eine weitere M*A*S*H-Story
von Jimaine
c. März 2003 (am 31.3., pünktlich zum
Abgabetermin!)
Spoiler: "Last Laugh"/"Wer
zuletzt lacht...", 6. Staffel. Ein alter Studienkollege von B.J. geht mit
seinen Scherzen etwas zu weit.
Pairing: Hawkeye/B.J....mehr oder
weniger.
Rating: PG
Archiv: Immer wieder im beliebten
Fanficparadies und im Sumpf von T'Len & Lady Charena
Mein Dank gilt wie üblich Birgitt, die
hier eine wahre Turbo-Beta hingelegt hat und daraus sogar noch eigenen Nutzen
ziehen konnte. *Kniefall*, *Fußküssen*, *Fächerwedeln*...
Ein paar Dankeskrümel gehen auch an einen
gewissen Online-Einkaufsplatz, der ungenannt bleiben soll, für J.F. Coopers unsterbliche
Zeilen und Inspiration in DVD-Form.
Keine Widmung diesmal.
Disclaimer: Die Serie gehört FOX, alle
elf Staffeln, die Charaktere und Küchenschaben und alles Equipment bis hin zum
letzten Skalpell. Und ich verdiene absolut nichts an meinen Mühen.
+++++++++
Es war wie ein Realität gewordener
Alptraum, ein zweiter 1. April für die 4077 M*A*S*H mitten im Hochsommer. Und
sie mußten ihn über sich ergehen lassen und abwarten, ihren Gegenzug sorgfältig
planen und sich impulsivere Reaktionen verkneifen. Weiß Gott nicht leicht –
bestimmt auch nicht für den Mann Gottes, der nun zusammen mit zwei weiteren
Personen einen der ihren verabschiedete.
Als der MP am Steuer Gas gab und Kurs auf
Seoul nahm, stand das zurückbleibende Trio noch eine Zeitlang wie versteinert
da und blickte dem Gefährt hinterher, etwas ungläubig, daß das hier wirklich
passierte.
Bevor der Jeep außer Hörweite war, erhob
Colonel Potter noch einmal seine Stimme. "Wir werden in etwa einer Stunde
nachkommen."
Ein Versprechen, das die Person auf dem
Rücksitz des Jeeps unmöglich gehört haben konnte. Aber für ihn, der es gehört
hatte, fast genauso wichtig. Sehr beruhigend...auf die 'Überhaupt nicht'-Art
und Weise! Heute morgen war das Ausmaß ihrer Probleme auf den OP begrenzt
gewesen, und jetzt *das*...
Zum ersten Mal seit langem war die
Zukunft wieder unsicher, und obwohl er in seiner Sorge nicht allein war, fühlte
er sich verlassen. Wen hatte er schon, dem er sich anvertrauen konnte? In
vergangenen Tagen hätte er vielleicht – und das war ein höchst vielleichtes
*vielleicht*! – Henry Blake beiseite genommen...aber Henry war tot, begraben in
einem Flugzeugwrack auf dem Grund des Japanischen Meeres. Henry mochte
einfältig gewesen sein, ein Mann mit einfachem Geschmack, der nach dem Motto
lebte 'Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß', so daß jedermann sich
fragte, wer ihn bloß zum Offizier und Kommandeur dieses Haufens gemacht hatte
(Henry konnte nämlich im Ernstfall kaum sich selbst kommandieren). Aber er war
immer für einen überraschenden Geistesblitz gut gewesen und hatte Ratschläge
verteilt, von denen seine Leute gar nicht wußten, daß sie sie brauchten.
Der herzensgute Stoffel Henry hatte fest
an die Gefühlskomponente bei seiner Arbeit geglaubt und seine Leute mehr oder
minder im laissez-faire-Stil geführt, zu 99.9% Arzt und Mensch und dann erst
U.S. Army.
Anders Sherman Potter. Als der Colonel – mit nur noch 18 Monaten bis zur
Pensionierung – im Camp eintraf, hatten alle das Schlimmste befürchtet,
immerhin war Potter Berufssoldat. Doch der Mann hatte sich als sehr fairer
Kommandant und fähiger Chirurg entpuppt, der die Macken seiner Untergebenen
tolerierte...solange sie sich innerhalb eines gewissen Rahmens bewegten. Mit
drei Kriegen auf dem Buckel und mit seiner sehr resoluten Art verschaffte er
sich sogar bei Majors Burns und Houlihan Respekt, etwas, das dem armen Henry
nie vergönnt gewesen war. Henry hätte vermutlich am ersten Tag klein beigegeben
und Charles Winchester zurück nach Tokio gehen lassen. Ach ja, Henry...
Für Hawkeye war es die schlimmste
Übergangsperiode seines Lebens gewesen. Die wichtigsten Menschen in seinem
Leben verschwanden, starben, wurden ersetzt, und er hatte nur zusehen können.
Oder er war nicht einmal dagewesen, als
es passierte.
Oft hatte er sich gefragt, was er wohl
getan hätte, wenn er dagewesen wäre anstatt auf Urlaub in Tokio. Ob er
geschrieen, getobt...oder einfach nur wie gelähmt dagestanden hätte. Zugesehen
hätte, wie man ihm bei örtlicher Betäubung das Herz herausschnitt.
Damals, auf der Fahrt zurück von Kimpo
nach Ouijongbu, noch während hinten im Jeep ein verwirrter Mann in Uniform mit
der neuen Realität Korea kämpfte, diesem Ort, wo man ihn mit Granaten empfing
(und Feindseligkeit vermengt mit Mitleid und Bedauern in einem Mischverhältnis,
das sich erst nach Monaten einpendeln sollte) und er vom Fahrer nur brüske
Antworten auf seine Fragen erhielt, hatte Hawk sich geschworen, daß ihm so
etwas nie wieder passieren würde. Daß er es nie wieder geschehen lassen würde.
Selbigem Mann – erneut auf dem Rücksitz
eines Jeeps – blickte er nun hinterher und mußte mehrmals schlucken, als er
sich an jenen Schwur erinnerte. Hier stand er und sah zu, wie man ihm etwas
nahm, das er zum Überleben brauchte.
Wenn er durchdrehte, gäbe es einen
Chirurgen weniger in Korea, und wer sonst sollte ab und zu etwas Luft aus
Winchesters Ego lassen? In ihrem eigenen Interesse sollte die Army,
beziehungsweise jener Major-General Fox, die Anklage gegen B.J. fallenlassen.
Und was war, wenn die Beweise nicht ausreichten? Dann gäbe es für B.J. eine
schnelle Verhandlung und Verurteilung. Was die Strafe anging, hatte er nun
wirklich keine Ahnung, aber so wie er die Army kannte (und ihren chronischen
Mangel an gesundem Verstand), garantiert nichts unter einem Jahr im Militärgefängnis.
Es war hier, daß sein Mundwerk mal wieder
schneller war als sein Hirn. "Als dein Ehepartner komme ich jederzeit
rein", setzte er noch einen drauf, mehr für sich selbst als für B.J. Denn
mehr konnte er nicht tun. Worte, egal wie clever, waren hier nutzlos.
Potter verzog das Gesicht und blaffte
seinen vorlauten Chefchirurgen mit dem typisch griesgrämig-großväterlichen
Tonfall an. "Lassen Sie mal den Quatsch, Pierce, wir müssen arbeiten, und
Sie brauche ich ganz besonders als Zeugen."
"Kann ich irgend etwas tun?"
fragte Father Mulcahy voller Eifer.
"Beten", lautete Potters knappe
Antwort.
Der Priester wendete sich leicht
beleidigt ab. "Ich bekomme ja nie etwas anderes zu tun", klagte er
und trollte sich in Richtung Messezelt.
