Versumpft
von
Jimaine
meine allerallerallererste richtige längere M*A*S*H-story! Mal sehen, wo mich das hinführt...nachdem ich mit einem Metalldetektor übers Schlachtfeld schleichen mußte,
um einen passablen Aufhänger für die Story zu finden!J Und jetzt, wo ich mich
durch die ersten Staffeln pflüge, geht's im Bunnygehege zu
wie im OP - wegen Überfüllung geschlossen.
Spoiler: "Welcome to Korea" (Trapper ist weg/ Hunnicutt Ante Portas),
"Fade Out, Fade In" (Frank ist
frei/ Der neue Feind), "Period of Adjustment" (Krank vor Heimweh) und
"Goodbye, Radar". Zeitlich
einzuordnen ca. einen Monat nach "Oh How We Danced" (Harmonika und
Hochzeitstag), 9. Staffel, etwa
Juni 1952. Aber da das mit der Zeit in der Serie extrem schwammig gehandhabt
wird und sie vor und
zurück springen wie ein Sack Flöhe, sind Datums- und Zeitangaben über elf
Staffeln hin eher
Pi-mal-Daumen.
Extensives Danke an Birgitt fürs Beta- und an Michaela fürs Gammalesen. Ihr
seid schon
welche...*grins*. Die Erwähnung des Briefes an Dad ist für Michaela, mit deren
Story "Another
Three-Day Pass" die florierende Zucht begann. Kamsa-hamnida!
Pairing: Hawkeye/Trapper...sozusagen.
Rating: PG
Archiv: im Fanfiction Paradies und auch bei T'Len & Lady Charena
Disclaimer: Die Serie gehört FOX (denke ich), alle elf Staffeln davon und
jegliche Rechte, die damit
einhergehen. Ich beanspruche nichts davon für mich und verdiene ganz gewiß kein
Geld damit -
jemineh, schön wär's!!!
****************
Als hinter ihm die Hupe ertönte, konnte B.J. Hunnicutt, MD, gerade noch zur
Seite springen, bevor
der Jeep vorbeirauschte und zehn Meter weiter abbremste, um weitere Personen
durch energischen
Hupeinsatz zur Wegfreigabe zu bewegen. Ein wunderbarer Klang, absolut
wunderbar...er hatte
asthmatische Schafe melodischer blöken hören. _Guten Morgen, Korea!_
Vorsichtshalber sah er sich vor
dem nächsten Schritt mehrmals um und nahm dann seinen Weg wieder auf. Im Gehen
griff er das um den
Hals gehängte Handtuch und fing an, sich die Haare zu trocknen. Sein Atem
verflüchtigte sich als
transparente Wolke und er wickelte sich enger in den Bademantel. Es war
Hochsommer, gerade mal Juni,
aber ab und an schlich sich ein unangenehm kühler Morgen dazwischen. Bis zum
Winter würde es
allerdings noch gute vier Monate dauern, erst würde die Hitze noch schlimmer
werden, bevor das
andere Extrem kam. Er erinnerte sich noch zu gut an den Kälteeinbruch kurz nach
seiner Ankunft in
der 4077 M*A*S*H letztes Jahr. Seine Vorfreude hielt sich dementsprechend in
Grenzen. Er sollte Peg
schreiben und sie bitten, ihm einen Satz warmer Unterwäsche zu schicken. Oder
besser gleich zwei.
Bis Oktober waren die dann vielleicht angekommen. Und Handschuhe. Keinen Schal,
das würde jemand in
seinem unmittelbaren Umfeld als Beleidigung seiner Strickkünste verstehen und
sich bitter rächen,
denn schließlich war das mehrfarbige Werk bereits dreiviertelfertig.
Noch ein Jeep von links...von rechts sprinteten zwei Gefreite in Richtung
Latrine. Offenbar wirkte
das Frühstück heute extra schnell.
Ein ganz normaler Tag halt. Mit einigen kleinen Ausnahmen. Nachdem er gegen
Mitternacht ins Bett
gefallen war, hatte er seine vollen acht Stunden Schlaf bekommen, eine
Gelegenheit, die sich nicht
häufig bot, es sei denn, es wurde in Panmunjom mal wieder *ernsthaft* -
ironisches Lachen bitte hier
einfügen - Frieden diskutiert oder den kämpfenden Truppen mangelte es an
Nachschub. Dann legten sie
an der Front eine Atempause ein, was für die M*A*S*H-Einheiten gleich mehrere
Wochen Langeweile am
Stück bedeutete. Der heutige Tag begann ruhig, niemand hatte 'Hubschrauber!'
geschrieen, kaum daß er
eingeseift unter der Dusche stand, und es waren noch zwei Stunden bis zum
Beginn seiner Schicht.
Weshalb also diese Aufregung?
Die allgemeine Hektik im Camp war heute eine andere, aber da er frisch geduscht
und rasiert und
ausgeruht war wie schon lange nicht mehr, sah er keinen Grund, sich von der
Betriebsamkeit
auszunehmen, für die er beim Verlassen des Duschzeltes von Schwester Cooper
zumindest schon mal den
Grund mitbekommen hatte. Nur knapp war er dem Tod durch Lachen entgangen.
Wenn man vom Teufel sprach...
"Captain Hunnicutt, guten Morgen."
Dem Teufel in Khaki (im Moment allerdings unter einem zartrosa Bademantel
verborgen) und
Lockenwicklern im blonden Haar..
"Morgen, Margaret. Ist es heute nicht schon etwas...kühl...um mit nassen
Haaren herumzulaufen?"
Offenbar nicht. Nun bekam er eine detaillierte, zehnminütige Beschreibung des
verlustig gegangenen
Gegenstandes, ob er wollte oder nicht. In seinen Augen war dies ein schlagender
Beweis für die
Sinnlosigkeit des Krieges, zugleich aber auch eine effektive Motivation für die
Truppe. Wenngleich
Margaret Houlihan das sicherlich anders sehen würde. Motivation...etwas
untertrieben, die Aufregung
ähnelte mehr offiziellem Notstand.
Als er letzten Monat ein Paar Socken vermißte, hatte ihm niemand beim Suchen
geholfen.
Aber weil es Margaret war, würde er die Augen offenhalten und es damit allen
anderen gleichtun.
Sogar Father Mulcahy sah er betont langsam und mit angestrengt auf den Boden
gerichtetem Blick in
Richtung Messezelt wandern. Der Father war früh dran...oder war er bloß zu
spät? Normalerweise
schafften sie es immer, fast zeitgleich ihre erste Ration Ungenießbares du jour
bei Igor abzuholen.
Würde er sich beeilen müssen. Jedoch erstmal die angenehmen Dinge des Lebens.
Schwungvoll stieß er
die Tür des Sumpfes auf, setzte schon zu einem lautstarken 'Morgen, Charlie'
an, das man garantiert
bis Seoul gehört hätte, aber Charles Winchester war bereits fort, sicherlich
zum Duschen. Statt
dessen... Gerade noch rechtzeitig machte er den Mund zu und schloß die Tür so
leise es ihm möglich
war.
****Fünfzehn Minuten später****
Langsam streckte er nun den Arm aus und tastete blind unter Hawkeyes Feldbett,
bemerkte allerdings
zu spät, daß er auf dem Gürtel seines Bademantels kniete und sich nicht
genügend in die gewünschte
Richtung strecken konnte. Gerade noch rechtzeitig packte er den Rand des
Bettrahmens, als er das
Gleichgewicht verlor, konnte aber dennoch nicht verhindern, daß er auf dem
Boden zu sitzen kam. Mit
einem Splitter im Finger, wie er schon im nächsten Augenblick feststellte.
Billige Konstruktion,
typisch Army...selbst die Schlafstätte war ein einziges Verletzungsrisiko.
Trotzdem waren
Holzsplitter eine angenehme Abwechslung von Granatsplittern und er schien Hawks
Schlaf nicht gestört
zu haben. Er ließ den angehaltenen Atem in einem Seufzer entweichen, lehnte
sich zurück gegen den
Ofen und steckte ergeben den Daumen in den Mund. Der erste Notfall des Tages.
"Was machen Sie da?"
Allein schon die näselnde Stimme brachte seinen Blutdruck auf 180. Daher zählte
er gedanklich erst
einmal bis zehn, bevor er im Flüsterton antwortete, "Ich fange
Staubratten. Angeblich zahlen sie in
Seoul einen guten Preis fürs Dutzend."
Major Charles Emerson
Winchester III schnaufte. "Das sieht Ihnen ähnlich. In diesem Loch
ist man
wohl als Arzt auf jeden Penny nebenher angewiesen..."
"Soll ich mich jetzt beleidigt fühlen?" Wahrscheinlich. Zumindest war
das Winchesters Absicht, mit
jedem Wort, das er bewußt an seine Kollegen und Zeltgenossen richtete; in
seinen Augen waren sie
alle weniger wert als er, weniger talentiert und lagen intellektuell zwei
Lichtjahre hinter ihm
zurück.
Ein abfälliges 'Hmpf' war die Antwort. "In diesem Saustall, wer soll da
noch was wiederfinden? Also
*ich* halte ja meine Ecke des Zeltes in Ordnung! Wie soll das mit uns bloß
gutgehen?" Spätestens
nach einem Monat würde es hier Mord und Todschlag geben, er sah es kommen. Da
half aller Mozart der
Welt nicht. Zumindest hatte er es heute geschafft, die Dusche für sich allein
zu haben. Weder
Hunnicutt noch Pierce hatten ein Gefühl für Musik, was sie jedoch nicht davon
abhielt, lauthals und
falsch unter der Dusche Opernarien mit selbstgedichtetem Text zu singen. Der
Künstler in ihm starb
bei jeder malträtierten Note tausend Tode. Er ließ Rasierzeug und Bademantel
geräuschvoll auf sein
Feldbett fallen und nahm dann die Uniform vom Drahtbügel. Welcher im nächsten
Moment scheppernd auf
dem Deckel seiner Feldkiste landete.
