Erwachen
T’Len
2008
Fandom: Mit Herz und Handschellen
Charaktere: Leo Kraft/Bernd Fabrius
Kategorie: m/m-slash, PG-15, Narben-Challenge
Hinweise: Spielt nach Folge 19 „Bombenstimmung“. Ich kenne den nachfolgenden Spielfilm nicht, hoffe aber, dass ich nicht ganz außerhalb vom Canon bin, was die Entwicklung der Beziehung von Leo und Bernd angeht.
Feedback:
tlen11@freenet.de
Summe: Am Morgen danach kommt das Erwachen.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Vielen Dank an Lady Charena fürs Beta.
Eine Bewegung im Bett weckte
ihn. Für einen Moment war er verwirrt. Warum war er nicht allein? So wie in
den, oft so schrecklich einsamen, Nächten der letzten Monate. Er hasste es,
alleine einzuschlafen und er hasste es noch mehr, alleine aufzuwachen. Doch er
hatte sich daran gewöhnt. Zwangsweise.
Für einen Augenblick dachte
er, Nina hätte sich wieder in sein Bett geschlichen, so wie damals als sie sich
das einzige freie Zimmer in diesem Landgasthof teilen mussten. Dann setzte sein
Gehirn endlich richtig ein und er erinnerte sich. Nina war mit Florian nach
Hause gegangen. Und er wusste, wer neben ihm im Bett lag.
Leo Kraft lächelte.
Eigentlich war es ein Wunder, dass sie es überhaupt noch ins Bett geschafft
hatten, von ihren nachfolgenden Aktivitäten ganz zu schweigen. Die Aufregung
des gestrigen Tages, der Stress, das viele Adrenalin in seinem Blut nachdem er
Wacker aus dem Präsidium gerettet hatte, das um sie herum explodierte, der
Alkohol von ihrer Feier mit den Kollegen – alle glücklich, dass sie noch am
Leben und unversehrt waren – am Abend, all das hätte eigentlich selbst für ihn
zu viel sein müssen.
Doch irgendwann war auch der
Letzte gegangen und sie waren allein gewesen. Wie von selbst fanden sie sich
plötzlich in einer Umarmung wieder. Als sie sich küssten und berührten und
wenig später nackt nebeneinander in seinem Bett lagen, da war eine Vertrautheit
zwischen ihnen gewesen, die er nicht für möglich gehalten hätte. Nicht nach all
der Zeit.
Leo war nicht bewusst
gewesen, wie sehr er in den letzten Monaten Sex vermisst hatte, nein, nicht
Sex, die Nähe eines anderen Menschen, körperlich und emotional. Er war nicht
gern allein und bei aller Freundschaft, Nina konnte ihm nicht alles geben, was
er brauchte. Nicht körperlich, aber auch nicht emotional, dazu war sie selbst
zu sehr in ihren eigenen Problemen verstrickt. Er wusste, dass er schrecklich
konservativ und spießig war, in den Augen vieler – vielleicht sogar der meisten
- Schwulen. Doch er sehnte sich nach einer festen Beziehung, nach einem
Partner, mit dem er sein ganzes Leben teilen konnte, den langweiligen Alltag
ebenso wie weniger langweilige Nächte.
Als er Bernd letzte Nacht
unter sich spürte, als sie sich liebten, da war es so gewesen, wie es immer
gewesen war. Vertraut, liebevoll, etwas besonderes und voller Kenntnis über den
Körper des jeweils anderen, über die Dinge, die ihnen Spaß machten, Lust
bereiteten. Gerade so als hätten sie es
jeden Tag getan, als lägen nicht fast sieben Jahre zwischen diesem und dem
letzten Mal, als sie ein Bett miteinander teilten. Als hätte es Thorsten und
die Zeit mit ihm nie gegeben.
Thorsten, dieser verdammte
Bastard! Wie hatte er es wagen können, ihm damals weiß zu machen, dass Bernd
einen anderen habe. Nein, schalt er sich, gib nicht ihm die Schuld, gib sie
dir. Er war schließlich Polizist, Kriminalbeamter sogar, er sollte
durchschauen, wenn ihn jemand anlügt. Wenn er nicht mal den Menschen, der ihm
am nächsten gewesen war, durchschauen konnte, dann sollte er vielleicht
schleunigst den Beruf wechseln. Aber die Liebe machte bekanntlich blind,
tröstete er sich. Und er hatte Thorsten geliebt, genauso wie Bernd. Er bereute
die sechs Jahre mit dem Cellisten nicht, nur die Art und Weise ihres Endes.
