Titel:
Äquinoktium, Zeit der Tag-und Nachtgleiche
Autor:
Myra
Fandom: Star Trek
Typ/Kategorie: K/S Adventure, Fantasy
Charaktere:
Alle Personen sind dem Film entnommen.
Zusammenfassung:
Der Wächter wirft Kirk, Spock und McCoy in ein Reich voller Magie.
Disclaimer:
Alle Charaktere und sämtliche Rechte gehören Paramount.
Beta: T´Sihek, REV
Äquinoktium,
Zeit der Tag-und Nachtgleiche
NAUD = die
Nornen bringen die Wirklichkeit der Zeit mit sich.
Sie sind
die Mächte, die den Faden durch die verschiedenen
Existenzebenen
spinnen.
In der
altertümlichen Straße öffnete sich wie von Geisterhand ein Teil der
Backsteinwand zu einem beinahe kreisrunden Tor und stahlblaue Wirbel griffen
nach ihren Körpern. Entschlossen sprangen die drei Gestalten in die fremdartigen
Wogen hinein und bald verloren die Figuren jegliches Raum- und Zeitgefühl.
Sie begannen,
zu vergessen wer sie waren und was sie wieder sein würden. Farben dehnten und
vermischten sich zu kaleidoskopartigen Bildern, erstarrten und zersprangen
gleich wieder; nur um sich zu noch komplexeren Mustern zu finden.
Gleichzeitig
begann ein ohrenbetäubendes Rauschen, das zunehmend anschwoll und alle jemals
existierenden Töne in sich vereinigte.
Die drei
Freunde begannen bereits, sich in diesem Getöse aufzulösen. Mit der Gewissheit,
dass ihre Moleküle sich an einem anderen Platz, in einem vertrauteren Bild,
wieder neu zusammensetzen würden.
Da
drehte sich plötzlich der mittlere Schatten mit aller Kraft zur Seite. So, als
wenn er einen Weg zurückfinden wollte.
„Nein, nein
... Fehler ... Muss noch mal ... versuchen ... Muss sie diesmal retten ...“
Aber
Richtungen hatten bereits ihre Bedeutung verloren und durch die Störung im
Fluss der Verwandlung bildete sich spontan eine neue, parallele Zeitlinie. Die
dem Geschehen hilflos ausgelieferte Gestalt stöhnte verzweifelt auf.
Einer
der beiden Begleiter versuchte noch, den Schemen neben sich festzuhalten, aber
er schaffte es nicht mehr, ihn mit seiner Hand zu packen. Hilflos driftete der
Verlorene äonentief in den Wirbelsturm hinein und war bald vollständig von
seinen Freunden getrennt worden.
Auch der
rechte Begleiter, durch die Bewegung mitgerissen, versuchte den Unglücklichen,
wenigstens noch an seiner Seite zu halten. Das Letzte, was sie voneinander hören
konnten, waren ihre Namen.
„Jim!“
„Spock!“
„Die
Zeit läuft ...", begann der Wächter ohrenbetäubend laut zu sprechen.
ISS = die Macht dieser Rune hat eine konzentrierende
Wirkung. Sie zieht Dinge an, bringt sie
zusammen,
hält sie an ihrem Platz und verhindert die
Auflösung.
Die auf
dem höchsten Turm gelegene und mit einem runden Flachdach geschützte, steinerne
Veranda bot zwischen den kunstvoll behauenen Säulen einen atemberaubenden
Ausblick auf die Landschaft ringsherum.
Dieser
Raum war ihr persönliches Reich und T´Pring stützte sich mit ihren Armen auf
die breite Balustrade. Sehnsüchtig schaute sie zum östlichen Horizont. Im Dunst
des Frühnebels konnte sie dort bereits einen ersten Streifen von Grün entdecken.
Die weiße Stadt lag am Kapernischen Meer und sie stellte sich immer wieder gern
vor, wie interessant das Leben dort unten wohl sein würde. Und auch, wie kühl
und schattig es auf dem Marktplatz in Lara sein musste.
Aber es
wäre ihr nie in den Sinn gekommen, deswegen freiwillig die Tempelanlage zu
verlassen. Ihr Blick schweifte weiter in die westliche Richtung. Weil die
Orakelhalle mit ihren vielen Seitenanbauten und breiten Türmen auf der Spitze
der steilen Felsklippen stand, konnte sie auch dort weit über die zerklüfteten
Wüstentäler schauen.
Und
diese ausgedörrte Einöde mit ihrer mörderischen Hitze und dem immer gleichen,
staubigen Wind schien seit einiger Zeit irgendwie besser zu ihrer
nachdenklichen Stimmung zu passen.
„T´Pring,
ich muss dich sprechen! Darf ich eintreten?“, fragte unerwartet laut, eine
männliche Stimme aus dem Halbschatten des Aufgangs.
Sie
drehte sich um und ging mit hoch erhobenem Kopf auf ihren Besucher zu. Niemand
sollte ihre geheimsten Sorgen und Wünsche von ihrem Gesicht ablesen können.
Im
Inneren des großen Raumes bildeten weitere schlanke Säulen einen vollständigen
Kreis und ihre Schatten warfen im seitlichen Sonnenlicht harte, schwarze Balken
auf den glatten, lachsfarbenen Terrazzo-Boden.
Den
Platz in der Mitte nahm ein - etwa drei Meter breiter, kreisrunder - Steintisch
ein. Als sie durch die Säulen daran vorbeiging, streifte sie ihn beinahe
zärtlich mit ihrer Hand.
Ein
Lächeln huschte über T´Prings Züge, als sie den Neuankömmling erkannte und ihn
zu einer am Rand liegenden, geschützten Sitzgruppe führte.
„Natürlich
darfst du mich jederzeit sprechen. Setz dich zu mir, Stonn. Ich freue mich
immer sehr, dich zu sehen.“
Der so
Angesprochene nickte und ließ sich auf den zugewiesenen Stuhl nieder,
sorgfältig darauf bedacht, dass seine schulterbetonte, arm-freie Kleidung nicht
verrutschte. Er trug – ganz ähnlich wie sie – mehrere, mit Kordeln an den
Körper gebundene, kostbare und in Falten gelegte, helle Stoffe. Aus den
Augenwinkeln beobachtete er, wie sich T´Pring mit einer graziösen Bewegung auf
dem Diwan gegenüber niederließ. Ein Schlitz in ihrem Kleiderstoff gab den Blick
auf ihre unbedeckten Beine frei und er konnte nicht vermeiden, dass er für
einen Moment gebannt darauf starrte.
„Nun,
Stonn, was gibt es denn so Dringendes, dass es nicht bis zur Versammlung heute Abend
warten kann?“, fragte T´Pring ihren Verwalter mit liebevollen, aber auch leicht
nachsichtigem Ton. Sie wusste von seinen tiefen Gefühlen für sie, aber das war
– wie bei jedem anderen Mann auch – ohne weitere Bedeutung. Für sie gab es,
solange sie denken konnte nur die Runen und den Tempel. Und vermutlich gab es
bald auch das nicht mehr. Aber sie hoffte insgeheim, dass die Götter des
Orakels ihr einen gebührenden Platz an ihrer Seite zuweisen würden.
Stonn
entdeckte die dunklen Ränder auf ihrem ansonsten makellosen, schmalen Gesicht.
Die locker über die Schultern fallenden, langen schwarzen Haare konnten nicht
ihre angespannten und deutlich übermüdeten Züge verbergen.
„T´Pring,
du musst dich dringend ausruhen. Du bist unsere Seherin. Nur du kannst uns den Willen
der Runen mitteilen und die richtigen Pfade des
Schicksals erkennen“, bedrängte er sie sofort besorgt. „Wir alle brauchen
dich“, fügte er noch leise hinzu und es klang fast so, als hätte er vor allem
von sich selbst geredet.
T´Pring
war seit seiner frühesten Kindheit sein Idol.
„Ich
weiß, aber ich bin nicht müde, nur etwas erschöpft.“
Unwillkürlich
wanderten ihre Augen wieder zu dem großen, runden Tisch in der Mitte. Auf der
glatt polierten Steinplatte verliefen eingebrannte geometrische Linien und
Kreise. Einige wenige der schon seit Jahrhunderten benutzten Runen lagen
scheinbar willkürlich verteilt auf dem mittleren Bereich. Jede mit einem
Zeichen aus einem speziell legiertem Metall versehen.
In einem kostbaren, separaten Fach befanden sich die restlichen der 24 handtellergroßen,
flachen Steine.
„Hast du
es wieder versucht?“
Es war
eine rhetorische Frage, wie Stonn selber wusste. Das Orakel zu werfen war ihr
Lebenszweck. Dafür war sie als Kind ausgesucht und ausgebildet worden. Und es
hatte sich gezeigt, dass sie ein besonders starkes Medium war. Der Tempel blühte
zu einer neuen Größe auf und es gab immer mehr Besucher. Die Alten Wächter vom
Berg hatten ihre besondere Gabe offensichtlich sofort richtig erkannt.
„Das
muss ich, aber es hat sich nichts geändert. Es gibt keinen Zweifel, dass es
wirklich das richtige Jahr ist. Die Runen bestätigen es mir immer wieder neu.
Es wird der Beginn eines goldenen Zeitalters sein. Und wir haben das bewirkt“,
erklärte T´Pring ihm nicht zum ersten Mal. Nur ihre unruhigen Finger verrieten
ihre Ungeduld.
Mit
einem Ruck erhob sich Stonn und eilte auf den Tisch zu. Blind starrte er auf
die Steine. Irgendetwas in ihm weigerte sich immer noch, an T´Prings Deutung zu
glauben. Und das war ihm noch nie passiert. Er konnte es nicht auf sich beruhen
lassen. „Wir wissen es noch nicht mit Bestimmtheit.“
„Nein, das
werden wir erst bei dem großen Orakel wissen. Wenn die Runen endgültig geworfen
sind. Aber es kann nicht anders sein. Ich irre mich nie“, antwortete T´Pring
stolz, aber bestimmt.
„Weiß er es schon? Hast du es ihm schon
gesagt?“ Diese Frage tat Stonn am meisten Weh. Aber deswegen war er
hergekommen.
„Nein.
Aber ich kann nicht mehr lange damit warten.“
„Was muss ich wissen?“, fragte plötzlich
eine fremde, tiefe Stimme laut in den Raum hinein. Obwohl im neutralen Ton
gesprochen, klang es doch inquisitorisch.
Überrascht
blickte T´Pring auf und es berührte sie – wie jedes Mal – unangenehm, als sie
die dunkle Silhouette erkannte, die sich langsam aus dem Hintergrund löste.
Dieser Mann war ihr zutiefst unheimlich und T´Pring traute ihm insgeheim nicht.
Aber die Alten Wächter vom Berg hatten ihn vor einigen Jahren zu ihr gebracht
und darauf bestanden, dass er im Tempel eine wichtige Funktion erhielt. Und
bisher hatte es keinen wirklichen Grund gegeben, an seiner Loyalität ihr oder
dem Orakel gegenüber zu zweifeln. Wenige Meter vor ihr blieb er stehen.
„Spock!
Warum musst du dich immer so an schleichen?“, forderte sie ihn heraus.
„Du
weißt, dass so etwas nicht in meiner Absicht liegt, T´Pring. Aber ich möchte
dich daran erinnern, dass ich, als dein erster Berater über alle Vorgänge auf
dem Laufenden gehalten werden muss.“
T´Pring
wunderte sich nicht zum ersten Mal über die herablassende Art, die Spock permanent
ausstrahlte. Er war der Einzige im ganzen Tempel, der ihr nicht mit tiefer
Verehrung gegenübertrat und er wirkte immer kühl und unnahbar. Äußerlich
unterschied er sich mit seiner hellen Haut und den dunklen Haaren kaum von den
anderen Tempelbewohnern. Aber es gab ein sorgsam gehütetes Geheimnis, das sich
unter seinen Schulterlangen Haaren verbarg. Nur sie wusste davon und es war ihr
nicht geheuer. T´Pring konnte nur vermuten, das diese seltsam spitzgeformten
Ohren bei ihm schon seit seiner Kindheit verborgen wurden, denn sie hatte nie
jemanden auch nur darüber tuscheln hören.
„Das ist
richtig, Spock. Es gab nur bisher keinen Grund, dir davon zu erzählen. Es ist
eine sehr alte Weissagung der Alten Wächter vom Berg, die im Tempel sehr ernst
genommen wird, aber bisher geheim bleiben musste.“
„Und
jetzt nicht mehr?“
T´Pring
blickte zu Stonn, der ihr fast unmerklich zunickte.
„Es ist
unlogisch Geheimnisse vor mir zu haben.“ Spock verschränkte abwartend die Hände
auf dem Rücken und beobachtete neugierig die beiden vor ihm. Er hatte den
Wächtern einst geschworen, der Seherin T´Pring immer zu dienen, aber sie hatten
ihm nie von irgendeiner, scheinbar wichtigen Weissagung erzählt.
„Es gibt
eine uralte, uns über Generationen überlieferte Schrift und sie kündigt das
Ende der uns bekannten Welt an, aber auch gleichzeitig den Beginn eines neuen
Zeitalters. Der Autor heißt McCoy und ist der erste Prophet aus der Frühzeit.“
„Das
klingt vage.“
„Das
stimmt und um keine unnötige Unruhe hervorzurufen, wurde sie auch immer geheim
gehalten. Aber jetzt haben die Runen gezeigt, dass die Veränderung kurz
bevorsteht, zur nächsten Tag- und Nachtgleiche im Frühjahr.“
„Dem Äquinoktium“,
stellte Spock gleichmütig fest. Aber die aufgedeckten Runen hatten dennoch
seine Aufmerksamkeit erregt. Er warf einen weiteren prüfenden Blick auf den
Tisch und fragte sich flüchtig, ob T´Pring sich vielleicht geirrt haben könnte.
