2007
Fandom: Inspektor Jury
Charaktere: Richard Jury/Melrose Plant
Kategorie: NC-17, ft, Humor, m/m-slash
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Summe: Melrose flüchtet
sich zu Richard, mit ungeahnten Folgen.
Disclaimer: Die Rechte der
in dieser Fan-Story verwendeten geschützten Namen und Figuren liegen bei den
jeweiligen Inhabern. Eine Kennzeichnung unterbleibt nicht in der Absicht, damit
Geld zu verdienen oder diese Inhaberrechte zu verletzen. Vielen Dank an Lady
Charena fürs Beta.
Richard Jury schreckte hoch, als es
kurz nach Mitternacht an seiner Tür läutete. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Um diese späte Stunde kamen keine erfreulichen Nachrichten. Entweder handelte
es sich um ein Problem auf Arbeit oder bei seinen Nachbarn. Er entschied sich
nach kurzem Überlegen für letztere Möglichkeit. Hätte der Yard ihn gebraucht,
hätte man ihn telefonisch verständigt. Obwohl bei Racer wusste man ja nie...
Aber wahrscheinlicher war wohl, dass
Mrs. Wassermann wieder glaubte, ihren dunkeln - eingebildeten - Verfolger
gesehen zu haben und nun kam, ihn zu bitten, ihre Schlösser und Riegel zu
kontrollieren. Bestimmt würde er ihr morgen - heute, korrigierte er seine
Gedanken nach einem Blick auf die Uhr - eine weitere Kette besorgen müssen.
Jury, der sich gerade hatte zu Bett
begeben wollen, warf sich seinen Morgenmantel über und ging zur Tür. Einen
kurzen Moment zögerte er noch, ob er seine Dienstwaffe holen sollte, die gut
verschlossen in seinem Schreibtisch lag, da er sie ungern bei sich führte und
noch ungerner benutzte, doch dann entschied er, dass Mörder nicht an der Tür
klingelten, auch nicht um Mitternacht.
Richard öffnete die Tür und sah sich
Melrose Plant gegenüber, so ziemlich der letzte Mensch, den er um diese Zeit
und vor seiner Tür erwartet hätte. Melrose trug einen kleinen Koffer bei sich.
Irgendwie wirkte er im Vergleich zu seiner sonst stets tadellosen Erscheinung
zerzaust.
„Mein Gott, ist etwas passiert?“,
fragte Richard besorgt.
„Agatha“, brachte Melrose knapp hervor.
Er stellte seinen Koffer im Flur ab, lehnte seinen Spazierstock mit dem
silbernen Knauf, in dem sich, wie Jury wusste, ein Stockdegen befand, daneben
und trat unaufgefordert ins Wohnzimmer.
„Ich brauche erst mal einen Drink.“ Mit
diesen Worten ließ Melrose sich in den einzigen Sessel fallen.
„Ich fürchte, ich habe weder Old
Peculier noch Port da“, erwiderte Jury.
„Egal“, sagte Melrose. „Irgendwas.
Hauptsache stark.“
Jury schenkte ihm einen Whiskey ein.
Melrose kippte das Glas in einem Zug, hielt es Richard dann erneut hin. Der
füllte nach und goss sich auch einen ein.
„Sie ist doch nicht etwa tot?“, fragte
er, als er sich auf sein Sofa fallen ließ.
„Wer?“, fragte Melrose verwundert
zurück.
„Agatha.“
„Noch nicht“, kam die zynische Antwort.
„Aber bald, wenn ich noch eine Sekunde länger mit ihr unter einem Dach bleiben
muss.“
Plant nahm noch einen großen Schluck, dann
begann er zu erzählen. „Ihr Cottage wird renoviert. Seit drei Wochen! Richard,
ich bitte dich, du kennst es. Zwei Zimmer, Küche, Bad, mehr ist da nicht. Was
braucht es da drei Wochen? Wahrscheinlich bezahlt sie die Handwerker dafür,
dass sie extra langsam arbeiten. Wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen
hätte, würde ich meinen, es gibt gar keine. Jedenfalls hat sie sich wie
selbstverständlich auf Ardry End einquartiert. Ich habe ihr vorgeschlagen, eine
Reise zu machen und zum Beispiel ihre Verwandten in den USA zu besuchen oder an
die See zu fahren. Aber davon wollte sie natürlich nichts hören. Sagt, sie
müsse die Arbeiter beaufsichtigen. Als wenn sie sich je darum kümmern würde,
was die tun. Sie schickt Ruthven jeden Tag mindestens fünfmal mit Anweisungen
für sie hin. Und Martha sollte die Handwerker am liebsten noch bekochen. Sie
verbarrikadiert sich nur noch in der Küche, weil Agatha ihr ständig reinredet.
Ruthven hat schon dreimal mit Kündigung gedroht und du weißt, ihn bringt so
schnell nichts aus der Fassung. Und mich treibt sie einfach in den Wahnsinn.“ Nach
diesem langen Monolog brauchte Melrose erst mal einen weiteren großen Schluck.
„Warum hast du dann nicht in der Zeit
deinerseits eine Reise gemacht?“, fragte Richard.
Melrose warf ihm einen Blick zu, der zu
besagen schien „Bist du noch ganz dicht?“
Richard wusste, der Ex-Lord hatte zwar
seine Titel abgelegt aber nicht seine Bequemlichkeit. Nichts schätzte Melrose
mehr als sein gemütliches, geregeltes Leben auf Ardry End, inklusive kompletten
Hausservice durch Martha und Ruthven. Das Letzte, was er wollte, war die Zeit
in fremden Betten und unter fremden Leuten zu verbringen - es sei denn, es gäbe
einen Mord aufzuklären. Dann war er nur allzu bereitwillig zur Stelle, um
Richard mit Rat und Tat beizustehen. Schon mehrmals hatte er so wesentlich zur
Aufklärung eines Falls beigetragen. Sehr zum Missfallen von Richards Chef.
Der Tatsache, dass Melrose nun um Mitternacht
vor Jurys Tür gestanden hatte, mussten wahrlich außergewöhnliche Ursachen zu
Grunde liegen.
„Ich hab's einfach nicht mehr
ausgehalten“, antwortete Melrose auf die unausgesprochene Frage.
Plant trank sein Glas aus und schenkte
sich noch mal ein. Richard schüttelte den Kopf, als Melrose ihm die Flasche
hinhielt. Er war müde und wollte eigentlich nur noch ins Bett. Er wusste, schon
den Schlafmangel würde er am Morgen bereuen müssen, da brauchte er nicht noch
einen Kater. Auch wenn er gerade an keinem Fall arbeitete, auf seinem
Schreibtisch lagen Berge an zu erledigenden Berichten, die Racer am liebsten
bis Vorgestern haben wollte. Und Wiggins, der ihm diese Arbeit sonst meist
abnahm, hatte sich krank gemeldet.
„Jedenfalls bin ich bei Nacht und Nebel
getürmt, sozusagen“, fuhr Melrose fort. „Habe mich nach dem Dinner aus dem Haus
geschlichen und bin bis ins Dorf geradelt. Ich dachte, wenn ich den Wagen nehme
oder ein Taxi nach Ardry End rufe, wird sie es merken und mitkommen wollen. Ich
habe mir dann von der Telefonzelle aus ein Taxi gerufen und bin zum Bahnhof und
zum nächsten Zug nach London.“
Er schauderte innerlich bei dem
Gedanken an die nächtliche Fahrt im kalten, unbequemen Zug und nahm erst mal
einen weiteren großen Schluck. „Kann ich ein paar Tage bei dir bleiben?“
„Hier?“ Richard wusste, dass seine
Reaktion nicht gerade höflich und gastfreundlich geklungen hatte. Er hatte
bestimmt nichts gegen Plants Gesellschaft. Im Gegenteil. Aber er wusste auch,
dass seine bescheidene Wohnung im zweiten Stock eines alten Reihenhauses in
Islington nun nicht gerade dem entsprach, was Melrose gewöhnt war.
„Ich meine, du bist mir natürlich
herzlich willkommen“, fügte er hastig hinzu, bevor Melrose ihn missverstehen
konnte. „Aber wäre ein Hotel nicht bequemer? Was ist mit dem Browns, ich dachte
dort gefällt es dir? Oder dein Club?“
„Damit Agatha mich findet“, wehrte
Melrose heftig ab. „Dort sucht sie doch garantiert zuerst.“
„Wenn sie dich überhaupt sucht“,
erwiderte Richard.