Wenn er sich damals zwischen beiden Männern hätte entscheiden müssen, er wusste
nicht, wie er sich entschieden hätte, ob er dazu überhaupt in der Lage gewesen
wäre. Aber bevor er überhaupt in die Situation kam, sich entscheiden zu müssen,
war Bernd verschwunden gewesen und Thorsten nur allzu bereit, die Scherben
aufzusammeln. Vielleicht war es gut gewesen, dass Thorsten ihm die Entscheidung
abgenommen hatte, mit wem er wirklich zusammen leben wollte. Aber verdammt noch
mal, es hätte seine Entscheidung sein müssen, nicht Thorstens.
„Verdammter Mistkerl.“
Dass er es laut
ausgesprochen hatte, merkte Leo erst, als Bernd neben ihm schlaftrunken
murmelte.: „Was hast du gesagt?“
„Nichts.“ Leo drehte sich
herum und küsste Bernd zärtlich auf den Mund. „Guten Morgen.“
„Morgen“, murmelte Bernd und
streckte sich. „Hm, es ist schön, neben dir aufzuwachen. Das möchte ich für den
Rest meines Lebens tun.“ Er kuschelte sich an Leo.
„Das wird schwierig, es sei
denn, du fliegst künftig nur noch München - Hamburg statt München – New York
oder Sydney“, erwiderte Leo.
„Okay, ich möchte jeden
Morgen, den ich zu Hause bin, neben dir aufwachen“, erwiderte Bernd. „Sei doch
nicht so pingelig.“
„Berufskrankheit“, meinte
Leo leichthin. Doch er stimmte Bernds Wunsch aus ganzem Herzen zu.
Bernd stemmte sich hoch und
beugte sich über Leo, blickte seinen Liebhaber zärtlich in die Augen. Leo
lächelte ihn an. Mit einer sanften Geste strich Bernd das wirre Haar aus dem
Gesicht, berührte dann die Schramme an Leos Schläfe, die er sich bei der
Explosion am Vortag zugezogen hatte. Glücklicherweise nicht tief, sie würde
keine Narbe hinterlassen, keine äußerliche zumindest. „Nina hat mir erzählt,
dass du ins Haus zurückgerannt bist, um deinen Kollegen zu holen, obwohl die
Bombe jede Sekunde hochgehen konnte. Versprich mir, dass du nie wieder so etwas
Dummes tust.“
Leo setzte sich abrupt auf
und schob Bernd von sich, wandte ihm den Rücken zu. Seine Miene war kalt und
abweisend. „Besser du gehst jetzt“, sagte er und seine Stimme klang auf einmal
rau und belegt.
„Was ist denn los?“ Bernd
war verwirrt über den plötzlichen Stimmungsumschwung seines Freundes. „Habe ich
etwas Falsches gesagt?“
Er berührte sanft Leos
Schulter, doch der schüttelte seine Hand ab. „Geh! Und komm nie wieder“, sagte
er hart
„Aber duschen darf ich noch
schnell?“ Bernd klang eindeutig verletzt, als er aus dem Bett kletterte und
seine Sachen vom Boden aufhob. Er verstand nicht, warum Leo ihn plötzlich von
sich stieß, nach einer Nacht, die ihm wie die perfekteste seines ganzen Lebens
erschienen war. Eine Nacht an der Seite dieses ganz bestimmten Mannes, die zu
erleben, er in den letzten Jahren nicht mehr für möglich gehalten hatte, von
der er nicht einmal zu träumen wagte.
Leo sah, als Bernd vor ihm
stand, dass sein Freund leicht erregt war, so wie er selbst. Er wollte ihn in
seine Arme ziehen, aufs Bett werfen und dort weiter machen, wo sie letzte Nacht
irgendwann erschöpft und befriedigt aufgehört hatten, um eng aneinander
gekuschelt einzuschlafen. Er schluckte hart und wandte den Blick ab.
„Geh“, sagte er noch einmal
und seine Stimme brach dabei fast.
Bernd verließ wortlos das
Schlafzimmer, seine Anziehsachen auf dem Arm.