Das war allerdings noch nie passiert. Sie ging vollständig in dem Orakel auf.
Deswegen war sie ja auch erste Seherin. Aber es gab einen ganz anderen Grund,
der ihn zögern ließ. Es war der Name des Propheten. Auch wenn es dafür keine
überzeugende Erklärung gab.
Spock
war in der Wüste gefunden und zuerst von den Alten Wächtern vom Berg aufgenommen
worden. Aber niemand konnte sich seine Herkunft erklären, denn außer an seinen
Namen konnte er sich an nichts mehr aus seiner Vergangenheit erinnern.
Aber der
Name McCoy kam ihm nun dennoch seltsam vertraut vor. Er war sich sicher, dass
es diesen Mann wirklich gegeben hatte und das versetzte ihn in eine bis dahin
unbekannte Aufregung.
„Ist damit
das Ende von uns allen gemeint?“, fragte er plötzlich sehr interessiert. Er
wollte so viel wie möglich darüber wissen.
T´Pring
schwieg, immer noch unschlüssig, ob sie überhaupt darüber reden sollte. Alles
war noch so unklar. Aber Stonn antwortete bereits für sie.
„Nein,
das nicht. Es soll ein Wechsel in ein goldenes Zeitalter sein. Auch wenn wir
nicht genau wissen, wie das geschieht. Und wir sollten uns alle darüber freuen.
Aber es wird nur dann eine Erneuerung für uns alle beginnen, wenn zwei Personen
gleichzeitig einen bestimmten Ort aufsuchen, um sich zu opfern.“
Spock
hob fragend seine Augenbraue und wunderte sich, warum es der Seherin dennoch so
schwerfiel, weiter zu reden. „Sollst du eine der Beiden sein?“, fragte er sie
direkt.
„Natürlich
bin ich damit gemeint“, antwortete T´Pring gekränkt. „Ich bin die Seherin. Es
ist meine Ehre und meine Pflicht, Schaden von allen abzuwenden und die Völker
in ein neues, glorreiches Zeitalter zu führen. Egal, wie hoch der Preis für mich
persönlich auch sein mag.“
Stonn
verbarg bei dieser stolzen Äußerung sorgfältig seinen Schmerz. Sollte sie
wirklich recht behalten, würde er noch genug Zeit für
seine Trauer haben.
„Und wer
ist die andere Person?“, fragte Spock.
„Der
Krieger. Du.“
Nachdenklich
musterte er sie: „Wir werden beide dabei sterben“, stellte er schließlich fest.
„Aber auch ich werde es, als meine Pflicht ansehen.“
„Das
wird der Preis sein – und es tut mir leid für dich“, antwortete T´Pring beinahe
kühl.
„Das
muss es nicht. Kann ich den Text sehen?“, kam die genauso distanzierte Antwort
zurück.
„Es
stehen die genauen Koordinaten für den Ort der Erfüllung darin. Es ist noch zu
früh dafür.“
„Ich
verstehe. Darf ich mich jetzt zurückziehen?“
T´Pring
nickte und insgeheim war sie froh, dass Spock es trotz dieser Nachricht vorzog,
allein zu sein.
*
Stunden
später hörte Spock in seinen privaten Räumen ein
leises Klopfen an der Tür. Aber er wollte nicht gestört werden, sondern in Ruhe
nachdenken.
Zu
seinem Leidwesen hatte er in der Bibliothek nichts mehr über diesen frühen
Propheten erfahren können. Es kam ihm fast so vor, als wären alle Spuren
bewusst vernichtet worden. Irgendwann hatte er die Suche aufgegeben und seinen
Wohntrakt im Tempel aufgesucht.
Zu
wissen, dass er vermutlich nur noch wenige Monate zu leben hatte, war etwas,
dass er bedauerte. Er hatte bisher nur wenig von dem Land gesehen und würde es
wohl jetzt auch nicht mehr nachholen können. Aber es gab etwas in ihm, dass ihm
die Prophezeiung als eine logische Entwicklung in seinem Leben erscheinen ließ.
„Kann
ich dich sprechen, Spock?“, drängte eine leise Stimme erneut vor seiner Tür und
er erhob sich nur widerstrebend von seinem Stuhl vor dem Kamin.
„Stonn,
warum besuchst du mich in aller Heimlichkeit?“, fragte er erstaunt, als er
seinen nächtlichen Besucher erkannte.
„Es ist
wichtig und T´Pring konnte es dir nicht direkt sagen.“
„Noch
mehr Geheimnisse?“
„Um die
Prophezeiung zu erfüllen, müsst ihr euch vereinigen. Liebst du sie?“, fragte
Stonn ohne Umschweife.
Spock
war wie vor den Kopf gestoßen. Er war sich nicht sicher, wie der Übergang zu
der Neuen Welt funktionieren sollte, aber er hatte etwas Derartiges nie in Erwägung gezogen.
„Du
weißt, dass ich das nicht kann. Ich kann niemanden lieben.“
„Das
habe ich befürchtet.“
Das
letzte, das Spock von Stonn im Weggehen noch sah, waren dessen traurige Augen.
Spock
fühlte sich bei diesem Anblick wie ein Fremder. Er war es immer und blieb es
offensichtlich auch bis zum Schluss. Vielleicht war dieser gewaltsame Opfertod
der beste Weg, diese Welt wieder zu verlassen.
*
Jara = die Macht dieser Rune erzwingt
keine Veränderung, sie
ruft sie
durch den sanften Fluss einer spiralförmigen Bewegung
schrittweise
hervor. Die Bewegung ermöglicht den Übergang in
die
körperliche Existenz an der richtigen Stelle des Kreislaufs.
„Hey
Jim, gib es endlich auf und komm zu uns. Hier sind genug Fische für alle da!“,
riefen ihm seine Freunde vom Wasser aus zu. Begeistert schwenkten sie ihre
Angeln und ihr kleines Boot schwankte schon bedrohlich.
Jim
wehrte lachend ab. „Besser ihr kommt hierher. Ich habe schon wieder was dran.“
Nach
einer Woche harter Arbeit in der Verwaltung von Lara – der weißen Lagunenstadt
am Kapernischen Meer – hatte er endlich wieder mit seinen zwei besten Freunden
zum Angeln gehen können. Am Schluss würden sie zählen, wer am meisten gefangen
hatte, aber eigentlich ging es nur um den Spaß in der schönen Wasserwelt vor
den mit vielen Türmchen und Flaggen geschmückten Stadtmauern.
Von
verschiedenen Seiten her flossen wie Adern große und kleinere Flüsse, um sich
dann über mehrere Etagen in das große Meer zu ergießen. Genau so einen Platz an
der Küste hatten die Freunde sich zum Angeln ausgesucht.
Mit
tiefen Zügen atmete Jim die frische Luft ein und steuerte sein kleines Boot
geschickt zwischen felsige Klippen, um einen besonders erfolgsversprechenden
Platz zu finden. Gischt sprühte von den bemoosten Felsen und grüne, tropische
Pflanzen legten sich mit ihren Wedeln weit über die Steine. Hier war das Wasser
zwar eigentlich zu unruhig für die meisten Fische, aber er hatte schon oft
gerade hier ganz besondere Prachtexemplare herausgezogen.
„Komm
schon Jim, oder willst du heute unbedingt verlieren?“, rief ihm Krodak noch
einmal herausfordernd zu.
Jim
grinste nur und legte sich ins Zeug. „Das ist noch nicht entschieden“, schrie
er durch das laute Rauschen der nahen Wasserfälle zurück.
Und in
den nächsten Stunden gab es für ihn nur Fische fangen und mit seinen Freunden
herumalbern. Jim war glücklich und fühlte sich wie im Paradies.
Als sie
später ihre Fische gezählt, abgewogen und wieder ins Meer zurückgeworfen
hatten, hob Krodak lachend sein Glas und prostete Jim laut zu.
„Oh
Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich dich jemals würde schlagen können.“ Die
Boote waren inzwischen verstaut und die Freunde standen nur noch für einen
kurzen Umtrunk beisammen.
Jim
wehrte nur ab und antworte grinsend: „Na, sonst wärst du doch jetzt endgültig
frustriert. Das wollte ich nicht riskieren. Aber wiege dich nicht zu sehr in
Sicherheit.“
Auch in
Jims Kescher hatte eine beträchtliche Anzahl von Fischen gelegen, aber
insgeheim wollte der junge Krodak ihn schon seit Monaten übertrumpfen. Und Jim
musste sich eingestehen, dass er nicht immer ganz bei der Sache gewesen war.
„Na, ich
weiß doch, weshalb du in letzter Zeit immer so abgelenkt bist. Da kommt der
Grund gerade um die Ecke“, warf Riber ein und alle
drehten sich sofort um.
Auf dem
Weg kam ihnen eine junge, blonde Frau entgegen. Sie trug ihr Haar in Locken
hochgesteckt und das blaue Kleid betonte besonders die Taille. Unter dem - an
den Seiten geschlitzten - Kleid trug sie eine eng anliegende Hose und an den
Füßen Sandalen mit metallischen Verzierungen. Dezenter Schmuck um ihren Hals
verriet ihre Herkunft. Sie war die Tochter von Hodin, dem obersten Verwaltungsbeamten.
Als sie Jim entdeckte, vertiefte sich ihr Lächeln noch und Jim verabschiedete
sich eilig von seinen Freunden, um auf sie zu zueilen. Monatelang hatte er um
sie geworben und jetzt war sie endlich sein. Aber leider hatte sie viele
Pflichten und deshalb nur selten Zeit für ihn.
„Odona,
wie schön, dass du mich abholst“, begrüßte er sie mit seinem strahlenden
Lächeln und schwang sie übermütig auf seine Arme.
„Jim,
Jim, lass mich sofort wieder runter! Was sollen denn deine Freunde denken? Ach
Jim, Vater sagte mir, dass du hier bist und ich konnte einfach nicht warten,
bis du endlich nach Hause kommst“, rief sie atemlos.
„Das war
eine sehr gute Idee von dir. Aber warum sollen meine Freunde nicht sehen, dass
ich dich auf Händen trage?“ Er lachte sie verschmitzt an und ließ sie
vorsichtig wieder herunter. „Komm, lass uns noch zum Wasserfall gehen.“
„Hast du
mich auch so sehr vermisst?“, fragte sie ihn verliebt und hakte sich bei ihm
ein.
„Ich
zeige dir gleich, wie sehr.“
Stürmisch
küsste er sie und zog sie dabei von dem Weg ins Dickicht. Unter verstohlenem
Lachen – ihre Freunde sollten nicht doch noch auf sie aufmerksam werden – suchten
sie sich auf verborgenen Pfaden einen schattigen Platz weit oberhalb des
Wasserfalls. Dann setzten sie sich in das weiche Gras unter einem Baum mit tief
hängenden Ästen.
„Oh Jim,
ich habe erst durch dich gemerkt, wie allein ich war, seit Mutter von uns
gegangen ist. Ich liebe dich, Jim. Du darfst mich nie verlassen. Versprichst du
mir das?“, fragte sie und lehnte sich an seine Schulter.
„Odona,
ich werde immer bei dir bleiben“, flüsterte er ihr als Antwort zwischen lauter
kleinen Küssen ins Ohr. Und bevor sie vielleicht noch weitere Fragen stellen
konnte, über die er im Moment nicht nachdenken wollte, verschloss er ihren Mund
mit einem weiteren, gefühlvollen Kuss und ließ sich gleichzeitig mit ihr in das
Gras sinken.
Mit
seinen Händen fuhr er die Konturen ihrer schönen Brüste entlang. Damit noch
längst nicht zufrieden, suchte er sich dann einen Weg durch ihre Kleidung, um
unter dem Stoff ihre zarte, nackte Haut so lange zu reizen, bis sie sich fest an
ihn schmiegte.
Er
liebte dieses Spiel. Als er einen leichten Schauer auf ihrer Haut spürte und
ihr leises Aufseufzen hörte, wanderten seine Finger langsam weiter über die
Rippenbögen und dann über den weichen Bauch.
Als sie
ihre Hand auf seinen gewölbten Schritt legte, atmete er hörbar aus, er wünschte
sich insgeheim, dass sie etwas fester zufassen würde. Aber er wagte es nicht,
das laut auszusprechen. Er stützte sie stattdessen auf seinen rechten Arm und
öffnete ihre Kleidung.
Erst
streichelte er sie zwischen den Innenseiten ihrer Beine. Dann schob er zärtlich
seine Finger in sie hinein. Als sie sich laut aufseufzend unter ihm hin- und herwand,
legte er sich ganz auf ihren Bauch und trieb sich tief in ihren hingebungsvollen
Körper.
Als
Odona mit einem erstickten Schrei seinen Namen ausstieß und sich schmerzhaft
fest in seinem Rücken verkrallte, beschleunigte er seine Bewegungen und gab
sich dann selber ganz hin.