Hawkeye beneidete ihn nicht. Zu oft war
Mulcahy zur Passivität verdonnert, ein Zustand, über den sich nicht zuletzt der
Priester selbst beschwerte, und manchmal galt für Ärzte das gleiche. Und Ärzten
gefiel es noch weniger, weil sie ans aktive Handeln gewöhnt waren, es war ihr
Beruf.
Anstatt das Problem mit Skalpell,
Vier-Null-Seide und etwas Morphium beheben zu können, mußte er zähneknirschend
einsehen, daß in diesem Fall die Army am längeren Hebel saß. Eingezogene
Mediziner, die sich mit allen Vieren gegen den Dienst für Uncle Sam gewehrt
hatten, hatten im Getriebe der Kriegsmaschinerie nicht viel zu sagen.
Sein chirurgisches Können hatte dagegen
die gleiche Wirkung wie Worte – nämlich keine.
Glücklicherweise
nahm Colonel Potter offenbar diesen Fall genauso ernst und drängte zur Eile. Es
war von Vorteil, einen Berufssoldaten, Arzt, Vater *und* Großvater als
Kommandeur zu haben, der es sich nicht nehmen ließ, die Leute unter seinem
Kommando mitunter wie Kinder zu behandeln. Und sich dementsprechend um sie zu
sorgen.
Hawkeye würde sich bei nächster
Gelegenheit erkenntlich zeigen. Wenn er nicht vorher auseinanderbröckelte wie
der getrocknete Lehm, den er sich tagtäglich von den Stiefeln klopfte.
Selbst eine Naturgewalt namens Margaret
Houlihan, die hartnäckig versuchte, Urlaub in Tokio genehmigt zu bekommen,
hatte keine Chance, den Colonel dazu zu bringen, sich ihr Problem länger als
fünf Sekunden anzuhören. Zumal es nicht direkt ihr Problem war, sondern das
ihres Mannes.
Fast tat sie Hawk leid, so barsch wie Potter
sie abkanzelte.
"Pierce, auf der Intensiven müssen
die Dienstbücher sein."
Bei Potter war es schwer, das letzte Wort
zu behalten. "Margaret, ich hab' einen Ausweg aus Ihrem Problem. Ein
dunkelhaariger Chirurg mit Händen wie Paganini...und Augen wie die Sünde."
"Ich bin eine verheiratete
Frau", erboste sich Margaret und funkelte ihn an. Stören tat's ihn nicht.
Glaubte sie etwa, durch ihre Ehe gelte automatisch Schonzeit für sie? Nicht
solange seine Zunge funktionstüchtig war und sich Margaret in seinem Revier
aufhielt. Heute begnügte er sich aber mit leichter Munition, einem Lächeln, das
allerdings kaum verbarg, was wirklich in ihm vorging.
"Machen Sie schon, Pierce", kam
Potters Ermahnung, "rasieren Sie sich und ziehen Sie Ihre Ausgehuniform
an."
Was
war falsch an verstaubten Stiefeln und dem Alltagskhaki mit Flecken, von denen
er nicht sagen konnte, ob sie Ketchup oder Blut waren? Das war doch immerhin
das wahre Gesicht der Army und "Ausgehuniform" hieß für ihn, eine
zusätzliche Maske auf die Maske über der Maske zu setzen, hinter der sich –
irgendwo – sein wahres Ich verbarg. Sich versteckte vor der Army, vor dem Krieg
und auch, wenn nicht sogar speziell, vor ihm selbst. Vor dem Hawkeye, der mit
jedem Schritt den Staub eines fremden Landes aufwirbelte, nichts lieber trug
als seinen zerschlissenen roten Bademantel, und sich nach bestem Können mit
Bartschatten maskierte.
Vor der Person, deren Name in die beiden
Metallplättchen gestanzt war, die an der Kette um seinen Hals baumelten.
Warum wurde soviel Wert auf Aussehen
gelegt, auf einige Schichten Stoff, die sich beliebig verändern ließen?
Uniformen legte man an und ab, Medaillen wurden angesteckt und abgenommen,
Stiefel an- und ausgezogen...nur die Dogtags blieben. Die Dinger waren doch die
eigentliche Uniform, zumindest die einzige, die hier Bedeutung hatte, Kleidung
und Identität zugleich. Erst die Dogtags machten die uniforme Uniform so
richtig uni in ihrer Form. Zwei kleine Stücke Blech...und er konnte sich weiß
Gott netteren Schmuck vorstellen, aber auch jemand wie Harry Truman mußte
sparen. Die Goldversion mit passenden Manschettenknöpfen wurde vermutlich nur
an Drei-Sterne-Generäle und darüber vergeben. Zwei kleine Stücke Blech machten
sie alle zu einer Gruppenidentität, ob sie wollten oder nicht. Individualität
ging den Bach runter, man gehörte einer wie der andere zur Großfamilie Army und
hatte den gleichen Namen. Den zweiten Vornamen U.S. gab's gratis dazu.
Wie sich Douglas MacArthur bloß die Weihnachtspost
an die Verwandtschaft leisten konnte...
Höchstwahrscheinlich gar nicht, gab er
sich drei Schritte später selbst die Antwort, denn dieses ausgiebige Barbecue
mußte erheblich ins Geld gehen. Wenn Harry die Familie bis auf weiteres
auswärts speisen ließ und mit so vielen internationalen Gästen, sollte sich Big
Mac nicht wundern, wenn für die Portokasse nichts mehr übrig blieb.
Keine Weihnachtskarten für B.F.U.S. Army,
B.J.U.S. Army, M.Q.U.S. Army (ständig auf einen permanenten Nachsendeantrag aus),
J.F.P.U.S. Army (nicht mal durch Heirat mit Gott ließ sich der Name ändern) und
mehrere Hunderttausend ihrer Brüder und Schwestern. Auch nicht für
selbsternannte VIPs wie Charles, der seinen Namen behalten hatte, denn er hatte
per Gerichtsbeschluß einen Doppelnamen erwirkt, C.E.U.S. Winchester-Army III.
Hawkeye konnte sich kaum noch erinnern,
wie es gewesen war, ein Einzelkind zu sein. Die gesamte Verwandtschaft hing ihm
zum Hals heraus, besonders an Tagen wie heute, und den einen Bruder, den er zu
gerne behalten hätte, J.F.X.U.S. Army, hatte die Familie verstoßen.
Eine weitere Karteileiche im Pentagon,
die – und an diese Hoffnung klammerte er sich – zum Klang glücklichen
Kinderlachens wiedergeboren worden war als John Francis Xavier McIntyre.
Lieber Karteileiche als richtige
Leiche...nur gab es hier zu viele Faktoren, die einem die Entscheidung abnahmen
und leider häufiger zur Alternative Nr.2 tendierten.
Es war an den Ärzten, dagegen etwas zu
tun. Schon allein deswegen mußte alles gut enden. Die Army war eine zu große
Familie und die wenigen, überarbeiteten Hausärzte hatten jeweils nur zwei
Hände.
Zurück im Sumpf holte er als erstes seine
Uniform aus der Feldkiste unter seinem Bett hervor, schüttelte sie aus und
drapierte sie über die Destille, damit sie wenigstens etwas auslüften konnte.
Der Potter hatte gesprochen, howgh, und Hawkeye, Ziehsohn des letzten der
Mohikaner, würde folgen!
Als nächstes der Papierkram...
**********
Das war vor einer halben Stunde gewesen. Trotz
Schwester Bigelows Hilfe hatte die Suche nach den relevanten Unterlagen mehr
Zeit als erwartet in Anspruch genommen und für sein Äußeres würde er mindestens
die gleiche Zeit brauchen. Mehr sogar, wenn er Potters Befehl hundertprozentig
Folge leisten wollte.