Plant grinste. „Vielleicht hofft sie, mich
habe ein Geist für immer verschleppt und zählt schon mal das Tafelsilber.“
Langsam fühlte er sich wieder wärmer, der Whiskey tat eindeutig seine Wirkung.
Jury erhob sich. „Ich beziehe dir das
Bett und kucke, dass ich eine Decke für mich finde, damit ich auf der Couch
schlafen kann“
„Ich will dir keine Umstände machen.
Ich kann doch auf der Couch schlafen“, wehrte Melrose ab.
Jury blickte von seinem Freund auf das
verschlissene, alte Ledersofa und zurück zu Melrose. Es würde für keinen von
ihnen eine angenehme Nacht bedeuten, müsste man auf dem alten Teil schlafen,
aber dass Plant sich darauf niederließ schien einfach unvorstellbar. Anderseits
hatte er eigentlich auch keine Lust, sich den Rücken deshalb zu ruinieren. Und
er war mittlerweile verdammt müde.
„Was hältst du davon, wenn wir beide
das Bett nehmen? Es ist groß genug“, schlug er vor. „Zumindest für heute Nacht.
Morgen lass ich mir was anderes einfallen.“
„Gern“, erwiderte Melrose. „Und ich
verspreche auch, meine Hände brav bei mir zu behalten, wenn du es auch tust.“
Er grinste.
///
Richard war schon halb eingeschlafen,
als sich das Bett unter einem zweiten Gewicht senkte und Melrose - frisch
geduscht - unter die Decke schlüpfte.
„Ist wirklich nett von dir, dass du mir
Asyl gewährst“, sagte er.
„Gern geschehen“, murmelte Richard.
„Gute Nacht.“
„Gute Nacht.“
Jury stellte fest, dass er es irgendwie
ganz nett fand, wieder einmal den Atem und die Wärme eines anderen Körpers im
Bett neben sich zu hören und zu spüren. Es fühlte sich angenehm und geborgen
an. Und es war definitiv zu lange her, dass er das erlebt hatte.
///
Als er das nächste Mal etwas spürte,
war es Melrose' Körper, der sich an den seinen geschmiegt hatte. Jury lächelte.
Wer hätte das gedacht, Mr. Plant ein Kuschelbär. Doch es war angenehm, mal
wieder einen anderen Körper so warm und weich an seinem gedrückt zu spüren.
Da wurde ihm bewusst, dass nicht alles
an Melrose weich war und dass es sein Name war, den er gerade zärtlich im Schlaf
murmelte. Richards Lächeln vertiefte sich, bevor er wieder einschlief.
///
„Musst du so einem Lärm machen. Mitten
in der Nacht“, schlaftrunken erklang Melrose' Stimme unter der Decke, die er
sich bis fast über den Kopf gezogen hatte, hervor.
„Entschuldigung, Mylord, aber manche
von uns müssen tatsächlich arbeiten“, erwiderte Richard mit einem Hauch
Sarkasmus in der Stimme.
Plant brummelte etwas Unverständliches
und zog die Decke noch ein Stück höher, nur um kurz darauf ruckartig
hochzufahren, als etwas Schweres haarscharf neben seinem Kopf landete.
„Hey!“, protestierte er.
„Die Schlüssel für Wohnung und
Hauseingang“, erklärte Richard, band seine Krawatte fest und warf dann das
Jackett über. „Wenn du Frühstück willst, in der Küche ist noch etwas Toast und
Speck. Tut mir leid, mehr habe ich nicht da. Ich war auf Besuch nicht
eingerichtet. Ich werde heute Abend Carole-anne bitten, dass sie dir morgen
frische Brötchen mitbringt, wenn sie mit dem Hund spazieren geht. Wenn
irgendwas ist, du weißt ja, wo du mich findest.“
Jury zog die Schlafzimmertür ins
Schloss und Melrose die Decke wieder über sich.
///
Zwei Stunden später hatte er sich in
Richards Morgenmantel gewickelt - sein eigener war nicht unter den wenigen
Sachen gewesen, die er bei seiner Nacht-und-Nebel-Aktion mitgenommen hatte -
und in die Küche gequält.
Dort sah Melrose eher skeptisch auf
Toaster, Kaffeemaschine und Herd. Er hielt sich durchaus nicht für einen
weltfremden Menschen, doch er musste zugeben, dass er nur wenige Stunden seines
bisherigen Lebens in einer Küche verbracht hatte und schon gar nicht selber
kochend. Für einen Augenblick sehnte er sich nach Marthas reichhaltig gedecktem
Frühstückstisch und nach ihren selbstgemachten Rosinenbrötchen. Doch dann fiel
ihm ein, dass er besagten Tisch mit Agatha und ihren Sahnetörtchen würde teilen
müssen und verzichtete selbst in Gedanken dankend.
So schwer konnte es schließlich nicht
sein, sich selbst zu versorgen. Millionen Menschen taten das jeden Tag und
überlebten. Frohgemut machte er sich also ans Werk und öffnete den Kühlschrank.
Eine Viertelstunde später war er
überhaupt nicht mehr frohgemut. Da er den Toaster zu stark eingestellt hatte,
ähnelten die letzten zwei Scheiben Toast, die er in Jurys Küchenschrank
gefunden hatte, jetzt zwei Scheiben Kohle. Der Speck war ihm verbrannt, als er
sich auf die - vergebliche - Suche nach Jurys Morgenzeitung machte. Und als er
das Fenster aufriss, um den Qualm aus der Küche zu vertreiben, hatte er die
Kaffeekanne, die er dort abgestellt hatte, um die Tischdecke zwecks Befreiung
von den Toastkrümeln über den Abfalleimer ausschütten zu können, vom
Fensterbrett gestoßen.
Melrose beschloss, dass er nicht zum
Hausmann geboren war, zog sich an und wollte gerade das Haus auf der Suche nach
einem ordentlichen Frühstück verlassen, als ihm an der Haustür ein Wirbelwind
fast von den Füßen wehte.
Der Sturm entpuppte sich als
Carole-anne Palutski, Jurys junge Nachbarin, die zwei Etagen über ihm wohnte.
In der einen Hand hielt sie ein Netz mit frischen Brötchen, die verführerisch
dufteten, in der anderen die Leine eines großen Hundes. Der schwarze Labrador
sprang sofort begeistert an Melrose hoch und dieser wich einen Schritt zurück,
dankbar dafür, dass seiner Hündin Mindy solche Begrüßungsrituale vollkommen
fremd waren.
Carole-anne musterte den attraktiven
Fremden neugierig. „Oh hallo“, sagte sie schließlich. „Sind Sie ein Freund von
Stan?“
Melrose, der annahm, damit sei der
Hund, der mittlerweile glücklicherweise von ihm abgelassen hatte und sich auf der
Stufe zusammen rollte, gemeint, schüttelte abwehrend den Kopf.
„Bestimmt nicht“, antwortete er mit
Betonung. „Ich bin bei Richard Jury zu Gast.“
Carole-annes Augen wurden noch größer,
was Melrose fast unmöglich schien, so groß wie sie vorher bereits gewesen
waren. „Oh“, machte sie erneut. „Sie müssen der Duke sein, von dem er immer
erzählt.“
„Nur Earl“, korrigierte er. „Und das
Ex.“
Sie tat seinen Einwand mit einer
Handbewegung ab. „Richard hat mir gar nicht gesagt, dass Sie kommen“, sagte sie
und ihre Stimme klang so, als könnte der Raub der Kronjuwelen kein größeres
Verbrechen sein, als sie nicht über alles und jeden zu informieren, das in
ihren Haus vor bzw. ein- und ausging.
„Es ist ein Überraschungsbesuch“,
fühlte sich Melrose bemüßigt, Jury zu verteidigen. Er verbeugte sich leicht.
„Es hat mich gefreut, aber wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich war
gerade auf dem Weg zum Frühstück.“
Sie schwenkte ihr Netz mit den
verführerisch duftenden Brötchen. „Sie gehen in die falsche Richtung, Süßer.
Nirgendwo in Islington bekommen Sie ein so gutes Frühstück wie bei Carole-anne
Palutski.“
„Das bin ich“, fügte sie hinzu, als ihr
einfiel, dass sie sich noch gar nicht vorgestellt hatte.
„Das dachte ich mir“,
erwiderte Melrose. Jury hatte schließlich nicht nur in Islington sondern auch
in Long Piddleton über den jeweils anderen Teil seines Bekanntenkreises
gesprochen.