"Geht's noch lauter, *Chuck*? Manche von uns haben *gearbeitet* und
versuchen zu *schlafen*!"
zischte B.J. mit einer überdeutlichen Handbewegung und machte sich daran, einen
weiteren
Quadratmeter Boden abzusuchen, während hinter ihm Winchester umständlich in
Hemd und Hose schlüpfte.
"Passen Sie hier drinnen mit den Ballettschühchen auf oder schweben Sie
zum Messezelt, mir egal,
aber tun Sie es leise!"
"Sie machen doch nicht etwa bei dieser Hysterie mit?" Als die Antwort
ausblieb, verdrehte Winchester
die Augen. "Der Zeitvertreib des niederen Pöbels...meinen Sie wirklich, er
ist hier irgendwo?" Die
Frage mußte eher rhetorisch verstanden werden, denn an der Meinung seines
Zeltgenossen war er nur
interessiert, wenn es um chirurgisches Können ging. Sich die Stiefel
zuschnürend, machte er einen
gedanklichen Schnappschuß von Hunnicutt - im Bademantel auf allen Vieren auf
dem Boden und halb
unter Pierces Feldbett verschwunden - damit er im Tagesverlauf etwas hatte,
woran er sich aufrichten
konnte, wenn seine Laune in den negativen Bereich rutschte. Als nächstes griff
er nach dem Kamm.
"Alles ist möglich. Sie könnten versehentlich drauftreten...und Major
Houlihan ist jemand, mit dem
man sich besser gut stellt." Wenn man ihr falsch kam, konnte sie schlimmer
austeilen als Klinger,
der sein Handwerkszeug auf den Straßen von Toledo gelernt hatte. _Als ob es für
Charles noch
irgendwie schlimmer werden könnte._ "Wenn Sie sich woanders aufhalten
könnten, bis ich Entwarnung
gebe? Ich bin mir sicher, Hawkeye hat die Postoperative ausreichend gefüllt,
Sie werden freie
Auswahl haben. Ihre Chance, Charles, ein Dutzend Hilfsbedürftiger, die es gar
nicht abwarten können,
von Ihnen behandelt zu werden und deren ewige Dankbarkeit Sie sich sichern
werden, wenn Sie gehen.
Sagen wir...jetzt?!"
Fertig angezogen und - soweit es nötig war - gekämmt zuckte Winchester die
Schultern und machte mit
einem letzten verächtlichen Schnaufen auf dem Absatz kehrt. Ungehobeltes Pack!
Lieber führte er
heute in seinen wachen Stunden nur komplizierte Darmresektionen und Operationen
am Perikardium durch
als seine Freizeit in diesem *Loch* und in dieser *Gesellschaft* zu verbringen.
Noch hatte er die
Hoffnung nicht aufgegeben, den zivilisierten Komfort des Tokioter Krankenhauses
bald
wiederzusehen...wenn er nur lange genug die richtigen Fäden zog, würde er es
gewiß schaffen.
Irgendwann würde er diesen Potter weichgeklopft und eine Versetzung erwirkt
haben. Jemand mit seinem
Status und Können durfte einfach nicht an eine billige M*A*S*H-Einheit
verschwendet werden, wo statt
bahnbrechenden Erfolgen im OP (gleichzusetzen mit den Konzerten eines
Meisterpianisten)
Flickchirurgie am Fließband betrieben wurde.
Ein müdes Krächzen kam von unter den grauen Militärwolldecken hervor - vier
Stück, doppelt so viel
wie der Durchschnittscampbewohner besitzen sollte - und dann folgte ein
vollständiger Satz. "Meine
ewige Dankbarkeit, Beej."
"Du hast noch nicht geschlafen?"
Die Decken wurden zurückgeschlagen. Mit einem leisen Stöhnen rollte sich der
Mann im Bett auf den
Rücken, bedeckte die Augen mit dem rechten Unterarm. "Hatte ich. Bis sich
mir dieser unüberhörbare,
versnobte Alptraum aufdrängte. Ob nach all der Zeit noch eine Möglichkeit
besteht, daß wir Frank
zurückkriegen können? Bei Chuckles krieg' ich Migräne. Frank hatten wir
zumindest schon halbwegs
erzogen. Ihn zu ärgern war *Entspannung*. Auch das mit dem Lieutenant-Colonel
könnte ich
ertragen..."
"Ja", grinste BJ und zog sich an dem Pfosten hoch auf die Füße,
setzte sich auf einen nahen Hocker.
"Wenn wir unsere Ränge zusammenlegen, müßten wir den Ausgleich herstellen
können. Hey, wir sollten
ihm schreiben und ihn inständig bitten, zurückzukommen..."
"Den Brief mit Korea-Poststempel zerreißt er ungelesen - würde ich
jedenfalls tun. Oder er hat uns
schon vergessen. Selektive Amnesie wäre genau sein Fall."
"Vielleicht ist Charles Teil von Franks infernalischem Plan... er läßt uns
zurück und zwingt uns,
einen Neuen zurechtzustutzen."
"An diesem Stutzer gibt's nicht mehr viel zu stutzen", beklagte sich
Hawk, ohne den Arm von den
Augen zu nehmen.
"Sieht auch nicht aus, als ob du dafür die nötige Energie hättest."
Als B.J. den OP verlassen hatte,
war Hawkeye noch voll bei der Arbeit gewesen und offenbar hatte der andere
Chirurg bis in die frühen
Morgenstunden gut zu tun gehabt. Schlaf und Entspannung hatten noch nicht lange
genug auf ihn wirken
können, um an seinem Aussehen etwas zu ändern; Hawk mußte zurückgekommen sein,
während er in der
Dusche allmählich aufwachte. Etwa eine halbe Stunde her. Hier lernte man zu
schlafen, sobald der
Kopf aufs Kissen fiel, denn es konnte lange bis zum nächsten Nickerchen dauern.
Wie er sich mit dem
Zipfel des Handtuchs, das noch um seinen Hals hing, einen Rest Schlaf aus den
Augen wischte, verzog
er das Gesicht. Klein aber gemein war er, der Splitter in seinem Daumen.
"Sei bloß nicht sparsam mit den Komplimenten, herzlichen Dank."
"Oh, gern geschehen. Was war los, warum hast du mich nicht wieder geweckt,
als man dir den Nachschub
auftischte?"
Nun endlich ließ Hawk den Arm neben seinen Kopf sinken, hob dafür die andere
Hand und rieb sich die
Augen. Der Geste folgte ein herzhaftes Gähnen. "Ich kam klar. Potter und
Klinger waren ja auch noch
da. Bigelow und Kellye auch. Als ich hinterher in der Postoperativen beinahe
umfiel, hat der Colonel
mir einen großzügigen Schlummertrunk eingeflößt und mich dann ins Bett
geschickt mit der strikten
Order, für die nächsten 48 Stunden mein Gesicht nicht im OP zu zeigen, es sei
denn, es ergibt sich
eine Krise."
B.J. verkniff sich ein humorloses Lachen. "In der Übersetzung also,
'Schlaf' dich aus und wenn du
Hubschrauber hörst, muß beim Traum die Pausetaste gedrückt werden'."
"Glückwunsch, noch kein Jahr hier und du hast bereits perfekt US-Army zu
sprechen gelernt."
"Ich hatte einen guten Lehrer."
"Noch mehr Komplimente. Hilfe...ich glaube, ich schlafe besser
weiter."
_Nicht mal ein Jahr..._ Warum war er nicht direkt auf Hawks Bemerkung angesprungen,
sondern brauchte
drei Sätze, um aufmerksam zu werden, die Unterhaltung im Hinterkopf
zurückzuspulen und dann die
Worte herauszufiltern? In knapp elf Monaten.
Neben seinem Herzen tat etwas einen Stich. Elf Monate, seit man ihn eingezogen
und nach kurzer
Vorbereitung nach Korea geschickt hatte. Erst zehn Monate, seit er Peg und Erin
zurückgelassen
hatte, 5428 Meilen entfernt. Zehn Monate seit dem letzten romantischen
Sonnenuntergang über der Bay,
dem letzten Spaziergang durch Muir Wood...und seitdem entbehrten die
Sonnenuntergänge jeglicher
Romantik.
Zehn Monate, seit aus Dr. B.J. Hunnicutt US94539204, USAMC, wurde, man seinen
Namen zu einer Nummer
gemacht hatte.
Erst zehn Monate, nicht mal ein Jahr, und ihm kam es wie eine halbe Ewigkeit
vor. Erin war fünf
Wochen alt gewesen...
Vor einem Jahr an ihrem Hochzeitstag war Peg noch im 8. Monat schwanger
gewesen.
Nur kurze Zeit später hatte man seine Welt völlig umgekrempelt.
"Er hat ein seltsames Timing, weißt du."
"Hm?"
"Frank. Er macht die Biege und Charlie kommt her. Fast wie vor zehn
Monaten. Es ist jetzt ungefähr
zehn Monate her, daß du hergekommen bist."
Eine Wiederholung der Tatsachen wäre nicht nötig gewesen. Aber vielleicht war
es das für Hawkeye.
Hinter diesem 'in zehn Monaten' steckte mehr als eine simple Feststellung, das
war ihm schon nach
wenigen Wochen bei der 4077th klargeworden, da war zuviel, was ungesagt blieb.
Innerhalb eines
Dreivierteljahres hatte der Sumpf zwei seiner Ureinwohner verloren und Fremde
hatten sie ersetzt.
'Personalfluktuation' war zwar nichts Ungewöhnliches in der Army, aber wenn es
die eigenen
Zeltgenossen betraf, tendierte man doch dazu, den Umstand persönlich zu nehmen.
Er selbst weinte
Frank Burns keine Träne nach, für Hawkeye mußte das ständige Kommen und Gehen
jedoch äußerst
belastend sein. Immerhin sollte das Zelt für seine Bewohner etwas wie ein
Refugium sein, ein Ort, an
dem man die Geschehnisse der Außenwelt vergessen konnte, und deshalb sollte man
es mit Personen
teilen, denen man vertraute. Nicht daß irgend jemand Frank vertraut hatte, doch
zumindest hatte man
bei ihm gewußt, woran man war. Und was seinen eigenen Vorgänger anging, Dr.