Er
streichelte ihr danach zärtlich über das schweißnasse Gesicht. Er konnte es immer
noch nicht fassen, dass die schöne Odona, die jeden Mann in der Stadt haben
konnte, ausgerechnet ihn gewählt hatte. Für einen fast nicht wahrnehmbaren
Moment versuchte er, sich vorzustellen, was gewesen wäre, wenn Odona sich nicht
in ihn verliebt hätte und beobachtete dabei die immer wieder wechselnden
Sonnenflecken im Blätterdach über ihnen.
Ganz
ungebeten kam ihm spontan wieder der ungebetene Gedanke, dass es vor allem die
Eroberung war, die ihn gereizt hatte und er sie eigentlich nicht wirklich
liebte. Der Sex mit ihr war zwar eine sehr schöne, aber irgendwie
oberflächliche Befriedigung und ließ ihn jedes Mal danach noch einsamer zurück.
Nach der
Vereinigung spürte er das nur bewusster als sonst. Als er bei diesen bitteren
Gedanken, das Brennen von tiefer sitzenden Gefühlen in sich aufsteigen fühlte, verzog
er kurz sein Gesicht und schluckte jeden weiteren Gedanken hart herunter. Er
zwang sich, wieder positiv zu denken: Odona war das Beste, was ihm passiert war.
Und damit war Schluss mit trübsinnigen Gefühlen. Sie würde alles für ihn tun
und liebte ihn wirklich. Sie konnte wahrhaftig nichts dafür, dass er so verrückte
Gedanken hatte.
Viel zu
heftig umarmte er Odona, um damit seine Nachtgespenster endgültig zu
vertreiben. Überrascht ließ sie es sich willig gefallen.
„Oh Jim,
ich wünschte, wir würden schon ein eigenes Haus besitzen, aber jetzt müssen wir
zurück, bevor sich noch jemand Sorgen um uns macht“, seufzte sie nach einer
Weile.
„Du hast
recht, meine immer so Vernünftige“, antwortete Jim mit leichtem, scherzhaftem
Tonfall und tippte ihr spielerisch auf die Nase. Seine düsteren Gedanken hatte
er schon fast wieder vergessen.
Nur
ungern erhoben sie sich und beide richteten noch schnell ihre Kleidung, bevor
sie mit verschränkten Händen langsam den Weg zurück in die nahe gelegene Stadt
gingen.
*
„Jim,
bitte bleib noch ein bisschen sitzen. Lass uns ein Pfeifchen zusammen rauchen.
Und gegen einen kleinen Schluck hast du sicher auch nichts einzuwenden.
Einverstanden?“, fragte Odonas Vater, nachdem das Abendessen abgeräumt worden war.
„Natürlich
Hodin, gern“, antworte Jim sofort.
Sie
ließen sich in einer gemütlichen Nische des geräumigen Wohnraums nieder. Eine
helle Holzverkleidung mit ihren natürlichen Strukturen und großformatigen Bilder
von den im ganzen Land bekannten Wasserfällen gaben zusammen mit einem in Naturfarben
gewebten Teppich dem privaten Salon der Familie einen freundlichen und offenen Anstrich.
Jim liebte
diesen Raum und auch die Gespräche mit Hodin. Er hatte schon viel von ihm gelernt
und er war ihm inzwischen ein bisschen wie ein Ersatzvater geworden. An seinen
richtigen Vater konnte er sich nicht mehr erinnern, denn seine früheste
Erinnerung begann erst auf dem Marktplatz von Lara.
Hodin
hatte ihn damals auf dem großen Handelsplatz angesprochen, als er suchend
zwischen den Ständen herumgeirrt und bei den Kaufleuten durch eine Unzahl von
Fragen aufgefallen war. Trotz aller Bemühungen der hiesigen Ärzte war sein Gedächtnis
nicht wiedergekehrt und Jim musste sich damit abfinden, ohne Vergangenheit zu
leben. Nur sein eigener Name war ihm aus irgendeinem unergründlichen Grund in
Erinnerung geblieben. Wie ein Widerhall aus einem surrealen Traum.
Hodin
hatte in vielen Gesprächen versucht, ihm darüber hinweg zu helfen, und er
selbst versuchte sich immer wieder zu sagen, dass er es sowieso nicht besser
hätte treffen können. Aber seine ungeklärte Herkunft konnte er dennoch nicht
vergessen.
„Jim, liebst
du sie? Ich meine, wirklich so sehr, dass du eine Familie mit ihr gründen
willst? So, wie ich es damals mit meiner verstorbenen Frau gemacht habe?“
„Natürlich
Hodin, und ich danke dir, dass du sie mir anvertraust.“
„Na –
na, ich denke, letztendlich wird es ihre Entscheidung sein. Ich will nur sicher
sein, dass meinem einzigen Kind nichts passiert. Sie hat es nicht leicht
gehabt.“
„Das
verstehe ich und du kannst ganz beruhigt sein. Ich werde sie auf Händen
tragen.“
Hodin
musterte ihn aus stahlblauen Augen und unterzog Jim offensichtlich einer
Prüfung. Dann nickte er bedächtig.
„Nun
gut, meinen Segen hast du. Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum ich mit
dir sprechen wollte. Es findet bald das nächste Orakel der Runen statt und die
Stadt wird – wie jedes Jahr – wieder einen Abgesandten zum Tempel schicken, um
bei der Runenzeremonie dabei zu sein.“
„Ja, ich
weiß. Sicher wird Krodak - als Sohn des Obersten - das wieder übernehmen.“
„Eben
nicht. Der Rat hat beschlossen, dass dieses Jahr jemand anderer uns vertreten
soll. Und mein Junge, es freut mich außerordentlich es dir mitzuteilen - du bist diesmal der Auserwählte.“
Jim
blieb vor Überraschung im ersten Moment die Luft weg. Immer schon hatte er sich
gefragt, was da im Tempel passierte. Sein Freund Krodak durfte immer nur dem
Rat Bericht erstatten. Aber aus seinen Andeutungen hatte stets so viel
Mystisches heraus geklungen, dass es Jim sehr neugierig gemacht hatte. Aber als
nicht leiblicher Sohn von Hodin, hatte er sich nie die Hoffnung gemacht, selbst
einmal in den Tempel zu dürfen.
„Freust
du dich denn gar nicht?“, fragte Hodin erstaunt über Jims langes Schweigen.
„Dass du diese wichtige Aufgabe übernehmen darfst, ist ein Zeichen vom Rat. Du
hast dich bewährt und ich bin sehr stolz auf dich. Sicher hat man noch Großes
mit dir vor.“
„Ich bin
fast sprachlos vor Glück und fühle mich sehr geehrt. Ich werde alle Aufgaben
gewissenhaft erfüllen“, versicherte Jim sofort begeistert.
„Eigentlich
geht es nur um deine Anwesenheit. Aber damit gibst du uns eine Stimme und wenn
die Seherin das Orakel befragt hat, teilst du unserem Rat die Weissagungen für
das kommende Jahr mit.“
„Das
werde ich“, versprach Jim schon richtig aufgeregt von der Vorstellung, zum
ersten Mal mit eigenen Augen sehen zu können, was es mit dem geheimnisvollen
Tempel auf sich hatte.
„Ja, und
dann habe ich mir gedacht, dass ihr euch sofort nach deiner Rückkehr vermählt
und in euer neues Haus zieht. Ein guter Termin wäre da vielleicht das
Äquinoktium. Schließlich ist es ein besonderer Tag.“ Hodin redete zwar wie
beiläufig, aber er war sehr auf Jims Reaktion gespannt. Erfreut nickte er, als
er sah, dass Jim über das ganze Gesicht strahlte.
„Du
machst mich glücklich, mein Sohn“, fügte er hinzu, seine Rührung kaum
verbergend.
Einige
Stunden und ein paar Gläschen später – Odona hatte sich noch zu ihnen gesellt –
lag Jim in seinem Bett und ließ das gehörte noch einmal Revue passiert. Er
fühlte sich aufgeregt und glücklich und lächelte bei der Vorstellung, was die
Zukunft offensichtlich für ihn bereit hielt. Er würde
sicherlich alles dafür tun, dass Odona glücklich mit ihm werden würde.
Aber es
gab einen Schatten auf seinem sonst so perfekten Glück – und zwar, dass er so
gar nichts von seiner Kindheit erfahren konnte. Obwohl auch Hodin nichts
unversucht gelassen hatte.
Zu gerne
hätte er seine Eltern und Verwandten kennengelernt und zu sich eingeladen. Wenn
er denn überhaupt noch welche hatte. Unruhig warf sich Jim auf die Seite. Es
war EIN MAKEL, DEN ER NICHT LOS WURDE und der seine Gedanken immer wieder
überschattete.
Vielleicht
hatte er ja eine Herkunft, für die er sich schämen musste und eines Tages würde
sein ganzes Glück wie eine Seifenblase zerplatzen.
Vielleicht
stand er ja in Wirklichkeit auf einer Art Zeitbombe und würde eines Tages in
Schande aus der Stadt heraus gejagt werden.
Und
diese undurchsichtige Vergangenheit war sicher auch die Erklärung für alle seine
sonstigen, immer so verrückten Gedanken.
Aber es
gab noch etwas, was er bisher noch nie versucht hatte. Und jetzt hatte er die
Chance seines Lebens. Er würde nach dem großen Orakel im Tempel die Seherin selbst
fragen können, ob sie ihm etwas von seiner Vergangenheit erzählen konnte.
*
Odal =
kennzeichnet die Macht der Inbesitznahme. Was hier in Besitz
genommen
wird, sind die angeborenen Eigenschaften, die von
spirituellen
Vorfahren, also aus früheren Leben, ererbt wurden.
Nun war
es endlich soweit. Lange hatte T´Pring auf diesen Tag gewartet und sie ließ seit
Stunden mit stoischer Gelassenheit die Prozedur des Anziehens, Schminkens und
des Anlegens des kostbaren Ritualschmucks über sich ergehen. In Gedanken war
sie bereits in der großen Zeremonien Halle beim Werfen der Runen. Heute würde
ihr großer Tag werden.
Eine
Dienerin legte ihr ein kostbares Collier auf den transparenten
Halskragen und die zarten, korallenartig geformten Steine verbanden sich mit
den silbernen, dünnen Reifen unter ihrer Brust. Helle Steine blitzen bei jeder
Bewegung ihres weißen, längs plissierten Kleiderstoffs auf und das
hochgesteckte dunkle Haar war in Zöpfen durch glänzende Reifen geflochten
worden. Endlich zogen sich die Dienerinnen zurück und T´Pring betrachtete sich
zufrieden im Spiegel.
Dann
ging sie einen schmalen und in Marmor gehaltenen Gang entlang.
Die
dumpf klingenden Trommeln wurden lauter und durch einen leichten Vorhang betrat
sie eine hell erleuchtete, erhobene Plattform. Vor ihr erstreckte sich eine
lange, schmale Treppe und am Grund der großen Halle standen auf beiden Seiten
die Besucher der umliegenden Städte und Länder.
Es war
der größte und kostbarste Saal im Tempel und nur für das alljährliche Orakel
bestimmt. Über ihnen wölbte sich eine farbige Decke. Die Seherin hob den Kopf
und warf einem kurzen Blick darauf. Auf ihr glänzte ein riesiges, uraltes,
mythologisches Sonnen- und Sterne Mosaik in Silber und Lapislazuli.
In den
seitlichen Nischen beleuchteten hohe schmale Lichtsäulen die überall mit Runenschrift
und anderen mythischen Symbolen bedeckten Wände. Die Trommeln schlugen einen
eintönigen und beständigen Rhythmus, nur begleitet vom Klingeln kleiner Schellen.
T´Pring schritt,
im vollen Bewusstsein der Bedeutung ihrer Person, anmutsvoll die Stufen immer
tiefer herab. Viele zollten ihr durch Lächeln und Verneigungen ihren Tribut und
T´Pring war sehr stolz darauf.
Seit
Jahren hatte es in dieser Region keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr
gegeben und bald würde T´Pring diejenige sein, die ihnen endgültig den Eintritt
in das versprochene, goldene Zeitalter ermöglichte. Ganz von dieser Vorstellung
getragen, ging sie würdevoll an der langen Reihe von Gästen entlang.
Dann
durchschritt T´Pring den mit Blätterranken dekorierten Säulengang, der in den
geweihten Orakelraum führte. Überall standen viele kleine Feuerkessel, die
warmes, flackerndes Licht spendeten.
Hierhin
durften ihr nur noch die 24 ausgewählten Vertreter jeder Stadt und jedes Landes
folgen. Jeder von ihnen stand für eine der möglichen Runen.
Im Raum
selbst empfingen sie bereits, Seite an Seite, Spock und Stonn. Beide mit
langen, hellen und kostbaren Umhängen bekleidet. Aus der Ferne sahen sie fast
wie Brüder aus, aber von Nahem hatten sie nichts mehr gemeinsam.
Stonns
Augen leuchteten voller Ehrfurcht, aber Spocks Miene blieb vollkommen unbewegt.
Für einen kurzen Moment hoffte T´Pring, dass es doch Stonn wäre, der mit ihr
diesen Weg gehen würde. Aber schnell verbat sie sich derartige, persönliche
Wünsche. Sie hatte sich für das Allgemeinwohl zu opfern, egal um welchen Preis.
Mit den
beiden wichtigsten Männern des Tempels an ihrer Seite schritt sie auf die Mitte
zu und blieb vor einer riesigen, marmornen Platte stehen. Der Stein sah dem aus
ihren privaten Räumen ähnlich, war aber bedeutend größer und bestand aus
edlerem Material. Er wurde nur einmal im Jahr für das große Orakel benutzt.