Carole-anne strahlte noch mehr, was
Melrose fast wie ein Ding der Unmöglichkeit erschien, bedachte man ihre eh
bereits rundum strahlende Erscheinung. Der Umstand, dass Jury sie der Erwähnung
für Wert befunden hatte, verwandelte sie geradezu in eine Supernova.
„Kommen Sie“, sagte sie und begann die
Treppe nach oben zu steigen, den Hund, den während ihres Gesprächs
eingeschlafen zu sein schien, unsanft mit sich ziehend.
Ob Melrose wollte oder nicht, er folgte
ihr wie der Hund automatisch die Treppe nach oben.
Eine Etage über Jury öffnete
Carole-anne die Wohnungstür, nahm dem Hund die Leine ab und schob ihn zur Tür
hinein. „Bis später, Süßer, ich hol dich um vier wieder ab“, sagte sie und
Melrose fragte sich, ob in London jetzt schon die Hunde eigene Wohnungen
hatten. Zumindest hatten sie wohl im Gegensatz zu ihm eine eigene Zeitung, wie
er mit bedauerndem Blick auf die vor der Tür liegende „Times“ feststellte.
Eine Stunde später hatte er in der Tat
ein exzellentes Frühstück mit frischen Brötchen, knusprigem Speck, gutem Kaffee
und allem, was sonst noch dazu gehörte, genossen. Und gratis dazu gab es reichlichst
Blicke auf Carole-anne in allen nur erdenklichen Posen und Lebenslagen.
Als er sie im Treppenhaus traf, war sie
mit knappen Shorts und einem silbrig glitzernden Top, dass nur dünne Träger an
seinem Platz hielten, bekleidet gewesen. Bevor sie sich an die Zubereitung des
Frühstücks machte, hatte sie sich umgezogen. Eine noch kürzere Hose, was schon
kaum möglich schien, und ein bauchfreies, goldenes Top. Melrose bezweifelte
irgendwie, dass dies die Standardkleidung für Essenszubereitung war. Aber bei
Carole-anne Palutski wusste man das wahrscheinlich nie so genau.
Melrose hatte auch nicht gewusst -
geschweige denn für möglich gehalten - mit wie vielen Verrenkungen man ein
Brötchen schmieren oder Kaffee trinken konnte. Während Carole-anne sich ihm so
von ihrer schönsten Seite, als die sie wohl jede nur erdenkliche Seite ihres, zugegebenermaßen
äußerst attraktiven, Körpers ansah, präsentierte, bekam Melrose neben einem
warmen Frühstück auch noch brühwarm alle Details aus Jurys Leben aufgetischt.
Während Carole-anne die vielen Heldentaten des Supers, wie sie ihn nannte,
nicht genug in den höchsten Tönen loben konnte, ließ sie an den ebenso vielen
Frauen in seinem Leben kein gutes Haar. Melrose argwöhnte, dass das eine so
übertrieben war wie das andere. Hoffte er zumindest, was das letztere Gebiet
anbetraf.
Als Melrose krampfhaft zu überlegen
begann, wie er ihr mit halbwegs heiler Haut entkommen konnte - er ertappte sich
sogar bei dem Gedanken, dass Agatha eine erträglichere Frühstückspartnerin war
und schob ihn natürlich sofort wieder von sich - erhob sich Carole-anne
plötzlich und verkündete, sie müsse zur Arbeit. Er werde sich wohl den Rest des
Tages allein unterhalten können, alt genug sei er ja.
So wurde Melrose entlassen, nicht ohne
ihm vorher noch rasch das Versprechen abzunehmen, sie bei ihrer Arbeit im
„Starrdust“ auch ja zu besuchen und sich von Madame Zostra, das sei nämlich
sie, die Zukunft voraussagen zu lassen. Ein Versprechen, dass zu brechen er
fest entschlossen war.
Derlei von Carole-anne erschöpft,
schenkte sich Melrose, zurück in Jurys Wohnung, erst einmal einen doppelten
Whiskey ein und ließ sich damit aufs Sofa fallen. Das Chaos in der Küche fiel
ihm wieder ein und er beschloss, dass er später aufräumen würde, der Tag war
schließlich noch jung.
///
Lautes Scheppern aus der Küche weckte
ihn. Richard war mit Einkäufen nach Hause gekommen und hatte sie, als er das
Durcheinander sah, eher unsanft abgestellt.
Melrose, der in die Küche gekommen war,
sah schuldbewusst drein. „Tut mir leid, ich wollte aufräumen. Ehrlich. Hab's
aber irgendwie verschlafen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich tauge wohl nicht
zum Hausmann.“
„Schon gut“, winkte Jury ab. „Ich räume
das schnell auf und dann bitte ich Mrs. Wassermann, dass sie dich immer zum
Frühstück einlädt.“ Er warf Plant einen prüfenden Blick zu. „Oder ist dir
Carole-anne lieber?“
„Bloß nicht“, wehrte Melrose hastig ab.
„Sie macht zwar ein phantastisches Frühstück, aber...“
„Oh, du hast sie schon kennen
gelernt?“, unterbrach ihn Richard, der mittlerweile begonnen hatte, seine Küche
aufzuräumen.
„In allen Lebenslagen, gewissermaßen“,
antwortete Melrose.
Richard lächelte. „Das kann ich mir
vorstellen.“
„Was ist das eigentlich für eine
Beziehung zwischen euch?“, wollte Melrose wissen und hoffte damit nicht
ungebührlich in die Privatsphäre seines Freundes einzudringen.
„Ich passe ein bisschen auf sie auf,
sie passt ein bisschen auf mich auf“, antwortete Richard und stellte das
dreckige Geschirr in den Ausguss.
„Sie klang so, als hätte sie nichts
dagegen, wenn du ein bisschen mehr auf sie aufpassen würdest“, erwiderte Plant.
„Ich bitte dich, ich könnte ihr Vater
sein“, antwortete Jury.
„Gut“, sagte Melrose und biss sich
hastig auf die Zunge. Wie hatten ihm seine Gedanken bloß laut heraus rutschen
können? Es war schlimm genug, dass er heftigste Eifersucht auf all die
angeblichen oder tatsächlichen Verehrerinnen, die Carole-anne vor ihm
ausbreitete, empfand, er sollte das wahrlich nicht noch laut aussprechen. Jury
dachte womöglich noch, er gönne ihm sein Glück nicht. Er spürte Richards
prüfenden Blick auf sich und ergänzte hastig: „Wer sieht seinen besten Freund
schon gern unterm Ehejoch.“
Richard lachte. „Es gibt garantiert
eine ganze Reihe von Männern, die sich liebend gern unter Carole-annes Joch
begeben würden. Aber du kannst beruhigt sein, ich gehöre nicht dazu.“
Ob Melrose wollte oder nicht, er war
tatsächlich beruhigt.
///
„Ich wusste gar nicht, dass du so gut
kochen kannst“, sagte Melrose als sie nach einem einfachen aber leckeren
Abendessen gemütlich beisammen saßen. Jury hatte ihm sogar Old Peculier und
Portwein mitgebracht.
Richard lächelte und nahm einen Schluck
seines Whiskeys. „Tja, in mir schlummern noch viele ungeahnte Talente.“
Melrose wusste nicht warum, aber
irgendwie überkam ihn bei dieser Ankündigung urplötzlich ein seltsames Gefühl.
Oder lag es an Jury Lächeln, das Eisberge zum sofortigen Schmelzen gebracht
hätte?
Er schob den Gedanken von sich und
sagte stattdessen: „Könnte zu diesen Talenten eventuell auch gehören, die
Morgenzeitung zu Hause zu lesen?“
Richard blickte ihn überrascht an. „Ich
habe gar keine Zeitung.“
„Muss man bei Scotland Yard denn nicht
auf dem Laufenden über die Geschehnisse in aller Welt sein?“, wunderte sich
Melrose. Er war einfach nur ein halber Mensch ohne seine „Times“ und vor allem
ohne sein Kreuzworträtsel zum Frühstück.
„Doch“, erwiderte Jury. „Deshalb
bekomme ich alle wichtigen Zeitungen im Büro. Aber wenn du eine willst, dann
nimm einfach Stans.“
„Der Hund?“, Melrose runzelte die
Stirn.
„Was?“, wunderte sich Richard, der für
den Augenblick nicht wusste, worauf Melrose hinaus wollte. „Ach so“, sagte er
dann. „Das ist Stone. Stan Keeler ist Musiker, ein verdammt guter Gitarrist. Du
hast ihn doch während des Healey-Falls mal im „Nine-One-Nine“ gesehen.