Leo hörte, wie die Badtür
geöffnet wurde, kurz danach die Dusche anging. Er fühlte sich elend, ihm war
schlecht und zum Heulen zu mute. Wie hatte er das nur sagen können, das Bernd
und vor allem sich selbst antun können? Es ist besser so, sagte seine innere
Stimme. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Besser er
geht jetzt als in sechs Wochen, sechs Monaten oder sechs Jahren. Dann wenn es
richtig weh tut, mehr als jetzt, nach dieser einen wunderbaren Nacht voller
aufgeweckter Erinnerungen und neuer Versprechen, weil du bis dahin die
grenzenlose Liebe bis ans Ende eurer Tage geglaubt haben wirst. Und er wird
gehen, eines Tages, so wie Thorsten, dessen Liebe zu dir du auch für unendlich
gehalten hast, gegangen ist. Er wird gehen, weil auch er die Angst nicht mehr
ertragen kann, dir könnte in deinem Beruf etwas passieren.
Sei nicht albern, antwortete
eine zweite Stimme in ihm. Er weiß, was dein Beruf dir bedeutet, er hat es
immer gewusst. Es hat ihn damals nicht gestört, dass du bei der Polizei warst,
nur dass du dich geoutet hast, in einer Institution die in Sachen
Konservativität gleich nach der katholischen Kirche kommt. Zumindest in Bayern.
Es wird ihn auch jetzt nicht stören. Schließlich hat er auch einen nicht ganz
ungefährlichen Beruf, den er liebt und für nichts in der Welt aufgeben würde.
Thorsten hat auch gewusst,
was dir dein Beruf bedeutet, antwortete die zweifelnde Stimme, und er konnte
trotzdem auf Dauer nicht damit leben. Bernd wird auch gehen, irgendwann und es
wird dir noch mehr weh tun, weil du ihn ein zweites Mal verlierst. Beende es
hier und jetzt!
Willst du den Rest deines
Lebens allein sein?, fragte die andere Stimme. Bernd liebt dich, er wird dich
akzeptieren, so wie du bist.
Thorsten hat dich auch
geliebt, sagte die erste Stimme. Und hat ihn das aufgehalten zu gehen? Finde
dich damit ab, Kripoarbeit und eine feste Beziehung passen nicht zusammen. Wie
viele Kollegen kannst du, die ein glückliche Beziehung führen?
Nina und Schulz, antwortete
die zweite Stimme.
Wie viele im Chaos
gescheiterte Beziehungen hat Nina schon hinter sich, fiel die andere Stimme
wieder ein. Und Schulz’ Ehe funktioniert nur deshalb, weil seine Frau ebenfalls
von Fach ist. Außerdem sitzt er die meiste Zeit am Schreibtisch, in Sicherheit
und Regina kommt mit der Spurensicherung erst, wenn die Gefahr vorbei ist. Kein
Vergleich mit deinem Job.
Bernd liebt dich, beharrte
die optimistische Stimme. Sonst wäre er nicht zu dir zurück gekommen nach all
der Zeit.
Warum hat er damals nicht um
dich gekämpft?, hielt die Skeptikerin entgegen.
Weil du mit Thorsten
zusammen warst, das hat er akzeptiert.
Wer wirklich liebt, gibt
nicht so schnell und kampflos auf. Immer schneller, immer hektischer schienen
die Stimmen durcheinander zu reden.
„Verdammt, seid still!“
Wütend schlug Leo mit der Faust aufs Bett. Dann stützte er den Kopf in die
Hände. Als Feuchtigkeit in seine Augen trat, wischte er sie mit dem Handrücken
ab.
Er hörte, wie die Dusche
abgestellt wurde. Er hörte, wie die Badtür sich öffnete, dann wieder
geschlossen wurde, hörte die Schritte, die sich der Haustür näherten. Noch ein
paar Schritte und Bernd würde aus seinem Leben verschwunden sein, zum zweiten
Mal und diesmal wohl für immer.
Leo sprang auf und in seinen
Slip, warf dann sein Shirt über. Er stürzte aus dem Schlafzimmer.
„Bernd, warte!“
Bernd hatte die Hand am
Türgriff, die Tür bereits ein Stück geöffnet, als Leo ihn erreichte. Jetzt zog
er sie wieder zu. Er blickte ihn an, verletzt, fragend, verwirrt, wie ein
waidwundes Tier.
Leo konnte den Blick kaum
ertragen. Er schuldete Bernd zumindest eine Erklärung für sein Verhalten,
entschied er. Er legte ihm die Hand auf den Arm. „Komm!“ Er führte Bernd ins
Wohnzimmer, bat ihn, sich zu setzen.
„Es... es tut mir Leid.
Ich..:“ Leo schluckte. Verdammt, er war doch sonst nicht so auf den Mund
gefallen. Doch jetzt fielen ihm die Worte schwer.
„Was bedrückt dich, Leo?