Die Order lautete volle Uniform und
bestmöglichstes Erscheinungsbild...für ihn fast ein Staatsakt. Eigentlich hatte
er nicht vorgehabt, sich vor seinem eigenen Begräbnis dermaßen
herauszuputzen...und dann würden sowieso andere die Arbeit für ihn tun. Das
Hemd, das er trug, landete achtlos als Stoffknäuel neben seinem Kopfkissen,
Sekunden später gefolgt vom T-Shirt. Ans Aufhängen dachte er nicht einmal,
schließlich mußte er den gepflegten Knitterlook wahren und man durfte seinem
eigenen Ruf nicht untreu werden! Sein Hawaiihemd war das einzige
Kleidungsstück, das er von der Wäscherei bügeln ließ, was wieder einmal seine
Meinung über die Army unterstrich: nämlich daß er im Grunde gar keine hatte.
Beziehungsweise am liebsten keine hätte.
Ganz bewußt vermied er es, sich erst noch
mal kurz hinzusetzen. Sitzen war gleichbedeutend mit Nachdenken, und das wollte
er nicht.
Mit mechanischen Handbewegungen bereitete
er die Rasur vor, seifte den Pinsel ein, füllte Wasser in den Armeehelm, der
als Ersatzwaschbecken diente. Wo war gleich noch sein Kamm geblieben? Nun, er
konnte sich notfalls auch den von B.J. leihen. Der hatte sicher nichts dagegen.
B.J...
Wie er das Rasiermesser
auseinanderklappte, zwang er sich zur Ruhe, nur sein Körper gehorchte ihm
nicht. Schon setzte er die Klinge kurz vor seinem linken Ohr an, bereit für den
ersten Zentimeter...doch das Zittern seiner Hand war zu stark, also ließ er sie
wieder sinken und legte das Messer ab. Wütend starrte er den ungehorsamen
Körperteil an, streckte ihn so weit es ging von sich. Jeder einzelne Finger
widersetzte sich seinem Willen und er biß die Zähne zusammen so fest er konnte.
_Nein..._ Noch fester und man hätte
das Knirschen bis Pusan gehört. Natürlich wußte er, daß alles gut ausgehen
würde und jeder General, egal wie unterbelichtet er sein mochte, anhand der
Beweise B.J.s Unschuld einsehen mußte, aber da war schließlich der Spruch mit
den Pferden vor der Apotheke...egal wie unwahrscheinlich, die 'Möglichkeit'
ließ ihm das Herz in den Hals steigen.
Krampfhaft versuchte er, es wieder
runterzuschlucken, bevor er daran erstickte.
Das eigene Herz ließ sich nicht so leicht
handhaben wie die Herzen anderer. Bloß ein Muskel...er hatte ihn oft gesehen,
berührt, repariert, das warme Pulsieren unter seinen Fingern gefühlt. Es sollte
für ihn Routine sein. Was war an seinem Herzen denn so anders, daß er es nicht
kontrollieren konnte? Nur um sich zu vergewissern, legte er sich eine Hand auf
die Brust und fühlte es schlagen. Gut...er war nicht besonders geübt in Eigenherzmassagen.
Zuviel hing von dem Urteil eines
lamettadekorierten Generals in Seoul ab, mehr als sich Potter vorstellen
konnte.
Selbst B.J. war sich seiner tatsächlichen
Bedeutung für Benjamin Franklin Pierce nicht bewußt.
Vermutlich würde er es auch nicht verstehen,
wenn er es ihm zu erklären versuchte.
Nein, manche Dinge verstand B.J. einfach
nicht, schlußfolgerte er, und bekräftigte die Erkenntnis mit einem ironischen
Lächeln in Charles' Spiegel.
Und er würde ihm die Unwissenheit lassen.
Besser ein Leben – das seinige, wessen sonst? – ging vor die Hunde des Krieges,
anstatt daß auch noch drei andere Personen zu Schaden kamen.
Es gehörte einiges dazu, sich zu
entscheiden, die Augen zu öffnen und der Realität ins Auge zu sehen (_Das zu sehen, was *zu* real war, und beim
Anblick nicht verrückt zu werden!_), und egal was kam, er würde B.J. nicht
zu dieser Entscheidung zwingen. Eine solche Strafe verdiente er nicht...und Peg
und Erin noch weniger.
Trapper und er hatten die Entscheidung
gemeinsam getroffen. _Und was hat es mir
gebracht? Verliere ich halt meinen Verstand einige Monate später._
Veränderungen, so die gängige Meinung, waren etwas Gutes. Man sollte sie
positiv sehen. Aber in Wahrheit hieß 'Veränderung', daß das geschah, von dem
man am allerwenigsten wollte, daß es geschah. Korea war eine solche Veränderung
gewesen.
Trapper ebenfalls. Doppelt sogar.
Es gab Zeiten, da war er überzeugt, nicht
wirklich hier zu sein. Wie in der griechischen Sage von Dädalus und Ikarus
entfloh er der Gefangenschaft mit selbstgebastelten Flügeln, schwang sich zum
Himmel auf wie ein Vogel.
Ikarus' Vater hatte die Idee mit den
Flügeln aus Wachs und Federn gehabt, während Daniel Pierce seinen Sohn nach
einem Vogel benannt hatte und ihm dadurch eine ähnliche Art von Flucht ermöglichte.
Die Ureinwohner Amerikas, welche die
Wälder um Crabapple Cove bevölkerten, bevor die weißen Siedler kamen, glaubten
fest daran, daß der Träger eines Namens die damit verbundenen Eigenschaften
besaß. Kein Name wurde grundlos vergeben.
Er war Hawkeye, Falkenauge, berühmt für
seinen scharfen Blick und pfeilschnellen Flug.
Hoch am Himmel über Korea hielt er seine Position, flog auf der Stelle wie nur ein Falke es konnte und hielt Ausschau. Wonach? Das wußte er nicht so recht. Vielleicht nach sich selbst. Doch so sehr er sich anstrengte, die Suche blieb erfolglos, alles, was sein zu scharfes Auge erspähte, war das, was er nicht sehen wollte, und so stieg er noch höher auf, nur um die Illusion von Freiheit ein bißchen mehr zu fühlen.
Noch höher und es würde ihm ergehen wie
Ikarus.
Nach einem Dutzend tiefer Atemzüge hatte
sich die Nervosität verflüchtigt, der Rhythmus des Moments bestand nur noch aus
dem beherrschten Ein und Aus der Luft in seinen Lungen. Hawkeye triumphierte.
Das zumindest *konnte* er beherrschen...und sein Herz fügte sich schließlich,
*endlich*, schlug langsamer.
Man sollte auf kleine Erfolge stolz sein.
Das Messer ließ sich nun leichter führen,
er hielt es wie ein Skalpell, mit festem Griff und lockerem Handgelenk, übte mit
dem Zeigefinger den nötigen Druck aus. Wie beim Operieren hatte er Kontrolle
über jeden Millimeter...allerdings wurde das leise Schaben immer noch übertönt
vom unnatürlich lauten Hämmern aus dem Inneren seines Brustkorbs. Einen
Zentimeter, zwei, drei...die Klinge bewegte sich über die Haut, nicht in sie
hinein. Wenn er den Druck nur ein wenig verstärkte und das an der falschen
Stelle...ob man ihm den 'Unfall' abkaufen würde? Mitten in der Bewegung hielt
er inne. Aber vielleicht, wenn er Glück hatte, würde man ihn erst entdecken,
wenn es zu spät war...wohlmöglich der Grund, weshalb er sich so selten
rasierte.
