Durch
Zeit und Raum
Disclaimer
siehe Teil 1
Teil
5
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„Sie
sehen müde aus.“
Si’jsk
schüttelte den Kopf. "Ich bin noch etwas erschöpft, das ist alles.“
Blight
musterte ihn aufmerksam. Die dunklen Schatten unter den Augen des Vulkaniers
waren ihm nicht entgangen. Er hatte zwar, ebenso wie er selbst, den Unterricht
an der Akademie sofort nach seiner Rückkehr wieder aufgenommen, aber darüber
hinaus mied er jegliche Kontakte.
“Sie
sind mit einer bestimmten Absicht zu mir gekommen?!” Si’jsk verschränkte die
Hände auf dem Schreibtisch und wartete ab.
Blight
nickte. „Ja. Ich wollte Sie bitten, mir Unterricht im Nahkampf zu erteilen.
Natürlich nur, wenn Sie genügend Zeit zur Verfügung haben.“
Ein
Lächeln schien über Si'jsks Gesicht zu huschen.
„Meines
Wissens gibt es in O’Brians Kursplan noch freie Plätze und er unterrichtet
ebenfalls Nahkampftechniken.“
„In
der Tat, doch keine vulkanischen. Ich habe Sie gestern bei einem Training mit
einer dieser speziellen Waffen beobachtet...“
Blight
ließ den Satz unvollendet und sah ihn bittend an.
Si‘jsk
musste einen Moment nachdenken, bevor er begriff, dass er ihn vermutlich mit
einer Lirpa gesehen hatte. Er hatte am vergangenen Abend tatsächlich mit dieser
Waffe trainiert, aber weniger um zu üben, sondern um sich abzulenken. Das was
er in jenen Höhlen auf Yarib erlebt hatte, raubte ihm den Schlaf. Und er zog es
durchaus vor, lieber gar nicht zu schlafen, als ständig schweißgebadet aus
Alpträumen zu erwachen.
„Gut,
ich bin einverstanden. Aber es ist ein langer Weg bis zur Beherrschung der
Lirpa. Es gibt einige spezielle Techniken, die Sie vorher lernen müssen.“
Blight
nickte begeistert. „Das dachte ich mir schon. Ich bin einverstanden.“
Er
zögerte, die nächste Frage zu stellen, denn er wollte Si'jsk, erschöpft wie
dieser war, nicht unter Druck setzen. Si‘jsk kam ihm zuvor.
„Wenn
Sie wollen, können wir übermorgen Abend anfangen. Meines Wissens sind zu diesem
Zeitpunkt keine Kurse in der kleinen Halle gemeldet, so dass wir sie für uns
hätten.“
„Ich
bin da.“
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Als
Blight das Büro des Vulkaniers verlassen hatte, fühlte er sich wie ein
Teenager, der sein erstes Rendezvous ausgemacht hatte. Ärgerlich rief er sich
zur Ordnung. Was war nur los mit ihm?
Si'jsk
war Vulkanier. Er hatte eigentlich nicht vor, etwas mit ihm anzufangen. Es ging
ihm wirklich nur um diese Kampftechniken.
Doch
in seinem Hinterkopf saß ein kleines vorwitziges Männchen, dass ihn mit einem
hartnäckigen <Ach wirklich?!> traktierte.
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Als
Si’jsk in seine Wohnung zurückkehrte, fühlte er sich wie zerschlagen. Sein
Zustand konnte nicht allein vom Schlafmangel und den Ereignissen auf Yarib her
rühren.
Er
entschied sich für eine ausgiebige Dusche, da er inzwischen die Erfahrung
gemacht hatte, dass ihm das relativ kühle Wasser überraschend gut tat. Dann
ging er mit einem leichten Hausmantel bekleidet in den Wohnraum.
„Ich
habe mich schon gefragt, wann du kommst?“ Aline Sanders, eine der anderen
Professorinnen saß mit angezogenen Beinen in einem Sessel. Sie stand
geschmeidig auf und reichte ihm einen Drink.
Si'jsk
nahm den Brandy und trank ihn in einem Zug. Das Getränk brannte in seiner
Kehle, doch er nahm es kaum wahr.
„Was
ist los, Si'jsk? Du benimmst dich, als wäre ich nicht vorhanden.“
Si'jsk seufzte lautlos. „Ich...Bitte lass mich allein,
Aline.“
Er
wandte sich ab und trat an das große Panoramafenster. Es gab den Blick frei auf
die noch relativ unberührte Natur, die den Akademiekomplex umgab. Er wusste,
dass es nicht weit entfernt eine kleine Siedlung gab, in der einige der Vulkanier
lebten, die Vulkan schon zu Beginn des Krieges verlassen hatten. Sie wurden auf
Camelon geduldet, waren sich jedoch weitgehend selbst überlassen.
