Yesterday’s gone
T’Len
2008
Fandom: Joseph Hansens Dave Brandstetter Romane
Charaktere: Dave Brandstetter/Rod Flemming
Kategorie: PG, m/m-slash
Hinweise: Spielt vor dem 1. Band „Fadeout”
Feedback: tlen11@freenet.de
Summe: Dave kommt noch immer nicht mit Rods Tod klar, da erhält er einen überraschenden Besuch.
Anmerkung: Ich weiß nicht, ob jemand außer mir die Romane kennt. Insgesamt sind es 12 Bücher, die über einen Zeitraum von rund 20 Jahren spielen. Dave Brandstetter arbeitet als Ermittler für ungeklärte Todesfälle zunächst für die Versicherungsgesellschaft seines Vaters, nach dessen Tod dann macht er sich eher unfreiwillig (da vom schwulenfeindlichen Aufsichtsrat gefeuert) selbständig. Der erste Band beginnt damit, dass Dave nach dem Krebstod seines Lebensgefährten Rod, mit dem er 22 Jahre zusammen war, wieder an die Arbeit zurückkehrt.
Disclaimer: Die Rechte der in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Vielen Dank an Lady Charena fürs Beta.
Dave blinzelte in die
plötzliche Helligkeit. Sein Kopf schmerzte, seine Augen tränten. Es fiel ihm
schwer, mehr als Umrisse wahrzunehmen. Er hatte gestern definitiv einen Whisky
zu viel gehabt. Nein wahrscheinlich mehr als einen. Wie viel hatte er überhaupt
getrunken? Eine ganze Flasche? Er wusste es nicht mehr, wusste nur, dass er in
letzter Zeit zu viel trank. Viel zu viel. Aber es betäubte den Schmerz des Verlustes
und die Erinnerungen an das Verlorene und das war gut so. Nur so konnte er
überhaupt noch einschlafen. Auch wenn er dafür am nächsten Morgen andere
Schmerzen erdulden musste.
So wie jetzt. Er glaubte ein
Hammerwerk würde seinen Kopf jeden Augenblick zersprengen. Endlich gelang es
ihm, seinen Blick zu fokussieren. Etwas stimmte nicht. Er sah sich überrascht
um. Das war nicht sein Schlafzimmer. Er korrigierte seinen Gedanken. Es war
sein Schlafzimmer, aber es hatte sich über Nacht verändert. Jemand musste es
verändert haben. Er war es garantiert nicht gewesen. Wieso waren die Wände
plötzlich kahl? Wohin waren die Tapeten und Bilder an ihnen und die Gardinen
und Vorhänge vor den Fenstern verschwunden? War er gestern Abend so betrunken
gewesen, dass er die Veränderungen vor dem Einschlafen nicht einmal bemerkte?
Oder war über Nacht jemand hier gewesen? Wer hatte das alles getan? Doch so
seltsam das Ganze schien, irgendwie kam ihm die Situation bekannt vor. Er
wusste nur nicht wieso.
Dave lag auf dem großen,
verzierten, kitschigen Bett, das Rod ihm vor mehr als zwei Jahrzehnten
empfohlen hatte. Damals, als sie sich kennen lernten. Er zurück aus dem
kriegszerstörten Berlin und nicht Willens, zu seinem Vater und der nächsten
blutjungen Stiefmutter zu ziehen und deshalb auf der Suche nach seinem ersten
eigenen Heim. Rod, ein junger Verkäufer in eben jenem Einrichtungsgeschäft, das
er eher zufällig angesteuert hatte. Damals, als alles anfing...
Plötzlich wusste er, warum
ihm der Anblick seines Schlafzimmers trotz der Veränderungen so vertraut
gewesen war. So hatte es ausgesehen an ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest,
kurz nach seinem Einzug. Sie schafften es nicht, das Haus bis dahin komplett zu
tapezieren und einzurichten. Aber das war auch nicht wichtig gewesen.
Hauptsache das Bett war rechtzeitig geliefert worden. Sie wussten es gut zu
nutzen. Wie all die künftigen Jahre auch. Und nicht nur das Bett.