McIntyre... Er entschied
sich, etwas im Trüben fischen zu gehen, indem er nachhakte, "Zehn Monate
ist das schon her?! Fast
ein Jahr schon." Angefangen an einem heißen Augusttag...
"Ja."
Hawk schien nicht in Beißlaune zu sein, oder der Köder war noch nicht
appetitlich genug. "Wie die
Zeit vergeht...ich habe das Gefühl, schon immer hier gewesen zu sein."
"Das Gefühl bekommt über kurz oder lang jeder hier. Mein Beileid. Was
krabbelst du da eigentlich auf
dem Boden herum? Ist das Essen mittlerweile so schlecht geworden, daß du deine
Eiweißversorgung
anderweitig aufwerten willst?"
"Margaret hat einen Ohrring verloren. Ich hab's auf dem Weg zur Dusche
gehört. Und da sie gestern
mal kurz hier war, könnte das gute Stück hier irgendwo herumliegen." Damit
ging er wieder auf die
Knie und begann, unter der Destille zu suchen. "Wie gut, daß Gold auf Sand
auch so *einfach* zu
finden ist...das ganze Lager läuft praktisch mit der Nase am Boden herum und
paßt auf, wo sie als
Nächstes die Füße hinsetzen. Ich sehe jede Menge blaue Flecken, Beulen und
gebrochene Nasen vor dem
Mittagessen."
"Unfair. Die Wette gewinnst du", gähnte Hawk und drehte sich auf die
Seite, das Gesicht aufs Neue in
der Armbeuge vergraben.
B.J. hatte ein plötzliche Eingebung: Margaret konnte den Ohrring gar nicht hier
verloren haben, da
er sie abends noch im Offiziersclub gesehen hatte, mit beiden Ohrringen,
wohlgemerkt - und so brach
er die Suche ab und machte es sich in Hawks Sessel bequem. Sein Blick ließ nie
von dem anderen Mann
ab, diesem Abbild der Erschöpfung unter kratzigen Wolldecken. "Damit wäre
es offiziell", meinte er.
"In Zukunft sollte Major Ma'am-Sir farblich auffälligeren Ohrschmuck
tragen."
"Und riskieren, daß wir es für eine Geschwulst halten und ihr die
Ohrläppchen amputieren?"
Wie gut, daß diese Unterhaltung hier und nicht im Messezelt stattfand und er
keinen Kaffee im Mund
hatte. "Du verrücktes Sumpfhuhn", lachte er.
Hawk winkte ab. "Man muß eines sein, um ein anderes zu erkennen."
"Ach, wirklich?"
"Sagte Trapper immer und daß -" Hier brach Hawk ab. Als hätte er sich
an den eigenen Worten die
Zunge verbrannt.
Aha. Hatte er doch richtig geraten, daher wehte also der Wind. Aus den Augen,
aber längst nicht aus
dem Sinn.
Er hatte ihn nie kennengelernt, den Mann, den er ersetzt hatte, und der Name
John McIntyre wurde nur
selten ausgesprochen. Auch nicht - vor allem nicht - von Hawkeye. Und er hatte
keine Fragen
gestellt. Irgendwie schien es ihm...respektlos. Er spürte eine Dunkelheit, die
Trapper in Hawkeye
zurückgelassen hatte, eine Leere, in die er sich nicht vorwagen würde, es
einfach nicht durfte, um
ihrer beider willen. Vielleicht hatte er das aber auch schon längst getan und
alles war zu spät? Wer
konnte das mit Sicherheit sagen? Er jedenfalls nicht.
Ohne daß er es merkte, begann seine rechte Hand mit seinen Dogtags zu spielen.
US94539204. Nur eine
Reihe Zahlen auf Blech...nur eine Reihe Zahlen...
Niemand hatte je ein Wort darüber verloren, daß jemand anderes nun an Hawkeyes
Seite arbeitete, als
hätte er nie etwas anderes getan. Als wäre er schon immer hiergewesen. Er und
Hawk lagen auf der
gleichen Wellenlänge, die Harmonie war fast unnatürlich. Dennoch...vom
allerersten Tag an trat von
Zeit zu Zeit dieser seltsame, nicht zu definierende Ausdruck in Hawkeyes Augen.
Es geschah nicht oft, aber diese Momente häuften sich, wenn die schiere Menge
an Verwundeten und der
Druck, so viele Leben wie möglich zu retten, die Chirurgen der 4077th an den
Rand ihres
Leistungsvermögens - und darüber hinaus - brachten. Über die Jahre hatte jeder
seine eigene Methode
entwickelt, mit dem blutigen Chaos umzugehen, das ihren Alltag bestimmte - er
für seinen Teil war
noch nicht einmal lange genug hier, um über die Notwendigkeit einer solchen
ernsthaft nachgedacht zu
haben, und mußte sich doppelt beeilen, um mit ihnen gleichzuziehen. Manchmal
wußte er nicht wie,
oder ob er das überhaupt wollte, und fragte sich, wieviel von seinem Ich er für
den Luxus opfern
mußte, nichts mehr zu fühlen.
Sie hatten alle ihre Methoden.
Father Mulcahy...zweifellos beneidete jeder in diesem Lager den Father um die
Stärke seines
Glaubens.
Radar...er konnte nur beten, daß der Junge seine Freundlichkeit und
Natürlichkeit bewahren konnte,
auch jetzt, wo er daheim auf der Farm in Ottumwa, Iowa, war. Er schien davon
immer genug für alle zu
haben, ihnen etwas von der Unschuld wiederzugeben, die sie meinten, tagtäglich
mit dem Blut toter
Soldaten vom Boden des OPs in die koreanische Erde zu waschen.
Klinger...trotz seiner unermüdlichen Bemühungen um Paragraph 8 und den
wildesten Aktionen - der Jeep
war bislang die Krönung gewesen - war B.J. manchmal der Meinung, in diesem
Krieg kaum einem
normaleren Menschen begegnet zu sein. Jetzt, wo er in sein neues Aufgabenfeld
hineingewachsen war,
lief Klinger regelmäßig zur Hochform auf. Ohne Kleider und Ohrringe, das war
passé, war mit Laverne
den Bach der Zeit runter gegangen.
Colonel Potter...dem half die Erfahrung von Jahrzehnten. Er wußte vermutlich
von ihnen allen am
besten, wie er dem zermürbenden Horror entgegenwirken konnte. Berufssoldat zu
sein hatte offenbar
Vorteile. Der Befehlshaber der Einheit mit der liebenswerten Sturheit eines
Maulesels hatte die
Malerei, sein Pferd, die Gedanken an seine Familie...und zudem die Aufgabe,
sich mit fast
väterlicher Fürsorge um die Männer und Frauen unter seinem Kommando zu kümmern.
Frank...kein aktuelles Thema mehr, aber einen nostalgischen Gedanken wert.
Ansonsten könnte es B.J.
kaum weniger scheren, was Frank Burns - Pardon, Lieutenant-Colonel Frank Burns
- jetzt tat und
wieso, von ihrer prägenden, allerersten Begegnung an war ihm der Mann
unsympathisch gewesen. Aber
manchmal kamen ihm doch Zweifel, daß Franks boshafte Art Teil seines Charakters
war. Gut, diese
Zweifel kamen extrem selten, aber sie kamen, denn er glaubte - ganz wie Father
Mulcahy - an das Gute
im Menschen. Andere zu verletzen, bevor sie einen verletzen konnten, war auch
eine Art von
Schutzmechanismus. _Okay, Beej, das ist zuviel der Vermenschlichung für ein
Frettchen, dessen
schlechter Ruf ihm durch halb Korea vorauseilte..._
Und Franks Nachfolger, Major Charles Emerson Winchester III, ein Name, der
bestimmt zwei Zeilen auf
seinem Abschlußzeugnis erforderte, hatte sich bereits am ersten Tag im OP seine
Antipathie
gesichert. Da war ihm egal, ob der Mann Gefühle hatte.
An sich selbst wollte er nicht denken...noch nicht. Später.
Sein Hauptaugenmerk galt Hawkeye.
Hawkeye, der immer das letzte Wort behalten mußte - ein fast zwanghafter
Umstand - beendete jeden
kleinen verbalen Ringkampf mit einem Blick, der so voller Schmerz war, daß
selbst jemand, der
normalerweise genug Schmerz für zehn Männer ertragen und verbergen konnte, in
seiner
Verschleierungstaktik versagte. Denn dieser Schmerz war anders als jener, mit
dem Hawk Tag für Tag
im OP kämpfte. Dies war nicht der allgegenwärtige, akute Schmerz, der ihm
häppchen- und
patientenweise serviert wurde, und den er mit Sarkasmus bekämpfte,
beziehungsweise nach Schichtende
mit einem Glas Selbstgebranntem betäubte.
Dieses war der chronische Schmerz der Erinnerung.
Die Worte fielen, bevor er sie herunterschlucken konnte. "Haßt du mich
eigentlich, Hawkeye?"
Wie ein Klappmesser schnellte der andere Mann in eine sitzende Position.
"Dafür, daß ich hier bin."
Blaue Augen blinzelten ihn an, Müdigkeit kämpfte mit dem Wunsch zu erfahren,
woher diese unerwartete
Frage gekommen war. Getrübtes Blau...getrübt von Verwirrung und Zweifel. Von
dieser verbalen
Breitseite. Diesem Dolchstoß in den Rücken. "Ich verstehe nicht
ganz..."
"Ich denke schon, Hawk."
"Nein, erklär's mir."
"Du weißt, was ich meine", beharrte B.J. auf seinem Standpunkt.
"Beej, ich habe die Erfahrung gemacht, daß wenn man nicht sagen kann, was
man meint, man niemals
meinen kann, was man sagt. Also...was meinst du?"
"Ich meine...ach, vergiß es", versuchte B.J. sich nun herauszureden.
Dies war nicht der richtige
Zeitpunkt und er wußte nicht, weshalb er überhaupt die Frage gestellt hatte.
Wie konnte sie ihm bloß
rausrutschen? Er war doch sonst nicht so unachtsam, was seine Äußerungen
anging. Etwas in B.J.s
Magen drehte sich bei dem Gedanken um, eine ehrliche Antwort zu bekommen. Oder
selbst eine zu geben.