Etwas
näher konnte er einige Lichter durch die Bäume schimmern sehen. Dort musste
eines der großen Herrenhäuser liegen, die die ersten Siedler auf Camelon erbaut
hatten. Sie wurden im gleichen Stil erbaut, wie es früher auf der Erde in einem
Land namens Großbritannien üblich gewesen war, so hatte man ihm erklärt.
„Ich
denke nicht daran, zu gehen.“
Sie
war hinter ihn getreten und ließ ihre Hände über seinen Rücken gleiten. Dann
begann sie seine Schultern zu massieren.
Si'jsk
wehrte sie mit einem unwilligen Knurren ab.
„Bitte
geh. Ich bin nicht in der Lage, die Nacht mit dir zu verbringen.“
Sie
sah ihn einen Moment lang fassungslos an, dann verpasste sie ihm eine
schallende Ohrfeige. Si'jsk ließ es geschehen. Es war ihm gleichgültig.
Er
wusste, dass sie schon bald einen neuen Liebhaber haben würde. Man hatte ihn
gewarnt, sich mit ihr einzulassen. Doch er hatte den Druck des Pon farr gespürt
und wusste, dass er nicht viel Zeit hatte, sich nach einer Frau umzusehen. Sie
hatte ihn vom ersten Tag an, den er auf Camelon war, umgarnt und so ergriff er
die Gelegenheit, die sich ihm bot.
Doch
jetzt... Sie war oberflächlich und nur am Vergnügen interessiert. Sie würde
niemals eine Partnerin für ihn sein können, so dass er nie die Absicht gehabt
hatte, allzu lange in ihrer Gesellschaft zu bleiben. Hinzu kam, dass er es leid
war auf den schwächeren Körperbau der menschlichen Frauen Rücksicht zu nehmen.
Es
dauerte nur wenige Minuten, bis sie sich angezogen hatte und mit einem lauten
Knallen die Tür hinter sich zuwarf.
Si'jsk
lehnte die Stirn gegen die kühle Fensterscheibe. Die Nacht war hereingebrochen
und die hellen Lichter zwischen den Bäumen waren erloschen.
Plötzlich
fühlte er sich einsam.
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Der
nächste Tag verlief ruhig und Si'jsk beschloss den Abend in der Offiziersmesse
zu verbringen. Dort würde er mit Sicherheit einen Gesprächspartner finden, wenn
nicht sogar Blight.
Als
er die gut besuchte Messe betrat sah er sich um. Mit einem Stich der
Enttäuschung stellte er fest, dass Blight nicht anwesend war.
Er
holte sich etwas zu essen und setzte sich an einen freien Tisch. Nun,
spätestens morgen Abend würde er mit ihm trainieren.
„Wie
wäre es mit einer Partie Schach?“
Si'jsk
hob den Kopf und musterte Blight, der plötzlich mit einem Schachspiel unter dem
Arm vor ihm stand.
„Setzen
Sie sich.“ Er deutete auf einen freien Stuhl und schob seinen inzwischen leeren
Teller beiseite.
Blight kam der Aufforderung nach und baute die
Figuren auf.
Si’jsk
nahm einen der Springer in die Hand und betrachtete die feine Schnitzerei. Es
handelte sich um offenbar sehr alte Figuren aus Holz.
„Konnten
Sie in Hinblick auf die Kammer etwas erreichen?“
Blight
hob den Kopf. Sie hatten seit ihrer Rückkehr nach Camelon noch nicht über ihre
Erlebnisse gesprochen. Doch er wusste, was der Fund für den Vulkanier
bedeutete.
„Ja.
Mehrere Medoteams sind bereits auf dem Weg. Einige der Verletzten werden
übrigens wahrscheinlich auch hierher gebracht werden. Die meisten davon
Vulkanier. Es gibt außerhalb Vulkans praktisch keine Heiler, die sie behandeln
könnten. Und der Erde ist es offenbar noch nicht gelungen mit Vulkan zu einer
Einigung die Verletzten betreffend zu kommen.“
Si’jsk schüttelte den Kopf. „Sie sind so verdammt
stur.“
„Sie
sind doch auch einer von ihnen.“ Er grinste.
„Tatsächlich?
Das muss mir bisher entgangen sein.“
Blight
war über Si’jsks bittere Ironie überrascht, ließ sich jedoch nichts anmerken.
„Ich
bin gespannt, was die Verletzten zu erzählen haben.“
„Wer
hat was zu erzählen?“
Kent
O'Brian war an den Tisch getreten und sah die beiden Männer abwartend an. Etwas
hatte sich zwischen ihnen verändert. Die unterschwellige Feindseligkeit, die er
noch vor kurzem wahrgenommen hatte, war verschwunden.