Dave bemerkte, dass er nackt
war. Dabei war er sich fast sicher, dass er gestern Abend voll angezogen aufs
Bett gefallen war, viel zu betrunken, um sich noch auszuziehen oder sich auch
nur Gedanken darüber zu machen.
Er glaubte, frische Farbe riechen zu können, als sich die Tür zum Schlafzimmer
öffnete und eine fröhliche, leicht feminin klingende Stimme sagte. „Aufstehen,
du Langschläfer. Wir haben noch viel zu tun.“
Dave blinzelte die Gestalt
im Türrahmen an. „Rod?“, fragte er verwundert. Wie war das möglich? „Rod?“
Der schlanke, junge Mann kam aufs Bett zu. „Nein, ich bin der Weihnachtsmann“,
sagte er lächelnd und ließ sich auf die Bettkante nieder. Er beugte sich herab
und küsste Dave auf den Mund. In den Geruch der Farbe mischte sich der seines
Aftershaves.
„Aber“, flüsterte Dave
verwirrt. „Das... das ist unmöglich.“ Rod war tot. Vor sechs Wochen gestorben
an dieser schrecklichen Krankheit, die seinen Körper von innen zerfraß. Seitdem
verkroch er sich doch hier in seinen eigenen vier Wänden, arbeitete nicht mehr
und wollte niemanden sehen. Wie konnte Rod jetzt so jung und gesund neben ihm
sitzen. Wieso hatte er plötzlich das Gefühl, die Zeit sei um 22 Jahre zurück
gedreht worden? Er musste träumen, anders konnte er es sich nicht erklären.
„Du... du bist tot“, sagte
Dave, seine Stimme kaum mehr als ein Wispern.
„Ich weiß“, erwiderte Rod.
„Und du weißt es auch. Also akzeptiere es endlich.“
Dave richtete sich auf.
„Was... ich verstehe nicht.“
Rod hob eine Flasche vom
Boden auf und hielt sie hoch, so dass er sehen konnte, ob noch etwas in ihr
war. Sie war leer. „Ich bin tot“, sagte er. „Aber du lebst.“ Er schüttelte die
Flasche. „Noch. Doch wenn du so weiter machst...“ Er ließ den Satz unvollendet.
Dave verstand auch so. „Es
ist so sinnlos ohne dich“, sagte er. „Alles ist bedeutungslos. Ich will nicht
allein sein. Ich will nicht ohne dich...“
„Quatsch“, unterbrach ihn
Rod. Er stellte die Flasche wieder auf den Boden. „Dein Leben hatte einen Sinn,
bevor wir uns trafen und es wird auch in Zukunft einen Sinn haben. Ohne mich.
Und du bist nicht allein. Was ist mit deinem Vater? Madge? Deinen anderen
Freunden? Sie alle machen sich große Sorgen um dich, weißt du das nicht?“
Dave schüttelte heftig den
Kopf, was er sofort bereute, denn die Kopfschmerzen, die mit Rods Auftauchen
wie durch ein Wunder verschwunden waren, waren urplötzlich wieder da. „Ohne
dich...“, begann er.
„Und ich mir auch“,
unterbrach Rod ihn. Er ergriff Dave an den Schultern und schüttelte ihn leicht.
„Hör mir zu, Dave. Ich wollte auch nicht gehen. Wer will das schon? Aber das
Schicksal, der da oben.“ Er deutete zur Zimmerdecke. „Oder was oder wer auch
immer, hat nun einmal anders entschieden. Das müssen wir akzeptieren, ob wir
wollen oder nicht. Wir hatten 22 schöne Jahre miteinander, das ist mehr als
viele andere Menschen haben. Das weißt du genauso gut wie ich. Wir sollten
dafür dankbar sein.“
Dave war überrascht über die
Festigkeit und Entschlossenheit in Rods Stimme. Das war so gar nicht seine Art.