*Das*
war mal ein interessanter Gedankengang! Sid Freedman würde das sicher
interessieren. Er tauchte die schaumbedeckte Klinge ins Wasser und sah mit
eigenartiger Faszination zu, wie sich der Schaum in weißen Schlieren vom Stahl
löste...nur ein paar Zentimeter geschärftes Metall. Schon komisch, wie viele
Möglichkeiten es gab...wenn man erstmal genau darüber nachdachte. Für die einen
kam das Ende durch eine Kugel, ein Metallfragment von einer Granate oder Mine,
und für die anderen durch ein Rasier—
Ein lauter Ruf von draußen durchbrach den
hypnoseartigen Moment, und er blinzelte mehrmals, betrachtete das Rasiermesser
wie einen ihm gänzlich fremden Gegenstand. Woran hatte er gerade gedacht? Er
konnte sich nicht mehr erinnern. Konnte also nicht so wichtig gewesen sein.
Schnell war er mit der linken Wange
fertig, begann vorsichtig mit der Oberlippe. Als nächstes das Kinn und je mehr
von seinem Gesicht wieder sichtbar wurde, desto fremder war ihm der Mann im
Spiegel. _Hallo, Fremder, was machen Sie
denn hier? Haben Sie nichts Besseres zu tun? Gibt doch angenehmere Urlaubsorte
mit weitaus weniger Granaten, besserem Essen und deutlich weniger Flecken auf
den weißen OP-Tischtüchern, wo sie eh nichts anderes servieren als Steak
Tartar...dazu noch ohne Zwiebeln und Brötchen._
Reflexartig wandte er den Blick ab; er
wußte nicht, wann sie angefangen hatte, diese Abneigung gegen den Anblick
seines Spiegelbildes. Mochte sein, daß das der Grund war, weshalb er sich so
selten rasierte...oder gab es noch andere Gründe? Wohlmöglich, nur fielen sie
ihm gerade nicht ein. Bevor er sich die rechte Gesichtshälfte vornahm, ließ er
seinen Blick durchs Zelt schweifen, machte ein weiteres von mittlerweile
zahllosen geistigen Fotos. Momentaufnahmen, für einen Sekundenbruchteil lieb
und teuer und mit Gold nicht aufzuwiegen. Veränderungen wurden festgehalten,
die Bilder irgendwann verglichen. Vorher, nachher. Mit jedem Kommen und Gehen
änderten sich kleine Details...und er fragte sich, ob er der einzige war, der
sie so überdeutlich bemerkte.
Geschah ihm recht. Was für einen Ort
hatte er sich auch zum Fliegen ausgesucht? Nicht zum ersten Mal fragte er sich,
wie es wohl gewesen wäre, wenn er damals nach dem Unfall mit dem Ofen sein
Augenlicht nicht wiedererlangt hätte. Wenn das Falkenauge erblindet wäre.
Vieles wäre anders gewesen.
Er hätte vieles nicht sehen müssen.
Doch es war gekommen, wie es gekommen
war.
Hawkeyes Blick war scharf wie eh und je,
er sah mehr als andere und mehr als gut für ihn war. Für sie alle. Es war
gleichzeitig eine Gabe und ein Fluch. Und er konnte nicht wegsehen, selbst
nicht, wenn er wollte. Für den Augenblick würde es ausreichen, wenn er sich
selbst aus den Augen verlor.
Mit beiden Händen schöpfte er Wasser,
wusch die letzten Schaumreste fort und klappte dann das Rasiermesser zu,
zögerte... Es lag beunruhigend gut in seiner Hand, fand er, leicht und scharf.
Es wäre leicht. Eigentlich zu leicht.
Statt des kalten Wassers auf dem Gesicht
spürte er nur wieder die Wärme der koreanischen Sonne (Korea, das Land der
Morgenstille), die das Wachs seiner Flügel aufweichte.
Rasch legte er das Messer fort und griff
nach dem Kamm.
Wenn Potter bloß wüßte, wie sehr er mit
dem Besuch als B.J.s Ehepartner *nicht* gescherzt hatte! Ohne diesen Mann wäre
er verloren. Zwar war ihre 'Ehe' alles andere als ideal, aber es war der
einzige Ausweg gewesen. Eine Verbindung, die aus der Not geboren wurde, hastige
Vereinigung zweier Seelenhälften – denn ganz blieb hier niemand, hier konnte
man sich nur ergänzen – in der scheinbaren Sicherheit des
Versorgungszeltes...oder einem wackeligen Feldbett, wenn Charles einmal wieder
durch Abwesenheit glänzte. Entgegen allen besseren Wissens und allen
Widrigkeiten zum Trotz. Und nicht alle dieser Widrigkeiten waren
fünfeinhalbtausend Meilen entfernt, lediglich erreichbar durch Anrufe oder
Briefe. Nein, die meisten davon schliefen Nacht für Nacht in jenem Feldbett
hinter der Destille...und gelegentlich in seinen Armen.
_Mehr
als das werde ich nicht bekommen._
An diesem Ort, mehrere Leben von zu Hause
entfernt (sein Leben plus Trappers Leben plus Tommys plus Henrys plus all der
Leben, die unter seinen Händen geendet hatten), war das wenige schon mehr als
er sich erhofft hatte.
Der braune Stoff seiner Ausgehuniform
fühlte sich an wie die abgestoßene Haut einer Schlange, etwas Totes, in das er
nicht hineingehörte, genauso wenig wie in das beige Hemd mit dem unangenehm
gestärkten Kragen und die Hose aus der gleichen, zeitlos-modernen
Armykollektion. Widerwillig streifte er die Kleidung über und stempelte den
leichten Modergeruch als Teil seiner Einbildung ab. Wäre allerdings nicht
verwunderlich. In diesem Klima schimmelte einfach alles und Bügelfalten waren
so vergänglich wie Spuren im Sand. Bis die nächste Welle kam.
Bis die nächste Katastrophe über ihn
brandete, ihn an den Rand des Ertrinkens brachte.
Seine Hände hätten die eines anderen sein
können, als er unbeholfen das Hemd zuknöpfte. Knopf für Knopf für
Knopf...Gürtel, Krawatte...genauso gut könnte man ihm eine Schlinge um den Hals
legen.
Es war für einen guten Zweck, sagte er
sich, es war die Qualen wert. B.J. retten...aus der miesen Klemme, in die
Bardonaro ihn hineinmanövriert hatte. Der bloße Gedanke an den selbsternannten
König der Scherzbolde ließ ihn die Rechte zur Faust ballen. Was mischte sich
dieser...dieser *Kerl* einfach in ihr Leben hier ein? Hätte er nicht einfach
zurück in die Staaten gehen können, ohne diese Abschiedsvorstellung in der
4077th zu geben? Als gäbe es nicht schon genug Störenfriede da draußen,
Nordkoreaner, Chinesen, Flöhe und Granaten.
Was mit einem Anruf begonnen hatte, einer
angedrohten "Überprüfung des Schwindlers B.J. Hunnicutt durch die
MP", über die sie alle noch hatten lachen können, hatte sich schon wenige
Stunden später zu bitterem Ernst entwickelt.
Niemand lachte mehr, am allerwenigsten
Hawkeye Pierce. Der verspätete Hawkeye Pierce. Mit der Dokumentenmappe unter
dem Arm war er kaum aus der Tür hinaus, daß er Radar seinen Namen schreien
hörte.
Eine schwerwiegende Anklage, wie die, die
der General gegen B.J. vorgebracht hatte, konnte nicht so leicht vergessen
werden wie eine Scherzzigarre. Sie verflog nicht so schnell wie das Kribbeln
seiner Finger nach Bardonaros etwas 'elektrischem' Händeschütteln.
Leo Bardonaro, B.J.s Kumpel, Kommilitone
aus Stanfordzeiten, sogar sein Trauzeuge. Verflucht nette Geste vom Trauzeugen,
den Bräutigam ins Gefängnis zu bringen.