Erinnerst du dich? Er tourt gerade wieder durch irgendwelche Clubs. Carole-anne
kümmert sich derweil um den Hund und die Wohnung. Du kannst die Zeitung ruhig
nehmen. Er braucht sie ja eh nicht.“
„Und wenn er plötzlich wiederkommt und
seine Zeitung sucht?“ Melrose blieb skeptisch. Er vergriff sich nur ungern an
fremden Eigentum, auch wenn er sich jetzt an den jungen Musiker und dessen
talentierten Hund erinnerte. Er ihm also nicht ganz fremd war.
Jury zuckte mit den Schultern. „Dann
kauf ich ihm eine neue, kein Problem. Ich nehme sie mir auch, wenn ich zu Hause
bin.“
Wenn selbst ein Superintendent von
Scotland Yard keine Probleme damit hat, seinem Nachbarn die Zeitung zu klauen,
dachte Melrose, dann kann ich das wohl auch.
„Meinst du nicht, du solltest jemanden
sagen, wo du steckst?“, wechselte Richard das Thema. „Bevor man sich Sorgen um
dich macht. Zumindest Ruthven vielleicht.“
„Oh der weiß natürlich, wo ich bin und
wird garantiert nichts verraten. Und sonst.“ Er lächelte. „Das wird doch gerade
der Spaß dabei, zu sehen, wer mich wann vermisst und sich wie sehr sorgt. Ich
fühl mich fast wie jemand, der seine eigene Beerdigung vortäuscht, um zu sehen,
wie die lieben Erbschleicher sich gegenseitig an die Gurgel gehen.“
///
Es dauerte genau drei Tage, bis Vivian
Rivington anrief. Melrose sei verschwunden, klagte sie aus dem Hörer, den Jury
so hielt, dass Plant mithören konnte. Schon drei Tage sei er nicht im „Jack and
Hammer“ erschienen. Agatha habe berichtet, sie hätte ihn in dieser Zeit auch
nicht auf Ardry End gesehen und sie wohne doch jetzt dort. Da Vivian ihrem
Urteil nicht traute, habe sie aber selber nachgesehen, ob er vielleicht krank
danieder liege, doch von Melrose keine Spur gefunden. Und Ruthven wisse
angeblich von nichts, weigere sich aber, die Polizei zu holen und eine
Vermisstenanzeige aufzugeben. Ob er, Jury, nicht vielleicht von ihm gehört habe
und wisse, wo er stecke.
Richard warf Melrose einen fragenden
Blick zu, doch der schüttelte stumm den Kopf.
„Vielleicht musste er kurzfristig
irgendwo einen Vortrag halten“, schlug Jury vor, wohl wissend, dass diese
Erklärung nicht gerade glaubwürdig klang. Zwar war Plant durchaus ein Experte
auf dem Gebiet der französischen Romantiker und kein schlechter, soweit Richard
das beurteilen konnte, aber aufgrund seiner übergroßen Bequemlichkeit und da er
es nicht nötig hatte zu arbeiten, ließ er sich nur selten dazu überreden, an
einer der Universitäten des Landes einen Vortrag zu halten.
„Oder er ist spontan verreist“,
ergänzte Richard. Nein, auch das klang nicht wirklich nach Melrose Plant.
Vivian sah das genauso. Vielleicht sei
der arme Melrose ja entführt wurden, um Lösegeld zu erpressen, oder ihm sei
sonst etwas schreckliches passiert, vielleicht ein Unfall und nun liege er halb
erfroren und schwer verletzt in einen gottverlassenen Straßengraben, malte sie
ein Horrorszenario nach dem anderen durchs Telefon.
Richard, der wusste, wie schwer es
Vivian gefallen sein musste, ausgerechnet ihn um Hilfe zu bitten, wo doch all
die jahrelang nicht ausgesprochenen Gefühle zwischen ihnen standen, versprach,
er werde sich erkundigen, ob irgendwo ein unbekannter Verletzter eingeliefert
wurde oder - Gott bewahre - eine unbekannte Leiche. Er werde sich wieder bei
ihr melden.
„Danke“, sagte Melrose, der wusste, wie
schwer es Richard gefallen war, Vivian zu belügen, als Jury aufgelegt hatte.
„Warum willst du nicht, dass sie es
erfährt? Sie klang ehrlich besorgt“, wollte Richard wissen.
„Weil sie es nicht für sich behalten
kann“, erwiderte Melrose. „Sie wird es irgendwann Marshall erzählen und der
spätestens beim nächsten Streit Agatha. Und dann stehen alle drei vor deiner
Tür.“
Richard sah sich bei dieser Ankündigung
skeptisch in seiner kleinen Wohnung um.
„Ich frage mich,“, überlegte Melrose.
„Ob Vivian Agatha dazu bringen wird, mich zu suchen oder ob sie jetzt bereits
dabei ist, ihre, das heißt eigentlich ja meine, Möbel nach Ardry End zu
bringen.“
///
Ihr Leben, gemeinsam in der Wohnung in
Islington, hatte rasch eine bequeme Routine angenommen, die beide zu genießen
schienen. Mrs. Wassermann verwöhnte Melrose nur allzu gern mit einem üppigen
Frühstück. Es mache ihr absolut keine Mühe, versicherte sie immer wieder, froh
darüber, dass nun auch wenn Jury und Carole-anne zur Arbeit waren, jemand -
noch dazu ein stattlicher Mann - im Haus war.
Carole-anne schneite bei jeder sich
bietenden Gelegenheit - und bei etlichen, die sich eigentlich nicht angeboten
hatten - herein, um Hallo zu sagen oder dies und das - das meiste wohl Dinge,
die sie garantiert nicht brauchte - zu borgen und sich Melrose bei dieser
Gelegenheit wieder in den unterschiedlichsten Perspektiven zu präsentieren.
Jury hatte ihm erzählt, dass er ihr einen Schlüssel gegeben hatte, damit sie
sein Telefon benutzen konnte, weil sie kein eigenes besaß. Offensichtlich
benutzte sie auch gleich alles andere in der Wohnung wie selbstverständlich
mit. Dass Melrose auf ihre dabei erfolgenden Avancen nicht einging, schien sie
nicht weiter zu stören, aber auch nicht zu bremsen. Sie war es von Richard
gewöhnt, auch wenn der zweifelsohne aus anderen Gründen als Melrose nicht
reagierte.
Sogar Stone schien sich über den neuen
Hausgenossen zu freuen. Er hatte nichts dagegen, dass Melrose die Zeitung
seines Herrchens nahm. Im Gegenteil, er brachte sie ihm sogar im Maul vorbei
und klopfte mit den Vorderpfoten an Jurys Wohnungstür, um auf sich aufmerksam
zu machen. Natürlich lugte dann Carole-annes rot-blonder Schopf übers Geländer
weiter oben. Offensichtlich hatte sie auf dem Weg zum Gassi-Gehen Stone zu
diesem kleinen Kunststück überreden können. Melrose hatte dann jedes Mal Mühe,
sich eine andere Ausrede auszudenken, warum er sie keinesfalls begleiten könne.
Meist schob er wichtige geschäftliche Anrufe, auf die er wartete, vor.
Auch Richard Jury schätzte es, dass er
am Abend nicht mehr in eine leere Wohnung zurück kommen musste. Hatte er sich
früher oft mit ein paar Bierchen im „Angel“ vor dem Heimweg gedrückt, so führte
ihn der Weg vom Yard nun stets schnurstracks in seine eigenen vier Wände, wo
neben Melrose dank der tatkräftigen Hilfe von Mrs. Wassermann und manchmal auch
Carole-anne, die sich beide zu gern um „ihre Männer“, wie sie sich ausdrückten,
kümmerten, auch ein warmes Abendessen auf ihn wartete.
Dass sein Besucher sich im Laufe der
Nacht stets an ihn kuschelte, empfand Richard als weiteren Bonus. Vom Sofa war
schon längst nicht mehr die Rede.
///
„Was hältst du davon, wenn wir morgen
nach Greenwich fahren?“, schlug Richard am Freitag Abend vor. „Da es so
aussieht, als würde mir Racer tatsächlich ein freies Wochenende gönnen, würde
ich London gern wenigstens für ein paar Stunden entfliehen.“
Auch wenn Melrose' Vorstellung von
einem idealen Wochenende in etwa mit seiner Vorstellung eines idealen Werktages
übereinstimmte und aus möglichst wenig Abweichung von seiner gewohnten Routine
aus Lesen, Kreuzworträtsel-Raten und einige-Drinks-mit-guten-Freunden-Nehmen
bestand, stimmte er Richard zuliebe sofort zu.