Als sie sich kennen lernten, war er ihm sehr weibisch erschienen. Das hatte
sich im Laufe der Jahre, in denen Rod sich vom kleinen Verkäufer zum angesehen
Besitzer eines eigenen Innenausstattergeschäftes mauserte, zwar abgeschliffen,
aber so energisch wie jetzt hatte er ihn selten erlebt. Dave wollte erneut den
Kopf schütteln, ihm widersprechen, doch irgendwie brachte er die Bewegung nicht
zustande.
„Hör mir zu, David
Brandstetter“, fuhr Rod fort. „Ich liebe dich und werde dich immer lieben. Und
wenn du mich auch liebst, dann möchte ich, dass du tust, was ich dir jetzt
sage. Geh hinaus und lebe dein Leben. Mach deinen Beruf, in dem du so verdammt
gut bist. Helfe anderen Menschen. Und verliebe dich neu. Ich bin sicher, du
wirst wieder jemanden finden, dem du dein großes Herz schenken kannst.“
Wieder wollte Dave den Kopf
schütteln, heftig protestieren, doch erneut war er wie festgefroren.
Rod sprach weiter. „Ich bin
tot, doch du lebst. Ich werde nicht zulassen, dass du für den Rest deines
Lebens vor Kummer dahin vegetierst. Verstanden?“
Rod ließ Daves Schultern los
und stand auf. „Wir werden uns wiedersehen. In 30 oder 40 Jahren. Und dann will
ich von dir hören, dass du ein glückliches und erfülltes Leben hattest.“
Er beugte sich herab und
küsste Dave. „Lebewohl, Dave. Werde glücklich! Lebe!“
„Rod!“ Dave streckte die
Hände nach dem anderen Mann aus, wollte ihn zu sich ziehen, in seine Arme, wollte
mehr als diesen einen Kuss. Doch er griff ins Leere. Rod schien plötzlich
meilenweit entfernt zu sein. „Rod!“, rief er verzweifelt. „Geh nicht!“
„Lebe, Dave, lebe! Mir
zuliebe.“
///
„Rod!“ Dave fuhr aus dem
Schlaf hoch, blinzelte, blickte sich um. Sein Schlafzimmer sah aus wie immer.
Tapeten und Bilder an den Wänden, die Vorhänge vor den Fenstern offen – er
hatte vergessen sie gestern Abend zu zuziehen. Doch sie waren unzweifelhaft da.
„Rod!“, rief er noch einmal,
in der unlogischen Hoffnung, die Tür möge sich öffnen und sein Partner herein
kommen. Er schüttelte den Kopf, was dieser mit heftigen Schmerzen quittierte.
Ein Traum, es war alles nur
ein Traum gewesen. Natürlich, wie könnte es anders sein. Rod war tot. Seit
Monaten. Und doch glaubte er fast, noch den Kuss des anderen Mannes auf seinen
Lippen spüren zu können und die Berührung der Hände an seinen Schultern. Und
roch er nicht tatsächlich noch einen Hauch von Rods Aftershave? Er musste
halluzinieren.
Vorsichtig setzte Dave die
Beine auf den Fußboden. Sie stießen gegen etwas. Glas klirrte, als die Flasche
umfiel. Dave beugte sich herab und hob sie auf, hielt sie gegen das Licht, so
wie Rod es in seinem Traum getan hatte. Leer. Hatte er tatsächlich gestern
Abend eine ganze Flasche Whisky geleert? Die wievielte in den letzten sechs
Wochen war es gewesen? Rod hatte Recht, er trank sich noch zu Tode. Und es
machte ihm nicht das Geringste aus. Es war ihm egal, wie alles andere in seinem
sinnlos gewordenen Leben. Oder doch nicht?
Müde und resigniert fuhr er
sich übers Gesicht. Er fühlte die Stoppeln eines Drei-Tage-Bartes. Oder waren
es vier Tage? Fünf? Er wusste es nicht. Als er vorsichtig aufstand, blickte er
an sich hinab. Seine Hose war zerknittert, sein Hemd ebenso. Schweißflecken
zeigten sich auf ihm. Wann hatte er zum letzten Mal geduscht, frische Kleidung
angezogen? Sein knurrender Magen brachte die nächste Frage. Wann hatte er das
letzte Mal etwas gegessen?