Er
war froh darüber, respektierte er doch beide Männer und wünschte sich eine
freundschaftlichere Basis mit ihnen, als es allein ihr Dienst vorsah.
„Darf
ich mich setzen.“
Blight warf Si’jsk
einen Blick zu und nickte dann.
„Ist
in unserer Abwesenheit etwas interessantes geschehen.“
„Nein,
nichts besonderes. Das übliche Chaos in der Akademie. Etwas anderes erscheint
mir jedoch wichtig. Dr. Gordon ist über eine Nachricht besorgt, die von Vulkan
durchgesickert ist. Es heißt, die vulkanische Atmosphäre sei durch giftige Gase
so stark verseucht, dass ein Überleben der Vulkanier auf ihrem Heimatplaneten
nicht mehr möglich ist.“
Er
sah Si’jsk voll an, während er sprach, doch der ließ sich keine Regung
anmerken.
Langsam
griff der Vulkanier nach einem Bauern und eröffnete das Schachspiel.
Blight,
der ebenfalls schwieg, erwiderte mit seinem Zug.
„Haben
Sie gar nichts dazu zu sagen?“
Si’jsks
offensichtliche Gleichgültigkeit machte O'Brian wütend. Er hatte nicht
geglaubt, dass er so kaltblütig sein konnte. Selbst Silen war entsetzt gewesen,
als er davon erfahren hatte.
Si’jsk
wandte ihm seine volle Aufmerksamkeit zu.
„Diese
Vergiftung, von der sie sprechen, besteht seit über zehn Standardjahren.
Vulkanier, die nichts anderes als die Vernichtung anderer Spezies im Sinn
hatten, ließen Waffen konstruieren, die eine unglaubliche Zerstörungsgewalt
freisetzten. Eine dieser Waffen enthielt einen Fehler.
Als
sie im Orbit in Betrieb genommen wurde, explodierte sie. Die freigewordene
Energie setzte eine Kettenreaktion in Gang, die eigentlich für Vulkanier
unschädliche Gase in der Atmosphäre in giftige Einzelkomponenten aufspaltet.
Das Gas tötet, indem es die inneren Schleimhäute verätzt. Ich habe genug
Personen an den Folgen der Vergiftungen sterben sehen, um zu wissen, dass
schnelle Hilfe notwendig gewesen wäre. Was glauben Sie, warum ich so viele
Zivilisten wir nur irgend möglich von Vulkan fortbrachte?“
Seine
Stimme war beim Sprechen lauter geworden. O'Brian wurde entsetzt bewusst, dass
Si’jsk offenbar mehr als sie alle über die Ursachen jener Katastrophe wusste,
als sie ahnten.
Si'jsk
schob den Stuhl zurück und stand auf, bevor einer von ihnen reagieren konnte.
„Bitte
entschuldigen Sie mich.“
Dann verließ er den Speisesaal.
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„Sie
wollen also nach Vulkan um ein Gegenmittel zu finden?!“
Blight
musterte die Ärztin, die vor seinem Schreibtisch stand.
Sie
stützte die Arme auf und beugte sich vor.
„Ja,
verdammt noch mal. Und ich werde auch ohne ihre Erlaubnis gehen.“
„Sie
werden nichts dergleichen tun.“
„Oh,
doch. Und Sie werden mich nicht daran hindern.“
Sie
drehte sich um und wollte aus dem Büro stürmen, als er sie zurückhielt.
„Wir
haben einen Auftrag erhalten, der Sie interessieren dürfte.“
Dr.
Gordon blieb stehen und drehte sich mit einem misstrauischen Ausdruck auf dem
Gesicht um.
„So,
wird er das?!“
Blight nickte und reichte ihr eine Datenfolie.
Sie
las.
Dann
sah sie ihn an.
„Das
bedeutet, wir sollen Friedensverhandlungen führen?“
Blight
nickte. „Der Föderationsrat ist der Meinung, dass man die Vulkanier nicht ihrem
Schicksal überlassen sollte. Sie haben, trotz der in den letzten Jahren an den
Tag gelegten Grausamkeit, eine Chance verdient.“
Blight ließ seine Worte wirken und wartete ab.
Dr.
Gordon schluckte und las den Befehl noch einmal.
Sie
nickte.
„Gut.
Ich bin dabei, wenn Sie mich dabeihaben wollen.“
„Sie,
Si’jsk, Silen, Zebron, und ich werden in zwei Stunden aufbrechen. Reicht das,
um die Vorbereitungen zu treffen.“
„Ja.“
Blight
lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er hatte nichts anderes von ihr erwartet.