Beej sah im Anzug bestimmt gut aus...garantiert
besser als in Oliv-Khaki...
"Tut mir leid, hat eine Weile
gedauert, mein Reißverschluß war verschimmelt", entschuldigte er seine
Verspätung bei Potter.
Wieso war er jetzt schon wieder beim
Thema Uniform? Kopfschüttelnd warf er seine Mütze auf die Rückbank des Jeeps
und stieg ein.
Wann immer er einen Gedanken an die
verhaßte, ständig kratzende Kleidung verschwendete, fiel ihm der Brief ein, den
er einst mit Trapper an General MacArthur geschrieben hatte. Sie hatten niemals
eine Antwort erhalten, zu ihrer großen Verärgerung. Was war so falsch an dem
Vorschlag, "Greensleeves" zur offiziellen Hymne der U.S. Army zu
erklären?
"'Alas, my love, you do me wrong to cast me
off discourteously, and I have loved you oh so long, delighting in your company'."
Ohne einen Ton von sich zu
geben, bewegte er die Lippen zu den Worten und hupte mehrmals, um die zwei
Gefreiten nicht umzufahren, die gerade Rosie's Bar verließen.
Eigentlich wäre es ihm lieber gewesen,
Potter das Steuer zu überlassen, denn obwohl er den Weg kannte und schmerzlich
nüchtern war, hatte er heute Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit. Aber die
Vorschrift der Army lautete, daß der ranghöhere Offizier gefahren wurde. Mit
etwas Glück kamen sie an, ohne daß er vorher den Jeep in einen Baum oder Graben
setzte.
"Haben Sie Angst, daß Sie einen
Geschwindigkeitsrausch kriegen, wenn Sie ein bißchen schneller fahren,
Pierce?"
"Ah, nein, ich dachte dabei eher an
Sie, Sir. Und gewisse Teile Ihres Körpers, die Sie vielleicht noch brauchen
werden."
"Lassen Sie meine Körperteile mal
meine Sorge sein. Ruhe also und Gasgeben."
"Jawohl."
Vierunddreißig Meilen bis Seoul, auf der 33 immer nach Süden. Eine Strecke, die sich normalerweise in knapp einer Stunde bewältigen ließ. Heute zog sich eine einzelne Meile hin wie ein Marathonlauf auf volle Distanz.
Hawkeyes Gedanken waren nicht wirklich
auf der Straße und von dem, was Potter erzählte, bekam er nur jedes dritte Wort
mit. In Gedanken war er den Ereignissen bereits weit voraus.
Wenn das hier vorbei war, würde B.J. es
garantiert sofort Peggy schreiben oder sie anrufen, und beide würden sie lachen
über den guten alten Leo. Peg bekam die tröstende Zusammenfassung, während er,
Hawkeye Pierce, alles in brutaler Echtzeit – und vor allem Echt*heit* —
durchlebte, während das Ende noch ungewiß war.
B.J. teilte seine Erfahrungen und
Erlebnisse zu gerne mit denen, die kein Recht hatten, im Nachhinein daran
teilzuhaben. Manchmal, nur manchmal hätte er es gerne, wenn man ihm für ein
paar Erinnerungen die Exklusivrechte gewähren würde und er nicht ständig das
Gefühl bekam, als hätte Peg daneben gestanden. Und dabei dachte er nicht an
jene Gelegenheiten, bei denen B.J. Peg ganz bewußt 'vergaß', sondern
alltägliche Begebenheiten. Was man halt so gemeinsam tat, wenn man nicht gerade
in Verwundeten erstickte.
In jenen Momenten der Ruhe kümmerten sich
die Ärzte um ihre eigenen Wunden. Mal blieb ihnen dafür ein Tag, mal mehrere
Tage, meistens aber nur Stunden.
Die Wunden waren stets die gleichen und heilten
nie, und er wußte nicht mehr, ob er zuviel fühlte oder zu wenig. Ob sein ganzer
Körper taub geworden war und er eine Bestätigung brauchte, daß er noch lebte.
Totale Gefühlslähmung durch die Schmerzen anderer. Das andere Extrem war das
Zittern durch Kälte, Erschöpfung oder ohnmächtige Wut und zurückgehaltene
Tränen, ein Beben, das tief in seinem Inneren begann und ihn fast
auseinanderbrechen ließ.
Und auch das Gegenmittel blieb gleich,
eine Unterhaltung aus wenigen geflüsterten Worten, dann erlosch der fahle
Schein der Leselampe und ein Feldbett knarrte unter dem Gewicht eines zweiten
Körpers.
Allein in ihrer Zweisamkeit, doch waren
sie niemals wirklich allein. Egal wie nahe er B.J. kam, unterstrich jede Minute
in seinen Armen die Distanz zwischen ihnen.
Der Jeep erwischte ein Schlagloch, und
seine Zähne knallten geräuschvoll aufeinander, rissen ihn aus seinem
Tagalptraum. Hastig lenkte er gegen, klammerte sich ans Lenkrad, um das
Fahrzeug auf der Straße zu halten.
"Passen Sie auf, Hawkeye, meine Knochen
sind nicht die stabilsten."
"Bitte um Entschuldigung, Sir, ich
werde versuchen, die tiefen Löcher auszulassen."
"Na, hoffentlich."
Trotz aller Küsse, von denen Peg nie
erfahren würde (es sei denn, B.J. gestand es ihr irgendwann, um sein Gewissen zu
beruhigen, durchaus eine Möglichkeit) und den verzweifelten Versuchen,
Vergessen ineinander zu finden, war *sie* es, der sich B.J. verschrieben hatte.
Ihr galt seine Loyalität...Beej erneuerte sie mit jedem Brief, den er schrieb.
Jedem Mal, daß er ihren Namen erwähnte. Selten verging ein Tag ohne einen
solchen Treuebeweis, egal wie klein. Als wolle er damit die Erinnerungen
betäuben, die er nicht haben sollte. Als wolle er Peg um Verzeihung bitten.
_Du
hast ein anderes Leben, zu dem du zurückkehren kannst, Beej, ich nicht. Ich
nicht. Mein Leben besteht aus der Gegenwart, dem, was ich hier habe. Oder auch
nicht. In meiner Fantasie ist meine Schutzwand gegen Blut und Leid stabil,
nichts könnte sie zum Einsturz bringen..._
Ein Wort genügte.
Peg.
_Und
Woche für Woche baue ich mich wieder neu auf, benutze dich – mißbrauche dich
vielleicht sogar – um die Fassade des unverwundbaren Hawkeye Pierce wieder
herzustellen. Ein Glas Gin und ein sanfter Kuß sorgen für den Putz und
Neuanstrich. Bis es wieder geschieht._
Peg.
Sie war die Sonne auf Ikarus' Schwingen.
Seine Flügel waren nicht Peg-sicher. Vielleicht sollte sich Ikarus die
Fliegerei aus dem Kopf schlagen und besser in Gefangenschaft bleiben, denn dort
konnte Peg ihm nichts anhaben. Letztendlich ersparte er sich so den Schmerz des
Absturzes, der unweigerlich kommen mußte, früher oder später.
Hawkeye biß die Zähne zusammen. Er würde
es noch lernen. Bis das hier vorbei war, würde er es gelernt haben. Wenn er
nicht vorher alle Federn verlor und ins Meer stürzte. Vielleicht würde sich
Henry sogar über die Gesellschaft freuen.
Bis vor einiger Zeit hatte er noch die
Hoffnung gehabt, daß es ein 'Danach' geben könnte... Trapper hatte ihm diese
Illusion genommen. Er war gegangen. Hatte ihn alleingelassen.
Ikarus flog seitdem allein.