Er vegetierte wirklich nur
noch vor sich hin, allein mit seinem Schmerz, der nie nachzulassen schien.
Allein mit seiner Trauer um Rod.
Doch so konnte er nicht
weiterleben. Tief in seinem Inneren wusste er, Rod hätte nicht gewollt, dass er
sich so zu Grunde richtete. Das wollte ihm der Traum sagen. Wenn es ihm nur
nicht so verdammt schwer fallen würde, sich aufzuraffen und an die Arbeit, in
sein alles Leben zurück zu kehren. Er fürchtete die Fragen, die mitleidigen
Blicke derer, die gewusst hatten, was Rod ihm bedeutete. Das würde das
Schlimmste sein, viel schlimmer als jene Blicke, die ihm sagten, dass ihre
Absender ihn für einen Perversen hielten, ihn für das verdammten, was er nun
einmal war. Mit Vorurteilen und Verachtung konnte er leben, das hatte er sein
ganzes Leben lang getan, seit er als Highschool-Junge merkte, dass ihn nur Männer
interessierten. Aber das Mitleid konnte er nicht ertragen. Es brachte nur all
den Schmerz und die Erinnerung immer wieder von neuem mit sich.
Und doch musste er endlich
lernen, damit umzugehen, wollte er je den Weg in sein altes Leben oder besser
das, was davon noch übrig war ohne Rod, zurückfinden. Aber wollte er das
überhaupt?
Sein Telefon klingelte,
unterbrach seine Gedanken. Das Geräusch drang schmerzhaft laut an seine Ohren
und ließ ihn zusammenzucken. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das Telefon
wieder eingesteckt hatte, wusste nur, dass er irgendwann den Stecker zog, als
er sie nicht mehr ertragen konnte, die Anrufe von Madge, die ihn überreden
wollte mir ihr Essen zu gehen, und die seines Vaters, der ihn aufforderte
zurück zur Arbeit zu kommen, und die anderer Freunde, die sich nach seinem
Befinden erkundigten oder ihr Beileid aussprachen. Er hatte nur allein sein
wollen, niemanden sehen, niemanden hören.
Er tappte ins Wohnzimmer und
hob den Hörer ab. „Brandstetter“, sagte er hinein, wollte es sagen. Seine
Stimme klang rau und kratzend, verweigerte ihm den Dienst. Wann hatte er sie
zum letzten Mal benutzt? Auf Rods Beerdigung als er Worte des Dankes zu all
denen murmelte, die gekommen waren, ihm zu kondolieren? Auch damals hatte sie
ihm den Dienst versagt. Er räusperte sich, bevor er es erneut versuchte.
„Brandstetter.“ Es klang nicht viel besser.
Sein Vater war am anderen Ende der Leitung. „Dave“, sagte er. „Verzeih, dass
ich dich störe. Aber wir haben hier einen Fall, sehr verzwickt, der braucht
dein Fachwissen.“
Er wollte ablehnen, seinen
Vater darauf hinweisen, dass Medallion genug fähige Ermittler hatte, die auch
mit den kompliziertesten Fällen fertig werden konnten. Er wusste es, hatte
schließlich viele von ihnen im Laufe der Jahre ausgebildet. Er wollte sagen,
dass sein Vater ihn in Ruhe lassen sollte, dass er niemanden sehen und sprechen
wollte. Nie wieder für den – hoffentlich kurzen – Rest seines Lebens.
„Lebe, Dave, lebe! Mir
zuliebe“, hörte er Rods Stimme in seinem Kopf.
Er schloss die Augen, sah Rod vor sich. Lächelnd, gesund, jung, ihm mit der
Hand eine Kussmund zu werfend. „Lebe Dave!“
Dave holte tief Luft,
öffnete die Augen wieder. Er räusperte sich erneut. „Ich komme.“
Ende