
"Ja, innerer Aufruhr trifft es ganz gut."
Ohne um Erlaubnis zu fragen, erhob sich Geordi plötzlich wieder
von seinem Stuhl und stellte sich vor eine der üppigen Blumenvasen. Im Moment
konnte er der Schiffs-Councelor nicht in die Augen sehen, aber ohne Erklärung wollte
er auch nicht den Raum verlassen. Er wanderte stattdessen unruhig zu einem der
Fenster, die alle das typische Sternenmuster zeigten.
"Geordi, sagen Sie mir doch, was Sie so bedrückt. Ich kann
fühlen, dass sie am liebsten wieder gehen möchten. Aber Sie wissen, dass ich
Ihnen immer eine gute Freundin gewesen bin. Haben Sie keine Angst vor dem, was
Ihnen im Moment vielleicht noch unverständlich vorkommt."
Deanna kaschierte sorgfältig ihre Besorgnis und bemühte sich um
eine gleichbleibend ruhige Stimme.
"Verdammt noch mal, was für ein verlogenes Gesülze!"
Geordi presste, über sich selbst erschrocken sofort seine Lippen
zusammen. Aber auch Deanna blinzelte überrascht.
"Geordi, so kenne ich Sie gar nicht. Setzen Sie sich doch
bitte wieder hin und erklären Sie, wie Sie das meinen. Ich bin sicher, wir
finden einen Weg", versuchte sie zu deeskalieren.
"Wir finden ganz sicher einen Weg, mich ins Jenseits zu
befördern, meinten Sie wohl in Wirklichkeit!"
Geordis Stimme klang jetzt zynisch und er wusste genau, was er
sagte, aber es erleichterte ihn gleichzeitig ungemein, seinen Gefühlen endlich
freien Lauf lassen zu können.
"Wer ist eigentlich auf diese idiotische Idee gekommen?
Sie? Muss ja ein irrer Spaß gewesen sein", fragte er sie und die kantigen
Ecken des Visors funkelten in der Deckenbeleuchtung.
Deanna war verblüfft über die ganze Wut, die ihr jetzt
unvermutet heftig entgegen schlug. Eigentlich ist es eine tiefe Enttäuschung,
eine Art Kränkung analysierte sie, als sie seinen Gefühlsausbruch ganz direkt
mitfühlen konnte.
"Wovon reden sie? Ich verstehe es noch nicht." Deanna konnte
zwar Gefühle empathisch empfangen, aber keineswegs in die Gedanken anderer
eindringen.
"Ich rede von der Brückenoffiziersprüfung. Die
Maschinenraumsimulation Nummer 1."
Geordi nahm wahr, wie ihm Schweiß, den Rücken runter lief. Aber die
Ambientenkontrolle war bestimmt nicht der Grund für seine plötzliche Hitzewallung.
"Woher wissen sie davon?" Deanna setzte sich in ihrem
fliederfarbenen Einteiler ganz nach vorn an die Kante des Stuhls. Ihr dämmerte
bereits, was er meinen könnte, aber Geordi konnte doch unmöglich davon Kenntnis
haben.
"Es ging darum, dass die OND Leitung repariert werden
musste, weil das Magnetfeld in der Antimaterieeindämmungseinheit fluktuierte
und ..." Der Chefingenieur redete immer schneller.
"Ich verstehe ...", sagte sie leise.
"Die Notfallprozedur funktionierte nicht und sie haben
jemanden gebraucht, der trotz der radioaktiven Strahlung in den Wartungsschacht
gehen sollte."
Der Chefingenieur hielt einen Moment an. Es klang in seinen
Ohren, als wenn er gerade von jemand anderem gesprochen hatte, in gewisser
Weise, war es ja auch so.
"Sie müssen das nicht alles aufzählen", schlug die
Councelor besorgt vor.
"Ich möchte das aber. Es ging schließlich um mich!" Er
sah ihr jetzt direkt in das Gesicht.
"Es ging nicht um Sie und das wissen Sie auch. Sie hatten
offensichtlich einen unbefugten Zugriff zu den Commander-Prüfungsprotokollen.