Rund um
den Stein versammelten sich jetzt auch respektvoll die Abgesandten. Unter ihnen
war auch Jim von der weißen Stadt Lara. Neugierig beobachtete er das Geschehen
um sich herum.
Über der
Steinplatte hing eine schmale Stele, auf der die Buchstaben der prähistorischen
Runenschriften der Alten Wächter vom Berg metallisch glänzten. Diese Schrift
bestand aus seltsam runden Buchstaben, die nur von ganz wenigen Schriftgelehrten
entziffert werden konnten. Niemanden war es bisher gelungen, die Worte ganz zu
verstehen. Aber es war, wie das Mosaik über der Tür ein heiliges, einzigartiges
Relikt aus der Frühzeit und sogar Jim spürte, dass dieser Stein besondere Kräfte
ausstrahlte.
Das in
kleinen Schalen eingelegte, brennende Räucherwerk verteilte sich und der
leichte Nebel ließ die Konturen des Raumes verschwimmen und gab ihm etwas
Unwirkliches.
Als
T´Pring sich wieder umdrehte, verlangsamte sich das Schlagen der Trommeln, um
dann ganz zu verstummen. Es war nur noch das leise Knacken aus den Feuerkesseln
zu hören.
In diese
Stille drang Stonns Stimme bis in die Vorhalle.
„Es
freut uns, dass ihr wieder vollständig erschienen seid, um so die besondere
Bedeutung des Orakels zu ehren. Auch dieses Mal wird unsere Seherin T´Pring mit
ihrer einzigartigen Gabe unser Medium zu den unsichtbaren Kräften des
Universums sein und uns die Zukunft weisen. Großes hat sich für diese Dekade angekündigt.
Möge das Schicksal mit uns sein und uns die Runen den richtigen Weg weisen, es
zu unser aller Wohl zu erfüllen.“
Es entstand
ein kurzes, allgemeines Raunen und T´Pring nutzte die Gelegenheit, um schnell
die diesjährigen Abgesandten zu mustern. Viele Gesichter kannte sie bereits und
manche wirkten angespannt und vielleicht auch ein bisschen besorgt. Aber es gab
auch einige neue, unbekannte Teilnehmer. So fiel ihr besonders ein Mann mit
auffallend hellen Haaren und großen fragenden Augen auf. Sie lächelte allen
beruhigend zu und wandte sich dann wieder dem Tisch zu.
Langsam
breitete sie ihre Arme aus und hob sie über den Kopf, um so direkt mit dem Himmel
Kontakt aufzunehmen. Die Trommeln schlugen wieder einen langsamen Rhythmus an
und sie spürte bereits die unwiderstehliche Kraft der heiligen Steine in ihren
Nervenbahnen vibrieren.
Gleich
würden die Runen allen mitteilen, dass sie diejenige sein würde, die an einem
geheimen Platz in der Wüste gehen würde, um sich dort für ihrer
aller Wohl zu opfern. Mit dieser Tat würde sie den Tempel in die
Unsterblichkeit führen und selbst einen ersten Platz in der Erinnerung der
Menschen bekommen. T´Pring konnte sich keinen höheren Lohn für ihr bisheriges
Leben vorstellen.
Der
Trommelschlag wurde schneller und es kamen die Schläge einer kleinen, hellen
Glocke hinzu. An ihrer linken Seite hob Stonn einen langen, undurchsichtigen
Seidenschal, um T´Prings Augen damit zu verbinden.
Dann
trat Spock mit einer Schale auf sie zu. Auf ihrer Oberfläche brannten hohe
Flammen und unter dieser Schicht lagen die Runensteine. T´Pring würde jedes Mal
durch das Feuer fassen müssen, um nach dem erstbesten Stein zu greifen.
Ohne
Sicht verlor T´Pring sofort den Kontakt zur Realität und lebte in der
mystischen Welt der Runen. Sie griff in die Schale, ohne die Flammen auf ihrer
Haut zu spüren, erfasste eine erste Rune und warf sie hinter sich auf die
Steinplatte. Mit einem im ganzen Tempel deutlich hörbaren Klappern fiel der
heilige Stein etwas über das Zentrum mitten auf eine Kreislinie.
„Es ist
ING, der Fortbestand. Es geht um ein neues Zeitalter!“, erklärte Spock der
gespannt lauschenden Versammlung.
Wie aus
weiter Ferne hörte die Seherin Spocks Erklärung. Diese Rune bezog sich
erwartungsgemäß auf die Prophezeiung. Etwas in Spocks entrückter Stimme zeigte
ihr aber auch, dass sie ihm vielleicht doch unrecht getan hatte. Er hatte sich
offensichtlich in den letzten Wochen in die Runen vertieft und schien jetzt ganz
in die Deutung aufzugehen. Vielleicht hatten die Alten Wächter vom Berg das
schon vorher gesehen und ihn deshalb zu ihrem Begleiter ausgewählt.
Die
nächste Rune würde die Richtung aufzeigen, die ihrer aller Zukunft sein würde.
Sie griff beherzt wieder in das Feuer und warf den nächsten Stein.
„Es ist
GIFU, das Geschenk der Zeit. Etwas Wertvolles wird uns gegeben. Aber wir müssen
ein Opfer dafür bringen.“
Das war
die Rune, die sie erwartet und gleichzeitig gefürchtet hatte. Trotz ihrer Augenbinde,
spürte T´Pring die allgemeine Anspannung im Saal - und wurde selber davon
mitgerissen.
Sie
griff nach dem nächsten Stein und warf ihn hinter sich auf die Platte. Ohne sehen
zu können, wusste sie dennoch, dass er genau in einer Linie zwischen der ersten
und der zweiten unteren Rune landen würde.
„Es ist
MADR. Die Rune der Integration. Unvereinbares verschmilzt zu einem neuen Ganzen
und bringt es zum Gleichklang“, verkündete Spock.
T`Pring zitterte
unmerklich. Eine Vereinigung wurde gefordert. Das konnte nur eins bedeuten. Auch
wenn sie es bereits früher aus den Runen gelesen hatte, wurde es ihr jetzt erschreckend
klar, dass es ab diesem Punkt keinen Weg mehr zurückgab. Jetzt würden nur noch
ihre und Spocks oder Stonns Rune, das weibliche und das männliche Prinzip
geworfen werden.
Diese
beiden Steine würden dann rechts und links der Mitte liegen und die Vereinigung
würde dann das geforderte Opfer sein.
Alle
persönlichen Wünsche und Bedürfnisse gewaltsam unterdrückend, hielt sie ihre
Hand wieder in das Feuer und vergaß sofort alle ablenkenden Gedanken.
„Es ist
TYR, der erste spirituelle Krieger.“ Spocks Stimme klang gelassen, obwohl sich
im gleichen Moment die ganze Aufmerksamkeit ihm zuwandte, wie Jim erstaunt
bemerkte, der sich alles Auffällige für einen späteren Bericht merken wollte.
Es würde
also wirklich Spock sein, der den Weg mit ihr ging. Sie hatte es geahnt und es
war vorhersehbar gewesen. Er war immerhin der zweitwichtigste Diener im Tempel.
T´Pring konnte im Moment zwar nur seine Stimme hören - aber sie klang
beruhigend ernst und gefasst.
Doch die
Menschen im Raum schienen den Atem anzuhalten. Auch wenn vielleicht nicht alle
vollständig die Bedeutung des Geschehenen verstanden hatten,
so spürten sie doch, dass etwas Außerordentliches geschah. Jetzt galt es für
sie nur noch die letzte Rune BJARKA, für das oberste weibliche Prinzip, aus dem
Feuer zu holen.
„Es ist
LAGU. Die Rune des fließenden Wassers. Das Symbol für den Übergang – und die weiße
Stadt am Meer“, verkündete Spock. Seine verwundert klingende Stimme verhallte
im Raum wie eine Frage.
Anfangs
fühlte T´Pring nur ungläubiges Entsetzen, aber dann sickerte es wie siedendes
Öl in ihr Bewusstsein. Welch eine grausame Demütigung! Jemand anderer würde an
ihrer Stelle die Ehre haben! Ein anderer würde unsterblich werden!
Ein
anderer würde diese Erhöhung erleben! Ihr Leben hatte ins Nichts geführt! Alles
war umsonst gewesen! T´Pring schwankte und zog sich selber mit einem wütenden
Ruck den Schleier ab, um mit eigenen Augen zu sehen, wen die Runen bestimmt
hatten. Als sie den verwundert dreinblickenden Gesandten mit den hellen Haaren
ansah, schwankte sie und konnte nur noch mit Mühe von Stonn auf den Beinen gehalten
werden.
Nach dem
Werfen der letzten Rune musterten die Abgesandten verblüfft die offensichtlich schockiert
zusammengebrochene Seherin, aber dann drehten sich alle Anwesenden zu dem Abgesandten
aus Lara um und aus dem Vorraum kam ein immer lauter werdendes Murmeln.
Jim
versuchte, instinktiv sofort zurückzuweichen. Er hatte gehört, wie der Sprecher
die weiße Stadt erwähnt hatte, aber es wollte ihm nicht in den Sinn, was das
alles mit ihm zu tun haben könnte. Dann sah er, wie dieser offensichtlich
wichtige Tempelvorsteher, der das Orakel erklärt hatte, mit einer herrischen Bewegung
mehreren Dienern zuwinkte, die jetzt langsam auf ihn zugingen. Alles in ihm
wollte laut aufschreien, aber der ehrfürchtige Blick in den Augen seiner
Nachbarn ließ ihn schweigen. Die Seherin schien inzwischen ganz in sich zusammen
gesunken zu sein und wurde von ihren Dienerinnen herausgebracht.
Dann
stellte sich Stonn neben Spock und sprach zu der wartenden Versammlung. „Die
Seherin hat uns die Zukunft gezeigt. Ein Opfer ist gefordert worden. Unser Erster
Krieger und der Abgesandte der weißen Stadt Lara sind dazu bestimmt worden, uns
während des Äquinoktiums in ein neues, goldenes Zeitalter zu führen. Wir
verneigen uns vor ihnen und vor unserer Seherin. Und wir werden ihnen für ihr
Opfer der Vereinigung die höchstmögliche Ehre erweisen. Die Weissagung ist für
heute beendet.“
Die
Versammelten verneigten sich schweigend.
Der
glühende Respekt, der in ihren Augen lag, erschreckte Jim zu Tode. Wie aus dem
Nichts erschienen die Diener des Tempels und führten ihn in einen Seitengang.
„Das ist
ein Missverständnis. Ich möchte mit der Seherin sprechen. Sofort“, forderte Jim
lautstark, als er immer tiefer in das Innere des Gebäudes geführt werden
sollte.
Plötzlich
stand Spock vor ihm und musterte ihn mit scharfem Blick. Aber noch bevor Jim
wütend fortfahren konnte, verschwand er wieder und Jim wurde in einen hinteren
Trakt der Tempelanlage geführt.
In
seinen neuen Räumen staunte er im ersten Moment über die verschwenderische
Pracht. Er hatte eigentlich mit einem Kellerverlies gerechnet. Sofort schaute
er hoffnungsvoll auf die großen Fenster.
Aber
allein gelassen musste er schnell feststellen, dass sein neues Zuhause sich
kilometerhoch auf unbegehbaren Felsabhängen befand. Auch die Türen waren
verschlossen und sich verzweifelt auf den weichen Diwan werfend, fühlte er sich
wie ein Tier in der Falle.
*
ALGIZ =
hat sowohl mit Verbundenheit als auch mit Schutz zu tun. Die Form der Rune ist
mit dem kosmischen Baum vergleichbar, dessen Zweige in die Welt des Oberbewusstseins
reichen.
In den
letzten Wochen hatte sich Spock bereits intensiv auf das Erfüllen seiner
Pflicht vorbereitet. Aber zu seiner großen Überraschung hatte ihm die
Vorbestimmung jetzt diesen blonden Neuling an die Seite gestellt. In aller
Frühe suchte er ihn einen Tag nach dem Orakel auf. Er hoffte, dass der
Unbekannte sich inzwischen wieder beruhigt hatte, denn das Äquinoktium stand
kurz bevor. Bereits am kommenden Morgen sollten sie offiziell die Koordinaten
erhalten und nach einer rituellen Verabschiedung zu dem Ort ihrer Bestimmung
gebracht werden.
Eine
Wache öffnete ihm die Tür und Spock sah sich suchend um. Der Abgesandte von
Lara stand am offenen Fenster und schien seine Anwesenheit noch nicht bemerkt
zu haben.
Spock
betrachtete die offensichtlich an körperliche Arbeit und viel Sonnenlicht
gewöhnte Gestalt. Er war so ganz anders, als er selbst. Wirkte wie das Abbild
auf einer der goldenen Medaillen. Nicht
so verschlossen und voller dunkler Geheimnisse wie er selbst. Aber bei
genauerer Betrachtung fielen ihm die verkniffenen Augen mit ihren dunklen
Rändern auf.
Der
Abgesandte aus Lara schien kaum geschlafen zu haben. Das hatte Spock allerdings
auch nicht. Aber es gab etwas an der Ausstrahlung des Mannes, das in ihm ein
vages, bisher ganz unbekanntes Glücksgefühl auslöste. Und das war ihm schon kurz nach dem Orakel
aufgefallen.