Dann
stand er auf um seine eigenen Vorbereitungen zu treffen. Sein Training mit
Si'jsk würde warten müssen.
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Sternzeit
4318,2: Vulkan
Sarduk lehnte sich erschöpft gegen die Wand und schloss kurz
die Augen. Er war müde. Doch zum Schlafen hatte er keine Zeit. Noch nicht. Er
musste sich zwingen, die Augen wieder zu öffnen. Zu verlockend war der Gedanke
an Schlaf.
Er betrachtete den Saal, in dem jetzt Hunderte von Liegen
und provisorischen Lagern standen.
Dies war kein Krankenhaus, nicht einmal ein Notlazarett.
Doch irgendwo mussten die vielen Verletzten oder Vergifteten ja schließlich
behandelt werden. Nur wenige der medizinischen Geräte konnten aus den Ruinen
der Vulkan-Akademie geborgen werden. Bedrückt dachte der Heiler an den Verlust,
den Vulkan erlitten hatte. Kaum eines der Jahrtausende alten Gebäude hatte die
Woge der Zerstörungswut unbeschadet überstanden. An die Tausenden Toten wollte
er gar nicht denken.
Plötzlich entstand Aufregung im Aufnahmebereich. Sarduk
ahnte, dass es gleich wieder etwas zu tun geben würde
"Sarduk! Wo stecken Sie? Wir haben
wieder jemanden für Sie."
"Hier bin ich."
Zu erschöpft, um noch entsetzt zu sein, warf er einen Blick
auf den blutenden Vulkanier. Er deutete mit dem Kopf auf eine freie Liege.
"Dort drüben ist Platz."
Die Pfleger nickten nur und luden den Verletzten ab. Dann
waren sie schon wieder verschwunden.
Sarduk brauchte keinen Medoscanner, um zu sehen, was dem
Mann fehlte. Er musste auch bei einer der Gruppen gewesen sein, die aus den
Ruinen zu bergen versuchten, was möglich war. Offenbar war er von mehreren
herabstürzenden Gesteinstrümmern getroffen worden.
Er warf trotzdem einen Blick auf das Diagnosegerät über der
Liege. Sein Verdacht bestätigte sich: Schwere innere Verletzungen und mehrere
Knochenbrüche. Hinzu kamen die üblichen Verätzungen der Schleimhäute durch die
toxischen Gase in der Atemluft. Er seufzte leise.
Der Vulkanier richtete sich mühsam auf und rang nach Luft.
Blutiger Schaum erschien auf seinen Lippen und ein Hustenanfall schüttelte ihn.
Sarduk stützte den Verletzten mit einem Kissen ab und
injizierte ihm dann ein Schmerzmittel. Resigniert erkannte der Heiler, dass es
keinen Unterschied mehr machen würde, ob der Mann an seinem eigenen Blut, dass
sich durch die Verätzungen in den Lungen sammelte, ertrank, oder ob er durch
die inneren Verletzungen verblutete.
"Das wird die ärgsten Schmerzen lindern. Es wird sich
sofort eine Schwester um sie kümmern, sobald einer der Operationsräume frei
wird."
Der Blick mit dem der Vulkanier ihn
ansah, sagte ihm, dass dieser begriff.
"Mehr kann ich im Augenblick nicht tun." *Leider*
fügte er stumm hinzu.
Dann wandte er sich einem der anderen Verletzten zu.
Kurze Zeit später richtete er sich schwankend auf und
stützte sich kurz ab, als sich ein weiterer Schwindelanfall bemerkbar machte.
Dann winkte er einen der Pfleger heran. Er konnte nichts mehr für den Mann tun.
Wann hatte er zum letzten Mal etwas gegessen? Oder etwas
getrunken? Er wusste es nicht. Es spielte auch keine Rolle mehr. Sarduk hatte
keine Ahnung, ob es überhaupt noch trinkbares Wasser gab.
Er ließ den Blick durch den Raum wandern. Alle Betten waren
belegt, und selbst auf dem Boden waren noch einige Verletzte untergebracht
worden. Der Heiler in ihm wusste, dass es für diese Vulkanier wohl keine Chance
mehr geben würde, und sie wussten es auch. Es war bekannt, dass so gut wie
keine Medikamente mehr aufzutreiben waren.
Und für die Belastung der Heiltrance waren die meisten viel
zu geschwächt. Abgesehen davon, dass sie nur mehr von einigen wenigen
beherrscht wurde, seit der Rat der Zwölf eine das unbedingt notwendige Maß
überschreitende telepatische Ausbildung der Kinder verboten hatte.
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Ende
Teil 5