Wieso hatten sie nicht gemeinsam beenden
können, was sie gemeinsam begonnen hatten?
Der Fahrtwind und der Staub trieben ihm
Tränen in die Augen...oder war der Grund ein anderer?
_Tut
mir leid, Beej, daß mein unvollkommenes, gebrochenes Herz dir solche
Schwierigkeiten macht. Ihr seid so verschieden, so unglaublich
verschieden...und dennoch habt ihr eines gemeinsam. Mich._
Vielleicht vergab er seine Zuneigung zu
leicht und zu schnell...aber sonst hatte er nichts zu geben. Nicht mehr. Dafür
hatte dieser Ort gesorgt. Seine Gefühle waren das einzige, was er noch hatte –
ein Geschenk und gleichermaßen eine Überlebenstaktik. Er hatte Angst, sie zu
zerstören oder zu verlieren, wenn er sie für sich behielt, also gab er sie zur
Aufbewahrung an jemand anderen. B.J. war all das, was Trapper nicht war, und
dieser Gegensatz faszinierte ihn ebenso wie er ihn störte.
Manchmal wußte er nicht, zu was ihn das
machte oder ob er noch irgendein Recht hatte, Trapper Vorwürfe zu machen, ihn
verlassen zu haben. Schließlich hatte er keine Zeit verloren, sich an jemand
anderen zu hängen, ohne Rücksicht darauf, was er dieser Person damit antat oder
ob 'der Neue' es überhaupt wollte.
Wie ein Bergsteiger, dessen Karabinerhaken
versagte, und der seinen freien Fall entlang der Felswand nur brechen konnte,
indem er seinen Steighaken in die nächstbeste Felsspalte schlug und hoffte, zu
überleben. Als könnte er das Alleinsein nicht ertragen, das Ich-Sein...als
wüßte er nicht mehr, wie das war, beziehungsweise wer das Individuum Benjamin
Franklin Pierce war.
Ein ins Taumeln geratener Ikarus suchte
die rettende Aufwärtsströmung.
Anders als der Falke würde er den
Sturzflug nicht abfangen können, würde nicht überleben.
_Wenn du mir doch nur die gleiche Treue zeigen könntest...es zumindest spielen könntest. Doch du kannst dich nicht verstellen, auch nicht für mich. Sie wird immer wichtiger für dich sein. Immer. Du läßt ja keine Gelegenheit aus, alle Welt daran zu erinnern. Vor allem mich. Eigentlich sollte ich mich beleidigt fühlen...du läßt mich wissen, daß egal was ich tue, egal wie sehr ich mich um deine Aufmerksamkeit bemühe, sie deine Hoffnung bleiben wird. Um vieles realer als ich es je sein könnte._
Ja, er sollte sich dafür verabscheuen,
wie sehr er auf B.J. und sein 'Zugeständnis' angewiesen war, und manchmal –
immer öfter – dachte er daran, den Schlußstrich zu ziehen und es alleine zu
versuchen. Aus Prinzip und Stolz, wenn schon nicht aus Vernunft.
Hawkeye, der Meister der Komplikationen.
Mit jedem 'Peg' fiel eine weitere Feder
aus dem schmelzenden Wachs von Ikarus' Schwingen.
_Trapper
war mein Spiegelbild, mehr 'ich' als ich es je sein konnte, so sehr 'ich', daß
es mir Angst machte...du bist ein Schatten, kein Teil von mir und dennoch nicht
abzuschütteln.
Trapper
handelte aus eigenem Antrieb, lag mit mir gleichauf...du läßt dich vielmehr von
mir inspirieren und schwimmst in meinem Kielwasser, um nicht unterzugehen, denn
dies ist nicht länger das sichere Nichtschwimmerbecken, nein, Beej, dies ist
das offene Meer, hier riskierst du das Ertrinken._
Doch alleine würde er es nicht schaffen.
Dafür war er schon zu abhängig von jemandem an seiner Seite.
Abhängigkeit, genau, das war es. Abhängigkeit,
nicht Liebe. Warum hatte er es nicht schon früher erkannt?
Wie ein Außenstehender beobachtete er
seine Finger, sah sie nach der Kupplung greifen und einen Gang höher schalten.
Wenn er schon nicht mehr höher fliegen konnte, dann wenigstens schneller
fahren.
In Wahrheit gab es nichts, das B.J. ihm
bot, nein, die Rolle des Gebers hatte er zu spielen, gab und gab noch mehr, und
trotz anfänglichen Zögerns hatte B.J. ihn nie zurückgewiesen. Stillschweigend
hatte sich B.J. Hunnicutt, liebender Ehemann und Vater, auf Hawkeye Pierce
eingelassen, nahm, was ihm angeboten wurde, jede Berührung, jedes geflüsterte
Wort, und bot seinerseits...nichts.
Mochte sein, daß er es versuchte, aber
einfach nicht wußte wie. Immer der Zuhörer, der besonnene, geduldige
Beobachter, hatte B.J. wie Father Mulcahy stets ein Lächeln parat. Ja, Beej war
ein guter Zuhörer und darin unterschied er sich von Trapper, der um vieles
impulsiver war und schnell die Ruhe verlor, wenn ihm etwas aufstieß.
B.J. lächelte sein stilles, ach-so-verständnisvolles
Lächeln, so anders als Trappers freches Grinsen, und wenn Hawk ihm im Dunkeln
das verschwitzte Haar aus der Stirn strich, glitten feine, glatte Strähnen
durch seine Finger, so anders als die dichten Locken, die beide Hände gefüllt hatten.
Den Unterschied in der Farbe verschluckten die nächtlichen Schatten, die auch
tagsüber den Sumpf nicht verließen. Am Tage nahmen sie lediglich andere Formen
an oder versteckten sich in der sinnesverhüllenden Transparenz eines Martinis.
Und dann war da diese *Ruhe*...diese
ruhige Stärke in B.J. Sie war etwas...Fremdes, etwas, das einfach nicht nach
Korea gehörte. Etwas Unnatürliches. Trapper hatte sie nicht gehabt. Und sie in
B.J. zu sehen machte ihm Angst, ließ ihn noch mehr an seiner eigenen geistigen
Gesundheit zweifeln, die Einsamkeit noch intensiver spüren...und B.J. umso mehr
brauchen.
Eine Beziehung, wie sie einseitiger kaum
sein konnte.
Wie dumm von ihm, diese...Beziehung
fortzuführen. B.J. brauchte ihn nicht, hatte es nie getan, und dennoch nahm
er...nahm und nahm... _Du bist was
Besseres, Beej, was Besseres als dies, als ich, ich weiß das...und dennoch
verstehst du mittlerweile, auf irgendeinem tiefen Level, daß du abhängig
geworden bist von dem, was ich zu bieten habe. Und du weißt nicht, was du von
dir halten sollst...erkennst dich selbst nicht mehr._ Oh, er war an jenem
Punkt gewesen, hatte sich die gleichen Fragen gestellt (wie war es möglich,
jemanden so zu brauchen?), doch war ihm bei der Suche nach der Antwort jemand
entgegengekommen.
Trapper.
Ebenso verwirrt, ebenso zornig und
verstört angesichts all dieses Elends gegen das sie kaum etwas ausrichten
konnten. Es war wie Wandern im dichten Nebel, wo alle Konturen und jegliche
Orientierung verloren gingen.
Sie hatten sich auf halbem Wege getroffen,
hatten einander aufgefangen.
B.J. konnte das unmöglich verstehen.
Gut, er gab sich Mühe, und Hawkeye wußte,
daß ein Teil von B.J. dankbar dafür war, jemanden vorgefunden zu haben, der ihm
zeigte, wie es sich am besten überleben ließ – doch kompensierte das für den
Teil, der ihn verleugnete, wann immer Radar Briefe und Päckchen aus Mill
Valley, Marin County, Kalifornien zustellte? Nein.