Spock blieb
nachdenklich mitten im Raum stehen und fühlte wieder dieses seltsam intensive
Prickeln in sich. Als würde er gleich etwas ganz Bestimmtes, freudiges
ausrufen wollen. Aber was, konnte Spock sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Es war wie eine dieser seltsamen Wahrnehmungen, vergleichbar mit der Wirkung,
die der Name McCoy auf ihn hatte. Nur bedeutend intensiver.
„Was
soll das? Habe ich jetzt nicht einmal mehr eine private Sphäre für mich?“
Die
säuerlich ausgespuckten Worte ließen Spock aus seinen Überlegungen hochfahren.
Sofort kehrte er wieder in die Realität zurück.
„Doch
natürlich. Ich bin Spock, der erste Berater des Tempels. Wir haben eine
gemeinsame Aufgabe, wie du weißt.“
„Ich
weiß gar nichts, aber ich habe dich beobachtet. Du hast mich in dieses goldene Verließ einsperren lassen. Ich
werde hier gegen meinen Willen gefangen gehalten“, stellte Jim – sichtlich um
Fassung ringend – fest. „Aber man erwartet mich dringend zu Hause. Sie werden
schon nach mir suchen.“
„Es ist nur
zu deinem Schutz. Viele Menschen möchten dich jetzt schon sehen, aber das wird
erst morgen früh möglich sein. Die Obersten der weißen Stadt Lara wissen
bereits, welche Ehre dir zugeteilt wurde. Eine Abordnung zu deinen Ehren ist
bereits unterwegs.“
„Und was
ist mit meiner Frau?“
„Du bist
verheiratet?“ Spock hob erstaunt eine Augenbraue.
„Noch
nicht, aber ab morgen. Und es wird ihr nicht gefallen, was hier passiert.“
„Das
bezweifle ich. Auch sie wird es als Ehre betrachten, dass du erwählt wurdest.“
„Eine
Ehre? Und was sollen wir tun, um angeblich diese Welt zu erneuern? Das weiß ich
zum Beispiel auch nicht. Alle hüllen sich in Schweigen, wenn ich sie danach
frage. Das macht mich sehr, sehr misstrauisch. Wenn das hier überhaupt jemanden
interessiert!“
Jim
wurde immer wütender, denn endlich hörte ihm jemand zu. Aber eigentlich hatte
er große Angst vor dem, was hier mit ihm passieren sollte. Sein Besuch des
Tempels war zu einer riesigen Enttäuschung für ihn geworden. Sogar die Seherin
wollte ihn nicht sprechen, obwohl er immer wieder nach ihr gefragt hatte.
Angeblich sollte sie so schwer erkrankt sein, dass sie niemanden mehr empfangen
konnte. Und jetzt durfte er nicht einmal mehr nach Lara zurück.
Spock
war näher an die Balustrade getreten und stand jetzt neben Jim.
Einerseits
versuchte er, der wachsenden Wut mit Gelassenheit zu begegnen, aber die starken
Gefühle wühlten ihn doch auf. Bis auf Armeslänge trat er auf Jim zu. Dann roch
er etwas - einen Geruch, der sein Unterbewusstsein in unerklärliche Unruhe
versetzte. Als wäre es ein ganz vertrauter, heimatlicher Duft. Tief sog er ihn
ein und konnte es fast nicht ertragen.
Die
Erkenntnis seiner eigenen, grenzenlosen Einsamkeit fraß sich plötzlich wie
Säure durch seine äußere Schutzschicht mitten hinein in seine Eingeweide. So
etwas Intensives hatte er noch nie gefühlt. Erschrocken wich er zurück.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
„Jim, es
tut mir leid wegen deiner Familie, aber sie werden es
verstehen. Du erfüllst eine wichtige Aufgabe. Wir alle tun das. Kannst du das
nicht akzeptieren?“, fragte er leise und versuchte dabei mit aller Gewalt
seinen eigenen, inneren Tumult nieder zu ringen.
„Meine
Familie? Verdammt! Deswegen wollte ich doch mit der Seherin sprechen. Damit sie
mir sagt, woher ich wirklich komme. Stattdessen werde ich hier eingesperrt.
Angeblich zu meinem Schutz, damit ich irgendein Opfer bringe“, schleuderte Jim
wütend zurück.
Dieses
Geständnis verblüffte Spock. Dass auch dieser Mann keine Vergangenheit hatte,
konnte kein Zufall sein.
Als
keine Antwort kam, blickte Jim wieder nach draußen und verschränkte seine Arme.
Wütend und trotzig schaute er auf die weit unten liegenden, staubigen Ebenen.
„Und was passiert, wenn ich mich einfach weigere?“
Spock
schaute auf den abweisend abgewandten Rücken vor ihm. Türkisblaues Licht über
der Wüste schien durch die steinernen, runden Fenster und gab der Szene etwas
Unwirkliches. Seit er im Tempel war, hatte es nichts gegeben, das ihn länger
als ein paar Sekunden ernsthaft berührt hatte. Erst die intensive Beschäftigung
mit dem tieferen Wesen der Runen hatte ihm in den letzten Wochen einen geistigen
Weg gezeigt, der ihn sehr angesprochen hatte. Er glaubte, endlich einen Sinn
für seine Existenz gefunden zu haben.
„Du
solltest mehr Respekt vor den Lehren der Alten Wächter vom Berg haben. Sie haben
uns durch die Runen ein Leben in Einklang geschenkt.“
„Ist das
so? Bist du mit dir im Einklang? Wie schön für dich. Ich bin es nämlich nicht.
Also, wovor soll ich Respekt haben?“ Jim drehte sich um und wandte sich mit
blitzenden Augen an Spock.
„Es ist
nicht sicher, was mit uns beiden passieren wird, aber wir werden Morgen eine
spirituelle Vereinigung eingehen. Am Tag des Äquinoktiums. Und danach wird sich
diese Welt erneuern und wir werden in Dankbarkeit verehrt werden.“
„Wir
beide werden uns spirituell ...? Oh, nein, nein, daraus wird nichts. Glaubst du
diesen Unsinn wirklich? Natürlich, du bist ja der Hohepriester hier. Aber warum
machst du das dann nicht mit der Ersten Seherin? Ihr wärt doch ein so schönes Paar.“ Jim musste bei der
Vorstellung beinahe lachen.
„Sie
bedauert sehr, dass sie nicht erwählt wurde.“
„Tatsächlich?
Tja, dumm gelaufen. Ich will jedenfalls zurück nach Lara und friedlich weiterleben.
Das wäre dann übrigens auch der erwähnte Einklang für mich.“ Auf eine verdrehte
Weise tat es Jim gut, endlich seinem Ärger auf diese Weise Luft machen zu
können.
„Das ist
nicht wahr! Die Runen wissen mehr als wir. Es gibt einen Grund, dass sie gerade
dich ausgewählt haben. Und ich spüre so etwas wie eine Anziehung zwischen uns,
etwas Vertrautes. Wir müssen uns schon einmal begegnet sein. Spürst du das
nicht auch?“
Ohne
sich dessen bewusst zu sein, ergriff Spock schmerzhaft Jims Oberarme und fuhr
eindringlich fort: „Du musst dich nur öffnen, dann spürst du es auch. Wir haben
mehr gemeinsam, als du denkst. Du bist aus einem ganz bestimmten Grund für mich
bestimmt worden.“
Vollkommen
überrumpelt und zugleich erschrocken über die deutlich überlegene Kraft und
Entschlossenheit Spocks, wagte Jim es nicht, sich zu wehren. Ihm wurde in
diesem Moment bewusst, wie hilflos und allein er eigentlich war. Keiner würde
ihm zu Hilfe kommen. Sein Leben schien ihm seit diesem schicksalhaften
Runenwerfen nicht mehr zu gehören. Erstarrt wartete er ab, um den Seher nicht
noch mehr zu reizen.
Spock
suchte in dem maskenhaften Gesicht nach Antworten, aber Jim schien keinen
Widerstand mehr leisten zu wollen.
„Ich
werde dich beschützen. Es muss etwas
zu bedeuten haben. Ich fühle es ganz deutlich. Wir haben uns gesucht und
gefunden“, flüsterte er ihm heiser zu. Und eine dunkle Welle bis dahin
unbekannter Empfindungen durchflutete Spock, ohne dass er sich dagegen wehren
konnte.
Jim sah nur
die weit aufgerissenen, schwarzen Augen und die seltsam hochgezogenen
Augenbrauen. Erst jetzt erkannte er, dass es keine Mode war, sondern dass sie
wirklich so schräg gewachsen waren. Ohne zu wissen warum, suchte er nach weiteren
ungewöhnlichen Zeichen in dem kantigen Gesicht, aber außer einem vagen Gefühl,
dass es das Seltsamste war – außer seiner ungeklärten Herkunft – das ihm bisher
begegnet war, empfand er nur Verwirrung. Auch kein wirkliches Gefühl der
Bedrohung mehr.
„Das ist
alles ... zuviel. Ich weiß nicht, was ... ihr alle von mir wollt. Bitte lass
mich los.“
„Ich
weiß es genau, du bist ... Ich fühle etwas, du
bist die Antwort.“
Mit
einem tiefen Aufseufzen und ohne noch einmal über das in seiner Funktion
ungebührliches Tun nachzudenken, beugte sich Spock vor und versuchte ihn zu
küssen.
Vollkommen
überrascht ließ Jim es mit sich geschehen. Die fremden, schmalen Lippen fühlten
sich unerwartet weich an, als sie sinnlich über seine feuchte Haut strichen.
Überrascht öffnete er seinen Mund und die fremde Zunge suchte sofort Einlass.
Gleichzeitig rutschte Spocks rechte Hand tiefer um seinen Rücken und seine
Hüfte und drängte ihn fest an sich.
„Nein,
bitte nicht!“, murmelte Jim.
„Spürst
du es nicht auch? Wir gehören zusammen.“
„Ich
kann nicht.“
„Jim“,
bat Spock, kaum mehr Herr seiner Sinne.
Dann
legte Spocks seine linke Hand auf seine Wange und rieb mit langen Fingern auf
eine Art und Weise darüber, dass es Jim den Atem nahm.
Und doch
war es ein Übergriff - Gewalt. Jim wollte zurückweichen, auch wenn sich sein
Körper dem sinnlichen Überfall nicht verschließen konnte.
„Bitte
wehr dich nicht. Die Vereinigung ist uns doch bestimmt“, bedrängte Spock ihn
weiter, von dem fremden Körper wie berauscht.
„Nein,
Spock, das darfst du nicht ...“, flüsterte Jim schwach und schwankte unter dem
festen Griff.
„Du
wünschst es dir auch. Ich kann es sehen“, antwortete Spock heiser und ließ ihn
in eine komplette Umarmung gleiten.
Die aufgeladene
Hitze zwischen ihnen ließ Jims Lenden, trotz des dazwischen liegenden lockeren
Stoffs, in Flammen stehen. Sein Körper sehnte sich sofort nach mehr. Und für einen
kurzen Moment wünschte er sich, diesen Mann unter anderen Umständen
kennengelernt zu haben. Aber das alles hier ging ihm entschieden zu schnell.
„Was
machst du mit mir ...“
Jims
Knie begannen, weich zu werden. Die intime Nähe zu einem Mann, war genau das,
was er wirklich begehrte. Aber er hatte es bisher nie jemanden gesagt oder
gezeigt. Ja, nicht einmal er selbst hatte sich das so klar eingestanden.
Aber er
wollte selbst über den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Partner
entscheiden. Jedenfalls so lange, wie das noch in seiner Hand lag.
Schweratmend
schob er, die zudringlichen Arme von sich weg.
„Lass
mich bitte sofort los!“, rief er laut.
Und
Spock ließ ihn sofort frei.
Jim
bemühte sich mit aller Kraft, sich wieder zu beruhigen. So etwas wie das hier
durfte nie mehr wieder passieren, schwor er sich. Peinlich berührt, vermied er
jeden weiteren körperlichen Kontakt und wich bis ganz zur Brüstung zurück. Für
einen ganz kurzen Moment hatte er in Spocks Augen einen tiefen See von Begehren
und unerfüllter Sehnsucht gesehen. Das war aber schnell wieder einer eisigen
Kälte gewichen.
Auch Spock
hatte Jims sinnlichen Gesichtsausdruck gesehen, aber durch die deutliche Abwehr
schlagartig ernüchtert worden. Etwas Unbekanntes, ein innerer Dämon, hatte sich
seiner bemächtigt gehabt und seine bis dahin perfekte Selbstbeherrschung
durchbrochen. Er verstand selbst nicht, was wirklich der Auslöser hierfür
gewesen war und zog sich sofort in sein inneres Gefängnis zurück.
„Das
nennt man übrigens eine Vergewaltigung und ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas
passieren könnte“, sagte Jim kühler zu Spock, als er sich fühlte.
„War es
das wirklich? Hast du das wirklich so empfunden?“ Spocks Stimme klang, als wenn
nichts vorgefallen wäre. Er hatte sich wieder vollständig unter Kontrolle.
Jim
wusste nicht, ob er Spock in Wirklichkeit zärtlich umarmen oder doch eher brutal
schlagen wollte. Am Schluss überwog das Gefühl, nicht mehr Herr seines
Schicksals zu sein.
„Es ist
besser, wenn du sofort den Raum verlässt“, forderte er den Seher mit harter
Stimme auf.
Spock
hätte fast gehorsam genickt und war darüber selbst am meisten erstaunt. Als
hätten sich für einen Moment ihre Machtverhältnisse schlagartig geändert.