Er spürte Hawkeyes Blick auf sich wie ein Skalpell und die Spannung, die den
anderen Körper aufrecht
hielt, zeigte überdeutlich, daß Hawk zumindest eine Ahnung hatte, was jetzt
kommen würde. "Okay."
Keine Chance mehr auf eine leichte Flucht. Er würde ihm jetzt Rede und Antwort
stehen müssen. "Du
mußt mich hassen...dafür, daß ich hier bin anstelle von ihm. Meinem
Vorgänger."
"Wie...wie in Gottes Namen kommst du denn bitte darauf?" Alle Farbe
war aus Hawkeyes Gesicht
gewichen, ließ die erschöpften Züge noch blasser erscheinen. "Ich...dich
dafür hassen?"
"Wie kannst du denn nicht? Ich sehe es doch, Hawk. Manchmal...manchmal
schaust du mich auf diese
seltsame Art an. Und wie du dann redest - oder schweigst, eigentlich ist es
noch spürbarer, wenn du
schweigst..." Wie sollte er es beschreiben? Es gab keine Worte dafür.
"Es fing alles an jenem Tag am
Flughafen an...als Radar und du mich abholen kamt. Nur daß ihr nicht wegen mir
dort wart." Hier
wartete er auf eine stilechte Hawkeye-Retourkutsche, entweder in Form eines
wuchtigen,
unerreichbaren Home-Runs, der einen umwarf, oder auch eines feinen, extra
schmerzhaften Nadelstichs
mit der üblichen Note Sarkasmus, doch da wartete er auf Worte, die nicht kamen.
Der Ausdruck auf dem
hohlwangigen Gesicht war so...verstört. Betroffen.
Nie hätte er erwartet, den unbeugsamen Hawkeye Pierce jemals verwundbar zu
sehen...hilflos...fast
als hätte er soeben mit seiner Feststellung alle Schutzmechanismen außer Kraft
gesetzt, die den Mann
am Laufen hielten und durch den nächsten Tag brachten.
Nicht einmal während der Geschichte mit dem Schlafwandeln - wo die Nachtwache
nicht schlecht
staunte, als Dr. Pierce Basketball und Murmeln spielend durchs Camp tobte und
B.J. mehrfach von
Schreien geweckt wurde, die er lieber aus seiner Erinnerung verbannte - hatte
Hawkeye ihn so
angesehen.
Völlig verloren.
Das hatte er nicht beabsichtigt. Aber jetzt hatte er Gewißheit. All die
Male, wo Hawk nach einem
einsamen Spaziergang ins Camp zurückkehrte und im Messezelt Platz nahm,
scherzte, als wäre nichts
gewesen, doch alles mit leicht geröteten Augen. Als habe er geweint. All die
Male in den vergangenen
Monaten, wo er nachts aufgewacht war und glaubte, ein Geräusch zu hören - ein
leises Wimmern, ein
Stöhnen oder etwas anderes - doch kaum daß er den Atem anhielt, um zu lauschen,
war es verstummt.
Hawk versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, hielt jedoch den Blickkontakt
eine Sekunde zu lange,
bevor er abrupt zu Boden sah. "Was soll ich dazu groß sagen",
erwiderte er knapp, "ich habe ihn
verpaßt. Um zehn Minuten, wie du weißt. Warst ja selbst da. Ich bin mal ein
paar Tage nicht hier und
wie ich zurückkomme... Nur sechs Tage in Tokio, ein Urlaub, den ich nicht
einmal *wollte*, und bei
meiner Rückkehr war nichts mehr so, wie es war. Mein bester Freund war nicht
mehr da. Ich hatte ihn
verpaßt...wie einen Bus. Einen Zug. Mit dem Unterschied, daß der nächste nicht
in einer halben
Stunde fahren würde."
"Zehn Minuten, huh?"
"Zehn Minuten." Lausige zehn Minuten, die über Glück und Elend
bestimmten. "Trapper...er war immer
da, von Anfang an...und plötzlich, einfach so, war er nicht mehr da. Statt
dessen warst du da, in
gebügelter Uniform, Frau, Tochter und Hund daheim in Sicherheit, Captain B.J.
Hunnicutt,
Familienarzt aus San Francisco...und wirktest so unendlich...deplaziert."
B.J. antwortete nicht sofort, sondern nahm ein Martiniglas in die Hand und
drehte das feine
Glasgebilde zwischen den Fingern. So zerbrechlich... _Zerbrechlich. Meinte ich
damit das Glas oder
meine Finger? Vor elf Monaten hatte ich geglaubt, mit diesen Fingern Wunder
wirken zu können._ Bis
er gesehen hatte, wieviel er gerade *nicht* tun konnte und daß seine Finger
auch bloß Finger waren,
menschlich, verletzlich, genau wie die Körper, die er tagtäglich versorgte.
"Als gehörte ich nicht
hierher?"
"Keiner von uns gehört hierher. Das ist es ja gerade. Ich sah dich da
stehen...und obwohl ich vor
Wut kochte und eigentlich nur heulen wollte - verdammt, Trapper war fort, man
hatte uns den Jeep
gestohlen und es fehlte nur noch ein Tropfen, um das Faß zum Überlaufen zu
bringen - war mein erster
Gedanke 'Oh Gott, nicht noch einer'."
"Noch einer?"
Die tiefblauen Augen schimmerten feucht und es lag eine Verwundbarkeit in
ihnen, die B.J. zutiefst
beunruhigte. Dies war nicht länger Erschöpfung oder Potters Scotch, sondern
aufrichtiges Bedauern.
Mitgefühl. "Noch ein Unschuldiger, der zum Opfer gemacht wird. Ein Arzt,
ein Heiler, der mit zuviel
Hoffnung ankommt und mit zu vielen Dämonen abreist...wenn überhaupt. Keiner von
uns will hier sein,
die wenigsten Einheimischen wollen uns hier haben... die einzigen, die uns hier
haben wollen, sind
Generäle und Politiker. Man könnte meinen, die picken sich Namen heraus und
würfeln um das Schicksal
der Betroffenen. Kennen nicht mal ihre Gesichter. Wir würfeln eine Neun...Henry
Blake stirbt. Als
nächstes eine Sieben...Dr. McIntyre kann nach Hause. Dann Einserpasch...oh, laß
uns Dr. Hunnicutt
nach Korea schicken. Das ist schon jenseits von Ironie", endete er heiser.
Sein Blick wanderte durchs Zelt, suchte und fand die hundert kleinen Dinge, die
ihr Leben
ausmachten. Nichtigkeiten, Krimskrams eigentlich...aber in der Flüchtigkeit
seiner Gedanken wies er
ihnen dennoch Bedeutung zu.
Ein Ding zu benennen hieß, ihm Form zu geben, aus zusammenhanglosen
Bruchstücken eine Gestalt zu
schaffen.
Ein Dartboard an der Tür, Wärmflasche und ein abgetragener roter
Bademantel...Keksdose, Wollknäuel
und Stricknadeln, auf der Wäscheleine drei Paar Socken und eine Hose...neben
seinem Bett hinter der
Destille ein zerknülltes buntes Hemd...wackelige Regale voller verstaubter
Tassen, auf dem
Bürosessel ein Stapel Zeitschriften, oft gelesen und dank der hohen
Luftfeuchtigkeit leicht
angeschimmelt.
Dann das gerahmte Foto von Peg.
Ein Gegenstand, der sich überdeutlich von der Umgebung abhob. Nicht hierher
gehörte. Genauso wenig
wie Charles' Grammophon.
Eigentlich schrie dieses Stilleben 'Hawkeye und
Der-leere-Platz-den-niemand-das-Recht-hat-einzunehmen', alles andere waren
Fremdkörper in der Wunde,
die Hawkeyes Leben war. Was hatte er sich bloß dabei gedacht, die Destille zu
zerstören? Es war
sonst gar nicht seine Art, derart die Kontrolle über sich zu verlieren...aber
in jener Nacht war es
einfach passiert. Aufgestaute Wut hatte sich...entladen. Einfach so. Leider.
Nicht zuletzt dank der
paar Promille, die er sie aus Frust über Pegs Brief angetrunken hatte. Sie
hatten ihm zumindest die
Courage gegeben, Trappers Namen zum ersten Mal auszusprechen.
Und dann war da die Destille. Das Gebilde, das er jetzt sah, war seine
Konstruktion. Der Ersatz,
sozusagen.
Er schluckte...nein, 'würgte' war ein besseres Wort, denn seine Kehle war so
zugeschnürt, daß er
sich anstrengen mußte, durch die Trockenheit hindurch zu schlucken. Versuchte
es, bis es *wehtat*.
_Mein Gott, was für ein Ort ist das hier?_ Ein Kälteschauer jagte seinen Rücken
hinunter.
_Wahnsinn...purer Wahnsinn..._ "Du redest nicht oft von ihm, Hawk. Ich
meine 'reden' wie in 'mehr
als nur seinen Namen erwähnen'. Und auch nicht von jenem Tag, als er
ging."
"Ist mir nicht aufgefallen."
"Ist aber so." Ihm war es nicht entgangen, wie sich Hawkeyes Stimme
veränderte, als wolle er etwas
mit aller Gewalt abstreiten. "War für mich auch mehr als seltsam. Glaub'
mir, wenn ich die Wahl
hätte..." Hier konnte er nicht weitersprechen.
Freundlicherweise übernahm Hawkeye die nächste Zeile Dialog. "Fragst du
dich, was Sidney wohl dazu
sagen würde...?"
"Sidney Freedman? Den Anruf kannst du dir sparen."
"Ach?"
"Ja...Dr. B.J. beginnt heute seine Sprechstunde etwas früher."
"Dr. B.J. will sicherlich nicht hören, was ich zu sagen habe." Hawk
strich sich eine schwarze, viel
zu lange Haarsträhne aus den Augen. Wenn man genau hinsah, konnte man den Hauch
Silber erkennen, das
Zeichen für Altern durch zu viel Erfahrung, nicht durch Jahre.
"Ooooh, dich würde überraschen, was ich so hören will. Vor allem, weil ich
mir schon denken kann,
was du sagen willst."