Wäre er an jenem Tag nicht so extrem
verwundbar gewesen, ein emotionales Wrack...B.J. Hunnicutt hätte einen ganz
anderen Stand bei ihm gehabt, dessen war er sich sicher.
_Ständig
sind da diese Figuren aus der Vergangenheit, all diese Bekannten. Es gibt so
viele Personen, die dich kennen, mit denen du Erinnerungen und Erfahrungen
teilst.
Was
soll ich erzählen? Ich kann nichts erzählen. Ich habe nichts außer Erinnerungen
an Dad, an den Frieden und die Abgeschiedenheit eines 3000-Seelen-Örtchens in
Maine.
Dem
genauen Gegenteil von hier.
Ich
kenne dort fast jeden, aber *kennen* tue ich nicht viele Leute. Natürlich existieren
die üblichen Bekanntschaften mit den unmittelbaren Nachbarn, Freunden meines
Vaters, Spielkameraden und Studienkollegen...doch habe ich sie nicht nach Korea
mitgenommen. Deswegen telefoniere ich auch nicht am laufenden Band mit ihnen,
sondern schreibe nur ab und an einen Brief. Mit jedem Brief schicke ich ein
Stückchen von mir in die Heimat, auf daß sie es für mich aufheben mögen bis zu
meiner Rückkehr._
Sie waren 'dort', er war 'hier'. Die
Grenze war klar gezogen.
Bei Trapper war es genauso gewesen.
B.J. dagegen hatte ein Bein in jeder Welt
und auch wenn es ihn zerriß, er überbrückte die Kluft Korea-Mill Valley mit
Telefonaten und Briefen und den für seinen Mitbewohner so schmerzhaften
Anfällen von Mentionitis. Als würden Peg und Erin dadurch mehr bei ihm sein.
Und auch Peg tat ihren Teil, um B.J. festzuhalten, beantwortete seine Briefe in
doppelter Länge und versorgte ihn mit Kuchen und Keksen.
Hawkeye mußte jedes Mal an dem Gebäck
würgen.
Sie klammerte sich an B.J., hielt ihn
aufrecht, so gut sie konnte auf die Distanz, ließ ihn nicht los...und Hawkeye
war dann für den Rest, für die Feinarbeit verantwortlich? *Schließen Sie für
mich, Doktor, ich bin fertig, und machen Sie kleine Stiche, meine Frau soll die
Narbe nicht sehen*? Manchmal fühlte er sich, als wäre er lediglich das
physische (und zufällig männliche) Double für Peg.
Trapper dagegen...Trapper hatte Hawk
genauso gebraucht wie Hawkeye ihn. Er hatte nicht gewußt, wo Hawkeye Pierce
aufhörte und Trapper McIntyre begann.
Und B.J. Hunnicutt war nun die
Weiterführung einer Sache, die nicht gutgehen konnte. In gewisser Hinsicht war
er für Hawk sogar noch ein Schritt in die falsche Richtung auf der Straße nach
Desaster City. Trotz aller guten Vorsätze, trotz des Mangels an
Gemeinsamkeiten.
In B.J. gab es nicht diese Rastlosigkeit,
diese Verzweifelung, die Trapper und ihn verbunden hatte. Statt dessen hatte
B.J. seine Gedanken an *sie*, um sich zu beruhigen...und manchmal war Hawk
ernsthaft versucht, ihm seine Verachtung ins Gesicht zu schreien – warum sollte
*sie* das tun, wofür B.J. doch ihn hatte? Warum? Warum tat sie es, ungebeten,
ungefragt, immer und immer wieder, und warum, *warum* ließ B.J. es zu?
War Hawkeye Pierce für ihn nicht gut
genug?
Oder war es, weil er noch immer Angst
hatte?
Wahrscheinlich letzteres. Angst vor dem
Fliegen, Höhenangst, und so hielt er nach bestem Können den Falken auf dem
Boden der Tatsachen.
Und der Falke konnte nicht loslassen,
zumindest nicht aus eigenem Antrieb, und versuchte, weiterhin aufzusteigen. Nur
war die Beute in seinen Klauen zu schwer für ihn.
Die Erinnerung an Trapper war wie ein
Metallfragment, das der Chirurg übersehen hatte, und irgendwann würde das
Gewebe hoffentlich vernarben. Dann könnte er wieder Mensch sein. Sofern er sich
dann noch daran erinnerte, wie man Mensch war. Denn solange die Situation am
Boden unerträglich war, würde Ikarus hartnäckig versuchen zu fliegen. Solange
er allabendlich Blut von seinen Stiefeln schrubbte und sich selbst dafür haßte,
bereits so abgestumpft zu sein, daß er oft nichts mehr empfand, wenn er ein
weiteres Paar Handschuhe, an denen ein Menschenleben klebte, in den Müll warf,
würde er um jeden Zentimeter Flughöhe kämpfen.
Gott, er haßte diesen Ort und diesen
Krieg...und wieviel mehr würde er später die Erinnerungen daran hassen. Das
Schwierigste in dieser Welt war, in ihr zu leben, für diese Erkenntnis bedurfte
es keines sonderlich scharfen Blickes. Und was B.J. betraf...
Da war ein B.J., den *sie* niemals
kennenlernen würde, die gute Peg. B.J.s Version von Mr. Hyde, allein durch
Hawkeye entstanden. Und er bezweifelte nicht, daß B.J. diese Persönlichkeit
zurücklassen würde, wenn er die Chance zur Heimreise bekam. Hm. Wie viele
'nicht' ließen sich wohl in einem Satz unterbringen?
"Alles
okay, Pierce? Sie sehen
etwas blaß um die Nase aus."
Man konnte immer auf Sherman Potter
vertrauen, sich einzuschalten, wenn die Gefahr bestand, daß Gedanken zu weit in
die falsche Richtung wanderten und zu düster wurden.
Er warf ihm ein flüchtiges Lächeln zu.
"Das Mittagessen beantragt soeben seine sofortige Entlassung. In
dreifacher Ausführung."
"Antrag abgelehnt. Ich erkläre Ihren
Magen zum Hochsicherheitstrakt. Machen Sie das Ihrem Essen klar. Radar, Klinger
und Zale haben gerade erst am Wochenende den Fuhrpark komplett gereinigt, Jeeps
wie Transportbusse."
"Verstanden, Sir."
Potter nickte knapp, richtete den Blick
wieder nach vorne und fiel zurück ins Schweigen. Das er einige Sekunden später
allerdings für einen letzten Satz brach. "Pierce, es wird sich schon alles
wieder einrenken, da bin ich mir sicher."
Nicht alles...aber was für einen Sinn
hatte es, diese Was-wäre-wenn-Szenarien durchzuspielen? Die Dinge waren, wie
sie waren. Statt Trapper McIntyre, dem Auslöser für seine Flugversuche, seinem
Navigator zwischen Erde und Himmel, zog B.J. Hunnicutt ihn mit seiner Vernunft
und Stabilität zu Boden wie die personifizierte Schwerkraft.
Träumereien und kalte Fakten. Beides für
sich genommen nicht wirklich schlecht, doch wenn man sich für eines entscheiden
mußte...
Hawkeye reagierte nicht auf Potters
beruhigende Worte, sondern fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen.
Der Staub hatte seinem Mund alle Feuchtigkeit entzogen, Schlucken war
unmöglich. Er sehnte sich nach einem Drink.