„Morgen früh
werden wir zusammen zu dem Ort unserer Bestimmung geführt. Halte dich bereit.“,
teilte er, frei von erkennbaren Emotion mit. Ohne noch ein weiteres Wort zu
verlieren, verließ Spock den Raum.
Erschöpft
und seine Hände wie schützend vor seinen Körper ballend, sackte Jim wenig später
erschöpft auf seinem Bett zusammen. Der Himmel hatte inzwischen eine blassgelbe
Färbung angenommen und die flirrende Hitze des kommenden Mittags drang bereits
durch die offenen Fensterluken.
*
„Wie
kann es sein, das so ein Dahergelaufener aus der weißen Stadt meinen Platz
einnimmt!“, schrie T´Pring ihm zwischen den Säulen zu.
„Und ich
habe ihn auch noch dazu gemacht!“
Ganz
außer sich lief sie mit aufgelösten Haaren immer wieder um den Tisch herum. Sie
hatte mit Freuden auf alles verzichtet, ihr ganzes Leben geopfert. Nur um ein
perfektes, machtvolles Werkzeug für die Runen zu werden. So, wie es die Alten
Wächter vom Berg gewollt hatten. Und sie hatte sie nicht enttäuscht. Aber jetzt
war sie wie ein kaputtes Spielzeug an die Seite geschoben worden. Als hätte das
alles nie eine Bedeutung gehabt.
T´Pring
hatte nach dem großen Orakel keinen Moment mehr Ruhe gefunden und die ganze
Nacht immer wieder die Steine um Rat gefragt. Die Enttäuschung hatte ihr fast
den Verstand geraubt. Wütend griff sie nach den erstbesten Steinen und
schleuderte sie quer über den Tisch. Laut knallend wie Gewehrkugeln schlugen
sie im ersten Morgenlicht auf dem Steinboden auf.
Stonn
zuckte bei dem ungewohnten Geräusch erschrocken zusammen. „Es waren die Runen.
Es liegt nicht in unserer Hand, aber es wird einen wichtigen Grund geben, warum
sie so entschieden haben“, versuchte er sie zu beruhigen.
„Es ist
falsch! Ich bin die Erste! Mir gebührt die Ehre, unserer Welt die Erneuerung zu
schenken. Die Runen haben einen Fehler gemacht.“ Voll wütender Verzweiflung
überschlug sich ihre Stimme.
„T´Pring,
sag so etwas nicht. Versündige dich nicht an unserem Glauben.“
„Aber
wie konnten sie mir das antun? Mir? Ich habe ihnen mein ganzes Leben geweiht.“
„Ja, T´Pring.
Aber vielleicht haben die Runen noch etwas anderes mit dir vor.“
„Und du,
wärst du nicht gern an meiner Seite gegangen? Leidest du nicht mit mir?“, überging
sie seinen Einwand.
„Oh
T´Pring, du weißt, ich verehre dich. Ich liebe dich. Ich würde alles für dich
tun. Aber ich bitte dich, akzeptiere die Orakel.“ Stonn kniete sich plötzlich
vor sie hin und versuchte, ihre Hand festzuhalten.
Überrascht
blieb sie stehen und schien ihn zum ersten Mal richtig wahrzunehmen.
„Ich
kann es nicht, Stonn. Und wenn du mich wirklich so liebst, dann sorge dafür,
dass dieser Fehler korrigiert wird. Lass diesen Abgesandten der weißen Stadt
noch kommende Nacht für immer verschwinden. Dann können wir morgen in aller
Frühe ein neues Orakel werfen und vielleicht darfst du dann auch an meiner
Seite gehen“, erwiderte sie mit einer plötzlich einschmeichelnden Stimme und
einem gleichzeitig grausamen Lächeln. Ihre ganze Persönlichkeit schien sich mit
einem Schlag verändert zu haben.
„T´Pring,
das wäre die Erfüllung meines Traums. Aber das dürfen wir nicht."Stonn
fühlte sich Hin und Her gerissen und seine Stimme zitterte unsicher.
Aber
T´Pring zog ihn zu sich hoch und verschloss ihm mit einem leidenschaftlichen
Kuss die Lippen. Endlich erlebte er das, worauf er schon seit seiner frühesten
Jugend gehofft hatte. Seine Göttin ließ sich zu ihm herab und führte ihn in ihr
Schlafgemach. Er würde der erste Mann in ihrem Leben sein.
Als
viele Stunden später T´Pring erschöpft an seiner Seite schlief, schlich er sich
unbemerkt aus ihrem Bett und versuchte im großen Orakel-Raum zu verstehen, was
gerade mit ihm geschehen war.
Mit
verschleierten Augen schaute er auf den im ersten Sonnenlicht glänzenden Tisch
und dabei liefen ihm immer neue, heiße Tränen über das Gesicht.
*
Am Abend
waren endlich die meisten Vorbereitungen für den nächsten Morgen abgeschlossen
und die vielen Besucher und Helfer auf das große Ereignis eingestimmt worden.
Stonn
hatte die Hauptverantwortung, denn T`Pring verließ ihr Schlafzimmer nicht mehr.
Sie wollte darauf warten, dass Stonn ihr die Nachricht von Jims Tod brachte.
Aber er fühlte sich die ganze Zeit wie in Trance und versuchte immer wieder
einen klaren Gedanken zu fassen. Im abendlichen Dämmerlicht suchte er dann den
ersten Berater des Tempels auf.
„Spock,
ich muss dringend mit dir sprechen“, sprach er ihn direkt an, als er ihn
endlich auf einer Dachterrasse gefunden hatte.
„Stonn,
natürlich. Gehen wir hier hinein“, antwortete Spock sofort. Den ganzen
Nachmittag hatte er sich zurückgezogen. Das Erlebnis mit Jim war ihm nicht aus
dem Kopf gegangen. Er konnte jedoch zu keiner vernünftigen Erklärung kommen. Sein
eigenes Verhalten erschien ihm mit zunehmendem Abstand immer unverständlicher.
Die
beiden Tempelvorsteher betraten einen kleinen Aufenthaltsraum und setzen sich
dort auf gepolsterte Holzstühle. Spock fielen die erschöpften Gesichtszüge auf
und ihm wurde schlagartig klar, dass Stonn zur Zeit
die Hauptarbeit leistete.
„Ist
alles, wie es sein sollte? Sind die Besucher zufrieden?“, fragte er mitfühlend.
„Natürlich
und es werden immer mehr, die bei dem großen Ereignis morgen mittag
unsere Nähe suchen.“
„Das
freut mich und ich hoffe T´Pring ist auch stolz auf ihr Werk. Bedauerlich, dass
ich sie gerade jetzt nicht mehr sprechen kann.“ Spock hatte es mehrfach
versucht, aber sie hatte ihn jedes Mal abgewiesen.
„Ja,
bedauerlich.“
„Stonn,
sage es mir ehrlich. Ich glaube, ich habe ein Recht darauf. Was ist los?“,
drängte Spock ungeduldig werdend, als er Stonns Zögern bemerkte.
„Spock.
Wir Beide haben uns nie wirklich gut verstanden. Auch du bist immer ein loyaler
Diener der Runen gewesen. Aber T´Pring zweifelt das Orakel an und möchte es
verändern.“ Leise flüsternd, schaute sich Stonn nach heimlichen Lauschern um.
„Das
geht nicht. Das ist unmöglich. Die Runen sind geworfen.“ Spock erstarrte.
„Das
stimmt, aber sie glaubt, dass die Wahl dieses Abgesandten aus der weißen Stadt
ein Irrtum war, sie irgendwie abgelenkt war, dass er verschwinden muss, um den
Fehler zu korrigieren“, erklärte Stonn hastig.
„Er soll
verschwinden?“, begann Spock, zu begreifen.
„Ja,
Spock. Sie will selbst die Erwählte sein. Und glaube mir, ich hätte es ihr
gewünscht, dass sie diese Ehre erhält. Aber die Runen haben anderes für sie vorgesehen.
Sie soll nicht diejenige sein, die mit dir einen gemeinsamen Weg beschreitet.“
„Und die
Runen hatten recht. Der Gesandte von Lara ist es. Ich habe es selbst gesehen.
Aber was hat sie vor? Will sie das Orakel etwa infrage stellen?“
„Bist du
dir wirklich sicher, dass der aus Lara der Richtige ist?“, fragte Stonn mit
ernstem Nachdruck.
„Ja, ich
habe es mit eigenen Augen gesehen.“
„Also
gut. Dann scheint es also mein Schicksal zu sein, meine Herrin zu verraten.“
„Wovon
sprichst du?“
„Spock,
ich kenne die Prophezeiung der Alten Wächter vom Berg.“
„Du hast
die Prophezeiung gelesen?“
„Wenn du
willst, zeige ich sie dir und dann kannst du entscheiden, ob du wirklich mit
ihm den Weg der Runen gehen willst.“
„Ich
will es lesen.“
Stonn
stand auf und Spock folgte ihm über verschachtelte Treppen und Flure in die
große Tempelbibliothek. Dort angekommen öffnete Stonn eine weitere, Spock
unbekannte Seitentür. Dahinter lag auf einer Art Altar eine Rolle in einem goldenen
Tuch. Spock nahm das Pergament entgegen und entfaltete es:
Sternzeit
3134,0
Wenn Sonne und Mond zusammenfallen,
die Gesetze von Sommer und Winter sich vermischen, Hell und Dunkel sich in
Balance bewegen, dann beginnt das neue, goldene Zeitalter und für euch beide
ist endlich die Zeit des Abschieds gekommen. Die heiligen Steine werden euch
sagen wann. Hört auf sie und folgt mir nach. Aber vergesst eines nicht: Nur
vereint könnt ihr beide das große Ziel erreichen.
McCoy
„Das ist
die ganze Prophezeiung?“, fragte Spock erstaunt.
„Es
steht doch alles darin, was wir wissen müssen. Die Übersetzer haben sich große
Mühe mit seiner Voraussage gegeben. McCoy war ein weiser Prophet. Die Alten
Wächter vom Berg berufen sich noch heute auf ihn. Er hat bis zu seinem
plötzlichen Verschwinden wahre Wunder vollbracht und als Erster damit begonnen,
die Zukunft zu deuten. Die Runen kündigen schon seit einiger Zeit für dieses
Jahr große Veränderungen für uns an. Sonne und Mond werden sich wieder
vereinigen. Und das soll auch in der Zeit unseres großen Propheten passiert
sein. Die erwähnten Sternzeit-Zahlen sind natürlich die verschlüsselten
Koordinaten für den richtigen Ort und jedes Jahr im Herbst und im Frühjahr
vermischen sich die Gesetzte von Sommer und Winter. Und ab morgen mittag ist hell und dunkel für einen Tag in Balance“,
erklärte ihm Stonn geduldig.
„Das
Äquinoktium. Aber warum zeigst du mir das jetzt schon?“
„Ihr beide
müsst sofort fliehen. Wir wussten ja nicht, wer die Erwählten sein sollten.
T´Pring hat immer alles nur auf sich bezogen. Es war ein schrecklicher Irrtum.
Aber sie will diejenige sein, welche die Prophezeiung erfüllt. Und wenn sie
bemerkt, dass ich ihre Wünsche nicht erfülle, wird sie noch heute Nacht jemand
anderes finden, der Laras Abgesandten töten wird. Es tut mir leid, aber uns
bleibt nicht mehr viel Zeit“, drängte Stonn.
Spock
nickte nur und sie eilten auf Jims Räume zu.
*
„Nein,
nein und nochmals nein! Da mache ich nicht mit. Ich fliehe nicht mitten in der
Nacht aus dem Tempel, um irgendwohin in die Wüste zu gehen. Warum sollte ich
auch?“
Mit verschränkten
Armen wich Jim vor Spock und Stonn zurück. Er hatte stundenlang an Fluchtplänen
gearbeitet und plante sich im Dunkeln an einem langen Betttuch abzuseilen. Für
diese Aktion gab er sich zwar kaum eine Überlebenschance, aber diese
Vorstellung war ihm immer noch lieber, als die angedrohte, öffentliche
Opferung, über die er nicht genauer nachdenken wollte. Wie ertappt war er
zusammen gezuckt, als die beiden ohne anzuklopfen in seine Räume eingedrungen
waren.
„Und
schon gar nicht mit dir. Wer weiß, wohin ich gebracht werden soll, um
vielleicht noch mehr deiner perversen Gelüste zu befriedigen“, wandte sich Jim
direkt an Spock.
Stonn verfolgte
irritiert das Gespräch. Irgendetwas ihm Unbegreifliches musste in den letzten
Stunden zwischen den beiden Männern passiert sein.
„Abgesandter,
bitte hör’ uns an. Dein Leben ist in Gefahr. T´Pring trachtet dir nach deinem
Leben. Sie will unbedingt an deiner Stelle sein“, beschwor ihn Stonn.
„Oh
bitte, sag ihr, in dieser Sache stelle ich mich gerne wieder hinten an.“ Jims
Stimme troff zwar vor Sarkasmus, aber eigentlich war er voller Panik. Jetzt
wollten sie ihn sogar ermorden.
„Jim! Es
ist keine Zeit mehr für Scherze. Ich bitte dich, komm’ jetzt mit mir mit. Wir
haben eine gemeinsame Mission zu erfüllen“, beschwor Spock den Widerstrebenden.
„Was
soll das alles? Ich habe es mir nicht ausgesucht. Wir sollen geopfert werden,
richtig? Dir scheint das ja alles nichts auszumachen, aber ich will wieder als
freier Mann meiner Wege gehen können. Mehr verlange ich nicht.“
„Jim,
hör’ bitte auf dein Gefühl“, bat Spock ihn leise und eindringlich.