„Wir könnten uns einen Picknickkorb
machen und einen netten Tag zu zweit verbringen“, überlegte Jury.
Melrose warf ihm einen fragenden Blick
zu. Irgendetwas an Richards Ausdrucksweise und an dem prüfenden, durch Mark und
Bein gehenden Blick seiner grauen Augen machte ihn verdammt nervös.
///
„Aufstehen, du Langschläfer.“
Melrose blinzelte. Hatte Richard ihn
soeben wirklich wach geküsst? Nein, das musste er geträumt haben, gemeinsam mit
anderen angenehmen Dingen, die seinen Freund betrafen.
Fakt war jedoch, dass die Worte sehr
nah, sehr sanft an seinem Ohr geflüstert worden waren. Und Fakt war auch, dass
sich Richard jetzt zu seinen vollen 1,85 Meter aufgerichtet hatte - so wie Gott
ihn schuf.
Melrose kniff hastig wieder die Augen
zu, aus Angst, er könnte bei soviel Schönheit glatt geblendet werden und
erblinden. Doch lange konnte er seine Neugier nicht bezwingen und so öffnete er
die Augen wieder, nur um nun einen exklusiven Blick auf Richards ebenso
attraktive Rückseite werfen zu können, während deren Besitzer sich streckte, um
irgendwelche Kleidungsstücke aus dem oberen Bereich des Schranks zu holen.
Dann bückte er sich, um diese Tätigkeit
auch an der untersten Schublade auszuüben. Melrose wollte die Augen wieder schließen,
doch sie klebten wie festgeschraubt an Richards wohlgerundetem Hinterteil fest.
Er zog die Decke fester um sich, obwohl ihm alles andere als kalt war.
Richard begann sich langsam und in
aller Seelenruhe anzuziehen, präsentierte sich Melrose dabei von allen Seiten.
Himmel, hatte der Mann etwa bei Carole-anne Unterricht genommen? Bei der hätte
er wenigstens gewusst, was das alles sollte - und es hätte ihn vollkommen kalt
gelassen. Aber was beabsichtigte Jury mit seiner Darbietung? Oder zog der Mann sich
etwa immer so... so verführerisch an?
„Brauchen Mylord eine schriftliche
Einladung?“, fragte Jury scherzhaft, als er fertig angezogen war und Melrose
noch immer im Bett lag, die Decke wie einen Rettungsanker umklammernd.
Ehe Plant reagieren konnte, hatte
Richard sie ihm mit einem kräftigen Ruck weggezogen. Melrose spürte, wie er von
den Haarspitzen bis zum großen Zeh errötete. Und leider lag da ein Körperteil
dazwischen, das Jurys Aufmerksamkeit beim besten Willen nicht entgehen konnte,
zu auffällig hatte es sich in den letzten Minuten aufgerichtet.
Dass Richard ihn von oben bis unten
musterte, machte es Melrose nicht gerade leichter.
Jury pfiff leise durch die Zähne.
„Nicht übel, Mylord“, sagte er lächelnd.
Melrose brummelte etwas Unverständliches
und versuchte die Decke zurück zu erobern. Verdammt, musste er gerade heute mit
so einem Ständer aufwachen? Okay, eigentlich war er jeden der letzten Tage mit
so einem aufgewacht. Seit er neben Richard Jury schlief, um genau zu sein. Und
er war viel zu intelligent, um sich nicht über Ursache und Wirkung im Klaren zu
sein. Nicht, dass es eine wirklich neue Erkenntnis für ihn gewesen wäre.
Höchstens eine all die Jahre sehr gut verdrängte. Er konnte damit leben, wohl
wissend, dass es nicht mehr sein würde, als einige harmlose Fantasien und
Träume seinerseits. Aber musste das verdammte Ding ihn nun in so eine peinliche
Lage bringen?
Jury schien das anders zu sehen.
„Entgegen der landläufigen Meinung ist Scotland Yard nichts menschliches
fremd“, sagte er nur und ließ die Decke zurück fallen. Jedoch nicht ohne sich
vorher wie unbewusst die Lippen geleckt zu haben.
Melrose hatte das unangenehme Gefühl,
dass er soeben noch härter geworden war.
///
Von dem peinlichen Start abgesehen, wurde
es aber doch ein ganz angenehmer Tag, fand Melrose, als er am Abend mit einem
Glas Port in der Hand und dem Kreuzworträtsel der „Times“ auf seinen Knien auf
dem Sofa saß. Richard hatte es sich mit einem Bier und einem Buch im Sessel
bequem gemacht.
Melrose fand ihr einträchtiges
Schweigen herzerfrischend. Seiner Meinung nach zeichnete sich eine gute
Beziehung sowieso weniger durch die Fähigkeit zur Kommunikation sondern durch
die zum gemeinsamen Schweigen aus. So gesehen führten sie eine ideale Beziehung.
Das Kreuzworträtsel blieb unbeachtet,
während seine Gedanken den Tag noch einmal Revue passieren ließen.
Sie waren tatsächlich ins Grüne
gefahren, von Mrs. Wassermann mit einem großzügigen Picknickkorb ausgestattet.
„Wir sehen fast aus wie ein Liebespaar“, hatte Richard kommentiert, als sie der
Themse entlang bummelten und Melrose eines seiner verdammt unwiderstehlichen
Lächeln geschenkt. Der hatte gespürt, wie er schon wieder errötete.
Tatsächlich waren sie kurz danach zwei
jungen Männern begegnet, die sich verliebt an den Händen hielten. Jury hatte
gemeint, wie schön es doch sei, dass sich heutigentags keine Art der Liebe mehr
verstecken musste und angefangen, über prominente Schwule zu sprechen, die
offen dazu standen und sich dann Gedanken über Gesetzesänderungen gemacht,
welche die gleichgeschlechtliche Ehe ermöglichten. Melrose enthielt sich
wohlweißlich jeden Kommentars.
Nicht jedoch als Richard erwähnte, er
sei London wirklich überdrüssig und überlege Superintendent Pratt in
Northampton zu fragen, ob er nicht eine Stelle für ihn habe.
Begeistert hatte Melrose angeboten,
wenn ihm die Fahrerei nicht zu weit sei, könne er selbstverständlich auf Ardry
End wohnen, so lange er wolle. Anschließend hatte er sofort begonnen, in
Gedanken Pläne zu schmieden, wie er sämtliche Vermieter und Makler Northants
von Richard fern halten bzw. falls dies nicht möglich sei anschließend die
Parteien einander verleiten konnte. Bis ihm aufging, dass er zuletzt vielleicht
doch zu viel Zeit mit Marshall Trueblood und ihren Bemühungen, um nicht zu
sagen Intrigen, Vivian von Venedig und einer Ehe mit ihrem Grafen,
fernzuhalten, verbracht hatte. Himmel, er würde sich nun doch nicht auch noch
dazu hinreißen lassen gegen seinen besten Freund zu intrigieren. So tief konnte
er doch nicht gesunken sein?
Natürlich gestand er sich ein, dass er
Richard gern um sich hatte. Sie beide auf Ardry End, das wäre es natürlich.
Melrose hatte sogar schon überlegt, ob er sich nicht doch eine Zweitwohnung in
London nehmen sollte, um ihn öfters sehen zu können. Und vielleicht sogar so
etwas wie einen Job suchen, der ihm eine Ausrede bot, öfters die Hauptstadt
aufzusuchen, ohne dass er sich jedes Mal eine Erklärung für Agatha ausdenken
musste oder die gar noch mit wollte.
Am liebsten würde er natürlich da
bleiben, wo er die letzten Tage gewesen war, in Richards Bett. Er schüttelte in
Gedanken den Kopf über sich. Sei kein Narr und Träumer, Melrose Plant. Es war
nur eine Frage der Zeit, bis Richard ihn freundlich aber bestimmt vor die Tür
setzen würde. Der Mann hatte schließlich sein eigenes Privatleben. Eigentlich
war es ein Wunder, dass er ihn nach der Peinlichkeit von heute morgen nicht
hochkant hinaus geworfen hatte. Richard musste doch zweifelsohne wissen, was
seine Erektion bedeutet hatte. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb später
seine ganzen Bemerkungen über Schwule gemacht.
„Du stehst nicht auf Frauen“, erklang
plötzlich Richard Jurys Stimme in Melrose' Gedanken hinein.
Er war so perplex über diese Worte,
dass er zunächst gar nicht reagierte. Dann verspürte er den Impuls, es
abzustreiten, wie er es garantiert bei jedem anderen getan hatte. Aber
verdammt, Richard war sein bester Freund weit und breit. Er verdiente die
Wahrheit.