"Sie haben Trapper in die Hölle geschickt und als er verbraucht war, kurz
bevor es zuviel wurde,
schickten sie ihn nach Hause. An seiner Stelle kamst du...und der Kreislauf
begann aufs Neue. Ein
neuer Spieler, doch die gleiche Hölle, die gleichen zerstörerischen Kräfte, auf
die wir keinerlei
Einfluß haben." Er lächelte müde. "Ich weiß nicht einmal, wofür
dieses 'B.J.' steht."
"Und diese Unwissenheit wird auch noch auf unbestimmte Zeit
andauern", schwor B.J. und kam aufs
Thema zurück. "Die Destille hat er gebaut, oder? Radar hatte mal was in
der Richtung gesagt."
Hawk kommentierte das mit einem wortlosen Nicken.
"Gute Arbeit."
"Hat uns durch so manche kalte Nacht gebracht, der Gin und..." Er
brach ab und studierte seine auf
der Decke ineinander verknoteten Finger, während ein selbstironisches
Halblächeln in einem
Mundwinkel zuckte. "Du solltest besser gehen, Beej, wenn du noch Frühstück
haben willst, dem man
ansehen kann, was es in seinem vorherigen Leben war."
B.J. schüttelte den Kopf. Frühstücken konnte er immer noch. "Lenk' jetzt
bitte nicht ab. Ich dachte,
wir wären Freunde", versuchte er, die Unterhaltung in Gang zu halten, als
Hawkeye daraufhin weiter
schwieg, stumm die Lampe über Charles' Schlafstatt fixierte. Schmale Lippen
bewegten sich wie in
einem stummen Gebet, einem letzten Versuch, die Dämonen für sich zu behalten.
_Hawk..._ Aus einem
Impuls heraus machte er zwei Schritte zu dem anderen Feldbett hinüber und
setzte sich, ungeachtet
des leisen Knarzen des Holzes unter der Doppelbelastung.
Er konnte Ersatz auf vielerlei Art sein. Die freie Chirurgenstelle konnte er
füllen - die Verletzten
kümmerte es nicht, wessen Hände ihnen die Granatsplitter und Kugeln entfernten,
ihre Körper wieder
zusammenflickten - das Arbeitspensum konnte er übernehmen und das freigewordene
Bett belegen. Und er
konnte auch Freundschaft mit den Leuten schließen, denen ein Freund und Kollege
genommen worden war,
nicht durch den Feind, durch einfache Bürokratie, aber dennoch genommen.
Die logistische Lücke konnte er nach bestem Können füllen. Genauso wie Charles
nun für Frank
eingesprungen war. Ein Mann für einen anderen, ganz einfach.
Doch konnte er niemals der Ersatz sein, den Hawkeye brauchte, mehr als alles
andere. Er konnte nie
diesen einen Mann in seinem Leben ersetzen.
Warum es sonst niemandem auffiel, wie Hawk unter der Trennung litt, war ihm
schleierhaft; sie
behaupteten doch alle, ihn zu kennen, arbeiteten schon viel länger mit ihm
zusammen als er, und er
hatte die Wahrheit bereits nach vier Wochen erkannt.
Ben Pierce hatte John McIntyre geliebt.
Hawk war mit jenem Mann, den B.J. nie getroffen hatte, seine Rettungsleine
genommen worden, ohne
Vorwarnung, und man hatte ihm nicht einmal die Gelegenheit gegeben, Einspruch
zu erheben oder sich
wenigstens zu verabschieden. Und obwohl er ein guter Schwimmer war, würde Hawk
sich in dem Chaos,
das ihn gefangenhielt, nicht ewig behaupten können. Die Stromschnellen namens
Korea waren
unbarmherzig. Irgendwann würde auch seine letzte Kraftreserve verbraucht sein.
Instinktiv hob er eine Hand und streichelte Hawks Nacken, murmelte beruhigende
Worte. Irgendwann
verfiel aber auch er ins Schweigen. Diese Art von Stille war selten. Zumindest
die hörbare Stille.
Seine Gedankenwelt stand auf einem ganz anderen Blatt. In seinem Kopf
überschlug sich alles und er
war machtlos, daran etwas zu ändern, die Ordnung wieder herzustellen.
Fragen...hauptsächlich waren
es Fragen. Wie er Hawkeye helfen konnte. *Ob* er Hawkeye helfen konnte. Ob
Hawkeye überhaupt Hilfe
zulassen würde. Und wenn ja, ob von ihm.
Ohne ihn anzusehen, fragte Hawk, "Du hast meine Frage noch nicht
beantwortet, wieso meinst du, daß
ich dich hassen müßte?"
"Ich weiß nicht..." B.J. ließ den angehaltenen Seufzer langsam
entweichen, suchte nach Worten und
fand keine. Wie direkt sollte er denn noch werden? "Manchmal wenn ich
etwas sage, etwas tue, scheint
da eine dritte Person zwischen uns zu stehen. Ein Phantom. Und dann ist B.J.
Hunnicutt nicht länger
derjenige, mit dem du redest. Du reagierst auf mich, als kämen meine Worte aus
dem Mund eines
anderen, und ich fühle mich, als würde von mir erwartet, mich plötzlich in
diese Person zu
verwandeln. In Trapper." So, jetzt war der Name auch über seine Lippen
gekommen! Vielleicht ließ
sich damit schon arbeiten!
Wie gesagt, ein Ding zu benennen hieß, ihm Form zu geben, aus zusammenhanglosen
Bruchstücken eine
Gestalt zu schaffen. Nun, er würde ganz gerne dem Phantom John Francis Xavier
McIntyre etwas mehr
Form geben, sei es auch nur, um ihm den gehörigen Tritt in den Hintern zu
geben, den er mehr als
verdiente. Er wollte Dr. Unbekannt packen und im hohen Bogen aus diesem Zelt
befördern, aus der
Gegenwart zurück in die Vergangenheit. Hawkeye litt schon ohne irgend jemandes
Zutun genug für zwei
Männer und zwei Leben - wenn ihm nur halb soviel an Hawkeye lag wie umgekehrt,
hätte Trapper wissen
müssen, was er ihm antat.
"Natürlich", führte er seine Erklärung zu Ende, "kann ich diese
Erwartung nicht erfüllen und alle
sind enttäuscht und lassen es mich spüren."
"Nicht deine Patienten."
"Die sind die Ausnahme." Leuten wie Klinger oder Mulcahy nahm er es
nicht übel, wenn sie alte
Geschichten von den Heldentaten/Streichen des gefürchteten Duos Hawkeye-Trapper
erzählten. Das war
immerhin geschehen und an Tatsachen konnte er nichts ändern. Bloß was Hawkeye
selbst betraf... "Doch
du...so gut wir uns verstehen...bei dir habe ich immer das Gefühl, mein
Hiersein irgendwie
rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen. Und das ist etwas, das meine
Fähigkeiten übersteigt,
Hawk, ganz ehrlich."
"Rechtfertigen? Entschuldigen?" Der verletzte Ausdruck war in
Hawkeyes Augen zurückgekehrt.
In einem etwas sanfteren Tonfall fuhr B.J. fort, "Mag sein, daß du dir
dessen gar nicht bewußt
bist...schließlich bist du einfach zu sehr mit dem beschäftigt, was in deinem
Inneren vorgeht. Mit
einem Blick hältst du die Leute auf Distanz, warnst sie, dir nicht zu nahe zu
kommen. Selbst die,
die einfach nur deine Freunde sein möchten." Physische Nähe war kein
Ersatz für emotionale Nähe, da
konnte Hawkeye mit den Krankenschwestern flirten, bis der Krieg vorbei war. Er
würde nicht finden,
was er suchte, was er vergeblich versuchte *wiederzubekommen*. "Ich
weiß", räumte er ein, "wir
kennen uns kaum und ich habe kein Recht...nun, ich will mir nach neun Monaten
nicht erlauben, dir zu
sagen, was für dich normales Verhalten ist und was nicht." _Eine solche
Aussage kann ich ja nicht
mal über mich selbst machen. Speziell nicht hier._ "Aber nach allem, was
wir bereits durchgemacht
haben, kann ich mir wohl ein paar Kommentare erlauben."
"Solange sie nicht meine Familie beleidigen."
"Keine Sorge. Sind eher universell, die üblichen Standardweisheiten.
Manchmal steckt selbst in einem
Glückskeks etwas Wahrheit." Die von Psychiatern wie Sidney Freedman oft
gepredigte Tatsache, daß
niemand über kurz oder lang vor seinen Problemen davonlaufen konnte, galt hier
zweifach. Hawkeye
würde nicht weit kommen. Hier herrschten andere Naturgesetze. Hier konnte man
nicht einmal
vernünftig seinen Verstand verlieren, denn bei dem Versuch, sich unerlaubt zu
entfernen, würde
dieser kläglich scheitern und auf ewig in endlosen Schlangenlinien durch
Minenfelder irren. Ohne
Kompaß durch den zehnten Kreis der Hölle. "Es ist niemals leicht, jemanden
zu verlieren, den man
liebt."
Hawkeye wandte den Kopf gerade weit genug zur Seite, um seinem Blick zu
begegnen, ihn kurz zu
halten. "Oh, ich weiß, daß es nicht einfach ist. Mir war klar, daß es
enden mußte. Irgendwann. Ich
hatte nur erwartet, besser darauf vorbereitet zu sein."
"Es war doch Liebe...oder? Hawk?"
Etwas, das einem Lächeln ähnelte, huschte Hawkeyes Lippen entlang, blieb jedoch
weit davon entfernt,
seine Augen zu erreichen. Mit einem unmerklichen Nicken brach er den
Blickkontakt ab und ließ die
Schultern nach vorne sacken. Als wolle er sich B.J.s Berührung entziehen.
Doch das ließ BJ nicht zu. Hawkeye, Hawkeye...immer sofort bereit, endlos von
sich zu geben, doch so
unheimlich widerstrebend, auch bloß das kleinste Geschenk anzunehmen. Der
Splitter in seinem Daumen
schmerzte, aber er ließ nicht los. "Du hast es niemandem gesagt, nehme ich
an."