„Ich bin
mir nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre. Im Moment versuche ich mir gerade
vorzustellen, was du noch alles mit mir vorhaben könntest.“ Jim musterte ihn
mit herausforderndem Blick und Spock konnte nicht anders, als verlegen seine
Augen zu senken.
„Jim,
auch wenn du mir vielleicht nicht traust, aber bitte, höre auf Stonn“, legte
Spock seine ganze Überzeugungskraft in seine Stimme.
„Abgesandter
Jim, wir sollten uns beeilen. T´Pring wird jeden Moment nach mir rufen und
fragen, ob ich mein Werk vollendet habe. Ihr müsst sofort fliehen“, mischte
Stonn sich auf das Stichwort hin sofort wieder ein.
„Du
meinst das wirklich ernst? Du solltest mich wirklich töten?“, fragte Jim an
Stonn gewandt.
„Bitte, hasst
sie nicht dafür. Sie hatte ihr Leben darauf eingerichtet, an Spocks Seite die
Prophezeiung zu erfüllen. Sie wäre für unser aller Wohl zu jedem Opfer bereit
gewesen. Es sind ehrenwerte Motive, die sie antreiben, aber sie hat die Zeichen
falsch gedeutet und immer alles nur auf sich bezogen. Aber es ist unbedingt
notwendig die Prophezeiung richtig zu erfüllen, damit das Rad des Schicksals
uns am Ende nicht alle zermalmt.“
„Spock,
ich bin mir nicht sicher, ob ich dir vertrauen kann“, sagte Jim unsicher.
„Jim,
was kann ich tun, damit auch du weißt, dass uns ein ganz besonderes Band
miteinander verbindet?“ Spock versuchte so etwas wie eine Verbindung zu Jim zu
finden, aber er sah nur Angst und Unsicherheit in dessen Augen.
„Also
gut. Wie ich das im Moment sehe, ist es letztendlich völlig egal, ob ich hier
durch einen hinterhältigen Anschlag sterbe oder mich auf ein Experiment mit
einem Hexenmeister mit ungewissem Ausgang einlasse. Also los. Auf ein letztes
Abenteuer“, antwortete Jim scheinbar leichthin. Er sah keinen anderen Ausweg
mehr.
Hexenmeister? Spock schluckte eine spontane
Antwort herunter. So war er noch nie genannt worden. Aber er beschränkte sich
auf ein knappes Nicken. Die Zeit lief ihnen davon und er wandte sich an den
wartenden Stonn.
„Ich
danke dir und ich stehe tief in deiner Schuld. T´Pring gehört zu dir. Dein
Opfer werde ich nie vergessen. Aber es wird ganz sicher der Tag kommen, an dem
auch T´Pring erkennen wird, dass ihre Erfüllung nur an deiner Seite liegt. Wir
wissen nicht, was die Runen für uns beide am Ende bereit halten.
Aber wir alle haben unseren Weg zu gehen.“
„Ich
danke dir für deine Worte, Spock.“ Stonn zog sich zurück. Die kommenden Stunden
würden noch seine ganze Kraft brauchen.
*
FEH = obwohl
sie am Ende der Runenreihe steht, ist sie nicht das
Ende,
sondern ein neuer Anfang. Sie ist die Macht des Austausches.
Schon
schwer um Atem ringend, kletterte Jim die letzten Felsvorsprünge hinab. Am Fuß
der Klippen wurde er bereits von einem besorgt um sich blickenden Spock
empfangen, der die letzten Reste des Hanfseils aufrollte und in einer
Felsspalte versteckte.
Im
Tempel selber hatte Spock durch Stonn von einem geheimen Ausgang erfahren und
wegen ihrer tief ins Gesicht gezogenen Kutten waren sie von keinem der vielen
Diener und Tempelbesucher erkannt worden. Auf den Klippen schützte sie
trockenes Gestrüpp und bis jetzt hatten sie auf dem abschüssigen Abstieg noch
keine Aufmerksamkeit erregt. Sie wagten es trotzdem nicht, Lampenstäbe zu
benutzten. Glücklicherweise wies ihnen ein heller Mond den Weg.
Hoch
über ihnen schmiegte sich auf einer Felskappe der Tempel mit seiner mächtigen
Haupthalle und den mehrstöckigen Seitentürmen. Von hier unten konnten sie noch
die erleuchteten Fenster und die flackernden Lichter auf den offenen Steinbalkonen
erkennen. Hinter einer der breiten Balustraden meinte Jim einen eilig hin- und
herlaufenden Schatten zu erkennen, aber es war schon zu weit weg, um noch Genaueres
erkennen zu können.
Vor
ihnen erstreckte sich die mit nur wenigen niedrigen und vertrockneten Büschen
bewachsene Ebene.
„Hier
gibt es nur wenig Deckung. Ich hoffe, du weißt, wohin wir gehen müssen?“,
fragte Jim besorgt. Soweit das Auge reichte, gab es nur Wüste um sie herum und
nach Lara zu fliehen, geriet in immer weitere Ferne.
Wenn sie
auch dort sein Opfer für so wichtig hielten, konnte er sowieso nicht mehr zurück.
Sie würden ihn für einen ängstlichen Schwächling halten und wieder
zurückbringen. Und das wollte er Hodin und auch Odona nicht antun.
„Natürlich“,
unterbrach Spock seine Überlegungen.
„Und was
uns da erwartet? Was wir dann tun müssen? Weißt du das auch?“, traute er sich,
zum ersten Mal genauer nachzufragen.
„Nein,
aber wir werden es sofort erkennen.“
„Du
scheinst dir da ja ziemlich sicher zu sein.“ Jim war verblüfft. Spock schien
sich das Ende ihrer Reise kaum Gedanken zu machen. Nun, dann würde er das eben
auch nicht mehr tun.
„Natürlich,
Jim. Aber jetzt sei still.“
Schweigend
machten sie sich auf den Weg in die trockene Wüste und nutzten zur Tarnung
jedes Gestrüpp in ihrer Richtung. Stonn hatte ihnen noch Wasser und schützende
Umhänge besorgt - und die Vorstellung alleine von hier fliehen zu wollen,
erwies sich jetzt als reines Wunschdenken.
Noch vor
wenigen Tagen war er voller Hoffnungen von Lara aufgebrochen und erfüllt von
Vertrauen auf die Kräfte der Seherin gewesen. Und jetzt war er auf der Flucht
mit einem Mann, der ihm ... Jim merkte, wie er wieder wütend wurde. Vor allem
auf seine eigene Naivität. Er musste es aussprechen, loswerden. Es gab nichts mehr,
auf das er jetzt noch Rücksicht nehmen brauchte.
„Wenn du
angeblich so oberschlau bist, dann kannst du mir sicher auch sagen, was das gestern
sollte? Ich weiß ja nicht, ob du das immer bei deinen Gästen im Tempeln machst.
Vielleicht findest du das ja auch vollkommen normal, aber ich bin das einfach
nicht gewöhnt, dass man mir so ...“ Jims Stimme triefte vor Sarkasmus, aber
sein verletzter Stolz schimmerte dennoch deutlich durch.
„Bitte,
hör’ sofort damit auf.“ Spock drehte sich um und versperrte ihm den Weg. „Bitte
glaube mir, Jim. Ich habe so etwas vorher noch nie getan. Noch nie. Du bist der
Erste, den ich überhaupt jemals in meinem Leben mit meinen Händen berührt habe.
Aber es erschien mir in diesem Moment vollkommen natürlich, als wäre es etwas ganz
Selbstverständliches. Ich kann es dir nicht besser erklären. Es tut mir leid,
wenn ich dich damit verletzt habe“, beschwor er ihn.
„Du hast
noch nie? Noch nie ...?“ Sprachlos starrte Jim ihn an.
„Es
stimmt. Aber lass uns nicht weiter darüber reden. Wir haben eine wichtige
Aufgabe vor uns und müssen bis zur Mittagszeit den Ort erreicht haben.“
„Wie du
meinst“, antwortete Jim noch ganz verwirrt. Aber in seinen Gedanken stellte er
sich immer wieder die Szene an der Fensterbrüstung vor und fragte sich dabei,
was Spock mit dem Wort natürlich
gemeint hatte. In gewisser Weise war es ihm ja auch so vorgekommen. Aber das
war ja unmöglich. Wahrscheinlich hatte Spock ihn irgendwie mithilfe dieser
Runen verhext und er hatte sich deshalb nicht wehren können.
Weil sie
immer häufiger auf steile Felsen hinauf und wieder hinab klettern mussten,
wurde der Fußmarsch immer beschwerlicher. Auch reduzierte sich das mitgenommene
Wasser schon bedenklich und mit anbrechendem Tageslicht und dem zunehmenden
Gleißen der Sonne verschwammen gleichzeitig auch Jims Gedanken immer mehr.
„Ich
habe schon lange nicht mehr an Odona und auch nicht an Hodin gedacht. Dabei
sind sie doch immer so etwas wie meine Familie gewesen“, dachte er laut nach.
“Natürlich sind sie nicht meine wirkliche Familie gewesen, aber es fühlte sich
fast so an.“
Spock
warf einen kurzen Blick auf seinen Begleiter. Mit seinen scharfen Augen suchte
er wieder den Horizont ab. Er war sich sicher, dass T´Pring ihre Flucht
inzwischen schon bemerkt haben musste. Aber alles blieb ruhig. Sie beide an den
Ort der Bestimmung zu bringen, war seine wichtigste Aufgabe.
„Ich
kenne meine wirkliche Familie auch nicht“, antwortete er fast automatisch.
„Wirklich
nicht? Aber wie kann das sein?“, fragte Jim, von diesem Geständnis aus seinen
eigenen, trübsinnigen Gedanken gerissen.
„Eines
Tages wurde ich in der Wüste gefunden, fast verdurstet. Ich habe wohl aus einem
mir unbekannten Grund mein Gedächtnis verloren.“
„Oh, das
ist ja genauso wie bei mir. Ich habe alles versucht, aber ich bin auch von
niemandem vermisst worden“, antwortete Jim bitter.
Spock
blickte auf, als er die Trauer heraus hörte. Es klang wie ein Widerhall seiner
eigenen Einsamkeit. „Es scheint, dass uns noch einige Dinge mehr verbinden, als
ich dachte. Ich bewundere die Weisheit der Runen.“
Jim sah
zu ihm herüber. Spock schien, eine von höheren Prinzipien überzeugte Person zu
sein. So ganz anders, als er selbst. Aber es wirkte nicht abschreckend. Seine
Wut auf ihn verrauchte immer mehr. Spock wirkte immer so überzeugt in dem, was
er tat. Vielleicht, wenn Spock ihn vorher gefragt hätte ... Er konnte es sich
nicht erklären, aber er fühlte sich seltsamerweise auch zu Spock hingezogen. Es
war wie der Nachhall aus einem Traum, aus dem er bereits aufgewacht war.
Scheinbar noch zum Anfassen nah und doch in der nächsten Sekunde schon
meilenweit entfernt. Aber es fühlte sich gut und richtig an. In einer anderen
Welt, zu einer anderen Zeit ...
„Spock,
ich möchte dir etwas sagen ...“
„Nicht
jetzt Jim, wir werden verfolgt.“ Mit einer entschlossenen Bewegung zog Spock
ihn plötzlich tief hinter ein dichtes Gebüsch. Dahinter lag eine natürliche
Höhle und er legte sich mit seinem ganzen Körper schützend über ihn.
„Sie
suchen uns. Aber offensichtlich kennen sie nicht die genauen Koordinaten“,
flüsterte er Jim leise zu.
Dann
hörte auch Jim die Reiter heranpreschen. Es waren drei an der Zahl und sie
waren auf der Suche. Jim konnte unter Spocks Körper kaum etwas erkennen und hörte
nur dumpf die Rufe und das Getrappel der Hufe. Er spürte den Herzschlag und das
Gewicht dieses Orakelpriesters über sich und entdeckte dabei immer mehr
auffällige Merkmale an Spocks Gesicht. Zum Beispiel musste da etwas Seltsames
unter seinen Haaren sein. Durch die heftige Bewegung sah er unter den
schulterlangen, schwarzen Strähnen plötzlich einen hellen Streifen aufblitzen.
Spocks Ohren waren unnatürlich lang und spitz, stellte Jim verwundert fest.
Aber diese Fremdartigkeit erschreckte ihn nicht, sondern löste ein ganz
seltsames, fast erregendes Gefühl aus. Am liebsten hätte er die Ohrspitze berührt.
Wenige
Momente später gaben die Reiter ihre Suche auf und eilten auf ihren Rössern
wieder in eine andere Richtung.
„Alles
in Ordnung, Jim?“, fragte Spock besorgt und schien sich plötzlich des nahen Körperkontakts
bewusst zu sein. Hastig erhob er sich wieder.
„Ja, mir
ist nichts passiert. Du bist nur etwas schwer.“
„Entschuldige
bitte.“ Mit seinen Händen klopfte Spock den Staub von seinem Mantel.
„Warte.“
Auch Jim rappelte sich auf.
Verblüfft
drehte sich Spock wieder zu ihm um.
Dann
hielt Jim ihn plötzlich am Kragen seines Umhangs fest. „Bevor ich es vergesse,
ich wollte dir nur sagen, das ich ... also, es war schon okay, dass du ... Ich
verzeihe dir… “ Aber, als er versuchte, ihn noch näher an sich heran zu ziehen,
entzog sich Spock und ging schnell auf ihren Pfad zurück.