Darüber hinaus, wurde ihm bewusst, dass
Jury eigentlich keine Frage gestellt hatte. Seine Worte hatten viel eher wie
eine Feststellung geklungen. Die grauen Augen musterten ihn zudem so intensiv,
als würden sie ihn bis auf den Grund der Seele schauen. Melrose wunderte sich
nicht, warum Jury weit und breit der beste Mann beim Yard war. Mit diesem Blick
brachte er garantiert jeden - egal ob Zeuge oder Verdächtiger - zum Reden.
Melrose setzte seine Goldrandbrille ab
und rieb sich - plötzlich unendlich müde - die Schläfen. Aus der schöne Traum
von seinem Leben mit Richard. Dann flüchtete er sich in den Zynismus, mit dem
er sich so gern in Situationen umgab, in denen er sich persönlich ertappt
fühlte.
„Bin ich nicht eine Zierde für meinen
Stand und meine Familie. Erst schmeiße ich meine Titel von mir und dann weigere
ich mich auch noch für Nachwuchs zu sorgen, der sie wieder aufsammeln könnte.“
Er spürte, wie sein Lächeln kläglich
misslang.
Richard lächelte nicht. „Es weiß
niemand außerhalb dieses Raumes, nehme ich an“, sagte er ernst.
„Natürlich nicht“, erwiderte Melrose.
„Mein Privatleben geht niemanden etwas an“, sagte er heftig. Zumindest redete
er sich gern ein, dass dies der Grund war, warum er im „Closet“ blieb und nicht
eventuelle Probleme seinerseits, seine Homosexualität zu akzeptieren. Eine
weitere Enttäuschung in einer langen Liste von Enttäuschungen, die er für seinen
Vater gewesen war. Ein Glück, dass der zumindest dies nie erfahren hatte. „Du
weißt doch, wie Long Pidd ist, es wäre im Nu Dorfgespräch“, ergänzte er.
„Long Pidd lebt recht gut mit Marshall
Trueblood und zumindest diesem Teil von Theo Wrenn Browne’s Persönlichkeit“,
antwortete Richard. „Ich bin sicher, deine Freunde und Familie würde es nicht
stören.“
Melrose zuckte mit den Schultern.
Konnten sie nicht endlich das Thema wechseln? „Agatha wäre vielleicht sogar
entzückt, das heißt, wenn der Schock sie nicht umbringt.“ Eigentlich ein Grund,
sich sofort zu outen, dachte er. „Immerhin macht ihr dann niemand mehr den
Titel einer Lady Ardry streitig.“
„Und der gute Marshall würde dir samt
seinem ganzen Antiquitätenladen zu Füßen liegen.“ Nun lächelte Jury und es war
herzlich und warm.
Melrose spürte, wie ein kleiner Teil
seiner Anspannung bei diesem Lächeln von ihm abfiel. „Wahrscheinlich würde er
versuchen, meinen Modegeschmack zu verändern und mir anschließend nach allen
Regeln der Kunst den Hof machen. Obwohl, soviel ich weiß ist er eher auf dich
scharf und ich kann's ihm nicht...“
Er biss sich auf die Zunge und stoppte
abrupt. Himmel, seit wann redete er erst und dachte dann? Melrose stand auf und
begann unruhig im Zimmer auf und abzugehen. „Ich nehme heute besser die Couch“,
sagte er. Richard würde ihn ja jetzt wohl kaum noch in seinem Bett haben
wollen. Ein Wunder, dass er das Ganze überhaupt so ruhig aufnahm. Aber er war
halt ein toleranter Mensch. Brachten all die Dinge, die er in seinem Beruf so
sah sicher mit sich. Trotzdem würde er sein Bett wohl kaum mit einem Mann
teilen wollen, der so offensichtlich scharf auf ihn war. Auch wenn Melrose die
Situation natürlich nie ausgenutzt hätte. „Und morgen früh rufe ich sofort im
Browns an, ob sie ein Zimmer für mich haben. Oder auch gleich, wenn du willst.“
Da er Jury den Rücken zugewandt hatte,
hatte Melrose nicht bemerkt, wie Richard aufgestanden war. Um so überraschter
war er, als er sich plötzlich gegen die Schlafzimmertür gepresst wieder fand.
„Davon halte ich gar nichts“, erwiderte
Richard heißer. „Das Sofa ist viel zu unbequem für uns zwei und mir fallen so
viele nette Dinge ein, die wir im Bett anstellen könnten.“
Nun war Melrose sprachlos. Alles hatte
er erwartet, aber so eine Reaktion bestimmt nicht. „Aber...“, stotterte er.
„Ich habe doch gesagt, in mir
schlummern viele ungeahnte Talente.“ Richard lächelte und Melrose bekam dabei
ganz weiche Knie. Wie gut, dass er gegen die Tür lehnte, sonst wäre er bei
Richards folgendem Kuss garantiert kollabiert.
„Aber, was ist mit deinen Frauen?“,
fragte er schließlich als der Kuss geendet hatte. „Vivian und Jenny und diese
Jane, die du sogar heiraten wolltest? Und SB-Bindestrich-H, wen immer Carole-anne
damit auch meint?“ Melrose konnte es immer noch nicht fassen, dass er
tatsächlich da stand und seine Hände, die schon längst ein Eigenleben
entwickelt zu haben schienen, an Richard herumfummelten, während der bei ihm
das gleiche tat.
„Susan ist längst Geschichte. Mit Jane
hätte es auf Dauer nie funktioniert, mit Jenny genauso wenig und mit Vivian ist
nie etwas gewesen, das weißt du doch.“
„Aber es waren alles Frauen“, warf
Melrose ein.
„Schon mal was von Bisexualität gehört,
Mylord?“ Richard drückte die Tür zum Schlafzimmer auf und schob Melrose hinein.
///
„Eigentlich sollten wir Agatha dankbar
sein“, sagte Richard, als sie einige Minuten später nackt auf dem Bett lagen
und im Bemühen, möglichst den ganzen Körper des anderen auf einmal zu berühren,
ihre Hände nicht voneinander lassen konnten.
„Was?“ Melrose hielt für einen Moment
inne, um Richard überrascht zu mustern. „Was hat sie damit zu tun?“
„Wenn sie dich nicht aus dem Haus
getrieben hätte, wären wir jetzt nicht hier“, erwiderte Richard.
Er hatte die letzten Tage auf weitere
Schritte von Melrose gewartet. Doch als ihm klar wurde, dass sein Freund außer
seiner unbewussten Annäherung im Schlaf nichts unternehmen würde - sei es weil
er sich seiner eigenen Wünsche gar nicht richtig bewusst war oder weil er sich
in Unkenntnis von Richards Gefühlen und Neigungen nicht traute sie
auszusprechen - hatte er sich selbst für den ersten Schritt entschieden. Und er
war sich sicher, er würde es nicht bereuen.
Melrose stöhnte betont gequält auf.
„Erwähne bloß Agatha nicht weiter oder mir vergeht alles.“
„Na das wollen wir doch nicht
riskieren“, erwiderte Richard und küsste ihn erneut.
Agatha war rasch vergessen.
///
Melrose runzelte die Stirn, als Richard
später eine Packung Kondome und Gleitcreme aus seinem Nachttisch zog. „Ich
glaube, ich frage lieber nicht, wie oft du hier Herrenbesuch hast.“
„Hier? Noch nie“, erwiderte Richard.
„Ich bin nur gern auf alle Eventualitäten vorbereitet.“ Er lächelte und öffnete
die Creme. „Und ich glaube, mir gefällt die Idee, dass du eifersüchtig bist.“
///
„Ich hoffe, dass du nicht nur passiv
bist“, sagte Richard später, als sie befriedigt in den Armen lagen. Er war
froh, dass er schon vor Monaten das Rauchen aufgegeben hatte. Sonst hätte es ihn
jetzt garantiert nach einer Zigarette gelüstet. „Ich würde das, was ich heute
Morgen so eindrucksvoll gesehen habe, nämlich gern hart und groß in mir
spüren.“
Melrose spürte, wie sich bei diesen
Worten bei ihm schon wieder etwas zu regen begann. „Sprich so weiter und ich
zeige dir gleich, wie aktiv ich sein kann“, sagte er.
Richard lächelte. „Na das ist doch ein
Wort.“
///
„So habe ich nicht mehr geschwitzt,
seit man mich in der Schule zum Meilenlauf gezwungen hat“, stöhnte Melrose und
rollte sich von Richard.