Ich müsste das eigentlich sofort melden. Wie sind sie überhaupt da rein
gekommen?"
Deanna musste innerlich zugeben, dass sie zutiefst erschrocken
war. Diese Simulation lag erst wenige Wochen zurück und sie hatte alles noch
gut in Erinnerung. Eigentlich müsste sie ihn jetzt sogar bitten, zu einem
Kollegen zu gehen, da sie persönlich betroffen war. Aber es war Geordi und sie
war es ihm gewissermaßen schuldig, sich ihm zu stellen.
Widerstrebend ging er wieder zu seinem Platz zurück und sah sie schuldbewusst
an.
"Ich weiß, ich hätte das natürlich sofort melden müssen. Es
war bei der Überprüfung von Datas Mission. Seine Kommunikationssonde hatte nicht
ordnungsgemäß funktioniert. Sie war ebenfalls radioaktiv gestört gewesen, wie
Sie wissen. Und da muss es eine Überlappung in der Speicherung gegeben haben.
Jedenfalls hat der Computer auf meine Nachfrage hin, versehentlich die
Protokolle Ihrer Prüfung geöffnet."
"Sie hätten sie abschalten können, sobald Ihnen klar war,
um was es sich handelt", erinnerte Deanna ihn.
"Sicher, aber mein Name stand auf der Liste." Er hob
entschuldigend seine Hände.
"Ich gebe zu, ich konnte nicht widerstehen. Es war falsch.
Und dafür trage ich auch die Verantwortung, aber ..."
"Aber darum geht es Ihnen im Moment nicht", beendete
Deanna seinen Satz. "Ich fühle ihre Wut, aber auch ihre Trauer."
"Ja, ich hätte so etwas nicht gedacht von Ihnen. Es ist. Es
ist, als wenn Sie ..."
"Als wenn ich Sie wirklich in den Tod geschickt hätte. Ist
es das?", beendete sie den Satz.
"Ja, genau." Geordi seufzte. "Aber eigentlich es
ist noch etwas anders. Es war nur ein Spiel. Wenn es wenigstens um etwas
Wichtiges gegangen wäre. Auch ich habe einen Eid bei der Sternenflotte
abgelegt. Und ich weiß auch, dass es durchaus zu so einer Situation kommen
kann. Aber einfach so als Animation benutzt zu werden, als eine Art Spielzeugpuppe
mit der jeder machen kann, was einem gerade einfällt ..."
"Mit der ich gemacht habe, was mir gerade in den Sinn
kam?", versuchte Deanna seine Worte richtig zu interpretieren.
"Ja, genau, es ging ja in Wirklichkeit um nichts. Nur ein
Spaß. Als wäre ich kein lebendes Wesen. Und ich habe ihr Gesicht gesehen. Es
hat Ihnen nicht einmal etwas ausgemacht. Das hat mich am meisten gekränkt. Ich
hatte immer geglaubt, wir wären gute Freunde."
Das Geständnis ließ ihn sehr verletzlich wirken und er knetete
seine Finger.
"Aber das stimmt nicht, Geordi. Wir sind immer noch Freunde."
Sie suchte sein Gesicht und zeigte ihm für einen kurzen Moment
ihren ganz persönlichen Kampf um die richtige Kommando-Entscheidung. Ihre
Betroffenheit, als sie erkannt hatte, dass es keinen anderen Weg gab und ihren
Wunsch die Prüfung zu verweigern, von dem nur Will Riker sie noch hatte
abhalten können.
Geordi konnte es nur in ihren Augen sehen, aber er erkannte
sofort ihre Ernsthaftigkeit.
"Es ist Ihnen wirklich schwergefallen?", fragte er
noch einmal nach, obwohl er die Antwort bereits wusste.
"Sehr schwer, Geordi. Ich wäre fast daran
gescheitert", gestand sie ihm ein.
"Das ist ... Das hilft mir. Ich hätte mich sonst
gewissermaßen missbraucht gefühlt." Geordi atmete sichtbar auf und
straffte seinen Rücken.