„Jim,
wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wir müssen uns beeilen. Es ist bald
Mittag.“ Spock wagte es nicht noch einmal sich umzudrehen. Er deutete das bei
sich als ein Zeichen, dass die Erfüllung der Prophezeiung sich näherte. Aber es
war noch zu früh.
„Verdammt.“
Jim rappelte sich hoch und zog den eigenen Mantel wieder zu. „Warum geht es nie mal so, wie ich das gerade will?“, murmelte er kaum hörbar in sich hinein.
Spock war aber schon weit voraus geschritten und er wollte in dieser Einöde
nicht allein zurückbleiben.
„Warte
ich komme!“, rief er hinterher und eilte schnell wieder an Spocks Seite.
Wenig
später war die Sonne fast im Zenit und sie hatten den durch die Koordinaten
angegebenen Platz erreicht.
*
SOL =
diese Kraft bewegt den sie umgebenden Raum und bewirkt
ungewöhnliche
Geschehnisse. Sie ist eine Rune der Bestimmung - der
Bestimmung
der Seele – sowie der Hoffnung und des letztendlichen
Erfolges.
„Und was
ist jetzt? Worauf warten wir noch?“ Total erschöpft, ließ Jim seine Tasche in
den Staub fallen. Spock schien erstaunlicherweise unter den Auswirkungen des mörderischen
Wüstenklimas nicht zu leiden. Aber sie hatten fast keine Pausen eingelegt und
Jim konnte kaum noch auf seinen Beinen stehen.
„Auf den
richtigen Zeitpunkt.“
„Und was
dann? Tut mir leid, aber es fällt mir schwer, einfach so herumzustehen. Und vielleicht
schon in der nächsten Sekunde tot umzufallen. Was sowieso schon gleich vor
lauter Müdigkeit passieren wird.“
Als Jim
aber den gequälten Blick Spocks sah, murmelte er nur noch leise: „Du bist ein
Tempelpriester, aber ich wusste bis vor ein paar Tagen fast nichts von dem
Ganzen hier.“
„Ein
Tempelpriester? Kein Hexenmeister, mehr?“ Spock musste wieder Willen lächeln.
„Aber du hast recht, Jim - und ich wünschte, ich hätte
mehr Zeit gehabt, dir die Schönheit der Runen zu zeigen.“
Spock
schaute über den Rand einer unzugänglichen Schlucht. Die Koordinaten hatten
genau diesen Platz angegeben. Auch die Sonne war fast im Zenit. Aber er konnte
nichts Ungewöhnliches erkennen. Es gab nur Steine und trockenes Holz. Jim
stellte sich neben ihn. Und sie schauten gemeinsam in die Tiefe.
„Spock,
wie war eigentlich das Leben für dich in dem Tempel? War es das, was du
wirklich immer wolltest?“, fragte Jim ihn nachdenklich.
„Nun,
ich hatte meine Aufgabe und die hat mich vollständig erfüllt.“
„Aber?“
„Es gibt
kein aber.“
„Also in
gewisser Weise habe ich auch eine Aufgabe gehabt. Odona hat mich geliebt und
ihr Vater hatte Großes mit mir vor, aber so richtig glücklich war ich trotzdem
nicht. Auch wenn ich es niemanden gezeigt habe. Irgendetwas hat mir immer
gefehlt.“
„Jim,
ich vertraue den Runen. Sie haben nie etwas Falsches gesagt. Und sie sagen,
dass wir der Prophezeiung folgen müssen.“
„Ich
kann es nicht erklären, aber ich vertraue dir. Aus welchem Grund auch immer.“
„Jim?“
„Ja?“
„Darf
ich dich noch einmal berühren?“
Jim war
von dieser Bitte seltsam berührt. Spock hatte ihn diesmal vorher gefragt und
nach der Sehnsucht in seinen Augen zu urteilen schien ihm im Moment auch
wirklich nichts wichtiger zu sein. Die letzten beiden Tage hatten ihn emotional
mehr bewegt als alles, was davor gewesen war. Sein Leben war bis dahin ein
ruhig plätschernder Bach gewesen und jetzt trieb er auf einem reißenden Strom
auf den Abgrund zu.
Aber das
machte ihm keine Angst mehr. Im Gegenteil, es stimulierte ihn geradezu. Wenn
Spock beschlossen hätte, sich jetzt zurückzuziehen, wäre er ihm vermutlich
hinterher gelaufen.
„Vielleicht
musste das alles so sein und das sind wirklich unsere letzten Minuten auf
dieser Welt. Wir haben etwas gemeinsam, wir sind beide in gewisser Weise Fremde
hier. Ich kann mir keinen besseren Abschied vorstellen, als jetzt mit dir
zusammen zu sein“, antwortete er in die Stille hinein.
„Oh,
Jim. Sei mein und sei es nur für diesen Moment.“ Vorsichtig näherte sich Spock
und küsste ihn zart auf die Wange.
Jim
öffnete seinen Mund und Spocks feuchte Innenhaut fuhr über seine vom Wind
spröde gewordenen Lippen. Jim stöhnte, als er diese Mischung aus Wärme,
Feuchtigkeit und Zartheit als einen fast unerträglichen Reiz auf seiner Haut
spürte. Da war es wieder, dieses Feuer, das so heftig in seinem Unterleib gebrannt
hatte, als Spock ihn im Tempel umarmt hatte.
Er sog
an der feuchten Zunge, die tief in ihn eindrang und genoss das immer noch überraschende
Gefühl fremder, männlicher Haut auf seinem Gesicht. Ohne weiter darüber nach zu
denken, umarmte er Spock und zog ihn näher an sich heran. Als sich ihre Lenden
berührten, spürte er etwas sehr Hartes auf seine Leiste drücken und überwältigt
von den Gefühlen, die durch seinen Körper schossen, presste er Spocks Körper
ganz fest an sich. Sein ganzes körperliches Sehnen schien sich auf diesen einen
Punkt zu konzentrieren.
„Oh
Spock, Spock. Es erregt mich so sehr. Ich wünschte, wir hätten uns früher ...“
Jetzt fühlte es sich auch für ihn nur noch gut und richtig an.
„Jim,
bedaure nicht, was vergangen ist. Das Jetzt
wiegt schwerer, als alle Zeit davor. Wir haben uns endlich gefunden.“ Mit einer
leidenschaftlichen Bewegung vergrub Spock seinen Kopf auf der breiten Schulter.
Noch einmal sog er den ihm seltsam vertrauten Geruch tief in sich hinein. Wie
ein Verdurstender ließ er sich von seinen ihn überwältigenden Gefühlen
durchfluten und biss kleine Male der Leidenschaft in Jims Halsansatz. Er
wünschte sich nichts sehnlicher, als jetzt tief in Jim einzudringen.
Atemlos
suchte er einen Weg unter Jims Kleidung. Seine Hände glitten über die nackten
Schulterblätter und er umfasste sie. Aber er konnte sich nicht mehr länger
beherrschen und seine Hände rutschten immer tiefer über den seidigen Rücken.
Mit einer besitzergreifenden Geste umfasste er dann das runde Hinterteil und
presste sich reibend dagegen. Vor Erregung zitternd reagierte Jim sofort auf
seine eindeutigen Bewegungen und beide stöhnten vor Lust laut auf.
Von
ihnen unbemerkt zog die Sonne weiter ihre Bahn und in der Schlucht begann am
Grund des Bodens ein undefinierbares Wabern. Erst noch klein und im Dunkeln
kaum zu sehen, aber immer schneller erfasste ein Drehen und Winden der Farben
auch die höheren Schichten. Die Äste der alten, abgestorbenen Bäume, Steine und
ganze Büsche verloren ihre ursprüngliche Form und sich im Kreis drehend zogen
sie lange Farbstreifen nach sich. Wie Farbtöpfe, die in einen Tornado geraten
waren. Immer schneller drehte sich der Wirbel und es setzte ein Tosen und
Dröhnen ein - und erreichte fast den oberen Rand der Schlucht. Durchsichtige
Wolkenfetzen schienen nach ihnen greifen zu wollen.
Jim und
Spock sprangen erschrocken einen Schritt zurück und hielten sich unbewusst aneinander
fest.
„Das
muss es sein! Das ist die Prophezeiung! Es ist alles wahr gewesen. Die Runen
hatten recht. Wir müssen nur noch hineingelangen, dann
wird die neue Welt geboren. Und alle werden wissen, dass wir recht getan
haben“, rief Spock ekstatisch und wollte mit Jim sofort in die Schlucht
springen.
„Halt!
Das kannst du doch nicht wissen. Wer hat gesagt, dass wir dahinein müssen?“,
schrie Jim zurück. Ihm fehlte der Glaube daran und mit Entsetzen versuchte er
sich vorzustellen, was mit ihnen in diesem unheimlichen Wirbel passieren würde.
Er trat
einige vorsichtige Schritte von der Schlucht weg und zog Spock mit sich mit. Dahin,
wo es leiser und ungefährlicher war.
JIM?
SPOCK? KÖNNT IHR MICH HÖREN?
Bis ins
Mark erschrocken, starrten sich beide an. Eine laute, tiefe Stimme schien
direkt aus dem Wirbel zu kommen.
„Hast du
das gehört? Was war das?“, fragte Jim Spock ratlos.
„Ich
weiß es nicht.“
„Aber,
wenn du das nicht weißt ...„
JIM!
SPOCK! ICH WEISS NICHT, WIE LANGE WIR NOCH ZEIT HABEN, ABER IHR MÜSST UNBEDINGT
GEMEINSAM IN DEN KREIS SPRINGEN. DAS IST DAS WICHTIGSTE! GEMEINSAM SPRINGEN!
JETZT SOFORT! BEEILT EUCH!
Vorsichtig
näherten sich die beiden der Schlucht wieder und versuchten, in dem aufsteigenden
Nebel etwas zu erkennen. Die bläulichen Wolken begannen sie einzuhüllen.
„Spock!
Du bist Spock! Und das ist Pille! Er ruft uns. Er hat die ganze Zeit auf uns
gewartet! Er will uns helfen und er war es auch, der die Prophezeiung
geschrieben hat! Er hat schon vor Jahrhunderten nur für uns diese Nachricht hinterlassen.
Er muss gewusst haben, dass sich der Wächter immer wieder öffnet.
Die
Alten vom Berg kannten das Geheimnis ... Der Wächter! Die Schrift über dem
Runentisch, die Sternenkarte auf dem Mosaik! Pille hatte offensichtlich nie
vergessen, woher er eigentlich kam und muss immer gehofft haben, dass auch wir
uns bei unserem Eintritt in diese Welt an alles erinnern können. Schnell! Der Wächter
schließt sich gleich wieder! Wir müssen sofort in den Zeitstrudel zurück und
alles wieder in Ordnung bringen.“
Schlagartig
hatte Jim sein Gedächtnis wieder zurückerhalten.
Auch
Spock hatte sich bei der ersten Berührung mit dem fremdartigen Nebel sofort
wieder an alles erinnert. Sie waren in dem Zeitstrudel des Wächters getrennt
worden. Aber jetzt zögerte er und hielt Jim am Arm fest.
„Jim,
Captain, es tut mir leid.“
Verwirrt
brauchte Jim erst einen Moment, ihn zu verstehen, aber dann lächelte er: „Dir
muss nichts leidtun und ich kann nur hoffen, dass ich jede Sekunde hier mit dir
nicht wieder vergesse.“
Mit
diesen Worten drückte er Spock einen schnellen Kuss auf die Lippen, aber rasch
lösten sie sich wieder. Die Zeit wurde knapp und sie rannten die wenigen
Schritte auf die Schlucht zu.
Dann
sprangen sie – wie es McCoy gesagt hatte – gemeinsam mit einem Satz in den sich
schnell drehenden Schlund. In Sekunden waren sie wie von einer großen sich
überschlagenden Welle verschluckt. Und mit ihnen verschwand gleichzeitig auch
die parallele Zeitblase, die in der realen Zeit nur wenige Sekunden existiert
hatte.
Auch die
altvertraute Welt bildete sich wieder zurück und die Essenz aller Bewohner des
parallelen Universums lebte das ihnen vorherbestimmte Leben an diesem neuen -
alten - Ort weiter.
Und auf
einem öden Planeten traten sie gemeinsam wieder aus dem Kreis heraus. Der
Captain James T. Kirk, sein Erster Offizier Spock und Dr. McCoy, der Arzt an
Bord der Enterprise. Und alles war wieder, wie es sein
sollte.
*
"...Die
Zeit läuft – wieder ihren alten Gang. Alles ist, wie es vorher war“, sprach der
Wächter mit einer kaum wahrnehmbaren Unterbrechung weiter und wenige Sekunden
später hatte sich das Portal wieder geschlossen.
Ende
Ausgangs-
und Endpunkt ist die Folge: The City on the
Edge of Forever/Griff in die Geschichte.
Äquinoktium: um den 21. März (Frühlingsanfang)
und dem 23. September Herbstanfang) geht die Sonne am Äquator um sechs Uhr
morgens auf und um sechs Uhr abends wieder unter.
Die
Erklärungen zu den einzelnen Runen sind Originalzitate aus dem Buch: Kenneth
Meadows, Runen - Die magische Kraft.
Runenarbeit ist mit dem östlichen I Ging
vergleichbar, entstand aber ursprünglich aus dem Nordischen von vermutlich
teutonischen Völkern.