_Colonel, ich weiß nicht, ob es für Sie viel Sinn machen würde, wenn ich Ihnen erzählte, wie es in mir aussieht. Innen drin bin ich Bauchwunde, Brustwunde, gebrochene Arme und Beine und Schädeltrauma, alles zusammen, und ich kriege dennoch kein Purple Heart. Alles, was für uns Chirurgen übrigbleibt, ist das Broken Heart._
Schon seltsam, daß er an einem Ort, wo er
so viele andere Leben rettete wie möglich, ausgerechnet sein eigenes immer
weiter verpfuschte. Und einfach nicht anders konnte. B.J. ließ ihn leben
(fliegen), damit er einen weiteren Tag sterben (abstürzen) konnte...
Im Moment war die MP-Straßensperre
hundert Meter vor ihnen wichtiger. Die Kontrollpunkte häuften sich, je näher
sie Seoul kamen, aber Colonel Potter war die beste Freifahrtkarte, die er sich
wünschen konnte. Ein Schild am Straßenrand sagte, daß noch zehn Meilen vor
ihnen lagen.
Und wenn die Straße noch schlechter wäre,
hätte er echte Probleme, die Einzelteile beisammen zu halten. Besser, er
numerierte sie bei Gelegenheit mal. Waren schon genügend Stücke abhanden
gekommen...Ikarus und der Falke hatten schon zu viele Federn gelassen...
Feder für Feder trudelte langsam zu
Boden, aber noch konnte er fliegen, verlor jedoch bereits an Höhe. Seine
Flügelschläge wurden panischer, je näher er dem gefürchteten Boden entgegen
sank. Und so kam er wieder nach oben, ganz allmählich, ignorierte die wachsende
Erschöpfung und seine schmerzenden Muskeln. Zehn Meilen bis zur nächsten
Landemöglichkeit, das war zu schaffen.
Entschlossen trat er das Gaspedal bis
aufs Bodenblech durch und hörte seine eigene Stimme sagen, daß sich Potter gut
festhalten möchte und die Aktentasche mit den Dokumenten bitte auch.
************
Egal wie laut B.J. lachte, Hawkeyes
steinerne Miene wollte nicht aufbrechen und das lag nicht daran, daß er zu
betrunken war und sich zu sehr darauf konzentrieren mußte, der Unterhaltung zu
folgen oder einigermaßen aufrecht zu stehen.
Noch einen Schluck von dem Zeug, das
allein für zweierlei Sachen gut war: Potters Pinsel reinigen und Gehirnzellen
töten.
B.J. schien das Ganze mit deutlich mehr
Humor zu sehen als er, schien Bardonaro bereitwillig zu vergeben. Schließlich
war alles gut ausgegangen, Bardonaro war samt Marschbefehl auf dem Weg nach
Kimpo – diesmal auch mit vollem Tank – und somit behandelte er es wie ein
weiteres Kapitel in einer Reihe von Streichen, die sie einander spielten, nur
einen weiteren Schlagabtausch.
Das mochte im Normalfall in Ordnung sein,
solange dabei keine Dritten zu Schaden kamen – und als solchen betrachtete sich
Hawkeye.
Das Zelt drehte sich immer noch, aber er
hatte etwas, woran er sich festhalten konnte.
"Habe ich dir schon mal gesagt, daß
du die perfekte Größe hast? Ich kann—" Er mußte kurz aufstoßen. Potters
Scotch hatte es echt in sich, konnte fast mit ihrem Selbstgebrannten mithalten.
"Ich kann meinen Kopf genau *hier* ablegen. Oder mein Gesicht verstecken,
wenn ich mich selbst nicht mehr ansehen kann. Paßt genau, Beej", murmelte
er gegen den regelmäßigen Puls. "Maßgeschneidert."
Die Arme, die ihn festhielten, schlossen
sich fester um ihn, und er fühlte, wie ihm ein Kuß aufs Haar gedrückt wurde.
"Das bist du in der Tat. Seltsam, oder? Weswegen lasse ich mich denn nur
mit Leuten ein, die kleiner sind als ich? Reiner Eigennutz. Von der Größe bist
du aber nicht ganz so gut geeignet wie..."
Bevor der Name fallen konnte, schob
Hawkeye seine Hand in B.J.s sonnengebleichtes Haar und brachte ihn mit einem
tiefen Kuß zum Schweigen. _Besser als Peg
mit ihren Einssechzig, soll sie bitte bleiben, wo sie ist, sie hat hier nichts
verloren._ Und diesmal prallte sie wie von einem unsichtbaren Schutzschild
ab, konnte ihm B.J. nicht entreißen. Nur für wenige Sekunden...aber es waren
*seine* Sekunden, er hatte ihn für sich allein. Die weichen Lippen schmeckten
nach Schweiß und Staub und all dem, was er hoffte, nach Korea nie wieder zu
schmecken. "Alles noch mal gutgegangen, hm?"
"Verglichen mit der Zelle, die sie
in Seoul für mich reserviert hatten, ist der Sumpf ein echtes Luxushotel",
gab B.J. lachend zu. "Ach, Hawk...Dorothy hat schon Recht, es ist
nirgendwo so schön wie zu Hause."
Ob B.J. verstand? Nein, das wäre, wie
bereits gesagt, zu grausam. "Wir sollten etwas schlafen, Beej."
Immerhin hatten sie beide diese Nacht Bereitschaft, der eine vor Mitternacht,
der andere hinterher, also nutzten sie die verbleibende Zeit besser dafür,
wieder etwas Blut in die Alkoholbahn zu bekommen. Widerstandslos ließ sich B.J.
in Richtung seines Feldbettes schieben und kaum daß er davor stand, gaben auch
schon seine Knie nach. Vorsichtig ließ Hawkeye ihn auf das wackelige Gestell
sinken, registrierte das leise Stöhnen, als B.J. die Horizontale erreichte.
Wahrscheinlich der Scotch. "Sagtest du was?"
"Nein...ich fragte mich nur
gerade...vielleicht hätt' ich doch besser ein sif-schrif—schriftliche Erklärung
von Leo verlangen sollen." Das Kissen dämpfte B.J.s Worte im gleichen
Maße, wie der Alkohol sie verzerrte. "Daß er die Schadensforderung des
Hotels auch wirklich übernimmt. In voller Höhe."
"Und daß nicht aus U.S. Dollar
plötzlich Pesos werden. Oder türkische Lira. Oder Drachmen. So etwas geht
schneller als man denkt."
"Genau-u-u. Die...die wollen
immerhin mehr alschei – Verzeihung – mehr als einen Monatslohn haben. Was soll
ich denn Peggy sagen, wenn wir an die Ersparnisse gehen müssen, um die Miete zu
bezahlen?"
Ah, da flog die Feder. Zwar war er darauf
vorbereitet gewesen, aber es kam dennoch unerwartet. Ungewöhnlich spät...
Hawkeye schloß kurz die Augen und atmete durch den plötzlichen Schmerz hindurch.
"Darum kümmern wir uns morgen", meinte er versöhnlich. Er schaffte es
sogar, die Bitterkeit aus seiner Stimme herauszuhalten. "Ich sag' Radar
dann mal Bescheid, daß er dich um acht Uhr weckt."
Ein gedämpftes Schnaufen. "Heute mal
wieder Dienst nach dem Alphabet, hm? Keine Nachsicht mit einem
Fast-Verurteilten? Na auch egal", ergab sich B.J. in sein Schicksal.
"Hilfst du mir vorher noch außen...ahm, aus den Stiefeln? Meine Finger
schlafen schon."
Die kleinen Dinge des Lebens. Stiefel,
Füße hoch, Decke...
"Schlaf gut, Hawkeye."
"Schlaf gut –" _Peg und Erin und Waggle und..._
"—Beej."
Für den Augenblick befand sich Ikarus
wieder im Aufwind, schlug trotzig mit den Schwingen und gewann allmählich an
Höhe.
FINIS