Stumm schüttelte Hawk den Kopf; die Knöchel seiner Finger waren weiß, so fest
krallten sie sich um
den Rand des Bettes.
"Nicht Sidney oder Father Mulcahy?"
"Nein. Nur...na ja, indirekt. Ein Brief an meinen Dad, den ich nie
abgeschickt habe. Ich mußte es
einfach rauslassen, mit jemandem reden, wenn auch nur auf dem Papier."
"Kannst du mit mir reden, Hawk?"
Hawk ließ den Kopf hängen, ließ seine Bettkante los und stützte das Kinn in die
Hände. "Scheint
fast, als hätte ich keine andere Wahl mehr, oder?"
BJ spürte, wie der andere Mann sich ergab. Spürte die Bereitschaft zum Dialog.
"Die hattest du nie.
Der Wendepunkt ist hier und jetzt", verkündete er. "Es kann so nicht
weitergehen, Hawk. Du kannst so
nicht weitermachen." _Und ich auch nicht._
Hawkeye schüttelte den Kopf. "Kein Wendepunkt, Beej. Einen Wendepunkt kann
es nur geben, wenn es
etwas gibt, dem man sich zuwenden kann. Meinen Wendepunkt verpaßte ich auf dem
Flugfeld in
Kimpo...um zehn Minuten - dies wird bestenfalls ein Stop im Halteverbot."
Schweigen. Dann, "Woher
weißt du...? Ich meine...Trapper..."
"Man verbringt nicht sein ganzes Leben in San Francisco und entwickelt
keinen Sinn für gewisse
Dinge. Die Stadt hat schließlich nicht nur einen Ruf für gutes chinesisches
Essen."
"Ah."
"Genau." Anders als Charles, der vermutlich in der Encyclopedia
Brittannica nachschlagen müßte, um
die Zeichen richtig deuten zu können.
Mit einem schwachen Schulterzucken signalisierte Hawkeye, daß er aufgab.
"Also gut, reden wir. Über
Dr. McIntyre...über Trapper."
Er redete.
Gott, und wie er redete. Angefangen mit dem Tag, an dem er Trapper zum ersten
Mal begegnete - in
Boston, ein Frühling in einem anderen Leben, eine flüchtige Begegnung, an die
er sich nicht
erinnerte, bis sie sich in Korea wiedertrafen - und dem Moment, als zwei Männer
in einem letzten
verzweifelten Versuch, ihre Verbindung zur Realität zu bewahren, Zuflucht
ineinander suchten. Die
ganze Zeit über saß B.J. schweigend neben ihm, hatte ihm eine Hand locker um
den Nacken gelegt und
für einen Moment hatte er das Gefühl, daß ihn alleine diese Hand aufrecht
hielt. Auf jeden Fall
ermunterte sie ihn zum Weiterreden.
Die Berührung weckte so viele Erinnerungen. Erinnerungen an Augenblicke, in
denen eine Hand auf der
Schulter, ein Klaps auf den Rücken, die einzige Berührung war, die sie sich
leisten konnten. Schon
seltsam...er war nicht wirklich hier, er war zurück im Damals, doch der Griff
von B.J.s Fingern ließ
ihn nicht komplett dorthin zurückkehren. Die Art und Weise wie die
Fingerspitzen mit den feinen
Haaren in seinem Nacken spielten - war sich B.J. eigentlich im Klaren, was
seine Hand tat? Das
Ziepen, wenn es Haare erwischte, die sich in der Kette der Dogtags verfangen
hatten... Verflucht, es
war nicht fair...plötzlich war alles wieder da. Trappers Wärme, Trappers
Lachen, die Stimme, die im
Dunkeln seinen Namen flüsterte...seine Finger erinnerten sich an weiche blonde
Locken, Haut und
feste Muskeln. Nie würde er vergessen, wie geborgen er sich in dieser Umarmung
gefühlt hatte. Wie
ein anderer Mensch...wie ein von Korea gänzlich unberührter Hawkeye Pierce.
"Wenn wir zusammen waren, hielt der Krieg den Atem an, ließ uns für eine
Weile atmen. Eine seltsame
Mischung aus Paradies und Fegefeuer, ineinander. So völlig zusammen...und
dennoch niemals ganz. Ich
hatte immer das Gefühl, ihm nie alles zu geben...so sehr ich es auch wollte, da
war ein Teil von
mir, zu dem ich selbst keinen Zugriff hatte und..." Seine Stimme versagte
kurz und er brauchte eine
Weile, um sich wieder zu fangen. "Und das machte mich so...wütend.
Hilflos. Als würde ich ihn nicht
mit gleicher Münze zurückbezahlen. Mehr nehmen als ich geben konnte."
Liebe war wirklich universell, egal zwischen wem sie wirkte. "Hawk...das
ist völlig natürlich. Du
hast versucht, dich zu schützen. Und niemand ist gefeit für die Macht, die
Leute, die wir lieben,
über uns haben."
"Ich sollte mich nicht schützen wollen! Nicht vor ihm! Warum auch? Ich
habe so viele Erinnerungen
gesammelt...kurze Momente, Fetzen des Glücks, Tropfen der Wärme...dank ihm. Sie
haben mich am Leben
gehalten. Doch jetzt sind sie fast aufgebraucht. Was bleibt, ist das Gefühl,
ihn verletzt zu haben.
Die Wahrheit ist die...ich merke erst jetzt, wie sehr ich ihn gebraucht habe.
Er hat es geschafft,
jeden Teil von mir in Besitz zu nehmen."
"Ist das denn so schlimm?"
"Zunächst dachte ich das. Eine Zeitlang. Niemand sollte solche Macht
haben." Wieder verfiel Hawk in
seine eigene Art des Schweigens, das mehr sagte als Worte. "Beej...wenn es
auf Gegenseitigkeit
beruht...ist es dann Macht?"
"Macht?" Er erinnerte sich gar nicht, das Wort gebraucht zu haben.
Hatte er aber wohl.
Hawkeye nickte. "Macht...ich weigere mich ja schon, die Macht meiner
Vorgesetzten zu akzeptieren.
Die Macht des Krieges, die Macht des Schreckens. Weswegen schinde ich mich denn
täglich im OP? Weil
ich nicht glauben kann - glauben *will* - daß der Tod mächtiger ist als ich.
Es... Der Gedanke, daß
meine Gefühle - egal für wen - eine ähnliche Macht über mich haben könnten, macht
mir Angst...und zu
wissen, daß ich mich nicht dagegen wehren kann. Weil es nicht aufhören
wird."
_Dieses Machtkonzept beunruhigt dich wirklich, oder? Weil es einen Verlust der
Kontrolle
beinhaltet...und du willst nicht, daß irgend jemand seine Überlegenheit über
dich ausspielt. Nicht
die Kontrolle über das einzige verlieren, das du kontrollieren kannst: dich
selbst._ Auf den Krieg
hatten sie keinen Einfluß, mit dem Tod führten sie tagtäglich erbitterte
Neuverhandlungen und
kontrollierten das Leiden so gut sie konnten, aber nicht immer erfolgreich.
"Hm. Einleuchtend. Und
du hast Beweise dafür."
"Mehr als genug", gab Hawk leise zu. "Beej, danke fürs Zuhören.
Aber ich möchte nicht, daß du -"
"Kein Erklärungen, Hawk, nicht von dir, nicht heute und nicht in dieser
Situation. Das Thema ist zu
ernst, selbst für deine Art von Flapsigkeit. Du wußtest, daß du mit ihm das
berühmte *Immer* hättest
haben können."
"Er ist verheiratet und hat zwei kleine Töchter, seine Familie -"
B.J. steuerte beharrlich auf dem eingeschlagenen Kurs weiter. "*Immer*,
Dr. Benjamin Franklin
Pierce. Immer. Das war es, was du dir gewünscht hast, was ihr hier in eurer
kleinen, privaten
Realität von Korea hattet. Immer. Und so etwas hattest du nie zuvor gekannt.
Auch nicht zu Hause im
schönen, friedlichen Maine. Selbst dort war *Immer* nur eine Illusion. Seltsam,
daß sie ausgerechnet
in dieser Hölle so unwahrscheinlich real werden sollte..."
"Nur so real, wie man es sein läßt", murmelte Hawkeye. "Es hat
mich voll erwischt. Die berühmte
letzte Kugel, die man niemals hört."
War ihm bei Peg nicht anders gegangen.
Liebe Peg, 5428 Meilen und achtzehn Zeitzonen entfernt...sie und Erin teilten
meist nicht einmal
mehr den gleichen Tag wie er, hatten nur sechs Stunden pro Tag gemeinsam. Im
fernen Mill Valley
stand Peg auf, wenn er erschöpft schlafen ging. Allabendlich, wenn er beim
Mittagessen saß, brachte
sie Erin nach einer Gute-Nacht-Geschichte ins Bett, bevor sie ein letztes Mal
den Hund ausführte und
dann schlafen ging. Alleine.
Seine Realität wirkte dagegen wie ein übles Zerrbild in einem zersprungenen
Spiegel. Er saß hier
neben seinem Kollegen und besten Freund auf einem wackeligen Feldbett in der
Mitte von Korea, es war
Hochsommer und besagter Freund hatte ihm gerade sein Herz ausgeschüttet. Ihm
ein Geheimnis
anvertraut, das ihn zerstört hätte, wenn er es noch länger in sich
hineingefressen hätte. _Wenn die
falschen Leute davon erfahren, kann's immer noch dazu kommen._
Die Kugel, die man nicht hört, die letzte Kugel.
Was kam als nächstes? Die Kugel war entfernt, jetzt galt es, die Wunde zu
versorgen und zu
schließen. Ohne nachzudenken, ohne ein weiteres Wort, drehte er sich zu Hawkeye
hin und schloß ihn
in die Arme. Ein Arzt, der einem Patienten half. Ein Freund, der einem Freund
half. Hawks nächste
Frage brachte sein Universum zu einem abrupten Halt, so plötzlich und
gewaltsam, daß die Wände zu
schwanken schienen und er meinte, sich an etwas festhalten zu müssen. Doch da
war nichts...nur
Hawkeye.