"Vielleicht ist es sogar wichtig gewesen, gerade Sie, einen
Freund vor mir stehen zu sehen. Denn so habe ich wirklich verstanden, dass ein
Commander zu sein nicht nur die Übernahme von Nachtschichten auf der Brücke
bedeutet. Und ich denke, diese Erkenntnis war für mich sehr wichtig."
In Deanna entstand der Eindruck, dass es jetzt eigentlich mehr
um ihre eigenen Gefühle ging.
Aber manchmal war es notwendig, gegenüber dem Ratsuchenden ganz
offen zu sein, auch wenn das schmerzhaft sein konnte.
"Ich glaube, ich hätte diese Entscheidung selbst nicht
treffen wollen", gab Geordi zu.
"Ich überlege gerade, ob dieses Verfahren nicht geändert
werden sollte. Damit Starfleet in Zukunft keine aktuellen Crewmitglieder mehr
in diese Simulationen einbaut. Ich kann eine Anregung an das Hauptquartier schicken.
Sie werden das sicher zukünftig berücksichtigen."
Deanna runzelte ihre Stirn und formulierte innerlich bereits
einen entsprechenden Antrag, denn wenn sie mit sich ehrlich in das Gericht
ging, war es genau dieser Punkt, der ihr selbst auch immer noch Kopfzerbrechen
machte. Was war mit den Opfern, bzw. den realen Vorbilder in diesen
Simulationen? Durfte man wirklich so mit den Persönlichkeitsrechten dieser
Crewmitglieder ohne ihr Wissen, bzw. ihr Einverständnis umgehen?
Geordi sah sie nachdenklich an. "Ich war eigentlich
hergekommen, um genau diesen Vorschlag zu machen. Aber jetzt verstehe ich viel
besser, worum es bei dieser Prüfung geht."
"Es gibt immer andere Möglichkeiten." Deanna sah vage
in den Raum. Ihr wurde klar, dass sie selbst ihre Kommando-Entscheidung noch
nicht ganz verarbeitet hatte. War das sogar das Ziel der Ausbilder gewesen?
Niemals wieder das Gefühl für Verantwortung, für die Unersetzlichkeit von Leben
zu verlieren? Immer ein Bewusstsein für die Fragilität des Daseins zu bewahren?
"Councelor. Ich glaube, es muss so bleiben, wie es ist. Ich
würde es selbst nicht anders haben wollen. Wer das Kommando führt, muss auch
schwere Entscheidungen treffen können." Geordi lächelte schief. "Auch
wenn ich diesmal der Leidtragende war."
Sie lächelte zurück. "Die Auseinandersetzung mit diesem
Thema hat mich auf jeden Fall ernsthafter werden lassen, Geordi", gestand
sie ein.
"Also, ich fühle mich jetzt jedenfalls viel besser."
Er erhob sich und strebte der Tür zu, aber blieb dann für einen Moment
nachdenklich stehen und drehte sich noch einmal zu ihr um. Deanna war
inzwischen auch aufgestanden.
"Ich möchte Ihnen hiermit noch mal zu Ihrer Beförderung zum
Commander gratulieren, Deanna. Und heute kommt es wirklich von ganzem
Herzen", kam es plötzlich ganz feierlich von seinen Lippen.
"Oh, danke" Sie lächelte und begleitete ihn zum
Ausgang. "Das bedeutet mir sehr viel, Geordi." Sie legte ihre Hand
auf seinen Unterarm.
"Natürlich unterliegt das ganze Gespräch der
Schweigepflicht. Das gilt auch für den unbefugten Zugriff auf geheime Daten.
Aber ich denke, das kann ich diesmal verantworten. Dennoch sollten Sie das
besser in Zukunft unterlassen."
"Natürlich. Und danke, Deanna."
Es war wieder sein altes Lächeln, das auf seinem Gesicht lag. Ernsthaft,
sicher und doch etwas jungenhaft.
Als Geordi das Zimmer verlassen hatte, saß Deanna noch eine
Weile in ihrem Sessel und ließ sich das Gespräch durch den Kopf gehen.
Danach prüfte sie ihre weiteren Termine und sah, dass sie noch
mindestenszwei Stunden frei hatte. Genug Zeit für ein Schokoladeneis in
Zehn-Vorne.
Ende