Der lächelte. „Dann trainierst du
besser. Ich habe vor, dich zukünftig öfters zum Schwitzen zu bringen.“
///
„Es ist doch nicht SB-Bindestrich-H?“
Richard hatte gerade das Kaffeewasser
aufgesetzt, als an seiner Wohnungstür eine Art Klopfen zu hören war. Als er
öffnete, standen Stone - der mit der Vorderpfote geklopft hatte und die Zeitung
im Maul hielt - sowie Carole-anne mit einem Netz voll Brötchen davor. Letztere
hatte statt einer Begrüßung diesen Satz abgefeuert.
„Guten Morgen, Carole-anne und vielen
Dank für die Brötchen“, sagte Richard betont höflich. „Guten Morgen, Stone und
vielen Dank für die Zeitung.“ Er nahm beides an sich, kraulte dann den Hund.
Als er sich wieder aufrichtete,
musterte Carole-anne seinen Aufzug - Boxershorts und Shirt, dazu ungekämmt -
kritisch von Kopf bis Fuß.
„Es ist SB-Bindestrich-H“, sagte sie.
Susan Bredon-Hunt war eine alte, längst vergessene Flamme Jurys gewesen.
Carole-anne hatte sie stets nur mit der Abkürzung ausgesprochen, wie sie es
meistens bei seinen Damenbekanntschaften tat.
„Was ist mit Susan? , fragte Richard,
der keinen blassen Schimmer hatte, worauf seine hübsche Nachbarin eigentlich
hinaus wollte.
„Tun Sie nicht so scheinheilig“,
erwiderte diese nun. „Sie sind wieder mit ihr zusammen.“
„Bin ich nicht“, antwortete Jury.
„So?“ Carole-anne kniff die Augen
zusammen. „Wer ist es dann? JK?“
Damit war wohl Jenny Kennington
gemeint. Sie hatte im Laufe der Jahre ein paar Mal bei Richard angerufen bzw. bei
Carole-anne, die an seiner Stelle die Nachrichten entgegen nahm und nur äußerst
kryptisch und zerstückelt wiedergab. Was wohl vor allem daran lag, dass der
Anrufer weiblichen Geschlechts war.
„Wie kommen Sie überhaupt darauf, dass
ich gerade mit einer Frau zusammen bin?“, wollte Richard jetzt endlich eine
Erklärung für Carole-annes seltsames Verhalten.
„Weil Sie es wie die Karnickel
getrieben haben“, antwortete sie unverblümt.
„Was?“ Richard starrte sie verwundert
an.
„Oh, ich habe gerade ein bisschen mit
Mrs. W. geplaudert und sie sagte mir, dass sie letzte Nacht wie die Wilden
gerammelt haben. Sie dachte, ihr falle gleich die Decke auf den Kopf. Und von
Ihrem Geschreie konnte sie kein Auge zumachen.“
Jury war sich sicher, dass Mrs.
Wassermann niemals dergleichen gesagt hatte. Wahrscheinlich hatte sie gegenüber
Carole-anne die Frage angedeutet, ob Richard Jury denn wieder eine Freundin
habe und es dabei keinesfalls böse oder neugierig gemeint. Im Gegensatz zu
Carole-anne freute sie sich, wenn er Gesellschaft hatte. Aber waren sie
wirklich vor Leidenschaft so laut gewesen? Womöglich waren die Wände doch
dünner, als er dachte.
„Wieso ist überhaupt der nette Duke
schon wieder abgereist?“, fuhr Carole-anne fort.
„Earl und Ex“, korrigierte Jury.
Carole-anne ignorierte den Einwand.
„Er hatte mir doch versprochen, mich im
Starrdust zu besuchen und sich die Zukunft voraussagen zu lassen“, fuhr sie
ungerührt fort und zog einen Schmollmund.
Wie aufs Stichwort erschien in diesem
Augenblick Melrose Plant an der Tür. In Richards Morgenmantel gehüllt, die
blonden Haare zerzaust.
„Guten Morgen, Carole-anne, hallo
Stone“, sagte er freundlich. Der Hund hatte sich in der Zwischenzeit hingelegt
und wedelte nun mit dem Schwanz.
Carole-anne starrte von einem zum anderen
und wieder zurück und dann passierte etwas, was ungefähr so selten war wie
Schnee in der Wüste: Miss Palutski war tatsächlich sprachlos.
„Oh“, sagte sie schließlich und noch
einmal „Oh.“ Dann fand sie endlich ihre Sprache wieder. „Kein Wunder, dass ich
nie Frauen in Ihren Karten gesehen habe.“
Richard war sich ziemlich sicher, dass
Carole-anne deshalb keine Damenbekanntschaften für ihn gesehen hatte, weil sie
keine sehen wollte. Nicht, dass sie eifersüchtig war, nicht im weiblichen Sinne.
Auch wenn sie ständig mit ihm zu flirten schien, bezweifelte er, dass sie
tatsächlich sexuelles Interesse an ihm hatte. Vielmehr waren er und Mrs.
Wassermann, das Einzige, was Carole-anne an Familie hatte und die wollte sie
nicht verlieren, weil er irgendwann mit Frau und Kindern in ein Einfamilienhaus
am Stadtrand zog.
Nun strahlte sie ihn und Melrose
geradezu an. „Warum haben Sie denn nie etwas gesagt, Super? Ehrlich, diese
Versteckspielchen hätten Sie sich sparen können. Ich finde das super, Super.“
Dass auch Melrose Richard aus London
„entführen“ könnte und damit ein potentieller Rivale war, schien ihr in diesem
Moment nicht in den Sinn zu kommen.
„Ich mag schwule Jungs. Sie sind viel
zuverlässiger als Heteros“, verkündete sie nun. „Und viel netter und so
gutaussehend.“
Richard bezweifelte, dass Carole-anne
viele schwule Jungs kannte.
Sie strahlte sie erneut an. Dann wandte
sie sich an Stone. „Komm Herzchen, lassen wir die beiden Turteltäubchen
allein.“
Sie winkte ihnen zum Abschied zu. „Viel
Spaß noch, Ihr Süßen.“
„Stört es dich, dass sie es weiß?“,
fragte Melrose als sich die Tür geschlossen hatte.
„Wegen mir kann ganz London wissen,
dass du mein Freund bist“, antwortete Richard.
Melrose strahlte angesichts des Wortes
„Freund“, als er ihm in die Küche folgte. „Ich darf also hoffen, dass dies mehr
als ein One-Night-Stand ist?“
Richard nickte. „Natürlich. Hast du
Hunger?“
„Nicht unbedingt auf die Brötchen“,
erwiderte Melrose und lächelte vielsagend.
///
Als Richard Melrose über den Küchentisch
gelehnt hatte und bei ihren heftigen Bewegungen klappernd das Geschirr vom
gestrigen Abend scheppernd zu Boden fiel, hoffte Jury nur, dass Mrs. Wassermann
nicht gerade am Frühstückstisch saß.
///
Es dauerte weitere drei Tage, die sie nach
Feierabend - Wundersamerweise ging es in Jurys Berufsleben gerade tatsächlich
einmal etwas ruhiger zu - in trauter Zweisamkeit und nachts im Bett in wilder
Leidenschaft verbrachten, bevor Agatha anrief.
Richard hielt den Hörer so, dass
Melrose mithören konnte. Ob er wisse, wo ihr Neffe stecke. Er sei seit einigen
Tagen nicht aufzufinden. Sie selbst sei ja sicher, dies sei nur wieder einer
seiner unmöglichen Scherze. Wahrscheinlich sei er einfach verreist und habe nur
nichts gesagt, weil er sie wie immer nicht mitnehmen wolle. Er sei ja ein so
undankbarer und ungeselliger Kerl. Das werde mit jedem Jahr schlimmer.
Sie tat geradewegs so, als würde
Melrose permanent durch die Weltgeschichte gondeln und die arme, alte Tante
allein zu Hause hocken lassen. Melrose schnaufte abfällig.
Nein, sie mache sich keine Sorgen, aber
Vivian male ein Horrorszenario nach dem anderen an die Wand. Diese Frau lese
eindeutig zu viele Krimis und Schnulzen, wahrscheinlich der Schrott den diese
Polly, die Melrose immer mit ihren Manuskripten belästige (solange es nur nicht
mehr war, womit sie ihn belästigte, schien ihre sich fast überschlagende Stimme
zu sagen), und Joanna, die Wahnsinnige, schrieben und habe sie gedrängt, bei
Jury nachzufragen. Offensichtlich hatte sich Vivian zu keinem zweiten Anruf bei
Richard durchringen können.