Bitte sag es mir.“ Bernds Stimme klang sanft. Die Verärgerung in seinen Augen
war Besorgnis gewichen. „Ist es wegen Maria? Machst du dir Vorwürfe wegen
letzte Nacht? Sei weiß, dass ich zu dir gegangen bin. Wir sind bald geschieden
und dann...“
Leo schüttelte stumm den
Kopf. Er konnte nicht weiter in diese Augen sehen, konnte die besorgte Liebe
darin nicht länger ertragen oder er würde schwach werden. Er wollte nicht, dass
Bernd jetzt ging, aber noch weniger wollte er eines Tages die Schmerzen einer
erneuten Trennung ertragen müssen. Nichts ist für die Ewigkeit, lebe im Hier
und Jetzt, sagte seine innere Stimme. Er befahl ihr zu schweigen.
Leo wandte sich ab und ging
zum Fenster. Doch er nahm nicht wahr, was er da vor sah.
„Als Thorsten gegangen ist“,
begann er leise. „Hat er gesagt, er könne nicht mehr mit der Angst leben, dass
mir etwas passieren könnte, dass eines Abends ein Kollege von mir vor der Tür
stünde, um ihm die Nachricht zu überbringen. Diese Nachricht. Als du vorhin
gesagt hast, ich solle nie wieder...“
Er zögerte kurz, bevor er
fort fuhr. „Er wollte, dass ich mich entscheide, zwischen ihm und meinen Job,
wollte, dass ich mich nach Wiesbaden versetzen lasse, an einen Schreibtisch
beim BKA. Das kann ich nicht. Ich bin Ermittler, kein Bürohengst. Mein Beruf
ist mein Leben, Bernd. Ich weiß, dass er gefährlich ist. Aber es ist meine
Aufgabe, dafür zu sorgen, dass all diese kranken Spinner, die da draußen
rumlaufen und Menschen umbringen, aus welchen Motiven auch immer, gefasst
werden, bevor sie weiteren Schaden anrichten können. Und ich tue das gern. Ich
kann nichts anderes tun, als mich nach bestem Wissen und Gewissen zu schützen
und darauf vertrauen, dass meine Kollegen mir im Ernstfall den Rücken frei
halten. Genau so, wie ich es jederzeit für sie tun werde. Sogar für Wacker, so
unmöglich er sich auch manchmal verhalten mag. Ich musste zurück, ihn rausholen.
Ich konnte nicht anders handeln und ich werde es auch in Zukunft nicht anders
tun. Wenn du damit nicht leben kannst, Bernd, dann geh, bevor es für uns beide
zu spät ist. Geh und komm nie wieder.“
Er wagte nicht, sich
umzudrehen, als sich eine bleierne Stille über den Raum senkte. Er hörte, wie
Bernd ein paar Mal tief ein- und ausatmete, hörte das Sofa leise quietschen,
als Bernd aufstand, erwartete jeden Moment, die Haustür ins Schloss fallen zu
hören. Erst als sich Bernds Arme von hinten um seine Taille schlangen, Bernd
sich an seinen Rücken schmiegte, merkte Leo, dass er die Luft angehalten hatte.
Er holte tief Atem.
„Das weiß ich doch alles“,
sagte Bernd. „Das habe ich immer gewusst. Und verstanden. Schon damals. Mein
Job ist doch auch nicht ungefährlicher. Egal, wie gut wir Piloten ausgebildet
sind, wie gut die Technik gewartet wird und wie groß die Sicherheitskontrollen
sind, ein Restrisiko bleibt immer, seit 9/11 vielleicht mehr als zuvor, gerade
auf den USA-Flügen. Ja, ich habe Angst um dich. Ich werde jedes Mal da oben
sein und beten, dass du es bist, der mich am Flughafen erwartet, um mich in
seine starken Arme zu nehmen, und nicht Nina oder ein anderer deiner Kollegen
mit eben dieser Nachricht auf mich wartet. Und ich hoffe sehr, auch du betest
dafür, dass ich jedes Mal wieder heil in deinen Armen lande.“
Bernd löste sich von Leo und
der drehte sich herum. In seinen Augen schimmerte es feucht. Bernd streckte
sich, um seine Arme um Leos Hals zu legen. „Ich liebe dich, Leo Kraft. Ich
liebe dich, so wie du bist und ich will mit dir zusammen sein. Für ein
hoffentlich langes und glückliches Leben.“
Er küsste Leo und der Kuss
ließ alle Zweifel vergessen.
Ende