"Manchmal vergesse ich, weshalb er mich liebte. Was an Ben Pierce so
besonders war, daß er meinte,
ihn lieben zu können. Ich vergesse...vergesse...und fühle mich wie ein
Verräter." Er unterbrach sich
für ein kurzes, halbunterdrücktes...was? Schluchzen? Hawkeye...weinte?
"Ist denn noch irgend etwas
von mir übrig, Beej?" Hawkeye erwiderte die Umarmung und lehnte gegen ihn,
suchte mit beiden Händen
Halt am blauen Frottee des Bademantels. Löste den Gürtel, zog den Stoff
beiseite.
Seine Absichten schienen deutlich und wenn B.J. ihn zurückweisen wollte, sollte
er es jetzt tun.
Jetzt... Doch er konnte es nicht. Nicht zuletzt weil er wußte, daß das nicht
Hawkeyes Absicht war.
Deshalb hielt er still, hielt seinen Freund fest und hörte zu, wie dieser den
Kampf gegen die Tränen
verlor. "Du hast immer noch dein Herz", flüsterte er und zog den
anderen Kopf näher heran, kämmte
das zerzauste schwarze Haar mit zitternden Fingern. "Ansonsten würde dich
das alles hier nicht so
mitnehmen. Und du verteidigst dein Herz - deine Menschlichkeit, deine Fähigkeit
zu fühlen - mit
einer Courage und Hartnäckigkeit, die nicht jeder aufbringen kann. Die
wenigsten sind stark genug.
Die meisten hätten sich schon vor langem aufgegeben. Aber nicht Benjamin
Franklin Pierce."
"Und wem habe ich das zu verdanken?" Hawks Stimme bebte. "Immer
anderen. Trapper, Henry, Sidney,
dir...der Handvoll Personen, die meine geistige Gesundheit erhalten haben. Es
zumindest versuchten.
Ich will mir nicht anmaßen, den Erfolg zu beurteilen. Ich habe Angst, auch noch
den allerletzten
Rest von mir selbst zu verlieren, bevor ich hier rauskomme, und dann nicht mehr
zu wissen, wer ich
bin. Und wenn nicht ich, wer soll mich sonst kennen?" Die Tränen strömten
nun frei über seine
Wangen.
"Hawk", machte er den zögerlichen Versuch, als sich der Arm unter dem
Bademantel um seine Taille
schlang. Wie in Zeitlupe änderte sich die Perspektive, neigte sich langsam in
einem 90-Grad-Winkel,
als Hawkeye ihn mitzog. Sie auf die Seite sanken. "Hawkeye, also, ich
denke, wir -" Zwei Finger
legten sich auf seinen Mund.
"Bitte red' nicht mehr, Beej. Ich verstecke mich immer hinter Worten, 24
Stunden am Tag, sieben Tage
die Woche. Ich fasse keine Waffe an, weil Worte meine einzige Munition in
diesem Krieg sind.
Munition wie schützende Deckung, und ich hab' es *so* satt. Ich habe schon so
viel geredet, genug
für fünf Leute und für Jahre im Voraus, daß ich theoretisch mein ganzes
restliches Leben stumm
verbringen könnte. Gönn' mir eine Pause, laß mich zu Atem kommen."
B.J. hielt den Atem an. Die unrasierte Wange rieb rauh an seinem Hals, eine
ungewohnte Empfindung,
fast wie Sandpapier, aber angenehm, besonders da im nächsten Moment eine sanfte
Zunge die gereizte
Haut streichelte, kleine Kreise zog, noch vorsichtig, fragend... Wieso zitterte
er? "Okay, Ha-" Die
Lippen, die nun die seinen streiften, flüchtig wie ein Windhauch, ließen ihn
verstummen. "Ich...ich
sollte jetzt gehen." Dann konnte er nicht mehr reden, hörte nur noch
einmal seinen Namen, wie er von
Hawkeyes Zunge rollte, als Seufzer von dem anderen Mund in seinen eigenen
glitt. Nur ein Atemzug.
Der Kuß war nicht fordernd, lediglich beruhigend. Und... Gott, er wußte nicht,
was er denken sollte.
Als er endete, war seine erste Frage, "Was war das?"
"Das Wort für Danke, wenn Danke nicht ausreicht. Sumpf-Jargon." Er
schluckte mehrmals. "Alles in
Ordnung, Beej?"
"Ja...uh, ja, ich denke schon." Noch während er die Worte murmelte,
hob Hawkeye den Kopf von seiner
Schulter und richtete sich weit genug auf, um ihn anzusehen. Durch den
Tränenschleier las er in
weitgeöffneten blauen Augen nur eine einzige stumme Bitte. Ein Versprechen. Und
er wußte, daß er
keine Angst zu haben brauchte. Trotzdem mußte er es sagen. "Ich bin nicht
er, Hawkeye."
"Das weiß ich."
"Warum dann?"
"Deswegen."
Deswegen.
Ein Grund wie jeder andere, genauso gut und genauso schlecht.
"Ich will mich einfach nur...festhalten. Bitte. Bitte geh' noch
nicht..."
Einige Sekunden lang schwankte B.J. noch zwischen Vernunft und Mitgefühl. Das
hatte er nicht
erwartet, weder von Hawkeye noch von sich selbst. Vieles, ja, eine Menge
Unüberlegtheiten...aber
nicht diese...Zurückhaltung.
Eine Bitte um Vertrauen an einen Freund. _*Bitte geh noch nicht.*_ Und er blieb
liegen, traf seine
Entscheidung.
Durch das dünne T-Shirt fühlte sich Hawkeye unnatürlich warm
an...heiß...vielleicht war es Fieber,
vielleicht sogar beginnende Erregung, oder in Hawkeyes Fall einfach nur die
blanke Wut, die in
seinem Inneren brannte. Schwelende Wut über seine Hilflosigkeit angesichts des
Elends des Krieges,
daß egal wie hart er arbeitete, die Mühe in achtzig Prozent der Fälle umsonst
war. Es war
Verzweifelung, die sich in Tränen nicht mehr ausdrücken ließ. Diese Wut war der
Kitt für die
zahllosen Puzzlesteine seines Ich, sie hielt ihn in gleichem Maße zusammen wie
sie ihn zerstörte,
jeden Tag ein bißchen...und in den seltenen Momenten, wo die Außenwelt ruhig
genug war, so daß er
die Stimmen von innen hören konnte, hatte B.J. die selbe Wut auch schon in sich
erkannt. Sie machte
ihm mehr Angst als die kombinierte Artillerie der Chinesen und Nordkoreaner.
Was würde sie aus ihm machen? Wer würde er nach einem weiteren Jahr sein?
Hawkeyes Frage war berechtigt: was würde von ihm übrig bleiben, wenn dieses
Feuer, das ihn am Leben
hielt, früher oder später erlosch? Zurückbleiben würde eine ausgebrannte Hülle,
die bei der
kleinsten Berührung zu Asche zerfallen mußte. Er befürchtete, den Mann in
seinen Armen zu
zerbrechen, einen Körper, der schon jetzt so hager und verbraucht war - was
davon der Streß war und
was Igors Kochkatastrophen, konnte nur er selbst sagen.
Hawkeye im Gegenzug hatte keine solchen Hemmungen. Seine Umarmung war
kraftvoll, räumte jeden
Zweifel daran aus, daß er genau wußte, was er tat. "Beej...vertraust du
mir?"
Seine Antwort blieb ihm zeitweilig im Hals stecken, als draußen mehrere
Personen lachend und
scherzend vorbeigingen, so nahe, daß man jedes Wort, jedes Einatmen hören
konnte; sie hätten genauso
reinkommen können. Und er antwortete, "Ja." Er schaltete die kleine
Stimme der Zurückhaltung aus und
ließ Hawkeye gewähren. Ließ die Arme um seine Hüfte zu, ließ ihn eine Nähe
suchen, die ihm an jedem
anderen Tag unmöglich vorgekommen wäre, heute - hier, jetzt - aber schien es
gerade mal ein Anfang.
Für etwas, das nie kommen würde.
Hawkeye würde niemals mehr nehmen als er zu geben bereit war und sich selbst
war das letzte, was er
geben konnte. Jedenfalls nicht ihm. Der Kuß, die Berührungen begleitet von
Tränen...daraus sprach
lediglich pure Verzweifelung, das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Nähe.
Nach Verständnis,
Vergessen...
Und er verstand.
Ja, mit einem Mal verstand er. Ihn.
Er sollte mit seiner Vermutung richtig liegen. Irgendwann, als würde ihn alle
Stärke mit seinen
Tränen verlassen, hielt Hawkeye mitten in seiner zärtlichen Erforschung inne
und vergrub das Gesicht
an seinem Hals. Die Grenze war erreicht und würde nicht überschritten werden.
Ab hier war es nur ein
gegenseitiges Festhalten und für mehrere Minuten lag Hawk völlig unbeweglich,
halb auf ihm, halb
neben ihm, und lauschte dem anderen Herzschlag...vielleicht weil er seinen eigenen
schon lange nicht
mehr hörte, vergessen hatte, daß es ihn gab. B.J. fielen mehrere Erklärungen
dafür ein. Hawks Atem
ging nun ruhiger als zuvor, die Tränen hatten aufgehört.
Nichts, nicht einmal wenn Charles unerwartet aufgetaucht wäre, um ihn daran zu
erinnern, daß er
Patienten zu versorgen hatte, hätte ihn hier und jetzt dazu bringen können,
Hawkeye Pierce
loszulassen. Dieser Patient hatte im Moment Priorität. Engumschlungen lagen sie
auf dem Feldbett,
schweigend und isoliert von dem Land, wo die Flucht in die Arme eines anderen
Menschen die einzig
mögliche Art von Flucht war. Wie lange sie so dalagen, konnte er nicht sagen.
Aus halbgeschlossenen
Augen beobachtete er die Schatten hinter der lichtdurchlässigen Zeltplane zu
seiner Rechten,
ständige wenngleich schemenhafte Erinnerungen an die Außenwelt. So unwirklich.