Er beschied Agatha, er wisse noch immer
nichts, werde sich aber weiter umhören. Dann legte er auf.
„Ist sie nicht rührend in ihrer
Besorgnis“, meinte Melrose sarkastisch. „Eines Tages organisiere ich meine
eigene Beerdigung, nur um zu sehen, wie sie reagiert.“ Er seufzte. „Aber ich
sollte besser zurück fahren, bevor Agatha Ardry End komplett leer geräumt hat
und Vivian noch die dortige Polizei einschaltet.“ Der Gedanke, sich von Richard
trennen zu müssen, behagte ihm gar nicht.
Jury genauso wenig. „Ich habe noch
Urlaub“, sagte er. „Vielleicht erwische ich Racer bei einer seiner weniger
schlechten Launen und er genehmigt mir welchen.“
///
Melrose hatte gerade die Hand nach dem
Türknauf von Ardry End ausgestreckt, als die Tür von innen geöffnet wurde.
„Mylord, wie schön, dass Sie
zurückgekehrt sind.“
Richard Jury war sich sicher einen
Hauch von Erleichterung in der ansonsten stets so beherrschten Stimme Ruthvens
zu hören. Wahrscheinlich waren die Tage allein mit Agatha selbst für den sonst
so ruhigen Butler die reinste Hölle gewesen
„Herzlich willkommen, Superintendent“,
wurde auch er begrüßt.
„Vergessen Sie den Superintendenten,
ich bin auf Urlaub“, erwiderte Richard nach einer seinerseits ebenfalls
herzlich ausgefallenen Begrüßung. Er hatte leider nicht allzu oft die Chance
erhalten, auf Ardry End zu Gast zu sein, aber den alten Butler und seine Frau
äußerst lieb gewonnen.
„Wie ich sehe steht Ardry End noch“,
sagte Melrose. „Meine Tante ist nicht zufällig ausgezogen?“
Wie aufs Stichwort flog die Tür zum
Salon auf und Lady Agatha Ardry stürmte heraus, so schnell es ihre durch
unzählige Sahnetörtchen gefüllte Figur gestattete. „Wer ist ermordet worden?“,
rief sie.
Melrose und Richard sahen einander
fragend an. „Noch niemand“, erwiderte Melrose vielsagend, doch an Agatha
prallte seine Zweideutigkeit ab wie ein Gummiball an einer Wand. „Wie kommst du
darauf, dass jemand ermordet wurde?“
„Weil immer, wenn der Inspektor...“
„Superintendent“, korrigierte Melrose.
„...Inspektor vorbei kommt“, fuhr
Agatha unbeeindruckt vom Einwurf ihres Neffen fort. „Jemand ermordet wurde.“
„Danke der Nachfrage, liebste Tante.
Mir geht es gut“, erwiderte Melrose voller Sarkasmus. „Schön, dass du so
intensiv nach mir gesucht hast.“
Nun schien Agatha einzufallen, dass sie
vielleicht etwas Freude über das wohlbehaltene Wiederauftauchen ihres so
plötzlich und rätselhaft verschwundenen Neffen zeigen sollte. So richtig gelang
es ihr aber nicht.
„Du solltest dich schämen, einfach zu
verschwinden und uns alle in solcher Sorge zurückzulassen“, schimpfte sie. „Ich
habe vor Angst, dir könnte etwas zugestoßen sein, seit Tagen kaum einen Happen
herunter bekommen.“
Ruthvens Blick besagte, dass sie Melrose'
Portionen gleich mitgegessen hatte.
Der Butler hatte Plants Koffer und
Jurys Kleidersack ergriffen. „Ich werde sofort ein Zimmer für Mr. Jury
herrichten“, sagte er.
„Nicht notwendig, Ruthven“, erwiderte
Melrose.
„Du hast wirklich kein Benehmen, Plant“,
schalt ihn sofort Agatha. „Du wirst doch nicht den lieben Richard zu Dick
Scroggs in seinen unmöglichen Gasthof abschieben wollen. Oder gar zu diesem
verrückten Trevor Sly ins Blue Parrot.“
Jury lächelte. Vom Inspektor war er
also innerhalb weniger Minuten zum lieben Richard aufgestiegen, falls das in
Agathas Fall ein Aufstieg war.
Melrose ignorierte sie und sagte
stattdessen zu Ruthven: „Bringen Sie ein zweites Kissen und eine weitere Decke
in mein Zimmer.“
„Jawohl, Mylord.“
Jury musste Ruthven zu
Gute halten, dass er angesichts dieser ebenso unerwarteten wie unerhörten
Ankündigung, die bei jedem einigermaßen wachen Verstand wohl nur eine
Schlussfolgerung zulassen konnte, nicht den kleinsten Hauch von Verwunderung
zeigte. Entweder gehörte er tatsachlich noch der alten Butlerschule an, deren
Mitglieder wahrlich nichts erschüttern konnte, oder er war einer jener
diskreten, guten Geister eines Hauses, die zwar alles mitbekommen, was ihre
Herrschaften betrifft, aber sich natürlich über nichts ein Urteil anmaßen
würden. Richard fragte sich, ob Ruthven auch das Bett für andere Männer in
Melrose' Leben gerichtet hatte und der Gedanke versetzte ihm einen
eifersüchtigen Stich.
Agathas Reaktion war naturgemäß weniger
diskret als die das Butlers. „Was soll das nun wieder heißen?“, verlangte sie
zu wissen.
„Das soll es heißen, liebstes
Tantchen“, erwiderte Melrose, die Höflichkeit in Person, und zog Richard für
einen Kuss an sich. Teils hatte er einfach keine Lust, sich mit langwierigen Erklärungen
abzugeben, teils hoffte er vielleicht sogar, Agatha würde vor Schock auf der
Stelle tot umfallen.
Natürlich tat sie ihm nicht den
Gefallen. Statt dessen starrte sie die beiden Männer mit offenem Mund an.
„Deine Scherze werden wirklich immer unmöglicher, Plant“, sagte sie
schließlich. „Als würde der Superintendent solch ein perverses Benehmen an den
Tag legen.“
Ihrem Neffen traute sie es
offensichtlich problemlos zu.
„Das ist kein Scherz, liebste Tante“,
erwiderte Melrose noch immer liebenswürdig. „Und da du ja sicher nicht mit zwei
Perversen unter einem Dach wohnen möchtest, hilft Ruthven dir morgen gern, in
dein Cottage zurück zu ziehen.“
Er griff nach Richards Hand und zog ihn
mit sich die Treppe hoch. Oben angekommen, beugte er sich noch einmal übers
Geländer und rief Agatha, die sie mit offenem Mund und wohl zum ersten Mal in
ihrem Leben sprachlos anstarrte, zu: „Übrigens, ich beabsichtige Richard zu
heiraten und zu meinem Erben zu machen.“
„So“, meinte Melrose
zufrieden, als er Jury in sein Schlafzimmer geführt hatte, wo Ruthven
mittlerweile ihr Gepäck abgestellt und das verlangte Kissen sowie die Decke
gebracht hatte. „Das wird sie hoffentlich die nächsten Tage von Ardry End fern
halten.“
„Und wenn sie es im ganzen Dorf
rumerzählt?“, wollte Richard wissen.
Melrose zuckte mit den Schultern. „Wen
interessiert es? Haben die Leute wenigstens was zu Tratschen. Ruthven wird
schon dafür sorgen, dass uns keiner stört.“
„Du willst mich also heiraten? Kann
mich gar nicht entsinnen, dass ich ja gesagt oder dich gefragt habe.“ Richard
lächelte vielsagend.
„Auf der Stelle“, versicherte ihm
Melrose. „Auch wenn das eben nicht gerade der romantischste Antrag der Welt
war.“
„Würdest du denn ja sagen?“, fragte er
und spürte, wie sein Herz plötzlich schneller schlug. Sie hatten bisher noch
nicht über Hochzeit oder eine andere Form von Versprechen gesprochen. Die Idee
war ihm spontan gekommen, um Agatha noch ein bisschen mehr zu schocken, war
aber natürlich von Herzen gemeint. Er hoffte, Jury würde es genauso sehen. Er
wünschte sich nichts sehnlicher als eine feste Beziehung mit ihm.
„Auf der Stelle“, wiederholte Richard
die Worte seines Freundes. „Auch wenn ich dann mit dem Rücken zur Wand sitzen
muss, wenn Agatha in der Nähe ist.“
Melrose lachte und schob Richard
Richtung Bett. „Mit dem Rücken zum Bett bist du mir aber momentan viel lieber.“
Ende