Die Leute, die dort
betriebsam hin und her liefen, ihrer Arbeit nachgingen, existierten im Moment
nicht. Für sie war
später noch genug Zeit.
Hawkeye brach das Schweigen.
"Du hast vorhin von dem berühmten *Immer* geredet... Weißt du, Beej, ich
wollte nicht einmal 'für
immer'...nur ein kleines bißchen 'jetzt' ab und an. Ich habe ihn geliebt...er
war das einzige, das
in diesem elenden Land mit seinem Scheißklima, Minen, Granaten und Kindern, die
statt Schulbüchern
Gewehre tragen, Sinn machte. Eiseskälte und Sommerhitze, Insekten und das
mieseste Essen diesseits
des Pazifik...mit ihm erschien es alles halb so schlimm. Er...er
verstand."
"Verstand was?"
"Alles. Mich. Meine Ängste...die Angst um jedes Leben unter meinen Händen,
vor dem nächsten
Hubschrauber, dem nächsten Tag. Er verstand die Alpträume. Hast du schon
bemerkt, wie hier die
Farben fehlen? Alles ist beige-braun... Oliv...khaki...sandfarben...vermischt
sich zu einem Ton.
Selbst der Himmel, wenn man die seltene Gelegenheit hat, ihn zu sehen und nicht
zwei Ewigkeiten am
Stück operiert, ist blaß und ausgewaschen. Die einzige Farbe ist das rote Blut
der Verwundeten. Rot
an meinen Händen, Rot auf Haut, auf Khaki, Rot auf Sand...gegen das Rot wirkt
alles blaß."
Die Farbpalette von Korea weckte in jedem den Poeten. In seinem Magen dagegen
verwandelte sich der
brodelnde Knoten von Zweifel und Wut in pures Eis. Die Kanten schnitten wie
Messer durch sein
Innerstes. Hawkeye, oh Hawkeye...genug Seele, um jedem Patienten etwas davon
abzugeben, sich selbst
in jeden verletzten Körper einzubringen, wie die Medizin, die er äußerlich
verabreichte. "Du hast
einfach diesen absurden Willen zum Überleben, Darling." Blechern und
halbverzerrt ertönte eine
Ansage über die Lautsprecher, doch keine, die sie etwas anging.
"Wird es je besser werden?"
"Hawk..."
"Gib' mir nur irgendeine Antwort. Lüg' meinetwegen, aber gib' mir eine
Antwort, bitte."
Draußen rauschte ein Jeep vorbei und unmittelbar darauf erschallte Klingers
unverwechselbares Organ,
das den Fahrer an die schlimmste Straßenecke in Toledo wünschte, in Unterwäsche
und nur mit einer
Wasserpistole bewaffnet.
In der Stille des Zeltes sammelte B.J. Kraft für eine ehrliche Antwort.
"Ich...ich weiß nicht. Ich
denke nicht. Manchmal denke ich, daß die Menschheit einfach nicht für Frieden
geschaffen ist.
Jedenfalls nicht dauerhaften Frieden. Nur Tage...Stunden...Minuten..." Er
spürte die leichte
Kopfbewegung, das Nicken, weiche Lippen, die seinen Hals streiften. _Oder
Momente wie diesen._ "Und
es ist an uns, den Schaden zu begrenzen und die herumliegenden Fetzen wieder
zusammenzuflicken. Ich
fürchte, Hawk, es wird nicht besser werden. Höchstens schlimmer." Ein
weiteres Nicken und ein
Seufzer. "Tut mir leid...du hattest dir sicherlich etwas mehr Optimismus
erhofft, oder?"
"Nicht wirklich. Das ist es nicht, wovor ich Angst habe, Beej... Was mir
Angst macht ist, daß wir
ebenfalls schlimmer werden. Daß wir es *müssen*. Noch schlimmer. Und daß ich
dann gar nicht mehr
schlafen kann, weil in meinen Träumen zuviel auf mich wartet, dem ich nicht
begegnen möchte. Wie
kann ich gegen etwas kämpfen, das ich nicht...fassen kann?"
Klingers Lieblingsbeschäftigung in allen Ehren, die Person mit den besten
Chancen auf Paragraph 8
war gleichzeitig diejenige, die diesen Ausweg niemals wahrnehmen würde. Nicht
solange er hier etwas
bewirken konnte. Wenn Hawkeye diesen Glauben - sich - aufgab...erst dann würde
der Wahnsinn
vollkommen sein.
Mehrere Minuten lang war Hawks Atmen das einzige, was er hörte. Noch ein
Weilchen länger...noch ein
Weilchen...
Doch auch das mußte ein Ende haben.
"Hawk, das ist jetzt bestimmt das letzte, was du hören willst, aber ich
meine Schicht fängt bald
an." An Frühstück war jetzt schon nicht mehr zu denken; den Nachzüglern
klatschte Igor für
gewöhnlich das aufs Tablett, was während der Nacht von den Ratten verschmäht
worden war. Die Hand,
die auf seiner Brust ruhte, rutschte höher und wie zufällig hakten sich die
Finger in die Kette
seiner Dogtags. Eine unschuldige Geste, doch eigentümlich besitzergreifend.
_Nein. Keine Angst. Ich
werde bleiben, sicherlich noch eine ganze Weile. Ich lasse einen Freund in Not
nicht alleine._
"Laß mich einfach nur hier einschlafen, Beej...bitte...ich kann nicht
allein sein. Darf nicht...darf
nicht allein sein."
"Wie kommst du denn auf die Idee? Mich wirst du nicht so schnell los wie
Frank Burns. Nur unseren
Patienten ist nicht damit geholfen, wenn mein niedriger Blutzuckerspiegel mich
im OP ohnmächtig
werden läßt."
"Du machst Witze. In der als Essen deklarierten Substanz gibt es nichts,
was dem Blut in Form von
Nährstoffen zugeführt werden kann. Koch' statt dessen lieber deine Socken aus,
da hast du mehr von."
"Geht nicht, damit hat Igor gestern die Suppe verlängert. Und außerdem muß
ich mir einen
Holzsplitter aus dem Daumen operieren. Sagen wir's anders: was soll Charles
denken, wenn er wider
Erwarten noch einmal hierher zurückfindet?" Erst schien es, als sollten
Worte folgen, aber es waren
die Finger in seinen Dogtags, die Kette, die in die Haut seines Halses schnitt,
die ihm alle nötigen
Antworten lieferte. "Hawk?"
"Vermutlich wäre es für ihn nur eine weitere Bestätigung, daß er mit zwei
degenerierten, von der
Evolution benachteiligten Flüchtlingen aus dem Irrenhaus zusammenlebt. Aber mir
ist es egal, was er
denkt, denn er wird diese Gedanken schön für sich behalten, weil er sich
ausrechnen kann, daß seine
Zukunft sonst unerträglich wird. Wir sind in der Überzahl. Du, ich und die
Destille. Das macht drei
gegen einen. Mozart und Bach können da nicht mithalten."
Ohne hinzusehen hob B.J. die Hand und wuschelte Hawk durchs Haar. "Du
sagst es. Und jeder Mensch
braucht jemanden, der ihn festhält, denkst du nicht? Du wirst ihn wiedersehen,
Hawk. Ich bin mir da
ganz sicher. Der Krieg wird vorbei sein, du wirst nach Hause kommen, nach
Crabapple Cove zu Hummern,
Lachs und Cranberrykompott, Frieden und Indian Summer, und alles wird gut
werden. Alles, hörst du?
Und du wirst noch du selbst sein."
"Woher weißt du das nur alles, Beej? Wie findest du die Worte?" Die
Botschaft 'Du kennst mich doch
erst seit einem Jahr' brauchte nicht ausgesprochen zu werden.
B.J. lächelte. "Ich bin ein Sumpfhuhn und spreche somit den Jargon."
"Das Wörterbuch ist streng geheim, das weißt du doch hoffentlich."
"Sicher. Du bist ein wunderbarer Mensch, Hawk. Ein guter Freund und ein
hervorragender Arzt - mit
einem Herzen oder einem halben, das ist egal. Es ist genug von dir vorhanden,
das liebenswert ist.
Wenn andere es nicht sehen...ich tue es." In Antwort auf seine Worte
fühlte er, wie Hawkeye sich
entspannte, sich wie leicht formbares Wachs in die Biegung seines Körpers
schmiegte.
"Danke, Beej...das...das bedeutet mir viel, weißt du, und...das...du weißt
schon...vorhin. Wenn ich
zu weit gegangen bin, tut es mir leid."
B.J. konnte sein Grinsen nicht verbergen. "Keine Entschuldigung nötig. Ich
habe schon weitaus
unangenehmere Küsse bekommen. Außerdem glaube ich dir nie, wenn du dich
entschuldigst."
"Mit dir habe ich mir was eingehandelt..."
"Gern geschehen." B.J. verstärkte die Umarmung, zwang damit Hawkeye,
seine Lage an seiner Seite zu
verändern, näher heranzurücken. Für einen weiteren Moment. Dann stand er auf,
denn in weniger als
einer Stunde wurde er in der Postoperativen erwartet und er weigerte sich, Charles
die ganze Arbeit
zu überlassen. War schlecht fürs Selbstwertgefühl. Andererseits...der
hochwohlgeborene Major Charles
Emerson Winchester III, Mediziner von Gottes Gnaden, hätte wohl kaum das
leisten können, was er,
B.J. Hunnicutt, bescheidener Arzt, heute bereits geleistet hatte.
Nämlich einem Freund ein Freund zu sein.
Er beeilte sich mit dem Anziehen und nahm im Gehen seine eigenen Decken und
breitete sie über
Hawkeye aus. "Schlaf gut, Hawk, und träum' was Schönes. Ich bin bald
wieder da."
"Ich weiß."
Hoffentlich. Hoffentlich wußte Hawkeye jetzt, daß er jemanden hatte, bei dem er
Hilfe suchen konnte,
wenn er wollte. Und daß es in Ordnung war, ab und an Schwäche zu zeigen. Bevor
er aus der Tür trat,
sah sich B.J. nochmals prüfend um und mußte zugeben, daß Grammophon und
Bilderrahmen schon viel
besser in das Gesamtbild paßten.
FINIS